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Ein Angriff auf die Internationale Raumstation. Ein unheimlicher Nebel dringt in die ISS ein, verwandelt die Astronauten, die schließlich zur Erde zurückkehren. Sie werden untergebracht in einer russischen Trabantenstadt - und zu der bricht daraufhin jeglicher Kontakt ab. Mit unserer russischen Kollegin Karina Grischin soll Suko in die Geisterstadt vordringen und aufklären, was dort vorgefallen ist. Aber auch ich blieb nicht tatenlos und ging mit dem atlantischen Magier Myxin und Kara, der Schönen aus dem Totenreich, auf eine gefährliche Reise. Denn Acron, der Sternenvampir, war gekommen, um seinen Schatten zurückzufordern, den ihm einst der Spuk gestohlen hatte!
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Sternenvampire
Grüße aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Sternenvampire
(Teil 1 von 2)
von Ian Rof Hill
Es existierte seit Anbeginn der Zeit.
Eines der mächtigsten Geschöpfe des Universums. Im Laufe der Äonen hatte man ihm viele Namen gegeben. Sie waren so zahlreich wie die Welten, die es verschlungen hatte.
Planetenfresser. Weltenvernichter. Sternenvampir ...
Ruhelos durchstreifte es das All. Es gierte nach magischem Leben, mit dem es seinen Schatten nährte, der ihn nahezu unverwundbar machte.
Bis ihm eine Kreatur, die den Sternenvampir noch an Bosheit und Niedertracht übertraf, diesen Schatten stahl.
Die Kreatur floh auf eine Welt, wo sie sich mit mächtigen Götzen verbündete – den Großen Alten. Gemeinsam schlugen sie den Sternenvampir zurück.
In den Tiefen des Alls sann er auf Rache, in dem Wissen, dass es nur eine Frage der Zeit war. Und jetzt war es endlich so weit.
Acron, der Sternenvampir, war gekommen, um seinen Schatten zurückzufordern!
Aus einer Höhe von vierhundert Kilometern war die Erde alles andere als winzig.
Sie war eine gigantische blaue Kugel, über die weiße Schlieren hinwegzogen. Ab und zu, wenn man genau hinsah, tauchten darunter die Landmassen als schmutzig-braune Flecken auf.
Schwer vorstellbar, dass sich darauf acht Milliarden Menschen tummelten, die sich für die Krönung der Schöpfung hielten.
Solch größenwahnsinnige Gedanken vergingen einem schnell, wenn man von hier oben auf die Erde herabblickte. Sicher, es war fantastisch, was die Menschheit in der relativ kurzen Zeit ihrer Existenz erreicht hatte. Fantastisch und erschreckend zugleich, wenn man sich vor Augen hielt, mit welcher Vehemenz und Ignoranz die Menschheit ihre eigene Vernichtung vorantrieb, indem sie wissentlich und willentlich ihren eigenen Lebensraum zerstörte.
Francesca Marchetti war sich des Privilegs, das sie genoss, sehr wohl bewusst.
Nur sehr wenigen Menschen war es vergönnt, die Erde mit eigenen Augen aus dieser Perspektive zu betrachten. Unter den rund 250 Personen, die die Internationale Raumstation ISS seit ihres Aufbaus im Jahr 1998 besucht hatten, waren nur vier Frauen.
Obwohl insgesamt neunzehn Länder und fünf Raumfahrtagenturen an dem Projekt beteiligt waren, gehörten drei der Astronautinnen, die auf der ISS gedient hatten, zur ESA, der European Space Agency, der europäischen Weltraumorganisation.
Erst im vergangenen Jahr war eine Amerikanerin hinzugekommen, die gleich auch das Kommando übernommen hatte: Sunita Williams.
Francesca konnte es noch immer nicht fassen, dass auch sie das strenge Auswahlverfahren überstanden hatte und Teil der mittlerweile 73. Mission war, die auf der ISS durchgeführt wurde.
Seit ihrer Inbetriebnahme im Jahr 2000 war die ISS dauerhaft bemannt und stellte für viele Menschen, einschließlich Francesca, ein Symbol für Frieden und internationale Zusammenarbeit dar.
Auch wenn seit dem Krieg zwischen der Ukraine und Russland, dessen Weltraumorganisation neben den USA, Kanada, Europa und Japan einer der wichtigsten Partner des ISS-Projekts war, ein Schatten über diesem Symbol schwebte.
Aber daran wollte Francesca in diesen Momenten nicht denken. Dmitri, Vlad und Oleg waren nicht für die Entscheidungen des Kremls verantwortlich, und es war ein ungeschriebenes Gesetz unter den Frauen und Männern, die auf der ISS zusammenarbeiteten, keine politischen Diskussionen vom Zaun zu brechen.
Davon abgesehen versahen die drei russischen Astronauten die meiste Zeit ihrer täglichen Arbeit ohnehin im russischen Modul. Es war erstaunlich, wie gut man sich auf der ISS aus dem Weg gehen beziehungsweise schweben konnte.
Ein Bestreben, das erstaunlicherweise von den russischen Kollegen ausging, so als schämten sie sich für die Entscheidungen ihrer Regierung, auch wenn sie dies vermutlich nicht öffentlich zugeben würden.
Es war Francescas fünfter Tag an Bord. Einhundertachtunddreißig lagen noch vor ihr. Doch sie war sich sicher, dass sie sich auch nach Ablauf der gesamten Expeditionsdauer nicht an dem Anblick der Erde sattgesehen haben würde. Vielleicht stellte sich irgendwann ein gewisser Gewöhnungseffekt ein, bestimmt sogar, immerhin war sie nicht zum Vergnügen hier. Aber sie hatte sich fest vorgenommen, wenigstens fünfzehn Minuten pro Tag innezuhalten und die Erhabenheit dieses Ausblicks zu genießen.
Nur an die permanente Schwerelosigkeit würde sie sich wohl nie gewöhnen, auch wenn einige Kollegen von sich selbst das Gegenteil behaupteten. Aber die mussten ja auch keine schulterlangen Haare in völliger Schwerelosigkeit waschen und frisieren.
Am heutigen Tag war sie für den Dienst im Agrar-Modul eingeteilt, wo das Wachstum von Weizen, Obst und Gemüse außerhalb der irdischen Atmosphäre untersucht wurde – in Anbetracht der stetig wachsenden Weltbevölkerung und der damit einhergehenden Ernährungsproblematik eines der wichtigsten Experimente, die zurzeit auf der ISS durchgeführt wurden. Zumindest wenn man Francesca fragte.
Die vierunddreißigjährige Italienerin war so vertieft in ihre Arbeit, dass sie erschreckt zusammenzuckte, als sie jemand an der Schulter berührte.
Es war Bob, einer der amerikanischen Kollegen, der Francesca besonders herzlich an Bord begrüßt und ihr damit gedroht hatte, sie einhundertdreiundvierzig Tage lang mit schlechten Astronautenwitzen zu unterhalten.
»Hey, nicht so schreckhaft«, sagte Bob grinsend, während er sich neben Francesca schob und an einem der Griffe festhielt.
»Dann solltest du dich nicht so ... äh, anschleichen. Kannst du dich nicht bemerkbar machen?«
»Könnte ich schon, aber ein bisschen Adrenalin im Blut hat noch niemandem geschadet. Dachte, du wärst vor Langeweile schon eingeschlafen.«
»Ich langweile mich nicht«, behauptete Francesca.
»Noch nicht. Wart ab, nach sieben Wochen Routine wirst du nach jedem bisschen Abwechslung lechzen.«
Im Gegensatz zu Francesca war Robert Drake schon zwei Monate länger auf der ISS.
Francesca schmunzelte. »Ich bin sicher, du wirst das zu verhindern wissen.«
Sie mochte Bob. So wie jeder seiner sechs Kollegen, einschließlich der Russen.
»Ich werde mein Bestes tun«, versprach Bob grinsend. »Also, warum sind Astronauten immer so entspannt?«
»Weil es im Weltall keinen Druck gibt?«
»Kanntest du den etwa schon?«
Francesca lächelte nur.
Bob verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Warte, Toma hat gepetzt, nicht wahr?«
»So schwer war der Gag nun auch wieder nicht, als dass ich dafür Hilfe bräuchte. Ist wie mit der Mathematik.«
»Hä, was haben meine Witze denn mit Mathe zu tun?«
»Beides ist im Weltraum leichter.«
Jetzt musste Bob lachen.
Ein Signal ertönte, begleitet von einem blinkenden Licht. Der interne Funkkanal war geöffnet worden.
»Palmer an Agrarmodul. Francesca, kannst du mich hören?«
Die Vierunddreißigjährige stieß sich von dem Weizen-Beet ab, schwebte zum Kommunikations-Modul und betätigte eine Taste. »Laut und deutlich.«
Sie ließ den Schalter los, um den Kanal wieder freizugeben.
»Ist Bob bei dir?«
Francesca drückte erneut die Taste. »Ja. Was ist denn los, Derek?«
»Kommt ins Hauptmodul. Schnell! Das müsst ihr euch ansehen!«
Vor dem Schott zum Basismodul trafen Francesca und Bob auf die russischen Kollegen Dmitri, Vlad und Oleg, die von dem derzeitigen Kommandanten, Derek Palmer, ebenfalls einbestellt worden waren.
»Bozhe moy, was ist so dringend, dass es nicht noch bis zum Mittag warten kann?«, fragte Vlad mürrisch.
Derek wechselte mit seinem Stellvertreter Toma Jansson einen knappen Blick.
Palmer war ein durchtrainierter Amerikaner mit raspelkurzen Haaren und glattrasiertem Kinn. Sein Kollege stammte aus Norwegen. Er überragte Derek um Haupteslänge.
Jansson schaute auf die Uhr. »Kleinen Augenblick noch. In vier Minuten haben wir die Erde umrundet, dann werdet ihr es mit eigenen Augen sehen.«
»Warum macht ihr es so spannend?«, wollte Bob wissen.
»Da!«, schlug Oleg in dieselbe Kerbe. »Warum sagt ihr nicht einfach, was los ist? Ist das ein Scherz, oder was?«
»Für die Witze ist er zuständig«, entgegnete Palmer trocken und deutete auf Bob. »Glaubt mir, ich hätte euch bestimmt nicht einbestellt, wenn es nicht wichtig wäre.«
»Wenn es so wichtig ist, solltest du uns erst recht sagen, um was es geht«, meinte Dmitri und strich über sein kahl rasiertes Haupt.
»Das würde ich tun, wenn ich es wüsste.«
Francesca beteiligte sich nicht an dem Gespräch. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie die gewaltige hellgraue Scheibe des Mondes, die sich in den Sichtbereich der Aussichtsluke des Hauptmoduls schob. Ziemlich schnell sogar, denn für eine Erdumdrehung benötigte die ISS gerade einmal dreiundneunzig Minuten. Obwohl sie vierhundert Kilometer über der Erde kreiste, trennten sie noch immer über 384.000 vom Mond.
»Gleich!«, raunte Toma Jansson mit gepresst klingender Stimme. »Gleich könnt ihr es sehen!«
»Dort!« Palmer streckte den Arm aus, sein Zeigefinger stach wie die Spitze eines Speeres in Richtung der golden flimmernden Wolke, die zum Greifen nah vor dem Mond schwebte.
Sämtliches Blut sackte aus Dereks Gesicht, er wurde kreideweiß. »Mein Gott, sie ist näher gekommen.«
»Viel näher«, krächzte der neben ihm schwebende Jansson.
»Aber wie ist das möglich?«, murmelte Palmer.
Der Rest der Besatzung schwieg zunächst. Wie gebannt starrten sie auf die Wolke, die innerhalb kürzester Zeit aus ihrem Sichtbereich verschwand.
»Grundgütiger, was war das?« Bob strich sich über die Stirn. »Kosmischer Staub?«
»Das dachten wir zunächst auch«, sagte Jansson. »Aber diese Wolke verhält sich vollkommen anders als sämtliche uns bekannten Arten kosmischen Staubs.«
»Das gehört definitiv nicht zum Zodiaklicht«, pflichtete ihm Francesca bei.
Damit meinte sie das permanent sichtbare, diffuse Leuchten, das am östlichen Himmel im Sternzeichen des Krebses bei günstiger Wetterlage sichtbar wurde. Es entstand durch die Reflexion und Streuung von Sonnenlicht auf den Partikeln der interplanetaren Staub- und Gaswolke, die die Erde umgab.
»Nein, definitiv nicht.« Palmers Tonfall nach hatten Jansson und er diese Theorie bereits diskutiert und verworfen.
»Könnte es sich um Trümmerteile handeln?«, fragte Oleg. »Ein zerschellter Satellit. Splitter eines Solarmoduls, die vom Magnetfeld der Erde angezogen werden.«
»Auf diese Entfernung? Unmöglich«, widersprach ihm Vlad.
»Zumal sich diese Wolke deutlich schneller bewegt, als es durch die bloße Erdanziehung der Fall sein dürfte«, fügte Jansson hinzu. »Ich habe das Phänomen vor 279 Minuten zum ersten Mal gesehen, also vor drei Erdumdrehungen. Beim ersten Mal war sie nicht mehr als ein winziges Funkeln, das ich für eine optische Täuschung hielt. Bei der zweiten Umdrehung war es deutlicher zu sehen, daher hab ich Derek informiert.«
»Da war bereits zu erkennen, dass es sich um eine Art Wolke handelt.«
»Einen Moment«, mischte sich Francesca ein. »Sagtest du eben nicht, dass dir bei der ersten Umdrehung ein Funkeln aufgefallen sei?«
Jansson nickte langsam. Er schien bereits zu wissen, worauf Francesca hinauswollte. Ganz im Gegensatz zu Bob, der fragte, was daran so besonders sei.
»Weil sich die Wolke zu dieser Zeit im Erdschatten befand. Was auch immer da auf uns zu schwebt, hätte also gar nicht funkeln dürfen. Es sei denn ...«
»Was?«
»Es verfügt über die Fähigkeit, Licht zu erzeugen«, erklärte Vlad mit gedämpfter Stimme.
»Wow!«, rief Bob. »Jetzt mal langsam, Leute. Habt ihr zu viele schlechte Filme gesehen? Ihr sprecht von der Wolke, als würde sie leben.«
Beklemmendes Schweigen folgte Bobs Worten. Niemand wagte, darauf zu antworten.
Der NASA-Astronaut schaute von einem seiner Kollegen zum anderen, bis sein Blick schließlich auf Francesca hängen blieb.
»Warum sagt ihr nichts, verdammt?«, rief Bob. »Kommt schon! Wollt ihr mir ernsthaft erzählen, das seien Außerirdische?«
»Wir haben das letzte Intervall genutzt, um anhand der Entfernung zum Mond Masse und Geschwindigkeit der Wolke zu errechnen«, erklärte Palmer, ohne auf Bobs Frage einzugehen. »Wir gehen davon aus, dass sie sich mit einer Geschwindigkeit von mindestens tausend Kilometern pro Stunde vorwärtsbewegt. Und zwar in einer leicht elliptischen Bahn auf die Erde zu, auf der sie unsere Flugbahn kreuzen wird.«
»Soll das heißen, sie hat die Richtung geändert?«
Jansson und Derek nickten.
»Hey, jetzt schaltet mal alle einen Gang runter.« Bob lächelte verkrampft. »Bevor wir die Pferde scheu machen und den roten Teppich für E.T. ausrollen, sollten wir mehr Fakten sammeln. Ich meine, vielleicht ist diese Wolke magnetisch und wird von der ISS angezogen.«
»Auf eine Entfernung von über dreihunderttausend Kilometern hinweg?«, fragte Vlad. »Glaubst du doch selbst nicht.«
»Außerdem würde das nicht den Ursprung der Wolke erklären«, pflichtete Francesca ihrem russischen Kollegen bei.
»Ganz genau«, sagte Palmer. »Also, in knapp sechsundachtzig Minuten kommt die Wolke wieder in Sicht, dann will ich, dass wir vorbereitet sind.«
»Was hast du vor?«, fragte Oleg.
»Wir sind Wissenschaftler«, erinnerte ihn Palmer. »Unsere Aufgabe ist es, Daten zu sammeln, die von den Kollegen auf der Erde ausgewertet werden können. Ich werde eine Meldung an Mission Control abgeben. Währenddessen werdet ihr euch auf den Kontakt mit der Wolke vorbereiten. Sämtliche Versuchsreihen müssen gesichert werden. Francesca, Vlad – das werdet ihr übernehmen. Oleg und Bob – ihr bereitet die Kameras vor. Toma und Dmitri werden den Greifer ausfahren. Ich will eine Probe von dem Ding. Außerdem werden wir alle unsere Raumanzüge anlegen. Nur für den Fall, dass es zu einer Beschädigung der Außenhülle kommt.«
»Für den Fall ...?«, echote Bob. »Jesus Christus. Die Dinger schießen mit einer Geschwindigkeit von tausend Kilometern pro Stunde auf uns zu. Scheiße, wir sind geliefert!«
Francesca schnürte sich die Kehle zu. Sie dachte an ihren Sohn, der mit seinem Vater unten auf der Erde zurückgeblieben war und jede Nacht hinauf zu den Sternen schaute.
Obwohl sie nicht oft in die Kirche ging, glaubte Francesca an Gott und ein Leben nach dem Tod. Im Gegensatz zu vielen anderen Kindern, die ihre Mutter viel zu früh verloren hatten, war die ihres Sohnes tatsächlich im Himmel. Nur mit dem Unterschied, dass sie bislang davon ausgegangen war, nach einhundertdreiundvierzig Tagen wieder zu ihrer Familie zurückzukehren.
Bislang hatte sie auch keinen Zweifel daran gehegt. Die Raumfahrt mochte noch in den Kinderschuhen stecken, doch die Sicherheit hatte sich seit den ersten bemannten Weltraumflügen erheblich erhöht.
Trotzdem gab es so viel, was schiefgehen konnte. Im Weltraum war der Spielraum für Fehler verdammt gering. Deshalb waren die Auswahlkriterien ja so streng, und jeder, der hier oben arbeitete, war ein absoluter Profi.
»Jeder weiß, was er zu tun hat«, sagte Derek Palmer. »Also an die Arbeit!«
Karina Grischin erwachte mit hämmernden Kopfschmerzen, die sie daran erinnerten, dass sie am gestrigen Abend wohl ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatte. Mal wieder.
Ihr Alkoholkonsum war in den letzten Wochen auf ein ungesundes Maß gestiegen. Nicht dass es sie sonderlich überrascht hätte. Zu viel war in den vergangenen Jahren auf sie eingestürmt. Dabei war sie einst eine der Top-Agentinnen des russischen Geheimdienstes gewesen, der niemand ihre ukrainische Herkunft vorgeworfen hatte.
Ihre ersten Sporen hatte sie sich im Ausland verdient, als Leibwächterin des Mafia-Bosses Logan Costello, dem sie gemeinsam mit ihren englischen Freunden John Sinclair und Suko das Handwerk gelegt hatte.
Daraufhin war Karina zurück nach Moskau gekehrt, wo sie in die Spezialabteilung von Wladimir Golenkow aufgenommen worden war, einem ehemaligen KGB-Agenten, der sie unter seine Fittiche genommen hatte.
Sie waren ein gutes Team geworden, sowohl in beruflicher als auch in privater Hinsicht, denn schon nach wenigen Monaten waren sie ein Paar gewesen.
Karina hatte sogar schon an Kinder gedacht, als Wladimir bei einem Einsatz schwer verletzt worden war.
Chandra, eine Auftragskillerin im Dienst einer Terrororganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den russischen Magier Rasputin zu neuem Leben zu erwecken, hatte Wladimir angeschossen und in den Rollstuhl befördert.
Plötzlich hatte Wladimirs und Karinas Leben Kopf gestanden. Doch damit nicht genug, denn Chandra war es nicht nur gelungen, Rasputin zu untotem Leben zu erwecken, sondern auch Wladimir zu entführen. Als Karina ihn wiedergesehen hatte, war er bereits einer von ihnen gewesen, ein untoter Killer, der den Auftrag gehabt hatte, seine ehemalige Geliebte zu töten.
Es war ihm nicht gelungen. John Sinclair und seine Freunde hatten Karina beschützt und Wladimir von seinem untoten Dasein erlöst.
Ruhiger war es danach trotzdem nicht geworden. Sie hatte an der Seite von Matthias, dem ersten Diener Luzifers, gegen Rasputin und seine Erben gekämpft und sogar gegen die Unheilsbringerin Pandora. Dass der Teufel ihre Seele nicht bekommen hatte, verdankte sie der Großen Mutter Lilith, in deren Dienst sich Karina gestellt hatte.
Doch selbst die hatte nicht verhindern können, dass es zum Krieg zwischen Russland und ihrem Heimatland, der Ukraine, gekommen war, und mit einem Mal hatte Karina, wie so viele ihrer Landsleute, zwischen den Stühlen gestanden.
Im ersten Affekt hatte sie das Land verlassen wollen, doch dann hatte ihr Verantwortungsgefühl gesiegt. Immerhin hatte sie eine Aufgabe zu erfüllen.
Geister und Dämonen scherten sich nun einmal nicht um Politik oder Grenzen. Und gerade in unsicheren Zeiten fielen die Verlockungen des Bösen auf fruchtbaren Boden. Daher hatte Karina beschlossen, gute Miene zum bitterbösen Spiel zu machen.
Plötzlich aber war man an verantwortlichen Stellen der Überzeugung gewesen, dass ihre Dienste nicht länger benötigt wurden. Mit anderen Worten, sie hatte ihren Job verloren!
Man traute ihr nicht länger. Die Hardliner hielten sie für ein Sicherheitsrisiko, und man wollte auch nichts mehr wissen von Geistern und Dämonen. Es war wie früher zu Sowjetzeiten, als die Geschichten von Werwölfen in Sibirien und Zombies auf dem Roten Platz als westliche Propaganda abgetan worden waren.
Man drehte ihr sogar einen Strick daraus, dass sie bei ihrem letzten Auslandseinsatz in Schottland zusammen mit ihrem Freund John Sinclair, dem Geisterjäger von Scotland Yard, abtrünnige russische Militärs bekämpft hatte, die einen Pakt mit dem Teufel eingegangen waren.* Karinas Vorgesetzte argwöhnten ja schon seit längerem, dass John nicht nur für Scotland Yard arbeitete, sondern seine Sondervollmachten weltweit für Spionagezwecke nutze. Dass er in Wirklichkeit für den britischen Geheimdienst tätig war. Als Beweis dafür galt seine langjährige Freundschaft zu dem inzwischen verstorbenen Mark Baxter, dem ›Unsichtbaren der CIA‹. Und aus den abtrünnigen russischen Militärs hatte man kurzerhand ›russische Patrioten‹ gemacht.
Wie auch immer, man verdrehte die Wahrheit und stellte Grischin als Verräterin dar.
Daran, das Land zu verlassen, hatte sie nicht einmal zu denken brauchen. Sie wäre noch am Flughafen verhaftet worden.
Obwohl sie sich frei bewegen konnte, war sie sich sicher, dass jeder ihrer Schritte überwacht wurde. Man wartete geradezu darauf, dass sie einen Fehltritt machte.
Doch den Gefallen tat sie den anderen nicht.
Stattdessen hatte sie sich in den ersten Wochen in ihrer Wohnung verkrochen und sie nur verlassen, um einkaufen zu gehen. Doch irgendwann war ihr die Decke auf den Kopf gefallen, und sie hatte sich in das Moskauer Nachtleben gestürzt.