John Sinclair 2277 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2277 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Kein Land für Lebende!
Das waren die Gedanken des einsamen Mannes, als er zwischen den knorrigen Leibern verdorrter Bäume in Richtung des fahlen Lichts stapfte.
Seine Schritte erzeugten schmatzende Laute auf dem moderigen, zerfallenen Laub. Es bildete eine schwammige Masse, die den Gestank nach Fäulnis und Verwesung absonderte. Der Untergrund war weich und nachgiebig, aber trotzdem fest. Er fühlte sich nicht wie gewöhnlicher Waldboden an. Den Neuankömmling befiel der Eindruck, über Leichen zu schreiten.
Der Odem der Vergänglichkeit war allgegenwärtig.
Diese Welt atmete Trostlosigkeit und Verfall.
Sämtliche Zweifel, ob der Wanderer am richtigen Ort war, nahmen mit jedem Schritt ab. Nein, er war goldrichtig. Es war doch offensichtlich.
Hier regierte der Tod!


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Inhalt

Cover

Entführt in Hels Höllenwelt

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Entführt inHels Höllenwelt

(Teil 1 von 2)

von Ian Rolf Hill

Kein Land für Lebende!

Das waren die Gedanken des einsamen Mannes, als er zwischen den knorrigen Leibern verdorrter Bäume in Richtung des fahlen Lichts stapfte.

Seine Schritte erzeugten schmatzende Laute auf dem moderigen, zerfallenen Laub. Es bildete eine schwammige Masse, die den Gestank nach Fäulnis und Verwesung absonderte. Der Untergrund war weich und nachgiebig, aber trotzdem fest. Er fühlte sich nicht wie gewöhnlicher Waldboden an. Den Neuankömmling befiel der Eindruck, über Leichen zu schreiten.

Der Odem der Vergänglichkeit war allgegenwärtig.

Diese Welt atmete Trostlosigkeit und Verfall.

Sämtliche Zweifel, ob der Wanderer am richtigen Ort war, nahmen mit jedem Schritt ab. Nein, er war goldrichtig. Es war doch offensichtlich.

Hier regierte der Tod!

Der einsame Wanderer erreichte den Rand des Waldes, der von einem dichten Geflecht von ineinander verschlungenen Gewächsen umgeben war. Gekrümmte Dornen wucherten wie die Zähne von Sägeblättern auf den feucht schimmernden Strängen, zwischen denen weiße Fäden im Wind flatterten. Was auf den ersten Blick wie die Überreste von Spinnennetzen aussah, entpuppte sich als Haare.

Menschenhaare, die im Unterholz hingen, ihren vorherigen Besitzern gewaltsam entrissen.

Bei genauerem Hinsehen erkannte der Mann, dass es sich bei der Feuchtigkeit auf den schlingartigen Gewächsen um Blut handelte.

Wie viele Wanderer mochten schon versucht haben, zum Zentrum vorzustoßen, nur um vom Gestrüpp festgehalten, stranguliert und verdaut zu werden?

Ein spöttisches Lächeln legte sich auf die Lippen des Fremden, dessen Augen unvermittelt in einem blauen Licht aufflammten. Ein Knistern und Rascheln, Schaben und Knacken erklang. Plötzlich kam Bewegung in die verholzten Schlingpflanzen.

Sie zogen sich zurück, bildeten eine Gasse innerhalb des Dickichts und gewährten dem Neuankömmling freien Blick auf das fahle Leuchten, das den Eingang einer Höhle markierte.

Es glich dem Maul eines urzeitlichen Ungeheuers, dessen versteinerter Balg einem Gebirge gleich in den bleigrauen, sternenlosen Himmel ragte.

Auf dem Boden aber, dort wo eben noch das Unterholz gewuchert hatte, wimmelten und wanden sich die Leiber zahlloser, schwarz geschuppter Schlangen. Fahlblaue Spulwürmer ringelten sich inmitten hunderter winziger weißer Maden.

Das spöttische Lächeln auf den Lippen des Fremden verbreiterte sich zu einem zufriedenen Grinsen, das im selben Moment zu bröckeln begann, als er den nächsten Schritt tun wollte.

Es gelang ihm nicht. Sein rechtes Bein steckte fest.

Der Mann senkte den Blick und sah die bleichen Finger einer Hand, die sich wie Gewürm um den Schuh schlossen.

»Lass los!«, befahl der Fremde, und abermals leuchteten seine Augen in diesem kalten blauen Licht. Knackend sprangen die Finger von dem ledernen Schuhwerk, öffneten sich wie die Blätter einer Blüte, ohne dass er selbst Hand anzulegen brauchte.

Krachend zersplitterten die Knochen. Schließlich berührten die Kuppen das Erdreich. Es sah fast so aus, als habe der Fremde eine haarlose, weißfleischige Spinne in den Boden gestampft.

Schmatzend löste sich die Sohle des Wanderers, der seinen Weg fortsetzte. Geradewegs auf den Eingang der Höhle zu.

Ein leises Grollen erklang aus dem Schlund des versteinerten Ungeheuers. Der Boden unter den Füßen des Neuankömmlings begann zu beben. Verunsichert blieb der Mann stehen.

Erwachte das steinerne Monstrum zum Leben, um ihn mit Haut und Haaren zu verschlingen?

Ein Knirschen erklang über seinem Haupt. Die alte Selbstsicherheit kehrte schlagartig zurück. Entschlossen trat der Besucher einen Schritt nach vorne.

Rasselnd und scheppernd raste das Gitter hinter ihm in die Tiefe. Krachend gruben sich die armdicken Eisenspitzen in den felsigen Untergrund.

»Netter Empfang«, kommentierte der Mann die eindeutige Botschaft. Ab jetzt gab es kein Zurück mehr. Nicht, dass er das vorgehabt hätte.

Ohne noch länger zu zögern, marschierte er weiter. An schroffen Felsen und Nischen vorbei, aus denen das Wehklagen verlorener Seelen drang. Sie wisperten und raunten, flehten und jammerten. Irgendwo weinte ein Kind. Es war Musik in den Ohren des Fremden.

Hände schoben sich aus den dräuenden Schatten, krochen aus Spalten und Rissen.

Sie griffen nach ihm, wollten ihn festhalten und zu sich heranziehen, um ihre kalten, nackten Leiber an den seinen zu pressen, auf dass er eins wurde mit dem felsigen Fleisch des nimmersatten Molochs namens Elend.

Keiner einzigen Hand, nicht einem Finger, gelang es jedoch, den Mann zu berühren. Kaum eine Handbreit vor seinem Körper stießen sie gegen einen unsichtbaren Widerstand. Ein magischer Impuls fuhr wie Strom durch das Leichenfleisch.

In das Wimmern und Wehklagen mischte sich nun das Bersten und Brechen von Gebein, das Platzen und Schmatzen von Gewebe. Finger, Hände, Arme knickten ab wie dünne Zweige.

Der Fremde spazierte durch den Tunnel wie durch einen Wald aus trockenem Gestrüpp, das bei der geringsten Berührung zersplitterte.

Ohne seinen Schritt zu verlangsamen, schloss der Besucher die Lider, lauschte allein dem Gesang des Schmerzes, der Qual, der Hoffnungslosigkeit und gab sich ganz dem Wohlbefinden hin, das er bei diesem Klang empfand.

Erst das Knurren eines Raubtiers veranlasste ihn, die Augen zu öffnen.

Der weiße Pelz verschmolz mit den Schatten, hinter denen das fahle Licht flackerte und waberte. Blitze und Flammen sprühten aus den Höhlen des mannshohen Hundes, der drohend die Zähne fletschte.

Wie Speere bohrten sich die Blicke des Mannes in die Augen des Höllenhundes, der winselnd den Schwanz einkniff und den Weg in die Höhle freigab, die sich zu einem felsigen Dom ausweitete.

Hatte der Besucher bis eben noch den Eindruck gehabt, durch den Schlund in den Leib eines zyklopenhaften Titanen zu wandern, so erreichte er jetzt den Magen.

Fackeln steckten in eisernen Haltern an den Wänden. Ihre Flammen leuchteten in diesem fahlen, unwirklich schimmernden Licht, das zwischen grün, blau und weiß changierte.

Das Zentrum der Höhle bildete eine Tafel, die übersät war mit abgenagten Knochen, an denen Reste grauen Fleisches hafteten. Bänder und Sehnen spannten sich wie Taue zwischen den Gebeinen. Fingerstümpfe, wie zum stummen Gebet emporgereckt, ragten aus einem Konglomerat entblößter Gerippe und entfleischter Becken. Wirbelsäulen schlängelten sich wie Würmer durch den Unrat. Dicke Schmeißfliegen summten über das Schlachtfeld.

Eine übergroße, gebeugt gehende Gestalt in einer grob gewebten Kutte schlurfte um die Tafel herum, schaufelte das abgenagte Gebein in einen hölzernen Eimer und trug es zu einer nahe gelegenen Feuerstelle. Aus den Schatten jenseits des Tisches erklangen hämmernde Laute, in die sich das Geschrei der Gemarterten mengte.

Am Kopf der Tafel thronte eine Frau, fast noch ein Mädchen.

Beinahe zierlich, das spröde Haar geflochten, sodass es an die erstarrten Leiber von Schlangen erinnerte. Es saß auf einem Thron aus halb verwesten Leichen und trug ein schmutzig weißes Gewand, das mit dunklen Flecken übersät war. Die Haut war so weiß wie Schnee.

Nur auf Höhe der Augen erkannte der Fremde einen roten Streifen.

Vor der Frau auf dem Tisch lag der geöffnete Kadaver eines Menschen. Der Kopf mit dem weit aufgerissenen Mund und den leeren Augenhöhlen, in denen sich die Maden tummelten, ruhte mit überdehntem Genick auf der Kante.

Mit beiden Händen griff die Frau in die Bauchhöhle und entnahm ihr ein großes, bräunliches Organ – wahrscheinlich die Leber –, das sie sich in den Mund steckte. Genüsslich kaute sie darauf herum.

Der Neuankömmling räusperte sich, woraufhin die Frau in ihrem Mahl innehielt, sich aufrichtete und ihm das Gesicht zuwandte. Der Mann, schon im Begriff auf sie zuzugehen, erstarrte.

Bislang hatte er die Herrin über diese Welt nur im Profil gesehen, jetzt erkannte er, dass ihre Physiognomie zweigeteilt war. Die eine Hälfte war mit glatter, scheinbar blutleerer Haut überzogen, die andere hingegen bestand aus blauschwarzem, schwärendem Gewebe, als würde die Frau bei lebendigem Leibe verfaulen.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, entblößten blutverschmierte Zähne.

»Willkommen in meinem Reich, Matthias. Willkommen in Hels Höllenwelt!«

Ein Schatten glitt an Matthias vorbei in die Höhle.

Es war Garm, Hels Höllenhund, der mit gesenktem Haupt um den Kadaver-Thron herumtrottete, sich neben seiner Herrin niederließ und den Kopf auf ihren Schoß legte. Die flammenden Augen hielt er unverwandt auf Matthias gerichtet.

»Hübsch hast du es hier!«

»Danke. Aber bitte, setz dich doch.«

Sie vollführte eine einladende Geste, auf die Matthias mit gefurchter Stirn reagierte, denn er sah nirgends einen weiteren Stuhl oder überhaupt irgendetwas, das sich als Sitzgelegenheit verwenden ließ. Bis sich in den Schatten neben der Feuerstelle etwas bewegte. Halb vermoderte Leichen krochen auf allen vieren ins Licht.

Zwei von ihnen kauerten sich mit angezogenen Knien und gesenkten Häuptern auf den Boden, sodass ihre Rücken eine gerade Fläche bildeten. Die restlichen krabbelten wie die Ameisen über ihre Kameraden. Angewinkelte Beine formten die Armlehnen, die Rümpfe sollten den Rücken stützen.

Matthias deutete eine Verbeugung an und nahm mit übereinandergeschlagenen Beinen Platz.

Die vermummte Gestalt mit dem Eimer schlurfte herbei und räumte die abgenagten Knochen ab, ehe sie mit einem Ärmel ihrer Kutte die Fläche abwischte.

Einige Maden, die überall auf dem Tisch herumkrochen, wurden dabei zerquetscht. Matthias verzog das Gesicht.

»Hast du Hunger?«, fragte Hel mit vollem Mund.

»Ich glaube, mir ist gerade der Appetit vergangen.«

»Der Herr ist wohl was Besseres gewohnt?«

Matthias erhaschte einen Blick unter die Kapuze der knapp drei Meter großen Gestalt. Das runzelige Gesicht einer alten Vettel grinste ihn mit schwarzbraun verfärbten Zahnstummeln an.

Die Augen waren trüb, dennoch war sich Luzifers Diener sicher, dass sie sehen konnte.

»Zumindest frisch sollte es sein.«

Hel kicherte, hielt ihre angebissen Leber mit spitzen Fingern neben sich. Garm schnappte danach und verschlang sie mit einem Bissen.

»Ich seh schon, ich werde dich wohl nicht auf den Geschmack von Faulfleisch bringen.«

»Deshalb bin ich auch nicht gekommen.«

»Das dachte ich mir. Aber was führt denn nun Luzifers Stellvertreter, den großen Engelsfresser, in mein Reich?«

»Rache!«

»Ach herrje. Wie profan.« Hel breitete die Arme aus, sie hatte die Finger gespreizt und starrte auf das Massaker vor ihr auf der Tischplatte. »Ich glaub, das reicht. Ich krieg keinen Bissen mehr runter.« Sie wandte den Kopf. »Ganglot!«, brüllte sie. »Schaff den Kadaver hier weg.«

Eilig schlurfte die Alte herbei, griff nach einem Bein der Leiche und zog sie vom Tisch. Achtlos klatschte der Kadaver auf den Boden, während die Magd eine Schale vor ihrer Herrin abstellte, in die Hel ihre Finger tunkte. Garm erhob sich, grub die Zähne in den Toten und schleifte ihn fort.

Ganglot sah es und eilte hinter dem Köter her. Im Laufen zog sie einen abgenagten Knochen vom Tisch, mit dem sie auf den Hund eindrosch, was Hel wiederum ein gackerndes Gelächter entlockte.

Langsam kamen Matthias Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Zumal es schwierig war, sich bei dem anhaltenden Hämmern und Klopfen, das noch immer hinter Hel erklang, zu konzentrieren. Die Totengöttin sah das wohl ähnlich.

»Ganglati«, donnerte sie und schleuderte die Schale mit dem Wasser vom Tisch. »Hör mit dem Lärm auf! Ich bin satt, und unser Gast hat keinen Hunger.«

Bei dem letzten Wort erbebte die Tafel, woraufhin Hel die Faust auf sie herabfahren ließ. »Dich habe ich nicht gemeint.« Sofort stand der Tisch wieder still. Matthias erinnerte sich, dass er den Namen Hungr trug. Offenbar hatte er sich angesprochen gefühlt.

Immerhin hörte das Klopfen und Hämmern mit einem Schlag auf. Auch das Klagen und Winseln endete wie abgeschnitten. Dafür humpelte ein kahlköpfiger Riese mit lederner Schürze aus dem Schatten ins Licht, in der Pranke den abgeschlagenen Kopf eines Menschen, den er verächtlich schnaubend ins Feuer warf. Nicht ohne Matthias einen grimmigen Blick zuzuwerfen, wandte er sich wortlos ab und humpelte zurück in die Finsternis.

»Du hast Ganglati verärgert«, kommentierte Hel.

»Sobald ich Zeit habe, bedaure ich ihn. Also ...«

»... sprach Zarathustra. Was kann ich für dich tun?«

»Ich will dir einen Pakt anbieten!«

Hel glotzte Matthias über den Tisch hinweg wortlos an. Luzifers erster Diener glaubte schon, sie wäre zu Stein erstarrt. Neben ihm knurrte Garm. Matthias blinzelte irritiert, doch der Höllenhund hatte andere Sorgen. Er lieferte sich mit Ganglot ein Tauziehen mit dem Kadaver, an dem sich Hel zuvor gütlich getan hatte.

Matthias wollte sich bereits wiederholen, als seine Gastgeberin unvermittelt den Kopf in den Nacken warf und ein schallendes Gelächter ausstieß, woraufhin Garm neben ihm zu heulen anfing. Dafür musste er natürlich das Bein der Leiche loslassen, womit Ganglot offenbar nicht gerechnet hatte. Sie flog zurück und krachte auf den Rücken.

Luzifers Diener war drauf und dran, aufzustehen und die Höhle zu verlassen, bis ihm das Fallgitter einfiel, das ihm den Rückweg abgeschnitten hatte. Es hieß nicht umsonst Fallandaforad, die fallende Gefahr. Es war leicht, in Hels Reich einzudringen, problematisch wurde es nur, wenn man es wieder verlassen wollte. Selbst für einen Mann wie ihn.

Mit einem Mal wurde ihm die Kehle eng.

Sollte Luzifer beschlossen haben, sich seiner endgültig zu entledigen? Grund genug hatte er dafür. Andererseits konnte sich Matthias nicht vorstellen, dass sich der gefallene Engel um das Vergnügen bringen würde, ihn selbst zu richten, sollte er seiner tatsächlich überdrüssig werden.

Endlich kriegte sich Hel wieder ein.

»Dass ich das noch erleben darf. Der große, arrogante Luzifer braucht meine Hilfe! Nein, wie köstlich. Hätte ich einen Kalender, würde ich mir diesen Tag rot ankreuzen.«

Matthias verengte die Augen. Am liebsten hätte er dieser Schlampe gezeigt, zu was er dank Luzifers Gnade fähig war. Aber er war ja nicht grundlos hier.

Er brauchte tatsächlich ihre Hilfe. Abgesehen davon mochte seine Magie zwar gegen die Untoten dieser Welt wirken, ob dasselbe allerdings für Hel galt, durfte bezweifelt werden. Sie war keine herkömmliche Dämonin, wofür allein schon ihre Abstammung sprach.

»Ich habe nichts von Hilfe gesagt!«

»Natürlich hast du das nicht. Der große Luzifer bittet nicht, er nimmt es sich einfach. Und wenn er dazu nicht in der Lage ist, versucht er durch Bündnisse und Intrigen ans Ziel zu gelangen.« Sie winkte ab. »Ich kenne diese Sperenzchen zur Genüge. Es mag ja sein, dass ich alle Zeit der Welt habe, doch das bedeutet noch lange nicht, dass irgendein dahergelaufener Botenjunge sie verschwenden darf.«

Matthias knirschte mit den Zähnen.

Hel grinste maliziös und beugte sich vor. »Nur der Neugier halber, um wen geht es eigentlich? Sinclair?«

»Sinclair!« Der Höllensohn schnaubte verächtlich. »Unsinn, der ...« Er stutzte. »Wie kommst du denn ausgerechnet auf den?«

»Nun, ich dachte, dass du hauptsächlich seinetwegen von Luzifer auserwählt worden bist. Um den Sohn des Lichts zu Fall zu bringen. Übrigens hatte ich vor Kurzem mit ihm zu tun. Ziemlich lästig, wenn du mich fragst.*«

»Das ist noch reichlich untertrieben, findest du nicht?«

Sie zuckte mit den Schultern, klaubte sich ein Stück Fleisch vom Tisch und schob es sich zwischen die Zähne. »Wenn es nicht Sinclair ist, wer dann?«

»Denise Curtis!«

Hel hielt in der Bewegung inne und hob eine Braue. »Sollte ich die kennen?«

»Ja, verdammt, solltest du.« Sein Geduldsfaden wurde langsam aber stetig dünner. »Sie ist Lykaons Tochter. Erzähl mir nicht, dass dir entgangen ist, was er getan hat.«

»Wie könnte ich? Er hat beinahe die Weltenesche gefällt. Die Erschütterungen waren bis hier unten spürbar!«

»Er hat deinen Bruder getötet! Fenris, den Götterwolf!«

Da fing Hel erneut an zu lachen. Auf eine Weise, die Matthias stutzig machte. Er dachte an seine erste Begegnung mit Denise Curtis. Fast wäre es ihm damals gelungen, sie in die Knie zu zwingen. Doch ausgerechnet ein Kleinkind war ihm in die Parade gefahren. Nur zu gut erinnerte er sich an die Szene, als das helle Mondlicht mit den Umrissen des Wolfskopfes hinter ihr erschienen war.*

»Narr!«, zischte die Totengöttin. Von einer Sekunde auf die andere war sie wieder ernst geworden. »Fenris ist nicht einfach so zu töten, so wie deinesgleichen oder irgendein dahergelaufener Dämon. Er ist der Sohn des Loki. Er hat eine Bestimmung. Und dieser Bestimmung wird er am Ende der Welt, an Ragnarök, nachkommen. Bis dahin ist es ihm allerdings verwehrt, auf die weltlichen Geschicke Einfluss zu nehmen.«

»Was willst du damit sagen?«

»Dass Fenris ins Land der Mythen und Legenden eingegangen ist, jenseits der Schlucht der Stummen Götter.«

Matthias horchte auf. Was er hier so beiläufig erfuhr, konnte von enormer Bedeutung für die Zukunft sein. Nicht nur für seine, sondern die der gesamten Menschheit. Und vielleicht sogar die der Hölle. Die Stummen Götter waren ihm tatsächlich bekannt. Sie waren die Todfeinde der Großen Alten gewesen, von denen nur noch ein einziger existierte: der Spuk.

Nur der andere Begriff war ihm neu.

»Land der Mythen und Legenden? Was soll das sein?«

»Eine Dimension, geschaffen aus der Vorstellungskraft und dem Glauben der Menschen. Dort existieren all jene Götter und Sagengestalten, die zwar nicht dem Vergessen anheimgefallen sind, aber durch den Mangel an Glauben ihrer Macht beraubt wurden.«

»Interessant. Bist du sicher, dass Fenris dort ist?«

Jetzt wurde Hel stutzig. »Wie meinst du das?«

»Es gibt ein Mädchen, dass sich in der Obhut einiger, ähm, Tiermenschen befindet. In ihr schlummert eine enorme Kraft, die der des Götterwolfes ziemlich ähnlich zu sein scheint.«

Die Totengöttin lehnte sich zurück und wirkte plötzlich sehr nachdenklich. Sie tippte sich mit dem Finger ans Kinn. »Ist das so? Na, sieh mal einer an. Kann es sein, dass sich mein lieber Bruder ein kleines Hintertürchen offengelassen hat?«

»Genau das will ich ja mit deiner Hilfe herausfinden.«

Umgehend kehrte Hels Überlegenheit zurück. »Jetzt verstehe ich auch, weshalb du gekommen bist. Luzifer hat keine Macht über die Naturmagie. Ich als Schwester des Götterwolfs natürlich schon. Nur verrate mir, weshalb ich dir helfen sollte. Und was hat Lykaons Tochter damit zu tun?«

»Auch sie hat eine enorme Kraft. Sie hat die Macht ihres Vaters ... wie soll ich sagen ... absorbiert. Was aber viel wichtiger ist, sie ist zur Hälfte menschlich.«

»Ah, verstehe. Du willst sie auf deine Seite ziehen. Zu einer willigen Elevin des Bösen machen. Zur Konkubine des Teufels.«

»So ähnlich!«

»Nur bist du zu schwach.« Hel grinste. »Du kommst ohne meine Hilfe nicht an sie heran, weil sie unter dem Schutz des Götterwolfs steht.«

»Vielleicht sogar unter dem des Asenbären.«

»Thor?«, echote Hel. »Tja, das ist dumm, aber nicht zu ändern. Ich wüsste nicht, wie ich dir da helfen kann. Oder warum ich das überhaupt tun sollte.«

»Vielleicht, weil die bloße Existenz von Denise Curtis eine Verhöhnung deiner Macht darstellt. Ihr Vater hätte beinahe Yggdrasil gefällt und die Welt aus den Angeln gehoben. Er hat den Götterwolf besiegt.* Glaubst du, er hätte vor deinem Reich Halt gemacht? Denise Curtis mag zur Hälfte Mensch sein, die andere Hälfte aber ist noch immer Lykaons Tochter. Und sie ist noch lange nicht ausgereift. Ich habe ihre Macht bereits zu spüren bekommen. Nicht abzusehen, was aus ihr wird, sobald sie erwachsen ist.«

»Wehret den Anfängen. Nun gut, das mag ja alles stimmen, nur vergisst du dabei, dass ich die Göttin des Todes bis. Ich habe nur wenig Einfluss auf die Welt der Lebenden. Und um ehrlich zu sein, würde ich ungern Streit mit Thor anfangen.«

»Oh, um den wirst du dir keine Gedanken machen müssen.«

»Du machst mich neugierig, Matthias!« Hel erhob sich und machte eine einladende Geste dorthin, wo sich im Hintergrund der Höhle Finsternis ballte. Etwas funkelte im Streulicht der Schatten. Eine Art Vorhang.

»Wieso leistet du mir nicht ein wenig Gesellschaft und erläuterst mir deinen Plan in ...«, sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu, »... sämtlichen Einzelheiten.«

Matthias lächelte triumphierend.