John Sinclair 2321 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2321 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Gefahr!
George spürte sie mit all seinen Sinnen. Er konnte sie förmlich riechen, schmecken und sogar hören. Es war ein leises, kaum vernehmbares Zischeln und Schaben, wie er es noch nie zuvor in seinem Leben vernommen hatte. Und das machte ihm am meisten Angst.
Auch den Geruch konnte er nicht zuordnen.
Allerdings war er nicht gänzlich unbekannt. Da war etwas Vertrautes, das in George Erinnerungen auslöste. Erinnerungen an einen Mann, der eigentlich hierhergehörte, aber schon lange nicht mehr da gewesen war.
Im Prinzip hätte er sich darüber freuen müssen, dass er zurückgekehrt war.
Wenn nur die Angst nicht gewesen wäre. Und so tat George das, was von ihm in solchen Fällen erwartet wurde.
Er schlug Alarm!

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Inhalt

Cover

Der Tod trägt grüne Schuppen

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Der Tod trägt grüne Schuppen

von Ian Rolf Hill

Gefahr!

George spürte sie mit all seinen Sinnen. Er konnte sie förmlich riechen, schmecken und sogar hören. Es war ein leises, kaum vernehmbares Zischeln und Schaben, wie er es noch nie zuvor in seinem Leben vernommen hatte. Und das machte ihm am meisten Angst.

Auch den Geruch konnte er nicht zuordnen.

Allerdings war er nicht gänzlich unbekannt. Da war etwas Vertrautes, das in George Erinnerungen auslöste. Erinnerungen an einen Mann, der eigentlich hierhergehörte, aber schon lange nicht mehr da gewesen war.

Im Prinzip hätte er sich darüber freuen müssen, dass er zurückgekehrt war.

Wenn nur die Angst nicht gewesen wäre. Und so tat George das, was von ihm in solchen Fällen erwartet wurde.

Er schlug Alarm!

Was war denn nun schon wieder mit dem Köter los?

Selma Fenton hielt die Schlaftablette, die sie seit einem halben Jahr regelmäßig einnahm, bereits in der Hand, als George wie verrückt zu bellen anfing. Allzu oft kam das nicht vor, es musste also etwas passiert sein.

Wahrscheinlich eine streunende Katze oder ein Fuchs, der sich auf den Hof verirrt hatte. Vielleicht auch ein Landstreicher. Es kam schon mal vor, dass welche in der Scheune Schutz vor Regen oder Kälte suchten. Gerade jetzt im Winter.

Nur dass es bereits seit Tagen nicht mehr geregnet hatte, und das Thermometer fiel auch in der Nacht nicht unter den Gefrierpunkt. Ungewöhnlich für diese Jahreszeit, doch selbst hier auf dem Land war der Klimawandel deutlich spürbar.

George kläffte weiter.

Selmas Hoffnung, er würde sich von selbst wieder beruhigen, zerplatzte wie eine Seifenblase. Genervt ließ sie die Hand mit der Tablette sinken und legte das orangefarbene Dragee auf das Sideboard über dem Waschbecken.

Ein letzter Blick in den Spiegel. Nein, zufrieden war sie nicht mit dem, was sie sah. Die Sorgen hatten tiefe Furchen in ihrem Gesicht hinterlassen. Dunkle Ringe lagen unter den rot geäderten Augen. In den vergangenen sechs Monaten war Selma um wenigstens zehn Jahre gealtert. Vorsichtig geschätzt. Sie kannte sechzigjährige Frauen, die sogar noch jünger aussahen als sie mit ihren fünfundvierzig. Die rötlichblonden Haare waren mit der Zeit stumpf und spröde geworden.

Vor sechs Monaten war das noch anders gewesen. Sie erinnerte sich gut daran, wie glücklich, ja, beinahe ausgelassen sie und Carter gewesen waren. Vor zwei Jahren, als er fünfzig geworden war, hatte er sein Versprechen wahrgemacht und seinen Job in einem Londoner Investment-Büro gekündigt. Geld hatten sie mehr als genug gehabt, und Carter wollte auch weiter an der Börse spekulieren. Eben nur nicht länger von London aus, sondern hier auf dem Land, wo sie einen heruntergewirtschafteten Bauernhof für kleines Geld erworben hatten.

Der Brexit hatte den früheren Besitzern sprichwörtlich das Genick gebrochen. Die Einnahmen waren rapide eingebrochen. Erst war das Vieh verkauft worden, dann das Land und schließlich das Gehöft.

Des einen Leid ist des anderen Freud. So lief es im Leben nun einmal. Und weder Selma noch Carter hatten sich etwas vorzuwerfen gehabt. Sie hatten schließlich nicht für den Brexit gestimmt, sie waren nur klug genug gewesen, ihre Schäfchen rechtzeitig ins Trockene zu bringen.

Und dann war die verdammte Krankheit gekommen. ALS. Amyotrophe Lateralsklerose.

Die Diagnose war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Nicht nur für Carter, auch für seine Frau Selma. Den Fentons war auf brutale Weise klargemacht worden, dass es Dinge gab, die man sich mit Geld nun mal nicht kaufen konnte. Gesundheit zum Beispiel.

Sie konnten sich zwar die besten Ärzte und Kliniken leisten, doch was nützte das, wenn man langsam aber sicher dahinsiechte?

Zuerst hatte Selma es nicht wahrhaben wollen. Danach war sie wütend geworden. Zunächst auf den Arzt, der am allerwenigsten dafür konnte, dann auf Carter und schließlich auf sich selbst.

Sie hatte schon immer einen leichten Hang zur Melancholie gehabt. Doch diese Diagnose hatte ihr sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weggerissen. Ausgerechnet jetzt, wo sie mit der Renovierung fertig waren und das Leben in vollen Zügen genießen wollten.

Es war einfach nicht fair!

Und ob diese neue Behandlungsmethode, die ihrem Mann angeboten worden war, wirklich anschlug, würde sich erst noch zeigen müssen. Selma war in den vergangenen Monaten zu oft enttäuscht worden, als dass sie bereit gewesen wäre, leichtfertig ihr Vertrauen zu verschenken.

Selma riss sich von dem Anblick ihres Spiegelbildes los. Allzu schwer fiel ihr das nicht.

Außerdem bellte George noch immer. Er schien in den letzten Sekunden sogar noch lauter geworden zu sein. Er klang bereits heiser. Ein schriller Unterton mischte sich in das Kläffen, das unvermittelt abbrach. Das Letzte, was sie von George hörte, war ein hohes Winseln oder Fiepen.

Dann wurde es still. Totenstill.

Selma blieb wie angewurzelt auf der Schwelle der Badezimmertür stehen. Ihr Herz trommelte in der Brust, die Kehle wurde trocken. Sie sehnte sich nach einem Schluck Wasser. Doch zuerst musste sie nachsehen, was mit George passiert war.

Oder sollte sie gleich die Polizei rufen?

Es dauerte ohnehin seine Zeit, bis die Beamten eintrafen. Und wer wusste, was bis dahin alles passierte? George hatte doch nicht umsonst aufgehört zu bellen.

Der Hund wog immerhin über achtzig Pfund.

Selma wusste nicht, wie lange sie auf der Schwelle gestanden und gewartet hatte, bis sie eine Entscheidung traf. Dann aber gab sie sich einen Ruck, durchquerte das Vestibül und ging schnurstracks in das Wohnzimmer, wo der Festnetzapparat auf der Ladestation stand.

Ihr Handy lag im Schlafzimmer. Es hätte ihr sowieso nichts genützt. Der Empfang hier draußen war miserabel. Deshalb hatten sie sich ja zusätzlich das Festnetz angeschafft. Die Leitung stammte sogar noch von den Vorbesitzern.

Selma schob sich in das Wohnzimmer mit der bis zum Boden reichenden Panoramascheibe, durch die sie freien Blick in den Garten hatte. Zumindest tagsüber. Jetzt herrschte dort finsterste Nacht. Der Mond und die Sterne versteckten sich hinter dicken Wolken, die träge über das Firmament zogen.

Wie Scherenschnitte zeichneten sich die Bäume, Sträucher und Hecken an der Grundstücksgrenze ab. Schwarz und bedrohlich drückten die Schatten gegen die hohen Fenster, lasteten schwer auf Selmas Gemüt. So schön sie die Panoramascheiben tagsüber auch finden mochte, in der Nacht fühlte sie sich wie auf dem Präsentierteller.

Gerade heute.

Trotzdem verzichtete Selma darauf, das Licht im Wohnzimmer einzuschalten. Das hätte die Schatten im Freien nur noch dichter werden lassen. Die Außenbeleuchtung war mit einem Bewegungsmelder gekoppelt. Sollte dort also jemand herumschleichen, würde sie es sofort merken, sobald das Licht aufflammte.

Der aus dem Flur neben dem Vestibül sickernde Schein musste genügen.

Schemenhaft ragten die Möbel im Zwielicht vor ihr auf. Der Bildschirm des Fernsehers schimmerte matt.

Selma hastete durch das Zimmer, stieß sich den Fuß an der Kante eines Sessels und unterdrückte einen Fluch.

Ihre Hand berührte den schnurlosen Apparat, dessen Station zwischen Sofa und Sessel auf einem Beistelltisch stand, als ihr ein Geräusch die Haare zu Berge stehen ließ.

Es war ein Schaben oder Kratzen direkt über ihr.

Auf dem Dach!

Als ob ein Vogel mit scharfen Krallen über die Ziegel balancierte.

Letzten Winter hatten sie einen Marder gehabt, der einen Heidenlärm verursacht hatte. Zumindest hatte es sich in der Nacht so angehört, als Selma und Carter schlafen wollten.

Doch was auch immer die Geräusche heute erzeugte, es bewegte sich eindeutig auf den Schindeln, nicht darunter.

Eiskalt rieselte es ihr über den Rücken. Selma fror.

Handelte es sich bloß um einen Vogel, hätte George doch nicht so ein Theater veranstaltet, oder? Und was für ein Vogel sollte das überhaupt sein? Eine Eule? Selma schüttelte den Kopf. Egal, sie würde auf jeden Fall die Polizei rufen. Und wenn sie sich damit lächerlich machte, dann war das eben so.

Sie nahm den Apparat aus der Station. Trotz der Dunkelheit fand ihr zitternder Daumen die drei Ziffern des Notrufs.

Eben drückte sie die Zwei, da flammte im Garten das Licht auf. Ein Körper war vom Dach gefallen und hatte den Sensor passiert.

»Notrufzentrale, wie kann ich helfen?«, quäkte es aus dem Hörer.

Doch Selma Fenton reagierte nicht auf die Frage. Ihr Blick wurde von dem unförmigen Klumpen, der auf die Terrassenfliesen geprallt war, wie magisch angezogen. Eine dunkle, ölig glänzende Flüssigkeit breitete sich unter dem Ding aus und versickerte in den Fugen der Betonplatten.

Selma kam sich vor wie ferngesteuert, als sie mit zitternden Knie auf die Scheibe zuging, das Telefon noch immer in der Hand.

»Hallo? Bitte melden sie sich!«

Aber Selma Fenton konnte sich nicht melden. Zu grauenhaft war das, was sich ihren entsetzt aufgerissenen Augen darbot. Ihr Verstand weigerte sich, zu akzeptieren, was sie da sah.

Es war Georges zerfleischter Kadaver!

Der Körper des Hundes sah aus, als wäre er in einen Gartenhäcksler geraten. Oder von einem Rudel Wölfe angefallen worden. Und, oh Gott, wo war sein Kopf?

Das Fell war George mitsamt dem darunter liegenden Fleisch von den Rippen gezogen worden. Hell schimmerten die Knochen durch den blutigen Brei, der von dem Rumpf übrig geblieben war. Die Bauchhöhle war aufgerissen, die Innereien herausgequollen.

Eine Bewegung am oberen Rand der Panoramascheibe lenkte Selma von dem schrecklichen Anblick ab. Zunächst hielt sie sie für eine Täuschung, dann für ein Tier. Nur welches Tier war in der Lage, einem Berner Sennenhund so etwas Grausames anzutun?

Selma hob den Blick.

Den Telefonapparat in ihrer Hand hatte sie vollkommen vergessen. Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt und einzig und allein der Kreatur, die sich mit dem Kopf voran über die Dachkante schob.

Es war ein Monster!

Gelbe Reptilienaugen mit geschlitzter Pupille glotzten sie aus einer mit grünschwarzen Schuppen übersäten Fratze an. An einige Stellen schimmerte dagegen die Haut eines Menschen hindurch.

Ein spitzer Schrei drang über Selmas Lippen. Sie konnte gar nicht anders. Das Telefon rutschte ihr aus der schweißfeuchten Hand.

Selma Fenton glaubte, wahnsinnig zu werden.

Trotz der grauenhaften Veränderung erkannte sie das Gesicht. Es gehörte ihrem Mann Carter.

Der Schock lähmte die Frau.

Sie war unfähig, auch nur den kleinen Finger zu rühren, geschweige denn, sich vom Fleck zu bewegen. Ihre Gedanken überschlugen sich, ohne dass sie einen von ihnen greifen konnte.

Selma weigerte sich, das Gesehene zu akzeptieren. Es musste sich um einen bösen Traum handeln. Eine Halluzination. Eine Sinnestäuschung. Es konnte einfach nicht real sein. Unmöglich.

Menschen verwandelten sich nicht in Monster und töteten ihre Haustiere. Himmel, Carter hatte den Hund geliebt.

Ein annähernd runder Gegenstand löste sich von der Dachkante und prallte neben dem Kadaver auf die Terrasse.

Georges Schädel!

Auch hier waren die Knochen teilweise freigelegt. Die Schwarte hing wie ein schmutziger Putzlappen vom Gebein, die Zunge baumelte grau und leblos aus dem offenen Maul.

Und noch immer konnte sich Selma nicht bewegen.

Bis das Monster die Pranke gegen das Panoramafenster drosch.

Der Schlag erfolgte mit solcher Kraft, dass die doppelverglaste Sicherheitsscheibe splitterte. Das Knacken fuhr Selma durch Mark und Bein. Ein Knirschen ertönte.

Zahllose Risse und Sprünge zogen sich durch das Glas, verwehrten Selma die Sicht auf das Ungeheuer, das einmal ihr Mann gewesen sein sollte. Schemenhaft sah sie, wie er sich von der Dachkante aus zu Boden gleiten ließ.

Endlich löste sich der Bann. Mit einem Mal konnte sich Selma wieder bewegen. Es war, als ob ein unbewusster Teil von ihr die drohende Gefahr erkannte und sie zum Handeln zwang, lange bevor ihr Verstand überhaupt begriff, was los war.

Mit einem Schrei auf den Lippen warf sich Selma herum und rannte los. Auf den hell erleuchteten Flur zu, geradewegs in Richtung Badezimmer.

Das Krachen und Splittern, mit dem das Ungeheuer die Scheibe durchbrach, sorgte für einen zusätzlichen Adrenalinschub. Wie von tausend Furien gehetzt, erreichte sie das geräumige Bad, jagte über die Schwelle und zerrte noch im Laufen die Tür hinter sich zu.

Der Schlüssel steckte von innen.

Ihre zitternden Finger fanden ihn wie von selbst, verriegelten die hölzerne Tür, die aus stabilem Eichenholz bestand. Aber würde sie auch einer Kreatur, die mit zwei Schlägen eine doppelverglaste Sicherheitsscheibe durchbrach, standhalten?

Als sie das Hecheln, Zischeln und Fauchen hinter der Tür lauter werden hörte, wich sie instinktiv in die Mitte des Raumes zurück. Selma wimmerte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, der Puls raste. Obwohl sie nur ein dünnes Nachthemd trug, war sie in Schweiß gebadet.

Ein Schlag erschütterte die Tür.

Selma Fenton zuckte zusammen.

Der nächste Hieb. Die Klinke wackelte, Schloss und Angeln knirschten bedrohlich.

»Nein!«, keuchte Selma. »G...geh weg. Bitte, geh weg. Lieber Gott, mach, dass er weggeht! B...b...bitte.«

In das letzte Wort hinein, erfolgte der dritte Schlag. Ein Riss zog sich durch das Türblatt. Selma sah sich hektisch um. Das Badezimmer kam ihr plötzlich vor wie eine Todesfalle.

Es gab keinen Fluchtweg. Oder?

Das Fenster!

Es war groß genug, damit sie hindurchklettern konnte. Dann brauchte sie nur um das Haus herum zur Vorderseite zu laufen, wo der Land Rover parkte.

Der vierte Schlag. Das Holz splitterte. Eine grün geschuppte Klaue mit zentimeterlangen Krallen fuhr durch die Tür, wurde zurückgerissen. Dafür erschien die mutierte Fratze.

»C...Carter!«

Er fauchte, zischte, spuckte.

Selma fuhr herum. Jetzt gab es kein Halten mehr. Sie stürzte ans Fenster, während das Monster hinter ihr wie besessen auf die Tür eindrosch.

Das Krachen und Splittern wurde mit jeder Sekunde lauter.

Ihre Finger umklammerten das kühle Metall des Griffs. Sie musste das angekippte Fenster erst in den Rahmen drücken, um ihn herumzudrehen. Bloß um neunzig Grad, dann konnte sie es aufziehen.

Kalte Nachtluft fuhr ihr entgegen. Sie fror erbärmlich.

Zitternd wurde ihr bewusst, dass sie nicht mal Schuhe anhatte. Egal, Hauptsache weg von diesem Monster, das Wer-weiß-was mit ihr anstellen würde, wenn es sie erst in seinen Klauen hielt.

Selma wollte ein Bein über den Fensterrahmen schwingen, doch das Nachthemd behinderte sie. Kurzentschlossen hechtete sie bäuchlings aus dem Fenster. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig, denn mit einem gewaltigen Krachen durchbrach das Ungeheuer die zertrümmerte Tür.

Das Fauchen und Zischen wurde lauter, schwoll zu einem wütenden Kreischen und Geifern an.

Selma starrte mit brennenden Augen auf den Rhododendron, der vor dem Fenster stand. Vielleicht hielt er das Monster ja auf, wenn sie drunter durch kroch. In ihrer Verzweiflung klammerte sich Selma Fenton an jeden noch so dünnen Strohhalm.

Sie gab sich selbst Schwung, um ihren Oberkörper ins Freie zu befördern. Ihre Beine schwangen hinter ihr in die Höhe. Der Fensterrahmen drückte sich schmerzhaft in ihren Bauch.

Selma verlor das Gleichgewicht, glitt nach vorne und zugleich abwärts, als ...

... sich spitze Krallen in das Fleisch ihrer linken Wade krallten!

Wie die Zinken einer Harke gruben sie sich durch die Haut in das darunterliegende Gewebe. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten.

Selma Fenton kreischte. Mit einem unbarmherzigen Ruck wurde sie nach hinten gezogen, zurück in das Bad, wo der Tod in Gestalt ihres mutierten Mannes lauerte.

Voller Verzweiflung klammerte sie sich an die schmale Fensterbank. Das Monster rutschte mit der Klaue ab, schlitzte ihr dabei den Unterschenkel auf.

Selma prallte auf die Fliesen.

Die Schmerzen, die durch ihre Knie zuckten, überlagerten kurzfristig sogar die Qualen der zerfleischten Wade. Bevor sie sich jedoch erneut Schwung geben konnte, um sich kopfüber aus dem Fenster zu stürzen, wühlten sich die Klauen in ihre Haare.

Selma Fenton hatte das Gefühl, bei lebendigem Leib skalpiert zu werden.

Es gelang ihr, einen letzten, gellenden Schrei auszustoßen, ehe sie endgültig zurück ins Bad gezerrt wurde. Kurz darauf erstickte der Schrei in einem feuchten Gurgeln.

Das anschließende Schmatzen, Schlürfen und Hecheln hörte sie zum Glück nicht mehr.

»Himmel, was ist denn hier passiert?«

Sergeant Edward Baker ließ den Strahl des Halogenscheinwerfers über die Terrasse gleiten, auf der sich eine riesige Pfütze Blut ausbreitete. Es war bereits geronnen und an einer Stelle verschmiert, als wäre dort der Kadaver des Hundes fortgeschleift worden. Nur den Kopf hatten der oder die Täter liegen gelassen.

Er lag direkt vor der geborstenen Panoramascheibe, hinter der das Wohnzimmer des Anwesens lag. Das Sicherheitsglas war fast vollständig aus dem Rahmen gefallen und verteilte sich in dem hochflorigen Teppich, wo die Splitter im Schein des Lichtkegels funkelten und glänzten wie winzige Diamanten. Nur der dunkelgraue Telefonapparat wirkte in all dem Chaos beinahe wie ein Anachronismus.

»Scheint so, als hätte sie den Einbrecher bei frischer Tat ertappt«, entgegnete sein Kollege Henry.

»Einbrecher?«, echote Baker. »Du glaubst, das war ein Einbrecher?«

»Sicher, du nicht?«

Der Sergeant deutete mit dem Scheinwerfer auf den Hundeschädel. »Welcher Einbrecher würde einem Hund so etwas antun? Nein, mein Freund, das muss ein Wahnsinniger sein.«

Baker hob Stablampe nebst Pistole und beugte sich durch die offene Scheibe in das Innere des ehemaligen Bauernhauses.

»Mrs. Fenton?«, rief er, und wusste noch in derselben Sekunde, dass er keine Antwort erhalten würde. Trotzdem versuchte er es ein zweites Mal und sogar ein drittes.

Schließlich hob er das Bein und betrat mit einem langen Schritt das Haus. Dabei achtete er zwar darauf, nicht auf die Scherben zu treten, doch das war praktisch unmöglich. Das leise Knirschen verursachte bei ihm eine Gänsehaut.

Mit jedem Atemzug inhalierte er die bedrückende Atmosphäre innerhalb des Hauses.

Ein leicht süßlicher, metallischer Geruch lag in der Luft. Der Gestank von Blut und rohem Fleisch. Stammte er von dem Hund, oder ...?

Edward Baker wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu spinnen. Ein knapper Blick über die Schulter zu seinem Kollegen. Henry nickte ihm aufmunternd zu, obwohl er reichlich blass um die Nase geworden war. Auch ihm schlug der Gestank sichtlich auf den Magen.

Dieser Einsatz war selbst für die erfahrenen Streifenbeamten keine Routine. Hier war ein schreckliches Verbrechen verübt worden, dessen war sich Baker sicher. Und zwar eines von der Sorte, wie man sie normalerweise im Fernsehen oder Kino zu sehen bekam, aber doch nicht in der Realität. Höchstens vielleicht in London.

Und selbst dort nur in den Ecken, wo die Verrückten hausten.

Auf dem Weg durch das Anwesen schossen Baker zahlreiche Theorien durch den Kopf.

Die des wahnsinnigen Triebtäters war nur eine davon. Eine andere beschäftigte sich mit Drogen, unter denen der Killer stand. Crystal oder irgendein neumodisches Zeug, das aus denkenden Menschen hirnlose Zombies machte. Bestien, die in blinder Raserei über Unschuldige herfielen. Oder doch bloß ein paar Halbstarke, die ihren Frust an einem armen Tier ausgelassen hatten und sich einen Spaß daraus machten, harmlose Bürger in abgelegenen Gehöften zu terrorisieren?

Wenn Edward Baker eines in den letzten Jahren gelernt hatte, dann dass die Menschheit mehr und mehr verrohte. Die Gewaltbereitschaft lag eindeutig höher als noch vor einigen Jahrzehnten, während die Hemmschwelle immer weiter sank.

»Mrs. Fenton?«

Auch Henry bekam keine Antwort.

Sergeant Baker wandte sich nach links, wo Licht in dem schmalen Korridor brannte, der in den Eingangsbereich mündete. Zwei Räume lagen der Haustür gegenüber, dahinter führte der Flur tiefer in das Haus hinein.

Edward Baker schlug das Herz bis zum Hals, als er die zertrümmerte Tür bemerkte. Und plötzlich wusste er, dass sie Selma Fenton nicht mehr lebend zu Gesicht bekommen würden.

»Geh weiter, Eddy!«, forderte Henry mit gepresster Stimme. »Lass es uns hinter uns bringen.«

Baker nickte nur.

Er atmete ein letztes Mal tief durch, dann gab er sich einen Ruck und marschierte auf die Tür zu, die buchstäblich aus den Angeln gefetzt worden war. Dahinter lag das Bad.