John Sinclair 2264 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2264 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Franka Caputo warf einen letzten Blick über die Schulter und vergewisserte sich, dass sich niemand außer ihr auf dem langgezogenen Flur aufhielt. Sie war allein. Langsam stieß sie den angehaltenen Atem aus und hakte die Schlüsselkarte von der Uniform, die sie schon von Weitem als Angehörige des Zimmerservice auswies.
Sie bot also keinen ungewöhnlichen Anblick, als sie sich der Tür der Suite mit schnellen Schritten näherte. Auffallend war lediglich, dass sie keinen Rollwagen mit Putzutensilien oder Handtüchern dabei hatte.
Aber Franka war schließlich auch nicht in ihrer Funktion als Zimmermädchen unterwegs. Was niemand ihrer Kolleginnen und Kollegen ahnte, war, dass sie noch einen zweiten Beruf ausübte.
Einen, dessen Aufgabenbereich nicht in erster Linie dem Broterwerb diente. Für sie war es eine heilige Mission. Denn Franka Caputo eine Agentin des Geheimdienstes des Vatikans.
Auch bekannt unter dem Namen "Die Weiße Macht"!


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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Liliths Liebling

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Liliths Liebling

von Ian Rolf Hill

Franka Caputo warf einen letzten Blick über die Schulter und vergewisserte sich, dass sich niemand außer ihr auf dem langgezogenen Flur aufhielt. Sie war allein. Langsam stieß sie den angehaltenen Atem aus und hakte die Schlüsselkarte von der Uniform, die sie schon von Weitem als Angehörige des Zimmerservice auswies.

Sie bot also keinen ungewöhnlichen Anblick, als sie sich der Tür der Suite mit schnellen Schritten näherte. Auffallend war lediglich, dass sie keinen Rollwagen mit Putzutensilien oder Handtüchern dabei hatte.

Aber Franka war schließlich auch nicht in ihrer Funktion als Zimmermädchen unterwegs. Was niemand ihrer Kolleginnen und Kollegen ahnte, war, dass sie noch einen zweiten Beruf ausübte.

Einen, dessen Aufgabenbereich nicht in erster Linie dem Broterwerb diente. Für sie war es eine heilige Mission. Denn Franka Caputo war eine Agentin des Geheimdienstes des Vatikans.

Auch bekannt unter dem Namen »Die Weiße Macht«!

Gerade deshalb war Vorsicht geboten.

Sollte Bianco herausfinden, dass sie sich außerhalb ihrer Dienstzeit Zugang zum Zimmer eines Gastes verschaffte, würde sie Ärger bekommen. Mächtigen Ärger. Und nicht nur vom Personalchef der Residenza Paolo, einem der exklusivsten und renommiertesten Hotels am Platz, sondern auch von ihrem Vorgesetzten innerhalb der Weißen Macht.

Bianco würde sofort argwöhnen, dass sie die Bewohner der Suite berauben wollte, und ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als diesen Verdacht zu bestätigen. Allein, um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen.

Für die Weiße Macht hätte dies jedoch zur Folge gehabt, dass sie jemand Neues rekrutieren musste, der für sie in der Residenza Paolo die Augen offen hielt.

Andererseits bezweifelte Franka ernsthaft, dass sie die einzige Spionin des Vatikans hier war. Das Boutique-Hotel verfügte zwar nur über fünfunddreißig Gästezimmer, aber sie war schließlich auch nicht rund um die Uhr im Dienst.

Dummerweise konnte sie sich niemandem anvertrauen. Hätte sie gewusst, wer aus der Belegschaft eventuell noch für die Weiße Macht arbeitete, hätten sie sich austauschen können. So aber war sie auf sich allein gestellt.

Sie hätte natürlich ihren Kontaktmann im Vatikan informieren können, doch dazu bestand für Franka keinerlei Anlass. Zumindest noch nicht.

Die Order war eindeutig. Solange kein konkreter Verdacht bestand, dass dem Heiligen Stuhl Gefahr drohte, war unbedingte Funkstille zu wahren. Also hatte Franka beschlossen, das zu tun, wofür man sie angeworben hatte: Informationen sammeln.

Womöglich war es tatsächlich nur falscher Alarm.

Rom war ein Touristenmagnet sondergleichen, von dem noch immer Tausende Besucher aus aller Welt angezogen wurden. Darunter auch zahlreiche alleinstehende Mütter mit ihren Kindern.

Obwohl die Abwesenheit eines Mannes ja nicht automatisch bedeutete, dass Arianne Lippert alleinerziehend war. Bemerkenswert war lediglich der Umstand, dass sie mit ihrer Tochter ausgerechnet in der Residenza Paolo abgestiegen war. So exklusiv das Hotel war, so wenig geeignet schien es für Kinder zu sein.

Das allein war es jedoch nicht, was Frankas Misstrauen geweckt hatte. Es war die Mieterin selbst, deren Verhalten der jungen Bediensteten aufgefallen war. Franka hatte lange überlegt, bis ihr der passende Begriff eingefallen war: distinguiert.

Ja, sie konnte Signora Lipperts Auftreten nur als distinguiert bezeichnen.

Nie im Leben wäre Franka auf die Idee gekommen, dass Arianne die Mutter der entzückenden Maria war. Höchstens ihr Kindermädchen. Doch welche Eltern schickten ihr Kind, bitte schön, allein mit ihrer Amme in ein Boutique-Hotel am Rande des Vatikans?

Abgesehen davon, dass die Anmeldung an Eindeutigkeit kaum zu übertreffen war.

In der Suite Nummer sechs, mit Blick auf die Basilika Sankt Peter und den Apostolischen Palast, residierten Mutter und Tochter. Und dennoch ... irgendetwas stimmte mit den beiden nicht, und das bezog Franka nicht auf die fehlende Familienähnlichkeit.

Arianna Lipperts Teint als vornehme Blässe zu bezeichnen, wäre eine glatte Untertreibung gewesen. Diese Frau war bleich wie ein Laken!

Kein Wunder, dass sie sich kleidete wie der Unsichtbare in dem gleichnamigen Filmklassiker aus dem Jahre 1933, nach dem Roman von H. G. Wells. Fehlten eigentlich nur noch die Bandagen.

Vielleicht eine Sonnenallergie, hatte eine von Frankas Kolleginnen gemutmaßt. Natürlich war auch dem restlichen Personal das sonderbare Verhalten nicht verborgen geblieben. Es bot eine formidable Quelle für allerlei Tratsch und Klatsch.

So nahmen Mutter und Tochter ihre Mahlzeiten ausschließlich auf dem Zimmer ein, wobei die Mengen, die sie vertilgten, gerade mal für das Mädchen ausreichen dürften.

Darüber hinaus hatte Signora Lippert ausdrücklich darauf bestanden, dass niemand in ihrer Abwesenheit das Zimmer betrat. Schon allein das machte sie in Frankas Augen verdächtig.

Eines stand für Franka Caputo einwandfrei fest: Arianna und Maria Lippert hatten etwas zu verbergen! Was das war, darauf hoffte die Agentin zumindest einen Hinweis in der Suite zu finden.

Schnell und unauffällig hielt sie die Schlüsselkarte an den Transponder und lauschte dem leisen Klicken, mit dem die Verriegelung aufschnappte. Franka drückte die Tür auf und schlüpfte lautlos in die Suite.

Ihr Herz übersprang vor Schreck einen Schlag, als sie im Halbdämmer des engen Korridors eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Sie konnte gerade noch einen Aufschrei unterdrücken und schalt sich im Stillen für ihre Schreckhaftigkeit.

Wie lange arbeitete sie jetzt schon als Zimmermädchen in diesem Haus? Sechs Jahre? Und trotzdem erschrak sie vor ihrem eigenen Abbild, das sich in dem mannshohen Spiegel hinter der Tür abzeichnete. Deutlich konnte Franka die fahle Blässe unter ihrer gebräunten Haut erkennen. Ihre ausdrucksstarken Brauen verrieten ihre italienische Herkunft.

Die Gäste mochten das. Vor allem die Männlichen. Und es mangelte Franka gewiss nicht an mehr oder weniger eindeutigen Angeboten. Selbst Heiratsanträge hatte sie schon bekommen, von denen ihr Verlobter Massimo aber nicht wusste und von denen er auch niemals erfahren durfte.

Er war furchtbar eifersüchtig und hätte ihr auf der Stelle verboten, hier zu arbeiten. In mancherlei Hinsicht war er nicht nur konservativ, sondern darüber hinaus entsetzlich altmodisch.

Aber wer hätte es ihm verraten sollen?

Auch von ihrem kleinen Nebenverdienst wusste er nichts. Franka konnte Geheimnisse gut für sich behalten. Eine Grundvoraussetzung für ihren Job als Informantin des Vatikans.

Selbst wenn sie ihm davon erzählte, würde Massimo sie vermutlich nur schallend auslachen und sie für ihre lebhafte Fantasie loben. Eine Frau, die für den Vatikan ermittelte, so etwas passte nicht in das Weltbild bestimmter Männer, zu denen leider auch ihr Verlobter zählte.

Franka vermutete, dass dies einer der Gründe war, weshalb man sie rekrutiert hatte.

Wütend über sich selbst, schüttelte die Fünfundzwanzigjährige den Kopf.

Bleib bei der Sache, tadelte sie sich.

Nur langsam beruhigte sich ihr heftig klopfendes Herz. Ihre Fingerspitzen fühlten sich eiskalt an. Tief atmete sie durch die Nase ein und zog die Schuhe aus, damit die Absätze keine unnötigen Geräusche auf dem Parkett verursachten.

Mit den Schuhen in der Hand warf sie einen Blick in das geräumige Bad. Es war leer.

Natürlich ist es leer, dachte Franka und hätte fast mit den Augen gerollt. Sie hatte extra darauf gewartet, bis Mutter und Tochter die Suite verlassen hatten.

Franka wollte sich bereits abwenden, als sie unvermittelt innehielt. Ihr war etwas aufgefallen. Es war der Kulturbeutel neben dem Zahnputzbecher, aus dem eine Bürste ragte, die kaum länger als ihr ausgestreckter Zeigefinger war. Eine Kinderzahnbürste. Nichts Außergewöhnliches, wenn sie bedachte, dass in dieser Suite ein kleines Mädchen wohnte.

Bemerkenswert war jedoch, dass es die einzige Zahnbürste war. Auch ansonsten fand Franka nichts, was auf die Anwesenheit einer zweiten, älteren Person hingedeutet hätte. Weder Hygiene-Artikel noch Make-up.

Franka legte die Stirn in Falten. Der Drang, sich in dem Wohn- und Schlafbereich des geräumigen Zimmers umzusehen, wurde immer stärker. Hier stimmte etwas nicht, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Die junge Frau durchquerte den Flur und erreichte den Schlaf- und Wohnbereich der Juniorsuite, der in hellen, entspannungsfördernden Farben gehalten war. Das antike Mobiliar stand im krassen Kontrast zu dem modernen Flachbildfernseher auf dem kleinen Kühlschrank schräg gegenüber des voluminösen Doppelbetts. Eine goldfarbene Tagesdecke lag auf dem Bett. So akkurat glatt gezogen, wie es Franka nicht besser hätte machen können.

Überhaupt gab es kaum Hinweise darauf, dass die Suite bewohnt war. Bis auf die drei Dekobüsten, die auf dem antiken Schreibtisch standen. Der vordere Modellkopf war unbedeckt, auf den beiden anderen lagen Perücken. Eine bestand aus brünetten Strähnen, die Zweite aus weizenblonden Locken.

Franka hielt den Atem an. Sie wusste, welche Perücke fehlte, obwohl ihr erst jetzt klar wurde, dass es sich bei Arianne Lipperts schwarzem Pagenschnitt um künstliche Haare handelte. Tatsächlich hatte Franka sie nur zweimal ohne Hut oder Kopftuch gesehen.

Die junge Frau wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. War es nur ein Spleen oder litt Signora Lippert an einer schweren Erkrankung?

Womöglich Krebs!

Das würde nicht nur ihre Zurückgezogenheit erklären, sondern auch die Blässe und ihren mangelnden Appetit.

Aber würde man in einem solchen Fall Urlaub in Rom machen?

Nun, vielleicht war es der Wunsch ihrer Tochter gewesen, spekulierte Franka weiter. Ein letzter gemeinsamer Urlaub mit ihrer Mutter, bevor diese ...

Die Fünfundzwanzigjährige wagte den Gedanken nicht zu Ende zu spinnen. Ein dicker Kloß lag plötzlich in ihrer Kehle. Mit einem Mal kam sich Franka unsagbar töricht vor. Zudem meldete sich ihr schlechtes Gewissen, dieser armen Frau und ihrer nicht minder bedauernswerten Tochter, die hilflos mit ansehen musste, wie ihre Mutter langsam dahinsiechte, finstere Absichten unterstellt zu haben.

War möglicherweise der Wunsch Vater des Gedankens gewesen? Die Aussicht, endlich einer großen Sache auf der Spur zu sein? Vielleicht sogar einem Komplott, das gegen die heilige römische Kirche geschmiedet worden war?

Stattdessen stand sie im Zimmer einer todkranken Frau, die mit ihrer minderjährigen Tochter vermutlich den letzten Urlaub ihres Lebens verbrachte.

Franka biss sich auf die Unterlippe.

Am besten verließ sie die Juniorsuite so schnell wie möglich und tat so, als ob nie etwas gewesen wäre. Plötzlich war sie erleichtert darüber, noch keine Meldung erstattet zu haben. Sie wäre vor Scham im Boden versunken und hätte sich bis auf die Knochen blamiert.

Ein letzter Blick auf die Perücken.

Franka runzelte die Stirn. Aber merkwürdig war es doch. Wieso drei verschiedene Haarteile? Der Abwechslung wegen oder nur als bloßer Ersatz?

Komm, lass gut sein, dachte Franka und machte sich auf den Weg zum Ausgang.

Auf Höhe der Schrankwand blieb sie stehen und musterte erneut ihr Spiegelbild. Die Blässe des anfänglichen Schrecks war einer leichten Schamesröte gewichen. Das war jedoch nicht der Grund, für ihr plötzliches Innehalten.

Bevor sie die Suite verließ, wollte sie noch einen schnellen Blick in den Schrank werfen. Nur der Vollständigkeit halber. Wenn sie schon mal hier war, und damit sie sich hinterher keine Vorwürfe zu machen brauchte.

Obwohl der Großteil des Wohn- und Schlafbereichs der Suite von einem weichen Teppich bedeckt war, behielt Franka die Schuhe in der Hand. Ihre bestrumpften Füße versanken millimetertief im Flor.

Das Zimmermädchen lauschte dem leisen Schaben, als sie die verspiegelte Tür zur Seite schob. Franka blieb die Luft weg. Der Schrank war vollgestopft mit Kleidung, die so aussah, als wäre sie erst vor Kurzem käuflich erworben worden.

Plötzlich erinnerte sich Franka an eine weitere Beobachtung, die Silvio vom Empfang gemacht hatte. Bei ihrer Ankunft hatten die Lipperts keinerlei Gepäck dabei gehabt. Abgesehen von einem pinkfarbenen Kinderrucksack.

Na schön, dachte Franka seufzend. Das ungleiche Pärchen ist wahrhaftig seltsam, aber mit Sicherheit keine Bedrohung für den Vatikan oder die Stadt Rom.

Abwesend schob sie die Kleider auf dem Bügel von einer Seite zur anderen. Sie stutzte. Ein eigentümlicher Geruch war an ihre Nase gedrungen. Irgendwie würzig und herb, mit einer süßlichen Note und dabei entfernt an das Aroma getrockneten Fleisches erinnernd.

Mit einem Schlag kehrte ihre Nervosität zurück.

Franka war sich sicher, dass der Geruch nicht von einem Stück Schinken herrührte, den Mutter und Tochter als Andenken für den zu Hause wartenden Ehegatten und Vater gekauft hatten.

Unwillkürlich lenkte Franka ihre Aufmerksamkeit in das Dunkel des Stauraumes zu ihrer Rechten. Dort lagen die Wolldecken für jene Bewohner, denen die Bettdecken trotz des warmen Klimas zu dünn waren. Darüber schimmerte es heller.

Frankas Puls begann zu rasen. Ihre Hände zitterten, als sie die Schiebetür wieder zurück- und die dahinterliegende zweite Tür ebenfalls zur Seite schob, um einen besseren Blick in den Stauraum werfen zu können.

Die Gardinen waren zwar zugezogen, doch die Vorhänge standen offen, sodass einiges von dem Sonnenlicht durch die Balkontür in den Schrank hineinsickern konnte. Nicht viel, aber auf alle Fälle genug, um das vertrocknete Antlitz einer mumifizierten Leiche aus der Finsternis zu reißen.

Franka hörte sich selbst würgen.

Im Reflex schlug sie sich die Hand vor den Mund. Die Schuhe rutschten ihr aus den Fingern und fielen auf den Teppich. Plötzlich wurden ihr die Knie weich. Der Raum fing an, sich zu drehen.

Das durfte nicht wahr sein!

Das war ein übler Scherz. Eine Attrappe, die jemand in den Schrank gestopfte hatte, um ... um was ...? Um das Servicepersonal, das den Raum nicht betreten sollte, zu erschrecken?

Frankas Gedanken überschlugen sich. Ruckartig drehte sie sich um, stützte sich am Schreibtisch ab und schloss die Augen.

Tief atmen, ermahnte sie sich. Ein und wieder aus. Beruhige dich. Keiner tut dir etwas. Die Lipperts sind unterwegs und die Leiche ... mein Gott ... die Leiche!

Allein die Vorstellung, dass hinter ihr im Schrank ein Toter hing, brachte Franka an den Rand des Wahnsinns. Sekundenlang blieb sie wie zu Stein erstarrt stehen. Und was sie kaum zu hoffen gewagt hatte, trat ein: Sie beruhigte sich tatsächlich.

Franka öffnete die Augen und blickte auf ihre lackierten Fingernägel, vor die sich jetzt wieder die mumifizierte Fratze des Toten schob, ähnlich einer altmodischen Doppelbelichtung.

Plötzlich musste Franka glucksen.

Mumifiziert!

Hinter ihr im Schrank hing eine Mumie, kein frisch Verstorbener.

Franka blinzelte. Ihr Blick fiel auf die drei Modellbüsten. Was ging hier vor sich? Hatte sie es mit Leichenräubern zu tun? Oder einer Art Kulturdiebin, die mit einem minderjährigen Mädchen als Alibi durch die Weltgeschichte jettete, um Mumien zu stehlen?

Warum eigentlich nicht?

Es gab ja für alles einen Markt. Mit Sicherheit auch für Mumien. Sei es für private Sammler mit obskuren Neigungen oder für irgendwelche Rituale.

Noch während Franka über ihren Fund nachgrübelte, kam ihr etwas in den Sinn, das ihr nur unbewusst aufgefallen war, aber in einem engen Zusammenhang mit der Mumie stand. Um sich zu vergewissern, musste sie sich die Leiche allerdings genauer ansehen.

Es fielen Franka auf Anhieb hundert Dinge ein, sie lieber getan hätte, doch sie war nun mal Mitarbeiterin eines Geheimdienstes, und als solche musste sie eben manchmal Dinge tun, die sie ansonsten gerne vermieden hätte. Trotzdem wünschte sie sich in diesen Augenblicken, dass man sie in irgendeiner Weise auf so etwas vorbereitet hätte.

Es kostete Franka einiges an Überwindung, sich umzudrehen. Aber erst nachdem sie das Zeichen des Kreuzes und ein kurzes Ave-Maria gebetet hatte, fand sie die innere Kraft dafür.

Auf dem Absatz drehte sie sich um, atmete tief ein und hielt die Luft an.

Ein schneller Schritt zum Schrank hinüber. Das ausgetrocknete Antlitz hing unverändert im Stauraum über den zusammengelegten Wolldecken.

Ja, der Tote hing.

Nur eben nicht an Seilen oder an einem Bügel von der Kleiderstange, sondern an dünnen Fäden, die sich um den eingeschrumpften Leib wanden und an den Innenseiten des Schrankes klebten. Als hätte jemand die Mumie eingesponnen.

Franka war noch dabei, eine vernünftige Erklärung für ihre Entdeckung zu finden, als draußen vor der Tür gedämpfte Stimmen erklangen.

Der jungen Frau rieselte es eiskalt über den Rücken. Hastig blickte sie sich um. Sie musste sich verstecken. Auf keinen Fall würde sie zu dem Toten in den Schrank steigen.

Das Türschloss schnackte, Panik übermannte sie. Franka wirbelte herum, dachte weder an die offene Schranktür noch an ihre auf dem Teppich liegenden Schuhe. Sie wollte bloß weg. Deshalb kam auch nicht das Bett als Unterschlupf infrage.

Frankas Blick fiel auf die Balkontür.

Das Zimmer lag im Hochparterre. Wenn sie sich am Geländer herunterbaumeln ließ, würde sie vielleicht noch anderthalb Meter überwinden müssen. Das war zu schaffen.

Ohne lange zu überlegen, rannte sie auf die Balkontür zu, schaufelte die Gardinen zur Seite und griff nach der Klinke.

Hinter ihr wurde die Tür geöffnet.

Noch schützte sie die Zimmerecke vor der Entdeckung. Noch konnte sie es schaffen, zu entkommen. Und dann nichts wie weg und ihren Kontaktmann im Vatikan informieren.

Franka riss die Balkontür auf, stürzte ins Freie und – blieb hängen!

Sie hatte das Gefühl, vor eine Gummiwand gelaufen zu sein. Oder hatte sie bloß das Fliegengitter übersehen?

Was denn für ein Fliegengitter?, dachte sie panisch. Da war doch überhaupt keine Gaze, nur dieser Widerstand, der sie daran hinderte, auf den Balkon hinauszutreten.

Ihr Körper federte sogar zurück, vermochte sich aber nicht von dem Widerstand zu lösen. Sie hing fest, wie ... wie in einem Spinnennetz!

Die Augen der jungen Frau weiteten sich vor Entsetzen, als sie die dünnen, fast durchsichtigen Fäden bemerkte, die ein dichtes Gespinst bildeten, gegen das sie geprallt war.

»Siehst du?«, vernahm sie hinter sich die schrille Stimme des Mädchens. »Ich hab dir doch gesagt, die hat was vor!«

Franka wollte den Kopf drehen, doch es gelang ihr nicht. Sie schaffte gerade mal neunzig Grad, ehe ihre festgeklebte Haare sie daran hinderten, einen Blick über die Schulter zu werfen.

Aber schon allein die Stimme des Mädchens genügte, um sie vor Angst und Entsetzen erschauern zu lassen. So sprach doch kein Kind!

Die Worte schepperten und klirrten, als würde jemand eine Konservendose mit Glasscherben darin schütteln.

»Mhm«, sagte ihre Mutter. »Du hattest recht. Gut aufgepasst.«

»Was machen wir jetzt mit ihr?«, fragte das Mädchen.