John Sinclair 2322 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2322 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Die Leiche sah schrecklich aus.
Selbst wir, die wir einiges gewohnt waren, mussten bei dem Anblick schlucken. Der Mann sah aus, als sei er vor seinem Ableben gefoltert worden. Da er nackt war, waren die Spuren deutlich zu erkennen. Kaum eine Stelle, die nicht betroffen war.
Allerdings waren keine herkömmlichen Instrumente benutzt worden. Also keine Messer, Zangen, Scheren oder andere Werkzeuge. Es gab auch keinerlei Verbrennungen.
Dafür war der Körper übersät mit Bisswunden.
Das Ungeheuer, das hierfür verantwortlich war, hatte regelrechte Batzen aus dem Fleisch gerissen. Normalerweise hätte das Bett, in dem der Tote lag, vor Blut triefen müssen, doch außer ein paar Flecken und vereinzelten Spritzern war das Laken weiß.
So weiß wie die Haut der Leiche ...


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Inhalt

Cover

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

von Ian Rolf Hill

Die Leiche sah schrecklich aus.

Selbst wir, die wir einiges gewohnt waren, mussten bei dem Anblick schlucken. Der Mann sah aus, als sei er vor seinem Ableben gefoltert worden. Da er nackt war, waren die Spuren deutlich zu erkennen. Kaum eine Stelle, die nicht betroffen war.

Allerdings waren keine herkömmlichen Instrumente benutzt worden. Also keine Messer, Zangen, Scheren oder andere Werkzeuge. Es gab auch keinerlei Verbrennungen.

Dafür war der Körper übersät mit Bisswunden.

Das Ungeheuer, das hierfür verantwortlich war, hatte regelrechte Batzen aus dem Fleisch gerissen. Normalerweise hätte das Bett, in dem der Tote lag, vor Blut triefen müssen, doch außer ein paar Flecken und vereinzelten Spritzern war das Laken weiß.

So weiß wie die Haut der Leiche ...

Wir kannten den Mann.

Es lag noch keine vierundzwanzig Stunden zurück, dass wir mit ihm gesprochen hatten. Und zwar in einer Privatklinik, knapp dreißig Kilometer von London entfernt, nahe einer Kleinstadt namens Oxted.

Der Tote hieß Xaver Smith.

Wir hatten ihn als Assistenzarzt des Moorhouse Hospital kennengelernt, wo er gemeinsam mit Professor Kent an einem Serum experimentiert hatte, das auf reptilischer DNA basierte. Ziel der beiden Männer war es, unheilbare Krankheiten wie Krebs, ALS oder auch Demenz zu heilen.

Um das zu bewerkstelligen, bedienten sie sich der regenerativen Fähigkeiten von Echsen, deren Genome uns vor einigen Jahren in konzentrierter Form in Gestalt eines riesigen Klumpen Protoplasmas begegnet waren, der allgemein nur der Echsengott genannt wurde.

Irgendwie war es Kent gelungen, an Proben dieses Gewebes zu gelangen und daraus ein Serum zu extrahieren. Die Spur führte zu den Visionären, einer Gruppe ebenso skrupelloser wie fanatischer Wissenschaftler, die es sich auf die Fahnen geschrieben hatten, die Welt aus den Angeln zu heben.

Vor wenigen Wochen erst, hatten wir es mit einer Visionärin namens Cybill Ashton zu tun bekommen, die versucht hatte, den Götzen Marbhàs zu kontrollieren. Dabei hatte sie die Gelegenheit genutzt, sich eines ungeliebten Konkurrenten zu entledigen: Sebastian Walcott.

Walcott, der sich den Beinamen Professor Snake gegeben hatte, hatte von diesem Serum berichtet. Doch weder Cybill Ashton noch wir hatten es sicherstellen können, ja, nicht einmal eine Spur davon gefunden.

Bis vorletzte Nacht, als wir zu einem Gehöft nahe des Dörfchens Titsey gerufen worden waren, gar nicht weit von Oxted entfernt. Dort war eine Frau von ihrem zur Echse mutierten Gatten, Carter Fenton, angegriffen und mit einer Art Keim infiziert worden, woraufhin sie sich ebenfalls verwandelt hatte.

Nach hartem Kampf hatten wir die beiden Kreaturen vernichten können.

Auf der Suche nach dem Ursprung des Echsenkeims hatten wir herausgefunden, dass Carter Fenton Patient in Professor Kents Klinik gewesen war. Ebenso eine weitere Frau aus Titsey, Gina Westen, die an Gebärmutterkrebs gelitten hatte, sowie Kents demente Mutter.

Letztere hatte ihren eigenen Sohn gebissen und infiziert, während Gina Westen den Keim in Titsey verbreitet hatte. Das Perfide daran war, dass die Verwandlung mit einer rasenden Geschwindigkeit vonstattenging. Alleine hätten wir die Ausbreitung des Echsenkeims wohl kaum verhindern können. Nicht ohne fremde Hilfe jedenfalls.

Und die war ausgerechnet von einer unserer größten Gegnerinnen gekommen. Lilith, die Große Mutter, hatte uns ihre Vollstreckerinnen geschickt.

Doch selbst die hatten gegen die Armee der Echsenmenschen keine Chance gehabt. Erst als Lilith persönlich eingegriffen hatte, hatte sich das Blatt gewendet. Warum sie das überhaupt getan hatte, war mir klar geworden, als der Spuk erschienen war.

Der Letzte der Großen Alten hatte schon immer ein besonderes Verhältnis zu Echsen gehabt. Nicht nur, weil sich seine Armee ebenfalls aus solchen Kreaturen zusammensetzte, sondern auch, weil er selbst den Körper eines schuppigen Reptils hatte, den er jedoch stets unter einem blickdichten Schatten verbarg.

Dabei war dieser Echsenkörper nicht einmal seine richtige Gestalt. Von der hatten wir vor Jahren nämlich einen schneeweißen, menschenähnlichen Schädel gefunden, den der Teufel Asmodis an sich genommen hatte.

Einst hatte der Spuk einer außerirdischen Rasse angehört, von der er verstoßen worden war. Auf der Erde hatte er sich den Großen Alten anschließen wollen, dafür aber einen Test ablegen müssen, eine Art Initiationsritus. Er hatte den Herrscher der Echsenwelt besiegen und dessen Reich annektieren müssen. Und aus eben dieser Welt stammte auch der Echsengott. Womit sich für uns mal wieder ein Kreis geschlossen hatte.

Unklar war jedoch, ob es sich bei dieser Welt tatsächlich um eine fremde Dimension handelte oder womöglich, um die Vergangenheit unseres Planeten, als die Erde noch von den Dinosauriern beherrscht worden war.

Wie auch immer, der Spuk hatte die Echsenmenschen von Titsey jedenfalls mit in sein Reich genommen. Obwohl er nicht der Drahtzieher hinter dem letzten Fall gewesen war, hatte er die Früchte geerntet, denn diese Armee aus äußerst schwer zu besiegenden Echsenmenschen passte optimal in seine Pläne.

Immerhin rüstete er gemeinsam mit seiner Dienerin Pandora zum Krieg gegen die Hölle.

Darüber hinaus machte es diesen Echsenmenschen nicht das Geringste aus, wenn man ihnen einen Arm oder ein Bein abschlug. Amputierte Gliedmaßen wuchsen einfach nach. Selbst die Enthauptung vermochte sie nicht zu töten. Eigentlich gab es nur zwei sichere Methoden, um diesen Kreaturen beizukommen: Feuer und die Dämonenpeitsche.

Letztere wohl deshalb, weil sie auf schwarzer Magie basierte und keinem irdischen Kulturkreis entstammte. Im Gegensatz zu weißer Magie, die passiv auf das Einwirken dunkler Kräfte wirkte, reagierte die Peitsche deutlich aggressiver. Zumindest bei den Echsenmenschen.

Etwas Gutes hatte der letzte Fall in all seiner Tragik am Ende aber doch noch gehabt. Wir hatten Gina Westens Sohn Marvin retten können. Der einzige Überlebende von Titsey befand sich jetzt bei seinen Großeltern in Oxted.

Dabei wäre ich fast noch selbst zum Mörder an dem Jungen geworden.

Es war knapp gewesen. Verdammt knapp sogar. Die Echsen hatten uns in die Kirche gejagt, und ich war so gut wie waffenlos gewesen. Um dem Jungen ein Schicksal als Menschenechse zu ersparen, hatte ich ihn mit einer Silberkugel erlösen wollen. Ich hatte die Waffe sogar schon an seinem Kopf gehabt und abgedrückt, nur hatte sich kein Schuss gelöst.

Ich hatte zunächst angenommen, dass ich alle Kugeln verschossen hatte, doch Suko hatte herausgefunden, dass sich noch ein genau ein Projektil in der Waffe befunden hatte.

Ein einziges!

Nach irdischen Maßstäben hätte Marvin also tot sein müssen. Erschossen von mir, John Sinclair, dem Sohn des Lichts.

Ich wollte gerne daran glauben, dass es eine höhere Macht gewesen war, die den Jungen gerettet und mich vor diesem Mord bewahrt hatte. Vielleicht sogar die Erzengel selbst, nachdem ich sie kurz zuvor vergeblich um Hilfe angefleht hatte.

Nachdem der Spuk die Echsenmenschen alle in sein Reich geholt hatte und Professor Kent samt seiner Familie ausgelöscht worden war, hatten wir beschlossen, noch einmal ein Wörtchen mit Smith zu sprechen. Nur war dieser plötzlich wie vom Erdboden verschluckt gewesen.

Das Moorhouse Hospital war verlassen.

Sonderbarerweise schien es dort nie einen Arzt namens Xaver Smith gegeben zu haben. Zum Glück war der Kollege, Inspektor Dietrich, auf Zack gewesen. Das Problem war nur, dass wir in England kein Einwohnermeldeamt hatten. Niemand musste sich registrieren.

Allerdings gab es andere Methoden, jemanden aufzuspüren. Wer ein halbwegs normales Leben führte, der hinterließ nun mal Spuren. Es sei denn er lebte wie ein Einsiedler im Wald und das wiederum hatte unser Mann nicht getan.

Und so waren wir ihm über die Stromabrechnungen auf die Schliche gekommen.

Es gab sogar drei Männer dieses Namens in London, aber nur einen, auf den die Beschreibung und das Alter unseres Kandidaten passten.

Allerdings war der kein Arzt, sondern Biochemiker. Und er arbeitete auch nicht in einer Klinik, sondern in einem Chemiekonzern. Und zwar beim landesweit größten, namentlich Hopkins Chemicals.

Seid ihr nicht überrascht?

Nun, dann liegt das vielleicht daran, dass ihr nicht wisst, dass der Mädchenname unserer Freundin Sheila Conolly, die mit meinem ältesten Freund Bill verheiratet ist, Hopkins lautet.

Zufall?

Wir jedenfalls glaubten nicht an einen Solchen, weshalb unsere Freunde auch sofort reagiert hatten und sich noch heute mit dem zuständigen Personalleiter zusammensetzen wollten. In der Zwischenzeit würden wir Xaver Smith auf den Zahn fühlen.

Nun, wie ihr bereits wisst, war es beim Wollen geblieben.

»Was meinst du, John?«, hörte ich Suko neben mir flüstern. »War das einer unserer schuppigen Freunde?«

»Das glaube ich nicht. Dann hätte er sich ebenfalls verwandeln müssen. Keine dieser Wunden war sofort tödlich. Ich nehme an, dass Smith an den Folgen des Blutverlusts starb. Außerdem scheinen mir diese Gebissabdrücke nicht unbedingt zu einer Echse zu passen.«

Mein Freund ging zum Fenster und zog die Vorhänge zur Seite. Viel heller wurde es nicht, da London noch immer unter einer dichten Wolkendecke lag, aus der Schneeregen rieselte, der sich mit dem Straßenschmutz zu einer matschigen Pampe vermengte, die glatt wie Schmierseife war.

Auch auf der Fensterscheibe malten sich die körnigen Schlieren ab und verschleierten die Sicht nach draußen. Nicht, dass es dort sonderlich viel zu sehen gegeben hätte. Außer einem versifften Hinterhof, in dem sich Müll und Matratzen stapelten. Eine einzelne Platane fristete ein trauriges Dasein und reckte uns ihre kahlen Äste entgegen.

In der Wohnung selbst herrschte eine Bullenhitze. Eine dicke, grünlich schillernde Schmeißfliege zog einsam ihre Kreise über der Leiche.

Trotzdem widerstanden wir der Versuchung, das Fenster zu öffnen. Solange wir nicht wussten, wer für die Tat verantwortlich war, mussten wir den Dienstweg einhalten, und der sah nun einmal vor, dass wir Morddezernat und Spurensicherung informierten.

Das sagte ich auch meinem Kollegen.

Suko drehte sich um und nickte. »Gestattest du, dass ich den Leichnam trotzdem mit der Dämonenpeitsche teste?«

Ich zuckte mit den Schultern und trat zur Seite. Mein Freund holte die unterarmlange Röhre hervor. Ehe er jedoch dazu kam, mit der nach unten gerichteten Öffnung einen Kreis über dem Boden zu beschreiben, geschah etwas, mit dem ich nun gar nicht gerechnet hatte.

Mein Kreuz erwärmte sich.

»Warte, Suko!«

Mein Freund und Kollege erstarrte mitten in der Bewegung und legte die Stirn in Falten. »Äh, und worauf, wenn ich fragen darf?«

»Das Kreuz hat sich gemeldet.«

Mein Partner wurde blass. Er wusste, was das zu bedeuten hatte. Hier war schwarze Magie am Werk. Was seltsam war, denn bislang hatte das Kreuz nicht auf den Echsenkeim reagiert.

Jetzt war es an Suko, zurückzutreten. Die Peitsche mochte eine effektive Waffe sein, aber sie war ein denkbar schlechter Indikator. Sollte tatsächlich der vor uns liegende Leichnam die Quelle des schwarzmagischen Impulses sein, der meinen geweihten Talisman erreicht hatte, würden ihn die aus Dämonenhaut gefertigten Riemen rigoros vernichten.

Das Kreuz reagierte da in der Regel ein wenig differenzierter. Soll heißen, es war in der Lage, durch Veränderung der Temperatur oder der Farbe anzuzeigen, mit was für einer Art Magie wir es zu tun hatten.

Auf höllische Magie reagierte es meistens mit einer leichten Erwärmung. So wie jetzt.

Es sei denn, wir hatten es mit Luzifer oder Lilith zu tun, die aufgrund ihrer Macht imstande waren, die Kraft des meines Talismans zu neutralisieren.

Das schien in diesem Fall nicht so zu sein. Das Silber hatte sich nicht abgekühlt und schimmerte auch nicht bläulich. Tatsächlich hatte es sich überhaupt nicht verfärbt, wie ich feststellte, nachdem ich es unter dem Pullover hervorgezogen hatte.

Aber so leicht warf ich die Flinte nicht ins Korn. Mit dem Kreuz in der ausgestreckten Hand trat ich langsam an das Bett mit dem Toten heran. Dabei achtete ich genau auf jede noch so kleine Veränderung. Nicht nur was meinen Talisman betraf, sondern auch den Leichnam selbst.

Und das war gut so, denn er schlug unvermittelt die Augen auf.

Aber nicht nur das, er öffnete auch den Mund. Ein leises Zischen drang hervor, das mich im ersten Moment tatsächlich an den Laut einer Echse erinnerte. Dabei war es wohl nur die Restluft, die seinen erschlafften Lungen entwich.

Doch das interessierte mich nur am Rande. Viel wichtiger waren die beiden fingerlangen Eckzähne, die aus dem Oberkiefer ragten.

Schlagartig wurde mir klar, warum so wenig Blut vorhanden war. Es bestand überhaupt kein Zweifel. Xaver Smith war das Opfer eines Vampirs geworden.

Plötzlich überschlugen sich die Ereignisse.

Der Oberkörper des Toten schnellte in die Höhe. Ich zuckte zurück, denn ich wollte auf keinen Fall, dass der Untote das Kreuz berührte. Es hätte seine sofortige Vernichtung zur Folge gehabt, und genau das galt es zu vermeiden.

Vampire waren keine Zombies. Sie agierten und sprachen wie Menschen. Mit anderen Worten, Xaver Smith würde uns sagen können, wer ihm das angetan hatte.

Suko dachte ähnlich, denn statt die Peitsche gegen ihn einzusetzen, griff er nach der Beretta. Da war der Blutsauger längst aus dem Bett. Er rollte sich seitlich von der Matratze, zerrte noch in der Bewegung die Decke mit sich und schleuderte sie auf meinen Partner, der reflexartig die Arme in die Höhe riss.

Smith wollte die Zeit nutzen, um zu fliehen, doch ich stand ihm im Weg. Seine dunklen, tief in den Höhlen liegenden Augen weiteten sich beim Anblick des Kreuzes.

Und ehe ich zu einer Reaktion fähig war, machte er auf dem Absatz kehrt. So schnell, dass selbst Suko überrascht wurde, dem es gelungen war, sich von der Decke zu befreien. Mein Freund kassierte einen derben Stoß gegen die Brust, der ihn bis zurück an die Wand trieb.

Jetzt war der Weg zum Fenster frei.

»Nein!«, keuchte ich, als ich die Absicht des Wiedergängers begriff.

Doch es war längst zu spät. Xaver Smith warf sich nicht nur mit seinem gesamten Körpergewicht gegen die Scheibe, er stieß auch beide Fäuste mit aller Kraft nach vorne.

Und die war beträchtlich.

Das Glas zersprang, als wäre ein Sprengsatz detoniert. In einem Regen aus Splittern raste der Untote hinab.

Ich stürzte ans Fenster und starrte nach unten. Der nackte Körper war vier Stockwerke tiefer auf das nasse Pflaster geklatscht. Smith blieb verkrümmt liegen, allerdings nicht allzu lange.

Ein solcher Sturz konnte einen Vampir nicht töten, wohl aber aufhalten, denn auch sie hatten Knochen, die brachen.

Smith streckte den Arm aus, krallte die Finger in die Fugen und zog sich über den feuchten Stein. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Suko hinter mir aus dem Zimmer stürmte, um die Verfolgung aufzunehmen.

Ich wollte mich ihm anschließen, da vernahm ich die Schreie einer älteren Frau. Sie lehnte gegenüber in einem geöffneten Fenster und deutete hektisch mit dem Arm nach unten.

»Mörder!«, kreischte sie.

Erst da begriff ich, dass sie mich meinte. Ich sah keine Möglichkeit, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Es sei denn, ich riet ihr, die Polizei anzurufen. Vielleicht nicht die schlechteste Idee. Sobald die uniformierten Kollegen eintrafen, hatten wir den Vampir hoffentlich gestellt.

Bevor ich jedoch dazu kam, den Geistesblitz in die Tat umzusetzen, beobachtete ich, wie sich aus der Toreinfahrt zwei Jugendliche lösten und auf den Untoten zuliefen.

Siedend heiß fuhr mir der Schreck durch die Glieder.

»Nein!«, schrie ich.

Die beiden Jungs, sie mochten siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein, blieben stehen. Wie gebannt starrten sie auf den Mann zu ihren Füßen, mich beachteten sie gar nicht.

Ich zog die Beretta. Mit dem Lauf stieß ich die restlichen Scherben aus dem Rahmen.

Mir blieb keine Wahl. Ich musste schießen, um das Leben der Jungen zu retten. Ich richtete die Mündung in die Tiefe. Im selben Atemzug sprang der Untote auf die Beine – und knickte zur Seite, als sein rechtes Knie nachgab.

Die Hand, mit der er nach einem der Jungen geschlagen hatte, fuhr ins Leere. Ebenso wie meine Silberkugel. Das Echo des Schusses hallte wie Donner über den Hinterhof.

Prima, dachte ich, jetzt weiß die gesamte Nachbarschaft Bescheid.

Ebenso wie der Vampir. Ehe die Jungs überhaupt begriffen, wie ihnen geschah, tat der Untote einen Satz nach vorne. Mir blieb fast das Herz stehen.

Der Halbwüchsige stolperte rückwärts und fiel. Sein Freund eilte ihm zu Hilfe. Er sprang vorwärts und schubste ihn zur Seite. Das Fauchen des Untoten hallte selbst bis zu mir herauf.

Ich zielte jetzt mit beiden Händen, traute mich aber nicht, noch einmal abzudrücken. Zu dicht standen der Vampir und sein Opfer beisammen.

Unvermittelt warf sich der Blutsauger herum und rannte auf die Toreinfahrt zu. Sehr viel geschmeidiger als noch vor wenigen Augenblicken. Nur zwei Sekunden später sah ich auch, warum.

Suko jagte durch die Hintertür auf den Hof und nahm die Verfolgung auf. Als er die Jungs erreichte, war der Vampir längst in der Durchfahrt verschwunden. Ein lautes Hupen erklang, das Quietschen von Bremsen. Etwas schepperte.

Mir lief es kalt über den Rücken, wenn ich mir vorstellte, was geschah, sollte jemand den Untoten für ein Verkehrsopfer halten und erste Hilfe leisten wollen.

Zum Glück wusste ich Suko in der Nähe. Und auch ich wollte keine Sekunde länger in der Wohnung bleiben.

Wie von Furien gehetzt rannte ich los.

Leicht außer Atem erreichte ich den Innenhof.

Die beiden Jungs, die dem Vampir fast zum Opfer gefallen waren, hatten sich bis an die Toreinfahrt getraut und hielten längst die Smartphones in den Händen.

Um ehrlich zu sein war es mir egal, ob sie Fotos oder Videos von dem Untoten knipsten, es würde ohnehin nichts darauf zu sehen sein. Vampire hatten kein Spiegelbild und konnten auch nicht fotografiert werden.

Keuchend erreichte ich die Unfallstelle.

Ein Sprinter stand schräg auf dem Bürgersteig. Seine Kühlerschnauze war gegen einen eisernen Poller geprallt. Der Fahrer, ein älterer Mann mit Schiebermütze, lehnte neben der offenen Fahrertür an der Karosserie. Seine Haut war so bleich, als ob er dem Vampir Konkurrenz machen wollte.

Auf der anderen Straßenseite hatte ein Taxi gestoppt. Die Fahrerin telefonierte. Hoffentlich mit den Kollegen.

Nur, wo war der Untote?

Trotz des Vorfalls lief der Verkehr weiter, wenn auch nicht ungehindert, denn hinter dem Sprinter stauten sich bereits die Fahrzeuge. Erst sobald sich eine Lücke auf der gegenüberliegenden Fahrbahn auftat, konnte die Autos ausscheren, um den Lieferwagen zu passieren.

Ich passte eine dieser Lücken ab, um die Straße zu überqueren.

Dabei hielt ich nach Suko Ausschau. Mein Freund stand am Geländer, hinter dem sich die graubraunen Fluten der Themse träge durch das Bett wälzten.

Da wusste ich, was passiert war.

Trotzdem kümmerte ich mich zuerst um den Fahrer. Allerdings erst, nachdem ich die Beretta weggesteckt hatte.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich.