Jona und der unverschämt barmherzige Gott - Timothy Keller - E-Book

Jona und der unverschämt barmherzige Gott E-Book

Timothy Keller

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Beschreibung

Jona im Bauch des Fischs – das ist wohl eine der bekanntesten Erzählungen aus dem Alten Testament. Doch kennen wir Jona wirklich so gut, wie wir meinen? Tim Keller fordert den Leser auf, den zwiespältigen Charakter von Jona noch einmal ganz neu zu entdecken: Ein berufener Prophet, der vor seinem Auftrag und vor Gott wegrennt. Ein Nationalist, für den Israel an erster Stelle steht. Ein Mann, der Gottes Gnade ergreift – oder doch nicht? Und dann sind da noch die Seeleute, die Jona über Bord werfen und dabei den wahren Gott erkennen. Was passierte wirklich, als Jona in Ninive predigte? Es geht aber nicht nur um Jona, sondern um brandaktuelle Themen: Gottes Leidenschaft für die Ausgegrenzten und sein Kampf für soziale Gerechtigkeit. Aber vor allem geht es in diesem Buch um den unverschämt barmherzigen Gott, der nicht nur Jona, sondern auch uns herausfordert.

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TIMOTHYKELLER

JONA

und der unverschämtbarmherzige Gott

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

The Prodigal Prophet: Jonah and the Mystery of God’s Mercy

© 2018 by Timothy Keller

Published by Viking, an imprint of Penguin Random House LLC,

New York, USA

Der Bibeltext des Buchs Jona folgt einer eigenen Übersetzung.

Weitere Bibelzitate folgen, wo nicht anders angegeben, der

Neuen Genfer Übersetzung, Neues Testament, Psalmen und Sprüche,

© 2015 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher

Genehmigung.

Sonst:EIN: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift

vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgaben

© 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart.

ELB: Revidierte Elberfelder Bibel © 2009 by SCM R. Brockhaus in der

SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen.

LUT: Lutherbibel, revidiert 2017,

© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

NLB: Neues Leben. Die Bibel © der deutschen Ausgabe 2002

und 2006 SCM R. Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH,

Witten/Holzgerlingen.

Aus dem Amerikanischen von Friedemann Lux

© der deutschen Ausgabe: 2020 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Lektorat: Alena Dörr, Uwe Bertelmann

Umschlagfoto: Adobe Stock

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: DTP Brunnen

ISBN Buch: 978-3-7655-0760-1

ISBN E-Book: 978-3-7655-7589-1

www.brunnen-verlag.de

In Dankbarkeit gegenüber Gott für das Lebenund den Dienst vonJohn Newton (1725–1807),der ebenfalls in einem Sturm zu Gott zurückkehrte,um ein Pastor zu werden, der unsund unzähligen anderendie Schönheit der Gnade zeigte.

Inhalt

Einleitung

Der trotzige Prophet

Kapitel 1

Flucht vor Gott

Kapitel 2

Die Stürme der Welt

Kapitel 3

Wer ist mein Nächster?

Kapitel 4

Den anderen annehmen

Kapitel 5

Das Prinzip der Liebe

Kapitel 6

Auf der Flucht vor der Gnade

Kapitel 7

Gerechtigkeit und die Predigt von Gottes Zorn

Kapitel 8

Stürme des Herzens

Kapitel 9

Das Herz der Barmherzigkeit

Kapitel 10

Unsere Beziehung zu Gottes Wort

Kapitel 11

Unsere Beziehung zu Gottes Welt

Kapitel 12

Unsere Beziehung zu Gottes Gnade

Nachwort

Wer hat die Geschichte erzählt?

Danke!

Anmerkungen

Einleitung

Der trotzige Prophet

Wie die meisten Menschen, die in einer christlichen Familie aufgewachsen sind, habe ich die Geschichte von Jona schon als Kind gehört. Doch dann, als Pastor, der selbst anderen Menschen die Bibel nahebringt, habe ich mehrere Stadien des Staunens, ja der Verblüffung über dieses kurze Jona-Buch durchlaufen. Die Zahl der Themen darin ist eine Herausforderung für den Ausleger. Was wird auf diesen wenigen Seiten nicht alles angesprochen!

Ist das Buch Jona ein Lehrstück in Sachen Nationalismus und Rassismus? Jona scheint die militärische Sicherheit seines eigenen Volkes ja wichtiger zu sein als das Heil der gottlosen Heiden in Ninive. Oder geht es um Gottes Ruf in die Mission? Erst flüchtet Jona ja vor Gottes Auftrag, aber dann besinnt er sich eines Besseren. Oder handelt das Buch von Gottvertrauen und Gehorsam und davon, wie schwer diese Dinge sind? Ja, es handelt von diesen Themen – und noch von vielen anderen. Es gibt Berge gelehrter Abhandlungen über das Buch Jona, die die Tiefe dieser Geschichte, ihre zahlreichen Bedeutungsebenen und das, was sie uns über das Leben und das Herz der Menschen zu sagen hat, aufzuschließen versuchen.1

Ich habe diese „unterschiedliche Anwendbarkeit“ ganz persönlich entdeckt, als ich als Pastor drei Mal das Buch Jona Vers für Vers durchpredigte. Die erste Predigtreihe hielt ich in meiner ersten Gemeinde, in einer kleinen Arbeiterstadt im Süden der USA. Zehn Jahre später predigte ich erneut durch das ganze Buch, dieses Mal vor mehreren Hundert jungen, berufstätigen Singles in Manhattan. Und noch einmal zehn Jahre später predigte ich an den Sonntagen direkt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York City über das Buch Jona. Die kulturelle Prägung und persönlichen Bedürfnisse der Zuhörer waren jedes Mal radikal unterschiedlich, aber der Text des Buchs Jona war der Aufgabe, sie zu erreichen, mehr als gewachsen. Im Laufe der Jahre haben mir viele Freunde berichtet, dass die Jona-Predigten, die sie hörten, ihr Leben veränderten.

Die Handlung des Buchs Jona kann den Leser dazu verführen, es als bloße Story zu sehen, mit dem großen Fisch als dramatischem, wenn auch wenig glaubwürdigem Höhepunkt. Doch der sorgfältige Leser entdeckt ein geniales, meisterhaft gestaltetes literarisches Werk. Seine vier Kapitel erzählen zwei Begebenheiten. In Kapitel 1 und 2 erhält Jona von Gott einen Auftrag, den er nicht befolgt; in Kapitel 3 und 4 erhält er den Auftrag erneut, und diesmal gehorcht er. Die beiden Episoden ergeben ein fast vollständig paralleles Muster.

EPISODE 1 Jona, die Heiden und das Meer

EPISODE 2 Jona, die Heiden und die Stadt

JONA UND GOTTES WORT

1,1 Gottes Wort kommt zuJona

3,1 Gottes Wort kommt zuJona

1,2 Der Auftrag

3,2 Der Auftrag

1,3 Jonas Reaktion

3,3 Jonas Reaktion

JONA UND GOTTES WELT

1,4 Die Warnung

3,4 Die Warnung

1,5 Die Reaktion derHeiden

3,5 Die Reaktion derHeiden

1,6 Die Reaktion desObersten der Heiden

3,6 Die Reaktion desObersten der Heiden

1,7ff. Die Reaktion derHeiden ist letztlichbesser als die von Jona

3,7ff. Die Reaktion derHeiden ist letztlichbesser als die von Jona

JONA UND GOTTES GNADE

2,1-11 Wie Gott Jona durchden Fisch zeigt, wasGnade ist

4,1-11 Wie Gott Jona durchdie Pflanze zeigt, wasGnade ist

Trotz der ausgeklügelten literarischen Struktur des Textes nehmen viele moderne Leser das Buch Jona nicht ernst, weil Jonas Rettung aus dem Sturm in 2,1 so beschrieben wird, dass Gott „einen großen Fisch“ kommen ließ, der Jona „verschlang“. Wie man auf dieses Detail reagiert, hängt davon ab, wie man den Rest der Bibel liest. Wenn wir die Existenz Gottes und die Auferstehung Christi (ein viel größeres Wunder als Jonas Rettung) akzeptieren, ist es weiter kein Problem, das Buch Jona wörtlich zu lesen. Natürlich halten heute viele Menschen Wunder grundsätzlich für unmöglich, aber diese Wunderskepsis ist selbst ein Glaube, den man nicht beweisen kann.2 Doch mehr noch: Nichts in dem Text deutet darauf hin, dass sein Autor den Wunderbericht einfach erfunden hat. Ein Geschichtenerzähler benutzt übernatürliche Elemente normalerweise, um die Geschichte spannender zu machen und die Aufmerksamkeit der Leser zu fesseln, doch der Autor des Buchs Jona lässt diese Chance aus. Der Fisch wird nur in zwei kurzen Versen erwähnt, ohne jede Detailausschmückung. Die Erwähnung könnte nüchterner nicht sein.3 Lassen wir uns also nicht zu sehr von dem Fisch ablenken.

In der sorgfältigen Komposition des Buchs werden die verschiedenen Seiten der Botschaft des Verfassers deutlich. Beide Episoden zeigen uns, wie Jona, ein entschiedener Gläubiger seiner Zeit, mit Menschen umgeht, die ethnisch und religiös anders sind als er. Das Buch Jona kann uns viel zeigen über Gottes Liebe zu Menschen und Gesellschaften außerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen. Es zeigt uns Gottes Ablehnung von zerstörerischem Nationalismus und der Geringachtung anderer Völker und Ethnien und es kann uns lehren, trotz der subtilen und unausweichlichen Macht, die der Götzendienst in unserem Leben und Herzen oft hat, ein „Missionar“ in der Welt zu sein. Wenn wir diese Lehren begreifen, können wir zu Brückenbauern, zu Friedensstiftern und zu Dienern der Versöhnung in der Welt werden – also zu den Menschen, die diese Welt so dringend braucht.

Aber um all diese Beziehungslektionen recht zu verstehen, müssen wir uns klar darüber sein, dass der Schwerpunkt des Buchs Jona kein soziologischer, sondern ein theologischer ist. Jona will einen Gott nach seinem eigenen Bild haben, einen Gott, der die Bösen (zum Beispiel die Menschen von Ninive) bestraft und die Guten (zum Beispiel Jona und seine Landsleute) segnet, und jedes Mal, wenn der wahre Gott (und nicht Jonas Konstruktion) sich offenbart, versteht Jona die Welt nicht mehr. Der wahre Gott ist für ihn ein Rätsel, weil er Gottes Gnade und Gottes Gerechtigkeit nicht zusammenbringen kann. Wie, so fragt Jona, kann Gott Menschen vergeben, die so viel Gewalt und Böses verübt haben? Wie kann Gott gleichzeitig gnädig und gerecht sein?

Diese Frage wird in dem Buch Jona nicht beantwortet. Doch als Teil der ganzen Bibel gesehen, ist das Buch Jona wie ein Kapitel, das die Haupthandlung der Bibel ein wichtiges Stück weiterführt. Es lehrt uns, nach vorne zu schauen und zu sehen, wie Gott die Welt rettete durch den, der sich „mehr als Jona“ nannte (Matthäus 12,41). Dadurch konnte er sowohl gerecht sein als auch die für gerecht erklären, die an ihn glauben würden (Römer 3,26). Nur dann, wenn wir Leser dieses Evangelium von der unverschämten Gnade Gottes wirklich begreifen, werden wir weder grausame Tyrannen werden, wie die Leute von Ninive, noch fromme Pharisäer wie Jona, sondern Männer und Frauen, die sich vom Heiligen Geist verändern lassen und Christus immer ähnlicher werden.

Viele, die sich mit dem Buch Jona genauer befasst haben, haben bemerkt, dass Jona in der ersten Hälfte des Buchs den „verlorenen Sohn“ aus dem berühmten Gleichnis Jesu spielt, der von seinem Vater wegläuft (Lukas 15,11-24). In der zweiten Hälfte ähnelt er hingegen eher dem „älteren Bruder“ aus dem Gleichnis (Lukas 15,25-32), der seinem Vater treu dient, ihm aber seine Gnade gegenüber bußfertigen Sündern übel nimmt. Wo das Gleichnis von Jesus mit einer Frage des Vaters an den pharisäischen Sohn endet, endet das Buch Jona mit einer Frage an den pharisäischen Propheten.

Kapitel 1

Flucht vor Gott

1 Es kam das Wort des HERRN zu Jona, dem Sohn des Amittai: 2 „Steh auf, geh nach Ninive, der großen Stadt, und verkündige gegen sie, denn ihre Bosheit ist vor mein Angesicht gekommen.“ 3 Doch Jona stand auf, um vor dem Angesicht des HERRN weg nach Tarschisch zu fliehen. (Jona 1,1-3a)4

Ein ungewöhnlicher Bote

Unsere Geschichte beginnt damit, dass „das Wort des HERRN“ zu Jona kommt. Diese Formulierung ist üblich als Einleitung für einen Bericht über einen der biblischen Propheten. Gott benutzte diese Propheten vor allem in Krisenzeiten, um seine Worte und Botschaften an Israel zu überbringen. Doch bereits im 2. Vers werden die ursprünglichen Leser gemerkt haben, dass dieses Prophetenbuch ganz anders war als die, die ihnen vertraut waren. Gott befiehlt Jona, „nach Ninive, der großen Stadt“ zu gehen und gegen sie zu predigen. Dies war gleich in mehrfacher Hinsicht ein Schock.

Der erste Schock war, dass hier ein hebräischer Prophet aufgefordert wird, Israel zu verlassen und in eine heidnische Stadt zu reisen. Bis jetzt hatte Gott seine Propheten nur zu seinem eigenen Volk geschickt. Jeremia, Jesaja und Amos verkündigten zwar ein paar prophetische Botschaften an heidnische Länder, doch die waren kurz, und keiner dieser Propheten musste sich selbst in diese Länder begeben. So etwas wie diesen Auftrag an Jona hatte es noch nie gegeben.

Ein noch größerer Schock ist die Warnung, die der Gott Israels vor dem Untergang an Ninive, die Hauptstadt des Assyrischen Reiches sendete. Assyrien war eines der grausamsten und gewalttätigsten Reiche der Antike. Seine Könige ließen ihre militärischen Siege oft dokumentieren und weideten sich an den mit Leichen übersäten Schlachtfeldern und niedergebrannten Städten. Der berühmte Herrscher Salmanassar III. ist besonders durch große Steinreliefs bekannt, die detaillierte Folterszenen und zerstückelte und enthauptete Feinde abbilden. Die Geschichte Assyriens ist „so blutrünstig und grauenvoll wie kaum etwas anderes, was wir kennen.“5 Wenn sie Feinde gefangen genommen hatten, schlugen die Assyrer ihnen mit Vorliebe beide Beine und einen Arm ab, damit sie dem sterbenden Opfer zynisch die verbliebene Hand schütteln konnten. Freunde und Verwandte wurden gezwungen, die abgeschlagenen Köpfe ihrer hingerichteten Lieben öffentlich auf Stangen durch die Straßen zu tragen. Die Assyrer rissen den Menschen die Zunge heraus und streckten die Leiber der Gefangenen mit Seilen, um ihnen anschließend bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen, die darauf an der Stadtmauer aufgehängt wurde. Sie verbrannten Jugendliche bei lebendigem Leib.6 Diejenigen, die die Zerstörung ihrer Städte überlebten, wurden auf grausame Art versklavt. Man bezeichnete das Assyrische Reich daher auch als einen „Terrorstaat“.7

Die Assyrer begannen während der Herrschaft des Königs Jehu (842–815 v. Chr.), dem Nordreich Israel hohe Tributzahlungen aufzuerlegen und auch während der gesamten Lebenszeit Jonas fuhren sie fort, Israel zu bedrohen. 722 v. Chr. fielen sie schließlich in Israel ein und zerstörten es samt seiner Hauptstadt Samaria.

Gerade diese Nation ist nun das Ziel von Gottes missionarischem Auftrag an Jona! Gott befiehlt ihm, gegen Ninive wegen seiner großen Bosheit zu „verkündigen“. Dennoch wusste Jona (4,1-2), dass es für Gott keinen Grund gegeben hätte die Stadt zu warnen, wenn nicht die Möglichkeit bestand, dass das Gericht noch abgewendet werden konnte. Aber wie konnte ein guter Gott einem solchen Volk auch nur die kleinste Chance auf Gnade geben? Warum, um alles in der Welt, sollte Gott den Erzfeinden seines Volkes helfen?

Doch das, was vielleicht am meisten überrascht, ist die Identität dessen, den Gott da sendet. Es ist Jona, der „Sohn des Amittai“. Mehr erfahren wir nicht über Jona, was bedeutet, dass wir auch nicht mehr Hintergrundwissen benötigen. In 2. Könige 14,25 lesen wir, dass Jona in der Regierungszeit von König Jerobeam II. von Israel (786–746 v. Chr.) wirkte. Dort erfahren wir auch, dass er – anders als die Propheten Amos und Hosea, die das Königshaus wegen seiner Ungerechtigkeit und Untreue zu Gott kritisierten – Jerobeams aggressive Militärpolitik zur Ausdehnung der Macht und des Einflusses Israels unterstützte. Die ursprünglichen Leser des Buchs Jona werden ihn als patriotischen Nationalisten in Erinnerung gehabt haben.8 Sie werden darüber gestaunt haben, dass Gott einen Mann wie Jona ausgerechnet zu dem Volk schickte, das er am meisten fürchtete und hasste.

Nichts an Jonas Auftrag ergab Sinn. Fast konnte man ihn als bösartiges Komplott deuten. Wenn ein Israelit auf diese Idee gekommen wäre, man hätte ihn bestenfalls geächtet und schlimmstenfalls hingerichtet. Wie konnte Gott von jemandem verlangen, die Interessen seines Landes derart zu verraten?

Gottes Auftrag verweigern

In einer ganz bewussten Parodie des Rufes Gottes: „Steh auf, geh nach Ninive“, steht Jona tatsächlich auf und geht – aber in die entgegengesetzte Richtung (Vers 3). Man nimmt an, dass Tarschisch am äußersten westlichen Rand der damals den Israeliten bekannten Welt lag.9 Kurz gesagt: Jona tat das genaue Gegenteil von dem, was Gott ihm befohlen hatte. Gott hatte ihn nach Osten gerufen, Jona ging nach Westen. Der Weg nach Osten führte über Land, Jona fuhr über das Meer. In die große Stadt geschickt, kaufte er stattdessen eine Fahrkarte ans Ende der Welt.

Warum verweigerte Jona den Gehorsam? Genaueres über seine Gedanken und Motive wird Jona selbst uns später mit eigenen Worten mitteilen. Fürs Erste lädt uns der Text ein, uns selbst Gedanken zu machen, und wir können uns vorstellen, dass der Auftrag für Jona weder praktisch noch theologisch Sinn ergab.

Hier wie später nennt Gott Ninive die „große“ Stadt, und sie war in der Tat groß, ein militärisches und kulturelles Megazentrum. Warum sollten ihre Bewohner auf jemanden wie Jona hören? Wie lange hätte ein jüdischer Rabbi sich halten können, der 1941 mitten in Berlin auf offener Straße eine Bußpredigt an die Nazis gehalten hätte? Praktisch gesehen waren Jonas Erfolgsaussichten gleich null, das Risiko zu sterben hoch.

Auch auf theologischer Ebene muss es für Jona unmöglich gewesen sein, einen Sinn in seinem Auftrag zu sehen. Erst vor einigen Jahren hatte der Prophet Nahum vorhergesagt, dass Gott Ninive wegen seiner Bosheit zerstören würde.10 Für Jona wie für ganz Israel muss Nahums Vorhersage durchaus Sinn ergeben haben. War Israel nicht Gottes erwähltes und geliebtes Volk, durch das er seinen Plan in der Welt ausführte, und war Ninive nicht eine durch und durch böse Gesellschaft, die sich auf Kollisionskurs mit dem Herrn befand? War Assyrien nicht selbst nach damaligen Maßstäben außergewöhnlich gewalttätig und unterdrückerisch? Natürlich würde Gott es zerstören, das war doch klar und (wie Jona gedacht haben muss) beschlossene Sache. Warum dann dieser Auftrag? Würde seine erfolgreiche Ausführung nicht Gottes eigene Verheißungen zunichtemachen und Nahum als falschen Propheten dastehen lassen? Wie, um alles in der Welt, konnte dieser Auftrag gerechtfertigt sein?

Gott misstrauen

Jona hatte also ein Problem mit dem Job, den er bekommen hatte. Aber ein noch größeres Problem hatte er mit demjenigen, der ihm den Job gegeben hatte.11 Jonas Schlussfolgerung war: Wenn er keine guten Gründe für Gottes Befehl sehen konnte, konnte es auch keine geben. Jona hatte Zweifel an Gottes Güte, Weisheit und Gerechtigkeit.

Wir alle haben so etwas schon erlebt. Wir sitzen im Sprechzimmer unseres Arztes und sind schockiert von den Untersuchungsergebnissen. Unsere nächste Bewerbung ist gescheitert, und wir fragen uns, ob wir je noch einmal den ersehnten Arbeitsplatz finden werden. Wir fragen uns, warum die scheinbar perfekte Beziehung – die, nach der wir so lange gesucht hatten und die wir schon nicht mehr für möglich gehalten hatten – auf einmal doch wieder in die Brüche geht. Und wir denken: Wenn es einen Gott gibt, dann weiß er nicht, was er tut! Und wenn wir uns mal von unseren Lebensumständen wegwenden und uns mit den Lehren der Bibel befassen, dann scheint es, vor allem für moderne Menschen, dass auch die Bibel voll von Behauptungen ist, die nicht viel Sinn ergeben.

Wenn dies geschieht, müssen wir uns entscheiden: Weiß Gott, was das Beste ist, oder wissen wir es selbst am besten? Wenn wir unserem menschlichen Herzen folgen, dann kommen wir zu der Schlussfolgerung, dass wir es wissen. Wir bezweifeln, dass Gott gut ist oder dass er es gut mit uns meint, und wenn wir keine guten Gründe für das sehen, was Gott gerade sagt oder tut, dann gehen wir davon aus, dass es eben auch keine gibt.

Das ist genau das, was Adam und Eva im Garten Eden taten. Das erste Gebot, das Gott den Menschen gegeben hat, lautete: „Du darfst die Früchte aller Bäume im Garten essen. Nur von dem Baum, der zur Erkenntnis von Gut und Böse führt, darfst du nicht essen. Sobald du das tust, wirst du sterben!“ (1. Mose 2,16-17). Da war die Frucht, und sie sah „gut zu essen“ aus, war eine Augenweide und „verlockend“ (1. Mose 3,6) – und Gott hatte keinen Grund genannt, warum es falsch war, sie zu essen. Und so kamen Adam und Eva zu dem Schluss, dass, wenn sie sich keinen guten Grund für ein Gebot Gottes vorstellen konnten, es keinen geben konnte – so wie viele Jahre später Jona auch. Sie konnten nicht darauf vertrauen, dass Gott das Beste für sie wollte. Und so aßen sie die Frucht.

Zwei Arten, Gott davonzulaufen

Jona flieht – weg von Gott. Aber wenn wir einen Augenblick innehalten und das Buch als Ganzes anschauen, dann zeigt es uns zwei unterschiedliche Strategien, wie man von Gott weglaufen kann. Paulus skizziert sie auch in Römer 1–3.

Paulus spricht dort zuerst von solchen Menschen, die Gott ganz offen ablehnen und für die gilt: „Es gibt keine Art von Unrecht, Bosheit, Gier oder Gemeinheit, die bei ihnen nicht zu finden ist“ (Römer 1,29). Doch dann, in Kapitel 2, wendet er sich denen zu, die versuchen, nach der Bibel zu leben. „Du fühlst dich sicher, weil du das Gesetz hast, und bist stolz darauf, den wahren Gott zu kennen. Du kennst seinen Willen und hast ein sicheres Urteil in allen Fragen, bei denen es um Gut und Böse geht, weil du dich im Gesetz auskennst“ (Römer 2,17-18). Und dann, nachdem er sich sowohl die unmoralischen Heiden als auch die hochmoralischen Juden, die ihre Bibel kennen, angesehen hat, zieht er das bemerkenswerte Resümee: „Keiner ist gerecht, auch nicht einer. […] Alle sind vom richtigen Weg abgewichen“ (Römer 3,10-12). Die einen versuchen eifrig, Gottes Gesetz zu befolgen, und die anderen lassen es links liegen, aber beide „sind vom richtigen Weg abgewichen.“ Beide, jeder auf seine eigene Art, rennen sie von Gott weg. Wir alle wissen, dass man sich von Gott abwenden kann, indem man unmoralisch und gottlos wird, aber Paulus sagt, dass es auch dadurch möglich ist, dass man superreligiös und hochmoralisch wird.

In den Evangelien gibt es ein klassisches Beispiel für diese beiden Methoden, Gott davonzulaufen. Wir finden es in Lukas 15, in dem Gleichnis von den beiden Söhnen.12 Der jüngere Sohn flieht vor der Kontrolle seines Vaters, indem er sich das Erbe ausbezahlen lässt, sein Zuhause verlässt, gegen die Werte des Vaters rebelliert und gerade so lebt, wie es ihm gefällt. Der ältere Sohn bleibt zu Hause und gehorcht seinem Vater in allem, aber als sein Vater mit dem Rest seines Vermögens etwas tut, was dem Sohn missfällt, wird er zornig auf ihn, und es wird deutlich, dass im Grunde auch er seinen Vater nicht liebt.

Der ältere Sohn gehorchte seinem Vater nicht aus Liebe, sondern eigentlich nur, um gut vor ihm dazustehen und Punkte zu sammeln, um Macht über ihn zu bekommen, sodass der Vater wiederum nach seinem Willen handeln würde. Beide Söhne vertrauten der Liebe ihres Vaters nicht. Beide versuchten, sich von ihm frei zu machen – der eine, indem er alle Gebote des Vaters missachtete, der andere, indem er sie peinlich genau einhielt.

Hazel Motes, einer der Protagonisten aus einem Roman der amerikanischen Schriftstellerin Flannery O’Connor, weiß: „Wer Jesus aus dem Weg gehen will, muss der Sünde aus dem Weg gehen.“13 Wir glauben dann, dass wir, wenn wir schön fromm und tugendhaft sind, sozusagen das Unsere getan haben. Jetzt kann Gott nichts mehr von uns verlangen, sondern ist jetzt im Gegenteil unser Schuldner, der unsere Gebete erhören und uns segnen muss. Das ist keine Hinwendung zu Gott in Liebe, Freude und Hingabe, sondern eine Methode, ihn zu kontrollieren und ihn immer auf Abstand zu halten.

Diese zwei Arten, vor Gott davonzulaufen, gehen beide von der Lüge aus, dass Gott es nicht gut mit uns meint. Wir glauben, ihn dazu zwingen zu müssen, uns das zu geben, was wir brauchen. Wir mögen ihm rein äußerlich gehorchen, aber wir tun das nicht für ihn, sondern für uns. Wenn wir dann den Eindruck haben, dass er unseren Gehorsam nicht gebührend belohnt und uns vorenthält, was wir doch verdient hätten, dann kann die ganze Fassade von Moralität und Rechtschaffenheit, die wir uns aufgebaut haben, ganz schnell in sich zusammenbrechen. Nachdem wir uns so lange innerlich von Gott distanziert haben, schlägt das nun in den offenen Aufstand gegen ihn um. Wir werden zornig und laufen voller Wut von ihm weg.

Im Alten Testament ist Jona das klassische Beispiel dieser beiden Methoden, von Gott wegzulaufen. Jona ist erst der „jüngere Sohn“ aus dem Gleichnis und dann der „ältere“. In den ersten beiden Kapiteln ist Jona dem Herrn ungehorsam und läuft davon, besinnt sich dann aber eines Besseren und kommt reumütig zurück, wie der jüngere Sohn in dem Gleichnis. Und dann, in den letzten beiden Kapiteln, gehorcht er Gottes Auftrag, Ninive zu predigen, und wird so zu dem älteren Sohn. Doch beide Male versucht er, selbst die Kontrolle über das Geschehen zu bekommen.14 Als Gott die Buße der Menschen von Ninive akzeptiert, ist Jona – wie der ältere Sohn in Lukas 15 – selbstgerecht und zornig darüber, dass Gott den Sündern so gnädig ist.15

Genau hier zeigt sich Jonas Problem: das Geheimnis der Gnade Gottes. Es ist ein theologisches Problem, aber auch ein Herzensproblem. Solange Jona blind dafür ist, dass auch er ein Sünder ist, der allein durch die Gnade Gottes lebt, wird er nie begreifen, wie Gott gleichzeitig gnädig gegenüber bösen Menschen und trotzdem gerecht und treu sein kann. In der ganzen Geschichte von Jona mit all ihren Wendungen geht es letztlich darum, dass Gott Jona an die Hand nimmt oder ihn auch mal am Kragen packt und ihm diese Dinge zeigt.

Jona rennt und rennt. Aber was er auch anstellt und wie er seine Strategien auch ändert, der Herr ist ihm immer einen Schritt voraus. Auch Gott passt seine Strategien an, zeigt uns auf immer neue Arten seine Gnade, obwohl wir das weder verstehen noch verdienen.

Kapitel 2

Die Stürme der Welt

3 Er ging hinab nach Jafo, fand ein Schiff, das nach Tarschisch fuhr, bezahlte den Fahrpreis und stieg hinein, um mit ihnen nach Tarschisch zu fahren, weg vom Angesicht des HERRN. 4 Aber der HERR warf einen großen Wind auf das Meer, und es gab solch einen gewaltigen Sturm, dass das Schiff zu zerbrechen drohte. (Jona 1,3b-4)

Jona läuft davon, aber Gott lässt ihn nicht los. Der Herr „warf einen großen Wind auf das Meer“ (V. 4). Das Wort „werfen“ wird oft im Zusammenhang mit Waffen benutzt, z. B. einem Speer (vgl. 1. Samuel 18,11). Es ist ein anschauliches Bild von Gott, der einen gewaltigen Sturm auf das Meer um Jonas Schiff herum „wirft“. Es war ein „großer“ Wind; mit demselben Wort (hebr. gedola) wird Ninive in Vers 2 beschrieben. Wenn Jona sich weigert, in eine große Stadt zu gehen, bekommt er einen großen Sturm. Für uns ist das gleichzeitig eine ernste und eine tröstliche Botschaft.

Stürme durch Sünde

Die ernste Botschaft ist, dass jeder Akt des Ungehorsams gegen über Gott einen Sturm mit sich bringt. Dies ist eines der großen Themen der alttestamentlichen Weisheitsliteratur, besonders des Buchs der Sprüche. Wir müssen hier jedoch aufpassen. Es ist nicht so, dass jede Schwierigkeit, die wir erleben, die Strafe für eine bestimmte Sünde ist. Ein ganzes biblisches Buch – Hiob – beschäftigt sich damit, dass guten Menschen eben nicht immer nur Gutes widerfährt und dass nicht immer dann, wenn uns Böses geschieht, eine Sünde der Grund dafür sein muss. Die Bibel sagt nicht, dass jede Schwierigkeit die Folge von Sünde ist – sehr wohl aber, dass jede Sünde mich in Schwierigkeiten bringt.

Wir können nicht unseren Körper vernachlässigen und erwarten, kerngesund zu sein. Wir können nicht unsere Freunde vernachlässigen und erwarten, dass sie unsere Freunde bleiben. Wir können nicht unsere eigenen Interessen über das Gemeinwohl stellen und trotzdem eine gut funktionierende Gesellschaft erwarten. Wenn wir die Konstruktion und den Sinn der Dinge missachten – wenn wir gegen unseren Körper, unsere Beziehungen oder die Gesellschaft sündigen –, wird sich das rächen. Unser Verhalten hat Konsequenzen. Wenn wir die Gesetze Gottes verletzen, verletzen wir unser eigenes Wesen, denn Gott hat uns dazu geschaffen, ihn zu kennen, zu lieben und ihm zu dienen. Die Bibel redet manchmal davon, dass Gott Sünde bestraft („Der HERR verabscheut alle Hochmütigen […]. keiner von ihnen kommt ungestraft davon“, Sprüche 16,5), aber auch davon, dass die Sünde selbst uns bestraft („Ihre Gewalttätigkeit reißt die Gottlosen mit ins Verderben, denn sie wollen sich nicht an das Recht halten“, Sprüche 21,7). Beides ist wahr. Zu jeder Sünde gehört ein Sturm.

Der Alttestamentler Derek Kidner schreibt: „Sünde […] führt zu Rissen im Gebäude des Lebens, die unausweichlich zum Zusammenbruch führen müssen.“16 Allgemein formuliert: Wer lügt, wird meist selbst belogen, wer zuerst angreift, wird auch angegriffen, und wer von dem Schwert lebt, wird durch das Schwert sterben. Gott hat uns dazu erschaffen, vor allem anderen für ihn zu leben; das ist gleichsam die geistliche „Voreinstellung“ für unser Leben. Wenn wir unser Leben und unseren Sinn auf etwas anderes gründen als auf Gott, handeln wie gegen die Gesetzmäßigkeiten des Universums und gegen das, wozu Gott uns geschaffen hat.

Die Folgen von Jonas Ungehorsam sind unmittelbar und dramatisch: Ein heftiger Sturm überfällt ihn. Er kommt so plötzlich und wütet so stark, dass selbst die heidnischen Matrosen ahnen, dass hier etwas Übermenschliches im Spiel ist. Doch dies ist keineswegs die Norm. Meistens ähneln die Folgen der Sünde eher der Reaktion des Körpers auf eine gefährliche Dosis Strahlung. Zunächst spürt man rein nichts. Es ist nicht so, als ob plötzlich eine Kugel oder ein Schwert in den Körper dringt. Man fühlt sich ganz normal. Erst später spürt man die Symptome, doch dann ist es längst zu spät.

Die Sünde ist so was wie ein Angriff des Willens auf sich selbst. Es ist so ähnlich, wie wenn man Drogen nimmt. Zuerst fühlt man sich wunderbar, aber mit jedem Mal wird es schwieriger, nicht wieder etwas zu nehmen. Hier nur ein Beispiel: Wenn ich mich Rachegedanken hingebe, fühlt es sich erst richtig gut an, sich vorzustellen, wie man es dem anderen heimzahlen wird. Doch langsam, aber sicher versinke ich immer mehr im Selbstmitleid, ich verliere die Fähigkeit, zu vertrauen und Beziehungen zu genießen, und mein Alltagsleben wird immer grauer und unglücklicher. Sünde verhärtet mein Gewissen, schließt mich in dem Gefängnis meiner Selbstrechtfertigungen und Ausreden ein und frisst mich nach und nach von innen auf.

Zu jeder Sünde gehört ein heftiger Sturm. Das ist ein starkes Bild, denn selbst in unserer Welt, die technisch so fortgeschritten ist, können wir das Wetter immer noch nicht kontrollieren. Einen Sturm kann man nicht bestechen oder mit Argumenten und Worten beeindrucken. „[…] dann habt ihr gegen den HERRN gesündigt, und eure Sünde wird mit Sicherheit auf euch zurückfallen“ (4. Mose 32,2317).

Stürme in einer gefallenen Welt

Die düstere Botschaft ist, dass jede Sünde mit einem Sturm verbunden ist, aber es gibt auch eine tröstliche Botschaft. Für Jona war der Sturm die Folge seiner Sünde, aber der Sturm traf auch die Seeleute. Die meisten Stürme in unserem Leben sind nicht die Konsequenz einer bestimmten Sünde in unserem Leben, sondern die unvermeidliche Folge des Lebens in einer gefallenen Welt, die in Schieflage geraten ist. „Der Mensch wird zur Mühsal geboren, wie die Funken des Feuers emporfliegen“, heißt es in Hiob 5,718, und so ist die Welt voll von zerstörerischen Stürmen. Doch Jonas Sturm führt, wie wir gleich sehen werden, die Seeleute zu einem echten Glauben an den wahren Gott, obwohl nicht sie es waren, die ihn zu verantworten hatten. Und für Jona selbst ist er die erste Station auf seiner Reise zu einem neuen Verständnis der Gnade Gottes. Wenn Stürme in unser Leben kommen (ob nun als Folge unserer Sünden oder nicht), haben Christen die Verheißung, dass Gott diese Stürme zu ihrem persönlichen Besten benutzen wird (Römer 8,28).

Als Gott Abraham zu einem Mann des Glaubens machen wollte, der der Vater aller Gläubigen auf Erden werden würde, ließ er ihn viele Jahre lang umherziehen, mit Verheißungen, die sich scheinbar nie erfüllten. Als Gott Josef von einem arroganten, verwöhnten Teenager zu einem charakterfesten Mann machen wollte, ließ er ihn Jahre der Mühsal durchleben; er musste durch Sklaverei und ins Gefängnis gehen, bevor er sein Volk retten konnte. Und Mose musste, auf der Flucht vor den Ägyptern, vierzig Jahre in der Einsamkeit der Wüste verbringen, bevor er der Führer seines Volkes werden konnte.

Die Bibel sagt nicht, dass jede Schwierigkeit die Folge unserer Sünde ist – sehr wohl aber, dass für den Christen jede Schwierigkeit dazu beitragen kann, die Macht der Sünde über unser Herz zu verringern. Stürme können uns sensibel machen für Wahrheiten, die wir sonst nie sehen würden. Stürme können in uns Glauben, Hoffnung, Liebe, Geduld, Demut und Selbstbeherrschung wachsen lassen, wie nichts anderes das kann. Zahllose Menschen haben bezeugt, dass sie ewiges Leben und den Glauben an Christus nur deshalb gefunden haben, weil ein großer Sturm sie zu Gott trieb.

Auch hier müssen wir uns vor Schnellschüssen hüten. Die ersten Kapitel der Bibel zeigen uns, dass Gott die Welt und die Menschheit nicht erschuf, um sie Leiden, Krankheiten, Naturkatastrophen, das Altern und den Tod erleben zu lassen. Das Böse kam in die Welt, als wir uns von Gott abwandten. Gott hat sein Herz mit unserem so verbunden, dass es ihn zutiefst betrübt, wenn er all die Sünde und das Leiden in der Welt sieht (vgl. 1. Mose 6,6). „In all ihrer Bedrängnis war auch er bedrängt“ (Jesaja 63,919