Joseph von Baader - Michael Eckert - E-Book

Joseph von Baader E-Book

Michael Eckert

0,0

Beschreibung

Der Erfinder Joseph von Baader (1763–1835) war begeistert von den Errungenschaften der industriellen Revolution, die er bei ausgedehnten Aufenthalten in Großbritannien kennengelernt hatte. Um 1800 sorgte er für die Modernisierung der Eisenhütten in der Oberpfalz. Noch heute zeugen die hydraulischen Anlagen im Nymphenburger Schlosspark, mit denen mächtige Fontänen in die Höhe getrieben werden, von Baaders Ingenieurleistungen. Der Schlosspark diente ihm zudem als Versuchsfeld für die Demonstration anderer neuer Technologien wie Eisenbahn, Dampfmaschinen und Gaslicht. Im vorindustriellen Bayern waren seine Pläne jedoch meist zum Scheitern verurteilt. Das Leben dieses streitbaren Technikpioniers, das erfüllt war von hochfliegenden Erwartungen und bitteren Enttäuschungen, stellt dieser bebilderte Band vor - fundiert und unterhaltsam.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 203

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



kleine bayerische biografien

herausgegeben vonThomas Götz

MICHAEL ECKERT

Joseph von Baader

Technikpionier im vorindustriellen Bayern

kleine bayerische biografien

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seine großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und legte mehrere Veröffentlichungen, vor allem zu Stadt und Bürgertum in Bayern und Tirol im 18., 19. und 20. Jahrhundert, vor. Darüber hinaus arbeitet er im Museums- und Ausstellungsbereich.

Inhalt

Vorwort

1Der Sohn des Hofmedikus

Herkunft / Kindheit / Studium / Universität Ingolstadt / Studienaufenthalt in Göttingen / Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799)

2Schottische Eindrücke

Reise nach Großbritannien / Medizin als Vorwand / Schottische Aufklärer / Auftakt als Ingenieur / Baaders Gebläse / Eisenhütten in Großbritannien / Industrielle Förderer

3Gescheiterte Projekte

Intermezzo in Deutschland / Bestellung einer Dampfmaschine / Georg Reichenbach / Das Fiasko in Haigh / Wilsontown / Angebote in Preußen / Maschinen-Inspektor in München

4Maschinenwissen

Baaders Abhandlungen über Gebläse / Das Baadersche Gebläse im Praxiseinsatz / Streit um Anerkennung / Theorie und Praxis / Das Ausflussproblem / »Kabalen des Neides und der Eifersucht«

5Akademiker und Techniker

Die Bayerische Akademie der Wissenschaften / Nützliche Wissenschaft / Feuerspritzen / Kontakte nach Frankreich / Prüfung von Erfindungen / Ein Plan für ein U-Boot

6Ingenieurskunst für Nymphenburg und Versailles

Wasserkunst / Das Grüne Brunnhaus / Windkessel / Pläne für eine neue »Maschine von Marly« / Die Maschinen von Marly und Nymphenburg im Vergleich

7Streit beim Salinenwesen

Salz / Technik für die Salzgewinnung / Streit um Gradierungsverfahren / Utzschneider contra Baader / Streit mit Reichenbach

8Eisenbrücken und eiserne Kunststraßen

Gusseisen / Kontroversen beim Eisenbrückenbau / Bestätigung aus England / Eiserne Straßen / Baaders Denkschrift von 1812 / Modellversuche zur »fortschaffenden Mechanik« / Baaders Prachtwerk zur fortschaffenden Mechanik

9Dampfmaschinen

Pferdebahn contra Dampflokomotiven / Hochdruck-Dampfmaschinen / Polemik gegen Reichenbachs »Dampfklepper« / Baaders Dampfmaschinenversuche / Dampfräder

10Neue Technik im Schlosspark

Gaslicht / Gaslicht-Vorführungen im Schlosspark / Accums Gaslicht-Abhandlung / Gaslicht für die Residenz / Eisenbahnversuche im Schlosspark / Positive und negative Gutachten / Eisenbahn contra Kanal

11Auf verlorenem Posten

Streit mit Klenze / Ein Beschwerdebrief an den Kronprinzen / Das polytechnische Kabinett / Universitätsprofessor ohne Perspektive / Die Eisenbahnfrage spitzt sich zu / Der Ludwigskanal / Vorrang für das Kanalprojekt

12Die letzten Jahre

Mit der Eisenbahn zum Starnberger See / Die Donaumooskultivierung / Verbesserungen beim Feuerlöschwesen / Keine Spur von Altersmilde

13Das Urteil der Nachwelt

Anerkennung bei Zeitgenossen / Verkannter Eisenbahnpionier und vergessener Erfinder? / Zerrbilder

Anhang

Anmerkungen / Zeittafel / Literatur / Bildnachweis

Vorwort

Joseph von Baader (1763–1835) war ein bayerischer Erfinder. Als die Französische Revolution ausbrach, war er 26 Jahre alt. Da befand er sich auf Reisen in England und Schottland, um dort die neuen Hochöfen, Dampfmaschinen und andere Technologien des anbrechenden Industriezeitalters zu studieren. Nach sieben Wanderjahren in Großbritannien trat er 1794 als »Maschineninspektor« in die Dienste des kurpfalz-bayerischen Hofes. Kurz danach wurde er Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, wo er sich – immer mit Blick auf die Entwicklungen im Land der Hochöfen und Dampfmaschinen – als Experte auf dem Gebiet des Maschinenwesens einiges Ansehen erwarb.

Das Kurfürstentum Bayern, das 1806 von Napoleon zum Königreich befördert wurde, war an dieser Zeitenwende aber alles andere als ein idealer Nährboden, auf dem sich die Industrielle Revolution ausbreiten konnte. So gesellten sich zu den Erfolgen, die Baader als Erfinder von Feuerspritzen, Pumpen und anderer neuer Technik verbuchen konnte, immer mehr Enttäuschungen. Seinem Hauptanliegen, dem Lastentransport auf Eisenschienen als Alternative zu schiffbaren Kanälen, konnte er nicht zum Durchbruch verhelfen. Er ließ sich durch das Scheitern seiner Pläne aber nicht entmutigen. In zahlreichen, auch öffentlich ausgetragenen Kontroversen zeigte er sich als ein streitbarer und wortgewaltiger Zeitgenosse. Wer an seinen Bestrebungen Kritik übte, den überschüttete er mit Spott und Häme. Selbst in seinem Nachruf ist noch davon die Rede, dass die Auseinandersetzungen mit seinen Kontrahenten »nicht immer mit derjenigen Zartheit geführt wurden, mit welcher wissenschaftliche Meinungen verteidigt und bestritten werden sollten«.1

Während Joseph von Baader (das »von« kam 1813 in seinen Namen) für seine Zeitgenossen also kein Unbekannter war, geriet er nach seinem Tod bald in Vergessenheit. Dass man sich im 20. Jahrhundert wieder an ihn erinnerte, lag an seinem frühen Eintreten für den Schienentransport. »Joseph Ritter von Baader, ein bayerischer Journalist und Vorkämpfer des deutschen Eisenbahnwesens«, so lautete der Titel einer Dissertation aus dem Jahr 1933, die ihn zum »deutschen« Eisenbahnpionier küren wollte. Es sei »eine dankbare nationale Pflicht, wenn wir Deutsche uns heute gerade wieder jener Männer erinnern, die schon deutsch in ihrem Herzen fühlten und dachten, als man von einem Nationalbewusstsein noch recht wenig wusste.2« Auch der kurze Eintrag zu Joseph von Baader in der Neuen Deutschen Biographie war »seinem unermüdlichen Eintreten für den Bau von Eisenbahnen« geschuldet.3 In späteren Darstellungen standen Baaders Eisenbahnpläne ebenfalls im Zentrum, auch wenn sie dabei zunehmend kritisch unter die Lupe genommen wurden.4 Sein Wirken in anderen Technikbereichen stieß im Vergleich dazu auf wenig Interesse, was ihm den Ruf als »vergessener bayerischer Erfinder«5 einbrachte.

In diesem Buch soll Joseph von Baader nicht für die eine oder andere bislang zu kurz gekommene Errungenschaft auf den Sockel gehoben werden, sondern vielmehr als Ingenieur im Umfeld der zeitgenössischen Technik beleuchtet werden. Dass dies keine umfassendere, auch die privaten Lebensumstände einschließende Biografie sein kann, ist in erster Linie dem Fehlen eines Nachlasses geschuldet. Baaders Witwe hat die gesamte Hinterlassenschaft nach seinem Tod einem Ingenieur aus Ungarn übergeben; seitdem ist der Nachlass verschollen.6 Es fehlt auch an Quellen, die über das Private hinaus Einblicke in den beruflichen Alltag gewähren. Was in öffentlichen Archiven noch erhalten ist, liefert nur hier und da nähere Aufschlüsse. Ministerialakten, aus denen Baaders gespanntes Verhältnis zum bayerischen Finanzministerium deutlich geworden wäre, sind zum großen Teil im Zweiten Weltkrieg verbrannt.7 Dennoch begegnet uns Baader selbst in den technischen Schriften seiner Zeit und in manch amtlichen Quellen auch als Mensch mit bisweilen sehr starken Gefühlen. Seine zahlreichen Veröffentlichungen und das in verschiedenen Archiven noch vorhandene Quellenmaterial erlauben es, sein Wirken als Ingenieur, Wissenschaftler und streitbarer Publizist im Rampenlicht der zeitgenössischen Presse darzustellen. Gleichzeitig sind die oft polemisch geführten und öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen auch Belege für kontrovers diskutierte Erfindungen wie Dampfmaschinen, Eisenbrücken und andere Erzeugnisse aus der Frühzeit des Industriezeitalters. Sie zeigen Baader in seinem Bestreben, technischen Neuerungen in Bayern zum Durchbruch zu verhelfen. Dass er dabei meist auf verlorenem Posten stand, provoziert auch Fragen nach den tieferliegenden Gründen für den technologischen Wandel im vorindustriellen Bayern. Da er seine entscheidenden Lehr- und Wanderjahre in England und Schottland zugebracht hatte, stellt sich vor allem die Frage nach einem Wissens- und Techniktransfer vom Mutterland der Industrialisierung nach Bayern. Wie verbreitete sich das Wissen um neue Maschinen von den Zentren der Industriellen Revolution in ein Land an der Peripherie des technischen Fortschritts? Es gibt also viele Gründe, die eine nähere Beschäftigung mit Baader lohnend erscheinen lassen. Seine Biografie zeigt, wie die Vorboten des Industriezeitalters in Bayern wahrgenommen wurden. Die Technikgeschichte hat bislang mehr die Verhältnisse in den Zentren der Industriellen Revolution in den Blick genommen und Ländern wie Bayern weniger Beachtung geschenkt. Auch für die auf Bayern spezialisierten Historiker gehörte die Technikentwicklung nicht zu den vordringlichen Forschungsfeldern. Unter den Aufsätzen in der Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte zählen technikhistorische Artikel zu den Ausnahmen. Es gibt auch kaum Biografien herausragender bayerischer Ingenieure. Hier soll am Beispiel Baaders – möglichst authentisch anhand zeitgenössischer Quellen – das Bild von der Zeitenwende um 1800 aus technikhistorischer Perspektive und mit Blick auf ein Land wie Bayern schärfere Konturen gewinnen.

Die Arbeit an diesem Buch wäre ohne die Münchner Bibliotheken und Archive nicht möglich gewesen. Mein besonderer Dank gilt daher zuallererst den dort beschäftigten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die mir auch bei mühsamen Recherchen oft den Weg zu einschlägigen Quellen aufgezeigt haben. Auch meinen Kollegen im Forschungsinstitut des Deutschen Museums möchte ich an dieser Stelle besonders danken: Sie haben für ein Umfeld gesorgt, in dem wissenschafts- und technikhistorische Forschung mehr als nur eine Beschäftigung mit exotischen Themen ist.

München, im Sommer 2022

Michael Eckert

1Der Sohn des Hofmedikus

HERKUNFT

Joseph Baader kam am 30. September 1763 in München zur Welt. Im Jahr seiner Geburt ging der Siebenjährige Krieg zu Ende, in den fast alle europäischen Staaten verwickelt waren. Der bayerische Kurfürst Max III. Joseph (1727–1777) hatte sein Land aus diesem Krieg jedoch weitgehend herausgehalten. Er wollte vor allem als Förderer von Wissenschaft und Kunst in die Geschichte eingehen. In seine Regierungszeit fällt die Gründung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, die einen Gegenpol zu der von Jesuiten dominierten Landesuniversität in Ingolstadt darstellen sollte.8 Mit einer Behördenreform sorgte der Kurfürst auch für eine engere Bindung der Beamten an den kurfürstlichen Hof. Wie beim Preußenkönig Friedrich II., den Max III. Joseph bewunderte, stand über allem die Staatsräson. »Der König wie der Kurfürst öffnete sich den Forderungen der Aufklärung nur insoweit, als diese an ihrer Stellung keine Abstriche machten«, so bewertet eine historische Studie diesen »Reformabsolutismus«.9

Der Dienst in der kurfürstlichen Verwaltung des Staates war schon für die Vorfahren von Joseph Baader seit Generationen prägend. Väterlicherseits lassen sich die Wurzeln bis zu einem Urgroßvater aus Straubing zurückverfolgen. Der Großvater hieß wie der Urgroßvater ebenfalls Joseph und zählte wie andere Vorfahren aus der väterlichen Linie zur gehobenen Schicht von Beamten in der Verwaltung des kurfürstlichen Staatswesens. Der Vater, Joseph Franz von Paula Baader (1733–1794), gehörte zum engeren Kreis der kurfürstlichen Beamten. Er war Mitglied im Münchner »Medicinalcollegium«, einer höfischen Gesundheitsbehörde, und seit 1775 »dritter Leibmedicus« des Kurfürsten. Josephs Mutter, Maria Dorothea Rosalia von Schöpf (1742–1829), war die Tochter eines Hofmalers aus Straubing. Sie war die zweite Frau des Hofarztes – die erste starb 1761 bei der Geburt einer Tochter – und brachte drei weitere Töchter und zehn Söhne zur Welt. Von den vierzehn Kindern starben jedoch sechs, noch bevor sie das Erwachsenenalter erreichten. Über Josephs Schwestern ist wenig bekannt. Der Nachwelt überliefert sind nur sporadische Quellen über drei von Josephs Brüdern: den ein Jahr älteren Clemens Alois (1762–1838), den zwei Jahre jüngeren und berühmt gewordenen Franz Xaver (1765–1841) und den zehn Jahre jüngeren Matthias Johann (1773–1824).10

KINDHEIT

Als Sohn eines hohen kurfürstlichen Beamten dürfte es Joseph in seiner Kindheit an nichts gefehlt haben. Über seine Schulausbildung ist allerdings nichts bekannt. Sein Name fehlt in den Listen der Absolventen des einzigen Münchner Gymnasiums jener Jahre, das heutige Wilhelmsgymnasium, das von seinem jüngeren Bruder Matthias sowie einer Vielzahl Münchner Berühmtheiten besucht wurde.11 Wahrscheinlich wurde Joseph wie sein Bruder Franz von Hauslehrern unterrichtet, die sich am zeitgenössischen Lehrplan der Gymnasien orientiert haben dürften. Das öffentliche Schulwesen im kurfürstlichen Bayern stand unter Max III. Joseph wie andere Bereiche unter Reformdruck, was aber wenig am Monopol der katholischen Kirche für den ganzen Bildungsbereich änderte. Heinrich Braun (1732–1792), der namhafte Reformer des Schulsystems in Bayern, stand als Benediktinermönch fest auf dem Boden der katholischen Kirche. Braun trat zwar für einen stärker an der Lebenswirklichkeit orientierten Unterricht ein, aber auch in seinem Reformplan aus dem Jahr 1777 war in allen Klassen der bayerischen Gymnasien »Christentum und Sittenlehre« eine von vier tragenden Säulen; die drei anderen waren »Sprachen« (Deutsch, Latein, Griechisch), »Historie und Geographie« sowie »Philosophische und mathematische Anfangsgründe«. Nach dem Tod Max III. Joseph im selben Jahr erlahmte der Reformeifer. Sein Nachfolger, der von Jesuiten erzogene Kurfürst Karl Theodor (1724–1799), erließ 1782 eine neue Schulordnung, nach der die Schulen vor allem »rechtschaffene Christen, brauchbare Bürger, und Diener des Staates« heranziehen sollten.12

STUDIUM

Um diese Zeit waren Joseph und seine beiden Brüder Clemens und Franz bereits Studenten an der Landesuniversität in Ingolstadt, die nicht weniger als das Münchner Gymnasium von Jesuiten geprägt war. Das Verbot des Jesuitenordens im Jahr 1773 führte in der theologischen und philosophischen Fakultät zu Reformen, aber kaum zu personellen Veränderungen, da man für die vielen Jesuiten im Lehrkörper der Universität nicht auf einen Schlag geeigneten Ersatz finden konnte. Clemens dürfte als Student der Philosophie und Theologie die Nachwehen des Jesuitenverbots direkter verspürt haben als Joseph und Franz, die sich beide 1781 zum Studium der Medizin nach Ingolstadt begaben. Clemens absolvierte 1785 das Doktorexamen in Philosophie und Theologie; danach ließ er sich in Freising zum katholischen Priester weihen. Neben seiner theologischen Tätigkeit machte er sich vor allem als Autor von Reisebeschreibungen und Rezensionen einen Namen. Sein biografisches Werk Das gelehrte Baiern ist bis heute eine wichtige Quelle bayerischer Geschichte.13 Joseph und Franz folgten dem Wunsch des Vaters und studierten Medizin. Nach der Beschreibung, die Clemens von seinem Vater als Hofmedikus gab, war er »ein ungemein tätiger Mann« und »seiner vortrefflichen medicinischen Praxis wegen sehr berühmt«.14 Da ist es kaum verwunderlich, dass er seine Söhne zum Medizinstudium nach Ingolstadt schickte, wo er selbst 1758 den Doktorgrad in Medizin erworben hatte.

Der Leibarzt in München betrachtete die medizinische Ausbildung seiner Söhne in Ingolstadt nicht als ausreichend, obwohl ihnen nach einem zweijährigen Studium in Botanik, Physiologie, Anatomie, Chemie, Chirurgie und »materia medica« ein überdurchschnittlicher Studienerfolg attestiert wurde.15 Wie Franz Baaders Biograf berichtet, schickte der Vater 1783 Joseph und Franz nach Wien, wo sie »unter der Anleitung des berühmten Stoll« ihre medizinischen Kenntnisse erweitern sollten.16 Maximilian Stoll (1742–1787) lehrte als Professor an der Universität Wien. In einem Reisebericht aus dem Jahr 1781 wird Stoll vor allem als ein begnadeter Lehrer gelobt. »Bei der medicinischen praktischen Lehrschule, der er vorstehet, hat er schon ungemeinen Nutzen gestiftet. Jedes jungen Arztes, der Kenntnis mit Lehrbegierde verbindet, nimmt er sich mit unermüdetem Eifer an.«21 In einem biografischen Lexikon wird Stolls Bedeutung in der Medizingeschichte noch mehr als hundert Jahre später anerkannt.22

Universität Ingolstadt

Aus der Geschichte der Universität Ingolstadt lassen sich Beispiele dafür anführen, dass der Geist der Aufklärung auch vor den Türen dieser Jesuitenhochburg nicht Halt machte.17 Ihre Blütezeit hatte sie jedoch lange vor dem Zeitalter der Aufklärung als geistiges Zentrum der Gegenreformation erlebt. Früher habe Ingolstadt als »Musensitz« gegolten, fand ein kritischer Zeitgenosse 1784 auf einer Reise durch den Baierischen Kreis, die Universität sei »weit und breit berühmt« gewesen, »allein, seit dem die Wissenschaften ausgebreitet werden, und eine gefälligere Gestalt gewinnen, ist sie sehr in Vergessenheit und Verfall gekommen«. Ingolstadt war nicht nur Universitäts-, sondern auch Garnisonsstadt, und Prügeleien zwischen Soldaten und Studenten scheinen an der Tagesordnung gewesen zu sein. Sie endeten nicht selten »mit Blutvergüßen, mit Wunden und Tod«. Der Ort selbst wird als »klein, arm, nicht sehr gesund« beschrieben, »ohne Hof, ohne Noblesse, ohne Theater, sogar ohne Buchhandlung«. Die Professoren an der Universität seien zwar »geschickte und fleißige Männer«, aber keiner von ihnen habe ein so großes Ansehen wie ihre Kollegen in Wien und Göttingen. Nicht von ungefähr sei die Zahl der Studenten zurückgegangen, was die Regierung in München zu dem »Edikt« veranlasst habe, »dass kein junger Baier zu irgend einer öffentlichen Würde oder Amt sowohl beim Zivile als beim geistlichen Stand gelangen könne, wenn er nicht seine Studien in Ingolstadt absolviert, und dort den Gradum als Lizentiat, oder Doktor genommen habe«. Deshalb kämen die angehenden bayerischen Staatsdiener nur nach Ingolstadt, »um da zu absolvieren«, den Großteil ihres Studiums würden sie an attraktiveren Orten wie Salzburg oder Wien zubringen.18 Was der Zeitgenosse bei seiner Reise durch den Baierischen Kreis zu Papier brachte, muss nicht in allen Einzelheiten die Ingolstädter Verhältnisse während der Studienzeit der Baader-Brüder widerspiegeln. Ein ortsansässiger Bürger jedenfalls ärgerte sich gehörig über die Unverschämtheit, mit der dieser Reiseschriftsteller seine Stadt und die Universität »ganz mit ungleichen Farben abgeschildert« habe.19 Zu den Professoren der medizinischen Fakultät in Ingolstadt, bei denen Joseph und Franz Vorlesungen hörten, zählte zum Beispiel Heinrich Palmatius Leveling (1742–1798), der auch als Akademiemitglied und Autor medizinischer Werke große Anerkennung genoss. Dennoch führte die Medizinische Fakultät an der Universität Ingolstadt als kleinste von vier Fakultäten eher ein Schattendasein. Im späten 18. Jahrhundert studierten dort kaum mehr als 20 Studenten pro Jahr.20

Der Studienaufenthalt in Wien dürfte Joseph und Franz Baader den Blick geweitet haben, nicht nur was die Medizin betrifft. Dennoch kamen sie 1785 wieder nach Ingolstadt, um dort ihr Studium mit dem Doktorgrad der Medizin abzuschließen. Dann kehrten sie nach München zurück und assistierten ihrem Vater als Praktikanten. Für Franz muss dies ein qualvoller Übergang in den ärztlichen Berufsalltag gewesen sein, denn »der junge Doctor«, so berichtet sein Biograf, »wurde von den Leiden seiner Kranken stets so ergriffen, dass die weitere Verfolgung dieser Laufbahn ihm zur Unmöglichkeit wurde.«23 Auch Joseph praktizierte nach dem Doktorexamen nur kurz an der Seite seines Vaters.24 Der Hofmedikus muss schnell zur Einsicht gekommen sein, dass Joseph ebenso wie Franz noch zu jung für die medizinische Praxis waren. Er bat den Kurfürsten, seinen beiden Söhnen »auf zwei Jahre jedem eine jährliche Pension von 200 f. bis auf unsere weitere Versorgung und Bedienstung auszusprechen.«25 Derartige Vorleistungen für hoffnungsfrohe Landeskinder, die sich als Anwärter für einen Dienst im Hofstaat weiter qualifizieren wollten, waren nicht ungewöhnlich. Joseph trat mit dem kurfürstlichen Stipendium schon im Sommer 1786 »seine Reise in die liebe weite Welt« an, wie Franz einem Freund schrieb. Er selbst liebäugelte mit einer »Bergwerksreise«, um danach »Kurfürstl. Bergbeamter« zu werden.26

STUDIENAUFENTHALT IN GÖTTINGEN

Für Joseph wurde Göttingen die erste Station einer Bildungsreise, die ihn seinem ursprünglichen Studienfach mehr und mehr entfremdete. Er ging zwar »nach der Absicht seines Vaters zur Fortsetzung seines Studiums der Medizin nach Göttingen«, aber er dürfte dabei schon andere Absichten gehegt haben. Wie der Biograf von Franz Baader berichtet, habe Joseph nur dem »Vater zu Gefallen« und »gegen seine Neigung« Medizin studiert.27 In Göttingen begnügte sich Joseph jedenfalls nicht nur mit Medizinvorlesungen. Die Göttinger Universität war auch mit Blick auf andere Studienfächer hoch angesehen. Sie zählte zu den größeren Universitäten in Europa und galt als ein »Musterprojekt der Aufklärung«.28 Es dürfte Joseph nicht allzu schwergefallen sein, das Studium in Göttingen seinem Vater gegenüber noch als Erweiterung seiner medizinischen Vorbildung zu begründen, aber er besuchte daneben auch die Vorlesungen des Mathematikers Abraham Gotthelf Kästner (1719–1800) und des Physikers Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799). Kästner spannte in seinen Vorlesungen den Bogen von der Mathematik über Physik, Astronomie, Chemie bis zur Philosophie. Lichtenberg war besonders berühmt für seine Experimentalvorlesungen. Aufklärung aus dem Geist der Experimentalphysik, so wurde Lichtenbergs Geisteshaltung treffend bezeichnet.29

Georg Christoph Lichtenberg – Stich eines unbekannten Künstlers, um 1790.

Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799)

Mit der Physik verband Lichtenberg auch »die Hoffnung, etwas dem menschlichen Geschlechte Nützliches aufzufinden.«30 Auf Englandreisen hatte er am Beispiel der Dampfmaschine gesehen, was Physik an Nützlichem hervorbringen konnte.31 »Gereicht irgend eine Maschine dem menschlichen Geiste zur Ehre, so ist es die Dampfmaschine. Es ist dabei Chemie und Mechanik auf das glücklichste verbunden«, so machte Lichtenberg die Dampfmaschine danach zum Gegenstand seiner Göttinger Vorlesungen über Naturlehre.32

Lichtenberg dürfte bei Joseph Baader das Interesse an der Technik geweckt haben, die gerade die Industrielle Revolution in Großbritannien befeuerte. Vielleicht fiel in diesem Zusammenhang auch der Name des Schotten Joseph Black (1728–1799), der mit der Entdeckung der »latenten Wärme« die Physik der Dampfmaschine begründet hatte. Blacks Vorlesungen über medizinische, chemische und physikalische Themen an den Universitäten Glasgow und Edinburgh waren in Schottland nicht weniger legendär als Lichtenbergs Vorlesungen in Göttingen. James Watt (1736–1819) hatte Blacks Vorlesungen in Glasgow gehört, bevor er seine entscheidenden Erfindungen zur Dampfmaschine machte. Der Physiker und Mathematiker John Robison (1739–1805), ein Schüler, Freund und Professorenkollege von Black, nannte Watt den berühmtesten Schüler von Joseph Black.33

Es wäre jedenfalls nicht verwunderlich, wenn Lichtenberg Joseph Baader den Rat gegeben hätte, sein Glück als nächstes in Edinburgh zu versuchen, wo mit Black und Robison die wissenschaftlichen Autoritäten für diese Fragen an der Universität lehrten und wo er in einer nahegelegenen Eisenhütte auch die Dampfmaschine im praktischen Einsatz sehen würde.

2Schottische Eindrücke (1786–1790)

REISE NACH GROSSBRITANNIEN

Joseph Baader hätte keinen geeigneteren Ort als Göttingen finden können, um sich für die Reise nach Schottland vorzubereiten. Die Universität Göttingen unterhielt enge Beziehungen mit Großbritannien.34 An der Universität in Ingolstadt wäre Joseph Baader kaum jemandem begegnet, der ihm wie Lichtenberg den Blick in Richtung Großbritannien eröffnet hätte. Vermutlich nutzte Baader die Zeit in Göttingen auch zum Erlernen der englischen Sprache, bevor er sich auf die große Reise nach Schottland begab.

Ohne einen erfahrenen Begleiter und ohne Beziehungen nach England und Schottland zu reisen, erforderte Mut und eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. An beidem mangelte es Baader jedenfalls nicht. Vielleicht hatte er ein Empfehlungsschreiben des in England sehr geschätzten Lichtenberg in der Tasche, aber auch mit solcher Unterstützung blieb die Reise ein Abenteuer. Für die Überquerung des Ärmelkanals gab es Segelschiffe, und über Land verkehrten Postkutschen, doch für größere Reisen erforderte dies viel Zeit und Geld. Für eine Reise von Paris nach London via Dover rechnete man in den 1780er Jahren mit vier bis fünf Tagen. Um von London nach Edinburgh zu gelangen, war man ebenfalls mehrere Tage unterwegs und musste häufig die Postkutschen wechseln.35 »Nun rollte es mit der entsetzlichen Geschwindigkeit in der Stadt auf den Steinen fort, und wir flogen alle Augenblick in die Höhe«, so schilderte ein Englandreisender eine Postkutschenfahrt im Jahr 1782.36 Ähnliche Strapazen wird auch Joseph Baader bei seiner Reise nach Edinburgh hinter sich gebracht haben, wo er im Dezember 1786 ankam.

MEDIZIN ALS VORWAND

Fern der Heimat dürfte er auch seiner beruflichen Zukunft mit bangen Gefühlen entgegengesehen haben. Wie in Göttingen ließ sich jedoch auch die Wahl der Universität Edinburgh als nächster Studienort mit einem Interesse an medizinischer Weiterbildung begründen. Joseph Blacks Lehrgebiet umfasste neben Physik und Chemie auch die Medizin. Er war Ehrenmitglied der Royal Medical Society of Edinburgh, die im März 1787 auch Joseph Baader als Mitglied aufnahm.37 Joseph studiere »auf der dortigen Ersten medizinischen Universität«, berichtete Franz Baader im Mai 1787 einem Freund aus einem Brief seines Bruders. Als nächstes wolle er dann sein Glück in London versuchen, »weil bekanntlich in dieser reichen Stadt nichts so sehr dermalen geschätzt wird als ein braver Deutscher und das Doktern dort das einträglichste und verdienstvollste Metier ist«. Joseph Baader scheint um diese Zeit immer noch »das Doktern«, also den Arztberuf, für seinen Lebensunterhalt angestrebt zu haben. Zumindest vermittelte er diesen Eindruck in den Briefen nach Hause, um dort nicht als perspektivloser Abenteurer zu erscheinen, der das ihm überlassene Stipendium ohne Aussicht auf sein berufliches Fortkommen vergeudet. Tatsächlich überstiegen die Kosten der Reise bald die Mittel, die ihm von zuhause auf den Weg mitgegeben worden waren. »Das Geld, das mein Vater und unser Churfürst meinem lieben Bruder mitgaben, ist natürlich, da es in einem armseeligen Minimum bestand, nun hin«, so leitete Franz die Bitte an seinen Freund ein, dem Bruder mit einer Geldspritze aus der Patsche zu helfen. »Nun ich bitte Sie dringend, ob Sie nicht irgend einen Mann wüssten, dem Sie (für einen andren) ein Kapital z. B. von 500 f. auf einige Jahre zu 4 oder 5 Procent abborgen könnten.«38 Der Adressat dieses Briefes war der katholische Theologe und spätere Regensburger Bischof Johann Michael Sailer (1751–1832), der für Franz Baader ein väterlicher Freund war und seine frühe theologisch-philosophische Entwicklung maßgeblich prägte. Ob er für die Geldnöte von Joseph Baader Abhilfe wusste, ist nicht bekannt.

SCHOTTISCHE AUFKLÄRER

Edinburgh war auch das Zentrum der Schottischen Aufklärung. Nach Joseph Baaders eigener Darstellung, die er viele Jahre später zu Papier brachte, hatte er »nebenbei Chemie, Physik und Mathematik bei den Professoren Dr. Black, Robinson [sic] und Playfair« studiert.39