John Sinclair 2449 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2449 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Suko - in Russland verhaftet als britischer Spion! Man warf ihm vor, ohne Erlaubnis in die wissenschaftliche Trabantenstadt Innopolis eingedrungen und für das Verschwinden von über 160 Menschen verantwortlich zu sein. Zwischenzeitlich waren Myxin, Kara und ich aus der Hölle zurückgekehrt und suchten nach Hinweisen darauf, was in Innopolis vorgefallen war. Dabei machten wir in der Wohnung unserer russischen Kollegin Karina Grischin eine erschütternde Entdeckung! Zugleich erwachte in Innopolis das Grauen, und Suko erlebte die Hölle von Kasan.

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Seitenzahl: 139

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Die Hölle von Kasan

Grüße aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Die Hölle von Kasan

von Ian Rolf Hill

Der Mann saß mit auf dem Rücken gefesselten Händen hinter einem Tisch.

Kaltes Neonlicht erhellte den fensterlosen Raum, dessen stählerne Tür sich unvermittelt öffnete. Ein schmächtiges Männlein im maßgeschneiderten Anzug und mit randloser Brille trat ein, gefolgt von zwei grobschlächtigen Kerlen mit brutalen Gesichtern. Einer von ihnen trug einen Stuhl, der andere eine Kunststoffwanne, die er auf dem Tisch abstellte.

Letzterer verließ den Vernehmungsraum wieder. Sein Kamerad schloss die Tür und stellte sich mit dem Rücken davor, während das Männlein die Gegenstände aus der Wanne vor den Gefangenen auf den Tisch legte: einen Bumerang aus Metall, eine zusammengerollte dreischwänzige Peitsche, einen bleistiftdünnen Stab, ein Amulett mit einer Vampirfratze und eine Pistole.

Das Männlein übergab dem Grobschlächtigen die Kunststoffwanne, die dieser neben der Tür an die Wand lehnte, und nahm auf dem mitgebrachten Stuhl Platz.

»Was sind das für Gegenstände?«

Der Gefangene hob langsam den Kopf und erwiderte den Blick des Schmächtigen. Ohne die Gegenstände anzuschauen, sagte er: »Das ist eine halbautomatische Pistole der Marke Beretta.«

Der Bebrillte wandte den Kopf und nickte dem Grobschlächtigen zu.

Der ging um den Tisch herum und schlug ansatzlos zu. Der Hieb war brutal, der Kopf des Gefangenen wurde zur Seite gerissen.

»Es wäre wirklich besser, wenn Sie kooperieren, Inspektor Suko.«

Dem war die besondere Betonung seines Ranges keineswegs entgangen.

Sein Gegenüber, der sich nicht mal die Mühe gemacht hatte, sich vorzustellen, glaubte ihm kein Wort. Er und seine ebenso namenlosen Hintermänner, von denen Suko noch keinen einzigen zu Gesicht bekommen hatte, hielten ihn für einen westlichen Spion. Was in Anbetracht seiner chinesischen Herkunft nicht einer gewissen Ironie entbehrte.

Natürlich gab es in jedem Geheimdienst Doppelagenten. Menschen, die ihre eigene Regierung verrieten, entweder für Geld oder Ideale.

Aber Suko war nun mal kein Spion, er war Polizist. Inspektor bei Scotland Yard und dort Mitglied einer Spezialabteilung, die übernatürliche Phänomene untersuchte, um die Menschheit vor schwarzmagischen Bedrohungen zu schützen. Seine Gegner waren Vampire, Werwölfe, Geister und Dämonen.

Und obwohl er für die Metropolitan Police – weltbekannt als Scotland Yard – arbeitete, führten ihn seine Aufträge bisweilen rund um den Erdball.

So wie in diesem Fall, bei dem ihn der russische Geheimdienst angefordert hatte, weil der Kontakt zu einer Satellitenstadt namens Innopolis abgebrochen war, kurz nachdem in der Nähe eine Rettungskapsel der Internationalen Weltraumstation ISS notgelandet war.

Die sieben Astronauten waren an Bord der Raumstation mit etwas konfrontiert worden, das sie verändert hatte. Suko hatte in den Videoaufzeichnungen selbst gesehen, wie sich die Menschen scheinbar in Luft aufgelöst hatten, als sie mit einer golden funkelnden Wolke in Berührung gekommen waren. Trotzdem waren die Raumfahrer wenige Stunden später wohlbehalten auf die Erde zurückgekehrt.

Das war so ziemlich das letzte Lebenszeichen aus Innopolis gewesen.

Die kleinste Stadt Russlands lag gut dreiundzwanzig Kilometer Luftlinie von Kasan, der Hauptstadt der Republik Tatarstan, entfernt.

Gemeinsam mit seiner alten Freundin Karina Grischin, dem Geheimdienstler Gleb Djakow und einer russischen Spezialeinheit hatte sich Suko nach Innopolis begeben, um Licht ins Dunkel zu bringen, während sein Freund, der Geisterjäger John Sinclair, mit Myxin, dem Magier aus dem alten Atlantis, zu den flaming stones gereist war.

Die magischen Stelen, die von dem längst versunkenen Kontinent stammten, hatten Myxin nämlich vor einer ungeheuren Bedrohung gewarnt, die sich aus den Tiefen des Alls der Erde näherte.

Acron, der Sternenvampir.

Er war zurückgekehrt, um sich seinen Schatten zurückzuholen, den ihm der Spuk einst gestohlen hatte. Auf der Erde hatte sich der Spuk dann den Großen Alten angeschlossen.

Doch sein Schatten war nicht der alleinige Grund, warum Acron zur Erde gekommen war. Sein Hunger nach Leben war so groß, dass er sich die ganze Menschheit hatte Untertan machen wollen. Innerhalb weniger Tage hatten die infizierten Astronauten die Hälfte der Bewohner von Innopolis in Vampire verwandelt, während die andere Hälfte in einem Bürokomplex im Zentrum von Innopolis als lebender Vorrat festgehalten worden war.

Von diesem Gebäude aus, das in Form eines siebenstöckigen gläsernen Zylinders errichtet worden war, hatte Acron die Welt ins Chaos stürzen wollen, indem die von ihm kontrollierten Informatiker und Hacker Angriffe auf die Sicherheitssysteme mehrerer Staaten verübten.

Doch dann war etwas Unvorhergesehenes geschehen. Die Vampire waren plötzlich wahnsinnig geworden. Aus einem für Suko nicht nachvollziehbaren Grund hatten sie von einer Sekunde auf den anderen den Verstand verloren.

Mithilfe eines kleinen Jungen, dem Sohn der Astronautin Francesca Marchetti, war es ihm gelungen, Acron ei‍nen Strich durch die Rechnung zu ma‍chen und die Sternenvampire auszulöschen.

Allerdings waren sämtliche Mitglieder des russischen Einsatzkommandos ums Leben gekommen, einschließlich des Geheimdienstlers Gleb Djakow und Sukos Freundin Karina Grischin.

Das hatten die russischen Einsatzkräfte, die kurz darauf Innopolis gestürmt hatten, angenommen. Denn bis auf die geretteten Bewohner von Innopolis, die sich natürlich an nichts erinnern konnten, gab es nur zwei Überlebende: einen infolge des Schocks verstummten siebenjährigen Knaben und eben Suko.

»Sie haben mir eine Frage gestellt, und ich habe geantwortet«, entgegnete Suko nun gelassen.

Sein Tonfall stand im Widerspruch zu seinen Gefühlen. Selbst ein Mann von Sukos Mentalität war kein Roboter. Auch er verspürte Angst.

Angst zu sterben, ohne dass irgendjemand außerhalb dieser Zelle beziehungsweise des schmucklosen Betonbaus am Rande von Kasan Wind davon bekam.

Angst, seine Lebensgefährtin Shao nie wiederzusehen.

Sie musste umkommen vor Sorge.

Hinzu kam die Ungewissheit bezüglich des Schicksals seines Freundes John Sinclair. Und da war auch noch Karina Grischin.

Für Suko war eine Welt zusammengebrochen, als sie sich vor seinen Augen in eine Untote, eine Vampirin, verwandelt hatte.

Die Einzige, die nicht zu Staub zerfallen war, als das Sonnenlicht den gläsernen Bürokomplex geflutet hatte.

Vielleicht lag es an den geweihten Silberkugeln, mit denen er sie erschossen hatte.

Aber auch das war seltsam, denn Acrons Sternenvampire waren alle zu Staub zerfallen, egal, auf welche Weise sie erlöst worden oder wie lange sie schon untot gewesen waren.

Bevor Suko die Leiche mit der Dämonenpeitsche oder dem Vampir-Pendel, die neben dem Bumerang, Buddhas Stab und der Beretta auf dem Tisch lagen, hatte testen können, waren die Soldaten erschienen und hatten ihm Handschellen angelegt.

Er wusste nicht einmal, wohin man den Jungen gebracht hatte.

»Sie halten also weiterhin an Ihrer Geschichte fest?«, fragte der Schmalbrüstige geradezu lauernd. »Ein Mann namens Gleb Djakow hat sie angefordert, damit Sie gemeinsam mit Karina Grischin und neun Speznas-Soldaten nachsehen, was in Innopolis los ist. Dabei haben Sie herausgefunden, dass sich die Bewohner in ... äh, Vampire verwandelt haben?«

Suko nickte.

Der Schmalbrüstige lachte, und sein grobschlächtiger Handlanger grinste dämlich.

»Entschuldigen Sie, wenn ich lache, Inspektor Suko. Aber das ist wirklich der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe.«

»Mag sein, aber es bleibt dennoch die Wahrheit, ob Sie es nun hören wollen oder nicht. Warum sollte ich mir so etwas ausdenken, wenn ich mir genauso gut eine plausiblere Erklärung einfallen lassen könnte?«

»Da fallen mir gleich mehrere Gründe ein. Einen haben Sie eben schon selbst erwähnt. Eine Geschichte, so abstrus, dass sie unmöglich wahr sein kann, mit der Begründung, dass sie sich so etwas niemals aus den Fingern saugen würden, weil man Ihnen sowieso nicht glauben würde. Zumal wir Ihre Angaben nicht mal überprüfen können.«

»Was ist mit der Asche?«

»Sie meinen den Staub, zu dem die Vampire angeblich zerfallen sind?« Der Schmalbrüstige zuckte mit den Schultern. »Vom Winde verweht.«

»Das können Sie mir nicht weismachen!«

»Einhundertdreiundsiebzig Menschen, und keiner kann sich an einen Vampir erinnern.«

»Weil ihr Gedächtnis gelöscht wurde. Lassen Sie mich mit den Leuten sprechen.«

»Ich wüsste nicht, was das bringen sollte.«

»Und wie soll es mir gelungen sein, dreihundertfünfzig Menschen zu überwältigen und die Hälfte davon verschwinden zu lassen?«

»Eben das versuchen wir ja gerade herauszufinden. Und ich werde es herausfinden, verlassen Sie sich darauf. Egal, wie viele Märchen Sie sich ausdenken. Vielleicht hoffen Sie ja auch, dass wir Sie exekutieren, wenn Sie einen auf Schwachsinnig machen. Aber so leicht kommen Sie uns nicht davon.«

»Ich bin Bürger Großbritanniens, und Sie ...«

»Sehen Sie, und hier irren Sie sich, Inspektor. Das Commonwealth bestreitet dies.«

Suko glaubte, sich verhört zu haben. »Rufen Sie Sir James Powell an. Ich habe seine Nummer im Kopf und ...«

»Oh, ich bestreite gar nicht, dass Sie für ihn gearbeitet haben. Allerdings haben unsere Nachforschungen ergeben, dass es nie ein ordentliches Einbürgerungsverfahren gegeben hat. Offensichtlich haben sich die Engländer mit Ihnen einen waschechten Kakadu ins Nest geholt.«

»Kuckuck!«

»Wie bitte?«

»Der Vogel, der seine Brut in die Nester anderer Vögel legt, ist ein Kuckuck. Kein Kakadu.«

Der Schmalbrüstige nickte dem Grobschlächtigen zu.

Diesmal traf der Schlag Sukos Nieren. Da gab es keine Muskeln, die er anspannen konnte. Der Schmerz war höllisch.

So sehr Suko auch versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, sein Gegenüber war erfahren genug, um die zusammengepressten Kiefer und die hervorstehenden Wangenknochen richtig zu deuten. Sein schmallippiges Lächeln sprach Bände.

Er beugte sich vor und legte die zusammengefalteten Hände vor sich auf den Tisch. »Sie sind ein Schlauberger, Inspektor Suko. Solche Leute konnte ich noch nie ausstehen. Wir werden sehr viel Spaß miteinander haben, das verspreche ich Ihnen. Also, wo waren wir?«

»Mein Name ist Suko. Ich bin britischer Staatsbürger. Ich bin Polizist. Ich stehe im Rang eines Detective Inspectors und arbeite für den Metropolitan Police Service.«

Der Schmalbrüstige wedelte mit der Hand. »Ja, ja, ja, das haben Sie mir schon erzählt. Verschonen Sie mich mit der Leier. Ich weiß, dass Sie ein harter Hund sind. Aber wissen Sie, was ich nicht verstehe?«

Suko schwieg.

»Wenn Sie sich schon die Dreistigkeit erlauben, uns eine Geschichte über Vampire aus dem Weltraum aufzutischen, weshalb haben Sie sich dann keinen glaubwürdigeren Background ausgedacht?«

Suko blinzelte irritiert. »Wie bitte?«

»Karina Grischin. Sie ist gebürtige Ukrainerin. Glauben Sie ernsthaft, wir betrauen eine solche Person mit derart wichtigen Nachforschungen?«

Suko sah ihn verdutzt an. Worauf wollte der Kerl hinaus?

»Es geht nicht darum, was ich glaube«, sagte Suko. »Ich erzähle Ihnen, was ich weiß und was geschehen ist. Gleb Djakow ...«

»Ein Mann dieses Namens hat nie existiert.«

»Natürlich hat er nicht existiert«, sagte Suko.

Der Schmalbrüstige horchte auf. »Das sind ja ganz neue Töne. Haben Sie letzten Ende eingesehen, dass es keinen Zweck hat, uns länger Lügen aufzutischen?«

Suko überlegte, ob er dem Schmalbrüstigen erzählen sollte, dass es sich bei Djakow in Wahrheit um Asmodis, den Fürsten der Finsternis, handelte, der Kontakt mit Acron gesucht hatte, um ihm einen Pakt vorzuschlagen.

Rasch verwarf er diesen Gedanken. Er wollte sein Gegenüber nicht unnötig provozieren.

»Djakow arbeitete offiziell für die FSKN*, inoffiziell war er jedoch für den Geheimdienst tätig. Kein Wunder, dass Sie ihn verleugnen. Vor allem, nachdem er offenbar versagt hat.«

»Wir verleugnen ihn, weil es ja nicht einmal eine Leiche gibt.«

»Was ist mit Gosposcha Grischin?«

»Was soll mit ihr sein?«

»Wohin haben Sie Ihre Leiche gebracht?«

»Das braucht Sie nicht zu interessieren.«

»Aber es sollte Sie interessieren. Möglicherweise ist sie nämlich nicht so tot, wie Sie annehmen.«

»Aha. Und wenn es so wäre?«

»Dann schweben alle Leute in ihrer unmittelbaren und mittelbaren Nähe in größter Gefahr.«

»Und was schlagen Sie vor? Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?«

»Bringen Sie mich zu ihr. Ich muss Sie untersuchen.«

Der Schmalbrüstige bewegte die offene Hand über die auf dem Tisch liegenden Waffen. »Ich nehme an, mit einem dieser Gegenstände?«

Suko nickte zögernd.

»Warum sagen Sie mir nicht einfach, mit welchem. Dann erledigen wir das für Sie.«

»Weil Sie nicht wissen, worauf Sie achten müssen.«

»Erklären Sie es mir.«

»Das kann ich nicht. Wenn schwarze Magie im Spiel ist, muss man mit allem rechnen und in der Lage sein, intuitiv zu reagieren.«

»So wie Sie, nehme ich an.«

»Ja, so wie ich.« Suko schüttelte den Kopf. »Verdammt, jetzt seien Sie nicht so stur. Ich will Ihnen doch bloß helfen.«

Der Schmalbrüstige richtete sich auf. Seine Augen hinter den Brillengläsern weiteten sich. »Oh, ist das etwa ein Angebot? Wollen Sie die Seiten wechseln, Inspektor?«

»Nein, ich ...«

»Für mich hat das aber so geklungen. Für dich nicht auch, Kolja?«

Der Grobschlächtige nickte. »Auf alle Fälle.«

»Ich will bloß eine Katastrophe verhindern!«

»Nun, da sind wir ja jetzt schon zu dritt. Warum helfen Sie uns nicht dabei, Inspektor? Ein wenig Kooperation, mehr verlange ich gar nicht. Also ...« Mit spitzen Fingern ergriff der Schmalbrüstige den Stab des Buddha und hielt ihn Suko vor die Augen. »Fangen wir damit an. Was ist das?«

Suko seufzte. Das würde ein verdammt langer Tag werden.

Und mit jeder Sekunde, die verstrich, wuchs in ihm die Furcht, dass ihm die Zeit davonlief und eine neue Bedrohung heranwuchs.

Eine Gefahr, die das Gesicht von Karina Grischin trug.

Dr. Ljudmila Roschenkowa verspürte an diesem Morgen ein leichtes Gefühl von Beklemmung in der Brust.

Das Geschwür in ihrem Bauch brannte wie Feuer.

Sie hätte den Kaffee nicht trinken sollen, der schlug ihr bereits unter normalen Umständen auf den Magen. Aber mit Tee konnte die Mittfünfzigerin nun einmal nichts anfangen, daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern.

Es wäre mit Sicherheit auch nicht so schlimm gewesen, hätte sie gewusst, was in den letzten drei Tagen mit ihr passiert war.

Ljudmila war eine der einhundertdreiundsiebzig Überlebenden von Innopolis, die vor zwei Tagen in dem siebenstöckigen Bürokomplex erwacht waren. Über und über mit Staub bedeckt. Erschöpft, aber gesund. Keiner der Überlebenden zeigte irgendwelche Zeichen von Mangelernährung oder Dehydrierung, allenfalls eine leichte Blässe, die auf einen besorgniserregenden Mangel an roten Blutkörperchen zurückzuführen war, für den Ljudmila Roschenkowa bis zur Stunde noch keine Erklärung gefunden hatte.

Der Verdacht, dass es etwas mit den punktförmigen Einstichen in den Ellenbeugen und Leisten der Betroffenen zu tun hatte, lag nahe, nur hatten die Einsatzkräfte angeblich nichts entdeckt, was solche Wunden verursachen, geschweige denn für einen solchen Blutverlust verantwortlich sein konnte.

Das abgezapfte Blut konnte sich ja schließlich nicht in Luft aufgelöst haben.

Die zuständigen Behörden, allen voran Oberst Mironov, waren ihr leider auch keine große Hilfe. Sie war sogar überzeugt davon, dass er ihr etwas verschwieg.

Sie hatte ihn darauf angesprochen, doch Anatol hatte bloß mit den Achseln gezuckt und sich nicht in die Karten schauen lassen.

Ljudmila kannte das Spielchen zur Genüge und hasste es aus tiefstem Herzen. Schon damals, als sie als junge Ärztin im zweiten Tschetschenien-Krieg gedient hatte.

Sie hatte mehr Auszeichnungen für besondere Dienste in Ausübung ihrer Pflicht erhalten als jede andere Ärztin, die in Tschetschenien an der Front gewesen war.

Danach war es für sie nur noch bergauf gegangen. Sie hatte sich praktisch ihre Anstellung aussuchen können. Zuerst als Assistenzärztin in Moskau, wo sie ihren späteren Mann kennengelernt hatte. Die Ehe, aus der zwei Kinder hervorgegangen waren, wurde nach fünfzehn Jahren geschieden. Lidja studierte in Moskau Medienwissenschaften, Karel dagegen war in die Fußstapfen seiner Eltern getreten und profitierte von deren gutem Ruf.

Als dann bekannt wurde, dass in der Nähe von Kasan eine neue Stadt entstehen sollte, nebst einer eigenen Poliklinik, hatten sie sich gemeinsam beworben und waren vom Fleck weg genommen worden. Ljudmila hatte sofort zugesagt, immerhin hatte man ihr den Posten der Chefärztin angeboten.

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.

Für Fjodor war es undenkbar gewesen, unter seiner Frau zu arbeiten. Deshalb hatte er auch von ihr verlangt, das Angebot auszuschlagen und ihre Kündigung einzureichen.

Das Einzige, was Ljudmila eingereicht hatte, war ihre Scheidung.

Und jetzt war sie die Chefin der Poliklinik von Innopolis, während Fjodor weiterhin Oberarzt in einem unbedeutenden Hospital in der Oblast Moskau war, mit halb so üppigem Gehalt und mehr unbezahlten Überstunden.

Ljudmila dagegen lebte ihren Traum, ein Krankenhaus von Grund auf neu aufzubauen.

Mit anfangs einhundertfünfundfünfzig Bewohnern, eine überschaubare Arbeit. Zwar hatten sie auch Patienten aus Kasan aufgenommen, aber auch das hatte das Klinikum nicht an die Grenzen seiner Kapazitäten gebracht.

Bis zu dem Tag, an dem die sieben Astronauten eingeliefert worden waren.

Das Letzte, an das sich Ljudmila erinnerte, war, dass sie diese Italienerin, Francesca Marchetti, untersucht hatte. Ab diesem Zeitpunkt wusste sie nichts mehr. Sie hätte nicht mal sagen können, ob ihr an der Astronautin etwas aufgefallen war. Es gab auch keinerlei Aufzeichnungen oder Unterlagen.

Entweder war sie nicht dazu gekommen, welche anzufertigen, oder sie waren später vernichtet worden. Beides hielt Ljudmila für möglich.

Was die Ärztin jedoch am meisten verstörte, war, dass insgesamt einhundertzweiundsechzig Menschen als vermisst galten, inklusive zehn Speznas-Soldaten aus Moskau, ohne die geringste Spur von ihnen.

Es gab nur eine einzige Leiche, eine Frau namens Karina Grischin, gebürtige Ukrainerin, die jahrelang für den russischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Zumindest bis zum Ausbruch des Krieges, der in Ljudmilas Augen ein einziges Desaster war. Eine Meinung, mit der sie nicht allein war und die sie dennoch für sich behielt.

Es brauchten nur die falschen Leute zuzuhören, dann war sie ihren Posten los. Vielleicht sogar ihre Freiheit. Seit Ausbruch des Krieges hatten die Wände wieder Ohren, wie damals zu Sowjet-Zeiten.