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Chris Ainsworth war tot! Offenbar ermordet von Asmodis, dem ehemaligen Herrn der Finsternis! Doch ein letztes Mal wollte Jane Collins mit ihrem Freund sprechen - darum begab sie sich zu der Geisterbeschwörerin Madame Altari. Der gelang es tatsächlich, Kontakt zu dem Geist von Chris Ainsworth herzustellen, und sie fragte ihn: "Chris ... Chris Ainsworth, wo bist du?" Jane gefror das Blut in den Adern, als sie Chris‘ Antwort hörte. "In ... in der ... Hölle!" Und genau dort sollte auch Jane Collins landen!
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Janes Höllentrip
Grüße aus der Gruft
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
von Ian Rolf Hill
»Kommen Sie nur herein, Miss Collins! Ich habe Sie bereits erwartet.«
Die Privatdetektivin lächelte verkrampft, putzte sich die Schuhe auf dem Abtreter vor der Tür ab und übertrat die Schwelle.
Sie hatte schon zu viel Absonderliches in ihrem ereignisreichen Leben gehört, gesehen und am eigenen Leib erlebt. Dass die Frau behauptete, sie hätte Jane erwartet, obwohl die sich gar nicht angekündigt hatte, brachte sie daher nicht aus der Fassung.
Stattdessen machte sie die Probe aufs Exempel, indem sie fragte: »Sie wissen, was passiert ist?«
Die alte Frau mit dem weißen Haar, das am Hinterkopf zu einem Knoten hochgesteckt war, nickte betrübt. »Ja, das weiß ich. Und Ihr Verlust, Miss Collins, tut mir aufrichtig leid. Ich hoffe sehr, dass ich Ihnen behilflich sein kann.«
»Das hoffe ich auch, Madame Altari. Chris hätte niemals auf solch grausame Weise sterben dürfen. Ich muss sicher sein, dass es ihm dort, wo er jetzt ist, gut geht.«
»Gewiss.«
Das war alles, was Madame Altari zunächst sagte. Sie schloss die Tür hinter Jane und sperrte dadurch nicht nur den Verkehrslärm aus, sondern auch die feuchte Kälte.
Der Herbst hatte in London Einzug gehalten und brachte nicht nur Regen mit, sondern auch Wind, der kühl vom Atlantik über die Insel fegte.
Madame Altari ließ ihrer Besucherin Zeit, sich umzusehen und die Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Jane war nicht zum ersten Mal bei Madame Altari, der Wahrsagerin, die zugleich ein Medium zwischen dem Diesseits und dem Jenseits war und das zweite Gesicht besaß.
Sie war in der Lage, einen Blick hinter den Schleier der Realität in andere Sphären zu werfen.
Aus diesem Grund hatte sich die ehemalige Hexe auch zu diesem Besuch entschlossen.
Soweit sie sich erinnern konnte, hatte sich hier nicht viel verändert. Noch immer hingen die vergilbten Familienfotos an den Wänden, stand der Madonnen-Altar in der Wandnische und die Rosen unter dem Marienbild.
»Wollen Sie mir Ihre Jacke geben?«
Jane nickte, streifte die Winterjacke ab und reichte sie Madame Altari, die sie in die Garderobe hinter einer schmalen Tür hängte.
»Um ehrlich zu sein, habe ich schon früher mit Ihrem Besuch gerechnet«, gestand Madame Altari. Auch nach all den Jahren, die sie schon in Großbritannien lebte, war der italienische Akzent unüberhörbar. »Sehr viel früher!«
Sie schob sich an Jane vorbei und blieb vor der Tür stehen, hinter der ihr Allerheiligstes lag: der Raum, in dem sie ihre Séancen abhielt.
Jane spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. Sie fühlte sich ertappt und auch ein wenig beschämt. »Nach unserer ersten Begegnung ist eine Menge passiert.«
Die Wahrsagerin nickte kummervoll. »Auch das ist mir bekannt. Aber ich spreche nicht von Ihrer Zeit, als Sie von einem Dybbuk besessen waren, der Sie zu einer Hexe machte.«
»Sie sind gut informiert«, murmelte Jane, nun doch ein wenig überrascht darüber, wie gut.
Madame Altari lächelte schmallippig. Sie trug ein knöchellanges dunkelblaues Gewand, das mit goldenen Stickereien verziert war. »Das ist keine Zauberei. Wir haben schließlich eine gemeinsame Bekannte.«
»Ach ja?«
»Sarah ist sehr stolz auf Sie!«
Jane Collins hatte das Gefühl, als würden ihr kalte Finger über den Rücken streichen.
Madame Altari sprach von Lady Sarah Goldwyn, der Horror-Oma, in deren Villa in Mayfair Jane noch heute wohnte. Nach Sarahs Tod hatte sie das Haus mitsamt des Vermögens geerbt.
Jane wusste, dass sich Sarah und Madame Altari gekannt hatten, was ja auch keineswegs verwunderlich war, immerhin hatte die Horror-Oma ihren Spitznamen nicht umsonst gehabt.
Sie hatte sich für alles interessiert, was auch nur im Entferntesten mit dem Übernatürlichen zu tun gehabt hatte. Noch heute zählte ihr Archiv auf dem Dachboden zu den größten Privatsammlungen des Landes, wenn nicht der gesamten Welt, zu diesem Thema.
Tatsächlich hatten sich Jane und Lady Sarah zu Lebzeiten häufiger über Madame Altari unterhalten. Die Horror-Oma hatte ihr immer wieder damit in den Ohren gelegen, sie sollten Madame Altari doch einmal gemeinsam besuchen, doch irgendetwas war immer dazwischengekommen.
Und nachdem Lady Sarah gestorben war, hatte Jane Madame Altari schlicht und ergreifend vergessen. Zumal auch die Presse nicht mehr über sie berichtete.
Das war früher anders gewesen. Da hatten zumindest die Reporter der Klatschpresse an ihrer Tür Schlange gestanden, vor allem während der sogenannten Saure-Gurken-Zeit, in der angeblich nichts Aufsehenerregendes geschah, sodass sich die Journaille mit den etwas obskureren Themen über Wasser halten musste.
Nun, eine Saure-Gurken-Zeit gab es in diesem Sinne nicht mehr. Es krachte und knallte an allen Ecken und Enden der Welt, rund um die Uhr.
Und das nicht erst seit Luzifers Vernichtung ...
Wahrscheinlich hätte Jane auch jetzt nicht an Madame Altari gedacht, wenn John Sinclair sie nicht kürzlich erst erwähnt hätte. Nach dem Fall mit Grabschläfer, der den Geisterjäger und die Detektivin in die Bretagne geführt hatte.*
Dort hatten sie es mit einem jungen Mann zu tun bekommen, der angeblich Kontakt mit den Geistern Verstorbener aufnehmen konnte, indem er auf ihren Gräbern schlief.
Ob das wirklich so gewesen war, hatten sie nicht abschließend klären können, denn Jules Baptiste hatte kurz darauf Selbstmord begangen und dadurch Janes Hoffnungen, noch einmal mit der Seele ihres getöteten Freundes Chris Ainsworth Kontakt aufnehmen zu können, zunichtegemacht.
John hatte Madame Altari erwähnt. Und da stand Jane jetzt, hin- und hergerissen zwischen Furcht und Hoffnung.
»Auch wenn Sarah nicht besonders glücklich über Ihre Untermieterin war«, fuhr Madame Altari fort.
Jane schüttelte den Kopf. »Wie bitte? Verzeihen Sie, ich war mit den Gedanken gerade woanders.«
»Das habe ich gesehen.« Die alte Frau schmunzelte. »Ich sagte gerade, dass Sarah nicht glücklich über Ihre Untermieterin war.«
»Sie sprechen von Justine Cavallo!«
Das Thema war ihr unangenehm. Die blonde Bestie, wie die Vampirin von John auch gerne genannt wurde, hatte sich nach Lady Sarahs Tod bei Jane eingenistet, anders konnte man es nicht bezeichnen.
Sicher, Justine hatte ihr mehrfach das Leben gerettet, doch sie war nun einmal auch eine unberechenbare Vampirin. Wie unberechenbar hatte sie kürzlich erst wieder unter Beweis gestellt, als sie sich an Denise Curtis herangemacht hatte, Lykaons Tochter, die nach der finalen Schlacht gegen Asmodis und Lilith in Deutschland zu einem gewöhnlichen Menschen geworden war.
Nicht nur John Sinclair und die Conollys, bei denen Denise untergekommen war, hatten gehofft, der ehemaligen Halbdämonin dabei helfen zu können, einen Platz in dieser Welt zu finden, auch Jane Collins, die in der jungen Frau ein Stück von sich selbst gesehen hatte. Doch dann war irgendwie alles aus dem Ruder gelaufen.
Denise hatte sich freiwillig dazu entschlossen, bei Justine Cavallo zu bleiben.
Anscheinend hatte diese den Platz der vernichteten Schattenhexe Assunga eingenommen und sich in den Dienst der Großen Mutter gestellt. Justine hatte nicht nur den Zaubermantel geerbt, sondern auch die Hexenwelt.
Und das war noch nicht alles, denn Lilith hatte ihr auch die Fähigkeit der Metamorphose verliehen. Durch das Blut der ehemaligen Engel der Unzucht und Hurerei konnte sich Justine verwandeln. Zwar nicht in eine Fledermaus, dafür aber in eine riesige Eule, das Symboltier der Großen Mutter, und sogar in einen Schwarm Krähen.
Nachdem sie schließlich nach London zurückgekehrt war, um sich hier nicht nur an Corvin Hades zu rächen, den sie selbst zum Vampir gemacht hatte, sondern auch dessen Ex-Freundin, das Model Joycelyn May, grausam ermordet hatte, war klar, dass Justine und das Sinclair-Team zukünftig erbitterte Feinde sein würden.*
Und dann war da ja noch die bange Frage, was aus Denise geworden war.
Jane schüttelte den Kopf und löste sich auf diese Weise aus ihren Grübeleien. Sie war nicht wegen Justine und Denise hier, sondern allein wegen Chris.
Allerdings blieb sie gedanklich an Lady Sarah Goldwyn hängen. Die Horror-Oma hatte Madame Altari gar nichts von Justine Cavallo erzählen können, schließlich war die blonde Bestie erst nach Sarahs Tod bei Jane eingezogen.
Das konnte doch nur eines bedeuten: dass Madame Altari mit Lady Sarahs Geist in Kontakt gestanden hat!
Plötzlich spürte Jane Beklemmungen in der Brust. Das Atmen fiel ihr schwer, das schlechte Gewissen plagte sie.
Und mit einem Mal begriff sie, was Madame Altari mit ihrer Bemerkung gemeint hatte, dass sie Jane schon viel früher erwartet hatte. Nämlich nach Sarahs Tod!
»Aber Sarah hat sich sehr darüber gefreut, dass Sie jemanden kennengelernt haben, der Ihnen wichtig war«, fuhr die Wahrsagerin fort. »Der Ihnen half, wieder Freude ...« Sie brach ab. »Bitte verzeihen Sie einer törichten alten Frau. Ich wollte nicht unsensibel sein.«
»Nein, nein, schon gut!« Jane schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. »Deshalb bin ich ja hier!«
»Ja, ich weiß. Trotzdem muss ich Sie warnen, Miss Collins.«
»Sagen Sie ruhig Jane.«
»Gerne, Jane. Ich sage dir das, was ich allen Menschen sage, die zu mir kommen und mich um Beistand bitten. Es gibt keine Erfolgsgarantie, das einmal vorweggenommen. Sollte es gelingen, Kontakt mit der Seele eines Verstorbenen aufzunehmen, solltest du dir im Klaren darüber sein, dass sich diese Seele anders verhalten kann, als dies zu Lebzeiten der Fall war, als sie noch an eine sterbliche Hülle gebunden war, mit all ihren Bedürfnissen und Einschränkungen.«
»Auch das ist mir bewusst. Ich bin kein heuriger Hase, Madame Altari.«
»Ich will auch nur sicherstellen, dass der Kontakt mit Verstorbenen eine sehr aufwühlende Angelegenheit ist. Zumal Chris Ainsworth keines natürlichen Todes gestorben ist.«
»Er wurde ermordet, Madame Altari«, entgegnete Jane mit kühler Stimme. »Und zwar nicht von einem Menschen.«
»Ja, auch das weiß ich.« Madame Altari senkte die Stimme. »Es war der Teufel, nicht wahr?«
»So ist es.«
Die alte Frau nickte. Ihr schmales, von Falten durchzogenes Gesicht verdüsterte sich. Noch immer lag ihre Hand auf der Türklinke. »Das verkompliziert die Angelegenheit. Aber da wir darüber Bescheid wissen, können wir uns darauf einstellen. Du kennst den Teufel und weißt also, worauf du dich einlässt.«
»Ja, ich kenne ihn.«
»Möchtest du vorher noch etwas trinken?«
»Nein, danke. Ich würde es begrüßen, wenn wir mit der Séance beginnen könnten. Je schneller, desto besser.«
Madame Altari neigte das Haupt. »Wie du wünscht.« Sie öffnete die Tür. »Tritt ein, Jane Collins. Rufen wir Christopher Ainsworth, und hoffen wir, dass er uns erhört.«
»Was soll der Unsinn? Wohin, zum Teufel, haben Sie mich hier gebracht? Können Sie vielleicht mal Licht machen? Hier ist es ja stockfinster!«
Raoul Adjani tastete sich blind nach vorn, tiefer hinein in die Dunkelheit, die ihn umgab. Nicht der geringste Lichtstrahl durchdrang die Schwärze.
Das Herz schlug dem Fünfundfünfzigjährigen bis zum Hals, und trotz der Kühle schwitzte er. Er hätte es niemals zugegeben, doch er war nervös, um nicht zu sagen ängstlich. Und wie alle Männer, die nie gelernt hatten, mit ihren Gefühlen umzugehen, reagierte er aggressiv, ganz nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.
Auch wenn es schwierig war, etwas anzugreifen, das man nicht sehen konnte.
»Adjani«, erklang eine Stimme vor ihm in der Dunkelheit. »Ist das Ihr echter Name?«
Raoul verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung die Stimme gekommen war. »Natürlich ist das mein richtiger Name! Was soll die Frage? Wer sind Sie überhaupt?«
»Das werden Sie schon früh genug erfahren. Lassen Sie uns zunächst über das Geschäftliche sprechen!«
Schlagartig entspannte sich Raoul Adjani. Das war die Sprache, die er verstand. Er hatte schon befürchtet, einem schlechten Scherz aufgesessen zu sein, als es hieß, jemand würde gutes Geld für gewisse Dienste bezahlen.
Raoul war kein Idiot. Er wusste sehr gut, dass es dabei nicht um astreine, sprich legale Angelegenheiten ging. Im besten Fall sollte er irgendwelche Drogen von A nach B bringen oder Geld eintreiben, also nichts, was er nicht schon getan hätte. Im schlimmsten Fall ging es darum, eine Leiche verschwinden zu lassen. Schlimm deshalb, weil solche Aufträge nicht selten mit einem hohen Aufwand verbunden waren.
Aber in gewissen Kreisen hatte sich herumgesprochen, dass Raoul Adjani so ziemlich alles machte und dabei nicht nur gründlich, sondern auch diskret vorging.
Der Vorteil für seine Kundschaft war der, dass sie nicht selbst Hand anlegen musste. Er kümmerte sich um alles. Zumal die Bullen bei ihm gerne mal ein Auge zudrückten.
Dafür bekamen sie von ihm den einen oder anderen Hinweis, denn er genoss das Vertrauen von Subjekten, die nicht besonders gut auf die Obrigkeit zu sprechen waren.
Dabei achtete Raoul stets penibel darauf, die eigene Kundschaft nicht zu verprellen oder ans Messer zu liefern. Von diesen Leuten lebte er ja schließlich.
»Worum geht es denn? Ich sag Ihnen gleich, wenn die Kleine nicht volljährig war, kostet das extra. Die Bullen werden bei Minderjährigen sehr schnell sehr nervös, wenn Sie verstehen.«
»Sicher, aber darum geht es nicht. Und jetzt ziehen Sie sich aus!«
»Hä?« Raoul war überzeugt, sich verhört zu haben.
»Ich sagte, Sie sollen sich ausziehen.«
Wahrscheinlich war das irgendein bescheuerter Jux. Raoul verengte die Augen zu Schlitzen, obwohl er bei der Finsternis nichts sehen konnte.
»Maurice, bist du das? Ich sag dir, ich prügel dir ...«
»Ich bin nicht Maurice!«, zischte der Fremde. »Und ich bin auch nicht zu Scherzen aufgelegt. Ausziehen! Jetzt!«
Das letzte Wort war dicht an seinem Ohr erklungen.
Mit einem leisen Schrei wirbelte Raoul herum. Waren die Kerle zu zweit? Aber das war doch dieselbe Stimme gewesen.
Schlagartig kehrte die Furcht zurück. Raouls Puls begann zu rasen. Er hätte auf seine Instinkte hören sollen. War man ihm auf die Schliche gekommen?
Vor Raoul erklang ein leises Schnacken wie von einem Feuerzeug. Tatsächlich loderte eine Flamme in der Finsternis auf, erhellte für Sekunden das hagere, schmallippige Gesicht eines Mannes mit bleicher Haut. Für die Dauer eines Herzschlags glaubte Raoul, ein rotes Glühen in den tief in den Höhlen liegenden Augen zu sehen.
Der Hagere hielt die Flamme an die Spitze einer dünnen Zigarette. Der Fremde sog tief die Luft ein, die Flamme erlosch, dafür glühte das vordere Ende der Zigarette auf. Das Gesicht des Hageren verschwand wieder in der Dunkelheit.
»Ich will deinen Körper!«, schnarrte er.
»Was? Hö-hören Sie, Monsieur. Wenn ... wenn Sie auf so was stehen, dann ... dann besorge ich Ihnen jemanden. Jemand anderen. Jüngeren.«
»Ich will aber dich!«, erwiderte der Hagere dicht hinter ihm und blies ihm den Rauch ins Gesicht, als Raoul sich umdrehte.
Jetzt war er sich sicher, dass es ein und derselbe Kerl war, denn im selben Moment, als er ihn von hinten angesprochen hatte, war die Zigarettenglut verschwunden.
Raoul hustete. Dieser Rauch war betäubend. Er stank nach verschmorten Haaren, nach verkohltem Fleisch und noch etwas anderem. War das Schwefel?
Seine Lunge verkrampfte sich. Stiche zuckten durch seine Brust, er bekam keine Luft mehr. Gleichzeitig wurde ihm warm, so entsetzlich warm. Das Blut in seinen Adern schien zu kochen, die Haut brannte, als würde sie in Flammen stehen. Jede Bewegung, bei der die Kleidung über seine Haut schabte, verursachte ihm Schmerzen.
Während Raoul nach Luft rang und sich dabei fast die Seele aus dem Leib hustete, weil er bei jedem Atemzug neuen Rauch in seine Lunge sog, schälte er sich aus der Kleidung.
Ihm wurde schwindelig, und winselnd brach er in die Knie.
»Nun, war das wirklich so schwer?«, fragte der Hagere von oben herab.
Wieder saugte er an seinem scheußlichen Glimmstängel. Raoul war selbst Raucher, doch so ein Zeug war ihm noch nie untergekommen. Was war das für ein Kraut?
»Lassen Sie mich Ihnen aufhelfen, Monsieur Adjani. Es wird Zeit, dass wir zum eigentlichen Punkt Ihres Hierseins kommen.«
Raoul ahnte die ihm dargebotene Hand mehr, als dass er sie sah. Schemenhaft malten sich die Umrisse des Hageren im Schein der Zigarettenglut ab, die sich in seinen Augen spiegelte.
Raoul streckte den Arm aus und schloss die Finger um die Hand des Fremden.
Ein scharfer Stich fuhr durch seinen Mittelfinger, schoss wie ein Stromstoß bis in die Schulter und weiter in Richtung Herzen, wo er in einem reißenden Schmerz explodierte.
Raoul Adjani sackte zusammen und begann am ganzen Leib zu zucken. Seine Zähne schlugen aufeinander, gruben sich in die hervorhängende Zunge. Die Schmerzen waren unerträglich grausam, als die Zähne sich gegen seinen Willen durch die Zunge gruben – und sie abbissen!
Blut füllte seine Mundhöhle.
Raoul verschluckte sich.
Die Schmerzen in der Brust steigerten sich zu gleißend-greller Agonie.
Dann erschlaffte sein Körper ...
Der Raum, in den Madame Altari die Detektivin führte, war fast vollkommen abgedunkelt. Schwere rote Vorhänge verdeckten die Fenster.
Madame Altari tastete nach einem Lichtschalter und drehte ihn. Zwei faustgroße Lampen, die zu beiden Seiten der Tür an den Wänden hingen, wurden heller und verbreiteten einen gedämpften Lichtschein, der soeben ausreichte, um die Einrichtung zu erkennen. Die bestand praktisch nur aus einem großen runden Holztisch, dahinter ein hoher geschnitzter Lehnstuhl.
Vor dem Tisch standen zwei kleinere Stühle, der Fußboden war bedeckt mit handgeknüpften Teppichen.
Janes Aufmerksamkeit galt jedoch weder den Stühlen noch den Teppichen, sondern allein dem Tisch, der vollkommen leer war. Die Platte wurde von keiner Decke verhüllt, und es fehlte auch die obligatorische Kristallkugel, wie sie beispielsweise von der Wahrsagerin Tanith benutzt worden war.
Dafür zeigte der Tisch kunstvolle Intarsien, die Symbole des Spiritismus und der Astrologie darstellten. Jane erkannte die Planeten- und Tierkreiszeichen, doch viele Symbole waren selbst ihr unbekannt.
Die Luft war erfüllt von einem schweren, süßlichen Geruch, der von Räucherstäbchen stammte. Der Duft war regelrecht betäubend. Jane hätte am liebsten die Fenster aufgerissen, traute sich jedoch nicht, eine entsprechende Bitte zu äußern. Das hier war Madame Altaris Reich und sie lediglich die Bittstellerin.
Madame Altari stellte einen der beiden Stühle zur Seite, den anderen zog sie zu sich heran, sodass er dem geschnitzten Lehnstuhl direkt gegenüberstand. »Bitte nimm Platz.«
Jane stellte ihre Handtasche neben sich auf den Boden und setzte sich.
Sie hörte, wie Madame Altari die Tür hinter ihr ins Schloss zog. Anschließend glitt sie lautlos um den Tisch herum und nahm Jane gegenüber Platz.
Niemand von ihnen sagte ein Wort, nicht das geringste Geräusch drang von draußen herein. Die Stille war so dicht, dass Jane sie förmlich greifen konnte. Wie Sirup floss die Luft in ihre Lunge.
