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Am Anfang war die Gier!
Keine Gedanken, nur der reine Trieb. Fressen und fortpflanzen, zu mehr war der primitive Verstand nicht in der Lage. Momentan ging es der Kreatur um Ersteres. Zu völliger Bewegungslosigkeit erstarrt, lauerte sie auf ihre Beute. Geduldig wartend, bis diese von selbst in Reichweite kam, um dann erbarmungslos zuzuschlagen.
Gleich. Gleich war es so weit ...
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Das Grauen kam auf tausend Beinen
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Warpaint/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9977-6
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das Grauen kam auf tausend Beinen
von Ian Rolf Hill
Am Anfang war die Gier!
Keine Gedanken, nur der reine Trieb. Fressen und fortpflanzen, zu mehr war der primitive Verstand nicht in der Lage. Momentan ging es der Kreatur um Ersteres. Zu völliger Bewegungslosigkeit erstarrt, lauerte sie auf ihre Beute. Geduldig wartend, bis diese von selbst in Reichweite kam, um dann erbarmungslos zuzuschlagen.
Gleich. Gleich war es so weit …
»Sieh dir das an, Paul!«
Sandy Grimsby drehte sich zu ihrem Mann um, ohne dabei aufzustehen. Sie hob lediglich das rechte Knie vom Boden und stellte den Fuß auf, der bereits zu kribbeln angefangen hatte. Jetzt strömte das Blut wieder ungehindert durch ihre Adern und verursachte ein schmerzhaftes Prickeln.
Paul, der hinter hier stand und Proben aus einem schilfbewachsenen Tümpel entnahm, blickte auf. Seine Augen weiteten sich, als er den durchsichtigen Kunststoffbehälter in den Händen seiner Frau sah. Beziehungsweise das, was sich darin aufhielt und verzweifelt nach einem Ausweg aus dem transparenten Gefängnis suchte, indem es mit den dünnen Beinen die konkav geformten Wände abtastete.
Achtlos verstaute er den Probenzylinder in dem Metallkoffer und kam geduckt auf Sandy zu, die vor einem umgestürzten Baum kniete, den der Wind aus dem feuchten Untergrund gerissen hatte. Die Wurzeln waren durch die Hitze längst verdorrt und ragten wie eine zum Greifen gekrümmte Klaue aus dem Stamm.
»Die ist ja riesig«, ächzte Paul und erbleichte.
Sandy lächelte und nickte. »Ein Prachtexemplar, nicht wahr? Sieh dir die Chelizeren an! Die sind mindestens einen Zentimeter lang.«
»Eher anderthalb«, murmelte der Biologe und ging neben seiner Frau in die Hocke. »Ist das eine Kreuzspinne?«
Sandy schüttelte den Kopf. »Eine Schilfradspinne. Larinioides cornutus. Die Hinterleibszeichnung ist bei dieser Größe einwandfrei zu bestimmen.«
»Aber … so groß? Der Körper allein misst ja schon zwei Zoll.«
»Ihre Beinspannweite ist fast so groß wie meine Hand!«, fügte Sandy hinzu.
Fasziniert betrachtete sie den dunkelgrauen Vorderkörper mit den schwarzen Knopfaugen, hinter dem sich der aufgeblähte Hinterleib wölbte. Es war ein rot gefärbtes Weibchen von einzigartiger Schönheit und beispielloser Aggressivität.
Ihre Bewegungen wurden hektischer, als sie keinen Ausweg aus dem Gefängnis fand. Aus den Drüsen am Hinterleib quollen weiße Fäden, die ein dichtes Gespinst auf dem Boden des Zylinders bildeten.
»Wo hast du sie gefunden?«, fragte Paul neugierig, denn er konnte nirgends ein Netz entdecken.
Sandy deutete mit dem Kinn auf einen armdicken Ast, der vom Stamm der toten Pappel schräg in den Himmel stieß. »Sie hing dort unter dem Ast. Wollte gerade ein neues Netz bauen, als ich sie überraschte.« Sie hob die Probenzange und ließ die Kunststoffbacken demonstrativ auf und zu schnappen.
Paul nickte geistesabwesend. Er hätte es sich ja denken können. Radnetzspinnen gehörten zu den fleißigsten Netzbauern unter den Achtbeinern. Jeden Tag bei Sonnenaufgang bauten sie ein neues Netz, während sie das alte verspeisten, um keine lebenswichtigen Proteine zu vergeuden. Wären sie nur ein paar Stunden später ins Moor gegangen, hätten sie vermutlich ein Netz von anderthalb bis zwei Yard Durchmesser vorgefunden.
»Weißt du, was das bedeutet?«, fragte er und konnte nicht verhindern, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch.
Seine Frau erhob sich und nickte ernst. »Dass wir recht hatten. Die Aufheizung der Atmosphäre und die Anreicherung mit Kohlendioxid sorgt für eine neue Form des Gigantismus bei den Arthropoden.«
»Nicht nur bei den Arthropoden«, ergänzte Paul und deutete mit dem Finger über die Schulter. »Ich habe dort Sonnentau gefunden, so groß wie meine Hand.« Dabei handelte es sich um vergleichsweise winzige fleischfressende Pflanzen.
Sandy legte die Stirn in nachdenkliche Falten. Die Strahlen der Morgensonne verfingen sich in ihrem rotblonden Haar und ließen es wie Kupfer leuchten. Zahlreiche Sommersprossen verteilten sich auf ihrer blassen Haut, die einfach nicht braun werden wollte, egal wie lange sie sich im Freien aufhielt. Ein Sonnenbrand war das Einzige, worauf sie hoffen konnte. Allein deshalb nutzten die Grimsbys lieber die frühen Morgenstunden für ihre Ausflüge ins Moor.
»Möglicherweise eine Anpassung an die größer werdende Beute«, murmelte sie mehr zu sich selbst. »Aber so schnell? Normalerweise dauert so etwas Tausende von Jahren. Es sei denn …« Sie hob den Zylinder mit der Spinne, die sich jetzt wütend gegen den durchsichtigen Kunststoff warf. »Es sei denn es handelt sich tatsächlich um eine Mutation. Was grinst du denn so dämlich?«, rief sie ihrem Mann erbost zu.
»Wie?«, fragte er, verdutzt über ihren jähen Gefühlsausbruch. »Ich …«, er lächelte entschuldigend, »… mir ist nur aufgefallen wie schön du bist.«
Sandy schüttelte verärgert den Kopf. »Bleib bei der Sache, Paul. Das hier ist ernst. Wenn die Insekten und Spinnen sich derart schnell an den Klimawandel anpassen, könnte das unser gesamtes Ökosystem durcheinanderbringen. Und dann … ich wage es mir gar nicht vorzustellen.«
»Dann versuch es am besten gar nicht erst«, riet ihr der Biologe.
Er nahm seiner frisch Angetrauten den kleinen Anranzer nicht übel. Schließlich hatte er sich genau aus diesem Grund in sie verliebt. Nicht, weil sie aufbrausend gewesen wäre, sondern allein wegen ihres Selbstbewusstseins, ihrer Disziplin und ihrer Klugheit. Sandy Grimsby, geborene Malloy, war Entomologin. Paul bezweifelte, dass es auf diesem Planeten eine andere Frau gab, die begeistert zugestimmt hätte, die Flitterwochen in den Mooren Cornwalls zu verbringen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die heimische Flora und Fauna zu untersuchen.
»Sehr witzig, Paul. Aber so einfach ist das …«
Sandys Gesicht verzerrte sich vor ungläubigem Entsetzen, als etwas in seinem Rücken ihre Aufmerksamkeit beanspruchte. Im selben Moment vernahm er das dumpfe Surren, das rasend schnell lauter wurde. Zuerst dachte er an eine Drohne oder einen Modell-Helikopter, mit dem sich jemand aus dem Dorf einen Scherz erlaubte. Aber noch während er sich umdrehte, erkannte er seinen Irrtum.
Für eine Drohne war dieses Surren viel zu laut, das plötzlich in ein wütendes Flappen umschlug. Paul vollendete die Drehung und starrte auf den länglichen Schatten, um den herum die Luft zu flirren schien, als würde sie vor Hitze wabern, was Unsinn war, denn noch hatte die nächtliche Kühle die Oberhand.
Ein faustgroßer ovaler Schädel, der fast nur aus zwei gewölbten Komplexaugen zu bestehen schien, die in sämtlichen Regenbogenfarben schillerten, tauchte dicht vor ihm auf. Ein länglicher Hinterleib schwang vor, und sechs klauenbewehrte Beine griffen nach seinem Gesicht, als … das Untier von dem Probenzylinder getroffen, im Flug rückwärts taumelte.
Sandy hatte ihn geworfen und das Rieseninsekt mit traumwandlerischer Sicherheit erwischt. Die Beine umklammerten reflexartig das Gefäß, das unter dem Druck der fingerdicken Gliedmaßen knirschte.
Sekundenlang war Paul wie gelähmt, während sein Gehirn verzweifelt nach einer Erklärung für dieses Phänomen suchte.
Es war eine Libelle!
Eine riesige Libelle, die den Probenbehälter jetzt fallen ließ, als sie feststellte, dass er keine lohnenswerte Beute darstellte, und mit zornigem Flügelschlag zu einem neuen Angriff ansetzte. Die vier sich unabhängig voneinander bewegenden Flügel ermöglichten es dem Rieseninsekt, wie ein Hubschrauber in der Luft zu stehen.
Es wich zur Seite aus, um einen neuen Angriffswinkel zu finden, und schoss auf Paul zu, der sich instinktiv duckte. Die Libelle fegte über ihn hinweg und stürzte sich auf Sandy.
Das Rieseninsekt hatte praktisch keine Schrecksekunde. Mechanisch griff es die nächstbeste Beute an, und das war nun mal Sandy. Die schlug mit der Probenzange auf das Biest ein, das Gesicht eine vor Angst verzerrte Fratze.
Panik schoss in Paul hoch, als er beobachtete, wie es der Libelle gelang, seine Frau zu entwaffnen. Sandy hatte es geschafft, den kräftigen Thorax des Insekts mit der Zange zu fassen zu bekommen. Ein stummes Tauziehen begann, das Sandy schließlich verlor. Der Griff der Zange rutschte ihr aus den schweißnassen Fingern.
Der Ruck erfolgte so plötzlich, dass die Riesenlibelle mehrere Yards zurücktaumelte. Sandy stolperte ebenfalls rückwärts, stützte sich auf dem umgestürzten Baumstamm ab, über dessen entrindeten Holzkadaver mit einem Mal Dutzende von Spinnen krabbelten, jede einzelne so groß wie die Faust eines kleinen Kindes.
Sandy schrie auf und schlenkerte die Hand, als das erste Tier ihre Finger berührte und sich anschickte, den nackten Arm zu erklimmen.
Paul sprang mit einem Satz auf seine Frau zu, ergriff ihre Hand und zog sie hinter sich her. Keuchend stolperten sie durch das unwegsame Gelände. Der Boden vibrierte unter jedem Tritt, als handele sich um ein Trampolin.
Hinter ihnen schwoll das Surren der Libelle wieder an, entfachte die Furcht von Neuem. Und immer wieder hallten dieselben Gedanken in seinem Schädel nach: Unmöglich! So etwas kann es nicht geben.
Und doch war es eine Tatsache, der er sich stellen musste. Als Wissenschaftler wusste er, dass selbst der rasante Klimawandel nicht zu solchen Mutationen führen konnte. Jedenfalls nicht so schnell. Es musste sich um ein Relikt der Urzeit handeln. Eine Meganeura, wie es sie lange vor den Dinosauriern auf der Erde gegeben hatte.
Sandy kreischte, ihre Hand entglitt seinem Griff. Paul wirbelte herum, sah mit Entsetzen, wie sich die Beine des Insekts um ihren Kopf schlangen und die dünne Haut aufrissen, aus der das Blut sprudelte, während sich die messerscharfen Mandibeln auf ihr Haupt senkten.
Paul ergriff das Erstbeste, was er zwischen die Finger bekam: ein von Sumpfgras überwuchertes Stück morschen Holzes, aus dem brackiges Wasser quoll, als er es umklammerte. Fast hätte er den Halt verloren, als sich der Ast mit einem Ruck löste. Noch in derselben Sekunden schlug er zu.
Das Holz zerbarst am Schädel der Libelle, die von Sandy abließ. Die Augen seiner Frau leuchteten weiß unter all dem Blut, das ihr aus dem Haaransatz über die Stirn floss.
Tiefe Furchen zogen sich entlang ihrer Wangen bis zum Kiefer hinunter, doch Sandy schien keine Schmerzen zu spüren. Der Schock und die Angst hielten sie weiterhin umklammert.
Wieder griff Paul nach ihrem Arm und zerrte daran. »Weiter«, schrie er. »Lauf!«
Sie wimmerte, folgte ihm aber, auch wenn das Vorankommen mit jedem Schritt beschwerlicher wurde. Ihre Füße in den hohen Wanderschuhen sanken bis zu den Knöcheln im Morast ein. Es schmatzte und gurgelte, als sie sie herauszogen.
Paul hatte längst die Orientierung verloren. Gehetzt blickte er sich um und gewahrte hinter einem schmalen Waldsaum den Turm der alten Festungskirche. Leider viel zu weit entfernt. Die einzige Zuflucht, die sich ihnen bot, war ein Hain aus verkrüppelten Bäumen, der sich auf halber Strecke zwischen ihnen und der Kirche befand.
Das war ihre Chance!
Hier auf der offenen Heidefläche des Moores gab es keinerlei Deckung. Und überall raschelte und schabte es zwischen den Gräsern.
Wieder startete die Libelle einen erneuten Angriff.
Paul duckte sich, zerrte Sandy zu sich heran und umschlang sie mit den Armen, wollte ihr mit seinem Körper Deckung geben. Er schob sie nach vorne, damit sie vor weiteren Attacken des Rieseninsekts sicher war.
Mein Gott, dachte er mit wachsendem Schrecken. Wir haben doch noch so viel vor.
Sandy schlüpfte zwischen zwei knorrigen Bäumen hindurch. Sie rutschte aus, schlug hart auf dem matschigen Untergrund auf und verschwand vor Pauls Augen. Er warf sich nach vorn, um sie am Schuh festzuhalten, doch seine Finger glitten an der Sohle ab.
Das Brummen wurde lauter, und Paul sah sich um.
Die Libelle schwebte wenige Yards über ihm in der Luft. Ihre Flügel bewegten sich schneller als das Auge und flimmerten im Licht der Sonne. Unter anderen Umständen wäre Paul von dem Anblick möglicherweise fasziniert gewesen, jetzt war er vor Angst einfach nur wie gelähmt. Das Herz hämmerte ihm bis zum Hals, stechende Schmerzen zuckten durch die Lungen.
Warum greift das Biest denn nicht endlich an?, fragte er sich. Weidet es sich an meiner Furcht?
Sandys Schrei lenkte seine Aufmerksamkeit von der Riesenlibelle ab. Alarmiert fuhr er herum, stand auf und taumelte durch die schlammige Furche. Seine Frau lag bäuchlings auf einer weißen Fläche, die sich wie ein Tuch über einen Tümpel spannte.
»Paul«, wimmerte sie. »Paul, bitte hilf mir!«
Der Biologe schluckte und blickte sich gehetzt um. »Ja, mein Schatz, ja. Ich bin gleich bei dir.«
Er rutschte nach vorne und streckte das Bein aus, um den Fuß auf den Rand der weißen Masse zu stellen, als er wie von der Tarantel gebissen innehielt. Der Blick seiner angstvoll geweiteten Augen saugte sich förmlich an den fadenartigen Strukturen fest, mit dem die Plane in der Senke verankert war.
Es waren Fäden!
Fingerdick und in mehreren Lagen übereinander gewebt, sodass sie einen dichten Teppich bildeten. So wie es bestimmte Spinnenarten taten, um ihre Höhlen zu tapezieren und den Boden davor zu präparieren, damit sie in den Wohnröhren sofort mitbekamen, wenn sich potenzielle Beute näherte …
Alles in Paul Grimsby sträubte sich dagegen, den Kopf zu heben, doch er musste es tun.
»Paul!«
Sandys klagender Ruf half ihm dabei, seine animalische Furcht zu überwinden. Seiner Frau war es gelungen, ihren Oberkörper aufzurichten. Fäden spannten sich zwischen ihrer Brust und dem dichten Teppich, der an ihren Händen klebte wie mit Leim bestrichen.
Zwei Körperlängen vor ihr, im Schatten der knorrigen Stämme, wölbte sich das Netz empor und bildete eine Höhle, die wie der Schlund eines Riesen aussah. Paul sah etwas Großes, Schwarzes, das sich nach vorne schob.
Sein Herz hämmerte so laut, dass er jeden einzelnen Schlag vernahm.
Er hörte sich selbst wimmern und greinen, als er sah, wie sich lange, mit Borsten bewachsene Beine aus der Höhle schoben und nach seiner Frau tasteten.
Dann ging alles blitzschnell. Sandy konnte nicht mal mehr schreien.
Der gigantische Schatten schoss ins Freie, packte sein Opfer und zerrte es in sein Versteck.
☆
»Ich sage euch, Freunde, da stimmt was nicht!«
Wenn mein ältester Freund Bill Conolly schon so anfing, dann war nicht nur was im Busch, dann brannte er meist lichterloh. Zumal der Reporter niemand war, der umsonst die Pferde scheu machte weil ihm langweilig war und er nichts mit sich anzufangen wusste.
Wir saßen zu dritt in meiner kleinen Küche und frühstückten. Bill hatte sich kurzerhand selbst eingeladen. Nicht, dass er das nötig gehabt hätte, aber er war schon immer jemand gewesen, der gerne das Angenehme mit dem Nützlichen verband.
»Und warum hat Laura ausgerechnet dich kontaktiert und nicht Johnny?«, fragte Suko, der als Einziger von uns auf Eier und Speck verzichtete und lieber sein »Vogelfutter« mampfte.
Die Rede war natürlich von Laura Patterson, einer Ex-Freundin meines Patenkindes, die in Egloskerry, einem winzigen Nest in Cornwall eine Pension betrieb, die sie von ihren Eltern geerbt hatte.
»Oh, das hat sie«, erwiderte Bill, nachdem er den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte. »Aber der ist mit Cathy an die See gefahren.«
Suko runzelte die Stirn. »Ich dachte, sie wollten Shao und Sheila dabei helfen, das neue Heim für ihre Stiftung zu renovieren?«
Der Reporter blies die Wangen auf. »Frag mich nicht, Suko. Du weißt doch, wie die Jugend heutzutage ist. Heute so, morgen so. Die Wochenenden sind heilig. Soviel ich weiß, haben sie diesen Ausflug schon länger geplant, und man schafft es sowieso nie, alle unter einen Hut zu bekommen.«
»Das stimmt natürlich«, mischte ich mich ein. »Scheint ja ziemlich ernst zwischen den beiden zu werden, was?«
Bill grinste. »Scheint fast so, ja.«
»Und was ist mit Emma?« Das war Cathy Grahams Zwillingsschwester, die ebenfalls in mehrere unserer Fälle involviert gewesen war.
»Was soll mit ihr sein? Die hat pünktlich auf der Matte gestanden, wie versprochen.«
Suko lächelte verschwörerisch. »Sie versteht sich wohl ziemlich gut mit Marisa.«
Ich runzelte die Stirn. »Schau an. Ich hab gar nicht gewusst, dass Emma auf Frauen steht.«
Mein Partner winkte ab. »Ob es so ernst ist, weiß ich natürlich nicht. Aber das eine schließt das andere ja nicht aus. Außerdem sind die beiden alt genug. Sie werden schon wissen, was sie tun.«
»Da hast du natürlich auch wieder recht.«
Bill klopfte ungeduldig mit der Gabel auf den Teller. »Können wir jetzt bitte wieder zur Sache kommen? Ihr seid ja schlimmer als zwei alte Tratschhühner.«
Synchron fingen wir an zu gackern und mit den Ellenbogen auf und ab zu wedeln, was Bill dazu veranlasste, die Augen zu verdrehen und das Gesicht in den Händen zu vergraben. »Womit habe ich das verdient?«
»Tja, alter Freund. Mit so was musst du rechnen, wenn du an einem Samstagmorgen vorbeischneist und uns um unser freies Wochenende bringst.«
»Noch ist ja nichts passiert«, beschwichtigte Bill.
»Außer dass die Natur um Egloskerry verrücktspielt«, bemerkte Suko. »Wie war das noch gleich? Übergroße Spinnennetze, fleischfressende Pflanzen, die Vögel und Mäuse verspeisen, und seltsame Lichter, die über dem Moor tanzen.«
»So sagte Laura jedenfalls.« Der Reporter hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Nicht zu vergessen, die ganzen Haustiere, die in den letzten Wochen auf mysteriöse Weise verschwunden sind. Ihr könnt es ihr nicht verdenken, dass sie nach allem, was sie bereits erlebt hat, vorsichtig geworden ist.«
»Natürlich«, lenkte ich ein. »So war das auch gar nicht gemeint. Lieber einmal zu oft Alarm schlagen, als einmal zu wenig.« Ich deutete mit der Gabel auf meinen Freund. »Was glaubst du, was dahinterstecken könnte? Mandragoro?«
Bill schürzte die Unterlippe. »Das ist natürlich möglich, aber der Umweltdämon hat bisher ja auch kein Interesse an Egloskerry gezeigt. Warum sollte sich das plötzlich geändert haben? Da gibt es für ihn ganz andere Baustellen. In Egloskerry wird ja nicht mal mehr Torf abgebaut. Das Moor selbst ist Naturschutzgebiet. Die Wanderer müssen sich an die ausgewiesenen Wege halten. Oder glaubst du, Mandragoro macht Rabatz, nur weil einer sein Taschentuch in den Tümpel wirft?«
»Dann wäre er ziemlich gut beschäftigt. So bitter es auch ist«, sagte ich. »Was bleibt also noch?«
Bill wölbte die Brauen und sah Suko an. »Ist er immer so schwer von Begriff, oder wird er langsam alt?«
»Sowohl als auch, würde ich sagen.«
»Du denkst an Avalon?«, fragte ich.
»Bingo. Der Kandidat hat hundert Punkte.«
»Ich weiß nicht, Bill. Das hört sich irgendwie nicht nach Avalon an. Eine magisch veränderte Natur passt mehr zu Aibon. Oder eben zu Mandragoro.«
»Mag sein. Wissen werden wir es erst, wenn wir der Sache auf den Grund gehen.«
Ich wandte mich an Suko. »Was meinst du?«
Mein Partner zuckte mit den Schultern. »Wie du selbst eben so treffend bemerkt hast: Lieber einmal zu oft Alarm schlagen, als einmal zu wenig. Im schlimmsten Fall verbringen wir ein ruhiges Wochenende auf dem Lande.«
»Wenn wir mit dem unterwegs sind?«, fragte ich und deutete mit dem Daumen auf Bill. »Trau, schau, wem.«
Der Reporter streckte mir die Zunge heraus. »Kannst ja hierbleiben. Suko und ich schaukeln das Kind auch alleine.«
»Ihr wisst doch bloß nicht, was ihr ohne eure Frauen anfangen sollt.«
»Und was hast du so am Wochenende vor?«, fragte Suko unschuldig lächelnd. »Soviel ich weiß, ist Glenda zu ihrer Tante gefahren.«
Ich verzog die Lippen, als hätte ich in eine Zitrone gebissen. »Schon gut, ich komme mit. Aber nur, weil man euch beide nicht alleine lassen kann.«
Bill klatschte begeistert in die Hände. »Prima. Dann können wir ja den Audi nehmen.«
»Warum denn das? Mit dem Porsche sind wir doch viel schneller.«
Der Reporter riss die Augen auf. »Bist du verrückt? Das letzte Mal, als ich nach Egloskerry gefahren bin, hat ein Riese meinen Wagen zerstampft. Schon vergessen?«
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