Judo - Martin Zackor - E-Book

Judo E-Book

Martin Zackor

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Beschreibung

Judo – Alles, was man wissen gibt einen Überblick über die faszinierende Sportart und richtet sich neben Judo-Interessierten auch an Sportinteressierte, die die Olympischen Spiele als Anlass nehmen, sich genauer mit Judo auseinanderzusetzen. Leser*innen bekommen in der Regelkunde die wesentlichen Elemente des Sports vermittelt und erhalten einen Überblick über die bekannten Protagonisten und Events der Sportart. Abgerundet wird das Buch von einem Judo-ABC mit den wichtigsten Begriffen.

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MARTIN ZACKOR

MEYER & MEYER VERLAG

 

 

 

 

Judo – Alles, was man wissen muss

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Details sind im Internet über <https://www.dnb.de> abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2024 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen

Auckland, Beirut, Dubai, Hägendorf, Hongkong, Indianapolis, Kairo, Kapstadt, Manila, Maidenhead, Neu-Delhi, Singapur, Sydney, Teheran, Wien

Member of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)

ISBN 978-3-8403-3872-4

E-Mail: [email protected]

www.dersportverlag.de

INHALT

Vorwort

A.Geschichtliche Entwicklung des Judo

I.Historische Wurzeln: Budo

II.Der Begründer des Judo: Jigoro Kano

III.Kanos Vermächtnis: Die internationale Entwicklung des Judo

IV.Entwicklung des Judo in Deutschland

V.Judo im Alltag – abseits des Trainings

Medienpräsenz

Briefmarken und Gedenkmünzen

Belletristik

Filme

Computer-Spiele

B.Grundprinzipien des Kodokan-Judo

C.Judo-Werte

I.Geschichtlicher Hintergrund der Judo-Werte

II.Die einzelnen Judo-Werte des DJB

III.Angrüßen im Judo

Einleitung

Rei im Training

Rei im Wettkampf

Rei in den Kata

D.Judo-Organisationen

I.Kodokan Judo Institute

II.International Judo Federation

III.European Judo Union

IV.Deutscher Judo-Bund

E.Judogi

F.Gürtelfarben und Graduierungen

I.Gürtelfarben

II.Kyu-Graduierungssystem

III.Dan-Graduierungssystem

G.Dojo

H.Rollenverteilung, Bewegungen und Übungsformen

I.Tori und Uke

II.Stellungen und Bewegungen

III.Wurfphasen

IV.Übungsformen

Einführung

Tandoku-renshu

Uchi-komi

Sotai-renshu

Yaku-soku-geiko

Nage-komi

Randori

Kata

V.Komplexe Bewegungsabfolgen

I.Kampfregeln

I.Einführung

II.Wettkampffläche

III.Altersklassen

IV.Gewichtsklassen

V.Wettkampfzeit und Besonderheiten

VI.Kampfablauf

J.Judo-Techniken

I.Überblick

II.Ukemi-waza

III.Nage-waza

Gokyo

Habukareta-waza

Shinmeisho-no-waza

Einteilung nach den fünf Technikuntergruppen

IV.Katame-waza

Osae-komi-waza

Shime-waza

Kansetsu-waza

V.Atemi-waza

Einleitung

Systematisierung

K.Kodokan-Kata

I.Einführung

II.Einzelne Kata

Nage-no-kata

Katame-no-kata

Kime-no-kata

Kodokan Goshin-jutsu

Ju-no-kata

Itsutsu-no-kata

Koshiki-no-kata

Seiryoku-zenyo-kokumin-taiiku

Go-no-kata

Kodomo-no-kata

Exkurs: Gonosen-no-kata und Nage-waza-ura-no-kata

L.Taiso

M.Kappo

N.Para Judo und ID Judo

I.Para Judo

II.ID Judo

O.Judo-Persönlichkeiten

P.Anhang: Graduierungssysteme

I.Kyu-Graduierungssystem

II.Dan-Graduierungssystem

Stichwortverzeichnis

Bildnachweis

VORWORT

Anime, Disziplin, Erdbeben, Fujisan, Hiroshima, Höflichkeit, Karaoke, Samurai, Sumo, Sushi, Hightech, Tee, Tokyo… und eben auch Judo fallen den meisten spontan als Stichwörter ein, wenn sie nach Assoziationen mit Japan gefragt werden.

Judo ist eine moderne japanische Kampfsportart, die Jigoro Kano Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Ju-Jutsu entwickelte. Die Übersetzung des Wortes Judo lautet „sanfter Weg“ – treffender ist jedoch die weitere Bedeutung von „ju“ als „flexibel“ und „do“ als „Methode“. Denn zum einen ist der Kampfsport – gerade im Wettkampf – auf keinen Fall sanft. Zum anderen hat diese Sportart das Ziel, dass man den Gegner im Stand durch Wurftechniken aus dem Gleichgewicht bringt und dabei idealerweise mehr auf Technik und weniger auf Kraft setzt. Am Boden kann man den Kampf gegebenenfalls fortsetzen, um den Gegner mit Kontroll-, Armhebel- und Würgetechniken zur Aufgabe zu zwingen.

Heutzutage ist das „klassische“ (Kodokan-)Judo eine der am weitesten verbreiteten Kampfsportarten der Welt und wird in Schulen, Vereinen sowie auf nationalen und internationalen Wettbewerben ausgeübt. Die International Judo Federation (IJF) schätzt, dass es mehr als 20 Millionen aktive Judoka in ungefähr 200 Ländern gibt. Im Deutschen Judo-Bund (DJB) sind aktuell ungefähr 125.000 Judoka aktiv – seit dem Ende der Covid-19-Pandemie steigt die Mitgliederanzahl erfreulicherweise wieder an. Judo ist eine sehr vielfältige Sportart, die – je nach Interessenschwerpunkt – sowohl Kleinkinder als auch Senioren ausüben können. Während Kleinkinder spielerisch an den Kampfsport herangeführt werden und Senioren sich zum Beispiel mit Taiso fit halten, können sich ambitionierte Judoka in Wettkämpfen messen. Daneben kann man den Ausbildungsfortschritt (auch) an der Gürtelfarbe der Judoka erkennen. Schließlich dienen Formen-Demonstrationen (Kata) der Perfektionierung und Weitergabe von Techniken, die nicht im regulären Training verwendet werden, wie zum Beispiel Schlag- und Tritttechniken. Judo geht aber weit über die sportlichen Aspekte eines umfassenden Trainings des gesamten Körpers hinaus und dient auch der Persönlichkeitsbildung: Neben der Fitness (insbesondere Kraft, Ausdauer, Koordination und Schnelligkeit) fördert Judo ebenso Selbstbewusstsein, Respekt und Selbstdisziplin.

Dieses Buch soll einen Überblick über diese faszinierende Sportart geben und richtet sich zum einen an Interessierte, die vielleicht die Olympischen Spiele zum Anlass nehmen, sich genauer mit Judo auseinanderzusetzen. Dies können sowohl Eltern sein, die für ihre Kinder eine geeignete Sportart suchen, als auch Sportler, die mit einer Kampfsportart beginnen möchten. Schließlich richtet es sich auch an aktive Judoka, die eine Informationsquelle abseits der klassischen Fachliteratur, die sich auf das Vermitteln von Techniken konzentriert, suchen.

Im Vergleich zu anderen Sportarten, wie zum Beispiel Fußball oder Tennis, ist Judo in den Medien nicht so präsent. Zuschauer bei Judo-Turnieren sind typischerweise Personen, die selbst einmal Judoka waren oder noch immer sind – jedenfalls einen engeren Bezug zu diesem Sport haben. Ausnahmen sind sportliche Großereignisse wie die bevorstehenden Olympischen Spiele in Paris. Daneben nimmt man Judo in der Öffentlichkeit auch zum Beispiel durch Motive auf Briefmarken oder Gedenkmünzen, in Spielfilmen oder Romanen wahr; andere Sportarten scheinen hier jedoch populärer zu sein. Wer aber erst einmal den Zugang zu dieser facettenreichen Sportart gefunden hat, wird entdecken, dass man anhand der eigenen Ambitionen individuelle Schwerpunkte im Training setzen kann und sein ganzes Leben Judo betreiben und weit über die rein körperliche Fitness davon profitieren kann. Auch dazu soll dieses Buch dienen.

Hinweis zur Schreibweise: In der japanischen Sprache wird bei Personen zuerst der Nach- und dann der Vorname geschrieben; dieses Buch verwendet aber die in Deutschland übliche Reihenfolge (Vor- und Nachname; die Kanji (Schriftzeichen) sind in „japanischer“ Reihenfolge dargestellt). Dagegen ist die japanische Schreibweise von Singular und Plural identisch, die hier übernommen wird.

Abbildung 1: Fujisan und Kawaguchi-ko

★ KAPITEL A ★

GESCHICHTLICHEENTWICKLUNG DES JUDO

 

I.HISTORISCHE WURZELN: BUDO

Zwar entwickelte der Japaner Jigoro Kano ( 1860 bis 1938) als Student Judo gegen Ende des 19. Jahrhunderts als moderne Sportart aus alten Ju-Jutsu-Techniken. Die Ursprünge des Judo gehen allerdings sehr viel weiter zurück und liegen in verschiedenen japanischen Kampfkünsten.

Über Jahrhunderte hatten sich in Japan unterschiedliche Kampfkünste entwickelt. Unter diesen bezeichnete Ju-Jutsu („sanfte Kunst“, ) oder Yawara () das Kämpfen ohne (oder nur mit leichten) Waffen. Der Begriff „Judo“ wurde wohl erstmals ab dem 18. Jahrhundert in einer Ju-Jutsu-Schule verwendet, er hatte also nur wenig mit der heutigen Kampfsportart zu tun.

Der (spätere) Oberbegriff der japanischen Kampfkünste ist Budo . Budo („Weg des Krieges“, zusammengesetzt aus den Kanji „bu“ (Krieg, Militär, ) und „do“ (Weg, Prinzip, )) umfasst neben Judo verschiedene weitere japanische Kampfkünste, unter anderem Ju-Jutsu, Aikido , laido , Karate , Kendo , Kyudo und Sumo . Im Gegensatz zum engeren Begriff des Bujutsu (Kampfkünste) versteht man unter Budo nicht nur die Techniken, sondern auch die Philosophie beziehungsweise Lebensentwicklung durch das Studium dieser Kampfkünste im Sinne einer permanenten Suche nach Perfektion. Der heutige Wettkampfaspekt existierte damals nicht. Der Begriff des Budo geht zurück ins 16. Jahrhundert und meinte damals nicht die Kampfkünste im engeren Sinn, sondern vielmehr den Lebensstil der Samurai (Krieger beziehungsweise wörtlich „Diener“, ). Teilweise differenziert man danach, ob militärische Aspekte im Vordergrund stehen (Bujutsu, ) oder das Üben der Techniken und die Persönlichkeitsentwicklung als Zivilist (Budo). Das moderne Verständnis des Budo entstand erst ab der Meiji-Ära (, 1868 bis 1912); insbesondere in der Gegenwart liegt der Schwerpunkt meistens auf der Ausübung einer Sportart und weniger auf einer Lebensweise.

Die Ausbildung in Kampfkünsten lässt sich bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen, Schulen für Bujutsu entstanden gegen Ende des 15. Jahrhunderts und spezialisierten sich unter anderem auf Bogenschießen, Reiten, Schwertkampf oder Nahkampf (ohne Waffen). Neben dem (körperlichen) Technik-Training hatten auch Shinto („Weg der Götter“, ) und Buddhismus (Bukkyo, ) insbesondere auf die Entwicklung des Geistes Einfluss. Ferner galt es vielen Schulen als Ideal, Gegner nicht im Kampf zu besiegen, sondern diese ohne Kampfhandlungen zu unterwerfen. Außerdem bestand der Trainingsinhalt nicht nur darin, Gegner zu töten, sondern auch verletzten Menschen zu helfen, sie zu heilen oder wiederzubeleben.1

Während der Tokugawa-Ära (Tokugawa bafuku, , 1603 bis 1868) entstanden Hunderte von neuen Schulen. Aufgrund der friedlichen Zeit Ende des 17. Jahrhunderts in Japan ebbte der Bedarf an militärischer Ausbildung ab. Gesellschaftlicher Wohlstand durch Handel und ein größeres Interesse an Kunst spielten im Alltag eine größere Rolle. Damit nahm ebenfalls die Bedeutung von Kata in den Kampfkunstschulen zu. Als Mitte des 19. Jahrhunderts Aufstände von Bauern zunahmen und ausländische Schiffe Japans Selbstisolierung infrage stellten, erlebten die Kampfkunstschulen eine Renaissance. Dies führte auch zu positiven Entwicklungen – so entstanden Dojo (Trainingsstätten, )2 mit Holzböden und Tatami (Reisstrohmatten, ) als „richtige“ Trainingsstätten für Ju-Jutsu-Schulen, und als (realistische) Trainingsform gewann Randori gegenüber Kata an Bedeutung3.

Mit der Ankunft der vier Schwarzen Schiffe (Kurofune, ) des US-amerikanischen Commodore Matthew C. Perry (1794 bis 1858) am 8. Juli 1853 in Uraga , in der Nähe des heutigen Tokyo, änderte sich dies wiederum. Aufgrund dieser Kanonenbootpolitik zwangen die USA Japan beziehungsweise das Tokugawa-Shogunat, sich gegenüber dem Westen, insbesondere gegenüber den USA, zu öffnen und am 31. März 1854 den Vertrag von Kanagawa (Kanagawa Joyaku, ) zu unterzeichnen.

Wohl auch aus diesem Grund hatten die US-Amerikaner am 2. September 1945 die Flagge von Perrys Flaggschiff an einem Schott der USS Missouri befestigt, auf der die Unterzeichnung der Kapitulation Japans und damit das Ende des Zweiten Weltkriegs stattfand.

Als Antwort darauf wurde 1856 das Kobusho , eine Militärakademie, in Tokyo gegründet, wo unter anderem japanische Kampfkünste gelehrt wurden – vor allem Kenjutsu . Damals etablierten sich sowohl der Wettkampf (Shiai, ) als auch standardisierte Stile der vielen Hundert Kampfkunstschulen. Allerdings wurde das Kobusho nach nur zehnjähriger Lehrtätigkeit geschlossen, weil man erkannte, dass die Unterschiede zwischen den klassischen Kampfkünsten und westlicher Militärtechnik zu groß waren.

Nachdem sich Japan jahrhundertelang von der Außenwelt und westlichem Einfluss abgeschottet hatte, führte die Meiji-Restauration (Meiji ishin, ) 1868 zu sowohl umfangreichen als auch relativ schnellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformen. Es galt als modern, westliches Gedankengut zu übernehmen. Das Shogunat, das seit der Kamakura-Ära (Kamakura jidai, ) im 12. Jahrhundert bestanden hatte, wurde abgeschafft; das japanische Kaiserreich erhielt eine Verfassung (Dai-Nippon teikoku kempo, ), die 1890 in Kraft trat. Mit der Abschaffung des Kriegerstandes, dem Verbot, Schwerter zu tragen und der Bewertung der japanischen Kultur als „altmodisch“ hörten viele Kampfkunstschulen zu existieren auf. 1877 kam es unter Führung von Saigo Takamori (, 1828 bis 1877) zu einem letzten Aufstand der Samurai gegen die Meiji-Regierung in der Provinz Satsuma (in der heutigen Präfektur Kagoshima ) – die sogenannte Satsuma-Rebellion (Seinan Senso, ).

Der 2003 erschienene US-amerikanische Spielfilm „The Last Samurai“ von Edward Zwick ist teilweise hiervon inspiriert.

Im Rahmen dieser Auseinandersetzung zeigte sich, dass einige Einheiten, die mit Schwertern und nicht mit modernen Waffen kämpften, siegreich waren. Da die japanische Polizei damals keine Schusswaffen tragen durfte, erwiesen sich die traditionellen Kampfkünste als durchaus nützlich. Aus dem traditionellen Kenjutsu der Samurai wurde Kendo als moderne Trainingsform für Polizisten.

Heute ist Kendo neben Sumo und Baseball eine der beliebtesten Sportarten in Japan und wird vor allem – neben Judo – an Schulen und Universitäten angeboten.

II.DER BEGRÜNDER DES JUDO: JIGORO KANO

Jigoro Kano wurde am 28. Oktober 1860 in Mikage, (heute Kobe, ) Japan, geboren.

Der Geburtstag Kanos – der 28. Oktober – ist der Welt-Judo-Tag (World Judo Day), an dem seit 2011 weltweit Judo-Aktionen unter einem jährlich wechselnden Motto öffentlichkeitswirksam durchgeführt werden. 2023 lautete das Motto „Bringe einen Freund“. Der DJB führte dazu nicht nur ein Training mit prominenten Wettkämpfern durch, sondern berichtete auch von einer Mitgliederversammlung aus Stuttgart. Beide Veranstaltungen wurden direkt im Internet übertragen.

2021 ehrte Google Kano an dessen Geburtstag mit einem von der US-Amerikanerin Cynthia Yuan Cheng gestalteten Doodle, das das Leben Kanos bildhaft zusammenfasste.

Kano war das jüngste von fünf Kindern seines Vaters Jirosaku Mareshiba Kano und seiner Mutter Sadako Takezoe. Er stammte aus einer reichen Familie von Reedern und Sake-Brauern und genoss eine sehr gute Ausbildung auf Privatschulen. Als 1869 seine Mutter starb, zog die Familie im folgenden Jahr nach Tokyo . 1875 begann Kano dort mit dem Literatur-, Politikwissen-schaften- und VWL-Studium. Da Kano ein schmächtiger Mensch war, entschloss er sich mit 17 Jahren, Ju-Jutsu der Tenjin Shinyo-ryu , einer Kampfkunstschule, die Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet wurde und heute noch existiert, zu lernen. Ju-Jutsu war damals in Tokyo eine weitverbreitete Sportart.

Dass der deutsche Medizinprofessor Erwin von Bälz (1849 bis 1913), der 1876 nach Japan kam, dort Medizin lehrte und unter anderem Leibarzt für das japanische Kaiserhaus war, Kano aufgefordert haben soll, Ju-Jutsu zu lernen, ist falsch – auch wenn einige deutsche Judo-Bücher diese Geschichte verbreiten. Zwar interessierte sich von Bälz für japanische Kampfkünste und praktizierte auch Ju-Jutsu, ebenso kannten sich von Bälz und Kano und hatten den Wert von Sport für die allgemeine Gesundheit erkannt. Kano hatte aber bereits vor seinem Austausch mit von Bälz sein Kodokan-Judo entwickelt.

Die Techniken der jeweiligen Schule vermittelten die Lehrer durch Kata (Formen, ) und gaben so ihr Wissen an ihre Schüler weiter. Da der Ablauf der Techniken genau festgelegt war, konnten so die Techniken durch präzise Wiederholungen (idealerweise identisch) von einer Generation an die nächste vermittelt werden. Teilweise waren solche genauen Absprachen bei der Technikdemonstration (insbesondere mit Waffen) erforderlich, um Verletzungen im Training zu vermeiden.

Nachdem seine beiden ersten Lehrer Hachinosuke Fukuda (1827 bis 1879) und Masatomo Iso (1819 bis 1881) gestorben waren, lernte Kano weiter Ju-Jutsu, nun aber das der Kito-ryu , deren Ursprünge bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, bei Tsunetoshi Iikubo.

Fukuda war ein ehemaliger Samurai und lehrte das Ju-Jutsu der Tenjin Shin-yo-ryu. Als Kanos erster Lehrer hatte er einen prägenden Einfluss auf ihn. Die Tenjin Shinyo-ryu hatte Mataemon Ryukansai Minamoto no Masatari Iso (, 1787 bis 1863) in den 1830er Jahren gegründet, indem er verschiedene Techniken von zwei anderen Kampfkunstschulen kombinierte. Ihre Blütezeit erlebte sie am Ende der Tokugawa-Ära, als Iso als Ju-Jutsu-Lehrer der angesehensten Ju-Jutsu-Schule tätig war. Aufgrund der Meiji-Restauration nahm das Interesse an den Kampfkünsten jedoch rapide ab. Auch Morihei Ueshiba (, 1883 bis 1969), der Begründer des Aikido, war ein Schüler der Tenjin Shinyo-ryu.

Fukudas Enkelin, Keiko Fukuda (, 1913 bis 2013), war die höchstgraduierte weibliche Judoka, die von Kano als eine der ersten Frauen am Kodokan unterrichtet wurde und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kalifornien zog, wo sie Judo verbreitete und den Rest ihres Lebens verbrachte4.

Bei der Vermittlung der Techniken legten Fukuda und Iikubo Wert auf Randori (Übungskämpfe, ), während bei Iso Kata im Mittelpunkt stand. Von der Kito-ryu, deren Schwerpunkt auf Wurftechniken lag, erhielt Kano 1883 die Lehrlizenz (Menkyo-kaiden, ). Dies war die höchste Ausbildungsstufe einer Schule, die bescheinigte, dass der Schüler alle Techniken der Schule gelernt hatte.

Abbildung 2: Statue Jigoro Kanos vor dem Kodokan in Tokyo

Die Schulen dokumentierten ihr Wissen neben Kata in Form von Schriftstücken (Densho, ). Die Techniken teilten sie in Grundlagen (Shoden, ), fortgeschrittene (Chuden, ) sowie geheime Techniken (Okuden, ) ein. Schließlich folgten mündliche Überlieferungen (Ku-den, ), die besonders geheim zu halten waren.

Nachdem Kano sein Literaturstudium abgeschlossen hatte, gründete er 1882 das Kodokan5 im Eisho-ji , einem kleinen Tempel in Tokyo, den man heute noch besichtigen kann. Wer diesen besucht, wird schnell bemerken, dass die erste Judo-Trainingsstätte nicht mehr war als ein kleiner angemieteter Raum. Zunächst begannen neun Privatschüler bei ihm zu trainieren, sein Lehrer Iikubo unterstützte Kano gelegentlich in der Anfangsphase. Kano hatte das Ziel, eine neue Ju-Jutsu-Schule zu gründen. Hierzu übernahm er sowohl Techniken der Tenjin Shinyo-ryu als auch der Kito-ryu.

Techniken, die von der Tenjin Shinyo-ryu stammen, sind zum Beispiel Harai-goshi (Hüftfegen, ), O-soto-gari (Große Außensichel, ) und Seoi-nage (Schulterwurf, )6. Die meisten Judo-Bodentechniken entwickelte Kano aus seinen Kenntnissen der Tenjin Shinyo-ryu. Ebenso geht die Itsutsu-no-kata (Form der fünf Symbole, )7 auf diese Kampfkunstschule zurück. Obwohl die Tenjin Shinyo-ryu für ihre Atemi-waza (Schlag-und Tritttechniken, )8, berühmt war, übernahm Kano diese nicht in sein Kodokan-Judo.

Die Techniken der Kito-ryu umfassen neben Atemi-waza auch Wurf-, Hebel-und Würgetechniken. Ihr Schwerpunkt liegt aber – ebenso wie im Judo -auf Wurftechniken. Denn Kano orientierte sich bei der Zusammenstellung seiner Wurftechniken (wie zum Beispiel Uki-goshi (Hüftschwung, ), Tsurikomi-goshi (Hebezughüftwurf, ) und Kata-guruma (Schulterrad, ) an seinem Studium der Kito-ryu. Dies gilt ebenfalls für die Übernahme von Bewegungen Ukes sowie den Gleichgewichtsbruch durch Tori. Auch die Koshiki-no-kata (Form der antiken Techniken, )9 stammt von der Kito-ryu.

Kano versuchte unter anderem, gefährliche Techniken zu entfernen beziehungsweise nur im Rahmen von Kata zu lehren. 1883 musste er den Eisho-ji verlassen und umziehen, weil sich die Mönche des Tempels durch sein Training gestört fühlten.

Neben dem Kodokan gründete Kano ebenfalls 1882 das Kano-juku , ein einfaches Internat für seine Schüler, in dem spartanische Regeln galten, das aber eine enorme Bedeutung für die Anfangsjahre des Kodokan hatte.

Abbildung 3: Eisho-ji in Tokyo

1883 verlieh Kano erstmalig seinen Schülern Tsunejiro Tomita (, 1865 bis 1937) und Shiro Saigo (, 1866 bis 1922) Dan-Grade. Die „offizielle“ Einführung von schwarzen Gürteln als Erkennungszeichen von Dan-Trägern folgte aber erst 1886, die weitere Unterscheidung mit rotweißen und roten Gürteln für hohe Dan-Grade sogar erst 193010.

Die wesentlichen Elemente des Kodokan-Judo waren für Kano 1884 Randori und Kata. Später kamen Kogi (Vorträge, ) und Mondo (Diskussionen, ) hinzu. Denn Kano sah im Judo deutlich mehr als nur eine Sportart – vielmehr einen Lebensweg. Es bleibt aber festzuhalten, dass er keinesfalls eine neue Sportart erfunden hat. Sondern Kano kombinierte verschiedene Ju-Jutsu-Stile und Techniken, aus denen er in einem fließenden Übergang „sein“ Kodokan-Judo entwickelte. In der Anfangszeit handelte es sich daher eher um modifiziertes Ju-Jutsu, das mit dem modernen Wettkampf-Judo nicht vergleichbar war. Selbst die Bezeichnung „Judo“ ist keine Erfindung Kanos, denn andere Schulen verwendeten diesen Begriff bereits früher. Der Schwerpunkt lag auf Wurftechniken, Bodentechniken maß er eine geringere Bedeutung bei. In den 1880er Jahren entwickelte Kano darüber hinaus die meisten Kodokan-Kata11.

Diese vier Elemente lassen sich in Praxis (Randori und Kata) sowie Theorie (Kogi und Mondo) einteilen. Ebenso weisen Kata und Kogi durch ihre vorgegebene Form beziehungsweise Randori und Mondo durch das Auseinandersetzen mit dem anderen Parallelen auf.

Diese Elemente stehen im Einklang mit den Zielen des Kodokan-Judo, die Kano von Anfang an im Sinn hatte: Das Judo-Training sollte die körperliche Fitness verbessern, notfalls der Selbstverteidigung dienen, aber auch durch Theorie den Geist schulen und Judoka allgemein erziehen.

Ferner führte Kano Falltechniken in sein System ein. Dagegen verloren Atemi-waza an Bedeutung. Außerdem legte Kano Wert auf den Gleichgewichtsbruch, wie er es während seiner Ausbildung bei Iikubo gelernt hatte – für ihn war Judo von Dynamik und nicht von Statik geprägt.

Man darf allerdings die damalige Entwicklung der japanischen Gesellschaft nicht aus dem Blick verlieren. Nach der Meiji-Restauration fiel die Gründung des Kodokan mit einer gesellschaftlichen Rückbesinnung auf japanische Traditionen zusammen – quasi eine Gegenbewegung zu dem immensen Umbruch in Japan. Hierzu gehörten ebenfalls die Kampfkünste. Indem Kano mit seinem Kodokan-Judo sowohl an die Traditionen des Bujutsu anknüpfte als auch eine Weiterentwicklung im Sinn des Umbruchs in die Moderne in Japan erreichen wollte, traf er wohl einen Nerv der Zeit und beeinflusste damit ebenso die Modernisierung anderer Kampfkünste.

Parallel zur Gründung des Kodokan schloss Kano sein Studium ab und wurde 1885 zunächst Lehrbeauftragter an der Gakushuin, einer Bildungseinrichtung für den japanischen Adel; heute handelt es sich hierbei um eine Privatuniversität in Tokyo.

1885 gelang es Kanos Schülern, in einem Vergleichskampf mit einer Ju-Jutsu-Schule, der Totsuka-ryu , zu siegen. Dies trug nach und nach zur Popularität des Judo in Tokyo bei: So bildeten Yoshitsugu Ya-mashita (, 1865 bis 1935) und Shiro Saigo anschließend Polizisten in Tokyo im Judo aus. Später wurde Judo Bestandteil der Ausbil dung an der Marine-Akademie. 1908 wurde Judo als Schulfach in der Mittelschule eingeführt, 1930 wurde es neben Kendo obligatorisch und ersetzte Ju-Jutsu. Hier zeigte sich, dass neben den sportlichen Erfolgen vor allem Kanos berufliche Stellung und gesellschaftlicher Einfluss dazu führten, dass er seine Sportart geschickt vermarktete und mit der allgemeinen Erziehung in Japan verband.

1889 unternahm Kano für das japanische Erziehungsministerium eine 16 Monate dauernde Studienreise in Europa, während seine Schüler, insbesondere die Shitenno (die sogenannten „Vier Himmlischen Könige“) das Kodokan, das inzwischen mehr als 1.000 Mitglieder umfasste, weiterbetrieben. Gleichzeitig nutzte Kano während seines Aufenthalts in Europa die Zeit, um dort für Judo sowohl durch Vorträge als auch durch Vorführungen zu werben. 1893 wurde Kano Direktor der Höheren Normalschule, der Lehrerbildungsanstalt in Tokyo (Tokyo koto shihan gakko, ; heute ist dies die angesehene Tsukuba-Universität (Tsukuba daigaku, )) und lehrte dort praktisch bis zu seiner Pensionierung. Somit konnte er jahrelang die Ausbildung der Lehrer in Japan nach seinen Vorstellungen prägen.

Nach seiner Rückkehr aus Europa heiratete Kano 1891 Sumako Takezoe. Die Eheleute hatten insgesamt neun Kinder. 1893 nahm Kano eine Position im Erziehungsministerium an.

1894 unterrichteten hauptamtliche Lehrer (heute bezeichnete man sie als Trainer) im Kodokan, dessen Mitglieder nun (geringe) Mitgliedsbeiträge entrichten mussten, um den Trainingsbetrieb zu finanzieren. Vorher waren keine Beiträge erhoben worden. In den folgenden Jahren nahm die Anzahl der Judoka weiter zu, regelmäßig musste das Kodokan infolge des entstehenden Platzmangels in größere Dojo umziehen.

1895 stellte Kano die Gokyo-no-waza, die 40 Grundwürfe des Kodokan-Judo, vor, die erst 1920 überarbeitet wurde12. Wie bereits angesprochen, führte der aufkommende Nationalismus in Japan zu einer Rückbesinnung auf die japanischen Kampfkünste. Während Kano zunächst als Pädagoge und später als Sportfunktionär Wert auf körperliche Ertüchtigung und Erziehung legte, sah die japanische Regierung die Vorteile der Judo- und Kendo-Ausbildung wohl eher als eine Vorstufe zur militärischen Ausbildung der Japaner und unterstützte somit den damaligen nationalen Zeitgeist. Bereits 1883 hatte das japanische Erziehungsministerium versucht, diese Sportarten in den Lehrplan aufzunehmen. Allerdings wurden sie erst ab 1912 an den Mittelschulen als Fächer angeboten. Um die Jahrhundertwende nahm die Allgemeinheit den Begriff „Judo“ bewusst durch die Entwicklung des Kodokan wahr, in den folgenden Jahren übernahmen als Zeichen der Modernisierung weitere Sportarten den Ausdruck „do“ (Weg): Neben Judo und Kendo wurde aus Kyujutsu Kyudo, die Teezeremonie erhielt die Bezeichnung Sado und Ikebana (Kunst des Arrangierens von Blumen, ) nannte man Kado .

1909 ernannte das Internationale Olympische Komitee (International Olympic Committee, IOC) Kano als ersten Asiaten zum Mitglied. Dadurch konnte er nicht nur Judo als (vom IOC anerkannte) Sportart stärker verbreiten, sondern auch Japan als Ausrichter von künftigen Olympischen Spielen ins Gespräch bringen. Bereits 1932 hatte der Tokyoter Bürgermeister Hidejiro Nagata (, 1876 bis 1943) aus diesem Anlass das Kodokan besucht. 1936 hatte Kano mit diesem Vorhaben schließlich Erfolg: 1940 sollten die Olympischen Spiele in Tokyo stattfinden. Das IOC sagte sie wegen des Zweiten Weltkrieges jedoch ab, sodass erst 1964 Tokyo die ersten Olympischen Spiele in Japan ausrichten durfte. Dort war auch erstmalig die Sportart Judo vertreten.

Als IOC-Mitglied, das Kano bis zu seinem Tod 1938 blieb, unternahm er in den folgenden Jahren viele weitere Auslandsreisen, insbesondere nach Europa und in die USA, um für Judo als Sportart und Erziehungsphilosophie zu werben und um die jeweiligen Olympischen Spiele zu besuchen. Bereits 1933 hatte er den Vorschlag gemacht, eine Internationale Judo-Föderation zu gründen. Dies wurde jedoch tatsächlich erst 1952 realisiert13.

Kano hatte selbstverständlich großes Interesse daran, Judo zu verbreiten. Er förderte als Sportfunktionär aber alle japanischen Sportarten, darunter auch Kendo und Sumo; selbst für die Verbreitung von Karate von der Präfektur Okinawa hin zum japanischen „Festland“ sorgte er. Diese allgemeine Entwicklung des Sports war ein weltweites Phänomen: In Deutschland begründete Friedrich Ludwig Jahn (1778 bis 1852) die deutsche Turnbewegung, die weit über den eigentlichen Sport Bedeutung erlangte. 1896 fanden die ersten Olympischen Spiele (der Neuzeit) in Athen (Griechenland) statt, die Pierre de Coubertin (1863 bis 1937) erfolgreich wiederbelebt hatte.

1911 fanden die ersten japanischen Meisterschaften im Judo statt und veranschaulichten zum einen die weiterwachsende Popularität von Judo bei der japanischen Bevölkerung, zum anderen die Verbreitung von modernen Sportveranstaltungen als solchen.

Nachdem Kano 1905 für mehrere Monate nach China gereist war, führten ihn die nächsten Auslandsreisen 1912/1913 nach Stockholm (Schweden) zu den Olympischen Spielen und anschließend in weitere europäische Länder sowie die USA, um sich weiterhin zu den Themen „Judo“ und „Erziehung“ auszutauschen.

Aufgrund seines Einflusses auf die Ausbildung der Lehrer in Japan wurde Kano 1922 Mitglied im japanischen Kizokuin , dem Oberhaus des japanischen Reichstages. In demselben Jahr entwickelte Kano die beiden Grundprinzipien des Judo: Das technische (Seiryoku-zenyo, ) und das moralische Prinzip (Jita-kyoei, )14. 1926 gründete das Kodokan offiziell seine Frauenabteilung, Kinder und Frauen unterrichteten die Lehrer aber bereits seit den 1890er Jahren – für die damalige Zeit fortschrittlich.

1934 zeigte sich die wachsende Popularität des Kodokan-Judo unter anderem darin, dass wieder ein größeres Dojo neu errichtet wurde, weil die Anzahl der Judoka rasant zunahm: Jedes Jahr kamen tausende neue Mitglieder hinzu. Spätestens Mitte der 1930er Jahre hatte sich Kano in der Öffentlichkeit das Ansehen als Begründer des modernen Sports in Japan erworben – nicht nur bezogen auf Judo, sondern allgemein bezogen auf Erziehung und körperliche Ertüchtigung zum Wohl der Gesellschaft.

Am 4. Mai 1938 starb Kano an einer Lungenentzündung auf der Rückreise von Kairo (Ägypten) nach Tokyo an Bord der „Hikawa Maru“ , die heute als Museumsschiff im Hafen von Yokohama ankert.

III.KANOS VERMÄCHTNIS: DIE INTERNATIONALE ENTWICKLUNG DES JUDO

Nach der Öffnung Japans besuchten vor allem japanische Kriegsschiffe das Ausland, das so vermehrt mit den japanischen Kampfkünsten – zunächst Ju-Jutsu, später Judo – in Berührung kam. Auf seinen Auslandsreisen präsentierte Kano seine Sportart beziehungsweise seine pädagogischen Vorstellungen dem Publikum, das sich damals für diese geheimnisvollen Kampfkünste interessierte. Weitere Lehrer des Kodokan unternahmen Auslandsreisen und begannen ebenso, Judo zu verbreiten. In Japan dürfte sicherlich Kanos berufliche Stellung zur Verbreitung des Kodokan-Judo beziehungsweise zur Verdrängung der anderen Ju-Jutsu-Stile maßgeblich beigetragen haben. Außerdem verstand er es, gute Lehrer oder Wettkämpfer von anderen Schulen abzuwerben und diese als Kodokan-Mitglieder zu fördern. Im Ausland erreichte Kano diese Ziele durch seine Reisen sowie Judo-Vorträge, insbesondere in seiner Funktion als IOC-Mitglied, als das er regelmäßig die jeweiligen Olympischen Spiele besuchte. Parallel zu Kano als offiziellem Vertreter verbreiteten japanische Auswanderer Judo weltweit. Umgekehrt begannen Ausländer, insbesondere Universitätsprofessoren, sich für Kanos Vorträge und Erziehungsansätze zu interessieren und besuchten das Kodokan in Tokyo, um sich dort einen persönlichen Eindruck zu verschaffen.

1936 verlieh Kano den ersten Dan an Moshé Feldenkrais (1904 bis 1984). Dieser war der erste Europäer, der nicht im Kodokan Judo gelernt hatte. Außerdem verlieh Kano Mikinosuke Kawaishi (, 1899 bis 1969), der ebenfalls in Frankreich lebte, die Berechtigung, Dan-Grade in Europa zu vergeben. Kawaishi gilt als der Begründer des Judo in Frankreich, nach Japan die größte Judo-Nation. Im Vereinigten Königreich verbreitete Gunji Koizumi (, 1885 bis 1965) Judo. Er kam 1906 nach Wales, gründete 1918 den Budokwai in London, der älteste europäische Judo-Club, und 1948 die European Judo Union (EJU)15.

Zwar hatten die Alliierten Judo nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan und Deutschland zunächst verboten, 1948 wurde das Training aber wieder aufgenommen.

Grund für das Verbot war, dass im Zweiten Weltkrieg Sport als Vorstufe zur militärischen Ausbildung betrieben wurde. So war 1941 aus Gymnastik (Tai-so, ) „körperliche Disziplin“ (Tairen) geworden, Budo war ein Pflichtfach und „Jukendo“ (Bajonettkampf, ) war in den Lehrplan aufgenommen worden, nachdem es 1925 der Butokukai eingeführt hatte. Die Alliierten sahen folglich Budo als mit demokratischen Werten unvereinbar an und verboten es, um jegliche Überreste des Militarismus auszulöschen. Um Budo wiederzubeleben, musste es zu einer (reinen) Sportart werden.

1946 war bereits das Verbot von Sumo und Karate aufgehoben worden. Ebenso schnell nahm man erneut das reguläre Judo-Training im Kodokan auf. Seit 1950 wurde Judo wieder an Schulen unterrichtet. Die allgemeine Akzeptanz für Kendo dauerte länger, erst 1953 gelang es, Kendo wieder in den Lehrplan von Schulen aufzunehmen. Die Entwicklung des Judo von einer Kampfkunst zu einer Kampfsportart führte zu steigender weltweiter Popularität. Sowohl die 1948 gegründete EJU als auch die nur drei Jahre später gegründete IJF waren insoweit sicherlich wichtige Meilensteine, um dem Kodokan-Judo den organisatorischen Weg zu ebnen. 1956 fanden die ersten Judo-Weltmeisterschaften statt, seit 1964 ist Judo eine olympische Sportart mit entsprechender Medienpräsenz. Gerade die ersten Olympischen Spiele in Japan verschafften als Katalysator vermutlich Judo als „neuer“ Sportart einen deutlichen internationalen Anschub – neben der üblichen Möglichkeit des Gastgeberlandes, seine weltweite Reputation zu steigern. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich Japan – ähnlich wie Deutschland – volkswirtschaftlich schnell erholt und sich vom Agrarland hin zum international erfolgreichen Industriestaat gewandelt. Im Rahmen der Olympischen Spiele wurden außerdem Kendo, Kyudo und Sumo als Sportarten demonstriert und erlangten ebenfalls große internationale Bekanntheit. In Japan selbst entstand ein neues Selbstbewusstsein der Bevölkerung; Budo-Sportarten erhielten starken Zulauf von Frauen und Kindern.

Anlässlich der 100-Jahre-Feier des Kodokan wurde das heutige Trainingszentrum im Norden Tokyos 1984 erbaut. Von allen Budo-Disziplinen dürfte Judo die internationalste sein. Kritiker bemerken jedoch, dass die Entwicklung der letzten Jahrzehnte dazu geführt habe, dass der Geist des Budo durch die Fokussierung auf den reinen Sportbetrieb verloren gegangen sei. Ebenso wie Judo in Deutschland hat Budo in Japan Nachwuchsprobleme; wesentlicher Grund für den Rückgang in den letzten Jahrzehnten ist die geringe Geburtenrate.

IV.ENTWICKLUNG DES JUDO IN DEUTSCHLAND

1906 gründete Erich Rahn