John Sinclair 2331 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2331 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Ein Kratzen an der Scheibe ließ Lydia aus dem Schlaf hochschrecken.
Sie brauchte sich nicht erst mühsam zu orientieren, sie war sofort hellwach. Ihr Blick glitt zum Fenster, vor dem eine nackte dürre Gestalt mit weißer Haut hing. Sie klammerte sich mit den Krallen an die hölzerne Wand, sodass die Flughäute wie übergroße Lappen vor der Scheibe schlackerten und die Sicht ins Freie verwehrten.
Die Gestalt presste ihr Gesicht gegen das Glas und fletschte die Zähne. Sie waren blutverschmiert, ebenso wie die Lippen.
Jede andere Frau wäre beim Anblick dieser Fratze vor Furcht vergangen. Nicht so Lydia. Sie sah die Kreatur schließlich nicht zum ersten Mal. Sie kannte sogar ihren Namen.
Er lautete Naema!
Und sie war nicht nur ein Kind der Großen Mutter, sondern auch einer von Liliths Engeln der Unzucht und Hurerei ...


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Inhalt

Cover

Die Kinder der Großen Mutter

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Die Kinder der Großen Mutter

(Teil 3 von 3)

von Ian Rolf Hill

Ein Kratzen an der Scheibe ließ Lydia aus dem Schlaf hochschrecken.

Sie brauchte sich nicht erst mühsam zu orientieren, sie war sofort hellwach. Ihr Blick glitt zum Fenster, vor dem eine nackte dürre Gestalt mit weißer Haut hing. Sie klammerte sich mit den Krallen an die hölzerne Wand, sodass die Flughäute wie übergroße Lappen vor der Scheibe schlackerten und die Sicht ins Freie verwehrten.

Die Gestalt presste ihr Gesicht gegen das Glas und fletschte die Zähne. Sie waren blutverschmiert, ebenso wie die Lippen.

Jede andere Frau wäre beim Anblick dieser Fratze vor Furcht vergangen. Nicht so Lydia. Sie sah die Kreatur schließlich nicht zum ersten Mal. Sie kannte sogar ihren Namen.

Er lautete Naema!

Und sie war nicht nur ein Kind der Großen Mutter, sondern auch einer von Liliths Engeln der Unzucht und Hurerei ...

»Mom!«

Corinne Rowland stand im offenen Durchgang zu den Gemeinschaftsduschen und starrte Denise und Julian verständnislos an. So viel also dazu, dass sie tief und fest schlief. Ihre Augen waren zwar leicht gerötet, die Lider hingen schwer herab, trotzdem machte sie nicht den Eindruck, als würde sie gleich im Stehen einschlafen.

»Was treibt ihr hier? Warum bist du nicht im Bett?«, wollte Corinne von ihrem Sohn wissen.

»Wir spielen Onkel Doktor. Denise ist die Patientin. Ich bin der Doktor!«

Denise hätte sich fast mit der Hand vor die Stirn geschlagen. »Das stimmt nicht ganz, Mrs. Rowland. Ich meine, schon ... irgendwie ... aber nicht so, wie Sie vielleicht denken.«

Corinnes Augen weiteten sich. Allerdings nicht vor Wut, sondern aus lauter Entsetzen. Sie hatte die Verletzungen an Denises Unterschenkeln und den Schienbeinen gesehen.

»Himmel, was ist denn mit dir passiert?«

»Das, äh, ist eine etwas längere Geschichte. Bitte, sagen Sie Tante Lydia nichts, ich ...«

Denise zuckte unwillkürlich zurück, als Corinne auf sie zutrat. Reflexartig beschwor sie Lykaons Magie, doch statt eines roten Schleiers, der sich über ihre Augen legte, explodierte der Schmerz in ihrem Schädel, das Brennen in den Wunden wurde heftiger.

Aber Corinne Rowland hatte keineswegs vor, Denise etwas anzutun. Im Gegenteil, sie legte ihr die Hand auf die Stirn.

»Du liebe Güte, du glühst ja förmlich! Du hast Fieber, du musst sofort zum Arzt.«

»Nein«, rief Denise. Ein Grollen, das tief aus der Kehle drang, begleitete das Wort. »Auf keinen Fall. Der kann mir auch nicht helfen!«

Corinne starrte das Mädchen fassungslos an. »Was redest du da? Natürlich kann er dir helfen.« Sie musterte erneut die Wunden. »Das waren diese verdammten Tölen, nicht wahr? Julian hätten sie auch fast ...«

»Nein«, wiederholte Denise, bis ihr einfiel, dass sie Julian diese Lüge bereits aufgetischt hatte. »Ich meine, ja, aber das spielt keine Rolle.«

»Wie bitte? Natürlich tut es das! Ich werde sofort morgen früh mit Lydia sprechen. Die Viecher sind ja gemeingefährlich.«

»Kann sein. Trotzdem darf ich zu keinem Arzt.«

»Hast du was ausgefressen?«

Denise hätte beinahe gegrinst, so dankbar war sie für die goldene Brücke, die ihr Corinne unwissentlich gebaut hatte. Sie nickte stumm und senkte den Kopf.

Corinne seufzte und strich sich über die Augen. Schließlich hob sie die Hände. »Okay, weißt du was? Ich will's gar nicht wissen. Wir bringen dich jetzt erst einmal ins Bett.«

Die Teenagerin schüttelte Kopf.

»Keine Widerrede«, sagte Corinne, und schickte ein mildes Lächeln hinterher. »Du kommst natürlich zu uns.«

»Sie kann bei mir im Bett schlafen«, rief Julian, und sprang auf.

Die beiden Frauen tauschten einen schnellen Blick. Corinne grinste schief. »Das ist eine gute Idee, aber du schläfst bei mir.«

Julian zog ein enttäuschtes Gesicht. »Warum?«

»Das erklär ich dir später«, wiederholte Corinne Denises Worte von vorhin. Für sie war das Thema damit abgehakt. Sie ging auf das Mädchen zu, um ihm auf die Beine zu helfen.

Denise hatte die Dusche längst ausgeschaltet und wollte aufstehen. Der Schmerz war so grausam, dass ihr kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. Schwindel erfasste sie, der gekachelte Raum begann sich zu drehen.

Denise spürte Corinnes Hände an ihrem Oberkörper. Sie hob die Arme und spreizte die Finger. »G...geht schon!«

»Klar, das sehe ich. Julian, nimm den Verbandskasten mit.« Seine Mutter legte sich Denises Arm um die Schultern und stützte das Mädchen.

Denise verfluchte sich für ihre Schwäche.

Wie konnte das sein? In der Hölle hatte sie sogar dem Höllenfeuer von Asmodis widerstanden. Allerdings war da auch Pandora in der Nähe gewesen. Hatte die Unheilsbringerin sie mit dem Würfel des Unheils unterstützt? Oder hatte der Teufel nicht mit voller Kraft angegriffen?

Es fiel Denise von Schritt zu Schritt schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen, deshalb versuchte sie es erst gar nicht. Widerstandslos ließ sie sich in das Zimmer führen, das sich Mutter und Sohn teilten. Dort sank sie dankbar ins Bett.

Dass sich Corinne und Julian um ihre zerfleischten Waden kümmerten, bekam Denise Curtis schon nicht mehr mit. Sie war längst in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.

Lydia kniff die Augen zu. Überraschung und Zorn rangen um die Vorherrschaft. Der Zorn gewann. Die Leiterin der Women's Farm schlug die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und eilte zum Fenster.

Wütend riss sie es auf. »Was ist los? Warum bist du nicht im Keller?«

Liliths kindlicher Engel der Unzucht und Hurerei bellte etwas auf Altbabylonisch. Lydia grunzte und verpasste dem Geschöpf eine schallende Ohrfeige.

»Hör auf damit! Ich weiß, dass du meine Sprache sprichst, also rück schon heraus damit!«

Naema bewegte den Arm. Eine Klaue erschien in Lydias Sichtfeld. Im nächsten Moment fiel ihr die Kette mit dem zerbrochenen Schloss vor die Füße. Ungläubig weiteten sich Lydias Augen.

»Das Mädchen ist fort! Sie war kein gewöhnlicher Mensch!« Die Worte wurden von einem undeutlichen Giggeln begleitet, als würde jemand hinter vorgehaltener Hand kichern.

»Das weiß ich selbst. Was ist passiert?«

Naema erklärte und zeigte es ihr, indem sie den Kopf um einhundertachtzig Grad drehte. Die verbrannte Fratze der wahnsinnigen Blutsaugerin Amanda Parker starrte Lydia an. Sie war vollkommen verkohlt. Nur die Schlieren, die die verkochten Augen auf den nekrotischen Wangen hinterlassen hatten sowie die fingerlangen Vampirzähne leuchteten innerhalb der Schwärze.

Um die Blutsaugerin war es nicht schade. Es war ohnehin nicht vorgesehen gewesen, dass die Untote mit Naema verschmolz. Ihr Wahnsinn hatte auf den Engel auch keinen guten Einfluss.

Naema wandte Lydia wieder ihr eigentliches Gesicht zu.

»Und woher stammt das Blut an deinen Zähnen und Lippen?«

Die überlange Zunge der Dämonin glitt darüber hinweg. »Ich habe einen der Hunde getötet«, sagte sie und lachte.

Lydia wurde noch wütender, als sie ohnehin schon war. Wieder holte sie aus, um Naema zu schlagen, doch die war schneller und fing den Arm ab.

Das Gesicht des Engels näherte sich der Frau. »Vergiss nicht, wo dein Platz ist, Kreatur. Finde das Mädchen! Ich will ihr Fleisch.«

»Und ich ihr Blut«, drang es undeutlich aus der verkohlten Fratze. »Ihr süßes Blut. Das schmeckt bestimmt besonders gut.«

Obwohl Lydia Naemas Blick nicht standhalten konnte, fragte sie: »Kannst du sie nicht aufspüren?«

Sie schüttelte den Kopf, mehr nicht. Lydia begriff. Naema hatte es nicht nötig, sich zu erklären. Wozu auch? Sie war einer von Liliths Engeln der Unzucht und Hurerei. Sie mochte zwar noch nicht ihre ursprüngliche Macht zurückerlangt haben, doch schon jetzt war sie weitaus mächtiger, als Lydia je sein würde. Vermutlich wollte der Engel ihre Brut in der Scheune nicht alleine lassen.

Das Versteck war ideal.

Lydia bewunderte die Große Mutter für ihre Weitsicht. Es passierte häufiger, dass irgendwelche Typen auf die Farm kamen, um die vor ihnen geflüchteten Frauen oder Freundinnen zurückzuholen.

Sobald das geschah, brachten Lydia, Simone und Therese sie zu Naema in den Keller. Trotz ihres abstoßenden Äußeren konnten die Kerle gar nicht anders, als sich wie sabbernde Idioten auf den Engel der Unzucht und Hurerei zu stürzen.

Lydia dachte daran, wie sie sich die Kleider vom Leibe gezerrt und darum gestritten hatten, wer zuerst ran durfte. Zu ihrer Überraschung hatte der Fettwanst das Rennen gemacht, war aber auch am schnellsten fertig gewesen.

Wie gemalt stand die Szene vor Lydias geistigem Auge, als Naema die Beine um seine fleischigen Hüften geschlungen und die Füße vor den wabbeligen Hinterbacken verschränkt hatte, um ja nichts von dem wertvollen Samen zu vergeuden. Im selben Moment hatte Naema den Kopf gedreht, damit Amanda dem Mann den Vampirkuss geben konnte.

Zweimal hatte sich die Szene wiederholt. Und als der dritte im Bunde, der Anführer des Trios, blutleer zu Boden gesackt war, war der Dicke bereits wieder zu sich gekommen. Allerdings nicht als normaler Vampir, sondern als wahnsinniger Untoter.

Therese und Simone hatten sie dann in die Scheune gebracht, damit sich Naemas Brut an ihnen laben konnte. Der Gedanke erinnerte Lydia daran, dass die Niederkunft der nächsten Bälger kurz bevorstehenden musste.

»Wie weit bist du?«

Naema zog sich mit einer Klaue hoch, sodass Lydia den aufgeblähten Bauch sehen konnte, dessen Haut fast durchscheinend geworden war. Dunkle Schemen bewegten sich darin.

»Bald!«, knurrte der Engel.

»Gut, am besten holst du sie vorher raus. Das letzte Mal, als du mit mehreren schwanger gegangen bist, haben sie sich gegenseitig aufgefressen.«

Amanda kicherte.

Naema nickte nur und verschwand in der Dunkelheit. Sie würde wieder in den Keller zurückkriechen. Nachdenklich sah Lydia ihr hinterher.

So sehr ihr die wahnsinnige Vampirin auch auf den Geist ging, so erfüllte sie doch einen wichtigen Zweck. Das Menschenblut half bei der Entwicklung der Föten und beschleunigte sie um ein Vielfaches. Zuerst hatte Lydia nicht begriffen, warum Lilith die Blutsaugerin nicht von Naema getrennt hatte, jetzt verstand sie die Beweggründe der Großen Mutter deutlich besser, obwohl Naema dadurch noch unberechenbarer geworden war.

Lydia überlegte, wie sie vorgehen sollte. Denise war also entkommen, aber das war kein Beinbruch. Weit konnte das Mädchen mit seinen Verletzungen unmöglich gekommen sein.

Was genau Denise war, darüber zerbrach sich Lydia nicht den Kopf, wichtig war zunächst nur, sie zu finden. Und dabei sollten ihr die Hunde helfen. Aber zuvor musste sie Simone und Therese Bescheid geben, damit sie die Tür zum Keller reparierten und ein neues Schloss anbrachten.

Lydia bückte sich und hob die Kette auf.

In der Bewegung spürte sie die machtvolle Präsenz des Urbösen, das plötzlich den Raum füllte.

Sie wagt nicht, sich umzudrehen. Brauchte sie aber auch nicht. Sie wusste, wer da gerade erschienen war. Wie von Geisterhand bewegt, fiel das Fenster zu. In der Scheibe malte sich schemenhaft eine Gestalt ab. Schwarzblaue Haut, große, seitlich herunterhängende Brüste und ein ausladendes Becken.

Die Haare bewegten sich wie Schlangen. Blaue Funken knisterten zwischen den Strähnen. Die Augen in dem dunklen Antlitz leuchteten kalt.

Lilith, die Große Mutter war gekommen.

Lydia erstarrte in Ehrfurcht, ihre Knie wurden weich. Sie sank zu Boden. Ihre Hoffnung, dass ihre Herrin erschienen war, um sie in ihren Schoß aufzunehmen, erfüllte sich jedoch nicht.

»Steh auf«, befahl die Große Mutter. »Ich hab mit dir zu reden!«

»Women's Farm? Was soll das sein?«, fragte ich.

Abe schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.«

»Aber ich«, erwiderte Chandra.

Ich richtete mich auf und drehte mich zu ihr um. »Lässt du uns an deinem Wissen teilhaben?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Ich denke, das ist auch in Liliths Sinn.«

Da ich auf die Bemerkung nicht einging, sprach Chandra weiter. »Die Women's Farm ist ein Frauenhaus in Kansas. Achtzig Meilen von Wichita entfernt. Die Leiterin, Tante Lydia, nimmt dort Frauen und Kinder auf, denen Gefahr von ihren Freunden und Ehemännern droht.«

»Ich weiß, was ein Frauenhaus ist.«

»Schon möglich. Aber dieses hier ist ein besonderes.«

»Weil es unter dem Schutz der Großen Mutter steht?«

»Auch. Aber vor allem, weil wir durch es neue Rekrutinnen bekommen.«

»Ich dachte, das hier wär eine Resozialisierungseinrichtung«, meldet sich Abe Douglas zu Wort.

Chandra gönnte ihm einen kurzen Blick. »Das eine schließt das andere nicht aus.«

»Ist das alles?«, fragte ich.

Die Russin musterte mich prüfend, als würde sie überlegen, ob sie mir vertrauen konnte. »Nicht ganz«, gab sie schließlich zu. »Außerdem dient es als Versteck für Naema!«

»Ach du heilige ...«

Das letzte Wort schluckte ich herunter. Abe runzelte die Stirn.

»Moment mal, ist das nicht einer dieser Hurenengel?«

»Engel der Unzucht und Hurerei«, korrigierte ich. »Und ja. Genauso ist es.« Ich wandte mich wieder an Chandra.

»Kann es sein, dass sie es war, die dich aus der Polareule gerettet hat?«

Sie grinste. »Und da sag noch einer, du hättest kein Talent zum Kombinieren.«

»Wer hat das behauptet?«

Chandra zuckte nur mit den Schultern.

»Klärt ihr mich vielleicht mal auf?«, mischte sich Abe erneut ein.

Ich sah Chandra an. »Willst du, oder soll ich?«

Sie winkte ab und wandte sich zu den Vollstreckerinnen um. Ich nahm Abe zur Seite. »Chandra hat Naemas Geist als Gefäß gedient und sie zum Ort ihrer Erweckung gebracht.«

Der G-Man schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Na klar, jetzt erinnere ich mich.«

Nach den Ereignissen im Iran hatten wir den Bericht an sämtliche Institutionen geschickt, mit denen unsere Abteilung eng zusammenarbeitete. Dazu gehörten nicht nur die Weiße Macht, der Geheimdienst des Vatikans, die Templer-Enklave in Südfrankreich, das BKA in Deutschland und unser indischer Freund Mandra Korab, sondern auch die FBI-Abteilung, für die Abe arbeitete.

Nur der russische Geheimdienst ging seit Kurzem aus nahe liegenden Gründen leer aus. Inwieweit Karina die dortigen Kollegen auf dem Laufenden hielt, entzog sich meiner Kenntnis.

»Heißt das, die Engel stehen weiterhin in Verbindung mit ihren Wirtinnen?«, fragte Abe.

»Genau diese Frage bereitet mir große Sorge«, antwortete ich, und hob das Kreuz auf. Nachdenklich strich ich mit den Daumen über die Zeichen in der Mitte.

Außer Chandra gehörten noch Karina Grischin, Jane Collins und Davina McCarthy dazu. Und im Gegensatz zu der kugelfesten Russin zählte ich alle drei zu meinen Freundinnen. Der Gedanke, dass Lilith auch weiterhin Einfluss auf sie hatte, behagte mir gar nicht.

»Und wie kommen wir jetzt nach Kansas?«

»Ich würde vorschlagen mit dem Wagen!«

Abe drehte sich um und deutete auf den Jeep Cherokee, der unter den Trümmern des Wachturms lag. »Mit diesem Wagen?«

Mir entfuhr ein geharnischter Fluch, der vom Brummen mehrerer Motoren überlagert wurde. Wir drehten uns zur Quelle der Geräusche um. Die beiden silbrig glänzenden Busse setzten sich in Bewegung. Einer von ihnen hielt dicht neben uns an.

Die Tür öffnete sich mit einem Zischen.

Chandra lehnte lässig im Rahmen, die Arme vor der Brust verschränkt. »Braucht ihr eine Mitfahrgelegenheit?«

Sheriff Titus Porter saß in seinem Dienstwagen, der die Kolonne der Fahrzeuge anführte.

Sein Deputy William Warren III. saß neben ihm und lud in aller Seelenruhe die Pumpgun. Porter verzog die Lippen zu einem Grinsen.

Was scherte es ihn, dass das Sheriff-Büro verwaist war? Zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang passierte selten etwas Aufregendes. Die meisten Verbrechen geschahen in den ersten drei Stunden vor der Tageswende, danach waren die Gauner und Krawallmacher seines Distrikts entweder zu müde oder zu betrunken, um noch irgendeinen Unsinn anzustellen.

Nicht, dass es ihn gekümmert hätte, wäre es anders gewesen.

Das Gespräch mit Pandora war eine Erfahrung gewesen, die sein Leben verändert hatte. Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Er war ein vollkommen neuer Mensch. Noch jetzt glaubte er, ihre Lippen auf seinem Mund zu spüren.

William Warren III. hatte sie im Vorbeigehen nur kurz über den Nacken gestrichen, woraufhin er angefangen hatte zu schwitzen, wie eine überreife Tomate.

Mrs. Torchwood war hochzufrieden gewesen, als er Bill angewiesen hatte, sämtliche verfügbaren Hilfssheriffs mobil zu machen. Inklusive der Bürgerwehr, von der die Hälfte ohnehin im Barney's abhing. Eine Stunde später waren sie mit fünf Streifenwagen und ebenso vielen Pick-ups auf dem Weg zur Women's Farm.

»Ich kann's kaum erwarten, den Schlampen den Arsch aufzureißen«, sagte Warren und lud die Pumpgun durch. Er schwitzte noch immer. Hinzu kam ein widerwärtiger Gestank, der Titus den Atem verschlug. Als ob eine Katze unter dem Kühler verreckt wäre.

»Schon mal Ärger mit denen gehabt?«

»Nancy, das Miststück hat behauptet, ich hätte sie vergewaltigt.« Er gluckste. »Wie kann das sein, Boss? Wir war'n doch verheiratet.«

Dazu hätte ihm Titus eine Menge sagen können, schwieg jedoch. Er brauchte Bill an vorderster Front. Der Sheriff beäugte ihn aus dem Augenwinkel.

Seit er Mrs. Torchwood nach draußen begleitet hatte, schien mit seinem Deputy eine Veränderung vonstattengegangen zu sein. Nicht nur körperlich, auch geistig. Aus dem linkischen, etwas dümmlichen Hilfssheriff war ein eiskalter Sadist geworden. Ein stinkender, eiskalter Sadist.

»Hör'n Sie mal, Sheriff!«

Die Worte wurden von blubbernden Geräuschen begleitet, sodass Titus Mühe hatte, sie zu verstehen.

»Wenn Nancy auf der Farm is', dann ... dann überlassen Sie sie mir, ja? Ich ... ich mein, nachdem sie ... nachdem wir sie ...«

Die Pumpgun explodierte!

Zum Glück hatte sie Bill aufrecht zwischen seine Beine gestellt. Wie einen übergroßen Phallus. Auf diese Weise war die Ladung in die Decke des Streifenwagens gejagt. Zu dumm nur, dass ihr dabei Bills Gesicht im Weg gewesen war.

Eine warme Flüssigkeit spritzte Titus Porter ins Gesicht. Der Hut des Deputys wirbelte davon und landete im Fond. Instinktiv trat der Sheriff auf die Bremse und würgte den Motor ab. Entsetzt starrte er in den Krater in Warrens Schädel. Von seiner Visage war lediglich eine schleimige, Blasen schlagende Masse übrig geblieben.