John Sinclair 2368 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2368 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Eines war so sicher wie das Amen in der Kirche: Die Hölle vergisst nie! Ihre Teufel und Dämonen verzeihen nicht und kennen keine Gnade. Wer ihnen einmal in die Quere gekommen ist, steht bis an sein Lebensende auf ihrer Abschussliste. Mitunter vergehen Jahre, bis ein Dämon sich entschließt, Rache zu nehmen.
Geduldig, wie eine Spinne in ihrem Netz, wartet er auf den richtigen Zeitpunkt und schlägt zu, wenn sein Opfer es am wenigsten erwartet. Oder verwundbar ist.
So wie Marisa Douglas!
Vor Jahren durchkreuzte sie die Pläne einer mächtigen Erzdämonin, die nicht vergessen hat, wem sie die Schmach ihrer Niederlage verdankte. Minutiös bereitete sie ihre Rache vor. Jetzt sollte es endlich so weit sein. Der Angriff der Erzdämonin stand unmittelbar bevor. Ihr Name war: Eurynome!

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Inhalt

Cover

Im Auftrag der Erzdämonin

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Im Auftragder Erzdämonin

von Ian Rolf Hill

Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Die Hölle vergisst nie! Ihre Teufel und Dämonen verzeihen nicht und kennen keine Gnade. Wer ihnen einmal in die Quere gekommen ist, steht bis an sein Lebensende auf ihrer Abschussliste. Mitunter vergehen Jahre, bis ein Dämon sich entschließt, Rache zu nehmen.

Geduldig wie eine Spinne in ihrem Netz wartet er auf den richtigen Zeitpunkt und schlägt zu, wenn sein Opfer es am wenigsten erwartet. Oder wenn es verwundbar ist.

So wie Marisa Douglas!

Vor Jahren durchkreuzte sie die Pläne einer mächtigen Erzdämonin, die nicht vergessen hat, wem sie die Schmach ihrer Niederlage verdankte. Minutiös bereitete sie ihre Rache vor. Jetzt sollte es endlich so weit sein. Der Angriff der Erzdämonin stand unmittelbar bevor. Ihr Name war: Eurynome!

»Ganz ehrlich, Melody. Du machst das großartig. Marisa ist sehr stolz auf dich!«

Emma Graham lächelte, als sie sah, wie die Streetworkerin mit den bunt gefärbten Haaren und dem Sidecut errötete.

Sie war gerade dabei, die Sandwich-Platten mit Frischhaltefolie abzudecken. Sie würde sie mit in die Stadt nehmen und an Obdachlose verteilen. Vor allem in Hackney herrschte seit einiger Zeit wieder ein höherer Bedarf, nachdem dort die Suppenküche schließen musste.

»Danke, das bedeutet mir wirklich viel. Aber trotzdem bin ich froh, wenn Marisa die Gruppe wieder übernimmt.«

»Ich fürchte, das wird wohl noch ein Weilchen dauern.«

Emma schloss die Fenster, die sie nach der Gruppensitzung geöffnet hatten, um kräftig durchzulüften. Der Raum war zwar nicht gerade klein, doch nach anderthalb Stunden war die Luft verbraucht und stickig.

»Ich dachte, sie käme mit den Prothesen gut klar.« Melody Swan runzelte die Stirn. Mit ihren gestreiften Leggins und dem sackartigen Kleid, das bis auf die Oberschenkel reichte, erinnerte sie nicht nur Emma an Pipi Langstrumpf.

»Das stimmt. Die Prothesen sind auch nicht das Problem.«

»Hat sie immer noch mit Depressionen zu kämpfen?«

Emma nickte. Das Thema war ihr unangenehm, weil es ihr ihre eigene Hilflosigkeit vor Augen führte. Leider konnte sie nicht viel für ihre Verlobte tun, die sich weiterhin in der Reha befand, wo sie lernen sollte, mit ihren Prothesen die Dinge des täglichen Lebens zu bewältigen.

Es lag allein an Marisa und ihrer Willenskraft, wie schnell sie Fortschritte machte.

»Shit, das tut mir echt leid. Wenn ich irgendetwas tun kann, sag bitte Bescheid.«

»Das ist es ja, es gibt nichts, was wir tun könnten. Marisa will auch keinen Besuch mehr empfangen. Ich bin die Einzige, die noch zu ihr darf. Sie ist einfach erschöpft.«

Emma zog die Schultern hoch, schloss die Strickjacke und verschränkte die Arme vor der Brust. Die kalte Novemberluft ließ sie frösteln.

»Das ist ja auch irgendwie verständlich.« Melody deutete auf das Fenster, hinter dem sich die Dunkelheit ballte. »Allein dieses triste Wetter kann einem schon aufs Gemüt schlagen. Und wenn ich daran denke, was Marisa durchgemacht hat, gleicht es fast einem kleinen Wunder, dass sie nicht schon viel eher depressiv geworden ist.«

»Sie hat sich eben nichts anmerken lassen. Du kennst sie ja, immer hübsch die Fassade aufrechterhalten und bloß niemanden an sich ranlassen. Gerade jetzt, wo sie ihre Freunde am dringendsten braucht, stößt sie sie weg.« Emma spürte die Wut in sich brodeln. »Damit niemand sieht, dass sie auch nur ein Mensch mit Gefühlen ist. Und das Schlimme daran ist, dass ich es ihr nicht mal sagen kann, weil sie ja diejenige ist, der man einen Arm und ein Bein amputiert hat.«

»Aber sie ist nicht die Einzige, der man übel mitgespielt hat. Du hast auch darunter gelitten. Du hast ihre Schmerzen gespürt. Und du wurdest von diesem Dämon, der Marisa seine eigenen Gliedmaßen annähen wollte, misshandelt und ...«

»Das ist ja alles richtig«, unterbrach Emma die Streetworkerin, die während Marisas Abwesenheit die Gruppensitzungen in der Stiftung zur Unterstützung der Opfer schwarzmagischer Angriffe leitete. Emma wurde nicht gerne an die Ereignisse in Dr. Caines Zentrum für Gesundheit und Rekonvaleszenz in Cromer, an der Nordküste der Grafschaft Norfolk, erinnert, das sich als wahres Dämonennest entpuppt hatte.

Dr. Caine, eine Kreatur der Finsternis, hatte Menschen unter seine Kontrolle gebracht, indem er ihnen seine eigenen Gliedmaßen angenäht hatte. Bei ihm wuchsen diese, dank seiner dämonischen Herkunft, in kürzester Zeit wieder nach. Aufgrund Emmas übernatürlicher Begabung konnte sie fühlen, was ihre Freundin Marisa empfand. Deswegen durchlitt sie Marisas Martyrium am eigenen Leib, und es gelang ihr, hinter die Maske des Dämons zu blicken1.

Und dafür hatte die blonde Frau buchstäblich bluten müssen, ehe es John Sinclair und ihrer Schwester Cathy gelungen war, die Kreatur der Finsternis zu vernichten und Marisa und sie zu befreien.

»Aber ich werde nicht jeden verdammten Tag daran erinnert, weil ich mir Prothesen anlegen muss, um ein einigermaßen unabhängiges Leben führen zu können.«

»Soll ich vielleicht mal mit Marisa sprechen?«, schlug Melody vor.

Noch vor einem halben Jahr hätte Emma diesen Vorschlag rundheraus abgelehnt. Damals hatte sie Melody nicht besonders gut leiden können, was weniger mit ihr als Person zu tun hatte, als vielmehr mit der Tatsache, dass es zwischen der Sozialarbeiterin und Marisa ziemlich offensichtlich geknistert hatte. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem es zwischen Emma und ihrer Freundin nicht besonders gut gelaufen war.

Doch dann war John Sinclair aufgetaucht und hatte Melody gebeten, ihn bei einem Fall zu unterstützen. Im Londoner Stadtteil Hackney waren Obdachlose verschwunden. Die Rede war von einer Gestalt gewesen, die nach Leichen stank. Gerüchte über einen Serienkiller, den Aufräumer von Hackney, hatten die Runde gemacht.

Und da Melody in ihrer Eigenschaft als Streetworkerin gute Connections zur Obdachlosenszene hatte, hatte er sie um Hilfe gebeten. Marisa war das Wagnis eingegangen, die beiden zu begleiten. Das endete damit, dass sie selbst dem Aufräumer in die Hände gefallen war – einem Cyborg, dessen Schöpfer ihr den linken Arm und das rechte Bein mit einer Knochensäge amputiert hatte2.

Es klang zynisch, aber vielleicht hatte dieses Trauma ihre Beziehung gerettet und sogar gefestigt. Denn nach dem Abenteuer in Norfolk, hatten sich Emma und Marisa verlobt.

Trotzdem würde Emma ihre Freundin sofort ziehen lassen, bekäme Marisa dadurch ihre verlorenen Extremitäten zurück. Wahrscheinlich wäre es mit Melody ohnehin nicht lange gut gegangen, dafür waren sich die beiden viel zu ähnlich.

Seit sie sich dessen klar geworden war, kam Emma nicht von dem Gedanken los, dass ihre Beziehung nur deshalb funktionierte, weil sie auf Abhängigkeit und Schmerz basierte.

»Sorry.« Melody winkte ab. »Ich wollte nicht ... vergiss es einfach, okay?«

Emma schüttelte den Kopf. »Was? Nein! Ich meine, vielleicht wäre es gut, wenn Marisa mal jemand anderen zu Gesicht bekommt.«

»Dann bist du einverstanden?«

»Ich würde mich freuen.« Emma lächelte. »Abgesehen davon, dass du meine Erlaubnis nicht brauchst. Trotzdem werde ich Marisa vorher fragen, ob es für sie okay ist.«

»Natürlich. Sag einfach Bescheid, wann es euch oder ihr am besten passt.«

»Das mache ich.«

Die Studentin half Melody dabei, die kalten Platten nach draußen zu bringen. Emmas roter Fiat, war das einzige Fahrzeug, das noch auf dem Parkplatz vor dem Therapiezentrum stand, einem ehemaligen Tagungszentrum des Hopkins-Konzerns.

Es lag im Nordwesten von London, in einem dichten Waldgebiet zwischen Elstree, Stanmore und Edgware, wo sprichwörtlich der Hund begraben lag.

Für Emmas Geschmack lag es ein wenig zu tief in der Pampa. Und vor allen Dingen war es zu finster. Bis auf die Außenbeleuchtung des einstöckigen Flachbaus gab es keinerlei Lichtquellen, die die Finsternis des Waldes erhellten. Der Mond versteckte sich hinter dichten Wolken, und wenn er mal eine Lücke fand, durch die er hindurchspähen konnte, dann war nur eine schmale Sichel zu sehen.

Emma öffnete den Kofferraum mit dem Signalgeber ihres Schlüssels.

»Wo Hannah nur bleibt?«, fragte Melody beim Verladen der Sandwiches.

Hannah »Pee« Brixton war eine von Melodys Connections in der Obdachlosenszene von London. Das Mädchen mit der schwachen Blase lebte seit Jahren mit ihrer Ratte Ozzy auf der Straße beziehungsweise der Platte, wie sie es nannte.

Die Streetworkerin war eine der wenigen Menschen, denen sie Vertrauen entgegenbrachte. Seit Hannah einer Sippe von Ghouls in die Hände gefallen war, tauchte sie ab und zu am Therapiezentrum auf, meistens um sich aufzuwärmen oder sich den Bauch vollzuschlagen3. Da es so weit außerhalb lag, war sie allerdings auf Mitfahrgelegenheiten angewiesen.

Emma bezweifelte, dass sie mitgekommen wäre, hätte Marisa die Gruppe geleitet. Hannah mochte Marisa zwar, aber Vertrauen war eine Sache, die Pee nicht leichtfertig verschenkte.

Hannah hatte die Gruppe noch vor der Pause verlassen. Emma, die am Empfang gesessen und den Bürokram erledigt hatte, hatte die kleine Gestalt in ihrem olivgrünen Armee-Parka stumm an sich vorübergehen sehen und war ihr gefolgt.

Kurz darauf hatte sie sie im Hinterhof bei den Hühnern gefunden, die sie dort seit einiger Zeit hielten. Wenn es nach Marisa und Melody ging, würden sie sich noch mehr Tiere anschaffen. Wenigstens ein paar Kaninchen.

Marisas Traum war ein eigener Therapiehund, aber da hatte Emma bereits Veto eingelegt. Schließlich machte das Tier nicht irgendwann Feierabend und ging nach Hause, sondern musste wie jeder andere Hund gefüttert, ausgeführt und bespaßt werden.

Emma hatte Hannah in Ruhe gelassen und sie auch nicht gefragt, weshalb sie die Gruppe verlassen hatte. Manche brauchten Aufmerksamkeit, aber Pee benötigte Ruhe.

Also hatte ihr Emma einen Sack Hühnerfutter hingestellt und ihr gesagt, dass sie sich nützlich machen könnte. Daraufhin hatte Pee bloß gegrinst und angefangen das Federvieh zu füttern.

»Ich glaub, sie ist noch immer bei den Hühnern.« Emma schüttelte den Kopf. »Wer hätte gedacht, dass die Biester mal tatsächlich zu etwas anderem gut sein würden, als bloß Eier zu legen und den Hof vollzukacken.«

Melody grinste schief. »Für viele ist es einfacher, sich um die Belange anderer zu kümmern als um ihre eigenen. Hannah gehört definitiv dazu. Ich hoffe immer noch, dass ich sie vielleicht in irgendeinem Tierheim unterbringen kann. Oder in einem Zoo.«

»Mit der Aufschrift ›Bitte nicht füttern‹?«

»Als Pflegerin!«

»Ach so, das musst du aber auch sagen!« Emma feixte. »Dann hole ich mal unsere Hühnerflüsterin.«

»Alles klar. Ich bin hier, wenn ihr mich sucht.«

Melody lächelte. Sie hielt bereits ihr Smartphone in der Hand, um zu zeigen, dass ihr nicht langweilig werden würde. Als Streetworkerin befand sie sich praktisch im Dauerdienst. Natürlich hatte auch sie irgendwann Feierband, aber Pausen wie diese nutzte sie gerne, um ihren Terminkalender aufzuräumen oder den Schriftverkehr mit den Behörden vorzubereiten.

Emma betrat das Therapiezentrum und durchquerte den Flur. Hinter dem Empfangstresen lagen nicht nur das Büro und die Küche, sondern auch ein schmaler Gang, der auf den quadratischen Hinterhof führte. Neben einigen Bänken und einem Standaschenbecher gehörte seit wenigen Wochen ein Bauwagen zur Ausstattung.

Er war zu einem Hühnerstall umgebaut worden. Eine schmale Rampe führte in das Innere. Die Menschen dagegen konnten den Wagen wie gewohnt von der Seite her betreten, um sich als Eierdiebe zu betätigen.

Emma runzelte die Stirn. Durch das kleine Fenster in der Hintertür erkannte sie, dass der Hof im Dunkeln lag.

Die Beleuchtung war an einen Bewegungsmelder gekoppelt. Das sorgte zwar dafür, dass das Licht manchmal nachts ansprang, wenn ein Huhn an Schlaflosigkeit litt, aber es hielt auch ungebetene Gäste wie Füchse und Waschbären fern.

Anscheinend war das Federvieh längst im Stall verschwunden. Das erklärte jedoch nicht, wo Hannah steckte.

Emma drückte die Tür auf und betrat den Innenhof. Nach zwei Schritten flammte das Licht auf und tauchte den Hof in fahlen Schein.

Keine Spur von Hannah.

Selbst als Emma ihren Namen rief, reagierte das Mädchen nicht. Die blonde Studentin seufzte genervt. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Für solche Spielchen hatte sie jetzt absolut keinen Nerv. Aber vielleicht war Hannah auch auf Toilette gegangen.

Emma wollte sich bereits abwenden, als sie rechts neben dem Hühnerstall einen Schatten wahrnahm, knapp außerhalb der Reichweite des Bewegungssensors.

Es war eine Gestalt in einem olivgrünen Armee-Parka. Sie wandte Emma den Rücken zu und starrte offenbar auf den hohen Maschendrahtzaun, der das Grundstück auf der Rückseite abgrenzte. Dahinter lag der nachtschwarze Wald.

Emma stieß ein Knurren aus, das jeden Wolf vor Neid hätte erbleichen lassen und stapfte auf Hannah zu. Sie griff nach der Schulter der jungen Frau und drehte sie herum.

»Für Versteckspielchen hab' ich keine ...«

»Pssst!«

Hannah hatte den Finger vor die Lippen gelegt. Unter dem Saum ihrer Kapuze lugten ein paar blonde Strähnen hervor. Das Piercing in der rechten Braue funkelte im Licht der Hoflaterne. Von ihrer Ratte Ozzy war nichts zu sehen. Anscheinend versteckte sie sich unter dem Parka oder in irgendeiner Tasche.

»Was ist los?«, wisperte Emma.

Pee drehte sich langsam wieder um und spähte zum Waldrand hinüber. Mehr tat sie nicht – außer vielleicht, Emmas Nerven zu strapazieren. Sie wollte die Obdachlose bereits auffordern mitzukommen, als diese sich nun doch zu einer Antwort herabließ.

»Ich hab' was gesehen! Ein Licht. Ein rotes Leuchten zwischen den Bäumen.«

Hannah deutete auf den Wald. Emma folgte der Richtung, in die der ausgestreckte Finger wies, konnte aber selbst nichts erkennen.

»Also ich ...«

»Da!«

Hannah schwenkte den Arm nach links. Sie befand sich immer noch außerhalb des Bereichs des Bewegungssensors. Und da Emma sich die letzten Minuten nicht nennenswert gerührt hatte, erlosch mit einem Schlag das Licht.

Finsternis stülpte sich über den Hof.

Und plötzlich verstand Emma Hannahs Verhalten, denn in der Dunkelheit war das rote Glosen sehr viel deutlicher zu erkennen. Gut fünfzig Meter entfernt schwebte es zwischen den Baumstämmen.

Aber schwebte es wirklich?

Emma verengte die Augen zu Schlitzen. Das rote Licht bewegte sich keineswegs gleichmäßig durch den Wald, sondern schwang leicht auf und ab. Auf einmal war es verschwunden.

Hannah drehte sich zu Emma um. Ihr Gesicht war in der Dunkelheit nur als heller Fleck zu erkennen. »Hast du's gesehen?«

Die Studentin nickte stumm. Da sie nicht wusste, ob Pee die Geste sehen konnte, fügte sie eine leises »Ja« hinzu.

Emmas Herz klopfte schneller. Ein ungutes Gefühl beschlich sie.

Es wäre nicht das erste Mal, dass das Stiftungsgelände Schauplatz eines Angriffes wurde. Nur mit Schaudern erinnerte sich Emma an den Überfall der Söldner, die Marisa im Auftrag der »Visionäre« entführt hatten. Auf eine Wiederholung solcher Ereignisse konnte sie verzichten4.

»Lass uns verschwinden!«, zischte sie.

»Warte noch! Ich ... ich glaube, ich höre was!«

Die harsche Antwort blieb Emma Graham im Halse stecken. Auch sie vernahm jetzt das rhythmische Stampfen. Zuerst waren es nur dumpfe Schläge, die jedoch schnell lauter wurden.

Selbst der Boden erzitterte, als würde sich etwas Gewaltiges dem Haus im Wald nähern.

Unvermittelt war auch das Licht wieder da!

Es schwebte geradewegs auf sie zu. Manchmal verschwand es für kurze Zeit, als würde es von etwas verdeckt werden, dass vor der Lichtquelle hin- und herpendelte.

»Ist das ... ist das ein Buchstabe?« Hannahs Stimme zitterte schwach.

Emma schluckte. Ja, das war ein Buchstabe. Ein großes E. Nur was hatte das zu bedeuten? Und was noch viel wichtiger war: Wer war dafür verantwortlich?

Sie sollte es bald erfahren.

Es fing mit einer Flamme an, die, begleitet von einem Schnauben, aus den Nüstern des schwarzen Rappens stob, der sich langsam aus den Schatten jenseits des Zaunes schälte.

Dass Emma und Pee ihn überhaupt sahen, hatten sie lediglich dem Feuer zu verdanken, dessen gelbroter Schein mit dem leuchtenden E verschmolz.

Das wiederum prangte auf dem glänzenden Brustharnisch einer Ritterrüstung.

Reiter und Pferd waren jetzt so dicht an den Maschendrahtzaun herangekommen, dass die beiden Frauen den Kopf des Ritters sehen konnten, der von dem Buchstaben gespenstisch beleuchtet wurde.

Emmas Augen weiteten sich vor Entsetzen.

Aus der Rüstung ragte kein menschlicher Schädel – jedenfalls keiner aus Fleisch und Blut. Was sie anglotzte, waren die leeren Augenhöhlen eines blanken, fleischlosen Totenschädels!

»Weg hier!«

Die nackte Panik sprang Emma an. Ihre Reaktion erfolgte rein instinktiv. Sie packte Hannah an der Schulter und riss sie mit sich zurück. Sie stürmten auf die Hintertür des Therapiezentrums zu und damit in den Erfassungsbereich des Bewegungsmelders.

Der Scheinwerfer flammte auf und blendete Emma.

Ein bestialisches Wiehern erklang hinter ihr. Die Studentin schrie vor Angst, rannte zur Tür und riss sie auf.

»Es ist weg!«

Emma blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen, als sie Hannahs Stimme hinter sich vernahm. Sie fuhr herum und traute ihren Augen kaum.

Dort, wo eben noch das Pferd mit dem skelettierten Reiter gestanden hatte, war nichts weiter zu sehen als die Bäume und Sträucher des nahen Waldes.

Hannah »Pee« Brixton schüttelte verständnislos den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Du hast es doch auch gesehen. Das Pferd, meine ich.«

Emma nickte.

»War das etwa ein Gespenst?«

»Keine Ahnung«, gestand Emma. »Interessiert mich auch nicht. Komm, lass uns verschwinden. Darum sollen sich John Sinclair und Suko kümmern.«

Sie zog Hannah hinter sich her, die keinen Widerstand leistete. Emma nahm sich noch die Zeit, die Tür zu verriegeln, ehe sie eilig den Flur durchquerte. Hastig stieß sie die Obdachlose ins Freie. Dann löschte sie das Licht.

»Los zum Wagen!«, rief Emma über die Schulter hinweg, während sie die Tür abschloss.

Im Laufschritt folgte sie Hannah, die bereits neben dem offene Ford Fiesta stand. »Wo ist denn Melody?«