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Ein hoher Schrei durchbrach die nächtliche Stille!
Milena Piotrowski erstarrte mitten in der Bewegung. Eine Gänsehaut rieselte ihr über den Rücken. Ängstlich blickte sie sich um. Durch die dicht belaubten Zweige konnte sie die Lichter der Klosterschule nur schemenhaft erkennen. Bodennebel verschlechterte die Sicht zusätzlich. Geisterhaft schwebte er durch das Unterholz und hing im Gestrüpp wie die Netze riesiger Spinnen.
Den Atem anhaltend hielt die Sechzehnjährige nach Bewegungen im Dunst Ausschau. War ihre Flucht entdeckt worden?
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Im Sumpf der Leichenfresser
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Linda Bucklin; Susanitah/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9975-2
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Im Sumpf der Leichenfresser
von Ian Rolf Hill
Ein hoher Schrei durchbrach die nächtliche Stille.
Milena Piotrowski erstarrte mitten in der Bewegung. Eine Gänsehaut rieselte ihr über den Rücken. Ängstlich blickte sie sich um. Durch die dicht belaubten Zweige konnte sie die Lichter der Klosterschule nur schemenhaft erkennen. Bodennebel verschlechterte die Sicht zusätzlich. Geisterhaft schwebte er durch das Unterholz und hing im Gestrüpp wie die Netze riesiger Spinnen.
Den Atem anhaltend hielt die Sechzehnjährige nach Bewegungen im Dunst Ausschau. War ihre Flucht entdeckt worden?
Der Schrei wiederholte sich und wurde vom Kläffen der Hunde beantwortet.
Erleichtert wischte sich Milena den Schweiß von der Stirn. Zum Glück war sie nicht abergläubisch. Immerhin galt der Kauz im Volksmund als Todesvogel, der mit seinem typischen Ruf die nächste arme Seele ins Jenseits lockte …
Milena rannte weiter.
Bei jedem Schritt federte der feuchte Boden ein wenig nach, kündete vom nahe gelegenen Sumpf, der hinter dem ehemaligen Kloster lag, dessen Mauern schwarz und drohend in den wolkenverhangenen Himmel ragten.
Einst hatten dort Nonnen des Franziskanerordens gearbeitet und gebetet, jetzt war es eine Schule für schwer erziehbare Mädchen. Heranwachsende Frauen, die hier, in der Abgeschiedenheit der Flüsse und Wälder des Nationalparks Biebrza, fürs Leben lernen sollten. Möglichst ohne Ablenkungen von außen. Damit waren vor allem Handys und Jungs gemeint.
Milena rümpfte die Nase. Eher bekam man einen Sechser im Lotto als in dieser Einöde ein Netz. Und W-Lan hielten diese Hinterwäldler vermutlich für eine Erfindung von Science-Fiction-Autoren.
Was Jungs betraf … nun, das Leben findet immer einen Weg.
So wie Milena den ihren durch das von dicht stehenden Fichten, Erlen und Ulmen beherrschten Waldstücks. Ab und zu lugte der Vollmond durch eine Lücke in den Wolken und schickte sein silbrig graues Licht zur Erde, das aber fast vollständig vom Nebel aufgesaugt wurde. Daher musste Milena immer wieder die Taschenlampe aufblitzen lassen.
Obwohl die Chance, ein Netz zu bekommen, verschwindend gering war, wurden die Handys bei Schulantritt konfisziert und nur am Wochenende ausgehändigt. Also dann, wenn die Mädchen die Möglichkeit hatten, nach Hause zu fahren.
»Kuwitt, kuwitt!«
Dem Schrei des Käuzchens folgte ein Rascheln im Geäst.
Milena ließ sich davon nicht länger beirren. Auch das Gebell der Wachhunde wurde leiser.
Die Schülerin konnte es immer noch nicht glauben, dass sie es geschafft hatte.
Lukas hatte recht gehabt: Die Schulleitung wusste nichts von dem alten, halb unter Wasser stehenden Fluchttunnel, der außerhalb des ehemaligen Klostergartens im Wald mündete.
Durch diesen Tunnel konnten die Schülerinnen nicht nur der Alarmanlage aus dem Weg gehen, sondern vor allem Agnieszkas bissigen Kötern.
Agnieszka war Oberin Jolanthes rechte Hand.
Eine widerliche Person, die ein perverses Vergnügen daran fand, die Mädchen für Nichtigkeiten zu bestrafen und zu züchtigen. Angeblich stand sie auf Frauen und teilte das Bett mit Jolanthe. In Wahrheit hatte sie es aber auf das zarte Fleisch der Schülerinnen abgesehen, und wer sich Pluspunkte oder Straferlass verdienen wollte, der zeigte sich Agnieszka gegenüber ein wenig offener.
Auch bei Milena hatte sie es schon versucht, doch die Sechzehnjährige hatte sich begriffsstutzig gezeigt. Agnieszka war hartnäckig geblieben, und erst als Milena damit gedroht hatte, ihre Eltern zu informieren, hatte sie aufgegeben. Dafür war Milena auf dem Exerzierplatz umso härter rangenommen worden, denn Agnieszka war in jeder Hinsicht für die körperliche Ertüchtigung der Schülerinnen zuständig.
Aber auch für ihre Integrität und Unversehrtheit.
Deshalb durfte keines der Mädchen nach Anbruch der Dunkelheit das Gelände verlassen. Tagsüber hatten sie nur wenig Freizeit, verteilt über mehrere Einzelstunden, sodass diese kaum ausreichten, um zu Fuß das drei Kilometer entfernte Wólka Piaseczna zu erreichen, ein Dörfchen, in dem kaum zweihundert Seelen hausten.
Die nächstgrößere Ortschaft mit knapp fünftausend Einwohnern und eigener Polizeiwache lag fünf Kilometer hinter Wólka.
So weit musste Milena glücklicherweise nicht laufen.
Ihr Ziel lag am anderen Ende des Waldes, durch dessen dicht stehende Stämme sie bereits die Lichter des Dorfes hätte sehen können, wenn der Nebel sie nicht verschluckt hätte.
Sie brauchte nicht mal in den Sumpf, worüber Milena sehr erleichtert war. Trotzdem hatte sie ihre kniehohen Gummistiefel angezogen. Allein schon, um sich beim Marsch durch den Tunnel keine nassen Füße zu holen.
Gegen die feuchte Kälte hatte sie sich einen gefütterten Parka übergeworfen, dessen Kapuze verhindern sollte, dass jemand ihre blonden Haare von Weitem sah.
Milena versuchte, ruhig zu atmen und dadurch ihr klopfendes Herz zu beruhigen. Es gelang ihr nur unzureichend. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zu Lukas ab. Dem gut gewachsenen Jungen mit den verträumten Augen.
Obwohl … so jung war er gar nicht mehr.
Sie wusste es nicht genau, aber ihre Freundin Iwona hatte gesagt, er wäre fünfundzwanzig, vielleicht auch sechsundzwanzig. Gerade das hatte sie ja so an ihm fasziniert.
Und dann war Iwona mit einem Mal verschwunden.
Von einem Tag auf den anderen fort, ohne eine Nachricht oder Spuren zu hinterlassen. Die Untersuchungen der Polizei waren ein Witz gewesen. Es hieß, sie sei durchgebrannt.
Doch Lukas war immer noch da.
Er war der Sohn eines Bauern aus dem Dorf, der die Klosterschule mit Milch, Eiern und Fleisch versorgte.
Sehr viel Fleisch …
Angeblich für Agnieszkas Bluthunde.
Das Futter für die Bestien wurde frisch zubereitet. Rohes Fleisch und gekochtes Gemüse.
Milena war nicht die Einzige, die argwöhnte, dass die Hunde besseres Essen bekamen als die Schülerinnen.
Meistens war es Lukas, der die Vorräte in die Klosterschule brachte. So lernte er auch die Mädchen kennen. Und da er nicht nur gut aussah, sondern auch nicht auf den Mund gefallen war, dauerte es nicht allzu lange, bis ihm eine der Schülerinnen auf den Leim ging.
Milena spürte, wie der Boden fester wurde. Sie atmete auf, als sie das Licht durch die Baumstämme am Waldrand schimmern sah. Es war nicht mehr als ein verwaschener Fleck.
Das Mädchen blieb stehen.
Die Hütte, in der Lukas auf sie wartete, ragte als klobiger Schatten aus der trüben Suppe. Sie stand ein wenig erhöht auf dem Gestell eines alten Gummiwagens.
Normalerweise wurde sie von Waldarbeiterin oder Jägern benutzt, doch Lukas besaß ebenfalls einen Schlüssel. Milena wusste ganz genau, dass sie nicht das erste Mädchen war, das er in seinem Liebesnest empfing.
Die Sechzehnjährige fröstelte beim Anblick der dunklen Fassade. Das Licht hinter dem Fenster war nicht stark genug, um die unmittelbare Umgebung zu erhellen. Es diente lediglich als Signal, das Milena den Weg weisen sollte.
Plötzlich bekam sie Angst vor der eigenen Courage.
Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie insgeheim gehofft hatte, Lukas würde sie versetzen. Doch weshalb hätte er das tun sollen?
Milena war sich ihrer Schönheit durchaus bewusst. Ihr fester, durchtrainierter Körper weckte nicht nur bei Agnieszka Begehrlichkeiten. Iwona dagegen war stämmiger, hatte aber die größeren Brüste und ein strammes, ausladendes Hinterteil, worauf nicht wenige, gerade ältere Kerle standen.
Noch kannst du abhauen, schoss es Milena durch den Kopf. Kannst dich umdrehen, zurück zum Tunnel laufen und dich wieder ins Bett legen, ohne dass jemand etwas bemerkt.
Milenas Hand rutschte in die Außentasche des Parkas, in der der handliche Metallzylinder mit dem Plastikkopf steckte. Ihre Versicherung, falls Lukas zudringlich werden sollte.
Milena raffte all ihren Mut zusammen. Nein, sie würde nicht abhauen. Sie war es Iwona schuldig.
Das kühle Metall des Pfeffersprays gab ihr Sicherheit, und so trat die Schülerin aus dem Wald, an den sich ein mit hohem Gras bewachsener Streifen anschloss. Dort stand auch die Hütte, und dahinter erstreckte sich ein Acker bis zum Dorf hinunter.
Milena schritt auf die Hütte zu und wäre beinahe über die stählerne Deichsel gestolpert, die schräg vor ihr im Boden steckte. Sie wurde von Gräsern und Moos überwuchert. Ein Zeichen dafür, dass der Wagen schon lange nicht mehr bewegt worden war.
An der Längsseite schlich Milena vorbei. Die Taschenlampe konnte sie jetzt gefahrlos einsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass ihr Licht vom Kloster aus gesehen wurde.
Sie lauschte dem Rascheln, Knistern und Knacken, das ihre Schritte verursachten, als sie sich einen Weg durch das dicht stehende Gras bahnte, in dem Äste und Zweige lagen, die der Wind von den Bäumen gerissen hatte.
Bislang hatte Lukas sich nicht blicken lassen. Vielleicht war er eingeschlafen.
Milena erreichte das Heck des Wagens, vor dem ein abgesägter Baumstumpf stand, der als Trittstein diente. Weiter oben ragte eine Metallstufe aus dem stählernen Gerüst, auf dem die Hütte errichtet war.
Milena stellte sich auf den Baumstumpf, atmete ein letztes Mal tief durch und schloss die Lider, dabei intensiv an Iwona denkend.
Dann fasste sie sich ein Herz und klopfte.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr, fuhr es ihr durch den Sinn. Oder?
Milenas Herz hämmerte in der Brust.
Noch rührte sich nichts. War Lukas doch nicht gekommen? Aber wer hatte dann das Licht eingeschaltet? Ein Poltern im Inneren ließ Milena aufschrecken. Schritte näherten sich, dann wurde die Tür geöffnet. Ein Schwall warmer Luft wallte der Sechzehnjährigen entgegen.
Lukas’ Gestalt hob sich schwarz vor dem schwachen Licht einer Petroleumlaterne ab. Nur sein Gesicht schimmerte heller. Ein verschwommener Fleck im schummerigen Zwielicht. Er stand höher als Milena und wirkte dadurch noch größer und bedrohlicher.
»Na endlich!«, sagte er und ließ die Klinke los, um den Weg freizugeben.
»Ich hab doch gesagt, dass ich komme«, erwiderte Milena trotzig.
»Du hast dir aber verdammt viel Zeit gelassen. Jetzt komm endlich rein, sonst zieht die ganz Wärme nach draußen.«
Milena streckte die Arme aus und hielt sich am Türrahmen fest, um sich daran hochzuziehen.
Lukas traf keine Anstalten, ihr zu helfen. Er hockte vor dem gusseisernen Ofen und legte einige Holzscheite hinein, die in einem Korb aus Drahtgeflecht lagen.
»Mach die Tür zu!«
Milena griff nach der frei in den Angeln schwingenden Tür. Zweimal rutschte sie ihr aus den klammen Fingern, dann bekam sie sie endlich zu fassen und zog sie ins Schloss. Sie hörte das Quietschen der Ofenluke und drehte sich um.
Lukas stand dicht vor ihr und lächelte.
Plötzlich war er wieder ganz der zärtliche Loverboy, auf den schon so viele Mädchen hereingefallen waren. Milena schwor sich, dass sie nicht dazugehören würde, auch wenn es ihr schwerfiel, sich nicht von seinen großen, dunklen Augen in den Bann schlagen zu lassen.
»Hey, Baby«, säuselte er und drängte sich an sie.
Milena unterdrückte ein genervtes Seufzen. Auf eine solche Macho-Anmache stand sie überhaupt nicht. Doch dann ergriff er ihre kalten Finger und sie erschauerte, als er seine warmen Hände um die ihren schloss und mit den Daumen sanft über ihre Handrücken strich.
»Ich hab dich vermisst«, fuhr er fort und wollte ihr einen ersten zaghaften Kuss auf die Lippen geben.
Das ging Milena eine Spur zu schnell. Sie entzog sich seinem Griff.
Lukas’ Miene drückte Enttäuschung aus, seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Wollen wir uns nicht erst mal setzen?«, fragte Milena, die merkte, dass der Frust des jungen Mannes in Ärger umzuschlagen drohte. Erleichtert registrierte sie, dass er sich entspannte.
Ein Lächeln huschte über seine Lippen. »Aber klar doch. Komm, ich helfe dir aus der Jacke.«
Milena zögerte und dachte an das Pfefferspray. Wenn sie es jetzt aus der Tasche zog, würde er es sehen. Andererseits durfte sie ihn nicht noch mehr verärgern.
Bereitwillig öffnete sie den Reißverschluss und ließ sich von Lukas den Parka abstreifen, den er an den Garderobenhaken, rechts neben der Eingangstür, hängte. Auf der gegenüberliegenden Seite stand der Ofen, dessen Rohr in der halbrunden Decke verschwand.
»Und zieh die Gummistiefel aus. Du trägst sonst den ganzen Dreck herein.«
Auch das tat Milena und reichte Lukas ihre Stiefel, der sie zu einem größeren Paar stellte, das vermutlich ihm gehörte. Er trug ebenso dicke Wollsocken wie Milena. Sie hielten nicht nur warm, sie verhinderten auch, dass man sich in den derben Stiefeln die Füße wund lief.
Milena drehte sich um und schob sich auf eine der beiden Bänke, die sich an den Wänden der schmalen Hütte entlangzogen, sie waren lang genug, damit man sich sogar hinlegen konnte, aber nicht sonderlich breit. Milena fragte sich, welches Mädchen sich unter diesen Umständen hingab, und ihr Blick fiel auf den Tisch, der zwischen den Bänken stand.
Nicht mal eine Tischdecke lag darauf, das Holz war schartig und abgegriffen.
Immerhin gab es Kissen, damit man weich sitzen konnte, und Decken, die zusammengefaltet an den Enden der Bänke lagen.
»Möchtest du etwas trinken? Ich habe Żubrówka und Sliwowitz!«
Er zeigte ihr zwei Flaschen, in denen eine wasserklare Flüssigkeit schwappte. Eine davon war etikettiert, die andere mit einem Schnappverschluss versehen. Der Sliwowitz, ein polnischer Obstbrand, der aus Pflaumen hergestellt wurde, war vermutlich selbstgebrannt.
Der öffentliche Genuss von Alkohol war in Polen verboten, doch was daheim in den eigenen vier Wänden geschah, war Privatsache. Dennoch, wenn Agnieszka ihre Fahne roch, war sie geliefert.
»Ich weiß nicht«, sagte sie daher. »Hast du nichts anderes?«
Lukas runzelte die Stirn. »Ich hab noch Bier und Cola.« Er zog einen Korb unter der gegenüberliegenden Bank hervor. Das Klimpern von Glas war zu hören.
»Dann nehm ich die Cola.«
»Aber die wärmt nicht so gut wie der Schnaps.«
»Es ist doch auch so warm genug«, entgegnete Milena. Und das war keineswegs nur dahergesagt. Die Luft in der kleinen Hütte war zum Schneiden dick.
Obwohl sie die Jacke ausgezogen hatte und nur noch Jeans und Pullover trug, spürte sie, wie sie unter den Achseln anfing zu schwitzen. Es war ihr unangenehm, und ihr stieg das Blut in den Kopf.
»Schon, aber der Schnaps macht dich vielleicht ein wenig lockerer. Keine Bange, die olle Agnieszka riecht bestimmt nichts. Vom Wodka bekommst du keine Fahne. Und vom Sliwowitz auch nicht. Kannst ja die Cola hinterher trinken. Die ist sowieso pisswarm.«
»Na gut. Aber dann stell die Cola wenigstens raus, damit sie etwas kühler wird.«
»Natürlich, mein Schatz!« Lukas drehte sich um und öffnete die Tür.
Milena genoss den kühlen Luftzug. Komisch, eben hatte sie es kaum erwarten können, ins Warme zu kommen, und jetzt schwitzte sie wie ein Schwein. Das lag jedoch nur zum Teil an der Hitze des Ofens. Es war vor allem die Aufregung, die ihren Puls in die Höhe trieb.
Die Aufregung, aber auch die Angst.
Milena war sich sicher, dass Lukas etwas über Iwonas Verschwinden wusste.
Der junge Mann beugte sich nach draußen und ließ die Coladose ins feuchte Gras fallen. Als er die Tür wieder schloss, schob er einen schmalen Riegel davor. Er lächelte, als er ihren Blick bemerkte. »Manchmal schließt die Tür nicht richtig«, erklärte er. »Ich möchte doch nicht, dass du dich erkältest.«
Er kam auf sie zu und setzte sich zu ihr auf die Bank. Aus der hinteren Hosentasche holte er eine zerknautschte Zigarettenpackung.
»Möchtest du eine?«
Milena nickte und nahm ein Stäbchen heraus. Lukas gab ihr Feuer und steckte sich selbst ebenfalls einen Glimmstängel an. Er ließ den Verschluss der Sliwowitz-Flasche aufschnappen und genehmigte sich einen großen Schluck. Dann reichte er sie an Milena weiter.
»Hast du keine Gläser?«
Er grinste knapp. »Vergessen.«
In Milenas Ohren klang es eher wie: Zier dich nicht so.
Sie atmete aus und saugte an der Zigarette. Der Rauch kratzte in der Kehle. Dieses Kraut war sie nicht gewohnt, aber immer noch besser als gar keine Fluppe, denn auch das Rauchen war in der Schule streng untersagt. Sie griff nach der Schnapsflasche und trank einen Schluck Sliwowitz.
Der Obstbrand floss wie Wasser in ihren Magen. Erst dort breitete er sich als beißende Wärme aus, die auch in ihre Kehle aufstieg. Milena musste husten.
Lukas lächelte und strich ihr über den Rücken. Hastig nahm sie einen Zug Nikotin.
»Komisch. Über den Schnaps machst du dir Gedanken, aber der Zigarettenqualm und der Rauch aus dem Ofen machen dir nichts aus.«
Milena erstarrte. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Sie schaute auf die Kippe zwischen ihren Fingern und überlegte, ob sie sie ausdrücken sollte.
Lukas schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Jetzt kommt’s auch nicht mehr drauf an.«
»Stimmt!«, sagte sie und rauchte weiter.
»Hast du Hunger? Ich hab ein paar getrocknete Salamis dabei.«
Milena schüttelte den Kopf. »Ich bin Vegetarierin!«
»Was?«, rief Lukas und lachte. »Auch das noch. Den Kaninchen das Futter wegfressen, wie? Oh Mann, kein Wunder, dass du so dünn bist.« Er strich ihr über den Oberschenkel, und Milena ertappte sich dabei, dass sie es genoss.
»Tut mir leid«, antwortete sie. »Ich weiß, dass ich nicht viel zu bieten habe.«
Sie stapelte absichtlich tief, um Lukas aus der Reserve zu locken, und er sprang auch prompt drauf an. »Nichts zu bieten? Ich glaube, du hast bislang mit den falschen Typen abgehangen. Du bist doch ein echter … ich meine, du bist wunderschön.«
Milena lächelte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Lukas legte die Zigarette in den Aschenbecher und beugte sich zu der Schülerin vor. Seine Hand auf ihrem Oberschenkel glitt höher. Milena fühlte ein Kribbeln im Bauch, als sich Lukas’ leicht geöffnete Lippen ihrem Mund näherten.
Den linken Arm legte er auf die Rückenlehne, die Hand ergriff ihre Schulter und zog sie sanft an seine Brust. Ihre Lippen trafen sich wie von selbst. Die Finger seiner Rechten strichen über ihren Schoß und fanden den Saum des Pullovers, unter dem sie auf Wanderschaft gingen.
Durch den Stoff des Leibchens, das sie darunter trug, befummelte und quetschte er ihre Brüste. So plump als wären es zwei Teigfladen.
Sie fand daran nicht die Spur von Gefallen. Daher fiel es ihr auch nicht leicht, die Lippen von ihm zu lösen. »Du magst bestimmt größere Brüste?«
Lukas, dessen Lippen ihren Hals entlangwanderten, versteifte sich. »Was?«
»Ich finde, meine Titten sind irgendwie zu klein, findest du nicht?«
»Ich habe sie ja noch gar nicht gesehen!«, erwiderte er unter halb herunterhängenden Lidern, dabei leicht lächelnd. Unverkennbar sein Schlafzimmerblick.
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