John Sinclair 2337 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2337 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Der Sturm kam von Osten.
Er fegte vom Festland über die Nordsee und wühlte das Wasser auf. Haushohe Wellen rollten gegen die Klippen. Das Krachen, mit dem sie zu kalter Gischt zerstoben, vermengte sich mit dem Donnern des Gewitters, das sich über Aberdeen und Cove Bay zusammengezogen hatte.
Die Nacht war so schwarz, dass kaum ein Lichtstrahl hindurchdrang. Nur das Flackern der Blitze, die aus den tiefschwarzen Wolken zuckten, vermochte die Dunkelheit kurzzeitig aufzureißen.
Sturm war zu dieser Jahreszeit nichts Ungewöhnliches, Gewitter hingegen schon. Beides tobte mit vernichtender Stärke über das Land, rüttelte an den Häusern, schleuderte Schindeln von den Dächern und entwurzelte Bäume.
Die Hölle selbst schien ihre Pforten geöffnet zu haben. Und nicht wenige Menschen bekreuzigten sich, als sie das Heulen des Windes vernahmen. Es hörte sich an, wie das Wehklagen gepeinigter Seelen, die auf ewig im Feuer der Verdammnis schmorten ...


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Inhalt

Cover

Hort des Bösen

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Hort des Bösen

von Ian Rolf Hill

Der Sturm kam von Osten. Er fegte vom Festland über die Nordsee und wühlte das Wasser auf. Haushohe Wellen rollten gegen die Klippen. Das Krachen, mit dem sie zu kalter Gischt zerstoben, vermengte sich mit dem Donnern des Gewitters, das sich über Aberdeen und Cove Bay zusammengezogen hatte.

Die Nacht war so schwarz, dass kaum ein Lichtstrahl hindurchdrang. Nur das Flackern der Blitze, die aus den tiefschwarzen Wolken zuckten, vermochte die Dunkelheit kurzzeitig aufzureißen.

Sturm war zu dieser Jahreszeit nichts Ungewöhnliches, Gewitter hingegen schon. Beides tobte mit vernichtender Stärke über das Land, rüttelte an den Häusern, schleuderte Schindeln von den Dächern und entwurzelte Bäume.

Die Hölle selbst schien ihre Pforten geöffnet zu haben. Und nicht wenige Menschen bekreuzigten sich, als sie das Heulen des Windes vernahmen. Es hörte sich an, wie das Wehklagen gepeinigter Seelen, die auf ewig im Feuer der Verdammnis schmorten ...

Auch Gilda McKillian wurde von dem Heulen und Winseln aus dem nächtlichen Schlaf gerissen. Die Fensterscheiben vibrierten im Rahmen, die Schieferplatten, mit denen die Gauben verkleidet waren, klapperten. Wie Knochen, die aneinanderschlugen.

Gilda war sofort hellwach. Ruckartig schlug die sie Augen auf, konnte aber nichts erkennen. Um sie herum war es stockfinster. Reflexartig streckte sie den Arm aus und tastete dorthin, wo ihr Mann lag. Beziehungsweise hätte liegen müssen.

Die Betthälfte war leer!

»Martin?«, flüsterte Gilda.

Aber Martin antwortete nicht. Selbst wenn er sich noch im Zimmer aufgehalten hätte, wäre Gildas Frage im Heulen des Sturms und dem Klappern der Schindeln hoffnungslos untergegangen.

Ein Blitz teilte die wallende Schwärze vor dem Fenster. In seinem Licht konnte Gilda das zerwühlte Laken und die zur Seite geschlagene Bettdecke deutlich erkennen. Ebenso wie das Kissen mit dem Abdruck seines Kopfes.

Unverhofft stülpte sich die Finsternis über das Schlafzimmer, das sie sich seit viereinhalb Jahren mit Martin teilte.

Die Hälfte davon waren sie verheiratet, und seit einem halben Jahr waren sie sogar endlich zu dritt. Der kleine Killian war Gildas ganzer Stolz. Sie genoss jeden Tag, den sie gemeinsam mit ihrem Sohn verbringen durfte.

Der Gedanke an den Säugling stoppte ihr Gedankenkarussell.

Killian!

Der Kleine musste bei dem Lärm Höllenängste ausstehen. War sie vielleicht deshalb wach geworden? Auf dem Rücken liegend wälzte sich Gilda herum, um einen Blick auf das Babyphon zu werfen, das neben dem Radiowecker auf dem Nachtschrank stand.

Weder das grüne Lämpchen, das anzeigte, dass der Lautsprecher empfangsbereit war, noch die LED-Anzeige des Weckers brannten.

Gilda schnellte aus dem Bett und ignorierte den Schwindel.

Abermals erhellte ein Blitz die Dunkelheit.

In seinem Schein griff sie nach dem Babyphon und betätigte den On/Off-Schalter, ohne dass das Gerät in irgendeiner Form reagierte. Es musste defekt sein. Doch im Fall eines Stromausfalls hätten die Batterien übernehmen müssen, die Martin erst gestern ausgetauscht hatte.

Gilda stellte den Apparat zurück, schwang die Beine von der Matratze und stand auf. Um das Babyphon konnte sie sich später noch kümmern, zunächst musste sie nach Killian schauen.

Bestimmt war Martin bei ihm und gab ihm das Fläschchen.

Mehr aus einem Reflex heraus betätigte sie den Lichtschalter, doch wie zu erwarten, blieb es dunkel. Dann eben ohne Licht.

Blind tastete sie nach der Klinke und stieß gegen das offen stehende Türblatt. Anscheinend hatte Martin sie offengelassen, als er das Schlafzimmer verlassen hatte.

Es kostete Gilda Überwindung, nicht nach ihm zu rufen. Sollte ihr Mann tatsächlich bei Killian sein, würde er sich bedanken, wenn sie ihren Sohn mit ihrem Schrei weckte. Womöglich, nachdem Martin ihn mühsam wieder in den Schlaf gewiegt hatte.

Also schlich sie auf nackten Sohlen in Richtung Kinderzimmer. Sie hatte es ja nicht weit, brauchte nur über den Flur zu gehen und die gegenüberliegende Tür zu öffnen.

Auch sie war bloß angelehnt, wie Gilda feststellte, als der nächste Blitz den dahinterliegenden Raum erhellte. Der Türspalt flackerte in fahlem Licht.

»Martin?«, wisperte sie nun doch.

Das Flüstern ging im Krachen des Donners gnadenlos unter, der dem Blitz auf dem Fuße folgte.

Gilda schlich näher, stieß die Tür mit der Hand auf. Just als es wieder dunkel wurde. Da es draußen fast ebenso finster war wie im Haus, konnte sie nicht mal die Umrisse der Möbel ausmachen, geschweige denn ihren Mann.

Das Einzige, was sie wahrnahm, war ein leicht metallischer Geruch sowie das leise Quietschen des Schaukelstuhls, der neben der Wiege stand und in dem sie Killian zu stillen pflegte. Und eine Art Schmatzen, wie es ihr Sohn manchmal von sich gab, wenn er allzu gierig war.

»Martin?«

Aber selbst jetzt, wo kein Donnergrollen ihr das Wort von den Lippen riss, bekam sie keine Antwort. Dafür wurde das Heulen des Sturms lauter, wütender. Der Wind fegte um das Haus, als wollte er es aus dem Fundament reißen.

Und in dieses Geräusch hinein, erklang das unterdrückte Schluchzen des Babys.

Unter Tausend anderen hätte Gilda die Stimme ihres Sohnes erkannt. Nur kam das Wimmern nicht von vorne, wo der Schaukelstuhl quietschte und sie das Schmatzen vernahm. Das lauter werdende Schreien ihres Kindes war in ihrem Rücken erklungen.

Als stünde jemand mit Killian auf dem Arm hinter der Tür.

Was hieß denn hier jemand? Das konnte doch nur Martin sein. Wollte er sich einen Scherz mit ihr erlauben? Reichlich unpassend zu dieser Zeit und bei diesem Wetter. Vor allem, wenn es Killian keinen Spaß machte. Und dass es das nicht tat, war offensichtlich.

»Martin, ich ...«

Ein weiterer Blitz erhellte das Kinderzimmer.

Gilda McKillian blieb abrupt stehen. Für die Dauer eines Wimpernschlags hatte sich eine Gestalt aus der Schwärze geschält. Eine nackte Frau mit üppigen Brüsten, an die sie ein winziges Bündel presste, das in einem Strampler steckte.

Killian!

Wer war diese Frau? Ihre Haut war bleich wie der Tod, ihre Finger lang und dünn, die Nägel Spitz und leicht gekrümmt. Wie Krallen ...

Ein Gesicht war nicht zu erkennen. Der Kopf der Fremden lag im Schatten. Gilda sah lediglich zwei silbrig glänzende Scheiben auf Höhe der Augen, die wie winzige Spiegel schimmerten, als der Blitz das Zimmer erhellte.

Gildas Herz klopfte schneller. Kalter Schweiß trat ihr aus den Poren, das Blut schien sich in Eiswasser verwandelt zu haben.

War das überhaupt ein Mensch?

Die Knie der jungen Mutter fingen an zu zittern. Ihre Gedanken überschlugen sich, suchten nach einer rationalen Erklärung. Es musste eine Täuschung sein, die ihr die strapazierten Nerven spielten.

»Killian!«

Gilda wollte auf die hinter der Tür stehende Person zugehen, als sie die eisige Kälte erwischte. Wie ein Gruß aus der Arktis. Oder dem Jenseits ...

Es war ja nicht nur die lähmende Kälte. Da war noch etwas Anderes. Etwas Böses, Niederträchtiges, dass Gilda McKillian das Blut in den Adern gefrieren ließ.

»Zu spät!«, zischelte, wisperte und klirrte es aus der Dunkelheit, die erneut von einem Blitz vertrieben wurde.

Die Unbekannte war verschwunden, als wäre sie nie da gewesen. Und mit ihr Killian, Gildas Sohn. Oder?

Aber wer schmatzte und schlürfte dann hinter ihr im Schaukelstuhl?

Eine Gänsehaut kroch ihr über den Rücken und ließ sie frösteln.

Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, drehte sie sich um. Das Zittern ihrer Knie wurde stärker. Jeden Augenblick konnten sie unter ihrem Gewicht nachgeben. Irgendwie schaffte es Gilda dennoch, die Drehung zu vollenden.

Mit brennenden Augen starrte sie auf den Schaukelstuhl, der eben im Licht des nächsten Blitzes aufflackerte.

Martin saß darin.

Er war völlig nackt. Die Arme hingen über die Lehnen, der Kopf war zur Seite geneigt, die offen stehenden Augen blickten genau in ihre Richtung.

Nur nahmen sie nichts mehr wahr, denn ihr Mann war tot.

Seine Haut war so weiß wie Schnee, in seinem Schoß räkelte sich ein schwarzhäutiges Geschöpf, das so scheußlich war, dass Gilda sich nicht länger auf den Beinen halten konnte. Sie sank auf die Knie und übergab sich.

Vielleicht lag das aber auch an dem feucht glänzenden Ding, das die Kreatur mit beiden Händen aus Martins aufgerissener Bauchhöhle gezerrt hatte und gierig darauf herumkaute.

»Hast du das gelesen?«

Carlotta faltete die Tageszeitung umständlich zusammen und schob sie ihrer Ziehmutter Maxine über den Frühstückstisch hinweg zu, damit ihr die Schlagzeile direkt ins Auge sprang.

Die Tierärztin hob die Brauen und zog das Blatt zu sich heran. »Säugling vermisst«, las sie vor. »Familientragödie in Cove Bay. Hm, ja, wirklich tragisch. Ich hoffe, die Polizei findet das Baby.«

Carlotta verdrehte die Augen. »Soll ich dir den Artikel vorlesen, oder kriegst du das selbst hin?«

Maxine warf ihrer Ziehtochter einen grimmigen Seitenblick zu, bevor sie sich seufzend in ihr Schicksal ergab. Sie lehnte sich zurück und schlug die Zeitung auf, um den gesamten Artikel lesen zu können, gab aber schon nach wenigen Sekunden auf. Die Tierärztin ließ das Blatt sinken und funkelte Carlotta über den Rand der Zeitung hinweg an.

»Wasch?«, fragte diese mit vollem Mund, den sie eben mit einem weiteren Löffel Müsli füllte. »Schon fertisch?«

»Nein, ich hab noch gar nicht richtig angefangen. Könntest du dein Vo... äh, Müsli, bitte leiser futtern? Hört sich ja an, als hätten wir Würmer im Gebälk.«

Carlotta starrte ihre Ziehmutter mehrere Herzschläge lang mit dicken Backen reglos an, ehe sie langsam und bedächtig weiter kaute, ehe sie den Bissen herunterwürgte.

Maxine bedankte sich und widmete sich wieder dem Artikel. Zumindest war das ihre Absicht, doch ausgerechnet diejenige, die sie eben noch dazu gedrängt hatte, erhob plötzlich Einwände.

»Du wolltest Vogelfutter sagen, gib es zu!«

»Was? Das ist nicht wahr! Du musst dich getäuscht haben.«

»Du hast ›Vo...‹ gesagt und dann gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt.«

Maxine lächelte. »Ach, ich wollte doch bloß Vollkorn-Cerealien sagen, aber das erschien mir dann zu kompliziert. Interpretier da nicht so viel rein!«

Carlotta verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Vollkorn-Cerealien? Im Ernst? Du erwartest doch wohl nicht, dass ich dir das glaube?«

»Das wirst du wohl müssen. Es sei denn du hast vor zu schmollen. In dem Fall kann ich mich mir den Artikel sparen.«

»Von wegen. Du liest, ich esse. Am besten, ich würge das Zeug unzerkaut herunter, so wie es Vögel machen. Und danach lasse ich mir ein Bad ein und flattere so doll mit den Flügeln, dass das ganze Haus unter Wasser ... ups!«

Um ihre Worte zu unterstreichen hatte Carlotta ihre schneeweißen Schwingen entfaltet und sie hastig auf und ab bewegt. Dabei hatte sie jedoch ihre Spannweite unterschätzt, was zur Folge hatte, dass die Spitze des rechten Flügels die Müslipackung von der Arbeitsplatte fegte, sodass sich der Inhalt auf dem Küchenboden verteilte.

»Ja, ups. Ich schlage vor, du fegst und ich lese.«

Carlotta grinste schief. »Schade, dass mir Elax keinen Schnabel verpasst hat, dann könnte ich sie aufpicken.«

Es gab eine Zeit in Carlottas Leben, da hätte sie solch ein Bemerkung nicht äußern können, ohne eine mittelschwere Panikattacke auszulösen. Mittlerweile hatte Carlotta jedoch Frieden mit ihrer Vergangenheit geschlossen und war nicht nur körperlich, sondern vor allen Dingen auch emotional gereift. Was passiert war, konnte sie nicht ungeschehen machen, das hatte sie zu akzeptieren gelernt.

Derartige Sprüche waren nun mal Carlottas Methode, um mit der Tatsache umzugehen, dass sie keine normale Kindheit gehabt hatte. Sie war das Resultat genetischer Experimente.

Auf den ersten Blick war Carlotta ein gewöhnlicher Teenager. Vielleicht etwas kräftiger in den Schultern, gemessen an ihrer ansonsten eher zierlichen Statur. Ihre Stimme mochte eine Nuance schriller als die gleichaltriger Mädchen sein, aber selbst das fiel nicht unbedingt auf. Erst wenn Carlotta die Flügel entfaltete, wurde das gesamte Ausmaß ihrer Andersartigkeit deutlich.

Nach ihrer Flucht aus dem Forschungszentrum war sie bei einem Mädchen gelandet, das zu ihren besten Freundinnen zählte und zurzeit in Edinburgh studierte: Rosy Mills. Und Rosy wiederum hatte Carlotta zu Maxine gebracht, der Rest war Geschichte. Fast zumindest, denn nachdem sie beschlossen hatten, zusammenzubleiben, stolperten sie immer wieder in Fälle und Abenteuer, die am ehesten mit dem Wort bizarr umschrieben werden konnten.

Vampire, Werwölfe und Zombies waren dabei nur die Spitze des Eisbergs. Und Maxine argwöhnte, dass ihr Carlotta den Zeitungsartikel nicht umsonst gezeigt hatte.

Ihr Freund John Sinclair hätte so etwas Bauchgefühl genannt, Maxine nannte es Intuition, das Ergebnis war jedoch dasselbe.

»Ich gebe zu, dass der Fall seltsam ist«, kommentierte die Tierärztin nach der Lektüre.

Carlotta, die die Zeit genutzt hatte, um das verschüttete Müsli mit Handfeger und Kehrblech aufzunehmen und zu entsorgen, hielt mitten in der Bewegung inne.

»Moment mal, ist das alles?«

Maxine zuckte mit den Schultern. »Was erwartest du von mir? Dass ich sofort zum Hörer greife und John Sinclair anrufe?«

»Warum nicht?«

»Weshalb? Weil ein Säugling verschwunden ist? Das ist Angelegenheit der Polizei.« Als Maxine sah, wie Carlotta protestieren wollte, fügte sie rasch hinzu: »Der örtlichen Polizei!«

»Hast du den Artikel auch zu Ende gelesen? Die Mutter ist wahnsinnig geworden und hat behauptet, ihr Baby wäre von einer gesichtslosen Frau entführt und gegen ein Monsterkind ausgetauscht worden. Es hat ihrem Mann das Blut ausgesaugt und ...«

»Du hast es schon gesagt, die Frau war wahnsinnig. Kein Wunder, nachdem ihr Kind aus der Wiege entführt wurde. Quasi vor ihren Augen.«

»Das meine ich ja! Eine gesichtslose Frau ...«

»... die vermutlich eine Maske trug.«

»Und das Monsterkind? Die Frau hat behauptet, sie hätte es mit einem Beil erschlagen.«

»Woraufhin es zu Asche zerfallen ist. Meine liebe Carlotta, das klingt reichlich abstrus.«

»Und du klingst wie eine Ignorantin, die noch nie mit dem Übernatürlichen zu tun gehabt hat. Warum weigerst du dich so vehement, in Erwägung zu ziehen, dass an der Geschichte etwas dran sein könnte?«

Maxine hob die Schultern. »Vielleicht weil das Käseblatt, das diesen Artikel abgedruckt hat, nicht gerade für seine Seriosität bekannt ist. Für die Auflage würden die doch alles drucken.«

Carlottas Miene verfinsterte sich. »Du willst also nicht John Sinclair anrufen?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

Plötzlich veränderte sich der Gesichtsausdruck des Vogelmädchens. Erstaunt riss es Mund und Augen auf. »Ah, jetzt verstehe ich. Du hast Angst, dass ich auf die Idee kommen könnte, einen Abstecher nach Aberdeen zu machen.«

»Ist das so abwegig?« Maxine beugte sich vor und legte ihrer Ziehtochter die Hand auf den Arm. »Du bist in der Vergangenheit ziemlich viele Risiken eingegangen. Muss ich dich erst an die Söldner erinnern?«

»Muss ich dich daran erinnern, dass sie gescheitert sind? Ich habe ihren Hubschrauber zum Absturz gebracht, schon vergessen?«

»Was ist mit Eric Vanderburg?«

Maxine konnte ein gewisses Gefühl der Genugtuung nicht verhehlen, als sie die Röte bemerkte, die Carlotta ins Gesicht schoss. Eric Vanderburg war ein Thema, an das sie höchst ungern erinnert wurde. Zu dieser Zeit hatte das Vogelmädchen in einem Anflug spätpubertärer Rebellion zusammen mit ihrer Freundin Rosy an einer Cosplay-Convention in Edinburgh teilgenommen, wo sie prompt an eine Kreatur der Finsternis geraten war, mit der sie sogar intim geworden war.

Mit anderen Worten: Carlotta hatte ihre Unschuld an einen Dämon verloren.

»Ich habe Eric Vanderburg den Arsch aufgerissen.« Wütend entzog sie sich der Hand ihrer Ziehmutter. »Und ich habe dich gerettet.«

Unwillkürlich tastete Maxine nach den Narben, die von Vanderburgs Folter zurückgeblieben waren und sie ein Leben lang an dieses Erlebnis erinnern würden. Noch jetzt spürte sie manchmal ein leichtes Ziehen dort, wo sie das Schwert des Dämons getroffen hatte.

»Genau das meine ich ja, Carlotta. Die letzten Fälle waren sehr aufwühlend für dich. Denk bloß an die Rückkehr in dieses Forschungslabor.«

»Wo ich John gerettet habe?«

»Ja, das hast du. Und ich habe Angst, dass dich diese Erfolge übermütig gemacht haben. Dass du unvorsichtig wirst oder dich für unbesiegbar hältst.«

Carlottas Züge wurden weicher. Jetzt war sie es, die nach Maxines Hand griff. »Ich weiß, dass ich nicht unbesiegbar bin.«

Plötzlich schimmerten Tränen in den Augen der Tierärztin. »Ich möchte dich nicht verlieren, Carlotta.«

Die junge Frau stand auf und nahm Maxine in den Arm. »Du wirst mich nicht verlieren. Wer sollte dir sonst auf die Nerven gehen?«

»Hör auf, darüber Witze zu machen«, begehrte ihre Ziehmutter auf. »Ich meine es ernst.«

Carlotta ließ sich zurück auf den Stuhl fallen. »Aber ich habe doch überhaupt nichts gemacht. Ich habe dich nur gebeten, den Artikel zu lesen und John Sinclair anzurufen.«

»Das hättest du auch alleine machen können.«

»Ich wollte deine Meinung hören.«

»Und was war mit dem Vorschlag einen Abstecher nach Aberdeen zu machen?«

»Das war doch nur so dahingesagt.«

»Carlotta!«

Sie hob die Hände. »Na gut, es war nicht nur so dahergesagt. Aber mal ehrlich, wer sagt dir, dass es nur bei einem Säugling bleibt? Was wenn tatsächlich mehr hinter der Sache steckt?«

»Und was hast du vor? Willst du dir ein hautenges Kostüm anziehen, um als maskierte Superheldin nachts über die Dächer von Aberdeen zu fliegen?«

Carlotta zögerte. »So ähnlich«, sagte sie schließlich. »Obwohl es aus deinem Mund irgendwie albern klingt.«

»Weil es albern ist. Hast du eine Ahnung, wie groß Aberdeen ist?«

»Der Vorfall ereignete sich in Cove Bay. Und irgendwo muss das Kind ja abgeblieben sein.«

Maxine massierte sich die Nasenwurzel. »Du willst also tatsächlich heute Nacht da raus?«

»Ja!«

»Und wenn ich es dir verbiete?«

»Das kannst du nicht. Ich bin volljährig.«

Maxine musterte ihre Ziehtochter sekundenlang, schließlich nickte sie. »Also schön, ich sage dir, wie wir das machen. Du rufst John Sinclair an. Wenn er ebenfalls der Ansicht ist, an der Sache könne mehr dran sein, dann besprichst du dein Vorhaben mit ihm, einverstanden?«

Carlotta grinste. »Einverstanden!«

»Ihr seid zu spät«, bemerkte Glenda spitz, als wir das Büro erreichten, und griff nach dem Telefon, das sich soeben meldete.

»Vielleicht sollte ich wieder nach Hause gehen«, überlegte ich.

»Hier geht niemand von euch nach Hause«, rief Glenda mit erhobener Stimme, und legte den Hörer auf. »Der einzige Ort, wo ihr hingeht, ist das Büro von Christina Dick.«

Mir sackte das Blut aus dem Kopf. »Au backe, geht's auch eine Nummer kleiner?«

»Ich fürchte nicht. Aber falls es dich beruhigt, es betrifft einen neuen Fall, nicht deine Auffassung von Pünktlichkeit.«

»Hoffentlich«, sagte ich, und nahm mir noch eine Tasse Kaffee mit, bevor ich Suko über den Gang hinaus zum Fahrstuhl folgte, der uns zwei Etagen höher katapultierte, wo der Commissioner residierte.

Dass wir bei ihr vorstellig werden mussten, konnte eigentlich nur zwei Gründe haben. Entweder Sir James war krank oder im Urlaub, was beides höchst unwahrscheinlich war.

Wir durchquerten das Vorzimmer, in dem Miss Dicks Sekretär residierte und mich missbilligend anblickte. »Kaffee hätten Sie auch von mir bekommen können.«

»Nicht diesen«, erwiderte ich knapp.