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Suko stand vor dem Tisch im Verhörraum, an den Fiona Garrett mit Handschellen gekettet war. Fiona, die sich als eine der Vollstreckerinnen der Dämonin Lilith entpuppt hatte. "Warum hat Lilith John Sinclair entführt?", wollte er wissen. "Sie braucht ihn." "Und wofür?" "Lilith will Luzifer vernichten!" Fassungslos starrte er Fiona an. "Luzifer ist das Urböse. Der, der über allem steht. Man kann ihn nicht vernichten. Wie sollte das möglich sein? Das würde bedeuten, das Böse selbst zu vernichten." "Ich dachte, genau das wäre Ihr sehnlichster Wunsch?"
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Lilith gegen Luzifer
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
(Teil 1 von 3)
von Ian Rolf Hill
Beim ersten Klang des Hufschlags dachte noch niemand an den Tod. Obwohl es keine Pferde in Caversheen gab und auch nicht geben durfte. Der Ort trug schließlich nicht umsonst den Beinamen ›Dorf der Verdammten‹. Hier hausten die Ausgestoßenen, die Gejagten, die Ungeduldeten.
Und es waren allesamt Frauen.
Allerdings keine gewöhnlichen, denn sie verfügten über ein Wissen, das mit Fähigkeiten einherging, die weit über das menschliche Maß hinausgingen.
Viele der Bewohnerinnen von Caversheen beherrschten Zauberei und Magie, denn es handelte sich ausnahmslos um Hexen.
Doch das sollte ihnen nichts nützen.
Der Tod war nach Caversheen gekommen. Er ritt auf einem nachtschwarzen Rappen mit glühenden Augen. Und auf der Brust leuchtete in glutroter Farbe ein Symbol, ein Buchstabe.
Es war ein B.
Die Frauen von Caversheen traten aus ihren Häusern, die aussahen, als stammten sie aus dem späten Mittelalter. Grob behauene Steine, windschiefe Fachwerkbauten, mit Stroh gedeckte Dächer, die sich eng aneinanderschmiegten. In der Mitte des Dorfes stand ein Brunnen, von dem aus vier mit Kopfsteinen gepflasterte Straßen in einen dichten Mischwald führten.
Der Himmel war düster. Dunkle Wolken, die wie rußige Schleier am Firmament hingen, verdeckten die Sonne. Seit ihrer Ankunft in Caversheen hatte Giselle Norton sie noch nie zu Gesicht bekommen.
Einige Bewohnerinnen behaupteten sogar, es gäbe keine, weil sich das Dorf der Verdammten nicht auf der Erde befand, sondern in einer anderen Welt, einer fremden Dimension.
Das Mädchen Lulu war davon überzeugt, dass es die Hölle war. Giselle hielt das für ausgemachten Schwachsinn. Andere Dimensionen, die Hölle ...
Und doch ...
Sie wusste bis heute nicht, wie sie eigentlich hierhergekommen war.
Giselle hatte es nie leicht gehabt im Leben. Als Tochter eines trunksüchtigen Vaters, für den Frauen nicht mehr waren als bessere Sklavinnen, hatte sie nichts zu lachen gehabt.
Ihre Mutter war bei Giselles Geburt gestorben. Und statt eines strammen Jungen hatte sie Dad nur dieses schwächliche Mädchen hinterlassen.
Eines Tages hatte sie sich in einen charmanten jungen Mann verliebt, ohne zu erkennen, dass er im Grunde genommen genauso verdorben war wie ihr Dad. Erst hinterher hatte Giselle erfahren, dass Bruce verheiratet war und sie bloß eine von mehreren Affären.
Da war sie bereits schwanger gewesen.
Als sie Bruce dies gestand – im Geiste hatte sie schon die Hochzeitsglocken läuten gehört –, hatte er sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Reumütig war Giselle zu ihrem Vater zurückgekehrt, der sie so derbe zusammengedroschen hatte, dass sie das Kind verlor.
Trotzdem war sie bei ihm geblieben, denn so gehörte sich das schließlich.
Irgendwann – Dad war nicht mal sechzig Jahre alt – hatte der Alkohol seine Nerven so sehr zerstört, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Was ihn allerdings nicht daran gehindert hatte, seine Tochter weiterhin zu tyrannisieren. Bis es Giselle zu viel geworden war. Im Schlaf hatte sie den Mann, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte, mit einem Kissen erstickt.
Zuerst war sie erschrocken gewesen, dann erleichtert und schließlich zu Tode betrübt.
Immer öfter stellte sie sich die Frage, wie ihr Leben ausgesehen hätte, hätte sie früher den Mut gefunden, sich von ihrem Vater zu lösen.
Jetzt war sie Mitte dreißig, sah aber mindestens zehn Jahre älter aus.
Auf der Suche nach einem neuen Sinn in ihrem Leben war sie nach Burley gegangen, einem Dorf im Süden Englands, das auch ›Dorf der Hexen‹ genannt wurde.
Immer noch dachten viele Menschen bei dem Wort Hexe an hässliche alte Frauen, die dem Teufel dienten und sich ihm hingaben. Oder an verführerische Femme Fatales, männermordende Vamps, die zügellose Orgien feierten.
Doch davon waren die Hexen von Burley so weit entfernt wie der Mond von der Sonne.
Die Frauen des kleinen Ortes huldigten der Großen Mutter. Sie strebten nach vollkommener Verbundenheit mit der Natur, um ihre spirituellen Kräfte neu zu entdecken. Giselle blühte in Burley jedenfalls regelrecht auf.
Eines Nachts – es war Vollmond gewesen – hatte sie an einem Reinigungsritual teilgenommen, das von einer ebenso geheimnisvollen wie faszinierenden Person geleitet worden war.
Assunga, die Schattenhexe.
Eine Frau, die angeblich übernatürliche Kräfte hatte.
Sie hatte den Frauen einen Trunk gegeben, der ihren Geist öffnen sollte. Giselle erinnerte sich kaum noch an das, was in jener Nacht vor sich gegangen war. Doch das Gefühl fremder Gedanken, die sich in ihren Verstand vortasteten, würde sie niemals vergessen. Ebenso wenig wie Assungas nackten Körper, der so dicht vor ihr gewesen war. Und über ihr.
Dann hatte Assunga ihren Mantel geschlossen, das einzige Kleidungsstück, das sie getragen hatte. Einen bodenlangen Umhang mit gelbem Innenfutter und einer Brosche, die eine dämonische Fratze zeigte.
Um Giselle Norton war es dunkel geworden. Erwacht war sie erst wieder hier in Caversheen, wo es anscheinend nie richtig Tag wurde und es auch keinen elektrischen Strom gab.
Daher hatte Giselle auch nicht die geringste Ahnung, wie lange sie schon in dem Dorf der Verdammten weilte.
Assunga, die Schattenhexe, hatte sie nie wiedergesehen. Dafür hatte sie Lulu kennengelernt, ein junges Mädchen, höchstens zwanzig Jahre alt. Ihr Haar war pechschwarz gefärbt, die Haut bleich wie der Tod, Lippen und Lider schwarz geschminkt. Piercings glänzten an Braue, Unterlippe und Nase.
Lulu machte die meiste Zeit über einen abwesenden, leicht verklärten Eindruck, so als stünde sie unter Drogen.
Und vielleicht war das auch so, und man hatte Giselle ebenfalls unter Drogen gesetzt und hierher, in dieses Museumsdorf, gebracht.
Nicht eine Sekunde lang glaubte sie jedenfalls an die Mär von der Hölle oder der anderen Dimension. Wahrscheinlich lag Caversheen irgendwo in der Nähe von Burley.
Immerhin gab es den Wald mit all seinen Bäumen, Sträuchern, Kräutern und Gräsern. Und wo es Pflanzen gab, musste es auch eine Sonne geben, deren Licht sie zum Überleben brauchten.
Nur warum war sie dann nie zu sehen?
Einmal hatte Giselle versucht, Caversheen zu verlassen. Sie wollte nicht undankbar sein, aber sie war schließlich keine Gefangene.
Und so hatte sie sich auf den Weg gemacht und war die Straße entlanggegangen, meilenweit durch den düsteren Wald, bis ein anderes Dorf in Sicht gekommen war.
Die Häuser waren ebenso windschief wie die von Caversheen gewesen. Und ebenso wie beim Dorf der Verdammten hatten auch sie sich um einen Brunnen gruppiert.
Obwohl ihre Füße vom langen Wandern geschmerzt hatten, war Giselle schneller gegangen, bis sie vor Enttäuschung beinahe zusammengebrochen war.
Das Dorf hatte Caversheen nicht bloß zum Verwechseln ähnlich gesehen. Spätestens als Lulu sie begrüßt hatte, war Giselle klar geworden, dass sie im Kreis gelaufen war.
Eigentlich unmöglich.
Kein Wunder, dass sich Lulu ständig mit irgendetwas zudröhnte.
Giselle hatte versucht, mit einer der anderen Frauen darüber zu sprechen, doch sie alle hatten ihr zu verstehen gegeben, dass sie warten müsse.
Warten worauf?, hatte sie gefragt.
Auf die Weihe, hatten die anderen erwidert.
Nun, darauf würde Giselle Norton wohl noch eine ganze Weile länger warten müssen.
Die Sechsunddreißigjährige hatte sich nie für etwas Besonderes gehalten. Sie hatte keine Visionen von der Zukunft gehabt, und es gab auch keine Anzeichen dafür, dass sie das zweite Gesicht hatte.
Dennoch befiel sie beim Anblick des düsteren Reiters mit dem leuchtenden B auf der Brust ein ungutes Gefühl. Und Lulu erging es nicht anders.
Giselle zuckte zusammen, als das Mädchen nach ihrer Hand griff.
Obwohl sich Lulus Finger kühl und feucht anfühlten, tat ihr die Berührung gut, denn sie erinnerte Giselle daran, dass sie nicht allein war.
Nur würde ihr das etwas nützen?
»Wir werden alle sterben!«, hauchte Lulu, ohne den Blick von dem geheimnisvollen Reiter abzuwenden, der ins Dorf ritt.
Giselle schluckte, ihr Herz überschlug sich beinahe, so schnell hämmerte und klopfte es. Sie ahnte, dass Lulu recht hatte.
Denn noch bevor der Reiter sie passierte, erhaschte Giselle einen Blick auf das Gesicht unter dem offenen Helm. Es war schwarz und glänzte, als wäre es mit Pech bestrichen.
Augen waren keine auszumachen. Dort, wo sie hätten sein müssen, gähnten nämlich die leeren Höhlen eines beinernen Totenschädels.
Giselle glaubte, ihr Herz müsse stehen bleiben.
Ihre Finger krampften sich um Lulus Hand, als wollten sie sie zerbrechen. Das Mädchen schnappte vor Schmerzen nach Luft, doch sonst drang kein Laut über ihre schwarz geschminkten Lippen. Wie gebannt starrte sie auf den knöchernen Reiter, der mit seinem Rappen vorüberritt, ohne die Frauen eines Blickes zu würdigen.
Aber das wäre wohl ohnehin nicht möglich gewesen, schließlich hatte der Reiter keine Augen. Ob sein Körper auch aus Knochen bestand?
»Er ist es!«, wisperte Abigail hinter ihnen.
Die ältere Frau – sie mochte um die siebzig Jahre alt sein, vielleicht auch älter – wohnte mit ihrer Schwester Erica in demselben Haus, in dem auch Giselle und Lulu untergebracht waren. Doch sie war sehr wortkarg und ignorierte ihre Mitbewohnerinnen die meiste Zeit über.
»Wer?«, entfuhr es Giselle. Es gelang ihr sogar, den Kopf zu wenden, um Abigail anzuschauen, die schreckensbleich in der Tür stand und sich an ihre Schwester klammerte.
Ein stechender Blick traf Giselle. »Der Bote des Götzen Baal!«
»Baal? Wer ... wer ist das?«
Die Alte lachte krächzend. Es hörte sich deplatziert an, da es außer dem monotonen Schlagen der Hufe das einzige Geräusch war, das die bleierne Stille durchbrach. »Du kennst nicht den Götzen Baal? Den goldenen Stier, um dessen Kalb die Israeliten tanzten, als Mose auf den Berg Sinai stieg, um die Gebote Gottes zu empfangen? Baal, den Mächtigen? Bael Fagor, den Herrscher der Hölle und des Ostens? Oh, du Ahnungslose! Baal ist einer der vier Erzdämonen, zu denen auch Astaroth, Eurynome und Amducias gehören.«
Die Augen der Alten verengten sich zu Schlitzen.
»AEBA!«, zischte sie. »Ihnen dienen die gefürchteten Horror-Reiter, die Reiter der Apokalypse.«
Giselle konnte es nicht glauben. Sie warf einen Blick zurück zu dem Reiter, der steif wie eine Puppe auf dem Rücken seines Gauls saß und sich nicht rührte. An seiner Hüfte baumelte ein Schwert mit breiter Klinge, fast so lang, wie Giselle hoch war.
»Dieses Gerippe soll einer der vier apokalyptischen Reiter sein? Das ist doch bloß eine Attrappe. Eine Puppe, die jemand auf ein Pferd gesetzt hat.«
»Eine Puppe?«, höhnte Abigail und kicherte. »Eine Puppe? Törichtes Ding. Spürst du nicht das Böse, das der Reiter mit sich bringt?«
Und wie Giselle es spürte. Es trieb ihr den Schweiß aus den Poren. Das Atmen fiel ihr schwer, sie glaubte, ersticken zu müssen. Doch sie wollte es nicht wahrhaben.
Dämonen, Götzen, die Hölle ... Das waren doch alles bloß Hirngespinste.
Wie um ihre Worte Lügen zu strafen, warf das Pferd den Kopf in den Nacken und stampfte mit einem der Vorderhufe auf. Die Augen loderten, als wären es glühende Kohlen.
Feuer stob aus den Nüstern.
Mehrere Frauen, die wie Giselle, Lulu und die älteren Schwestern ihre Häuser verlassen hatten, wichen furchtsam vor dem Reiter und seinem mächtigen Gaul zurück.
Nur eine blieb stehen.
Es war Eleonore, die Vorsteherin des Dorfes, die Giselle nach ihrer Ankunft in Caversheen begrüßt hatte. Sie stand mitten auf der Straße und streckte die Arme aus.
Eleonore war eine hochgewachsene, hagere Frau mit kurzem rotblondem Haar, das dicht an ihrem Kopf lag. Ihre Augen waren dunkel, fast schwarz. Die bleiche, fast durchscheinend wirkende Haut spannte sich über hohen Wangenknochen.
Sie trug eine halb lange, taillierte Lederjacke, die offen stand und den Blick auf ein eng geschnürtes Mieder freigab. Darunter leuchtete der weiße Stoff eines Leinenhemdes.
Mit der braunen Hose und den kniehohen Stiefeln erinnerte sie Giselle stets an die Darstellerin eines Historienschinkens, in dem sich die weibliche Heldin als Mann auszugeben versucht.
Eleonore wirkte tatsächlich sehr androgyn, was vor allem ihrem schlanken Körper geschuldet war. Die ohnehin sehr kleinen Brüste waren unter dem eng geschnürten Mieder nurmehr zu erahnen.
Das Alter der Hexe war schwer zu schätzen. Sie konnte Ende zwanzig sein, aber genauso gut auch Anfang vierzig. Man munkelte, dass Eleonore früher als Prostituierte und Domina gearbeitet hatte.
»Halt!«
Eleonores Stimme riss Giselle aus ihren Gedanken. Unwillkürlich spannte sie ihre Muskeln, der Griff um Lulus Hand wurde noch fester. Die junge Frau stöhnte vor Schmerzen, traf aber keine Anstalten, sich ihr zu entziehen.
Giselle hielt den Atem an.
Für einen Moment fürchtete sie, der Rappen würde weitergehen, doch dann stoppte er, nur eine Armlänge vor der Hexe.
»Wie kannst du es wagen, hierherzukommen? Deinesgleichen ist hier nicht erwünscht!«
Sekundenlang geschah nichts. Pferd und Reiter schienen gleichermaßen erstarrt zu sein. Der Eindruck, es mit einer Puppe zu tun zu haben, verstärkte sich bei Giselle.
Aus den Augenwinkeln nahm sie Bewegungen wahr. In den Fenstern schräg hinter dem unheimlichen Reiter rührte sich etwas. Lautlos öffneten sich die Läden.
Armbrüste kamen zum Vorschein. Dahinter malten sich schemenhaft die Gestalten der Frauen ab, die die Waffen hielten und auf den Reiter zielten.
»Sprich, Dämon!«, forderte Eleonore den Knöchernen auf, ohne den Blick auch nur für eine Sekunde abzuwenden. Sie schien nicht mal zu blinzeln.
Plötzlich ging ein Ruck durch die Gestalt des Reiters.
Fast hätte Giselle aufgeschrien. Von wegen Puppe, dieses Ungeheuer lebte. Der Schädel hob sich, dann dröhnte die Stimme aus dem knöchernen Maul.
»Wo ist er?«
»Von wem sprichst du?«
»Halte mich nicht zum Narren, Hexe!«, schrie der Unheimliche. »Du weißt genau, wen ich meine. Den Engelstöter!«
Engelstöter?
Wer oder was sollte das sein?
Vielleicht wussten Abigail und Erica etwas mit dem Begriff anzufangen, doch Giselle traute sich nicht, sich umzudrehen und zu fragen, denn die Geschehnisse vor ihr zogen sie in ihren Bann.
Es fing mit einem Lachen an. Eleonore hatte es ausgestoßen.
»Der Engelstöter? Wie kommst du darauf, er wäre hier?«
»Eine aus eurer Mitte hat es uns verraten.«
»Das ist eine Lüge!«, zischte Eleonore. »Du wurdest getäuscht!«
»Das denke ich nicht«, entgegnete der Dämon mit gefährlich leiser Stimme. »Ich gewähre euch noch eine letzte Chance. Übergebt mir den Engelstöter, und ich verschone eure jämmerlichen Leben!«
Giselle wurde schwindelig. Wie würde Eleonore reagieren?
Noch tat sie nichts, starrte den knöchernen Reiter nur unverwandt an. Dann nickte sie. Doch was wie ein stummes Eingeständnis wirkte, war in Wahrheit das Signal für die Armbrust-Schützinnen.
Plötzlich fegten von mehreren Seiten die Bolzen auf den unheimlichen Reiter und seinen dämonischen Rappen zu. Nicht nur aus den Fenstern, die Giselle im Auge hatte, sondern auch aus Dachluken und Türnischen, die sich ihrem Blickfeld entzogen.
Noch in der Luft flammten die Bolzen auf und – verglühten!
Der Dämon lachte. Und ging zum Gegenangriff über.
Die behandschuhten Finger schlossen sich um den Griff des Schwertes, dessen schwarzer Stahl einen goldenen Glanz erhielt.
Im selben Atemzug schossen Flammen aus den Nüstern des Pferdes und hüllten Eleonore ein.
»Wein oder Whiskey, John?«
»Weder noch«, erwiderte ich und warf meiner ebenso charmanten wie reizvollen Begleiterin einen Blick zu. »Ich denke, ich bleibe zunächst beim Wasser.«
Glenda lächelte mich an. »Meinetwegen brauchst du dich nicht zurückzuhalten.«
Wie zur Unterstreichung ihrer Worte führte sie das Weißweinglas an die Lippen und trank einen kleinen Schluck.
»Da hast du es gehört, John«, sagte mein ältester Freund Bill Conolly. »Also, Wein oder Whiskey? Und wenn du mir jetzt mit Gänsewein kommst, zieh ich dir die Flasche über die Rübe.«
»Bill!«, tadelte ihn seine Frau Sheila.
Die Frau mit dem weizenblonden Haar betrat soeben das Esszimmer, in den Händen eine Platte mit Braten, bei dessen bloßem Anblick mir das Wasser im Mund zusammenlief.
»Was denn?«, echauffierte sich Bill. »Erst lässt er sich wochen-, ja, monatelang nicht blicken, und dann macht er einen auf Abstinenzler. Als ob er heute noch irgendwohin müsste.«
»Wein oder Whiskey?«, fragte ich unschuldig.
»Hä?«, machte der Reporter. »Das frag ich dich?«
Ich grinste. »Nein, ich meine, welche der beiden Flaschen willst du mir über die Rübe ziehen?«
»Am liebsten beide«, knurrte Bill. »Aber dazu ist der Whiskey zu schade. Obwohl die Flasche dicker ist und wahrscheinlich mehr aushält.«
»Na gut, bevor ich mich schlagen lasse«, sagte ich lächelnd. »Dann nehme ich beides. Erst den Wein, dann den Whiskey.«
»Das ist mein Junge«, meinte Bill, stellte die Whiskeyflasche zurück auf den Servierwagen und kredenzte mir einen Riesling, der so trocken war, dass meine Zunge fast Staub ansetzte.
Währenddessen machte sich Sheila am Braten zu schaffen und befüllte die Teller.
Ja, Freunde, endlich verbrachte ich mal wieder einen unbeschwerten Abend bei den Conollys in ihrem wunderschönen Bungalow im Süden von London.
Bill hatte recht, es war wirklich schon einige Wochen, wenn nicht Monate her, dass wir derart zwanglos beisammengesessen hatten.
Es war einfach zu viel passiert.
Ich hatte erfahren, dass ich einen Hauch von Aibon in mir trug, wobei es sich jedoch um die Seele des unsterblichen Vampirs Iovan Raduc gehandelt hatte.
In Kill Devil Hills waren wir erneut auf Xorron gestoßen. Dabei wäre es fast zum Zerwürfnis mit meinem besten Freund und Kollegen Suko gekommen.
Im letzten Moment war es mir gelungen, die Engel der Unzucht und Hurerei anzurufen, die ihre Zeichen unsichtbar auf der Rückseite meines Kreuzes hinterlassen hatten.
Statt Xorron jedoch wie erhofft zu vernichten, hatte sich Naema gegen ihre Schwestern gestellt und war mit dem Herrn der Zombies und Ghouls verschwunden. Wohin, hatten wir nur wenige Tage später erfahren, als Xorron das Reich der Totengöttin Hel angegriffen hatte.
Wie sich herausstellte, war dies Bestandteil von Naemas Plan gewesen, das Joch der Engel der Unzucht und Hurerei abzustreifen und wieder ein Mensch zu werden. An ihre Stelle war ausgerechnet Denise Curtis gerückt.
Und während Xorron in Hels Höllenwelt zurückgeblieben war, wo er vor unseren Augen in einem teerartigen Sumpf versunken war, war Naema von unserer ehemaligen Kollegin Fiona Garrett getötet worden, die sich als Dienerin der Großen Mutter Lilith entpuppt hatte.