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Egal wie sehr er an den Fesseln zerrte, sie gaben einfach nicht nach.
Aber das sollten sie auch gar nicht. Er bezahlte schließlich dafür, dass sie bombenfest saßen. Mit gierig funkelnden Blicken gaffte er in Kims Ausschnitt, als sie sich über ihn beugte, um die Handschellen zu überprüfen, mit denen sie ihn am Bettpfosten fixiert hatte. Viel konnte er nicht erkennen, da in dem winzigen Zimmer des Stundenhotels kein Licht brannte. Nur durch das Fenster schräg hinter ihm an der Wand fiel der Schein einer Leuchtreklame.
Gerade dieses schummerige Halbdämmer, in dem Kims Rundungen mehr zu erahnen als wirklich zu sehen waren, törnte Trevor an. Sein Atem ging schnell und schwer.
"Komm schon, Kimmy, nun mach schon. Ich halte es keine Sekunde ..."
Weiter kam er nicht mehr, denn die Frau, die er für dieses spezielle Vergnügen bezahlte, stopfte ihm den Knebel mit roher Gewalt in den Rachen ...
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Harlekin des Hasses
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Harlekin des Hasses
von Ian Rolf Hill
Egal wie sehr er an den Fesseln zerrte, sie gaben einfach nicht nach.
Aber das sollten sie auch gar nicht. Er bezahlte schließlich dafür, dass sie bombenfest saßen. Mit gierig funkelnden Blicken gaffte er in Kims Ausschnitt, als sie sich über ihn beugte, um die Handschellen zu überprüfen, mit denen sie ihn am Bettpfosten fixiert hatte. Viel konnte er nicht erkennen, da in dem winzigen Zimmer des Stundenhotels kein Licht brannte. Nur durch das Fenster schräg hinter ihm an der Wand fiel der Schein einer Leuchtreklame.
Gerade dieses schummerige Halbdämmer, in dem Kims Rundungen mehr zu erahnen als wirklich zu sehen waren, törnte Trevor an. Sein Atem ging schnell und schwer.
»Komm schon, Kimmy, nun mach schon. Ich halte es keine Sekunde ...«
Weiter kam er nicht mehr, denn die Frau, die er für dieses spezielle Vergnügen bezahlte, stopfte ihm den Knebel mit roher Gewalt in den Rachen ...
Trevor grunzte erregt, während Kim den Riemen, mit dem der Knebel fixiert wurde, hinter seinem Nacken festschnallte.
»Pssst, mein Dickerchen«, säuselte sie. »Du hast jetzt erst einmal Sendepause, verstanden?«
Mit hervorquellenden Augen nickte er. Schweiß perlte auf seiner Stirn, das Herz hämmerte in der Brust, als wollte es jeden Moment herausspringen.
Kim richtete sich neben dem Bett auf und trat zurück in den Schatten. Provozierend langsam griff sie nach dem Saum ihres eng anliegenden Tops. Trevor hatte sich bereits persönlich davon überzeugen können, dass sie nichts darunter trug außer nackter, kaffeebrauner Haut.
Gleich würden ihre prallen Brüste unter dem Stoff hervorwippen, ehe sie sich über ihn beugte und ...
Kim hielt inne und zog den Saum wieder herunter. Trevor wimmerte enttäuscht und – genoss das Spiel in vollen Zügen. So ging es mitunter stundenlang. Auf solche und ähnliche Weise zögerte Kim den Höhepunkt immer weiter hinaus. Sie war eine wahre Meisterin ihres Fachs, und Trevor wartete manchmal tagelang, bis ein Termin bei Kimmy, wie er sie nannte, frei wurde. Eine andere kam für ihn nicht infrage.
Er wollte nur sie. Sie verstand es, mit ihren Reizen zu spielen, wie sonst keine.
So wie jetzt, als sie mit festen Schritten am Fußende des Bettes vorbei, direkt auf das Fenster zuging. Trevor verfolgte jede einzelne ihrer Bewegungen mit hündischer Bewunderung. Er musste den Kopf weit herumdrehen, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Ihr schlanker Körper zeichnete sich als schwarze Silhouette vor der grellen Neonbeleuchtung ab.
»Es ist ein wenig stickig hier drin, findest du nicht?«
Trevor legte die Stirn in Falten. Nein, das fand er absolut nicht. Der Hotelbetreiber hatte vor ihrem Besuch frisch gelüftet. Ein Hauch von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln hing noch in der Luft. Irritiert beobachtete er, wie Kim das Fenster an der unteren Kante ergriff und mit einer ruckartigen Bewegung nach oben schob. Kühle Luft strömte in das Zimmer und strich wie mit kalten Fingern über Trevors verschwitzte Haut.
Er fröstelte.
Obwohl es tagsüber sommerlich warm war, kühlten sich die Nächte mitunter ziemlich stark ab. Das bekam er jetzt buchstäblich am eigenen Leib zu spüren. Durch den langsam trocknenden Schweiß fühlte sich die Luft noch kälter an, als sie ohnehin schon war. Eine Gänsehaut kroch über seine Arme, die Hoden zogen sich zusammen.
Ein protestierendes Quieken drang unter dem Knebel hervor. Was sollte der Scheiß? Er wollte sich hier schließlich nicht den Tod holen.
Kim kümmerte sich weder um die unartikulierten Laute noch um das Klappern des Bettgestells, als er an den Fesseln zerrte. In aller Seelenruhe fixierte sie das Fenster und glitt mit einer geschmeidigen Bewegung auf ihn zu. »Nicht aufregen, Dickerchen. Es dauert nicht lange, versprochen. Ich muss nur noch mal kurz wohin.«
Sie tippte mit dem Zeigefinger auf seine Nasenspitze, richtete sich auf und marschierte schnurstracks auf die Tür zu. Nur lag hinter der nicht das WC, sondern der Flur des Stundenhotels. Im Gehen schnappte sich Kim Handtasche und Mantel, die über der Lehne eines Stuhls hingen. Vor der Zimmertür drehte sie sich noch einmal um.
»Genieß die Show«, sagte sie, warf ihm einen Luftkuss zu und verschwand.
Trevor wollte schreien, aber mehr als ein kehliges Fiepen brachte er nicht zustande. Verdammt, die Schlampe hatte ihn hereingelegt. Das Geld hatte sie natürlich längst kassiert, so lief das nun mal. Doch niemals hätte er damit gerechnet, dass sie ihn hier einfach liegen lassen würde. Nackt und gefesselt. Ausgeliefert.
Das ist ein abgekartetes Spiel, dachte er.
Irgendjemand wollte ihn ruinieren, ihm den Arsch aufreißen. Automatisch wanderten seine Gedanke zu Florence. Nein, seine Frau wäre enttäuscht und am Boden zerstört, wenn sie herausgefunden hätte, was er hier trieb, doch sie hätte sich niemals zu solchen Maßnahmen hinreißen lassen. Das war absolut nicht ihr Stil. Oder?
Wie gut kannte man einen Menschen wirklich?
Diese Frage würde sich Florence mit Sicherheit auch stellen, wenn sie herausfand, wo er heute Nacht gewesen war. Und herausfinden würde sie es, so viel stand fest.
Es sei denn, er konnte sich freikaufen. Klar, Kimmy wusste, wer er war, und wollte nun ein Stück vom Kuchen abhaben. Das hier lief auf eine eiskalte Erpressung hinaus.
Neuer Schweiß drang ihm aus den Poren, das Laken war klitschnass. Er kam sich vor, als hätte man ihn mit Eiswasser übergossen.
Die Lust am Sex war ihm gründlich vergangen.
Ein Klappern am Fenster lenkte ihn ab. Sein Kopf ruckte herum. Ein Schatten bewegte sich in der Öffnung, verdunkelte für Sekunden den Schein der Leuchtreklame. Trevor hielt den Atem an. Bislang war er eher wütend und frustriert gewesen, doch jetzt gesellte sich noch ein weiteres Gefühl hinzu: die Angst.
Sein Magen verkrampfte sich, und die Kehle schnürte sich zu. Auf dem Bett liegend erstarrte er, wagte nicht mal mehr, den kleinen Finger zu rühren, geschweige denn einen Laut von sich zu geben. In der irrationalen Hoffnung, dass der Eindringling ihn übersah. Sollte er doch sein Geld nehmen, ein Foto machen und verschwinden. Irgendwie würde er die Sache schon aus der Welt räumen.
Seine Gedanken stockten.
Die Gestalt kauerte mit angezogenen Beinen auf dem Fensterbrett und traf keine Anstalten, das Zimmer zu betreten. Einer Statue gleich, hockte der Fremde in der Öffnung. Wie einer jener bizarren Wasserspeier, die man in gotischen Kathedralen fand.
Noch immer hielt Trevor den Kopf gedreht. Er vergaß sogar zu blinzeln, und seine Augen fingen an zu brennen. Die Sicht verschwamm, trotzdem konnte er im schwachen Schein der Leuchtreklame, die seitlich an der Gestalt vorbei ins Zimmer sickerte, erkennen, dass es sich um eine Frau handelte. Sie trug weiße, kniehohe Stiefel, Netzstrümpfe und ein helles Hemd oder Gewand. Der Schädel wirkte ungewöhnlich lang und unförmig, das Gesicht war nicht mehr als ein verwaschener weißer Fleck, in dem der Mund wie ein schwarzer Schlund aussah.
Ein hohles Kichern drang daraus hervor und ließ Trevor erschauern.
Das Geräusch kam aus der Kehle und hörte sich beinahe an wie das Ticken eines Metronoms. Urplötzlich löste sich die Starre aus Trevors Gliedern. Seine Arme und Beine begannen unkontrolliert zu zittern. Die Bewegungen übertrugen sich auf die Handschellen, die klappernde Echos erzeugten.
Und dann bewegte sich der Schatten.
Geschmeidig glitt er von der Fensterbank und schwebte lautlos auf ihn zu. Hinter der Fremden flutete das Neonlicht in das Zimmer und fing sich in den gelbfunkelnden Augen, deren Pupillen nicht größer als Stecknadelköpfe waren. Und dann war da ja noch das Gesicht.
Eine grell geschminkte Fratze mit dunkelroten Lippen, die sich zu einem sardonischen Grinsen teilten. Es sah aus, als würde die Unbekannte ihre Zähne fletschen.
Es war ein Clown!
Ein Clown mit einem dünnen weißen Gewand und der Haube einer Krankenschwester auf den strähnigen schwarzen Haaren.
Plötzlich bewegte sich die Verkleidete und schwang sich geschmeidig auf Trevors Unterleib. Der spürte die Hitze ihres Schoßes durch den dünnen Stoff des Slips, doch es interessierte ihn nicht. Er hatte nur Augen für die bleiche Fratze, die wie versteinert auf ihn herab grinste.
Er wimmerte, doch von dieser Gestalt hatte er keine Gnade zu erwarten. Das war keine gewöhnliche Nutte für bizarre Sexspielchen, das war eine Irre.
»Heute war das letzte Mal, das du deinen kranken Trieben nachgegeben hast.« Der Clown beugte sich vor. »Schlappschwanz.«
Die offenkundig Wahnsinnige drückte die Schultern zurück und hielt die Arme auf den Rücken. »Welche Hand darf es sein?«
Trevor schüttelte den Kopf. Er wollte keine Spielchen spielen, er wollte ...
Seine Gedanken rissen ab. Unvermittelt stemmte er sich hoch und wölbte den Bauch, um den Horror-Clown von sich herunter zu schleudern. Der warf den Kopf in den Nacken und jauchzte, während sich die Schenkel fest um sein Becken schlossen.
Das Haupt der Fremden schwang zurück, und einen Wimpernschlag später raste er auf ihn zu. Das grinsende Gesicht des Clowns nahm für einen Augenblick sein gesamtes Blickfeld ein, dann explodierte der Schmerz in seiner Nase, deren Gebein laut knackend zersprang. Plötzlich sah Trevor Sterne. Als er wieder einigermaßen klar sehen konnte, hatte sich seine Peinigerin aufgerichtet. Ein roter Fleck schimmerte auf der weiß geschminkten Stirn. Blut.
Mit einem Mal bekam er nur noch mühsam Luft. Schlürfend sog er sie zusammen mit dem aus seiner Nase sickernden Blut in die Lungen und erlitt prompt einen Hustenanfall.
Mein Gott, ich ersticke, dachte er panisch.
Doch so weit kam es nicht. Der weibliche Clown brachte die Arme nach vorne und hob die Hände an den leicht angewinkelten Ellenbogen auf Schulterhöhe. Als Trevor sah, was die Irre in den Fäusten hielt, vergaß er für eine Sekunde seine missliche Lage. Im nächsten Augenblick beugte sich seine Peinigerin erneut vor. Die Arme zuckten herab. Ein stechender Schmerz fuhr ihm durch die Kehle.
Und da wusste Trevor, dass er dieses Zimmer nie wieder verlassen würde. Begleitet vom höhnischen Kichern des Clowns begann sein langsames Sterben.
✰
Chiefinspektor Tanner schnaufte wie eine alte Diesellok, als er die Stufen des heruntergekommenen Hotels hinaufstapfte. Missmutig kaute er auf dem erloschenen Stumpen seiner Zigarre, was seiner Kondition nicht unbedingt zuträglich war.
Doch irgendwie musste er schließlich seine miese Laune im Zaum halten. Wozu war er denn Chefinspektor, wenn er trotzdem jedes Mal persönlich gerufen wurde, weil einer seiner Leute nicht weiterwusste? Dass es aber ausgerechnet Barking sein musste ...
Der Bezirk lag im Osten der Stadt, nördlich der Themse, und gehörte nicht unbedingt zu den gehobenen Gegenden von Greater London. Diese Klitsche passte dazu wie die Faust aufs Auge.
Tanner rümpfte die Nase, als er an den Zimmern vorbei auf die Beamten zu schlurfte, die vor einer offenen Tür standen und den Mitarbeitern von der Spurensicherung bei der Arbeit zusahen.
Unter den Uniformierten befand sich ein auch Mann im mausgrauen Anzug. Auf der Oberlippe wuchs ein dichter Schnauzbart, der für den Inspektor ebenso typisch war wie für Tanner der Filzhut und die angeschmauchte Zigarre, die er jetzt aus dem Mund nahm, als der Kollege auf ihn zutrat.
»Murphy«, knurrte der Chefinspektor und versuchte gar nicht erst, seiner Stimme einen freundlichen Klang zu verleihen. »Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund dafür, mich mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln. Bin schließlich nicht mehr der Jüngste.«
Der Inspektor verzog keine Miene. »Glauben Sie etwa, ich lasse Sie grundlos hier antanzen?«, erwiderte Murphy und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Aber ich wette mit Ihnen um eine Schachtel Zigarren, dass Sie anders darüber denken werden, wenn Sie erst sehen, wer da drin auf Sie wartet.«
Tanner schob den Filz in den Nacken. Eines musste man Murphy lassen, er wusste, wie man die Spannung auf den Siedepunkt brachte. »Verflixt noch mal, ich bin nicht gekommen, um irgendwelche Ratespiele zu veranstalten. Was ist passiert?«
Murphy winkte mit dem Zeigefinger und führte Tanner auf die Tür zu. Die Uniformierten wichen zur Seite, damit er einen Blick in den winzigen Raum werfen konnte, der mit den drei Leuten von der Spurensicherung beinahe aus allen Nähten platzte. Das breite Bett bildete den Mittelpunkt. Ein schmaler Schreibtisch stand anderthalb Yards vor dem Fußende an der Wand, schräg gegenüber des einzigen Fensters. Rechts führte eine Tür in ein winziges Bad, links befand sich der Wandschrank.
Das alles registrierte der Chefinspektor nur am Rande. Seine Aufmerksamkeit wurde von dem menschlichen Körper beansprucht, von dem er jedoch nur ein blasses Bein und einen speckigen Arm erkannte, die mit Handschellen an die Bettpfosten gebunden waren. Der Rest des Toten wurde von einer Spurensicherungsexpertin im weißen Ganzkörperoverall verdeckt.
»Gehen Sie mal beiseite, Ma'am«, schnauzte Tanner.
Die Frau fuhr herum und sah aus, als wollte sie dem Störenfried eine gepfefferte Antwort vor den Latz knallen. Sie sah Tanner, und ihre Augen weiteten sich. Im buchstäblich letzten Augenblick schluckte sie die Erwiderung runter und wich zur Seite.
Tanners Blick fiel ungehindert auf die entblößte Leiche.
Sekundenlang herrschte eine Stille, dass man problemlos eine Stecknadel hätte fallen hören können. Dann fasste Tanner den Anblick in drei einfachen Worten zusammen.
»Ach du scheiße!«
»Jepp«, erwiderte Murphy salopp. »So was in der Art habe ich auch gesagt.«
✰
»Das ist Trevor Bixby«, murmelte Tanner und trat an das Bett heran. Zwei gelbe Plastikhütchen lagen neben dem Toten und markierten Spuren.
»Ja, wer hätte gedacht, dass er einmal so enden würde?«
Tanner ging auf die ohnehin nur rhetorisch gemeinte Frage nicht ein und ließ den Blick über den Toten schweifen. Die Lider standen offen, die Augen waren weit aus den Höhlen gequollen. Im Mund steckte ein Gummiball, der mit einem ledernen Riemen an Ort und Stelle gehalten wurde.
Auch die Handschellen, mit denen der Mann an das Bett gefesselt worden war, passten zu dem Ambiente. Offenbar hatte Trevor Bixby sehr spezielle Neigungen gehabt, die er hier unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgelebt hatte. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Trotz oder gerade wegen seiner Stellung. Aber damit stand er bei Weitem nicht alleine da.
Viele honorige Herren (und Damen) verfügten über recht eigenwillige sexuelle Vorlieben, die sie nicht immer oder nur sehr selten mit ihren angetrauten Partnerinnen und Partnern ausüben konnten.
Und solange niemand zu Schaden kam, kümmerte das Tanner auch nicht besonders. Jeder durfte tun und lassen, wozu er Lust hatte, sofern es auf gegenseitigem Einverständnis beruhte.
»Schöne Schweinerei, nicht wahr?«
Tanner hob den Kopf und beäugte Murphy unter hochgezogenen Brauen. Der Blick des Chefinspektors wanderte zu dem offenen Fenster schräg hinter seinem Kollegen, auf dessen Fensterbrett ebenfalls eine gelbe Plastikmarkierung stand. Er deutete mit dem Finger darauf.
»Ist der Killer dort raus geflüchtet?«
»Sieht beinahe so aus.« Es klang nicht im Mindestens zynisch oder herablassend. »Aber vielleicht ist er dort auch reingekommen. Beziehungsweise sie.«
Tanner nickte. »Also eine Frau.«
»Wir haben Haare gefunden. Ziemlich lang, schwarz und dünn. Die Analyse steht noch aus, aber es sieht nach einem Frauenhaar aus.«
»Wie ist er gestorben? Er wurde weder erstochen noch erschossen und auch nicht erdrosselt. Ist er an der gebrochenen Nase erstickt oder vergiftet worden?«
»Das wissen wir erst nach der Obduktion. Der Arzt meint, er wäre erstickt, aber festlegen wollte er sich noch nicht«
Tanner knirschte mit den Zähnen und verengte die Lider zu schmalen Schlitzen. »Ich nehme an, es gibt keine Zeugen?«
Murphy schüttelte den Kopf. »Der Nachtportier hat Bixby in Begleitung einer jüngeren Frau gesehen. Schlank, zirka einssiebzig groß, langer brauner Mantel, Kopftuch und Sonnenbrille, dunkle Hautfarbe. Sie kamen um kurz nach dreiundzwanzig Uhr, doch die Dame verließ das Stundenhotel bereits nach einer halben Stunde wieder. Allein.«
»Name?«
»Wissen wir nicht. Bixby hat das Zimmer unter dem Namen Leroy Jenkins gebucht.«
»Was sagt der Portier?«
»Der sitzt unten und wartet darauf, dass wir uns mit ihm unterhalten.«
»Dann wollen wir ihn nicht warten lassen.«
✰
Der junge Mann bestand praktisch nur aus Haut und Knochen. Die blasse Haut glänzte wie eine Speckschwarte. Auf den ersten Blick war nicht ersichtlich, ob seine Nervosität mit der Anwesenheit der Polizei zu tun hatte oder vielleicht doch mit dem grobschlächtigen, unrasierten Mann, der aussah, als wäre er selbst gerade aus dem Bett gefallen.
»Chiefinspektor Tanner und Inspektor Murphy. Metropolitan Police«, stellte der Leiter der Mordkommission sich und seinen Kollegen vor. »Mister Reginald Thompkins?«
»J...ja«, stammelte der Jüngling verunsichert.
»Sie hatten Dienst an der Rezeption?«
Er nickte nur.
»Gut, wir hätten da einige Fragen an Sie.«
»Moment mal«, mischte sich der Vierschrötige ein. »Was ist mit dem Toten? Ist er weg?«
Tanner wandte sich dem Störenfried zu. »Und Sie sind?«
»Norman. Norman Rafft. Mir gehört das Hotel. Ich bin sofort gekommen, als ich das von dem Toten hörte. Hören Sie, Sie können uns dafür nicht verantwortlich machen, wenn jemand im Bett den Arsch zukneift. Mitunter geht es hier mächtig zur Sache.«
»Sie glauben, das war ein Unfall?«
»Natürlich war das ein Unfall«, polterte Rafft. »Der Alte hat sich verausgabt, das ist alles. Nicht die schlechteste Art, den Arsch ... na ja, eben abzutreten.«
»Wie Sie meinen«, kommentierte Tanner. »Wenn Sie uns jetzt bitte allein lassen würden?«
»Was? Warum wollen Sie denn allein sein?«
»Wir haben ein paar Fragen an Ihren Mitarbeiter.«
Rafft lief puterrot an. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass man ihn in seinem eigenen Haus herumkommandierte. Ein Blick in die Gesichter der beiden Polizeibeamten genügte jedoch, um ihn schnell den Schwanz einziehen zu lassen.
»Also schön. Aber sorgen Sie dafür, dass der Kerl hier wegkommt.«
»Schlecht fürs Geschäft, wie?«
»Das können Sie laut sagen.« Mit den nächsten Worten wandte er sich an Thompkins. »Und du pass auf, was du sagst.«
Er wollte an Tanner vorbei, doch der Chiefinspektor hielt Rafft am Arm fest. »War das gerade der Versuch, einen Zeugen einzuschüchtern?«
Rafft errötete noch heftiger. »A...auf keinen Fall. Aber ich muss auch an meine Kunden denken. Diskretion ist in meiner Branche überlebenswichtig.«
»Und welche Branche ist das genau?«
»Hotelbranche«, rief der der Vierschrötige und warf sich in die Brust.
Tanner verzog die Mundwinkel, ließ den Knaben aber ziehen. Er verließ das enge, fensterlose Büro hinter der Rezeption, das praktisch nur aus einem kleinen Schreibtisch nebst Computer und Drucker bestand. An der Wand hinter dem Bürostuhl stand ein altersschwacher Kopierer, direkt neben dem Aktenvernichter. Ein Pin-up-Kalender hing darüber.
In Ermangelung weiterer Sitzgelegenheiten blieben Tanner und Murphy stehen.
»So, Mister Thompkins«, begann der Inspektor das Gespräch. »Dann erzählen Sie uns mal, was los war.«
»D...da gibt es nicht viel zu erzählen. Die kamen um kurz nach elf. Und um halb zwölf verließ die Nutte das Hotel wieder. Ich habe mir zunächst nichts dabei gedacht. Manche spielen den Kavalier und bringen die Damen nach Hause oder wo auch immer sie sie aufgegabelt haben. Aber oftmals gehen die Frauen auch früher. Manche Männer duschen hier noch, damit ihre Frauen zu Hause nichts riechen.«
»Hat sie etwas gesagt, als sie an Ihnen vorbeigegangen ist?«
»Ja, sie sagte, dass Mister Jenkins noch ein Weilchen bräuchte, um sich zu erholen.«
»Und wann haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt?«
»So um zwei herum. Mister Jenkins hatte für drei Stunden bezahlt, also konnte er auch die volle Zeit nutzen. Vielleicht wollte er ja noch ein Nickerchen machen.«
»Gut«, schnitt ihm Tanner das Wort ab. »Sie sind also um zwei nach oben gegangen. Und dann?«
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