John Sinclair 1992 - Michael Breuer - E-Book

John Sinclair 1992 E-Book

Michael Breuer

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Beschreibung

Das Summen meines Handys riss mich aus dem Schlaf. Mühsam stemmte ich mich hoch und sah das fahle, blaue Licht des Displays, das einen geisterhaften Schein im Schlafzimmer erzeugte.

Ein unbekannter Absender hatte mir eine Nachricht geschickt. Es handelte sich um ein Foto, versehen mit einer Frage: Kennen Sie diesen Mann?

Bei dem Anblick des Konterfeis wich schlagartig sämtliche Müdigkeit aus meinen Knochen! Mein Herzschlag beschleunigte sich, und mir wurde heiß und kalt zugleich. Plötzlich wusste ich, dass diese Nacht für mich vorbei war, denn Schlaf würde ich mit Sicherheit keinen mehr finden ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Armee der Werwölfe

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-3615-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Armee der Werwölfe

von Michael Breuer und Ian Rolf Hill

„Halten Sie ganz still, Doktor Baku, dann wird Ihnen nichts geschehen!“

Die hart klingende Frauenstimme brannte sich direkt ins Gehirn des Arztes. Er wagte nicht, sich umzudrehen. Die Unbekannte klang, als sei sie zu allem entschlossen!

„Tun Sie mir nichts“, stammelte Doktor Baku und blieb wie angewurzelt auf seinem Stuhl sitzen. Er wusste, bei der kleinsten falschen Bewegung würde die Fremde mit ihm kurzen Prozess machen.

„Keine Bange, Doktorchen, wenn Sie mir sagen, was ich wissen will, bin ich ganz schnell wieder weg!“

Doktor Baku biss sich auf die Lippen, als sich plötzlich von hinten eine silberne Kralle um seinen Hals legte und ihm die Luft zu nehmen drohte.

„Machen Sie das Maul auf, Doktor“, zischte die Frau. „Geben Sie mir das Heilmittel – oder ich werde Sie töten!“

Aberdeen/Schottland.

Eine kalte Schweißperle rann über die Stirn des Doktors und fing sich in dessen zusammengewachsenen Augenbrauen.

Die Silberkralle lockerte ihren tödlichen Griff ein wenig. Erst jetzt wagte es Doktor Baku, vorsichtig den Kopf ein Stück zu drehen. Hinter ihm stand eine Frau mit langen Rastazöpfen, die notdürftig von einem roten Bandana gebändigt wurden. Ihre Gesichtszüge hatten etwas vage Osteuropäisches. Sie musterte den Arzt aus kalten dunklen Augen.

Baku sah diese Frau beileibe nicht zum ersten Mal. Vor einigen Wochen war sie nämlich bei ihm aufgetaucht und hatte ein Heilmittel gegen den Fluch der Lykanthropie gefordert.

Vergeblich hatte ihr Baku klarzumachen versucht, dass Lykanthropie nicht existierte und Werwölfe reine Fabelwesen waren, doch bei der Unbekannten biss er damit auf Granit.

»Versuchen Sie nicht, mich zu verscheißern«, hatte sie ihm erklärt und ihm mit dem silbernen Krallenhandschuh gedroht, den sie über die rechte Hand gestülpt hatte.

Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als klein beizugeben und sich ihren Forderungen zu fügen.

»Drehen Sie sich ruhig ganz um«, erklärte die Frau kalt. »Ich möchte Ihnen in die Augen sehen können, wenn Sie mir erklären, was Sache ist!«

Baku gehorchte ihr. Vorsichtig bewegte er den Drehstuhl, auf dem er saß, in ihre Richtung und blickte ihr jetzt direkt ins Gesicht.

»Also, ich höre!«, knurrte sie.

Geduld schien nicht ihre Stärke zu sein.

Die Frau mit der Silberkralle hieß Aleksandra Jorgovanovic, das wusste Baku bereits. Nach ihrem ersten Besuch hatte der Doktor Nachforschungen über sie angestellt. Das war ihm nicht sonderlich schwergefallen. Immerhin gab sie sich keine große Mühe, ihre Identität geheim zu halten.

Sie war gebürtige Serbin und in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Angeblich hatte ihr Vater sie mit den örtlichen Legenden über Werwölfe und Tiermenschen vertraut gemacht. Jedenfalls hatte sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Welt vom Fluch dieser Bestien zu befreien – oder eben ein Heilmittel zu finden.

Denn genau das war es, was die Serbin von Baku wollte.

»Ich warte«, erinnerte ihn die Frau und machte einen drohenden Schritt auf den Doktor zu. »Übrigens bin ich nicht allzu geduldig, müssen Sie wissen!«

Sie deutete mit der silbernen Kralle in Richtung Fenster. Am dunklen Nachthimmel war der strahlend helle Vollmond zu sehen.

»Heute Nacht ist es wieder so weit«, erklärte die Serbin. Ihre Stimme wurde zusehends leiser. Sie flüsterte fast, als sie fortfuhr: »Die Werwölfe verwandeln sich und gehen wieder auf ihre blutige Jagd. Menschen werden sterben! All das muss ein Ende finden, Doktor Baku!«

Der Arzt merkte, wie seine Haut zu kribbeln begann. Wieder spürte er Schweißperlen auf seiner Stirn. Zunehmend fühlte er sich unwohl in seiner Haut. Seine Finger krallten sich in die Stuhllehnen.

Die Augen der Serbin verengten sich. »Ist alles in Ordnung, Doktor?«, fragte sie misstrauisch.

»Ja«, gab Baku knurrend zurück. Gleichzeitig stemmte er sich hoch und nahm in leicht gebückter Haltung vor der Serbin Aufstellung. Er hechelte. »Alles ist in bester Ordnung«, verkündete er. »Um diese Nacht perfekt zu machen, müssen Sie allerdings sterben, Mädchen! Ich bin niemand, der sich erpressen lässt.«

Die Serbin blinzelte. Erst jetzt schien ihr zu dämmern, dass sie in eine Falle gelockt worden war. »Das ist ein abgekartetes Spiel«, erkannte sie glasklar.

Baku kicherte heiser. Dichte braune Haarbüschel sprossen auf seinen Wangen.

»Natürlich«, bestätigte er. »Es ist uns nicht verborgen geblieben, dass Sie Jagd auf unsereins machen. Deshalb wurde das Gerücht gestreut, dass ich in der Lage bin, ein Heilmittel gegen Lykanthropie zu entwickeln. Wir wollten Sie gezielt anlocken!«

Die Miene der Serbin versteinerte. Die Erkenntnis, geradewegs in eine Falle gelaufen zu sein, traf sie sichtlich. Dann machte der Ausdruck der Überraschung einer tiefen Wut Platz.

Mittlerweile waren Doktor Bakus Gesicht und Hände komplett mit dunklem Pelz bedeckt. Seine Züge verformten sich, als sich eine längliche Wolfsschnauze herausbildete.

Seine Verwandlung war fast abgeschlossen, aber seine Gegnerin wollte nicht warten, bis er zum Angriff überging.

Stattdessen stieß die Serbin einen wilden Kampfschrei aus und stürzte dem Werwolf entgegen. Blitzartig riss sie die todbringende Silberkralle hoch.

Baku zuckte zurück. Offenbar wusste er um die Gefährlichkeit der Prothese. Dennoch war seine Ausweichbewegung denkbar knapp. Als die Serbin zuschlug, verfehlte sie die Kehle des Werwolfs nur um wenige Millimeter.

Der Tiermensch stieß ein wütendes Heulen aus und ging nun seinerseits zum Angriff über. Brutal schnappte er zu. Seine rasiermesserscharfen Zähne verbissen sich in dem Ledermantel der Serbin. Sie drangen jedoch nicht bis zum Fleisch vor. Unter dem Mantel trug die Frau eine Art Schutzpanzer, der imstande war, sogar einem Werwolfangriff standzuhalten.

Ein Grinsen huschte über die Lippen der Serbin. »Das hättest du besser bleiben lassen«, zischte sie, denn mit seiner Attacke war der Werwolf wieder in Reichweite ihrer Silberkralle gelangt.

Diesen Umstand nutzte sie nun gnadenlos aus. Brutal rammte sie die Kralle in den Unterbauch des Tiermenschen und zog sie dann ruckartig nach oben.

Dem Werwolf drohten die Augen aus den Höhlen zu quellen. Ein schmerzerfülltes Heulen war zu hören. Baku blickte an sich hinunter. Kleine Rauchfäden stiegen von seinem Körper auf, und der bestialische Gestank von verbranntem Fell lag in der Luft.

Wieder heulte der Tiermensch, doch schon ging der Laut in ein gepeinigtes Winseln über, als die Serbin ihre Kralle zurückzog.

Die Waffe hatte ihn förmlich aufgeschlitzt, hastig presste er die Hände auf den Bauch, um seine Eingeweide an Ort und Stelle zu halten. Das todbringende Silber zeigte seine Wirkung. Röchelnd taumelte der Werwolf zurück. Seine Augen wurden glasig, als er in die Knie brach.

Die Serbin machte zwei Schritte auf ihn zu. »Beenden wir das«, sagte sie kalt und drückte seinen Kopf in den Nacken.

Der Werwolf war nicht mehr in der Lage, sich zu wehren, als sie mit ihrer Kralle ein weiteres Mal ausholte und der Bestie über die Kehle fuhr. Schwarzes Blut spritzte, als Doktor Baku sein Leben aushauchte.

Einen Moment lang blieb die Serbin regungslos über seinem toten Körper stehen, dann warf sie sich mit wehendem Mantel herum und trat eilig den Rückzug an.

***

Das beständige Summen meines Smartphones auf dem Nachttisch wollte und wollte nicht enden. Es dauerte eine geraume Weile, bis das leise, penetrante Geräusch in mein Unterbewusstsein vordrang und es so lange traktierte, bis es mich aus meinem wohlverdienten Schlummer riss.

Ein gequältes Stöhnen drang aus meinem trockenen Mund, gefolgt von einem unflätigen Fluch. Mühsam wälzte ich mich auf die Seite und angelte nach meinem Handy. Zuerst wollte ich den Anruf einfach wegdrücken, doch dann überlegte ich es mir anders.

In meinem Job waren nächtliche Anrufe zwar nicht an der Tagesordnung, aber auch nicht so ungewöhnlich. Außerdem hatte ich überall in der Welt Kontaktpersonen, Freunde und Verbündete, und wenn diese Hilfe benötigten, konnten sie es sich nicht immer aussuchen, zu welcher Tages- oder Nachtzeit sie mich anriefen.

Mit verquollenen Augen starrte ich auf das Display, das eine unbekannte Nummer zeigte. Ich seufzte und nahm den Anruf im Dunkeln entgegen. Mit kratziger Stimme meldete ich mich und vernahm noch ein leises Knacken mit dem die Verbindung unterbrochen wurde.

»Du mich auch«, fluchte ich und legte das Handy wieder zurück auf den Nachttisch – nicht, ohne zuvor einen Blick auf die Uhr im Display zu werfen. Kurz nach zwei Uhr morgens. Schöner Mist.

Schnaubend ließ ich mich zurück ins Kissen fallen und starrte in die Dunkelheit hinein. Ich war froh gewesen, dass ich am Abend zuvor pünktlich hatte Feierabend machen können, und hatte es mir zu Hause gemütlich gemacht. Zwei Flaschen Bier, ein aufgewärmtes Essen von Shao und ein alte Action-Komödie mit Jean-Paul Belmondo. Danach war ich früh ins Bett gegangen, denn der genossene Alkohol hatte seine Wirkung nicht verfehlt.

Die letzten Wochen waren eben zu anstrengend gewesen. Daher hatte ich auf eine lange, erholsame und im besten Falle traumlose Nacht gehofft.

Stattdessen dieser ominöse Anruf, der mich immer noch beschäftigte. Wer hatte da etwas von mir gewollt? Freund oder Feind?

Einerseits hatte der unbekannte Störenfried die Ausdauer gehabt, so lange auszuharren, bis mich das Summen, des auf lautlos geschalteten Smartphones, aus dem Schlummer gerissen hatte, andererseits hatte er dann gleich wieder aufgelegt, als ich den Anruf endlich entgegengenommen hatte.

Warum?, dachte ich noch und spürte schon wieder die bleierne Schwere der Müdigkeit, die meine Lider nach unten zog.

Die Antwort erfolgte in einem neuerlichen Summen. Dieses Mal aber nur zweimal kurz hintereinander. Das war kein Anruf, sondern eine Textnachricht.

Ich öffnete die Augen wieder und sah das fahle, blaue Licht, das aus dem Display meines Handys drang und einen geisterhaften Schein im Schlafzimmer erzeugte. Ich runzelte die Stirn und nahm den flachen Apparat wieder zur Hand.

Die ruckartigen Bewegungen, mit denen ich über den Touchscreen wischte, um die Nachricht aufzurufen, verrieten meinen Unmut über das Geplänkel, denn für mich stand fest, dass der Anrufer und der Verfasser der Nachricht ein und dieselbe Person sein mussten.

Es handelte sich jedoch nur um einen einzigen Satz, der aus einer Frage bestand: Kennen Sie diesen Mann?

Damit war das Foto gemeint, das den Hauptbestandteil der Nachricht ausmachte.

Bei dem Anblick des Konterfeis wich schlagartig sämtliche Müdigkeit aus meinen Knochen. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und mir wurde heiß und kalt zugleich. Eine Gänsehaut kroch mir über den Rücken, und ich wusste plötzlich, dass diese Nacht für mich vorbei war, denn Schlaf würde ich mit Sicherheit keinen mehr finden.

***

Fluchend stürzte Aleksandra hinaus in die Nacht. Die Miene der Serbin war wie versteinert, als sie zu ihrem Motorrad hetzte. Sie hatte die schwere Maschine in einer dunklen Seitenstraße abgestellt.

Während sie sich hinter den Lenker schwang und den Motor startete, jagten sich ihre Gedanken. Vor gut zwei Jahren hatte sie das Festland verlassen und war nach England gekommen. Damals war sie auf der Spur der Werwolffamilie Kostic gewesen, die Aleksandras Heimatdorf terrorisiert und ein schreckliches Blutbad unter den Einwohnern angerichtet hatte.

In einer alten Gießerei war es zum entscheidenden Kampf mit den Werwölfen gekommen, bei dem die Mitglieder der Kostic-Familie ihr Leben gelassen hatten.1)

Fast alle jedenfalls. Nur eine Person war von Aleksandras kleinem Privatkrieg verschont geblieben. Als die Serbin an diese dachte, huschte unwillkürlich die Andeutung eines Lächelns über ihre Lippen.

Aber sofort wurde ihre Miene wieder ernst. Aleks schalt sich eine Närrin. Ihr hätte klar sein müssen, dass man ihr früher oder später auf die Spur kommen würde. Die Werwölfe mochten Bestien sein, aber sie waren alles andere als dumm. Je mehr sie von ihnen tötete, desto wütender wurden sie.

Mittlerweile wünschte sie sich, sich genauer über die Pläne und Absichten der Bestien informiert zu haben. Aber das war leichter gesagt als getan. Die Werwölfe bildeten eine geschlossene Gemeinschaft. Wo immer Aleksandra ansetzte, stieß sie auf eine Mauer des Schweigens. Traf sie bei ihren Streifzügen auf einen Werwolf, ging dieser zumeist direkt zum Angriff über. Es war schlicht unmöglich, etwas aus ihnen herauszuholen.

Nun jedoch hatte man zum ersten Mal gezielt versucht, sie in eine Falle zu locken. Wieder schimpfte sich Aleks eine Idiotin.

Seit sie zum ersten Mal davon gehört hatte, dass Baku an einem Heilmittel gegen den Werwolffluch arbeitete, hatte sie den Doktor beobachtet. Ihr war nichts Verdächtiges an ihm aufgefallen. Dass man das Gerücht gezielt gestreut hatte, nur um sie anzulocken, darauf wäre sie niemals gekommen.

Diese Biester sind raffinierter als ich dachte, musste sie sich eingestehen.

Und noch eines wurde ihr schmerzhaft bewusst: Wenn die Werwölfe solche Tricks anwandten, dann holten sie ganz offensichtlich zum Gegenschlag aus. Die Jägerin war zur Gejagten geworden.

Wir müssen hier verschwinden, machte sie sich klar, und das schleunigst!

Mit mahlenden Kiefern raste Aleksandra durch die Nacht. Nur wegen Baku hatte sie sich in der schottischen Hafenstadt Aberdeen niedergelassen. Jetzt also wurde es Zeit, die Zelte abzubrechen, bevor ihr der Boden unter den Füßen zu heiß wurde.

Endlich erreichte die Werwolfjägerin die Neubausiedlung am äußersten Stadtrand von Aberdeen. Hier wurden zurzeit mehrere Hochhäuser aus dem Boden gestampft. Allerdings standen immer noch neunzig Prozent der Wohnungen leer, und es sah nicht so aus, dass sich in absehbarer Zeit etwas daran ändern würde. Diesen Umstand hatte sich Aleks zunutze gemacht und sich entsprechend häuslich eingerichtet. Bisher war sie hier immer sicher gewesen, aber das Gefühl der Sicherheit war seit Bakus Eröffnungen ein für alle Mal verflogen.

Es gibt keinen Frieden, nur Kampfpausen, machte sie sich klar.

Aber schließlich wollte Aleksandra ja auch gar keinen Frieden. Den konnte es nämlich erst geben, wenn sie alle Werwölfe vom Antlitz des Planeten getilgt hatte.

Hinter einem halbfertigen Gebäude brachte sie die schwere Maschine schließlich zum Stehen. Während sie das Motorrad abstellte, blickte sich Aleksandra nach allen Seiten um. Die Gegend sah sicher aus, aber das musste nicht viel zu bedeuten haben.

Durch eine unscheinbare Seitentür betrat die Werwolfjägerin das Innere des Gebäudes und schloss sorgfältig hinter sich ab. Die kalten Stahlbetonwände waren schmucklos und karg. Aleksandra hatte sich über das Gelände informiert. Die Arbeiten waren zum Stillstand gekommen. Offenbar gab es Streitigkeiten über die Finanzierung. Zwar gab es einen Sicherheitsdienst, der die Baustelle kontrollierte, doch dieser war nicht sonderlich gewissenhaft bei der Arbeit. Scheinbar war es ihm egal, wer sich hier herumtrieb.

Das hatte Aleksandra zumindest bisher gedacht. In Anbetracht der neuesten Entwicklungen kam ihr noch eine ganz andere Idee. Möglicherweise lässt man mich hier ganz bewusst gewähren, damit man mich genau im Auge behalten kann, sinnierte sie.

Der Gedanke war nicht ganz von der Hand zu weisen. Mittlerweile traute sie den Bestien alles zu.

Lauernd durchquerte Aleksandra den langgezogenen Gang, der in die Eingangshalle des Neubaus führte. Von dort aus bahnte sie sich ihren Weg tiefer ins Innere des Gebäudes, bis sie schließlich ihr Ziel erreichte.

Es handelte sich um eine geräumige Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss des Hauses. Sie verfügte über große Fenster, durch die Aleksandra die umliegende Gegend im Auge behalten konnte. Gleichwohl waren die Scheiben bis auf kleine Sehschlitze abgeklebt. Sie wollte keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.

Aleks betrat die Wohnung und lauschte aufmerksam. Kein Sterbenslaut war zu hören.

»Ich bin zurück«, verkündete sie dann laut.

Niemand antwortete, aber die Serbin hatte auch nicht wirklich mit einer Entgegnung gerechnet.

Mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen machte sie sich auf den Weg in den hinteren Teil der Wohnung. Das letzte und größte Zimmer war für einen ganz besonderen Zweck eingerichtet worden. Es beherbergte nämlich einen riesigen ausbruchssicheren Stahlkäfig, Dieser kam einmal im Monat zur Anwendung.

In diesen Nächten war es wieder einmal so weit.

Aleksandras Herz wurde schwer, als sie die Insassin des Käfigs betrachtete. Es handelte sich um eine Werwölfin mit stahlgrauem Fell. Unruhig pilgerte sie hinter den Gitterstäben auf und ab und suchte verzweifelt nach einem Ausgang, um endlich ihren Blutdurst stillen zu können. Die messerscharfen Zähne und Krallen nutzten der Bestie jedoch nichts, denn der Käfig war eine Spezialanfertigung, die selbst einer Werwölfin standhielt. Dafür hatte Aleksandra gesorgt.

Die Serbin seufzte innerlich. Hier befand sich das einzige Exemplar ihrer Gattung, das Aleks jemals am Leben gelassen hatte. Es handelte sich um Dara, das letzte überlebende Mitglied der Kostic-Familie. Und Aleksandras Geliebte.

Wenn die Serbin zurückdachte, konnte sie sich immer noch nicht recht erklären, was sie damals geritten hatte. Niemals zuvor hatte sie ihren Gefühlen gestattet, ihrem Krieg gegen die Werwölfe in die Quere zu kommen. Jedenfalls bis sie Dara begegnet war.

Es ist, wie es ist, dachte Aleks lakonisch. Solange es funktioniert, funktioniert es.

Sie war entschlossen, das Beste aus der gemeinsamen Zeit zu machen. Und das klappte bisher ganz gut, wenn man davon absah, dass sie ihren Schatz einmal im Monat in einen Käfig sperren musste.

Dara selbst war mit diesem Vorgehen natürlich einverstanden. Es war die einzige Möglichkeit, wie sie halbwegs normal zusammenleben konnten.

Mit einem bitteren Lächeln zog Aleksandra einen nahen Hocker heran und nahm unmittelbar vor den Gitterstäben des riesigen Käfigs Platz. Das Kinn auf die Hände gestützt, betrachtete sie ihre tierische Gefährtin.

»Dara«, flüsterte sie sanft.

Der Blutdurst in den Augen der Wolfsfrau wich zurück, als sie ihre Gefährtin identifizierte. Auch wenn sie in ihrer Tiergestalt unberechenbar war, so war sie doch nicht ohne Verstand. Mit ein wenig Mühe vermochte sie sogar zu sprechen.

»Du bist zurück«, brachte Dara grollend hervor. Ihr Wolfsrachen war nicht wirklich für menschliche Worte geschaffen.

Aleksandra nickte langsam. »Wir werden verschwinden müssen«, erklärte sie, »sobald die Vollmondphase vorbei ist.« Der Serbin war bewusst, dass Dara ihr unter Umständen nicht wirklich folgen konnte, aber sie hatte einfach das Bedürfnis zu reden. »Weißt du, man ist uns auf die Spur gekommen«, führte sie aus.

In diesem Moment hörte sie aus dem Nebenraum das Klirren von Glas.

***

»Verdammt«, entfuhr es Aleks.

Blitzartig sprang sie auf und hetzte ins Nebenzimmer. Der Anblick, der sich ihr dort bot, ließ sie instinktiv zurückprallen.

Die große Panoramafensterscheibe des Zimmers war eingeschlagen worden. Dafür hatten sie nun ungebetenen Besuch. Drei Wolfsmenschen waren es, die ihr knurrend entgegenblickten. Sie sahen aus, als seien sie nicht zu Späßen aufgelegt. Blanke Mordlust stand in ihren Augen.

Aleksandra biss sich auf die Unterlippe. Zu dritt waren ihr die Bestien eindeutig überlegen. Dennoch war sie entschlossen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.

Drohend reckte die Serbin ihre todbringende Silberkralle.

Allerdings zeigten sich die Werwölfe wenig beeindruckt von ihrer Waffe. Die Bestien fächerten auf und verteilten sich gleichmäßig im Raum, um sie in die Zange zu nehmen.

Das ist kein Zufall, erkannte Aleks glasklar. Das ist ein geplanter, ganz gezielter Angriff.

Vermutlich hatten die Werwölfe sie bereits über längere Zeit ausspioniert. Das passte zu Bakus Andeutungen. Offenbar hatten die Wolfsmenschen langsam genug davon, von ihr aufs Korn genommen zu werden.

Früher oder später musste so etwas passieren, dachte die Serbin lakonisch. Wir haben uns viel zu lange sicher gefühlt.

Aleks taxierte ihre dämonischen Gegner und kam zu dem Schluss, dass es keinen Unterschied machte, wen sie sich zuerst vorknöpfte. Alle drei Werwölfe sahen gleichermaßen kräftig aus.

Angriff ist die beste Verteidigung, dachte sie sich. Sie hatte nämlich keine große Lust, von allen dreien gleichzeitig attackiert zu werden.