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Ihr Helfer war ertrunken!
Nicht weiter tragisch, nur schade, dass sie seine Leiche nicht hatten mitnehmen können. Dabei hätten sie das Fleisch gut gebrauchen können, denn sie waren Ghouls, Leichenfresser.
Und ihre Gier war mörderisch ...
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Ghouls an Bord
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Ghouls an Bord
von Ian Rolf Hill
Sie waren in Sicherheit!
Mit knapper Müh und Not waren sie den verfluchten Geisterjägern entkommen, die sie bis zum Hafen verfolgt hatten. Dort war ihr Kleinbus in das Hafenbecken gerauscht.
Ihr Helfer Wilbur war ertrunken.
Nicht weiter tragisch, nur schade, dass sie seine Leiche nicht hatten mitnehmen können. Dabei hätten sie das Fleisch gut gebrauchen können, denn sie waren Ghouls, Leichenfresser.
Und ihre Gier war mörderisch ...
Sie waren nur noch zu dritt.
Cecil und Ethel Millweard, sowie ihr Nachkomme Bübchen.
Die Zwillinge waren von Sinclair getötet worden, ebenso wie Castor und Pollux, deren Überreste sie bei ihrer Flucht aus dem Haus an der Themse noch gesehen hatten. Kurz bevor das Anwesen in Flammen aufgegangen war.*
Das war so ziemlich das Einzige, was nach Plan verlaufen war. Nur dass unter den Trümmern nicht die Leichen von Sinclair und seinem Kompagnon lagen. Ob es den Reporter letztendlich erwischt hatte, wussten die Millweards nicht.
Bübchen hatte sich dahingehend nicht geäußert.
Er war neben der gewaltigen Ankerwinde zusammengesunken, sein glibberiger Leib hatte jegliche Konsistenz verloren. Auf ihrem Weg durch die Öffnung, aus der die Kette ragte, hatten sie die menschlichen Knochen, die ihren Körpern Stabilität und Form verliehen, abstoßen müssen.
Einige Ghouls vermochten zwar auch ohne Skelett eine humanoide Gestalt anzunehmen, doch das erforderte enorm viel Energie und Konzentration, die zumindest Bübchen nur schwerlich aufbringen konnte. Bei seinen »Eltern« sah das schon anders aus.
Sie hatten die Fähigkeit, auch ohne kosmetische Hilfsmittel menschliche Gestalt anzunehmen, was sie prompt taten. Im Gegensatz zu Bübchen trugen sie noch ihre Kleidung, die jedoch schleimig und tropfnass an den unförmigen Leibern klebte. Auf keinen Fall konnten sie sich so unter Menschen wagen.
»Was machen wir jetzt?«, keifte Ethel. »Unsere Koffer sind weg, all unsere Kleider ...«
»Dann besorgen wir uns eben neue«, knurrte Cecil. »Aber nicht jetzt.«
»Wann dann?«
»Sobald das Schiff ausgelaufen ist. Morgen Nacht.«
»Morgen?«, echote Ethel, knüllte ihr nasses Kleid zusammen und schleuderte es in die Ecke. »Warum nicht schon heute Nacht?«
Cecil knurrte angewidert. »Muss ich denn hier für alle denken? Wenn heute Nacht jemand verschwindet, wird womöglich das Auslaufen des Schiffs verhindert. Und dann bekommt auch Sinclair Wind davon. Wir hatten Glück, dass sie uns nicht erwischt haben.«
»Huuunger!«, heulte Bübchen.
»Halt dich zurück«, zischte Cecil. »Du wirst schon nicht verhungern.«
»Hunger!«, greinte ihr Abkömmling. »Jetzt!« Zur Unterstreichung seiner Bedürfnisse drosch er mit der Peitsche auf die Bodenplatten und die Wände ein. Metallische Echos hallten durch den Raum, sodass sich Cecil fast im Glockenturm einer Kirche wähnte.
Bübchens Spielzeug war nämlich keine gewöhnliche Peitsche. Sie bestand aus menschlichen Wirbeln, die durch ein Kabel miteinander verbunden waren. Die Wucht der Schläge war so groß, dass einige der Dornfortsätze splitterten. Zwei Wirbelknochen brachen sogar komplett auseinander.
Die Teile flogen durch den Ankerraum. Eines davon traf Cecil an der Schulter, durchstieß die dünne Haut und wurde von dem Schleim, aus dem sein Körper bestand, absorbiert. Wütend schlug er Bübchen die Peitsche aus der Hand.
»Hör auf damit!«, brüllte Cecil. »Oder willst du das ganze Schiff aufwecken? Willst du, dass Sinclair und seine Freunde kommen und dir ein paar Silberkugeln auf den Balg brennen? So wie sie es mit den Zwillingen getan haben?«
»Neeein.« Bübchens Antwort war kaum mehr als ein Winseln.
»Dann reiß dich zusammen. Wir haben es bis hierher geschafft, und wir werden auch ...«
»Seid mal still«, flüsterte Ethel. »Ich glaube, da kommt jemand.«
»Hast du das gehört?«
Sven Persson nickte. »Bin ja nicht taub. Er erhob sich und trat durch die schmale Tür des Bereitschaftsraums auf den engen Gang hinaus. »Du, ich glaub, das kam aus dem Ankerraum.«
Luan Jin schob sich neben seinen Kollegen. »Glaub ich auch.« Er schlug mit dem Kopf der Maglite gegen Perssons Bauch. Der senkte den Blick, ehe er Jin ins Gesicht sah.
»Was soll ich damit?«
»Na, was wohl?« Jin nickte in Richtung Gang. »Nachsehen natürlich.«
Persson grunzte. »Das sind doch bloß Derek und Carl. Die wollen uns verarschen.«
Jin zögerte. »Bist du sicher?«
»Klar, das sind Kindsköppe. Wirst du schon merken. Die wollen noch mal die Sau rauslassen, bevor die neureichen Säcke morgen anrücken.«
»Und wenn es blinde Passagiere sind? Oder Herumtreiber?«
Der schwedische Matrose seufzte. »Okay, von mir aus. Dann schauen wir eben nach. Du gibst ja doch keine Ruhe.« Er nahm die Maglite entgegen. »Nun gib schon her.«
Persson trat auf den Gang hinaus, die schwere Stabtaschenlampe in der Hand. Die Notbeleuchtung tauchte den engen Flur in schummeriges grünes Licht. Draußen war es längst dunkel geworden, aber selbst bei helllichtem Tag bekam man hier unten kaum etwas davon mit.
Fest entschlossen, denjenigen, die ihnen die Nachtwache versauten, ordentlich die Leviten zu lesen, marschierte Sven Persson in Richtung Ankerraum. Es kam nicht oft vor, dass sich blinde Passagiere an Bord eines Kreuzfahrtschiffs verirrten, trotzdem wollten es immer wieder ein paar Halbstarke wissen.
Sie sahen es als eine Herausforderung oder eine Art Mutprobe. Heute sagte man vermutlich Challenge dazu. So wie irgendwelche Kids, die auf Zügen surften und dabei ihr Leben riskierten. In diesem Fall hätte Sven allerdings mit ein wenig mehr Zurückhaltung gerechnet.
Das Hämmern, das unvermittelt durch den Gang hallte, ließ ihn so abrupt innehalten, dass Luan Jin gegen ihn stieß. »Feiern die da drin etwa ne Party?«
Sven Persson schüttelte den Kopf. »Ich sagte doch, dass das Derek und Carl sind. Diese Wichser.« Die harschen Worte sollten ihm Mut machen. So ganz glaubte er selbst nicht daran, dass seine Kollegen die Geräusche verursachten.
Plötzlich war er froh über die Maglite. Zwar konnten sie auch im Ankerraum Licht einschalten, doch wenn sich dort tatsächlich mehrere Jugendliche oder Herumtreiber versteckt haben sollten, um eine Party zu feiern, würde ihnen die Taschenlampe hoffentlich ein wenig Respekt einflößen.
Vor der Metalltür blieb Persson stehen. Das Donnern hatte längst aufgehört, dafür war ein schwaches Wispern hinter dem Schott zu hören. Als ob sich mehrere Personen darum bemühten, leise zu sein.
»Sollen wir nicht lieber Verstärkung holen?«
»Um uns zum Gespött der Mannschaft zu machen? Auf keinen Fall.« Obwohl er nicht länger an einen Streich der Kollegen glaubte, so konnte er ihn auch nicht gänzlich von der Hand weisen.
»Geh mal zurück, damit ich aufmachen kann.«
Wer immer sich im Ankerraum verbarg, hatte sich kein gutes Versteck gesucht, da sich die Tür von innen nicht verriegeln ließ. Dazu bestand schließlich keinerlei Veranlassung, und es war allein aus sicherheitstechnischen Gründen strengstens untersagt. Von außen sah das schon ganz anders aus.
Persson spielte ernsthaft mit dem Gedanken, die Penner einzuschließen und Meldung zu erstatten.
Luan Jin trat zurück und beobachtete Sven dabei, wie sich dieser die Maglite unter den Arm klemmte und die Arretierung löste. Es gab einen kurzen Knall, als der Riegel zurückschnappte, dann konnte Persson die Tür endlich aufdrücken.
Ein kalter Luftzug traf sein erhitztes Gesicht. Der Matrose nahm die Taschenlampe wieder zur Hand und wich einen Schritt zurück, wobei er den freien Arm anhob, um Mund und Nase in die Ellenbeuge zu pressen.
Ein atemberaubender Gestank quoll aus dem Inneren des Ankerraums, so intensiv, dass er Persson in den Augen brannte. Selbst der weiter hinten stehende Luan fing an zu würgen. »W...was ist denn das?« Er hustete. »Ist da drin einer krepiert?«
Sven antwortete nicht. Aber so abwegig fand er den Gedanken gar nicht. Vielleicht hatten sich doch mehrere Herumtreiber im Ankerraum versteckt und waren versehentlich eingeschlossen worden. Nur warum hatten sie dann nicht schon viel früher auf sich aufmerksam gemacht?
Dem Gestank nach zu urteilen musste der Tote bereits eine geraume Weile hier unten liegen, hätte also längst gefunden werden müssen. Oder war es nur eine verirrte Möwe? Aber die hätte niemals so einen penetranten Geruch verströmt.
»Lass uns Hilfe holen!«, zischte Luan Jin.
»Warte«, murmelte Persson und drückte die Tür weiter auf. Er achtete nicht länger auf seinen ängstlichen Kollegen. Stattdessen schob er sich näher an das offene Schott heran und schaltete die Maglite ein. »Hallo! Ist da jemand?«
Er hatte nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet, daher war er auch nicht überrascht, als er keine erhielt. Obwohl ja irgendjemand für den Lärm verantwortlich sein musste.
Wie recht er damit hatte, erfuhr er gleich darauf, als er vor sich in der Finsternis das leise Schmatzen und Schlürfen vernahm. Persson ließ den Lichtkegel über die vollautomatisierte Ankerwinde schweifen.
»Brauchen Sie Hilfe?« Sven tastete nach dem Lichtschalter, da gewahrte er im Streulicht der Taschenlampe eine Bewegung. Ein rötlich weißes, feucht glänzendes Etwas, das sich hinter der Winsch verbarg.
Persson überwand die Schwelle und näherte sich der Gestalt.
»Scheiße, was machst du denn?«, zischte Luan Jin hinter ihm. »Komm zurück.«
»Da ist jemand.«
»Na und? Wir erstatten Meldung, soll sich doch Walsh drum kümmern.«
»Und wenn da jemand Hilfe braucht? Willst du, dass sie dich wegen unterlassener Hilfeleistung drankriegen?«
Luan Jin stieß einen weiteren Fluch aus. Dabei sagte man den Chinesen doch eine gewisse Gemütsruhe und Höflichkeit nach. Aber vielleicht gehörte sein Kollege auch einfach zu den Ausnahmen, die die Regel bestätigten.
Persson wandte sich wieder um. »Jetzt komm endlich.« Er ging tiefer in den Ankerraum hinein, und streckte den Arm mit der Maglite aus. Das merkwürdig unförmige Ding war noch immer da, schob sich aber weiter zurück hinter die Ankerwinde, als fürchtete es sich vor den Matrosen.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Sven mit ruhiger Stimme. »Wir tun ...«
Er stockte, als sein Blick auf die glitzernde Schleimspur fiel, die das Ding auf den Deckplatten hinterließ. Im ersten Augenblick dachte Persson an eine Blutspur. Doch wenn das Blut war, dann gewiss kein menschliches.
Und plötzlich kam Sven ein ebenso schrecklicher wie absurder Verdacht. Er hatte das Ding ja nur kurz gesehen, aber um ehrlich zu sein, besaß es nur wenig Ähnlichkeit mit einem Menschen.
Hatten sie möglicherweise einen Außerirdischen entdeckt?
Allein der Gedanke brachte ihn ins Schwitzen.
»Wer ist denn da?«, fragte Luan leise. »Hast du ihn gefunden?«
»Ja, verdammt. Und jetzt mach das beschissene Licht an.« Persson hatte keine Lust, sich länger mit seinem Kollegen zu befassen. Die Vorstellung, gleich einem Außerirdischen gegenüberzustehen, trieb seinen Blutdruck schlagartig in die Höhe. Sven wurde schwindelig.
Hinzu kam der intensive Verwesungsgestank, der sich schwer auf die Zunge legte. Seine Augen tränten, sodass die Sicht verschwamm.
Unvermittelt flammte das Licht auf und blendete Persson. Der Matrose schaltete die Maglite aus. Zwischen seiner Hand und dem Kunststoff hatte sich ein dünner Schweißfilm gebildet. Die Finger krampften sich so fest um den Griff, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Kommen Sie heraus!«, rief er und ärgerte sich über das Zittern in seiner Stimme. Gleichzeitig wurde ihm die Absurdität der Forderung bewusst. Sollte es sich um einen Außerirdischen handeln, würde dieser wohl kaum die englische Sprache beherrschen.
Umso überraschter war er, als er tatsächlich eine Antwort bekam.
»Aber gerne doch!«
Für die Dauer eines Lidschlags war Persson verwirrt, denn die Worte waren nicht vor ihm aufgeklungen, sondern schräg hinter ihm. Dem Matrosen sackte das Blut aus dem Kopf. Er wirbelte herum und vernahm noch in der Bewegung das Krachen, mit dem das Schott ins Schloss fiel. Dicht gefolgt von einem dumpfen Schlag, der einen metallischen Nachhall hatte.
Luan Jin stieß ein Ächzen aus, das ursprünglich wohl ein Schrei werden sollte. Sein Körper polterte aufs Deck. Sven Persson starrte auf seinen chinesischen Kollegen, der verkrümmt am Boden lag. Die Beine zuckten noch, während sich eine immer größer werdende Blutlache unter dem Schädel ausbreitete.
Unter normalen Umständen wäre Persson ihm sofort zu Hilfe geeilt. Dass er es nicht tat, lag an der Gestalt, die hinter der Tür gelauert hatte.
Der Anblick traf ihn mit der Wucht eines Faustschlags.
War das eine Frau? Oder überhaupt ein Mensch?
Das Ding hatte zumindest Ähnlichkeit mit einem Solchen, nur dass der nackte, fettleibige Körper von einer dünnen Schleimschicht überzogen war. Die Haut war fast weiß und machte einen künstlichen Eindruck. Schwarze Augen schwammen in den Höhlen. Das Haar klebte an dem birnenförmigen Schädel und wirkte wie aufgemalt.
Am grauenhaftesten aber war der grinsende Mund, der dem Maul eines Haifischs glich. Die beiden Gebisshälften sahen aus, als ob sich das Ding zwei Sägeblätter in den Mund gestopft hätte.
In den Händen hielt es einen Feuerlöscher, von dessen unterer Kante Blut tropfte.
Luan Jins Blut!
»Wa...was ...?«
Sven Persson konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er wusste nicht, wen er ansehen sollte: Das Monster mit dem Feuerlöscher oder seinen Kollegen, der vor ihm auf dem Boden lag und schwer verletzt war, vielleicht sogar im Sterben lag.
Ich muss was tun, schoss es Persson durch den Schädel. Aber noch bevor er eine Entscheidung treffen konnte, traf ihn ein mörderischer Schlag an den Hals. Der Matrose verlor den Halt und stürzte. Die Maglite entglitt seinen Fingern und schepperte auf die Deckplatten.
Es gelang ihm noch ein letzter schlürfender Atemzug, dann wurde ihm die Luft abgeschnürt. Gleichzeitig fraß sich ein irrsinniger Schmerz durch die Kehle. Etwas Hartes, Unnachgiebiges wickelte sich um seinen Hals. Reflexartig griff Persson danach, um sich von dem Ding zu befreien.
Sven öffnete den Mund, wollte schreien, doch kein Laut kam über seine Lippen. Stattdessen füllte sich auch sein Rachen mit einer warmen, metallisch schmeckenden Flüssigkeit.
Mein Blut, dachte Persson und kippte auf den Rücken.
Eine gewaltige Kraft zerrte ihn über das Deck, ohne dass er das Geringste dagegen hätte unternehmen können. Svens Blickfeld trübte ein. Er nahm die Umgebung durch einen blutroten Schleier wahr, in die sich die aufgequollene Fratze eines Monsters schob, das mehr Ähnlichkeit mit einer Qualle als mit einem menschlichen Wesen hatte.
»Lecker Fleisch«, drang es blubbernd aus dem spaltförmigen Maul.
Oder war es nur Einbildung? Träumte er vielleicht nur? Trotz der wahnsinnigen Schmerzen schüttelte lautloses Gelächter Perssons Körper. Ein kurzer Ruck, und die Qualen in seiner Kehle steigerten sich explosionsartig und entfachten ein Feuerwerk, das den Matrosen in das nie endende Reich des Todes begleitete.
Bübchen löste die Knochenpeitsche vom aufgerissenen Hals des Opfers.
»Verdammter Idiot!«, schrie Cecil, obwohl er eigentlich mehr auf sich, als auf seinen Abkömmling wütend war. Er hätte wissen müssen, dass sich der Kretin nicht zurückhalten konnte.
Insgeheim bewunderte Cecil sogar die Geschicklichkeit, mit der Bübchen sein Mordinstrument handhabte.
»Der hier lebt noch, glaube ich«, sagte Ethel und beugte sich über den zweiten Mann, der weiterhin zuckte.
»Dann mach ein Ende!«, erklärte Cecil. Als ob es jetzt noch drauf ankäme.
Ethel hob den Feuerlöscher.
Bevor sie dazu kam, dem Leiden des Menschen ein Ende zu bereiten, reagierte Bübchen. Seine angestaute Wut entlud sich in mordlüsterner Raserei. Wieder kam die Knochenpeitsche zum Einsatz. Kreischend drosch er auf den Schwerverletzten ein, der nicht mal mehr in der Lage war, die Arme als Deckung vor das Gesicht zu heben.
Schon der erste Schlag zerfetzte es. Doch damit gab sich Bübchen nicht zufrieden. Wie von Sinnen prügelt er auf das Opfer ein, bis nicht mehr als ein Haufen rohes, in Fetzen gehülltes Fleisch übrig blieb, aus dem zersplitterte Knochen ragten.
Bübchen schleuderte die Peitsche zur Seite, wälzte sich auf die Leiche und stopfte sich das Fleisch mit beiden Händen in den Schlund.
Cecil ging neben dem zweiten Toten in die Knie. Seine Gedanken jedoch weilten in der nahen Zukunft. Vielleicht hatten sie ja Glück, und das Verschwinden der Seemänner schlug keine hohen Wellen. Und selbst wenn, bedeutete das noch lange nicht, dass Sinclair davon Wind bekam.
Morgen früh würde das Schiff ablegen, dann brauchten sie nur ein paar Tage die Füße stillzuhalten, bis sie am Ziel eintrafen. Sie befanden sich ja nicht zufällig auf dem Kutter.
Und auf hoher See kam es schließlich immer wieder vor, dass vereinzelt Menschen über Bord gingen. Wer dachte dabei schon an Ghouls?
»Verflixt, das darf doch nicht wahr sein! In vier Stunden legen wir ab, und die Flachpfeifen spielen hier verstecken, oder was?«
Gregory Potters Gesicht war hinter dem dichten Vollbart rot angelaufen. Die Adern an den Schläfen des Seebären traten dick hervor. Ein untrügliches Zeichen, dass er sich nur mühsam beherrschte. Daher wagte Derek Brill auch keinen Widerspruch. Er wusste ja, wie leicht Potter aus der Haut fuhr.
»Du weißt doch, wie Persson drauf ist«, murmelte er.
»Das ist noch lange kein Grund, seinen Posten zu verlassen.« Potter knurrte wie ein Rudel Wölfe. »Und Jin dabei noch irgendwelche Flausen in den Kopf setzen, oder was?« Er hob das Kartenspiel, das neben der halbvollen Zigarettenschachtel auf dem Schreibtisch lag, an. »Aber das werde ich diesem Kerl schon austreiben. Wenn er Spielchen spielen will, soll er das haben. Dann kann er gleich in Stockholm bleiben, wenn wir dort sind.«
Brill verkniff sich die Bemerkung, dass er das sowieso tun würde. Der Rotationsplan sah nach vier Wochen Dienst sieben Tage Urlaub vor.
Im Gegensatz zu dem vermissten Kollegen wusste Derek jedoch, wann man am besten die Backen hielt.
Potter drehte sich um und schob den Matrosen mit seinem vorstehenden Bauch, über den sich ein grauer Wollpullover spannte, aus dem Bereitschaftsraum. Um den Hals trug der Chefmechaniker wie immer seine Lesebrille.
»Und was machen wir jetzt?«
»Na was schon? Wir setzen die Inspektion fort. Aber eines sage ich dir, Derek. Wenn ich die beiden erwische, wie sie sich gegenseitig die Eier kraulen, dann setzt es was. Dann trete ich denen so fest in den Hintern, dass wir sie in Kopenhagen wieder einsammeln können.«
Derek Bill nickte bloß. Was sollte er auch dazu sagen? Außer vielleicht, dass Sven Persson alles Mögliche sein mochte, aber gewiss keiner, der seine Pflicht vergaß. Abgesehen davon, dass er Frau und Kinder hatte und sich bestimmt nicht für Jins Eier interessierte.
Doch das war nun mal Potters Art, Dampf abzulassen. Leider war es mit seiner Stimmung in den letzten Monaten stetig bergab gegangen, seit seine Frau die Scheidung eingereicht hatte. Dass sie dies nicht aus einer Laune heraus getan hatte oder weil sie in die Wechseljahre kam, war jedem an Bord sofort klar gewesen. Jedem außer Gregory Potter.
Dabei war er der Einzige an Bord, der seine Angetraute persönlich kannte.
Die Besatzung aber kannte Potter, und das reichte vollkommen. Warum sollte eine lebenslustige Frau daheim sitzen und warten, bis ihr griesgrämiger Gatte nach Hause kam, um sich eine Woche lang vor dem Fernseher oder an einem Tresen mit Bier volllaufen zu lassen?
Die Kinder waren längst aus dem Haus, und so hatte Mrs. Potter das einzig Richtige getan. Ohne Rücksicht auf Verluste im Allgemeinen und Greg im Speziellen. Irgendwie tat er Derek ja leid.
Der Matrose kannte seinen Chef-Mechaniker lange genug, um zu wissen, wie sehr er litt. Statt dies jedoch zuzugeben, ließ er es an den Kollegen aus.
»Was ist?«, bellte Potter. »Willst du da festrosten, oder kommst du heute noch mal in die Gänge?«
»Komm ja schon.«
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