John Sinclair 2296 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2296 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Der Fluch, der mir beim Klingeln des Smartphones über die Lippen kam, war nicht von schlechten Eltern. Dabei konnte der flache Apparat am wenigsten dafür, schließlich hatte ich ihn darauf programmiert, mich genau zu dieser Zeit zu wecken. Wie jeden Morgen, wenn mir ein langweiliger Tag im Büro bevorstand. Auch heute, denn ein besonderer Fall lag nicht an.
Es galt mal wieder, alte Akten aufzuarbeiten, Spesen abzurechnen und an irgendwelchen "hochwichtigen" Meetings teilzunehmen. Dementsprechend missvergnügt quälte ich mich aus den Federn und schlurfte ins Bad. Nachdem ich frisch geduscht und angezogen war, führte mich mein Weg in die Küche, um das Frühstück zuzubereiten.
Dabei fiel mein Blick auf den Kühlschrank und auf den an der Tür klebenden Haftzettel. Ich runzelte die Stirn. Gestern Abend, als ich mir mein Feierabendbier geholt hatte, war er definitiv noch nicht da gewesen.
Verdutzt las ich die Botschaft, die nur aus vier Worten bestand:
Wer ist Ayden Bellow?


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Inhalt

Cover

Wer ist Ayden Bellow?

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Wer ist Ayden Bellow?

von Ian Rolf Hill

Der Fluch, der mir beim Klingeln des Smartphones über die Lippen kam, war nicht von schlechten Eltern. Dabei konnte der flache Apparat am wenigsten dafür, schließlich hatte ich ihn darauf programmiert, mich genau zu dieser Zeit zu wecken. Wie jeden Morgen, wenn mir ein langweiliger Tag im Büro bevorstand. Auch heute, denn ein besonderer Fall lag nicht an.

Es galt mal wieder, alte Akten aufzuarbeiten, Spesen abzurechnen und an irgendwelchen »hochwichtigen« Meetings teilzunehmen. Dementsprechend missvergnügt quälte ich mich aus den Federn und schlurfte ins Bad. Nachdem ich frisch geduscht und angezogen war, führte mich mein Weg in die Küche, um das Frühstück zuzubereiten.

Dabei fiel mein Blick auf den Kühlschrank und auf den an der Tür klebenden Haftzettel. Ich runzelte die Stirn. Gestern Abend, als ich mir mein Fei‍er‍a‍bend‍bier geholt hatte, war er definitiv noch nicht da gewesen.

Verdutzt las ich die Botschaft, die nur aus vier Worten bestand: »Wer ist Ayden Bellow?«

»Woher sollen wir das wissen?«

Suko beugte sich vor, um den Zettel besser in Augenschein nehmen zu können, der vor ihm auf dem Küchentisch lag. Auch die neben ihm sitzende Shao zuckte mit den Schultern. Dabei kaute sie bedächtig weiter auf ihrem Müsli herum. Das Knirschen zerrte an meinen Nerven.

»Aber die Notiz muss doch irgendwoher gekommen sein.« Hilflos hob ich die Arme und ließ sie gleich darauf wieder fallen. Mit dem Zettel in der Hand war ich sofort nach nebenan geeilt.

»Natürlich«, bestätigte Suko. »Ich kann dir sogar sagen, woher, von deinem Notizblock.«

»Ha, ha«, machte ich, und setzte mich auf einen freien Stuhl. »So weit war ich auch schon. Stell dir vor, ich habe sogar die Handschrift wiedererkannt. Es ist meine Eigene.«

Shao hob, noch immer kauend, die Schultern und breitete leicht die Arme aus.

»Wo ist dann das Problem?«, übersetzte Suko die Geste.

Ich beugte mich vor. »Das Problem ist, dass ich mich nicht dran erinnern kann, sie geschrieben zu haben.«

Die Chinesin hielt sich die Hand vor den Mund, weil sie anfangen musste zu lachen.

»Sehr witzig, Shao!«, knurrte ich. »Aber mir ist nicht nach Lachen zumute. Und bevor ihr fragt, nein ich war gestern nicht mit Bill Conolly einen trinken.«

»Tut mir leid, John«, antwortete Shao, nachdem sie ihr Müsli endlich heruntergeschluckt hatte. »Aber das wäre die naheliegendste Erklärung gewesen.«

»Selbst wenn John hackedicht gewesen wäre, erklärt das nicht den Zettel und diese seltsame Frage«, sprang Suko mir bei.

»Ihr kennt also keinen Ayden Bellow?«

»Nein«, bestätigte Shao. »Sagten wir doch schon. Hast du mal gegoogelt?«

Ich spürte, wie ich rot wurde. »Äh, nein, das wollte ich jetzt machen.« Meine Hand fuhr bereits zur Hosentasche, da fiel mir ein, dass mein Smartphone noch drüben in der Wohnung lag.

Shao seufzte, lehnte sich zurück und angelte nach ihrem eigenen Apparat, der auf der Arbeitsplatte neben dem Toaster lag und am Ladekabel hing. Sie stöpselte ihn ab und gab den Namen in die Suchmaschine ein. Kurz darauf blies sie die Wangen auf.

»Puh, das sieht nicht gerade vielversprechend aus.«

»Keine Treffer?«

»So würde ich das nicht sagen. Es gibt sogar jede Menge Treffer. Nur nichts besonders Auffälliges. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Es gibt zum Beispiel einen Ayden Bellow in Australien.«

»Ich glaube kaum, dass der gemeint ist.«

»In Arkansas wohnt ein Ayden Bellows ...«

»Vergiss es«, unterbrach ich sie.

Ich stand auf, beugte mich über den Tisch und schnappte mir die Notiz, die ich zurück in den durchsichtigen Plastikbeutel schob. Anschließend zog ich den Silikonhandschuh aus und warf ihn in den Hausmüll.

Suko beobachtete mich mit gerunzelter Stirn. »Ist das nicht etwas viel Aufriss?«

»Muss ich dir aufzählen, wie viele unserer Fälle mit vermeintlich harmlosen Botschaften anfingen?«

»Schon gut, vergiss es.«

»Können wir dann los?«

»Darf ich vorher noch zu Ende frühstücken?«

Ich seufzte und ließ mich zurück auf den Stuhl fallen. »Nur, wenn ich auch was bekomme.«

Eine Hand taucht in den Spind. Als sie wieder zum Vorschein kommt, hält sie eine dunkelblaue Uniformjacke. Ein Lächeln huscht über die Lippen des Mannes, während er den Rock überstreift und sorgfältig, Knopf für Knopf, vor Brust und Bauch verschließt.

Danach greift er abermals in den schmalen Schrank, holt das Koppel mit dem Schlagstock hervor und schlingt es sich um Schulter und Hüfte. Zuletzt folgt der Helm, der oben auf der Ablage steht. Der Kinnriemen sitzt locker auf.

Mit den behandschuhten Fingern streicht der Mann über den schmalen Rand. Flachsblondes Haar lugt darunter hervor. Das Gewicht des Helms fühlt sich gut an.

Der Bobby dreht sich um und stellt sich vor den mannshohen Spiegel, der neben dem Eingang zur Umkleidekabine an der Wand hängt.

»Oh Mann, Ayden, wir gehen auf Streife, nicht zur Wachablösung des Buckingham Palasts.«

»Kein Grund, nachlässig zu sein«, erwidert Bellow und hebt das Kinn, um den Kragen zurecht zu zupfen. »Vergiss nicht, wen wir repräsentieren, Tina. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen.«

Bellows Kollegin gluckst. »Wie lange bist du jetzt dabei? Ein Jahr?«

»Ein Jahr, einen Monat, zwei Wochen und vier Tage.«

»Heute mitgezählt?«

»Nope.«

»Wie schaffst du es nur, dir deinen Optimismus zu bewahren?«

»Ich glaube an das Gute im Menschen. Solltest du auch mal probieren!«

Seine Kollegin schnaubt. »Im nächsten Leben vielleicht.« Sie tritt an ihn heran und klaubt ihm mit spitzen Fingern einen Fussel vom Ärmel. »Bist du dann so weit?«

»Selbstverständlich.«

Beim Hinausgehen mustert er Tina von hinten. Die Uniform steht ihr. Anstelle des Helms sitzt ein Hut mit gewölbter Krempe auf dem Haupt mit dem kurz geschnittenen schwarzen Schopf. Statt einer Uniformjacke trägt sie eine weiße Bluse mit schwarzweiß kariertem Latz. Darüber eine Funktionsweste, die mehr Taschen zu haben scheint, als es in London Straßen gibt.

Neben dem Funkgerät verbergen sich darin Handschellen, Pfefferspray, Trillerpfeife und sogar ein Stadtplan. Tina trägt die Weste wie einen Harnisch.

Sie blinzelt, als sie die Polizeistation Charing Cross verlassen.

Die Sonne scheint hell vom postkartenblauen Himmel, über den nur vereinzelt einige Schönwetterwolken hinwegziehen. Kein typisches London-Wetter und für diese Jahreszeit ungewöhnlich warm, fast schon sommerlich. Selbst jetzt noch, um kurz vor sechzehn Uhr. Im St. James Park wimmelt es von Touristen.

»Das wird dein Tag, Ayden«, murmelt Tina, und deutet mit dem Kinn auf eine Gruppe älterer Touristinnen. Schwatzend wie eine Schar Enten watscheln die Matronen auf sie zu.

»Ach was«, beschwichtigt Ayden. »Die wollen bestimmt nur wissen, wo es zum Tower geht.«

Doch er irrt. Ehe er sich versieht, wird er von den Damen belagert. In gebrochenem Englisch, das ihre deutsche Herkunft verrät, bitten sie ihn um ein Foto. Er wirft Tina einen fragenden Blick zu. Seine Kollegin verdreht die Augen und lässt sich sogar dazu herab, ein Gruppenfoto zu schießen. Nur als die Frauen anfangen, einzeln mit ihm zu posieren, verscheucht sie sie mit barscher Stimme.

»Wofür halten uns die Leute eigentlich? Das hier ist doch nicht Disneyland.«

»Lass ihnen doch den Spaß. Wo findet man denn sonst noch echte Bobbys? Wir sind Freunde und Helfer.«

»Mag sein, aber keine Fotomodelle.«

»Du bist nur neidisch, weil sich keine mit dir fotografieren lassen wollte«, neckt er sie.

Tina schnaubt verächtlich. »Ja, das wird es sein.«

Die Frauen flattern vor ihnen her und bleiben am Trafalgar Square stehen. Wieder blitzen die Fotoapparate auf. Als sie die beiden Polizisten wiedersehen, winken sie. Tina ergreift unauffällig Aydens Arm und geht schneller. Er kann sich das Grinsen nur schwer verbeißen.

»Mach hinne, bevor ...« Sie spricht nicht weiter, stattdessen schiebt sie den Kopf vor und verengt die Augen zu schmalen Schlitzen. »Sag mal, ist das da nicht Joey Finger?«

Ayden nickt grimmig. »Jepp, ist er. Und er scheint es ziemlich eilig zu haben.«

Der schmalbrüstige ungepflegte Mann, dessen Kapuzenpullover mindestens zwei Nummern zu groß und für das frühsommerliche Wetter viel zu warm ist, blickt nervös über die Schulter. Das schlechte Gewissen steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Kurz darauf wissen Ayden und Tina auch, warum.

»Haltet den Dieb!«, brüllt eine der Matronen. Sie steht mit hochrotem Gesicht auf den unteren Stufen der Nelsonsäule und schreit sich die Lunge aus dem Hals, zieht damit sämtliche Aufmerksamkeit auf sich.

Auch Ayden blickt zu ihr hinüber. Die Matrone bewegt hektisch die Arme, dass das schlaffe Fleisch an den Oberarmen nur so schlackert. Während er sich wieder umdreht, ergreift Joey Finger, der seinen Spitznamen nicht umsonst trägt, bereits das Hasenpanier.

Doch er hat die Rechnung ohne Tina gemacht. Trotz der schweren Montur nimmt sie ebenso geschmeidig wie flink die Verfolgung auf. Da hat Joey den Trafalgar Square längst überquert und läuft in Richtung St. James Park.

Auch Ayden startet. Er weiß, dass sie ihn verlieren werden, sobald er sich erst in die Büsche geschlagen hat. Der Kleinganove kennt den Park wie seine Westentasche.

Aber noch hat er ihn nicht erreicht. Noch liegen die alte Admiralität und die Horse Guard Road zwischen ihm und seinem Ziel.

Und es wimmelt geradezu von Touristen.

Obwohl sich Joey rücksichtlos einen Weg durch die Menge bahnt, wird er aufgehalten. Tina dagegen verschafft sich mit ihrer Trillerpfeife nicht nur Gehör, sondern auch Respekt. Leider reagieren viele Menschen zu behäbig. Ayden, der fünf Yards hinter seiner Kollegin ist, holt auf und erkennt, dass er es trotzdem nicht schaffen wird, den Flüchtenden rechtzeitig einzuholen.

Er entschließt sich zu einer Verzweiflungstat.

Noch im Laufen zerrt er den Knüppel aus dem Holster.

Joey erreicht die Horse Guard Road, das Polizeidenkmal lässt er rechts liegen. Auf der Straße herrscht dichter Verkehr. Nicht nur PKWs auch Busse und Lastkraftwagen schieben sich über den Asphalt. Ayden holt alles aus sich heraus, seine Lungen arbeiten wie Blasebälge, der Schweiß läuft ihm in Strömen über das Gesicht, droht ihm die Sicht zu verschleiern.

Da gerät der Flüchtende ins Straucheln. Ein kleines Mädchen kann nicht rechtzeitig ausweichen. Brutal rempelt der Gauner es um. Der Vater des Kindes versucht, den Rüpel festzuhalten, ihm die Faust ins Gesicht zu rammen. Joey kommt ihm zuvor, tritt dem Mann gegen das Schienbein und setzt die Flucht fort.

Aber die Aktion hat Zeit gekostet. Zeit, die Ayden genutzt hat, um die Distanz um mehrere Yards zu verkürzen. Und dann geht alles blitzschnell. Wie in Zeitlupe laufen die nächsten Sekunden vor seinen Augen ab. Tinas Pfeifen, die aufgeregten Rufe der Passanten, der Verkehrslärm, all dies verkommt zu einem dumpfen Hintergrundrauschen.

Die Welt um Ayden Bellow herum schrumpft zu einem Tunnel zusammen, dessen Ende Joey Finger bildet. Joey, der sich nach vorne wirft, um die Straße zu überqueren.

Abrupt bleibt Ayden stehen. Der Schlagstock fliegt wie an der Schnur gezogen aus seiner Faust. Rasend schnell wirbelt er durch die Luft. Vorbei an dem Mann und seiner Tochter. Ayden Bellow stockt der Atem. Für einen schrecklich langen Moment fürchtet er, der Knüppel könne sein Ziel verfehlen, dann trifft er.

Joey vollführt einen halben Salto, kracht hart auf den Rücken und bleibt benommen auf dem Bürgersteig vor der Horse Guard Road liegen.

Ayden stößt den angehaltenen Atem aus. Eine Gestalt flitzt an ihm vorbei, auf den gestürzten Langfinger zu. Tina. Seine Kollegin hält die stählerne Acht längst in der Hand.

Irgendwo klatscht jemand Beifall. Eine zweite Person fällt mit ein. Kurz darauf brandet um sie herum regelrechter Applaus auf. Ayden Bellow lächelt schüchtern. Aus dem Augenwinkel sieht er ein Blitzlicht aufflammen.

Die Aufmerksamkeit ist dem Bobby unangenehm. Er hastet zu seiner Kollegin, um ihr zu helfen, Joey auf die Füße zu ziehen. Tina verzieht die Lippen, doch ihre Augen glitzern amüsiert.

»Ich sagte ja, das wird dein Tag, Ayden Bellow.«

Unter dem Beifall der Menge führen sie Joey ab.

Tina stellt eine Brieftasche sicher, die sie im Muff seines Kapuzenpullovers findet und die bestimmt nicht ihm gehört. Es sei denn er hätte sich kürzlich erst von einer übergewichtigen Frau Ende fünfzig in einen schlaksigen, knapp vierzigjährigen Junkie mit ungepflegtem Bart verwandelt.

Per Funk meldet Tina den Vorfall, und fünf Minuten später sind zwei Streifenwagen vor Ort. Einer von ihnen bringt sie mit dem Gefangenen zum Revier, der andere chauffiert die Matrone. Atemlos presst sie sich die Hand auf den wogenden Busen.

»Stellen Sie sich nur mal vor, junger Mann«, sagt sie zehn Minuten später zu Ayden Bellow, als der ihre Aussage zu Protokoll nimmt. »Eben stehe ich noch mit meinen Freundinnen am Trafalgar Square, und im nächsten Moment reißt mir jemand die Tasche von der Schulter. Hat den Riemen glatt durchgeschnitten, dieser Halunke.«

Für die Tasche hat Joey sich nicht interessiert und sie noch vor Ort in einen Mülleimer geworfen. Wohl in der Hoffnung, dass niemand die Verfolgung aufnehmen würde, wenn er sich ihrer entledigt.

Natürlich erstattet Elisabeth Meyer-Dettmold Anzeige. Ayden Bellow füllt das Formular mit ihr zusammen aus. Trotz der Aufregung scheint sie enttäuscht, als er ihr anschließend zu verstehen gibt, dass sie wieder gehen dürfe.

»Also ich muss schon sagen, Inspektor ...«

Ayden Bellow runzelt die Stirn. »Constable.«

»Wie meinen?«

»Ich bin Constable, kein Inspektor.«

»Ach so. Ja, ja. Also wie gesagt, Constable, äh, ...«

»Bellow.«

»Constable Bellow. Also, wie Sie diesen Halunken dingfest gemacht haben ... das war wie im Film. So was kriegen die bei uns bestimmt nicht hin.«

»Ich bin sicher, dass Sie in Deutschland ebenfalls fähige Polizeibeamte haben.«

»Mag sein, aber nicht da, wo ich herkommen. Da ...«

»Sie müssen das Protokoll noch unterschreiben«, unterbricht Ayden sie. Mit dem Stift deutet er auf die entsprechende Stelle.

Elisabeth Meyer-Dettmold kritzelt etwas auf die gestrichelte Linie. Ayden bedankt sich artig und gibt ihr zu verstehen, dass sie jetzt gehen dürfe.

»Ach, äh, muss ich den Täter nicht noch identifizieren?«

»Nein, Ma'am, das ist nicht nötig. Wir haben ihn schließlich auf frischer Tat ertappt. Joey, ich meine, Mister Finnegan ist nicht gerade der raffinierteste Dieb.«

»Ach so, ja. Nun, wenn das so ist. Darf ich ... äh, krieg ich meine Tasche wieder?«

»Die müssen wir leider noch behalten.«

»Ah, verstehe. Als Beweismittel, nicht wahr?« Sie zwinkert ihm zu.

Ayden ist sich nicht sicher, warum sie das tut, beschließt aber, dass er das auch gar nicht wissen will. »Ja, genau. Wir melden uns, sobald Sie die Tasche abholen können.«

Er steht auf und reicht ihr die Hand.

Elisabeth Meyer-Dettmold schnappt danach wie eine Verdurstende das Glas Wasser. Sie schüttelt den Arm so heftig, als wolle sie ihn aus dem Gelenk reißen. Bevor das geschieht, befreit und verabschiedet er sich.

Seufzend lässt er sich zurück in den Stuhl fallen und blickt der Touristin hinterher.

»Na, habt ihr zwei schon einen Hochzeits-Termin?«

Tina lehnt sich über die Büro-Absperrung und grinst von Ohr zu Ohr.

»Sehr witzig. Können wir das schnell wieder vergessen und weitermachen?«

»An mir soll es nicht liegen!«, sagt seine Kollegin, und reicht ihm den Helm.

Draußen dämmert der Abend, die Schatten werden länger. Flackernd erwacht die Straßenbeleuchtung. Die Wärme des Tages weicht unangenehmer Kühle. Fröstelnd schlägt Ayden den Kragen der Uniformjacke hoch. Tina dagegen scheint die Kälte nichts auszumachen.

Ihm liegt bereits eine spöttische Bemerkung auf der Zunge, in dem er ihre Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies in Zweifel zieht, da meldet sich das Schulter-Mikro. Es ist Barry, aus der Zentrale.

»Hey, Ayden. Wo steckst du?«

Er wundert sich über die vertraute Anrede. Das entspricht nicht dem Protokoll und kann Ärger geben. Ein ungutes Gefühl bemächtigt sich seiner. »Mit Tina vor dem Revier, was ist los?«

»Besser du kommst wieder rein. Wir haben gerade eine Meldung von den Kollegen in Brixton bekommen.«

Ayden wirft Tina einen besorgten Blick zu. Wortlos wendet er sich ab und eilt zurück ins Revier. Dort stürmt er, gefolgt von seiner Kollegin, in die Funkzentrale.

Der schnauzbärtige Barry schaltet eben das Funkgerät aus und zieht ein Papier aus dem Faxgerät. »Es tut mir leid, Mann.« Seine Stimme klingt belegt.

»Was ist los?«, krächzt Ayden. Er reißt dem Kollegen das Fax aus der Hand.

»Es geht um deinen Bruder. Melvin. Sie haben ihn an der Ecke Saltoun und Effra Road am Windrush Square gefunden. Halb tot geprügelt. Sein Zustand ist kritisch.«

Etwas Kaltes, Feuchtes berührte Melody Swan an der Nasenspitze.

Sie rümpfte die Nase, traf aber keine Anstalten, die Lider zu heben. Erst als eine samtweiche Pfote in ihr Gesicht schlug, begleitet von einem ungeduldigen Maunzen, hob sie die Lider und blickte direkt in die grün schillernden Augen ihres Katers Blair, der auf den Hinterläufen saß und sie auffordernd anstarrte.

Melody seufzte. Sie kannte das Spiel zur Genüge. Den ganzen verflixten Tag über schien dieser Kater zu schlafen, aber wehe sie stand nicht pünktlich um halb sechs auf, um ihn zu füttern.

Sich verschlafen die Augen reibend, scheuchte sie Blair aus dem Bett.

»Verzieh dich, sonst ...« Melody zwinkerte irritiert.

Zwischen Jalousie und Wand sickerte helles Tageslicht in das abgedunkelte Schlafzimmer. Dafür war es doch noch viel zu früh, wunderte sie sich und griff nach dem Smartphone auf dem Nachttisch.

»Was zum ... SCHEISSE!«

Mit einem Ruck schlug sie die Decke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett. Verzweifelt suchte sie in dem Chaos nach ihren Klamotten. Blair war an der Tür stehen geblieben und beobachtete sie stumm. Nur der Schwanz peitschte aufgeregt hin und her. Er wartete darauf, dass sie ihm Futter gab. Als sie nicht reagierte, maunzte er erneut.

Melody hielt inne. »Was?«, blaffte sie ihn an. »Jeden verf...flixten Tag weckst du mich 'ne halbe Stunde vor dem Wecker und ausgerechnet heute, wo ich vergessen habe, das verdammte Ding zu stellen, beschließt du, auszuschlafen?«

Nur mit Höschen und Trägertop bekleidet stand sie in der Mitte ihres spartanisch eingerichteten Schlafzimmers, in der Hand Leggins und einen bunten Strickpullover. Mit einem Seufzen ließ sie die Klamotten fallen und strich sich müde über die Augen. Langsam wankte sie rückwärts und sank zurück auf die Matratze.

»Jetzt ist's eh egal.«

Im Liegen hob sie das Smartphone. Vielleicht hatte sie ja Glück und konnte den Termin verschieben. Dummerweise ging ihr Klient nicht ans Telefon. Aber das Spielchen kannte sie ja schon. Ein Blick auf die Uhr. Sie war bereits zehn Minuten über der Zeit. Jeder andere hätte längst versucht, sie anzurufen.

Für Greg war ihr Zuspätkommen natürlich ein gefundenes Fressen. Was konnte er denn dazu, dass er keinen Job und keine Wohnung fand, wenn seine Sozialarbeiterin nicht zu den vereinbarten Terminen kam?

Melody knirschte mit den Zähnen und presste sich die Ballen beider Hände gegen die geschlossenen Augen. Am besten sie kuschelte sich wieder ins Bett und wartete auf den nächsten Tag. Nur leider hatte sie noch weitere Termine. Außerdem wollte Blair noch immer Futter haben, woran er sie erneut erinnerte, indem er neben ihr auf die Matratze sprang.

Melody ließ die Arme sinken und funkelte ihren Kater an.

»Na, komm schon, du nerviges Fellbündel.«

Sie stand auf und schlurfte in die Küche. Nachdem Blair versorgt war, machte sie sich auf den Weg ins Bad. Noch halb im Tran tastete sie nach dem Lichtschalter. Es wurde hell, und Melody blieb wie vom Donner gerührt stehen.

Ihr Blick fiel geradewegs auf den übergroßen Spiegel, der über dem Waschbecken an der Wand hing. Jemand hatte mit Lippenstift eine Botschaft auf das Glas geschmiert.

WER IST AYDEN BELLOW?

»Oha«, machte Glenda, als Suko und ich das Büro betraten. »Wenn ihr zwei pünktlich seid, muss was passiert sein.«

Ich blieb vor dem Schreibtisch unserer Assistentin stehen und bewunderte ihre frühsommerliche Garderobe, die aus einer mintgrünen Bluse und einem beigen Rock bestand.

Verdammt, sie hatte recht. Mir war tatsächlich so, als hätten wir uns nicht grundlos so beeilt. Hinter mir huschte Suko vorbei und verschwand in unserem gemeinsamen Arbeitszimmer.

»Was ist los, hat es dir die Sprache verschlagen?«

»Ja, ich meine, nein, nur ...«

»Nur was?«

Ich grinste schief. »Du siehst mal wieder bezaubernd aus.«

Glenda stand auf, eilte um den Schreibtisch herum und legte mir die Hand auf die Stirn. »Hm, kein Fieber. Seltsam ...«