John Sinclair 2350 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2350 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Scott Nolan war vor Angst erstarrt. Und das nicht nur im übertragenen Sinne. Fast jeder Muskel in seinem Körper hatte sich verkrampft. Eine Ausnahme bildete selbstverständlich sein Herz, das im Stakkato hämmerte.
Dabei wusste Scott nicht mal, wovor er mehr Angst haben sollte. Vor der enormen Höhe, in der er schutzlos über die Häuser von Denver flog, oder vor der grauenerregenden Bestie, in deren Griff er hing ...


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Inhalt

Cover

Grausames Spiel mit Denise

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Grausames Spiel mit Denise

Von Ian Rolf Hill

Scott Nolan war vor Angst erstarrt. Und das nicht nur im übertragenen Sinne. Fast jeder Muskel in seinem Körper hatte sich verkrampft. Eine Ausnahme bildete selbstverständlich sein Herz, das im Stakkato hämmerte.

Dabei wusste Scott nicht mal, wovor er mehr Angst haben sollte. Vor der enormen Höhe, in der er schutzlos über die Häuser von Denver flog, oder vor der grauenerregenden Bestie, in deren Griff er hing. Auf den ersten Blick sah sie aus wie ein übergroßer Wolf. Doch welcher Wolf hatte fellbedeckte Arme mit menschenähnlichen Pranken, an denen zentimeterlange Krallen wuchsen? Oder ledrige Flügel, die an die Schwingen von Flugsauriern oder Drachen erinnerten?

Am schlimmsten wog jedoch die Tatsache, dass dieses Monster vor Kurzem noch ein bildhübsches Mädchen gewesen war, mit dem er Eis gegessen hatte und im Kino gewesen war: Denise Curtis!

Der Flugwind zerrte wie mit tausend Händen an seiner Kleidung, durch die sich schmerzhaft die Klauen der Bestie bohrten. Doch immer noch besser, als wenn sie locker gelassen hätte. Scott waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als ihn Denise in die Höhe gerissen hatte.

Zuerst hatte er es nicht glauben wollen und es für einen Traum gehalten. Oder eine Täuschung der Sinne. Jeden Augenblick hatte er damit gerechnet, auf das harte Pflaster vor dem Haus, in dem sein Bruder David wohnte, zu prallen. Bis das Haus unter ihm immer kleiner geworden war.

Dann hatte er die Augen schließen müssen. Zu heftig war der Wind, der in sein Gesicht schlug. Wenn er es doch schaffte, sie zu öffnen, fuhr ihm der Schreck jedes Mal wie siedendes Öl durch die Glieder.

Die Häuser und Straßen waren auf die Größe von Spielzeugen geschrumpft. Menschen konnte er längst nicht mehr ausmachen, Autos und LKWs höchstens erahnen. Selbst wenn seine Augen nicht wie verrückt getränt hätten, wäre das nicht anders gewesen.

Es war eigentlich genau wie im Flugzeug. Nur ohne die schützende Außenhülle. Stattdessen umklammerte ihn dieses pelzige Ungetüm. Presste ihn so fest gegen seine fellbedeckte Brust, dass er fürchtete, sein Brustkorb könne zerquetscht werden.

Er konnte nicht mehr richtig atmen, bekam keine Luft. Panik übermannte ihn. Er wollte schreien und brüllen, um sich schlagen und toben, doch gegen die Kraft der Bestie kam er nicht an. Zum Glück, denn sonst wäre er längst ein blutiger Fleck auf der Straße oder dem Dach eines Hauses.

Übelkeit stieg in ihm auf. Sein Herz hämmerte noch stärker. Noch heftiger.

Luft! Er brauchte Luft! Er musste atmen! Er musste ...

Scott erschlaffte.

Denise erschrak so sehr, dass sie ihn beinahe fallen gelassen hätte. Im letzten Moment beherrschte sie sich, wobei sie darauf achten musste, den Jungen nicht noch fester zu umklammern und ihn womöglich zu zerquetschen.

Als ob es nicht schon schwer genug war, sich auf den Flug zu konzentrieren. Weniger darauf, sich in der Luft zu halten, als vielmehr auf die Richtung, in die sie flogen.

Ihr Kurs führte nach Nordosten. Rein instinktiv. Fort von der Stadt, wo sich am Horizont die schier endlos erscheinende Ebene des Rocky Mountain Arsenal abzeichnete.

Den Denver Zoo hatten sie längst überquert. Dort herrschte ohnehin zu viel Trubel. Außerdem würde man sie dort vermutlich als Erstes suchen. Und womöglich auch finden. Immerhin trieben sich dort nicht nur Hunde herum, in dem Zoo selbst gab es auch Wölfe. Wölfe, mit denen Morgana Layton Kontakt aufnehmen konnte.

Denise versuchte noch immer, das kürzlich Erlebte zu sortieren und in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, was im Normalfall schon schwierig genug gewesen wäre. In ihrer Gestalt als geflügelter Werwolf ein Ding der Unmöglichkeit.

Es kostete sie praktisch sämtliche höheren Hirnfunktionen, damit sie Scott nicht fallen ließ und sich im Sturzflug in einen überlaufenen Schnellimbiss stürzte, um unter den größtenteils wohlbeleibten Gästen ein Blutbad anzurichten.

Immerhin hatte sie verhindern können, dass Scott in das Haus gerannt war, in dem sein Bruder David gewohnt hatte. Bevor Denise ihn aus dem Fenster geworfen und getötet hatte. Und in dem jetzt die Totengöttin Hel mit ihren Schergen Ganglot und Ganglati vorübergehend hauste.

Zumindest so lange, bis sie Denise davon überzeugt hatte, sie nach Helheim in ihre Festung Eljudnir unterhalb der Weltenesche Yggdrasil zu begleiten.

Dort befand sich Hels eigentliches Reich. Das Reich des Todes. Das Jenseits für all jene, die den sogenannten Strohtod gestorben und nicht in einer Schlacht gefallen waren.

Der Grund für Hels Interesse an Denise war ihr Kind, das die Totengöttin ihr aus dem Bauch geschnitten hatte. Anscheinend bereitete es Hel größere Probleme, das Balg zu bändigen.

Zumindest behauptete sie das.

Denise hingegen argwöhnte, dass es ihr unterm Strich um die Kräfte seiner Mutter ging. Ihre Kräfte, die sie von ihrem Vater Lykaon geerbt hatte, nachdem dieser von John Sinclair geköpft worden war.*

Und da war Hel bei Weitem nicht die Einzige. Auch Luzifer beziehungsweise Asmodis hatten um Denises Gunst gebuhlt. Letzterer war auch für die Falle verantwortlich gewesen, in die sie vor wenigen Minuten erst hineingestolpert war.

Begonnen hatte es mit einer Textnachricht des getöteten David an seinen Bruder Scott, in der er behauptete, Denise hätte ihn bestohlen, nachdem sie ihn verführt hatte, was natürlich erstunken und erlogen war.

Nur hatte sie das Scott leider nicht mehr klarmachen können, denn der hatte das Kino fluchtartig verlassen und war mit seinem Bruder in einem roten Dodge Challenger davongebraust. Was unmöglich gewesen war, da sich der echte David als Untoter mit zertrümmerter Visage in seiner Wohnung bei Hel aufhielt.

Denise hatte im Rückspiegel des davonfahrenden Wagens die Fratze von Asmodis erkannt.

Zum Glück war Morgana Layton in der Nähe gewesen. Offenbar hatte sie Denise und Scott beschattet, bevor sie von Asmodis ausgeschaltet worden war, der ihr bei der Gelegenheit auch das Handy des (un)‌toten David gestohlen hatte.

Morgana und Denise hatten die Verfolgung von Asmodis und Scott aufgenommen, die geradewegs in Richtung Lafayette Street gedüst waren, wo David wohnte. Selbst eine Polizeiabsperrung hatte ihn nicht aufhalten können. Ebenso wenig wie Morgana und Denise.

Letztere schrieb es ihrem schlechten Gewissen gegenüber Scott zu, dass sie sich nicht viel eher die Frage gestellt hatte, wofür der Teufel eigentlich ein Auto benötigte.

Die Antwort war so simpel wie niederschmetternd gewesen: Um Denise in die Falle zu locken!

Die Erkenntnis war leider zu spät erfolgt, denn in dem Moment hatte Morgana zu lachen begonnen. Nur eben nicht mit ihrer eigenen Stimme. Ihre Hand hatte sich auf Denises Schulter gelegt, und die junge Frau erschauerte noch jetzt, wenn sie an die bösartige, lähmende Kälte zurückdachte, die sich wie schleichendes Gift in ihren Körper ausgebreitet und verhindert hatte, dass sie sich verwandelte.*

Denise kannte diese Kälte nur zu gut. Sie hatte sie bereits mehrfach zu spüren bekommen. Und zwar von Matthias, dem ersten Diener Luzifers. Es war die Kälte des absolut Bösen, der selbst Denise nichts entgegenzusetzen hatte.

Vielleicht hätte sie es gekonnt, wenn sie Lykaons Magie besser beherrschte. Aber so ...

Selbst Morgana Layton, die Erbin des Götterwolfs Fenris, hatte sich nicht dagegen wehren können. Zumindest waren Asmodis und Luzifer davon ausgegangen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Fenris der Bruder von Hel und damit ein Sohn von Loki und der Riesin Angrboda war, hinter der sich niemand Geringeres als Lilith verbarg.

Und die hatte nicht zugelassen, dass ihren Kindern ein Leid geschah und Luzifers Bann von Morgana genommen, woraufhin auch Denise Curtis die Kontrolle über ihren Körper zurückerlangt hatte. Gemeinsam mit Hel hatte sie Asmodis attackiert.

Auch John Sinclair hatte eingegriffen. Mochte der Teufel wissen, wo der so plötzlich hergekommen war. Der Satan wiederum hatte die Flucht ergriffen.

Und dann war Scott, der bis dahin ziemlich teilnahmslos gewirkt hatte, wie von tausend Furien gehetzt auf das Haus zugelaufen.

Denise wollte sich gerne einreden, dass sie Scott nur deshalb gepackt und mit ihm davongeflogen war, weil sie verhindern wollte, dass er durch den Anblick seines untoten Bruders einen neuerlichen Schock erlitt oder von Hel und ihren Schergen getötet wurde. Doch die Wahrheit war, dass es bloß ihr eigenes schlechtes Gewissen war, das sie dazu getrieben hatte. Das und die Ungewissheit, wem sie überhaupt noch trauen konnte und wem nicht.

Morgana, die offenbar gemeinsame Sache mit Hel machte? Jener Totengöttin, die ihr nicht nur das ungeborene Kind aus dem Bauch geschnitten hatte, sondern auch die Verantwortung dafür trug, dass Denise beinahe ihre beste Freundin Emma getötet hatte?

Oder John Sinclair und seinen Freunden?

Sicher, er hatte ihr geholfen, nachdem sie sich von Pandora losgesagt hatte. Aber er war und blieb nun mal ein Geister- und Dämonenjäger. Ein Feind. Das war es, was man ihr auf Lykaons Monsterinsel zwei Jahre lang eingetrichtert hatte und was ihr auch der dämonische Raubtierinstinkt suggerierte, selbst wenn der Mensch in Denise das anders sah.

Wenigstens war dieser Anteil groß genug, um zu wissen, dass Scott Hilfe benötigte. Auf keinen Fall würden sie es bis zum Rocky Mountain Arsenal schaffen. Daher setzte Denise im Northfield Pond Park zur Landung an. Einem verhältnismäßig winzigen Fleckchen Natur inmitten der Stadt, umgeben von einem Wirrwarr aus Straßen und Einkaufsmöglichkeiten, außerhalb der City mit ihren Hochhäusern und Wolkenkratzern, von denen aus sie leicht hätte gesehen werden können.

Vor allem war der Park jedoch kein typisches Naherholungsgebiet und für Touristen ungefähr so interessant wie ein Steakhouse für einen Vegetarier. Nicht unbedingt die erste Wahl.

Trotzdem suchte sich Denise ein weniger einladendes Plätzchen, abseits der frequentierteren Routen in einer trostlosen Ecke des Parks. Ein aus Ziegelsteinen errichteter Pavillon über einem Picknicktisch, schützte nicht nur vor der Sonne, sondern auch vor neugierigen Blicken.

Denise setzte zur Landung an, schwang die Beine nach vorne und spannte die Flügel auf. Scott lag quer über ihren Armen. Ein schneller Blick über beide Schultern, dann verwandelte sich Denise zurück und legte Scott auf dem Tisch ab.

Sie beute sich über ihn und taste nach seinem Puls. Er schlug kräftig und regelmäßig. Sie wollte ihm schon die Wange tätscheln, als ihr einfiel, dass sie nackt war.

Nicht gerade das beste Outfit, um einem jungen Mann gegenüberzutreten, der die Pubertät noch nicht lange hinter sich gelassen hatte. Wenn überhaupt.

Nur, wo sollte sie hier Kleidung herbekommen?

Denise betrachtete Scott und traf eine Entscheidung. Sie nahm ihm die Brille ab, klemmte sich einen Bügel zwischen die Zähne und griff nach dem Bündchen von Scotts T-Shirt, um es ihm über den Kopf zu ziehen.

Eben erreichte sie die Schmalseite des Tisches, wo Scotts Kopf ruhte, da fiel ihr Blick auf einen der Durchlässe zwischen zwei Steinsäulen. Zwei halbwüchsige Mädchen mit blasser Haut, Sommersprossen und Käppis standen dort und gafften Denise und den Jungen mit offen stehenden Mündern an. Sie trugen ärmellose Tops und kurze Hosen, die Füße steckten in Sneakers.

In den Händen hielten sie Greifzangen und Müllbeutel, auf den Schultern hingen Rucksäcke.

»Äh, das ist jetzt nicht das, wonach es aussieht«, sagte Denise.

Sie ließ das T-Shirt los und ging langsam um den Tisch herum auf die beiden Mädchen zu. Denise schätzt sie auf vierzehn oder fünfzehn. Die Stämmigere von ihnen hatte rote Haare, die andere war blond. Letztere hatte in etwa dieselbe Größe wie Denise.

Sie war es auch, die reflexartig die Greifzange hob und auf Denise richtete, die sich das spöttische Lächeln angesichts des zitternden Arms nicht verbeißen konnte.

»Gib mir deine Sachen!«

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

Denise seufzte, packte die Greifzange und riss sie der Blonden aus den Händen. Die stolperte nach vorne, direkt in Denises Armen, die das Werkzeug von sich schleuderte. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie die Rothaarige ihrer Freundin zu Hilfe eilen wollte.

Sie holte noch im Laufen aus. Denise stieß die Blonde zurück, fing die herabsausende Greifzange mit einer Hand ab, entwand sie der Rothaarigen mit einer blitzschnellen Drehung und brach sie auseinander wie ein Streichholz. Dann zog sie die Rothaarige zu sich heran, wirbelte sie herum und legte ihr den Unterarm vor die Kehle.

Das Mädchen gurgelte. Wegen des Rucksacks hing sie ein wenig schräg im Griff der älteren Denise.

»Ihr entscheidet, wie das hier ausgeht. Wie ihr seht, hab ich ein kleines Bekleidungsproblem. Ihr habt doch sicher ein paar Klamotten zum Wechseln dabei. Also, her damit!«

Der Blonden standen die Tränen in den Augen.

Denise rollte mit den Augen. »Nur ein Shirt und eine Hose, verdammt. Oder hast du nichts dabei?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

»Und ich nehme an, auch nichts drunter, wie?«

Wieder verneinte die Blonde. Dafür stieß die Rothaarige, deren Gesicht mittlerweile dieselbe Farbe angenommen hatte wie ihre Frisur, einige unartikulierte Laute aus.

»Hast du was zum Anziehen dabei?«, wollte Denise wissen.

Die Rothaarige versuchte zu nicken. Denise lockerte den Griff.

»Du ... du musst mich loslassen.«

»Werde ich. Aber denk nicht mal dran, irgendwas Dummes zu tun.«

»W...werd ich nicht.«

Denise musterte die Blonde, in deren Gesicht sich die Furcht spiegelte, und nahm den Arm langsam von der Kehle der Rothaarigen. Die taumelte vorwärts, hustete und drehte sich um. Dabei ließ sie den Rucksack von den geröteten Schultern gleiten.

»Wie heißt du?«, wollte Denise wissen.

»P...Pam«, krächzte die Rothaarige.

»Wunderbar, Pam. Also, du hast es gehört.«

»Ja, ja«, murmelte sie, öffnete den Rucksack und griff hinein.

Ein wenig zu langsam für Denises Geschmack. Zumal Scott hinter ihr zu stöhnen anfing.

»Nun mach schon hinne«, zischte Denise und trat auf Pam zu.

Die schoss unvermittelt in die Höhe und hob den Arm. In ihrer Hand hingen jedoch weder ein Top noch ein Höschen. Dafür hielt sie einen kleinen schwarzen Zylinder, aus dem Denise ein Strahl mitten ins Gesicht spritzte. Reflexartig hob sie die Arme, doch es war zu spät.

Die beißende Flüssigkeit des Pfeffersprays erwischte die Augen.

Denise hatte das Gefühl, als hätte man ihr Säure hineingeschüttet. Grelle Schmerzen zuckten durch die Nerven und explodierten im Schädel. Als würde man ihr die Augen aus den Höhlen reißen und kochendes Öl hineingießen.

Sie wandte sich ab. »Bist du bescheuert?«, brüllte sie und spürte, wie die Bestie in ihr erwachte.

»Schlampe«, kreischte Pam und drosch Denise beide Fäuste in den Rücken.

Die wurde nach vorne geschleudert, fiel auf Hände und Knie und schürfte sich die Haut an dem groben Stein auf, während weiterhin die Schmerzen durch ihren Kopf fluteten. Schemenhaft nahm sie wahr, wie sich Pam bückte, nach der Greifzange ihrer Freundin griff und damit ausholte.

Ein roter Schleier legte sich über Denises Augen.

Die Qualen ebbten ab, was blieb war die animalische Wut, der Wunsch, diesen menschlichen Wurm zu zerreißen und die Zähne in das weiche dampfende Fleisch zu wühlen.

Pam quollen die Augen aus den Höhlen. Ächzend wankte sie zurück, ließ das Werkzeug fallen.

Brüllend und fauchend erhob sich der Werwolf, stapfte auf sein Opfer zu und bewegte dabei zuckend die Schwingen. Die Bestie hatte die Kontrolle übernommen.

Das blonde Mädchen fing an zu kreischen. Pam stolperte und fiel auf ihren Hintern. Starr vor Angst glotzte sie das Monster an, das vor wenigen Sekunden noch eine nackte junge Frau gewesen war.

Denise konnte das Blut in ihren Adern riechen. Den kalten Angstschweiß, der aus ihren Poren quoll. Knurrend beugte sie sich vor und blies ihr die Schirmmütze vom Kopf. Langsam streckte sie die Klaue aus, griff nach Pams Haaren.

Das Mädchen fing an zu kreischen und schlug wie wild um sich, als Denise sie auf die Beine zerrte. Mit der anderen Pranke holte sie aus, um ihrer Beute den ungeschützten Bauch aufzureißen.

Und für einen kurzen Augenblick, nicht länger als ein Wimpernschlag, sah Denise sich in jener Höhle in der Teufelsschlucht in Texas, nahe der mexikanische Grenze stehen. Zu ihren Füßen eine junge Frau, die ihr in blinder Panik einen scharfkantigen Knochen in die Kehle rammte.*

Nur eines von vielen Gesichter, die ihr den Schlaf raubten.

Denise zögerte jedoch nur eine Sekunde, dann riss die Bestie abermals die Kontrolle an sich. Und schlug zu. Oder hätte es getan, wäre in dieser Sekunde nicht ihr Name gefallen.

»Denise?«

Scott Nolan glaubte zu träumen.

Das Kreischen des Mädchens drang nurmehr gedämpft an seine Ohren. Als würde er noch im Bett liegen und sich das Kissen aufs Gesicht drücken.

Dazwischen erklang ein Knurren, Schnauben und Geifern, das für einen Adrenalinschub sorgte, der schlagartig auch die letzten Reste von Müdigkeit und Schwäche vertrieb.

Wie an der Schnur gezogen, schnellte Scott hoch und starrte auf den geflügelten Monsterwolf, der eben ein pummeliges Mädchen auf die Beine zerrte. Er war drauf und dran, mit der Pranke zuzuschlagen.

Er? Wie die Salven eines Maschinengewehrs zuckten die Erinnerungen durch sein Gehirn.

Scott dachte an seine Flucht aus dem Kino. An seinen Bruder, der diesen seltsamen Geruch verströmte und mit einer fremden Stimme sprach. Ohne es eigentlich zu wollen, war er in den Dodge Challenger gestiegen. Er hatte sich noch gefragt, seit wann David so eine Karre fuhr, doch da hatte dieser bereits Gas gegeben, und sein Kopf hatte sich kurzzeitig in das ledrige Antlitz eines gehörnten Ungeheuers verwandelt, von dem etwas unsagbar Böses ausgegangen war.

Scott hatte geglaubt, zu träumen. Er hatte die Augen zugekniffen, und als er die Lider wieder geöffnet hatte, hatte David neben ihm gesessen und ihm erklärt, dass er in Schwierigkeiten saß. Schwierigkeiten, die er Denise zu verdanken hatte.

Ob sie auch für die Straßensperre verantwortlich war, die das Denver Police Department in der Lafayette Street errichtet hatte? Darauf hatte ihm David keine Antwort gegeben und ihn stattdessen zu dem Haus geschleift, in dem er lebte, obwohl es aussah, als würde es bereits seit Jahren nicht mehr bewohnt werden.

So hatte es doch heute Morgen noch nicht ausgesehen, oder?

Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn mit einem Mal hatten sich die Ereignisse überschlagen. Eine seltsame Frau mit zweigeteilter Gestalt hatte ihnen den Weg versperrt. Eine Körperhälfte war schneeweiß gewesen, als würde nicht ein Tropfen Blut durch ihre Adern fließen. Die andere aber – Scott wurde nachträglich noch schlecht, wenn er nur daran dachte – war dunkel gewesen. Fast schwarz, so als ob das Fleisch sich in einem fortgeschrittenen Zustand der Verwesung befände. Was vermutlich auch der Fall gewesen war, wenn er an das bleiche Gebein dachte, das durch die Löcher im Gewebe schimmerte.

Kurz darauf hatte sich David erneut verwandelt. Aber so richtig. Und Scott hatte noch immer nichts dagegen unternehmen können. Bis dieser blonde Mann neben ihm aufgetaucht war und ihn mit einem silbernen Kreuz berührt hatte.

Plötzlich war die lähmende Kälte von Scott abgefallen. Ein nie gekanntes Gefühl von Wärme und Geborgenheit hatte ihn durchströmt. Bis er Denise erblickte hatte. Denise, die sich in einen riesigen Wolf mit drachenartigen Schwingen verwandelt hatte. Denise, die eine Feuerlohe auf seinen Bruder, nein, auf den Teufel gespuckt hatte.

Instinktiv hatte Scott sich umgeschaut und im offenen Fenster eine Gestalt erblickt. Eine Gestalt, die bis auf das zerschlagene, blutige Gesicht frappierende Ähnlichkeit mit seinem Bruder gehabt hatte. Scott war losgelaufen und von dem Monsterwolf gepackt und in die Höhe gerissen worden.

Demselben Monsterwolf, der jetzt dabei war, ein Mädchen zu töten. Ein Monsterwolf, der vor wenigen Minuten noch Denise Curtis gewesen war.

Denise, mit der er Burger und Eis gegessen und die neben ihm im Kino gesessen hatte. Deren bloße Anwesenheit ihn beinahe um den Verstand gebracht hatte.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, presste er ihren Namen hervor. Und der Monsterwolf reagierte. Er hielt mitten in der Bewegung inne und ließ sein Opfer los, das wimmernd von ihm wegkroch. Das Mädchen wälzte sich herum, stemmte sich auf die Beine und rannte hinter seiner Freundin her, die schreiend die Flucht ergriff.

Der geflügelte Monsterwolf aber drehte sich um. Seine Augen glühten dunkelrot. Der Blick traf Scott wie Messerstiche in Brust und Bauch. Die Übelkeit kehrte zurück, überschwemmte ihn förmlich und trieb den Mageninhalte in Richtung Speiseröhre. Scott warf sich herum und wäre dabei fast noch vom Tisch gefallen. Würgend erbrach er die Pommes, den halben Burger und das Eis.

»Scheiße«, hörte er Denise murmeln.

Sie klang wieder vollkommen normal, und plötzlich schämte er sich dafür, sich in ihrer Gegenwart erbrochen zu haben. Als ob er keine anderen Sorgen hätte.

Und mit einem Mal konnte er gar nicht anders, als schallend zu lachen. Bis er sich verschluckte und einen mittelschweren Hustenanfall erlitt.

»Hey, alles in Ordnung?«

Denise legte ihm eine Hand auf die Schulter. Wie ein geölter Blitz sprang er vom Tisch. Fast wäre er noch in seinem Erbrochenen ausgerutscht.

Verwirrt starrte er Denise an, die wieder menschliche Gestalt angenommen hatte. Sie trug sogar ein schwarzes T-Shirt, das ihr mindestens eine Nummer zu groß war. Dasselbe galt für die Shorts, dessen Bund sie so eng um die Taille geschnürt hatte, dass die Aufschläge wie ein Minirock abstanden. Nur ihre Füße waren noch nackt.

»Was ... was bist du?«

Denise hob die Arme und ließ sie wieder fallen. Sie sah aus, als wollte sie tatsächlich anfangen zu weinen.