John Sinclair 2333 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2333 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

"Wir erbitten deine Ankunft, Baal. Wir, die wir zu deinen Füßen im Staube kriechen. Steige hinab von deinem Berg Peor und lehre uns das Leben, den Tod, die Unzucht und die Macht. Uns, die wir dir unsere Seelen weihen. Wir flehen dich an, Baal Peor. Wir, die wir dir unsere Leiber darbieten. Nimm uns, erhöre uns, besudle uns, auf dass wir die Wahrheit erkennen."
Die Stimme der jungen Frau hallte durch den finsteren Raum, der nur von wenigen flackernden Kerzen erhellt wurde. Es waren genau fünf. Fünf Kerzen, die vor den angewinkelten Knien der anwesenden Personen standen. An den Spitzen eines Pentagramms, in dessen Zentrum der aufgeschlitzte Kadaver eines Hahns lag.
Unvermittelt hob sich die Stimme der Vorbeterin, als sie den Namen des Dämons mit Stentorstimme hinaus brüllte. Ein eiskalter Windstoß fuhr durch das Innere des geschlossenen Raums. Die Kerzenflammen flackerten, bizarre Schatten huschten über die Wände.
Einige Mitbeschwörer zuckten zusammen, blickten sich angstvoll um, fielen dann aber in den Sprechgesang ein, mit dem die Vorbeterin den Namen des Dämons skandierte.
"Belphégor! Belphégor! BELPHÉGOR!"


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Inhalt

Cover

Der Dämon, den sie riefen

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Der Dämon, den sie riefen

von Ian Rolf Hill

»Wir erbitten deine Ankunft, Baal. Wir, die wir zu deinen Füßen im Staube kriechen. Steige hinab von deinem Berg Peor, und lehre uns das Leben, den Tod, die Unzucht und die Macht. Uns, die wir dir unsere Seelen weihen. Wir flehen dich an, Baal Peor. Wir, die wir dir unsere Leiber darbieten. Nimm uns, erhöre uns, besudle uns, auf dass wir die Wahrheit erkennen.«

Die Stimme der jungen Frau hallte durch den finsteren Raum, der nur von wenigen flackernden Kerzen erhellt wurde. Es waren genau fünf. Fünf Kerzen, die vor den angewinkelten Knien der anwesenden Personen standen. An den Spitzen eines Pentagramms, in dessen Zentrum der aufgeschlitzte Kadaver eines Hahns lag.

Unvermittelt hob sich die Stimme der Vorbeterin, als sie den Namen des Dämons mit Stentorstimme hinausbrüllte. Ein eiskalter Windstoß fuhr durch das Innere des geschlossenen Raums. Die Kerzenflammen flackerten, bizarre Schatten huschten über die Wände.

Einige Mitbeschwörer zuckten zusammen, blickten sich angstvoll um, fielen dann aber in den Sprechgesang ein, mit dem die Vorbeterin den Namen des Dämons skandierte.

»Belphégor! Belphégor! BELPHÉGOR!«

Mit Valerie stimmte etwas nicht, dessen war sich Billie sicher.

Seit Tagen schon verhielt sie sich komisch. Komischer noch als sonst. Also nicht so merkwürdig, wie er es von seiner älteren Schwester gewohnt war.

Das liegt an der Pubertät, meinte Mum. Dad meinte, wie so oft, gar nichts. Er hatte mit den Schultern gezuckt und gesagt, sie würde sich schon wieder einkriegen.

Billie war davon nicht überzeugt. Irgendetwas Seltsames war mit Valerie passiert, als sie das ganze Wochenende allein gewesen war, während er mit Mum und Dad in Hastings Grandma besucht hatte. Danach hatte es angefangen, das wusste er genau. Er war doch nicht blöd. Warum wollten seine Eltern nicht erkennen, was mit Valerie los war?

Ihre Augen lagen tief in den dunkel umrandeten Höhlen, die Haut war bleich wie die eines Gespenstes. Selbst die Lippen hatten kaum Farbe. Der schwarze Lack an den Nägeln bröckelte, die Klamotten waren noch dieselben, die sie vor drei Tagen getragen hatte, als sie zurückgekehrt waren.

Seitdem schien sich Valerie weder umgezogen noch geduscht zu haben. Ihre dunklen, schulterlangen Haare waren ungekämmt und schimmerten fettig. Außerdem roch sie ziemlich streng. Es war dieser säuerliche Mief, der Menschen kurz nach dem Aufstehen umgab. Noch bevor sie sich richtig gewaschen hatten.

Nur, dass er Valerie seit Sonntag ständig wie eine unsichtbare Wolke einhüllte. Es war so schlimm, dass Billie die Luft anhielt, sobald er an seiner Schwester vorbeiging. Sich die Nase zuzuhalten, traute er sich nicht.

Ihn überraschte nur, dass Mum dazu nichts sagte. War es ihr egal?

Dad dagegen hatte sich nie um so etwas gekümmert. Und seit er und Mum sich immer öfter stritten, noch viel weniger. Bei Grandma war es besser gewesen, nur auf der Hinfahrt hatte es kurz geknallt, danach war Ruhe eingekehrt. Billie hatte mit der Stille keine Probleme gehabt, er war sowieso die ganze Zeit über mit Super Mario in 3D-Land unterwegs gewesen.

»Billie, iss dein Gemüse!«

Er zuckte erschreckt zusammen, als Mum ihn ansprach. Er war so damit beschäftigt gewesen Valerie zu beobachten und über sie nachzudenken, dass er glatt vergessen hatte, weiterzuessen.

Valerie dagegen nagte an ihrem Hähnchenschenkel, als hätte sie seit Tagen nichts mehr zu sich genommen. Möhren und Erbsen rührte sie nicht an. Ebenso wenig wie das Kartoffelpüree.

Allein das war schon reichlich merkwürdig, denn Valerie war Vegetarierin. Er konnte sich noch genau an den Aufstand erinnern, als Mum letztes Jahr zu Thanksgiving einen Truthahn zubereitet hatte. Seitdem hatte sie kein Stück Fleisch oder Wurst mehr angerührt.

Umso seltsamer, dass sie sich jetzt ausgerechnet über eines der Beine hermachte. Billie mochte ja das zarte Brustfleisch viel lieber. Ohne die ganzen Knorpel und so. Aber selbst Valeries Appetit auf Hähnchenfleisch kam Mum und Dad nicht komisch vor. Ihre einzige Sorge schien zu sein, dass er sein Gemüse nicht aß.

»Ja, Mum«, murmelte Billie daher, und beugte sich vor.

Er spießte eine Möhre mit der Gabel auf und führt sie an den Mund. Dabei verdrehte er die Augen, um seine Schwester weiterhin angucken zu können. Allerdings so, dass es ihr nicht auffiel.

Aber die schien ohnehin nichts von ihrer Umgebung mitzubekommen.

Mittlerweile hatte sie das Fleisch verzehrt und schlang den weichen weißen Knorpel hinunter, als wäre es das Leckerste auf der ganzen Welt. Billie musste sich zusammenreißen, um nicht zu würgen. Das war ja widerlich. Und Valerie war noch lange nicht fertig. Als Nächstes kamen die kleineren Knochen an die Reihe. Es knirschte, als würde sie Cornflakes mampfen.

Wenigstens merkten jetzt auch Mum und Dad, dass sich Valerie merkwürdig benahm.

»Kind, du musst doch nicht die Knochen essen«, sagte Mum, während Dad seine Tochter lediglich stumm anglotzte und die Stirn dabei in Falten legte, so wie er es immer dann zu tun pflegte, wenn ihm Billie das Ergebnis der letzten Mathearbeit zeigte. Fehlte nur, dass er leise murmelte: »Was hab ich bloß falsch gemacht?«

»Hier, ist noch etwas von der Brust, wenn du magst.«

Billie presste die Lippen aufeinander. Er hatte gehofft, dass er das letzte Stück bekäme. Zum Glück reagierte Valerie nicht auf das Angebot, sondern nagte nur umso heftiger an dem Knochen herum, obwohl sie sich an dem Größten fast die Zähne ausbiss.

Egal wie fest sie darauf herumkaute.

Plötzlich erstarrte sie, als wäre nun auch ihr aufgefallen, dass sie sich ziemlich seltsam verhielt. Daraufhin ließ sie den Knochen fallen und schnappte sich einen der Flügel, an denen kaum etwas dran war. Und schon ging das Knirschen und Knuspern von Neuem los.

Mum starrte Valerie mit großen Augen an. Das Stück Brustfleisch, das sie zwischen Gabel und Messer geklemmt hatte, um es ihrer Tochter zu reichen, schwebte zitternd in der Luft.

Oh, oh, dachte Billie. Das gibt gleich ein Donnerwetter.

Und er sollte sich nicht getäuscht haben. Allerdings war es nicht Mum, die es auslöste, sondern Dad, der das Besteck auf den Teller fallenließ.

»Valerie! Hör sofort auf damit!«, rief er so laut, dass sich Billie trotz allem erschreckte.

Aber sein Vater hatte Erfolg, seine Tochter gehorchte tatsächlich. Wenn auch anders, als Mum und Dad es erwarteten. Valerie schob den zerkauten Knochenbrei mit der Zunge aus dem Mund. Dabei ließ sie Dad keine Sekunde aus den Augen.

Billie fing an zu frieren. Bei diesem Blick bekam er Angst. Valerie sah aus, als wünschte sie Dad die Pest an den Hals. Oder Schlimmeres. Es war der pure Hass, der aus ihren Augen sprang.

Es wurde so still, dass Billie glaubte, man könne sein Herz schlagen hören.

Mum versuchte zu schlichten. »Valerie, Schatz, willst du nicht doch lieber was von der Brust?«

»Schieb dir deine verkackte Hühnertitte in den Arsch, du schwanzlutschende Hure!«

Valerie sprang auf und stürmte aus dem Zimmer. Billie starrte ihr mit weit aufgerissenen Augen hinterher. Es waren weniger ihre Worte, die ihn so erschreckt hatte, obwohl sie wirklich schlimm gewesen waren. Nein, was Billie am meisten Angst machte, war die Stimme, mit der Valerie ihre Mutter angeschrien hatte.

Es war nicht ihre Eigene gewesen.

»Valerie!«, brüllte Dad.

Sein Kopf war vor Zorn rot angelaufen. Auch er war aufgestanden, um seiner Tochter hinterherzulaufen, doch Mum hielt ihn am Arm fest. Dad blieb stehen und schaute seine Frau an, als wäre sie diejenige, die soeben Worte in den Mund genommen hatte, die Billie mindestens einen Monat Hausarrest eingebrockt hätten. Und noch einiges mehr.

»Nein, warte!«, flüsterte Mum auf eine Weise, die Billie klarmachte, wie sehr sie Valeries Wutausbruch verletzt hatte. »Lass sie.«

»Was?« Auch Dad schien nicht zu begreifen, warum seine Tochter damit durchkommen sollte. »Hast du nicht gerade gehört, was sie zu dir gesagt hat?«

Mum ließ das Besteck sinken und legte das Stück Hähnchenbrust zurück auf die Platte. In ihren Augen glitzerten Tränen. Sie tat Billie leid. Gleichzeitig fragte er sich jedoch auch, ob er der Einzige gewesen war, der raffte, dass Valerie nicht mit ihrer eigenen Stimme gesprochen hatte.

»Natürlich«, sagte Mum. »Sie hat ja laut genug geschrien.« Sie zog die Nase hoch, nahm eine bereitliegende Serviette zur Hand und tupfte sich die Augen ab. »Und deshalb werde ich selbst mir ihr sprechen.«

»Worauf wartest du dann?«

Plötzlich sah Mum überhaupt nicht mehr traurig aus, eher wütend. »Wenn ich es für richtig halte, Carl.«

»D...darf ich aufstehen?«, flüsterte Billie. So leise, dass ihn natürlich niemand verstand. Er musste sich räuspern, ehe er imstande war, seine Bitte zu wiederholen.

»Ja, doch«, schnauzte Dad ihn an.

»Der Junge kann nun wirklich am allerwenigsten dazu«, rief Mum empört.

Doch Billie störte sich nicht an dem lauten Tonfall seines Vaters. Er war bloß froh, dass er in sein Zimmer durfte. Nur weg von hier. Aufs Bett, wo er zusammen mit Super Mario ins 3D-Land flüchten konnte.

Die Stimmen seiner streitenden Eltern blieben hinter ihm zurück. Niemand folgte ihm, um mit Valerie zu sprechen, deren Zimmer direkt neben seinem lag. Die Tür war bloß angelehnt. Da Billie Socken mit rutschfester Sohle trug, konnte er sich ihr nahezu lautlos nähern.

Automatisch verlangsamte er seine Schritte, als er Valerie auf dem Boden sitzen sah. Mit dem Rücken zur Tür und direkt vor dem Käfig von Jinx und Vi, ihren beiden zahmen Ratten.

Wahrscheinlich streichelte sie eine von ihnen, während sie den Tieren ihr Leid klagte, denn sie murmelte irgendetwas vor sich hin, das Billie nicht verstand. Es hörte sich rau und abgehackt an.

Der Junge blieb stehen. Er hatte das Gefühl im Kühlschrank zu sitzen, so kalt wurde ihm. Eine Gänsehaut rieselte ihm über die Arme.

Es war dieselbe Stimme, mit der sie Mum beleidigt hatte. Nein, das war definitiv nicht ihre Eigene. Selbst wenn Valerie sie verstellt hätte, hätte sie niemals so sprechen können. Billie war sich nicht mal sicher, ob es die Stimme eines Menschen war. Sie hörte sich viel dumpfer und verzerrter an. Wie die von Darth Vader.

Billie schlug das Herz bis zum Hals. Sein Magen zog sich zusammen, Hände und Füße wurden eiskalt, die Brust eng, sodass er kaum noch atmen konnte. Trotzdem gab er sich einen Ruck, ging näher auf den Türspalt zu.

Valeries Selbstgespräch verstummte.

Billie hielt erschreckt inne, aus Furcht, sie könne ihn bemerkt haben. Erst als er das Schmatzen und Knirschen vernahm, begriff er, dass sie anderweitig beschäftigt war.

Komisch, er hatte gar nicht mitbekommen, dass sie einen der Hähnchenflügel mitgenommen hatte. Ohne sich dessen bewusst zu sein, streckte er den Arm aus, legte die Hand an die Tür und drückte sie nach innen. Nur ganz wenig, höchstens ein, zwei Zentimeter. Doch das genügte schon, um die Scharniere leise knarren zu lassen.

Billie zog den Kopf zwischen die Schultern, als hätte sich eine eiskalte Hand in seinen Nacken gelegt.

Die im Schneidersitz auf dem Boden hockende Valerie wandte ihm ruckartig das Gesicht zu. Und da konnte Billie den Schrei nicht länger unterdrücken. Gellend hallte er durch das Haus.

Mund, Kinn und Wangen seiner Schwester waren mit dickem, dunkelrotem Blut verschmiert, das zweifelsohne von der Ratte stammte, der Valerie soeben den Kopf abgebissen hatte.

Das Gesicht des Mädchens verzog sich zu einer hassverzerrten Fratze. Starr vor Entsetzen bemerkte Billie, dass ihre Augen tiefschwarz waren.

Valerie fletschte die blutverschmierten Zähne. Sie sah aus wie ein tollwütiger Hund. Dazu passte auch der grollende Laut, den sie ausstieß. Die Tür zu ihrem Zimmer fuhr wie von Geisterhand bewegte ins Schloss. Billie konnte sich gerade noch mit einem Sprung in Sicherheit bringen und den Arm anwinkeln, sonst wäre er unweigerlich getroffen worden.

Die Tür hätte ihm bestimmt mehrere Finger gebrochen.

Der Knall, mit dem sie zukrachte, fuhr dem Jungen durch Mark und Bein.

»Billie, Kind, was ist passiert?«

Er drehte sich um und sah Mum am Ende des Flurs um die Ecke biegen. Ihre Gestalt verschwamm hinter den Tränen, mit denen sich seine Augen füllten.

»Mum«, würgte er hervor. »Valerie, sie ...«

»Hat sie die Tür gerade zugeknallt?«, wollte seine Mutter wissen.

Da er kein Wort mehr herauskriegte, nickte er.

»So, das reicht jetzt!«

Wie aus dem Nichts tauchte Dad hinter Mum auf, schob sie zur Seite und legte die Hand auf die Klinke. Doch so sehr er auch rüttelte und drückte, sie ließ sich nicht öffnen. Die Tür war nicht nur abgeschlossen, sondern regelrecht verkeilt worden. Anders war es nicht möglich, da weder Valerie noch Billie einen Schlüssel für ihre Zimmer besaßen.

»Das ist ja wohl ein schlechter Scherz«, murmelte Dad, nur um gleich darauf mit der flachen Hand an die Tür zu hämmern. »VALERIE! Mach sofort die verdammte Tür auf!«

Billie spürte, wie Mum ihn zurückzog und ihm den Arm um die Schultern legte.

Widerstandslos ließ er es geschehen, er hatte nur Augen für Dad, der erneut nach der Klinke griff, um sich mit der Schulter gegen das Türblatt zu werfen.

Im selben Augenblick schwang dieses zurück, sodass Dad in den dahinterliegenden Raum taumelte und dabei fast noch über die eigenen Beine gestolpert wäre. Eigentlich eine Szene zum Lachen, wenn Billie nicht die ganze Zeit an die tote Ratte in Valeries Faust hätte denken müssen.

Ein kalter Luftzug fuhr durch die Tür, strich über sein Gesicht mit der erhitzten Haut. Er stammte von dem offenen Fenster, hinter dem sich die Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht ballte. Die Vorhänge bauschten sich im Wind.

Von Valerie fehlte jede Spur. Nur der offenstehende Käfig mit den beiden toten, kopflosen Ratten zeugte von der grauenhaften Tat seiner Schwester.

»Gollum! Gollum, komm sofort her!«

Billie stand zitternd in der offenen Tür und ließ den Blick durch den Vorgarten und die dahinterliegende Straße schweifen, in der Hoffnung, dass sein Kater angetrottet kam. So wie er es eigentlich immer tat, sobald er ihn rief. Nur heute nicht.

Der Junge zitterte nicht nur der Kälte wegen, sondern vor allem aus Angst um seinen vierbeinigen Freund. Wenn Valerie selbst vor ihren geliebten Ratten keinen Halt machte, was würde sie dann erst mit Gollum anstellen?

Seine Augen brannten. Er stand kurz davor, zu weinen. Sollte Gollum was zugestoßen sein, dann wusste er nicht, was er tun würde. Der kleine Kerl hatte doch niemandem etwas getan. Am allerwenigsten Valerie.

Wieder rief Billie nach seinem Kater. Und wieder regte sich nichts. Nur ein Auto fuhr langsam vorbei und blieb zwei Häuser weiter vor einem schmiedeeisernen Tor stehen. Billie war für einen Moment abgelenkt, sodass er gar nicht mitbekam, wie sich Mum näherte.

»Komm jetzt rein, Billie. Es ist schon spät, und du muss ins Bett. Morgen ist Schule.«

»Aber Gollum ist noch nicht wieder da!«, protestierte er. »Er kommt sonst immer.«

Mum legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich weiß, mein Schatz. Aber Gollum ist nicht mehr klein. Er ist jetzt ein erwachsener Kater und die bleiben gerne mal eine Nacht weg.«

»Nicht Gollum«, behauptete Billie, und stampfte mit dem Fuß auf.

»Hör zu, Billie.« Mum drehte ihn an der Schulter herum und ging vor ihm in die Hocke, so wie sie es immer tat, wenn sie etwas Ernstes mit ihm zu besprechen hatte. »Ich mach dir einen Vorschlag. Du putzt dir die Zähne und gehst ins Bett, und ich suche draußen nach Gollum.«

Billie überlegte kurz. »Und Dad?«

»Der auch. Sobald er mit Belinda und den Archers gesprochen hat. Irgendwo muss Valerie schließlich stecken.«

Der letzte Satz klang so, als hätte Mum ihn nur gesagt, um sich selbst zu beruhigen. Als Billie den Namen seiner Schwester hörte, senkte er den Kopf und nagte an der Unterlippe.

»Ist was?«, fragte Mum.

Er schüttelte den Kopf.

Seine Mutter legte zwei Finger unter sein Kinn, zwang ihn auf diese Weise sie anzugucken. »Was ist los? Weiß du etwa, wo deine Schwester steckt?«

Wieder schüttelte er den Kopf. »Nein.«

»Was ist es dann?«

Er überlegte, ob er seiner Mum die Wahrheit sagen sollte. »Valerie, sie ... sie hat so komisch gesprochen, weiß du?«

Mum nickte und sah plötzlich sehr traurig aus. »Ich weiß, und das waren sehr hässliche Sachen. Ich möchte nicht ...«