John Sinclair 2182 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2182 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Tief schnitten die Lederriemen in Paul Greys Fleisch. Die Kleidung klebte an seinem schweißnassen Leib. Dumpfer Schmerz pulsierte durch die Stümpfe, wo vor wenigen Minuten noch seine Arme gewesen waren.
Mit angstvoll geweiteten Augen verfolgte Paul die vermummte Frauengestalt, die lautlos an das Fußende des Tisches trat. Das von der Decke fallende Licht wurde von der blutverschmierten Klinge des gewaltigen Haumessers reflektiert. Stumm ergriff die Gestalt sein linkes Fußgelenk und presste es auf die Tischplatte. Paul wollte sich seiner Peinigerin entziehen, mit dem rechten Fuß nach ihr treten, doch es gelang ihm nicht. Die Lederriemen schnürten die Blutversorgung ab, sodass er kein Gefühl mehr in den Beinen hatte.
"B...bitte nicht!", flehte er.
Die Vermummte schwieg - und schlug zu ...

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Seitenzahl: 139

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Herzblut

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Digital Storm; Eagerrr/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9668-3

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Herzblut

von Ian Rolf Hill

Tief schnitten die Lederriemen in Paul Greys Fleisch. Die Kleidung klebte an seinem schweißnassen Leib. Dumpfer Schmerz pulsierte durch die Stümpfe, wo vor wenigen Minuten noch seine Arme gewesen waren.

Mit angstvoll geweiteten Augen verfolgte Paul die vermummte Frauengestalt, die lautlos an das Fußende des Tisches trat. Das von der Decke fallende Licht wurde von der blutverschmierten Klinge des gewaltigen Haumessers reflektiert. Stumm ergriff die Gestalt sein linkes Fußgelenk und presste es auf die Tischplatte. Paul wollte sich seiner Peinigerin entziehen, mit dem rechten Fuß nach ihr treten, doch es gelang ihm nicht. Die Lederriemen schnürten die Blutversorgung ab, sodass er kein Gefühl mehr in den Beinen hatte.

»B…bitte nicht!«, flehte er.

Die Vermummte schwieg – und schlug zu …

»Ach, was soll’s?«, murmelte ich, ließ das Messer fallen und griff nach dem Bein, um es mit bloßen Händen aus dem Gelenk zu reißen. Es knirschte, als ich daran drehte. Das Fleisch löste sich in weißen, appetitlich duftenden Fasern vom Körper, sodass mir das Wasser im Munde zusammenlief.

»Also ehrlich, John! Manchmal isst du wie ein Barbar.«

»Ich war ja auch mal einer«, antwortete ich und grinste Glenda an, bevor ich die Zähne in das zarte Hähnchenfleisch bohrte. Das Krachen der knusprig gebratenen Haut war Musik in meinen Ohren.

»Die Betonung liegt auf war. Das ist kein Grund sich immer noch wie einer aufzuführen.«

»Kein Mensch kann ein gebratenes Hähnchen mit Messer und Gabel essen. Außer dir!«, fügte ich mit einem kurzen Blick auf Glendas Teller hinzu.

»Hättest dir ja auch ein Stück von der Brust nehmen können!«

»Dann hättest du mir wieder irgendwelche sexistischen Hintergedanken unterstellt.«

Jetzt war es an Glenda, zu lächeln, während sie ein winziges Stückchen Hähnchenfleisch aufspießte. »Woher weißt du das?«

»Weil ich dich kenne!«

»Ein wenig zu gut, wie mir scheint. Außerdem hast du doch immer irgendwelche sexistischen Hintergedanken.«

»Also, das ist nicht wahr!«, protestierte ich.

»Jane?«, fragte Glenda.

Die blonde Privatdetektivin schreckte von ihrem Teller hoch, auf dem sie mit erstaunlicher Akribie die andere Hälfte der Hähnchenbrust zerlegte. »Wie bitte? Ich habe gerade nicht zugehört.«

»Es geht um John!«

»Hat er mal wieder irgendwelche sexistischen Anspielungen gemacht?«

»Ha, ha!«, erwiderte ich. »Du hast ganz genau zugehört. Fall mir ruhig in den Rücken. Was sagst du denn dazu, Chris?«

Chris Ainsworth, Janes Freund, sah abwechselnd zwischen den beiden Frauen hin und her, ehe er den Blick auf den zweiten Hähnchenschenkel heftete. »Ich hätte auch gerne ein Bein, aber jetzt trau ich mich nicht mehr!«

»Ist nicht wahr?«, sagte Jane und seufzte. Sie ließ Messer und Gabel fallen, griff mit beiden Händen nach dem Schenkel und riss ihn mit einem Ruck aus dem Hähnchen. Danach warf sie ihn Chris auf den Teller. »Noch nen Flügel dazu?«

»Später vielleicht!«

Jane nickte und widmete sich wieder ihrer Brust. Ich beugte mich derweil über meine eigene Mahlzeit und nagte weiter an dem Knochen herum, während ich Glenda aus dem Augenwinkel böse Blicke zuwarf.

»Hättest du vielleicht gerne was vom Bürzel?«, fragte sie.

»Ich werde mich hüten«, rief ich und griff nach einem Flügel.

»Da ist ja kaum was dran!«

»Was du nicht sagst? Aber er ist am unverfänglichsten.«

»Seht mal, da ist der Wunschknochen!«, rief Jane und zog das Gabelbein aus dem Hähnchenskelett. »Wollen wir mal dran ziehen, Glenda?«

Meine Freundin griff mit dem kleinen Finger nach einem Ende des V-förmigen Knöchelchens, während Jane auf ihrer Seite das Gleiche tat. Dann zogen die Frauen an dem filigranen Gebein, bis es mit einem leisen Knacken nachgab. Da das Gabelbein niemals in der Mitte auseinanderbricht, bleiben immer zwei unterschiedlich lange Stücke übrig. Der Wunsch desjenigen, der das größere Stück erwischt, geht in Erfüllung heißt es.

Glenda hatte dieses Mal kein Glück.

»Was hast du dir denn gewünscht?«, fragte ich. »Da du verloren hast, kannst du es ja ruhig sagen.«

Glendas seufzte. »Ich habe mir gewünscht, dass dieser Abend zur Abwechslung mal ohne Zwischenfälle verläuft.«

Ich runzelte die Stirn. »Wie kommst du denn auf das schmale Brett, dass wir gestört werden könnten?«

Jane lachte auf. »Ernsthaft, John? Ich habe früher mal Buch darüber geführt, wie oft unsere Dates geplatzt sind. War mir irgendwann zu viel Arbeit, sodass ich dazu übergegangen bin, aufzuschreiben, welche Verabredungen reibungslos verliefen.«

Ich winkte ab. »Das war bestimmt noch zu der Zeit, als Suko noch nicht beim Yard angestellt war. Seit wann seid ihr eigentlich so abergläubisch? Wie wahrscheinlich ist es, dass etwas passiert, nur weil Glenda den Kürzeren gezogen hat?«

»Du solltest den Abend nicht vor dem Morgen loben«, erwiderte diese.

Prompt klingelte das Handy.

Ich warf einen grimmigen Blick in die Runde.

»Okay, wer war das? Hände auf den Tisch, aber sofort!«

Meine Freunde gehorchten. Da niemand ein Handy hielt, blieb mir nichts anderes übrig, als die Finger an der Serviette abzuwischen und das Smartphone aus der Hosentasche zu ziehen.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, stöhnte ich, nachdem ich einen Blick aufs Display geworfen hatte.

»Lass mich raten!«, sagte Glenda. »Sir James?«

»Woher weißt du das?«

»Das höre ich am Klingeln. Jetzt geh schon ran!«

»Soll ich wirklich?«

»Natürlich, sonst versucht er es bei mir. Du weißt doch wie hartnäckig er sein kann.«

»Wohl wahr«, murmelte ich und nahm das Gespräch an. »Sir James? Sind Sie etwa immer noch im Büro?«

»Irgendwer muss ja die Stellung halten. Ich hoffe, ich störe nicht?«

»Keineswegs«, erwiderte ich und verdrehte die Augen. Was glaubte der eigentlich, was ich nach Feierabend tat? Auf dem Sofa liegen und auf seinen Anruf warten?

»Ich habe eben eine Nachricht von Superintendent Cutter aus Dundee erhalten.«

»Aus Dundee? Das ist … ungewöhnlich.« Mein Herz schlug automatisch schneller. Nein, es war keineswegs ungewöhnlich, dass mich ein Fall in die schottische Küstenstadt am Firth of Tay führte. Ungewöhnlich war lediglich die offizielle Bitte um Amtshilfe. Meistens wurde ich von der Tierärztin Maxine Wells oder ihrer Adoptivtochter Carlotta angerufen. Dass es dieses Mal anders ablief, verursachte mir Magendrücken. Hoffentlich war den beiden nichts passiert. Sie hatten durchaus ein Händchen dafür, in Schwierigkeiten zu geraten.

»Worum geht es denn, Sir?«

»Um eine Serie von Ritualmorden. Bislang haben wir drei Tote, müssen aber von einer höheren Dunkelziffer ausgehen. Der Modus Operandi variiert allerdings.«

»Und wie kommen Sie da drauf, dass es sich um einen Serientäter handeln könnte?«

»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Unterbrechen Sie mich nicht ständig, John.«

»Ja, Sir. Ich meine: Nein, Sir.«

Der Superintendent brummelte etwas in seinen nichtexistenten Bart und fuhr fort: »Zum einen wären da die Häufung und die beispiellose Brutalität der Morde. Wir sprechen hier immerhin von einer Stadt mit knapp einhundertfünfzigtausend Einwohnern. Bei drei Toten innerhalb eines Monats liegt die Verbrechensrate fast höher als die von London. Und selbst hier erregt es Aufmerksamkeit, wenn jemand bei lebendigem Leib verstümmelt wird, sodass er infolge seiner Verletzungen verblutet. Das erste Opfer wurde übrigens ertränkt, das Zweite lebendig verbrannt.«

»Hm, und weiter?«

»Bei sämtlichen Opfern handelte es sich um Männer zwischen dreißig und fünfzig Jahren, und ihnen allen wurde post mortem das Herz entfernt.«

»Das ist tatsächlich ungewöhnlich.«

»So ist es. Da Sie bereits früher gut mit der Mordkommission aus Dundee zusammengearbeitet und sich einen hervorragenden Ruf als Spezialist für außergewöhnliche Fälle erarbeitet haben, forderte Sie Superintendent Cutter an.«

»Ist es denn sehr dringend, Sir?«

»Nein, Sie können morgen früh fliegen. Ich wollte Sie nur vorwarnen. Sie werden auch nur als Berater fungieren, dürfen aber ihre Waffen mitnehmen.«

»Okay, Sir. Wann genau geht mein Flieger?«

»Keine Ahnung. Ich kann mich ja nicht um alles kümmern. Fragen Sie Glenda. Und viele Grüße an Jane Collins und Chris Ainsworth. Gute Nacht!«

Sprachlos starrte ich auf das Display meines Smartphones, das ungeduldig darauf zu warten schien, dass ich die Verbindung unterbrach, was ich wenig später auch tat.

»Und was habe ich gesagt?«, fragte Glenda. »Ein neuer Fall, nicht wahr?«

»Wie man es nimmt. Bislang wurde ich nur in beratender Funktion angefordert.«

Sie winkte ab. »Wir wissen doch beide, wohin das führt.«

»Zunächst einmal nach Dundee.«

»Dundee, so, so. Dann brauchen wir uns ja um die Unterkunft keine Sorgen zu machen.«

Glenda klang ein wenig schnippisch. Sie kannte Maxine nicht persönlich, hatte aber genug von ihr gehört, um eifersüchtig zu sein. Nicht ganz ungerechtfertigt, wenn ich ehrlich war, denn die Tierärztin und ich standen uns sehr nahe. Was nichts anderes bedeutete, als dass Maxine bei meinen Stippvisiten kein frisches Bettzeug bereitstellen musste.

Ein schlechtes Gewissen hatte ich Glenda gegenüber schon, aber wir waren schließlich nicht verheiratet, und tatsächlich war Maxine Wells die einzige Frau neben Glenda, bei der ich mittlerweile schwach wurde. Es war kompliziert, und ich hätte mich auch nicht wirklich entscheiden können, wenn ich zwischen einer von ihnen hätte wählen müssen.

Dabei war ich mir durchaus bewusst, dass ich irgendwann vielleicht ganz alleine dastehen würde. Meine Ex-Freundin Jane Collins hatte es ja bereits vorgemacht. Sie war mit meinem alten Jugendfreund Chris Ainsworth zusammen, einem Geologen, der nichts mit Dämonen und schwarzer Magie am Hut hatte. Obwohl er ebenfalls alles andere als unbeleckt war. Doch das war eine andere Geschichte.

Einfach war es für mich nicht gewesen, das zu akzeptieren. Aber ich konnte nun wirklich nicht erwarten, dass die Frauen brav zu Hause sitzen blieben und darauf warteten, dass ich mich um sie kümmerte. Das erlaubte schon allein mein Job nicht, wie sich gerade mal wieder gezeigt hatte.

»Ich soll euch übrigens von Sir James grüßen«, sagte ich und schaute Glenda dabei an. »Woher wusste der Alte eigentlich, dass wir bei Jane und Chris eingeladen sind?«

Meine Assistentin zuckte mit den Schultern. »Kann sein, dass ich es beiläufig erwähnte.«

»Aha.«

»Sitzt euer Chef eigentlich immer so lange im Büro?«, fragte Chris und deutete auf die Uhr. »Es ist immerhin schon halb acht!«

»Das hat bei dem nichts zu sagen«, erklärte Glenda und zückte ihr Handy. »Vermutlich soll ich mich um den Flug kümmern.«

»Zumindest sollte ich mich an dich wenden«, sagte ich.

»Das dachte ich mir.«

»Tja«, meinte Jane. »Das war es ja dann wohl mit unserem unbeschwerten Abend. Immerhin erspart es mir eine Menge Schreibkram.«

»Wieso denn das?«, fragte ich.

»Ich habe doch gesagt, dass ich nur noch die Verabredungen aufschreibe, die reibungslos ablaufen.«

»Aber ich fliege doch erst morgen früh.«

»Das spielt keine Rolle. Du wurdest dienstlich im Feierabend gestört, das allein zählt.«

»Moment mal«, mischte sich Chris ein. »Du zählst das als Date?«

Die Privatdetektivin tätschelte seinen Unterarm. »Als Verabredung, Chris. Nur als Verabredung.«

Ich wandte mich in der Zwischenzeit an Glenda, die über ihr Smartphone bereits nach einer günstigen Flugverbindung suchte. »Tut mir leid, Glenda. Das habe ich mir auch anders vorgestellt. Wenn du nach Hause willst, dann …«

»Rede keinen Unsinn, John«, unterbrach sie mich, ohne vom Handy aufzublicken. Sie nickte in Richtung ihres Weinglases. »Ich habe noch nicht ausgetrunken. Außerdem muss dich morgen früh ja schließlich jemand zum Flughafen fahren.«

»Abgesehen davon haben wir noch Schokoladen-Fondue zum Nachtisch«, fügte Jane hinzu. »Nur, um die Schweinerei komplett zu machen.«

»Ja, wenn das so ist«, sagte ich.

»Hey, John. Das ist ja eine Überraschung«, rief Carlotta. »Du kommst uns besuchen?«

»Ja, allerdings habe ich keinen Urlaub. Ich wurde von der Mordkommission um Amtshilfe gebeten.«

»Ah, verstehe. Und jetzt suchst du eine günstige Unterkunft, um das Spesenkonto nicht unnötig zu belasten.«

»Ja, äh, nein. Ich dachte nur …«

Carlottas glockenhelles Lachen drang scheppernd aus dem winzigen Smartphone-Lautsprecher. »Schon gut, John. Ich hab dich bloß auf den Arm genommen. Wir freuen uns. Wirklich. Max hat gerade zu tun, aber ich werde die Couch für dich vorbereiten.«

»Die Couch?«

»Ja, klar. Ich weiß nicht, ob Maxines Lover es gutheißt, wenn du dich zu ihnen legst.«

»Maxine hat einen … Freund?«

Ich spürte, wie sich mein Puls beschleunigte und mir das Blut in den Kopf stieg. Ja, Freunde, so fix konnte das gehen. Gestern Abend hatte ich noch darüber sinniert, wie schnell man alleine dastand, und jetzt …

»Ach, John! Ich könnte den ganzen Tag so weitermachen.«

Carlottas breites Grinsen war nicht nur zu hören, sondern dank der modernen Technik auch hervorragend auf dem kleinen Display zu sehen.

»Du musst mich ja wahnsinnig vermisst haben«, sagte ich.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr. Wann kommst du denn an?«

»So gegen elf.«

»Hm, da ist Max wahrscheinlich noch nicht wieder da. Ich meine, um dich abzuholen.«

»Bloß keinen Stress. Ich bin sowieso verabredet. Ich werde wohl erst gegen Abend zu euch kommen.«

»Oh, wie schade. Ich dachte, ich hätte dich auf einen kleinen Rundflug mitnehmen können.«

»Später vielleicht.«

»Na schön. Hast du denn einen bestimmten Wunsch wegen des Essens?«

»Hm, lass mich mal überlegen. Geflügel hatte ich gerade erst«, stichelte ich. Ein empfindsameres Gemüt als das Vogelmädchen Carlotta, die das Ergebnis eines genetischen Experiments war, wäre wohl nach diesem Satz ernsthaft beleidigt oder gekränkt gewesen. Aber dafür hatte sie einfach schon zu viel erlebt. Es tat gut, mit jemanden zu sprechen, der nicht jedes Wort auf die Goldwaage legte. Auch so etwas gehörte zu einer echten Freundschaft dazu.

»Wie wäre es mit gebratenem Schweinehund?«

»Solange es kein alter Esel ist.«

Wir lachten beide, bis die Durchsage zum Boarding erfolgte.

»Du, ich muss schlussmachen«, sagte ich schnell.

»Kein Problem. Wir finden schon was, damit du nicht vom Fleisch fällst.«

Die Art, wie Carlotta die Worte betonte, ließ mich hellhörig werden, doch bevor ich nachhaken konnte, hatte sie bereits aufgelegt. Ich bestieg als letzter die Maschine. Da es ein Inlandsflug war und ich auf der Strecke London-Dundee durchaus als Vielflieger galt, brauchte ich meine Waffen nicht als Diplomatengepäck aufzugeben. Ich überreichte die Beretta einfach dem Piloten.

Außer dem Kreuz hatte ich mir noch den Bumerang und den silbernen Nagel aus dem Einsatzkoffer genommen, den ich dieses Mal zu Hause ließ. Bislang deutete nichts auf schwarzmagische Aktivitäten hin. Wäre ich in Dundee nicht bekannt wie ein bunter Hund gewesen, hätte man mich vermutlich nicht einmal angefordert.

Sollte es aber dennoch zu einer dämonischen Begegnung kommen, hoffte ich, ausreichend gewappnet zu sein. Wie so oft, blieb mir nichts anderes übrig, als abzuwarten, was auf mich zukam.

Das war nach der Landung zunächst ein Mann in mittleren Jahren mit zurückgekämmten schwarzen Haaren, die er mit Gel fixiert hatte. Ein schmales Bärtchen zierte Kinn und Oberlippe. Er trug ein blaues Hemd ohne Krawatte und ein graues Sakko. Die obersten Knöpfe standen offen. Es fehlte eigentlich nur noch das obligatorische Goldkettchen oder ein goldener Zahn, um das Bilderbuchklischee des Zuhälters zu erfüllen.

Mit einem solchen hatte der Mann, der sich mir als Detective Inspector Conrad Sallis vorstellte, nichts zu tun. Ganz im Gegenteil.

»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mister Sinclair. Ich leite die örtliche SoKo und bin für jede Unterstützung dankbar.«

Ich zeigte mich einigermaßen überrascht. »Um ehrlich zu sein, habe ich damit gerechnet, dass Chefinspektorin McCarthy diesen Fall übernimmt.«

Wir verließen das Flughafengebäude und gingen auf einen dunklen Ford Focus zu, dessen Zentralverriegelung sich schnackend öffnete, als Sallis den Signalgeber betätigte.

»Ich fürchte, Miss McCarthy ist indisponiert.«

Meine Güte, drückte sich der Knabe immer so geschwollen aus?

Ich verfrachtete die Reisetasche in den Kofferraum. Ein Vorteil der Fälle, die in Dundee und Umgebung spielten, war, dass ich mit leichtem Gepäck reisen konnte. Mittlerweile hing mehr als ein Hemd von mir in Maxines Kleiderschrank.

»Geht es auch etwas konkreter?«, fragte ich, nachdem ich mich auf den Beifahrersitz gefaltet hatte. Ich versuchte gar nicht erst, aus meiner Verärgerung einen Hehl zu machen.

»Entschuldigen Sie, Mister Sinclair, aber ich dachte, sie hätte Sie informiert.«

»Worüber informiert? Lassen Sie sich doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.«

»Miss McCarthy wurde vorübergehend vom Dienst suspendiert!«

Sallis startete und fädelte sich in den laufenden Verkehr auf dem Riverside Drive ein, der direkt am Firth of Tay vorbeiführte und einen atemberaubenden Blick auf die Bucht gewährte. Leider versteckte sich die Sonne hinter tief hängenden Wolken. Das störte mich momentan jedoch herzlich wenig. Im Gegenteil, es passte perfekt zu meiner Stimmung, die gerade einen ordentlichen Dämpfer bekommen hatte. Ich glaubte, mich verhört zu haben.

»Sagen Sie das noch einmal«, sagte ich mit gefährlich leiser Stimme.

Sallis warf mir einen verunsicherten Blick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Tut mir leid, ich dachte wirklich, dass Sie Bescheid wüssten. Immerhin sind Sie damals mit dabei gewesen.«

»Wo mit dabei gewesen?«

»Als Beth McAllister starb.«



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