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"Es ist eine Tragödie", murmelte der ältere Mann und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augenwinkeln. "Siebenunddreißig Jahre! Das muss man sich mal vorstellen. Siebenunddreißig Jahre lang hat diese Furie ihn gehalten wie einen Gefangenen." Clancy Silverman zögerte, dann schüttelte er den Kopf. "Nein, nicht wie einen Gefangenen, eher wie ein exotisches Haustier. Und niemand, wirklich niemand, hat etwas bemerkt. Mein Gott!"
Captain Spencer beugte sich vor und legte die zusammengefalteten Hände auf den Schreibtisch. "Oh doch, Doktor. Sie haben etwas gemerkt. Nur Ihretwegen sind wir Marina Langstrom auf die Schliche gekommen."
Silverman hob den Kopf und blickte sein Gegenüber traurig an. "Nur leider zu spät", hauchte er. "Viel zu spät. Sie hat Ernests Leben zerstört. Seine Karriere, seinen guten Ruf, alles. Das kann niemand rückgängig machen. Stellen Sie sich das doch mal vor. Siebenunddreißig Jahre an den Rollstuhl gefesselt. Ich sage Ihnen, Captain, diese Frau hat den Teufel im Leib!"
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Seine Frau, die Hexe
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Sandobal
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9672-0
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Seine Frau, die Hexe
von Ian Rolf Hill
»Es ist eine Tragödie«, murmelte der ältere Mann und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augenwinkeln. »Siebenunddreißig Jahre! Das muss man sich mal vorstellen. Siebenunddreißig Jahre lang hat diese Furie ihn gehalten wie einen Gefangenen.« Clancy Silverman zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, nicht wie einen Gefangenen, eher wie ein exotisches Haustier. Und niemand, wirklich niemand, hat etwas bemerkt. Mein Gott!«
Captain Spencer beugte sich vor und legte die zusammengefalteten Hände auf den Schreibtisch. »Oh doch, Doktor. Sie haben etwas gemerkt. Nur Ihretwegen sind wir Marina Langstrom auf die Schliche gekommen.«
Silverman hob den Kopf und blickte sein Gegenüber traurig an. »Nur leider zu spät«, hauchte er. »Viel zu spät. Sie hat Ernests Leben zerstört. Seine Karriere, seinen guten Ruf, alles. Das kann niemand rückgängig machen. Stellen Sie sich das doch mal vor. Siebenunddreißig Jahre an den Rollstuhl gefesselt. Ich sage Ihnen, Captain, diese Frau hat den Teufel im Leib!«
Clancy Silverman verließ das Polizeirevier Downtown Los Angeles mit hängenden Schultern. Das Gespräch mit dem Captain ging ihm nicht aus dem Kopf. Er wusste die Geste des Polizisten durchaus zu schätzen, doch das änderte nichts an dem grauenhaften Schicksal, das sein Freund Ernest erlitten hatte.
Silverman winkte dem Fahrer des Taxis, das er telefonisch angefordert hatte, zu und eilte zu dem Yellow Cab. Leicht außer Atem ließ er sich in das Polster sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Wo soll’s hingehen, Sir?«, erkundigte sich der Fahrer, ein gedrungener Mann mit Schiebermütze und Dreitagebart.
»Silver Lake Medical Center«, antwortete der Arzt kurz angebunden.
»Okay, Sir.« Der Mann hinter dem Steuer aktivierte den Taxameter und setzte den Blinker, um sich in den laufenden Verkehr einzufädeln.
Mit dem untrüglichen Instinkt eines Taxifahrers erkannte er sofort, dass dieser Gast kein Interesse an belanglosem Smalltalk hatte. Daher schaltete er das Radio ein, wofür ihm Silverman insgeheim dankbar war.
Während der Fahrer die Musik begleitete, in dem er rhythmisch mit den Fingern auf den Lenkradring klopfte, schweiften Clancys Gedanken erneut zu seinem Freund Ernest Langstrom.
Obwohl dessen Frau ihn nicht umgebracht hatte, war sie in Silvermans Augen keinen deut besser, als eine gewöhnliche Mörderin. Vielleicht sogar schlimmer.
Allein bei dem Gedanken, was Ernest all die Jahre über empfunden haben mochte, drehte sich dem pensionierten Arzt der Magen um.
Für ihn gab es nur eine Erklärung: Die Frau war wahnsinnig!
Clancy Silverman brauchte nur die Lider zu schließen, um die Bilder und Fernsehaufnahmen von Marina Langstroms Verhaftung vor dem geistigen Auge heraufzubeschwören.
☆
Mit gesenktem Kopf, sodass ihr rotes Haar wie ein Schleier vor das Gesicht fiel, wurde Marina Langstrom in Handschellen aus dem Einfamilienhaus am Rand von Los Angeles geführt.
Es wimmelte von Streifenwagen und Rettungsfahrzeugen, deren flackernde Signallichter bizarre Reflexe auf die Fassade des Hauses warfen und die Menschen abwechselnd in rotes und blaues Licht tauchte, wodurch ihre Gestalten aussahen wie Gespenster. Die Polizei hatte das Anwesen weiträumig abgesperrt, um Schaulustige und Journalisten auf Abstand zu halten.
Ein gewiefter Kameramann schaffte es trotzdem irgendwie, ihr Konterfei einzufangen. Obwohl er dreißig Yards von ihr entfernt stand, hinter dem Zaun, der das Grundstück der Langstroms umfriedete, konnte man deutlich ein blutunterlaufenes Auge erkennen, das durch die Strähnen hindurch direkt in das Kameraobjektiv starrte.
Clancy Silverman lief es noch jetzt eiskalt den Rücken hinunter, wenn er an Marinas berechnende Blicke dachte.
Kurz bevor sie in den Streifenwagen verfrachtet wurde, geschah es: Marina drehte durch. Von einer Sekunde auf die andere explodierte die offenkundig apathische Frau. Auf dem Absatz wirbelte sie herum und grub ihre Zähne in die Hand des Beamten, der gerade im Begriff gewesen war, sie in den Polizeiwagen zu drücken.
Er schrie vor Schmerzen, taumelte zurück und umklammerte reflexartig die verletzte Hand. Als er sich seiner eigentlichen Aufgabe besann und nach dem Schlagstock griff, der im Koppel seiner Uniform steckte, war es längst zu spät. Mit hassverzerrtem Gesicht rannte Marina auf den Kameramann zu.
Der entpuppte sich als Vollblutprofi, denn statt auch nur einen Zoll zurückzuweichen, hielt er weiterhin auf die Heranstürmende, die nur wenige Yards von der Kamera entfernt von zwei kräftigen Polizisten abgefangen wurde.
Sie kreischte und tobte, als man sie zurück zum Streifenwagen schleifte. In die teils unartikulierten Laute mischten sich jedoch auch verständliche Satzfragmente, die der Kameramann alle aufgenommen hatte. »Ihr Schafe … ahnungslose Narren … wisst ja nicht, was ihr … er wird wiederkommen … keine Gnade … der Teufel wird … Asmodis!!!«
☆
»Wir sind da, Sir.«
Doktor Clancy Silverman schreckte hoch und blinzelte verwirrt. Er war so in seinen Erinnerungen versunken gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, wie das Taxi vor dem Silver Lake Medical Center gestoppt hatte.
»Wie … was? Ach so, ja. Vielen Dank.«
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich der Taxifahrer besorgt.
»Ja, ja, alles bestens«, erwiderte Silverman rasch und drückte die Wagentür auf. Neben dem heruntergelassenen Fenster auf der Fahrerseite beugte er sich hinunter. »Was schulde ich Ihnen?«
Der Taxifahrer nannte den Preis, und Silverman reichte ihm eine Zwanzig-Dollar-Note.
»Behalten Sie den Rest.«
»Oh, vielen Dank, Sir. Sehr großzügig von Ihnen.« Hätte der Mann hinter dem Steuer keine Ohren gehabt, hätte er im Kreis gegrinst. Er tippte sich an den Schirm der Schiebermütze und gab Gas.
Silverman sah dem Wagen nicht hinterher, er hatte sich längst umgedreht und bewegte sich langsam und widerstrebend auf das kastenförmige Gebäude zu, in das sein Freund eingeliefert worden war.
Obwohl er erst achtundsechzig Jahre alt war, fühlte sich Clancy wie ein Greis.
Immer wieder dachte er an die letzten siebenunddreißig Jahre, von denen er dreiunddreißig in diesem Haus gearbeitet hatte, während Ernest dabei gewesen war, mit leerem Blick seine Hemdbrust voll zu sabbern.
Die Krankenschwester am Empfang der Notaufnahme begrüßte ihn freundlich. Sie kannte ihn noch aus seiner Zeit als praktizierender Chirurg und lächelte ihn warmherzig, wenn auch ein wenig traurig an. Sie wusste, von seinem Verhältnis zu Ernest Langstrom. Clancy konnte ihr förmlich ansehen, dass sie am liebsten um den Tresen herumgeeilt wäre, um ihn in den Arm zu nehmen. Er war dankbar, dass sie es nicht tat. Er war nun wirklich der Letzte, der ihr Mitgefühl benötigte oder es gar verdient hatte.
»Wie geht es ihm, Cybill?«
Die Krankenschwester mit dem brünetten Pferdeschwanz machte eine betretene Miene. »Ich fürchte, unverändert. Doktor Napier ist bei ihm.«
»Danke, Cybill.«
Silverman schenkte der jungen Frau ein Lächeln, klopfte auf den Tresen und machte sich dann durch die Schleuse auf den Weg zu den Behandlungsräumen. Die klimatisierte Luft war eine Wohltat nach der stickigen Hitze, die Los Angeles seit Wochen fest im Griff hielt. Den typischen Krankenhausgeruch, eine Mischung aus Desinfektions- und Reinigungsmitteln, nahm er kaum noch bewusst wahr.
Ernest Langstrom lag in einem Isolationszimmer, das vollgestopft war mit medizinischen Apparaten. Der Überwachungsmonitor, der auf einem Sideboard schräg über dem Kopfende stand, zeigte die Vitalfunktionen des Patienten an: Puls, Blutdruck, Sauerstoffsättigung. Im rechten Unterarm steckte eine Venenverweilkanüle, die über einen mehrteiligen Kunststoffschlauch mit einem Gerät verbunden war, das ein beständiges Brummen und klackernde Laute von sich gab.
Ein dunkelhäutiger Mann in blauer Kluft stand vornübergebeugt neben dem Bett und kontrollierte die Pupillenreaktion des Patienten mit Hilfe einer Stiftlampe. Um seinen Hals hing ein Stethoskop. Bei Clancys Eintreten richtete er sich auf, hob die Schultern und seufzte.
»Keine erkennbare Veränderung. Sämtliche Vitalparameter sind extrem verlangsamt. Was auch immer seine Frau ihm verabreicht hat, es hat seine Organe dauerhaft geschädigt.«
Buster Napier hatte unter Silverman als Assistenzarzt gearbeitet, war im Gegensatz zu seinem Mentor jedoch Internist geworden. »Ein Fall wie dieser ist mir in meiner ganzen Laufbahn noch nicht untergekommen.«
Winzige Schweißperlen glitzerten auf seiner hohen Stirn. Silverman erwiderte nichts, sondern griff nach dem Klemmbrett am Fußende des vollautomatisierten Pflegebetts. Stumm betrachtete er die Fieberkurve. Napier wartete geduldig, bis Silverman fertig war.
»Keinerlei Reaktion auf die Blutwäsche?«, vergewisserte dieser sich.
Napier schüttelte betreten den Kopf. »Keine!«
Silverman warf einen Blick auf seinen reglos im Bett liegenden Freund, der teilnahmslos ins Leere blickte. Sekundenlang war das Brummen der Apheresemaschine das einzige Geräusch im Raum. Es übertönte sogar das rhythmische Piepen des Überwachungsmonitors sowie das leise Seufzen der Wechseldruckmatratze.
»Die erneute Probenanalyse hat auch nichts ergeben?«
»Nichts, was du nicht schon wüsstest. Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Außerdem gibt es noch immer Komponenten, die wir nicht identifizieren konnten. Aber …« Napier schwieg und presste die Lippen aufeinander.
»Aber was …?« Silverman wurde wütend. Er hatte das Gefühl, als ob ihm sein Schüler etwas verschwieg. »Verdammt, Buster, was ist los? Rede mit mir!«
Napier wirkte mit einem Mal verlegen und unsicher, wie ein Student im ersten Praktikum. »Wir haben da etwas, ähm, gefunden.«
Clancy legte die Stirn in Falten. »Gefunden? Was willst du damit sagen?«
»Bevor wir mit der Apherese begonnen haben, haben wir einen Ultraschall der Organe vorgenommen …«
»Ja, ja«, unterbrach Silverman den jüngeren Kollegen unwirsch. »Das weiß ich, aber …«
»Und dabei haben wir etwas Sonderbares im seinem Magen gefunden.« Napier ließ sich nicht irritieren. Er sprach mit monotoner Stimme, ohne seinen Mentor anzuschauen. Stattdessen beobachtete er den Patienten, der mit keiner Regung zu erkennen gab, ob er die beiden Ärzte verstand oder ihre Anwesenheit überhaupt registrierte.
»Was ist es?«
Napier drehte sich um und griff nach einer durchsichtigen Plastiktüte, in der ein dunkler, feucht schimmernder Klumpen lag, aus dem eine trübe Flüssigkeit suppte, die sich in einer Ecke des Beutels sammelte. Silverman schnürte sich die Kehle zusammen.
»Sind das … Haare?«
Der jüngere Mediziner schluckte sichtbar. »Ja, wir werden die Haare im Labor untersuchen, aber schon jetzt können wir mit Sicherheit sagen, dass sie von mehreren Personen stammen.«
»Aber wer …?«
Ein laut vernehmliches Klopfen, ließ Silverman innehalten. Napier hob den Kopf und blickte neugierig an dem pensionierten Chirurgen vorbei, der sich umdrehte, als die Tür in seinem Rücken geöffnet wurde. Ein blonder Mann im dunkelgrauen Anzug trat ein. Clancy Silverman runzelte die Stirn, als er das Pistolenhalfter unter den Aufschlägen des Sakkos aufblitzen sah.
»Entschuldigen Sie mein forsches Auftreten, Gentlemen, aber man sagte mir, dass ich Sie hier finden würde.«
»Das hier ist ein Behandlungszimmer und keine Cafeteria. Sie haben hier nichts verloren«, schnauzte Buster ungehalten.
Der Neuankömmling lächelte entschuldigend. »Verzeihung, aber ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich hatte mein Kommen bereits angekündigt.« Er schob die Hand unter das Sakko und zog ein ledernes Etui hervor, das er aufklappte und den Männern entgegenhielt.
Busters Augen weiteten sich, als er die Marke unter dem Ausweis der Bundespolizei erkannte, und selbst Silverman verschlug es vor Überraschung die Sprache.
»Mein Name ist Douglas, und ich bin Special-Agent beim FBI.«
☆
»FBI?«, echote der ältere Mann mit dem dunkelgrauen Haar und dem nicht minder ergrauten Schnauzbart, der trotz seines unübersehbaren Bauchansatzes einen vitalen Eindruck auf Abe Douglas machte. »Weshalb interessiert sich das FBI für diese Angelegenheit?«
Der G-Man deutete mit dem Kinn auf den im Bett liegenden Mann. Ausweis und Marke steckte er wieder weg. »Der Fall Ernest Langstrom ist einzigartig in der Kriminalgeschichte der Vereinigten Staaten. Wenn nicht sogar in der ganzen Welt, und wir, also meine Vorgesetzten und ich, haben Grund zu der Annahme, dass weit mehr dahinterstecken könnte, als man auf den ersten Blick meinen könnte.«
Die Miene des älteren Mannes verfinsterte sich. »Auf den ersten Blick?« Er streckte den Arm aus und zeigte mit dem Finger auf den Patienten, ohne Abe auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Ich kenne diesen Mann dort mein halbes Leben lang, ich habe ihn die letzten siebenunddreißig Jahre jede gottverdammte Woche besucht. Doch erst vor einem Monat ist mir der Gedanke gekommen, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Ich habe keine Ahnung, was da abgelaufen ist. Weder auf den ersten, den zweiten noch den dritten Blick.«
Abe nickte langsam. »Sie sind Doktor Clancy Silverman?«
»Ganz recht. Außer Dienst.«
»Sie haben Ernest Langstrom Blut abgenommen und es analysieren lassen, richtig?«
»So ist es!«
»Warum haben Sie das nicht früher getan?«
Silverman zog die buschigen Augenbrauen so eng zusammen, dass sie sich über der Nasenwurzel berührten. »Wird das ein Verhör?«
Abe lächelte entschuldigend. »Natürlich nicht. Ich möchte nur wissen, wieso sie ausgerechnet jetzt auf die Idee kamen, dem Patienten eine Blutprobe zu entnehmen.«
Silverman atmete scharf ein. »Weil er mich darum gebeten hat.«
Der G-Man hob die Augenbrauen. Sein Blick irrte zwischen Langstrom und Silverman hin und her. »Wie bitte?«
Der pensionierte Arzt nickte bestätigend. »Sie haben richtig gehört. Er hat zu mir gesprochen, das erste und einzige Mal in diesen siebenunddreißig Jahren.«
»Und was hat er gesagt?«
»Dass ihn seine Frau vergiften würde und ich ihm helfen solle.«
»Und weshalb sind Sie dann nicht zur Polizei gegangen?«
»Bin ich, doch man hat mich nicht ernst genommen.« Er zuckte mit den Schultern. »Also habe ich selbst die Initiative ergriffen.«
»Was genau ist bei Ihrer Analyse herausgekommen?«
Silverman trat einen Schritt zur Seite und sah seinen jüngeren Kollegen an, der das Wort übernahm. »Das ist leider nicht so einfach zu beantworten, Agent Douglas. Abgesehen davon, dass es Komponenten gibt, die wir nicht zuordnen können, haben wir Spuren von Tetrodotoxin, Batrachotoxin, Muscarin sowie Atropin gefunden.«
Abe runzelte die Stirn. »Also ein Giftcocktail.«
Doktor Napier nickte heftig. »Jawohl, ein Giftcocktail. Aber nicht irgendein Giftcocktail. Die Zusammensetzung ist bestenfalls widersprüchlich. Ich weiß nicht, wie gut Sie sich in Toxikologie auskennen …«
»Tun Sie einfach so, als wäre ich ein blutiger Laie.«
»Na schön. Tetrodotoxin kennen Sie vielleicht als Kugelfischgift, es kommt aber auch in anderen Tieren vor, beispielsweise bei bestimmten Krebsen, Seesternen, Schnecken aber auch Molchen oder Fröschen.«
»Es ist ein Nervengift, das zu Atemlähmung führen kann, richtig?«
»Richtig. Batrachotoxin stammt vom südamerikanischen Pfeilgiftfrosch. Bemerkenswert dabei ist, dass es allein für sich genommen schon in geringen Mengen absolut tödlich ist. Zehnmal so giftig wie Tetrodotoxin.«
»Wie kann es dann sein, dass dieser Mann noch lebt?«
»Weil Tetrodotoxin das Antidot, also das Gegenmittel, zum Batrachotoxin darstellt. So wie Atropin, das Gift des Fingerhutes, das Gegenmittel von Muscarin ist.«
»Und Muscarin ist …?«
»Fliegenpilzgift. Führt zur Erregung der Acetylcholinrezeptoren. Die Folgen sind Durchfall, Erbrechen, Schweißausbrüche, bis hin zum Kreislaufkollaps und oder Herzversagen.«
Abe Douglas massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. »Doktor, wieso sollte Marina Langstrom ihrem Mann hochwirksame Gifte injizieren und ihm gleichzeitig das Gegenmittel verabreichen?«
Buster Napier hob die Schultern. »Ich bin Mediziner, Agent Douglas. Meine Aufgabe ist es, diesen Mann am Leben zu halten. Die Motive von Mrs. Langstrom fallen wohl eher in Ihr Ressort.«
Abe Douglas sah Silverman an, doch der wich seinem Blick aus. Stattdessen hob er eine durchsichtige Plastiktüte an, in der ein Klumpen schleimverschmierter Haare lag, bei dessen Anblick sich Abe der Magen umdrehte.
»Das hier wurde aus Langstroms Bauch entfernt.«
»Sind das Haare?«
»Ganz recht.«
»Und wie sind sie dahingekommen?«
Silverman zuckte mit den Achseln. »Vermutlich hat er sie gegessen.«
Abe warf einen Blick auf den Patienten. »Sie stammen aber nicht von Langstrom!«, stellte er fest.
»Nein. Wir wissen nicht, woher sie stammen, gehen aber von mehreren Personen aus. Nach der Analyse wissen wir mehr.«
»Zumindest scheinen sie auch nicht von Marina Langstrom zu stammen.«
»Falls Sie damit auf die Farbe anspielen, Agent Douglas, so muss ich Sie leider enttäuschen. Die Magensäure vermag das Keratin, aus dem die Haare bestehen, nicht zersetzen zu können, doch sie sorgt dafür, dass sie eindunkeln. Ganz gleich ob sie vorher rot, blond oder grau gewesen sein mochten.«
»Danke für den Hinweis. Bitte informieren Sie mich, sobald das Ergebnis vorliegt.« Abe Douglas zog zwei Visitenkarten hervor und reichte sie den Ärzten. Danach wandte er sich an Napier. »Doktor, wie lautet Ihre Prognose? Wird Langstrom überleben?«
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Kann ich nicht sagen. Die Apherese ist noch nicht abgeschlossen. Hinzu kommt, dass Langstrom an einer Hirnhautentzündung leidet.«
»Lassen Sie es mich anders formulieren, Doktor. Wie hoch sind die Chancen, dass Langstrom in absehbarer Zeit vernehmungsfähig wird?«
»Schlecht«, lautete die Antwort. »Die Wahrscheinlichkeit liegt annähernd bei null.«
Nachdenklich nagte Abe an seiner Unterlippe. »Das dachte ich mir. Und diese Hirnhautentzündung … könnte Sie ebenfalls durch das Gift verursacht worden sein?«