John Sinclair 2254 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2254 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Kalt fegte der Wind von der Ostsee her über die Schären bis nach Stockholm. Er brachte nicht nur den typischen Geruch des Meeres mit sich, er wühlte auch das Wasser auf, das in hohen Wellen gegen den Landungssteg klatschte.
Leichter Nieselregen fiel aus den tief stehenden Wolken auf das Fahrzeug, das unweit des Piers von Frihamnen im Schatten einer Lagerhalle parkte. Zwei Personen saßen in dem Wagen und warteten auf das Einlaufen eines Schiffs.
"Hoffentlich kommt Ihre Golden Star bei diesem Wetter überhaupt in den Hafen." Alva Simonis ließ die einen Spaltbreit geöffnete Fensterscheibe herabsurren und schnippte die Zigarettenkippe ins Freie.
"Darüber mache ich mir keine Sorgen", erwiderte ihr Begleiter, der sich mehr für das Hafengelände als das Meer interessierte.
"Sondern?"
"Über diejenigen, die das Schiff erwarten."


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Inhalt

Cover

Die Leichenfresser von Stockholm

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Die Leichenfresser von Stockholm

von Ian Rolf Hill

Kalt fegte der Wind von der Ostsee her über die Schären bis nach Stockholm. Er brachte nicht nur den typischen Geruch des Meeres mit sich, er wühlte auch das Wasser auf, das in hohen Wellen gegen den Landungssteg klatschte.

Leichter Nieselregen fiel aus den tief stehenden Wolken auf das Fahrzeug, das unweit des Piers von Frihamnen im Schatten einer Lagerhalle parkte. Zwei Personen saßen in dem Wagen und warteten auf das Einlaufen eines Schiffs.

»Hoffentlich kommt Ihre Golden Star bei diesem Wetter überhaupt in den Hafen.« Alva Simonis ließ die einen Spaltbreit geöffnete Fensterscheibe herabsurren und schnippte die Zigarettenkippe ins Freie.

»Darüber mache ich mir keine Sorgen«, erwiderte ihr Begleiter, der sich mehr für das Hafengelände als das Meer interessierte.

»Sondern?«

»Über diejenigen, die das Schiff erwarten.«

»Sie haben mir noch immer nicht verraten, wer oder was sich an Bord der Golden Star befindet, das von solch großem Interesse für Viklund sein könnte.«

Suko legte die Stirn in Falten. »Ich bin sicher, dass ich das getan habe.«

Alva Simonis nickte. »Sicher, Sie haben mir von einer Familie namens Millweard erzählt und irgendeine Geschichte aufgetischt, dass sie zur alten Garde der Cosa Nostra gehört, die vor den Russen Reißaus nimmt.«

»Reicht das nicht?«

Die Kommissarin schüttelte den Kopf. Eine steile Falte entstand über ihrer Nasenwurzel. »Nein, verdammt, das reicht nicht. Wenn es nur um ein paar interne Querelen ginge oder sie Angst hätten, dass Viklund Ihnen ein paar Kronzeugen vor der Nase wegschnappt, hätten sie über Europol einen Haftbefehl erwirkt, und wir hätten die Millweards einkassiert.« Sie nahm die Wasserflasche aus der Mittelkonsole, schraubte sie auf und trank einen Schluck. »Aber es erklärt nicht, warum sich extra ein Inspektor von Scotland Yard hierher bemüht.«

»Das müssten Sie schon meine Vorgesetzen fragen«, wich Suko aus.

»Ach, kommen Sie, Inspektor. Lassen wir doch die Spielchen. Ich habe mich über Sie erkundigt.«

»Das ist Ihr gutes Recht. Hätte ich an Ihrer Stelle auch getan.«

»Wissen Sie, was ich herausgefunden habe?«

»Nein, aber Sie werden es mir bestimmt gleich verraten.«

»Sie sind Mitglied einer Spezialabteilung.«

Suko seufzte. »Leugnen hat wohl keinen Zweck, wie?«

Alva grinste schmallippig. »So ist es. Es ist eine recht kleine Spezialabteilung. Außer Ihnen gehört eigentlich nur noch eine Person dazu. John Sinclair.«

»Zumindest was die Front betrifft«, schränkte Suko ein.

»Genau. Sagt Ihnen der Name Björn Karlsson etwas?«

»Nein, sollte er?«

»Hätte ja sein können. Björn ist ein Kollege von mir. Er wäre wohl selbst gekommen, wenn er an diesem Abend keine privaten Verpflichtungen gehabt hätte. Björn hat vor einigen Jahren mit Ihrem Kollegen Sinclair zusammengearbeitet.«

Suko wandte Alva den Kopf zu. Das Gesicht seiner Kollegin lag halb im Schatten. Nur die linke Seite wurde vom Licht der Hafenbeleuchtung angestrahlt. Alva hatte dichtes brünettes Haar, das wellig auf die Schultern fiel, und ausdrucksstarke Brauen. Ihr Mund hatte einen leicht verkniffenen Zug, wie er bei Menschen zu finden war, die oft frustriert waren und diesen Frust in sich hineinfraßen.

Fieberhaft überlegte der Inspektor, bei welchem Fall das gewesen sein mochte. Sie hatten bislang nicht oft in Schweden oder Stockholm zu tun gehabt. Und wenn es um Auslandseinsätze ging, mussten sie oft allein reisen.

Ihr letzter gemeinsamer Fall lag schon einige Jahre zurück. Damals hatten sie auf den Schären vor Stockholm Strigus, den Anführer der Bluteulen, gejagt und vernichtet, mit den Behörden aber nur am Rande zu tun gehabt.

»Damals ging es um versteinerte Menschen in einem Bordell ...«

»Gibt es die überhaupt noch bei Ihnen?«, fragte Suko nicht ohne Grund.

Schließlich galt Schweden als eines der fortschrittlichsten Länder im Kampf gegen Zwangsprostitution. Das Gesetz des Prostitutionsverbots, das 1998 in Kraft getreten war, wurde nicht umsonst als schwedisches Modell bezeichnet. Es beinhaltete nichts anderes, als dass Freier für den Kauf von Sex strafrechtlich verfolgt werden konnten, ohne die Frauen in Misskredit zu bringen.

»Natürlich«, erwiderte Simonis bitter. »Prostitution mag nicht mehr legal sein, doch Sexarbeit und Einschüchterungen gibt es auch weiterhin. Um Freier festzunehmen, bedarf es einer Anzeige. Wo kein Kläger, da kein Richter. Genau da setzen die Syndikate an. Ein Problem wird nicht durch Gesetze aus der Welt geschafft. Wäre das so einfach, bräuchte man schließlich keine Polizei mehr.«

»Da haben Sie zweifelsohne recht«, erwiderte Suko geistesabwesend.

Seine Gedanken waren längst weitergeschweift. Versteinerte Leichen deuteten auf die Medusa hin, die Gorgone aus der griechischen Mythologie, die Schlangen anstelle von Haaren trug und allein durch ihren tödlichen Blick Menschen in Stein verwandeln konnte.

Und plötzlich machte es »klick« bei Suko.

John hatte ihm von dem Fall erzählt, und er hatte auch den Bericht gelesen, in dem es um eine männliche Medusa gegangen war, die sich einen mörderischen Kampf mit den Bluteulen geliefert hatte, die Schweden als ihr Hoheitsgebiet betrachtet hatten und nicht gewillt gewesen waren, schwarzmagische Konkurrenz zu dulden.

Mister Medusa und die Strigen waren Geschichte, die Ghouls hingegen nicht. Genau deshalb war Suko ja nach Stockholm geflogen. Bei den Millweards handelte es sich tatsächlich um eine Sippe von Leichenfressern, die für die Londoner Mafia nicht nur Leichen entsorgt, sondern auch Häuser geräumt und andere Drecksarbeiten erledigt hatte.

Durch Zufall war Bill Conolly ihnen auf die Spur gekommen und in die Falle gelaufen. Gemeinsam mit John hatte Suko den Reporter befreien und die Ghouls vernichten wollen, was ihnen nur zum Teil geglückt war. Drei Mitgliedern der Sippe war die Flucht gelungen, darunter ihrem Anführer Cecil Millweard.*

Auf dem Kreuzfahrtschiff Golden Star hatten sie Unterschlupf gefunden, das bereits am nächsten Tag mit dem Endziel Stockholm ausgelaufen war. Dass sich die Ghouls nicht zufällig an Bord befunden hatten, hatten John Sinclair, Glenda Perkins und die Conollys feststellen müssen, als das Kreuzfahrtschiff die Ostsee erreichte.

Dort hatten die in die Enge getriebenen Ghouls kurzerhand die Brücke gekapert und das Schiff zu einer bestimmten Stelle dreißig Seemeilen vor den Schären gelenkt. Dort war es zu sonderbaren Vorfällen gekommen. Ein türkisfarbenes Licht war unter Wasser aufgeleuchtet, als wäre dort ein UFO ins Meer gestürzt. Kurz darauf war Nebel aus der Tiefe emporgestiegen.

Allerdings kein gewöhnlicher Nebel. Es war der gefürchtete Todesnebel vom Planeten der Magier gewesen, der drei Opfer gefordert hatte, ehe es John Sinclair gelungen war, ihn mit Hilfe des Kreuzes zu vertreiben.*

Das hatte Suko kurz nach seiner Landung von dem Geisterjäger via Telefon erfahren. Der wiederum war aus allen Wolken gefallen, als Suko ihm von seinem Treffen mit Frederick Beauchart erzählt hatte. Das Gespräch mit dem Mafioso war zwar nicht besonders erhellend gewesen, die Textnachricht, die er Suko wenig später geschickt hatte, dafür umso mehr.

Sie hatte nur aus drei Worten bestanden: Gunnar Viklund, Stockholm.

Diesen Namen hatte auch Cecil Millweard gerufen, kurz bevor ihn die Magie des Kreuzes in Asche verwandelt hatte.

Hinter dem türkisfarbenen Licht und dem Todesnebel vermutete John Sinclair nichts anderes als ein Fragment vom Planeten der Magier, das vor Jahrtausenden in die Ostsee gestürzt sein musste.

Und dieser Planet war wiederum die Geburtsstätte der Ghouls.

Berücksichtigte man die Tatsache, dass ihr damaliger Herr und Meister Xorron, ein Günstling von Pandora gewesen war, der Figur aus der griechischen Mythologie, die durch ihre Unheilsbringer die Russenmafia kontrollierte, die wiederum Frederik Beauchart an der Kandare hielt, gewann diese Information zusätzlich an Brisanz.

»Worüber denken Sie nach, Inspektor?«

Suko lächelte. »Über versteinerte Leichen und griechische Mythologie.«

»Die Medusa.« Alva Simonis nickte und klopfte eine neue Zigarette aus der Schachtel. »Ich muss gestehen, es fiel mir immer schwer, diese Geschichte zu glauben.«

»Das kann ich Ihnen nicht verübeln.«

Sie lächelte. »Aber wir sitzen doch nicht hier, weil sich an Bord der Golden Star eine Frau mit Schlangenhaaren aufhält.«

»Nein, die Millweards gehörten einer anderen Gruppierung an.«

»Gruppierung«, echote Alva. »Wenn ich das schon höre.« Die Kippe zwischen ihren Zähnen wippte auf und ab. »Mein lieber Inspektor Suko, finden Sie nicht, dass Sie es mir schuldig sind, die Wahrheit zu sagen? Wenn ich mir schon die halbe Nacht mit Ihnen um die Ohren schlage?«

»Würde Sie es mir glauben, wenn ich sage, dass die Millweards Dämonen von einem fremden Planeten sind und Gunnar Viklund möglicherweise zu ihnen gehört?«

Die Kommissarin schnaubte. »Nein!«

Suko hob die Schultern. »Dann tut es mir leid, aber das ist die Wahrheit. Aber wenn Sie sich damit wohler fühlen, bleiben wir halt bei der Mafia-Story.«

Der Inspektor spürte, wie ihn Alva Simonis von der Seite musterte und dabei an ihrer Zigarette zog. »Sie sind ein merkwürdiger Mensch.«

»Das höre ich öfter. Wenigstens halten Sie mich nicht für verrückt.«

»Sie haben mich ja nicht aussprechen lassen.«

»Wenn Sie der Ansicht sind, dass ich ein Spinner bin, warum sind Sie dann hier?«

»Weil meine Vorgesetzten der Ansicht sind, dass wir Sie unterstützen sollen. Allein schon der internationalen Zusammenarbeit wegen. Außerdem nutzen wir gerne jede Gelegenheit, um Viklund auf die Finger zu klopfen.«

»Mehr kann ich wohl nicht verlangen. Aber ich wäre wirklich dankbar, wenn Sie die Zigarette ausmachen könnten.«

Alva stieß den Rauch in kleinen Wölkchen aus, als ihr Oberkörper von lautlosen Lachern geschüttelt wurde. »Verzeihung, ich wusste nicht, dass Sie so empfindlich sind.« Auch diese Kippe landete in einer Pfütze, wo sie mit einem leisen Zischen verlosch.

Suko schüttelte den Kopf. »Bin ich nicht, aber wir bekommen Besuch. Ich glaube, es geht los!«

Es waren zwei schwarze Limousinen, die lautlos auf den Pier rollten und erst dicht vor den Pollern stoppten. Die Lichter erloschen, mehr geschah zunächst nicht. Niemand stieg aus, und da die Scheiben getönt waren, konnten sie auch nicht erkennen, wie viele Personen in den Fahrzeugen saßen.

»Woher weiß Viklund eigentlich, dass die Golden Star schon jetzt in den Hafen einläuft?«, fragte Alva. »Offiziell wird sie doch erst in fünf Tagen erwartet.«

»Genau das ist die Frage, die ich ihm gerne persönlich stellen würde. Ich gehe mal davon aus, dass es den Millweards gelungen ist, irgendwie Kontakt mit Viklund aufzunehmen.«

»Und was ist mit ihrem Londoner Kontaktmann?«

»Beauchart wusste bei unserem Gespräch nichts davon, dass die Golden Star gekapert und von ihrem Kurs abgebracht wurde.«

»Also schön. Was machen wir jetzt?«

»Wir warten.«

Suko hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sich die Türen eines der beiden Fahrzeuge öffneten. Vier auffällig unauffällig gekleidete Männer stiegen aus. Zwei von ihnen trugen Hüte, einer war kahlköpfig, der andere hatte eine regelrechte Mähne aus Rastalocken.

Der Inspektor kannte solche Typen zur Genüge. Es waren die Leibwächter sogenannter Geschäftsmänner, die ständig um ihr Leben bangten. Die Männer schwärmten aus, vermutlich um die Umgebung zu sichern.

Unwillkürlich rutschten Suko und Alva tiefer in die Sitze, sodass sie nur noch knapp über das Armaturenbrett hinwegspähen konnten.

»Um wie viel wetten wir, dass in dem anderen Wagen Viklund sitzt?«, wisperte Alva.

»Da ich die Wette vermutlich verlieren würde, um gar nichts.«

Die Kommissarin griff vorsichtig in die Innentasche ihres Blazers. Als die Hand wieder zum Vorschein kam, schimmerte etwas Weißes zwischen den Fingern.

»Kurbeln sie mal Ihre Lehne nach hinten«, murmelte sie und tat dasselbe mit ihrem Sitz. Suko befolgte die Anweisung. Er beobachtete, wie sich Alva das weiße Oval zwischen die Zähne schob.

Er sah noch, wie sich ein Schatten dem Wagen näherte, und griff bereits nach der Beretta.

Er kam nicht mehr dazu, die Waffe zu ziehen, denn Alva wälzte sich kurzerhand über ihn und presste ihm die Lippen auf den Mund. Er schmeckte frischen Pfefferminzatem.

Suko versteifte sich und drückte Alva reflexartig zurück. »Was, zum Teufel, ist in Sie gefahren?«

Sie funkelte ihn an. »Tun Sie wenigstens so, als ob es Ihnen Spaß machen würde.«

»Nicht nötig«, keuchte Suko, als er ihre Lippen an seinem Hals spürte. »Der Knabe ist abgezogen.«

»Na, sehen Sie?« Alva richtete sich auf und stellte ihren Sitz wieder in eine aufrechte Position. Ebenso wie Suko.

»Ich sehe vor allem, dass der Wagen mit Viklund gerade die Kurve kratzt.«

Alva fluchte. »Verdammt. Der Kerl hat Lunte gerochen.«

Das Dröhnen eines Schiffshorns hallte über den nächtlichen Hafen.

»Und da kommt auch schon Ihre Golden Star.« Von links schob sich der Bug des Kreuzfahrtschiffs an den Schäreninseln Fjäderholmarna vorbei auf den Hafen Frihamnen zu. Es war der erste von insgesamt vier Hafenterminals, die für Kreuzfahrtriesen zur Verfügung standen.

Suko schnaubte. »Wenn das meine Golden Star wäre, würde ich bestimmt nicht hier sitzen.«

»Charme ist nicht gerade Ihre Stärke, was?«

Der Inspektor verzog die Lippen. »So war das nicht gemeint. Aber bei Ghouls vergeht mir jeglicher Charme.«

»Ghouls. So nennen Sie die Außerirdischen?«

»Es sind keine ... ach, vergessen Sie es.« Suko wollte noch mehr sagen, doch da setzte sich auch die Limousine in Bewegung und rollte lautlos von dannen.

Dieses Mal war es der Inspektor, der einen leisen Fluch ausstieß.

»So viel dazu, Viklund an den Eiern zu kriegen.«

Suko antwortete nicht, sondern stieß die Wagentür auf.

Frische Luft fuhr in das Innere und brachte auch ein paar Regentropfen mit, die sich kühl auf die erhitzte Haut legten. Der unerwartete Überfall von Alva Simonis hatte ihn ein wenig aus der Spur gebracht. Der Inspektor überlegte, ob er Shao davon erzählen sollte, entschied sich aber dagegen. Schließlich war es nur ein Kuss aus reinem Pragmatismus gewesen. Weder ihm noch Alva hatte er etwas bedeutet.

»Wo wollen Sie hin?«

»Die Golden Star in Empfang nehmen. Beziehungsweise meine Freunde. Kommen Sie mit, dann lernen Sie John Sinclair persönlich kennen. Aber stecken Sie ihm nicht gleich die Zunge in den Hals, wir Engländer sind etwas prüde.«

»Hab ich bemerkt«, erwiderte Alva und stieg nun ebenfalls aus. Nebeneinander traten sie an den Pier und warteten auf das Kreuzfahrtschiff, das sich langsam aber sicher näher schob.

»Vielleicht sollten Sie Ihre Kollegen benachrichtigen«, schlug Suko vor. »Soviel ich weiß, gab es mehrere Tote an Bord, sowie einige Verletzte.«

»Gute Idee«, bestätigte Alva und drehte sich um. Aus dem Augenwinkel bekam Suko mit, wie sie abrupt stehen blieb, so als wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt.

Im selben Augenblick rieselte es ihm kalt über den Rücken. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. Suko hörte die Schritte mehrerer Männer sowie das charakteristische Klicken von halbautomatischen Waffen.

»Suko!«

»Ich hab's gehört«, raunte der Inspektor und überlegte, ob er nach dem Stab des Buddha greifen sollte. Er entschied sich dagegen. Die Bewegung hätte leicht missverstanden werden können.

Außerdem wusste er nicht, mit wie vielen Gegnern er es zu tun hatte.

»Pfoten hoch und ganz langsam umdrehen.« Der Mann hatte Englisch gesprochen. Anscheinend wusste er, mit wem er es zu tun hatte. An einen Zufall wollte Suko nicht glauben.

Es war eine Falle gewesen.

»Wird's bald?«

Ein letzter Blick auf die Golden Star, dann befolgt Suko den Befehl. Mit erhobenen Händen drehte er sich um und blickte in die Mündungen zweier Pistolen. Zwei weitere waren auf Alva Simonis gerichtet. Jeweils einer der beiden Schützen trat auf die Polizisten zu, ohne ihren Kumpanen in die Schusslinie zu geraten.

Suko spannte die Muskeln. Jeden Augenblick rechnete er mit einem Schlag, der ihm das Bewusstsein rauben sollte. Doch die Gangster tasteten sie lediglich nach Waffen ab und wurden fündig. Sogar die Dämonenpeitsche erregte Aufmerksamkeit.

»Was ist das?«, fragte der Ganove und hielt ihm den röhrenförmigen Griff unter die Nase.

»Ein Glücksbringer.«

»Sieht mir eher nach einem Teleskopschlagstock aus.«

»Wie Sie meinen.«

Der Gangster, der Suko gerade mal bis zum Kinn reichte, machte eine schlenkernde Armbewegung, doch es passierte nichts. Er warf dem Inspektor einen mürrischen Blick zu, der nur die Schultern hob. Der Knabe fasste das wohl als Provokation auf, denn er rammte das Ende der Peitsche mit voller Wucht in Sukos Magen.

Der hatte den Schlag längst kommen sehen, als der Mafioso noch nicht mal dran gedacht hatte. Die Röhre prallte gegen die gespannten Bauchmuskeln. Suko verzog keine Miene.

»Ich sagte doch«, erwiderte er. »Ein Glücksbringer.«

»Lass den Scheiß, Ole«, rief der Hüne mit der Rastamähne. »Du kannst dich später noch damit befassen.« Er trat zur Seite und wedelte mit der Pistole. »Kommen Sie, Inspektor Suko, Kommissarin Simonis. Begleiten Sie uns ein Stück.«

Stockholm!

Eine der schönsten Städte Europas, vielleicht sogar der gesamten Welt, lag vor dem Bug der Golden Star und empfing uns mit einem Meer aus Lichtern, die trotz des diesigen Wetters meilenweit zu sehen waren.

Wir hatten die Schären hinter uns gelassen. Die Erinnerungen an die Strigen wurden in mir ebenso wach, wie an Mister Medusa und meinen sympathischen Kollegen Björn Karlsson.

Vielleicht würde er mich sogar zusammen mit Suko begrüßen, der ebenfalls nach Stockholm geflogen war, weil er, wie wir auch, der Meinung war, dass der Fall mit der Vernichtung der Millweards noch nicht abgeschlossen war.

Die letzten Worte des Sippenoberhaupts Cecil hatten sich wie mit einem glühenden Eisen in mein Gedächtnis gebrannt: »Du wirst es nicht schaffen, Sinclair. Wenn ich dich nicht erledige, wird es Viklund tun. Oder Pandora.«

Vor allem der zuletzt genannte Name ließ bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen. Und das nicht erst, seit sie sich als Verbündete von Rasputin und Chandra geoutet hatte. Es lag bereits einige Jahre zurück, da hatte sie uns zusammen mit Xorron das Leben schwergemacht und eine Seuche biblischen Ausmaßes über die Bewohner eines schottischen Dorfes gebracht.

Pandora war keine Dämonin im engeren Sinne. Ich würde sie auch nicht als Göttin einstufen. Eigentlich wussten wir so gut wie gar nichts über sie, außer, dass sie brandgefährlich und unberechenbar war.

Den Namen Unheilsbringerin trug sie jedenfalls nicht umsonst.

»Gleich haben wir es geschafft, Mister Sinclair.« Ich nickte zu den Worten des Mannes, der neben mir auf der Brücke stand. Er hieß Arne Dahlberg, war flachsblond und nervös.

Was nicht verwunderlich war. Er hätte wohl im Traum nicht damit gerechnet, so schnell das Kommando über das Schiff zu bekommen, nachdem nicht nur der Kapitän ums Leben gekommen war, sondern auch der Erste und Zweite Offizier.

Zum Glück war Dahlberg in der Lage das Schiff zu steuern, sodass wir kein Personal anfordern mussten, das erst mit einem Hubschrauber an Bord hätte gebracht werden müssen. Wir konnten froh sein, dass die Verluste so gering geblieben waren. Außer vier Maschinisten und fünf Offizieren hatte es nur zwei Passagiere erwischt.