John Sinclair 2349 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2349 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Die Totengötttin schaute auf den verkrümmt daliegenden Mann zu ihren Füßen, der soeben aus dem Fenster zwei Stockwerke über ihr auf das harte Pflaster des Hofs gestürzt war. Nicht freiwillig. Er war durch die geschlossene Scheibe gedrückt worden. Und das von genau jener Kreatur, wegen der Hel überhaupt nach Denver gekommen war: einem Werwolf mit ledrigen Schwingen, die an die Flügel eines Drachen erinnerten ...


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Inhalt

Cover

Wir gegen die Totengöttin

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Wir gegen die Totengöttin

Von Ian Rolf Hill

Hel blickte auf den verkrümmt daliegenden Mann zu ihren Füßen, der soeben aus dem Fenster zwei Stockwerke über ihr auf das harte Pflaster des Vorhofs gestürzt war. Nicht freiwillig. Er war durch die geschlossene Scheibe gedrückt worden, und das von genau jener Kreatur, wegen der Hel überhaupt nach Denver gekommen war. Denise Curtis, Lykaons Tochter.

Hel war zufrieden, schließlich hatte es lange genug gedauert, bis sie das Mädchen aufgespürt hatte. Jetzt galt es, sich zu beeilen. Nicht, dass es Denise womöglich gelang, die Flucht zu ergreifen und zu entkommen!

Aber Hel wollte auch nicht mit leeren Händen bei ihr aufkreuzen.

Und so beugte sie sich vor, um den Leichnam in den Sarg Kor zu legen, der ihr sowohl als Schlafstätte als auch als mobiles Dimensionstor diente. Genau da erklang eine Stimme hinter ihr.

»Was, zum Teufel, machen Sie da?«

»Wie bitte?«

Hel richtete sich auf und drehte sich um. Eine Frau in mittleren Jahren stand vor ihr. Das dichte schwarze Haar fiel in seidigen Locken auf die schmalen Schultern. Sie hatte dunkle Haut, trug ein enges T-Shirt, knappe Shorts und flache Schuhe. Sie sah aus, als wäre sie gerade aus dem Bett gekommen, was in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit vermutlich auch der Fall war.

In ihren Augen flackerte die Angst. Zumal sie nicht zu wissen schien, wo sie zuerst hinsehen sollte: auf ihren Nachbarn mit der zertrümmerten Visage oder auf Hel mit ihrem zweigeteilten Körper, der von dem Fell nur unzureichend verdeckt wurde.

Hel kannte das Phänomen bereits zur Genüge. Vor allem ihre linke Körperhälfte mit dem schwarz verfaulten Fleisch, in dem sich die Maden tummelten, war ein echter Blickfang.

Doch die Überraschung der Hausbewohnerin währte nicht lange, dann hatte sie den Schock verdaut und stürzte an Hel vorbei auf ihren Nachbarn zu.

»Mein Gott, David!«

Für Hels Verständnis hatte es wenig Göttliches an sich, sich von einem zwei Meter großen Werwolf aus dem Fenster werfen zu lassen, aber sie ließ die Frau dennoch gewähren, die ihr den Rücken zuwandte.

Hel konnte den hämmernden Schlag ihres Herzens hören. Die pure Vitalität, die diese Frau im Angesicht des Todes verströmte, törnte sie an. Die Finger ihrer rechten Hand mit der makellosen schneeweißen Haut schlossen sich fest um den Griff der Sense.

Langsam nahm sie sie von der Schulter und in beide Hände. Die polierte Klinge reflektierte das Licht des Mondes. Sie brauchte die Spitze nur eine Idee nach vorne zu drücken, um ...

»Himmel, er lebt!«

Die Totengöttin stutzte. »Wer lebt?«

»David!«

Hel ließ die Sense sinken und trat einen Schritt zur Seite, um einen Blick auf den vermeintlich Toten zu werfen. Wie hatte ihr das entgehen können?

»Sind Sie sicher?«

»Ja, ich ... ich spüre seinen Puls!«

Die Frau hatte Zeige- und Mittelfinger auf die Halsschlagader gelegt und beugte sich zu den Lippen des jungen Mannes vor.

»Aber das ist ja fantastisch«, konstatierte Hel.

»Ja, aber wir müssen sofort einen Krankenwagen rufen.«

Hel schüttelte irritiert den Kopf. »Und warum, wenn ich fragen darf?«

»Na, um ihm zu helfen.« Die Frau fuhr hoch und wirbelte zu Hel herum.

Ihre Augen saugten sich förmlich an der von Maden zerfressenen Brust fest. Ein Ausdruck grenzenlosen Entsetzens huschte über das Antlitz der Nachbarin.

Hel fletschte die Zähne. »Ich denke, wir missverstehen uns. Es ist für mich stets ein besonderes Vergnügen, persönlich dem Tod eines Menschen beizuwohnen. Seinen letzten Atemzügen zu lauschen, den schwächer werdenden Schlag seines Herzes zu spüren. Der Moment, in dem sich die Seele vom Fleisch trennt, hat etwas Erhabenes, wissen Sie?«

Die Frau stand auf, wankte zurück. »Sie ... Sie sind ja wahnsinnig!«

»Nein, ich bin Hel«, erwiderte die Totengöttin und schwang mit einer geschmeidigen Bewegung die Sense herum.

Die Klinge blitzte im Mondlicht. Ein klaffender Schnitt öffnete sich in der Kehle der Frau. Dunkles, ölig glänzendes Blut schwappte über ihre Brust.

»Oh ja«, stöhnte Hel. »Ja, so ist es gut.«

Sie fing die zusammenbrechende Frau auf, hielt sie mit einem Arm fest an ihren nackten Leib gepresst und brachte ihre Lippen dicht an das Ohr der Sterbenden.

»Kämpf nicht dagegen an. Genieß einfach den Augenblick. Es ist der letzte deines Lebens, und er wird sich nicht wiederholen.«

Hel nahm den Kopf zurück, die Lider der Sterbenden flatterten, ihr Blick trübte ein, wurde starr. Die Totengöttin beugte sich vor und presste ihren Mund auf die blutigen Lippen der Leiche. Sie atmete die Seele förmlich ein, ehe sie die Tote in den Sarg gleiten ließ.

»Und jetzt zu dir, mein Hübscher!«, sagte Hel und wandte sich an David.

Denise Curtis brach vor der Toilette in die Knie und erbrach sich in die Schlüssel.

Irgendwie schaffte sie es noch, mit einer Hand ihre langen blonden Haare zurückzuschaufeln, ehe ihr spärlicher Mageninhalt in die Keramik klatschte.

Sie hustete und würgte, während sich ihr Brustkorb unter schmerzhaften Konvulsionen verkrampfte. Stiche zuckten durch ihren Oberkörper.

Es war nicht der erste Mord, den sie begangen hatte, weiß Gott nicht. Der Unterschied war, dass sie David gar nicht hatte töten wollen. Sie hatte die Kontrolle verloren. Es war ein beschissener Unfall gewesen. So wie damals, als sie sich zum ersten Mal verwandelt und ihre Mom getötet hatte.

Der Gedanke an Margory Curtis brachte Denise erneut zum Würgen. Mehr als säuerlich schmeckenden Schleim hatte ihr Magen jedoch nicht mehr herzugeben.

Denise hustete und röchelte. Sie zog die Nase hoch und wischte sich den Mund mit dem Unterarm ab. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen und geschlafen, doch dafür war das kleine Bad der denkbar ungünstigste Ort.

Langsam richtete sich Denise auf. Sie zitterte am ganzen Leib und musste sich mit den Händen am Waschbecken festklammern. Ein Blick in den Spiegel. Ihre Augen waren blutunterlaufen, die Lippen blass und farblos, die Wangen eingefallen. Tränen rannen darüber hinweg.

Ihr Herz hämmerte und schlug noch immer wie wahnsinnig.

Denise öffnete den Wasserhahn und schaufelte sich das kühle Nass mit beiden Händen ins Gesicht. Es tat so verdammt gut. Und deshalb hielt sie kurzerhand den ganzen Kopf unter das eiskalte Wasser, während sie verzweifelt versuchte, das Gefühlschaos zu ordnen.

Schuld, Wut, Scham und Selbstmitleid rangen um die Vorherrschaft.

Wieso hatte David sie nur so provozieren müssen? So wie dieser Wichser Carl im Sunnyside Bacon House. Oder Hank Rosenberg, ihr Vermieter, der sie mitten in der Nacht vor die Tür gesetzt hatte, weil sie die Miete nicht mehr hatte bezahlen können.

Aber selbst diese Penner hatten sie nicht dazu gebracht, dass sie sich verwandelte und tötete.

Obwohl sie sich bei Carl dahingehend nicht so sicher sein konnte. Das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte, hatte er hinter dem Tresen seines Diners gelegen und den Boden vollgeblutet.*

Dabei hatte er selbst Schuld gehabt, er hätte ja seine Finger dort lassen können, wo sie hingehörten. Sie hatte doch bloß versucht, ihr verkorkstes Leben in den Griff zu bekommen.

Anfangs hatte es auch so ausgesehen, als würde ihr das gelingen. Das Geld, das sie von John Sinclair und Abe Douglas bekommen hatte, hatte kaum gereicht, um sich die ersten zwei Wochen über Wasser zu halten, sodass ihr gar nichts anderes übrig geblieben war, als sich einen Job zu suchen. Sie wusch lieber dreckiges Geschirr, als Douglas und Sinclair erneut anzuschnorren.

Das Einzige, was ihr zu schaffen machte, war die verfluchte Einsamkeit.

Aber sie hatte es ja auch nicht anders verdient. David war das beste Beispiel. Er hatte versucht, ihr zu helfen, und wie hatte sie es ihm gedankt? Indem sie mit seinem Schädel eine doppeltverglaste Fensterscheibe zertrümmerte.

David!

Die Schuldgefühle überrollten Denise wie eine Lawine. Sie musste wenigstens nach ihm sehen und seine Leiche in die Wohnung holen. Wenigstens das war sie ihm schuldig. Danach konnte sie in Ruhe überlegen, was weiter zu tun war.

Denise stellte das kalte Wasser ab und eilte ins Wohnzimmer, wobei sie eine Spur aus kaltem Wasser hinter sich herzog, das aus den tropfnassen blonden Strähnen auf den Fußboden tropfte. Ein lauwarmer Windhauch fuhr durch die geborstene Fensterscheibe. Denise schluckte den Fluch, der ihr auf der Zunge lag, herunter.

Sie musste sich abtrocknen und was überziehen. Vor allem aber musste sie sich beeilen. Die Nachbarn hatten den Lärm bestimmt gehört. Schon allein deshalb, weil sie ja schon vor Davids Auftauchen wie eine Bekloppte herumrandaliert hatte.

Ein Wunder, dass noch niemand ...

TOK! TOK! TOK!

Denise erstarrte wie das Reh im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Trucks.

TOK! TOK! TOK!

Und hob die Brauen. Das klang jetzt nicht sehr wütend. Oder hysterisch. Auf jeden Fall nicht so, als würde jemand sich nur mühsam beherrschen, weil er soeben von seinen randalierenden Nachbarn aus dem Schlaf gerissen worden war. Aber auch nicht so, als hätte er oder sie beobachtet, wie ein zwei Meter großer Werwolf mit Flügeln den Mieter dieser Wohnung durch das geschlossene Fenster geworfen hatte.

TOK! TOK! TOK!

Denise sah sich hektisch um. Die Klamotten, die sie vor der Verwandlung getragen hatte, waren ihr vom Körper geplatzt. Zum Glück war sie am Nachmittag erst shoppen gewesen.

TOK! TOK! TOK!

»Komme!«, rief Denise, und zog sich Shorts und T-Shirt über.

Auf nackten Sohlen lief sie zur Tür und zog sie auf. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Mit diesem Besucher hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.

»David!«

»Deniiise«, antwortete er, doch es klang irgendwie seltsam.

Schleppend und rasselnd. Als würde er mit Reißnägeln gurgeln. Dabei grenzte es an ein kleines Wunder, dass er mit seinem zerschlagenen Gesicht und dem zertrümmerten Kiefer überhaupt etwas herausbekam. Geschweige denn sich auf den Beinen halten konnte.

Das eingetrocknete Blut bildete eine bizarre Kriegsbemalung auf dem fahlen Gesicht. Die Nase war so deformiert, dass sie als solche kaum zu erkennen war. Und seine Augen ...

Denise wich zurück, als er mit abgehackten Bewegungen auf sie zu stakste. Ein gutturales Stöhnen drang aus dem Schlund. Blutiger Schleim quoll ihm über die Lippen, sickerte aus dem Mundwinkel und seilte sich als Faden ab.

David hob die Arme und streckte die Hände mit den gekrümmten Fingern nach ihr aus. Und da begriff Denise, dass David den Sturz nicht überlebt hatte. Nur dass er eben nicht bloß tot war, sondern vielmehr untot.

Ein Zombie!

Und die Person, die für seine Entstehung verantwortlich war, betrat jetzt hinter ihm die Wohnung. Sie war einen halben Kopf kleiner als Denise und bis auf einen Fellmantel und einen Gürtel mit Lederscheide, aus der der Griff eines Messers ragte, nackt.

Der Körper war zweigeteilt. Links, schwarz und verwest, rechts unversehrt, fast makellos, allerdings vollkommen blutleer. Nur auf Höhe der Augen zeigte sich ein dunkelroter Streifen. Über der rechten Schulter lag eine Sense, mit der linken Hand zog die Besucherin einen schwarzen Sarg hinter sich her, dessen Deckel wegen Überfüllung nicht ganz geschlossen war.

Es war Hel, die Totengöttin, die den Sarg fallen ließ und die Tür mit der Ferse hinter sich in Schloss stieß.

»Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«, begrüßte sie Denise, deren Puls sich schlagartig verdoppelte. Befeuert von dem Zorn und der Angst, die der bloße Anblick der Totengöttin in ihr auslösten.

Denise wich weiter zurück. Sie senkte den Kopf und ließ ihrem Hass freie Bahn, der die soeben mühsam errichtete Barriere der Selbstkontrolle niederwalzte wie eine Panzer den Gartenzaun.

Als sie den Blick hob, war die Umgebung in blutrotes Licht getaucht. Fell spross in Sekunden aus Denises Haut, die nassen blonden Haare rieselten von ihrem Kopf und zerfielen zu Asche. Innerhalb weniger Herzschläge knackten, brachen und barsten ihre Knochen, fanden neu zusammen und wuchsen.

Die Schmerzen waren so unbeschreiblich grausam, das Denise für Sekunden das Bewusstsein verlor. Sie kannte das bereits zur Genüge und wusste damit umzugehen. Personen, die Zeugen der Transformation wurden, bekamen davon in der Regel nichts mit. Allein schon deshalb, weil der Vorgang an sich so faszinierend und beängstigend war, dass die meisten ohnehin mehr mit sich selbst beschäftig waren.

Als die Schwärze vor Denises Augen dem blutroten Schleier wich, überragte sie Zombie-David um Haupteslänge und blickte auf Hel hinab, auf deren Lippen ein spöttisches Lächeln lag.

Denise brüllte vor unverhohlener Wut und stapfte auf die Totengöttin zu. Dieses Mal war es kein Versehen, kein Unfall. Dieses Mal wollte sie die Zerstörung, die Vernichtung, den Tod dieser Kreatur, die ihr so viel Leid zugefügt hatte. Die ihr den Arm abgehackt und das Kind aus dem Bauch geschnitten hatte. Die einen Pakt mit Luzifer eingegangen war und sie dessen Stellvertreter Matthias ausgeliefert hatte, um sich selbst an dem Donnergott Thor und den Berserkern zu rächen.

Mit einem Schlag ihrer Pranke schaufelte Denise Zombie-David zur Seite, der durch die Wohnung segelte und erst von der Wand gestoppt wurde. Jetzt war der Weg zu Hel frei, die noch immer keine Anstalten traf, etwas zu unternehmen.

Das machte Denise nur noch zorniger. Sie breitete Arme und Schwingen aus, stampfte mit dem Fuß auf und spie einen Feuerball auf die Totengöttin.

Hel wurde von dem Feuer vollständig umhüllt, doch die Flammen verpufften, kaum dass sie die Gestalt der Totengöttin berührten. Weder Haut noch Haar waren in Mitleidenschaft gezogen worden, nur das Fell hatte etwas abbekommen.

Hel lehnte die Sense neben der Tür an der Wand, streifte den Umhang ab und klopfte ihn aus. Funken stoben auf, einem Schwarm Glühwürmchen gleich.

»Schätze, das habe ich verdient«, antwortete Hel. »Können wir jetzt vielleicht miteinander reden?«

Nein, konnten sie nicht. Heulend stürzte sich Denise auf die Totengöttin.

»Ja, das hab ich kommen sehen«, sagte diese, hob die Hand und schleuderte einen Blitz auf Denise Curtis, der diese von den Beinen riss.

Gleißende Schmerzen pulsierten durch ihren Körper. Obwohl Denise mit all ihrer Kraft und Wut dagegen ankämpfte, konnte sie nicht verhindern, dass sie zu Hels Füßen zusammenbrach. Noch einmal versuchte sie, sich aufzubäumen und erneut einen Feuerball auf die Totengöttin zu schleudern, doch die kam ihr mit einem zweiten Blitz zuvor, der Denises Bewusstsein mit einem einzigen Schlag auslöschte.

Es war noch dunkel, als sich mein Smartphone meldete.

Da ich nicht geschlafen hatte, brauchte ich mich auch nicht erst großartig zu orientieren, sondern konnte das Gespräch sofort annehmen.

»Lieutenant Donovan«, meldete sich der Gesprächsteilnehmer überflüssigerweise. Ich hatte natürlich längst gesehen, wer da etwas von mir wollte.

Der Kollege dagegen klang etwas überrascht, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich das Gespräch so schnell annehmen würde.

»Haben Sie überhaupt geschlafen?«, erkundigte er sich auch prompt.

Ich warf dem im Sessel sitzenden Suko einen raschen Blick zu und schüttelte den Kopf. Mein Partner war ebenfalls hochgeschreckt, in der Hoffnung, dass es unser Freund Abe Douglas war, der noch immer verschollen war, nachdem er am Nachmittag zuerst von Morgana Layton und dann von der Totengöttin Hel entführt worden war.*

Wir befürchteten das Schlimmste, denn Hel war nicht für ihre Humanität bekannt. Menschenleben bedeuteten ihr nicht viel, was einer Göttin, die den personifizierten Tod darstellte, kaum zu überraschen vermochte.

»Glauben Sie, wir machen auch nur ein Auge zu, solange unser Kollege vermisst wird?«

»Irgendwann wird Ihnen vielleicht nichts anderes übrig bleiben«, entgegnete Donovan mit schonungsloser Offenheit. Und obwohl ich wusste, dass er recht hatte, klangen meine folgenden Worte deutlich frostiger, als beabsichtigt.

»Haben Sie nun eine Spur, Lieutenant, oder nicht?«

»Wir haben zumindest den Lexus gefunden. Leer. Keine Blutspuren, keine weiteren Hinweise. Wir sind noch dabei, die Fingerabdrücke auszuwerten, und suchen auch nach DNA-Spuren, bislang keine Ergebnisse.«

»Wo stand der Wagen?«, wollte ich dennoch wissen.

»Flussabwärts. Auf dem Parkplatz Meow Wolf.«

»Wie bitte?«

»Sorry, das Meow Wolf ist eine Art Vergnügungszentrum.«

»Also der ideale Ort, um abzutauchen.«

»So könnte man sagen. Aber falls sie jetzt denken, es wäre eine gute Idee, dort aufzukreuzen, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Das Zentrum ist geschlossen. Und wir durchsuchen es bereits mit Spürhunden.«

»Verstanden. Gibt es sonst noch was?«

»Nein, bislang nicht. Wenn wir was Neues haben, melde ich mich.«

»Okay, haben Sie trotzdem vielen Dank.«

Ich schaltete das Handy aus und informierte Suko, der wie auf glühenden Kohlen saß. In meiner Aufregung hatte ich glatt vergessen, den Apparat auf Lautsprecher zu stellen. Aber es war ja auch nicht so, als hätte Donovan etwas Wichtiges zu erzählen gehabt.

Entsprechend enttäuscht ließ sich Suko zurück in den Sessel fallen. »Was für ein Albtraum«, sagte er nur.

»Das ist noch reichlich untertrieben. Mir graust jetzt schon davor, wenn ich mit Stephanie sprechen muss.«

Bislang hatte sich Abes Frau noch nicht bei mir gemeldet.

»Sie weiß wie es ist, mit einem G-man verheiratet zu sein«, versuchte Suko mich zu beruhigen.

»Ach«, erwiderte ich gallig. »Dann muss ich mir ja keine Gedanken mehr machen. Steph wird das mit Sicherheit ganz locker wegstecken. Meldet euch einfach, sobald ihr ihn gefunden habt, ich geh so lange mit Patricia an den Strand.«

»Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe«, entgegnete Suko ruhig.

Ich seufzte und ließ mich auf die Kante des Hotelbetts sinken. »Ja, ich weiß. Tut mir leid, aber mir fällt einfach die Decke auf den Kopf. So einen frustrierenden Fall hatten wir ja schon lange nicht mehr. In der Stadt treibt die Göttin des Todes ihr Unwesen, Abe und Denise sind verschwunden, und Morgana Layton zieht wie immer ihr eigenes Ding durch. Und das Schlimmste daran ist, dass wir in Denver sind. Wären wir in London, dann ...«

»Ja?«

»Ach, keine Ahnung, aber dort könnten wir wenigstens Einfluss auf die Ermittlungen nehmen. Selbst Nachforschungen anstellen und müssten hier nicht im Hotelzimmer sitzen und die Wand anstarren.«

»Vielleicht müssen wir das ja gar nicht«, bemerkte Suko.

»Wie meinst du das?«

»So, wie ich es gesagt habe. Wir sind doch mobil erreichbar. Donovan kann es egal sein, wo er uns erwischt.«

»Ja, schön. Und wo willst du hin? Ziellos durch die Straßen irren?«

»Machen wir das nicht oft genug? Immer noch besser, als sich hier die Hintern platt zu sitzen. Es sei denn, du willst dich noch einmal aufs Ohr hauen.«

Ich winkte ab. »Das ist zwecklos.«

»Eben. Und wir müssen ja auch gar nicht ziellos durch die Straßen irren. Wir haben doch einen Hinweis. Dieses Meow Wolf.«

»Das von Donovan und seinen Spürhunden durchkämmt wird.«

»Aha«, machte Suko, und lächelte spitzbübisch. »Und unserer Freundin Morgana ist es ja auch noch nie gelungen, Hunde zu manipulieren, nicht wahr?«

Ich sah meine Partner aus großen Augen an. »Du glaubst ...?«

»Ich glaube an Buddha und das Gute im Menschen, aber ich halte es durchaus für möglich, dass Morgana sich ein Versteck mit dem Begriff Wolf im Namen ausgesucht hat.«

»Und worauf warten dir dann noch?«, rief ich, und sprang auf.

»Genau das wollte hören.«

Neuer Tatendrang hatte von mir Besitz ergriffen. Trotzdem war da diese leise Stimme in meinem Inneren, die mich verhöhnte und mir zu sagen versuchte, dass wir nach Strohhalmen griffen.

Leider gelang es mir nicht, sie zum Schweigen zu bringen.