Jugend - Joseph Conrad - E-Book

Jugend E-Book

Joseph Conrad

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Beschreibung

Die Geschichte einer abenteuerlichen Schiffsfahrt nach Bangkok Die »Judea« ist mit einer Ladung Kohle von London nach Bangkok unterwegs. Nach einer aufregenden Seefahrt kommt es vor der Küste von Java zu einer lebensbedrohlichen Explosion. Die Mannschaft versucht, auf Booten den rettenden Hafen zu erreichen. Für den jungen Seemann Marlow wird die abenteuerliche Reise zur Bewährungsprobe.

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Seitenzahl: 86

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Joseph Conrad

Jugend

Erzählung

Aus dem Englischen übersetzt von Ernst Wolfgang Freißler

Reclam

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist ausgeschlossen.

 

RECLAMSUNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962364

2025 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71 254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildung: © Gutentag-Hambur

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71 254 Ditzingen

Made in Germany 2025

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMSUNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962364-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014689-7

reclam.de | [email protected]

Inhalt

Jugend

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Nachbemerkung

Jugend

Diese Geschichte hätte sich nirgends sonst als in England abspielen können, wo die Männer und die See einander gegenseitig durchdringen, sozusagen – indem die See in das Leben der meisten Männer hineinspielt und jeder Mann ein wenig oder alles von der See weiß, vom Vergnügen, vom Reisen oder vom Broterwerb her.

Wir saßen rund um einen Mahagonitisch, der die Flasche, die Spitzgläser und unsere Gesichter widerspiegelte, die wir auf die Ellbogen gestützt hielten. Wir waren zu fünft: der Direktor einer Handelsgesellschaft, ein Buchhalter, ein Rechtsanwalt, Marlow und ich. Der Direktor war an der Küste aufgewachsen, der Buchhalter hatte vier Jahre zur See gedient, der Rechtsanwalt – ein Tory vom reinsten Wasser, ein Anhänger der Hochkirche, der feinste alte Knabe, der sich denken lässt, dazu ein Ehrenmann durch und durch – der Rechtsanwalt also war Erster Offizier bei der P.&O.-Linie gewesen, in den guten alten Tagen, als noch die Postdampfer auf mindestens zwei Masten mit Rahengetakelt waren und das Chinesische Meer vor einem kräftigen Monsun unter vollen Leesegeln herunterzulaufen pflegten. Wir alle hatten unsere Laufbahn in der Handelsmarine begonnen. Die See hielt uns zusammen wie ein starkes Band, und hinzu kam noch ein seemännisches Gemeinschaftsgefühl, wie es keine noch so hohe Begeisterung für Wettsegeln, Cruisen oder ähnlichen Sport erzeugen kann; denn diese umfasst immer nur Vergnügungen des Lebens, jenes aber das Leben selbst.

Marlow (ich denke wenigstens, dass er sich so schrieb) erzählte uns die Geschichte einer Reise:

»Ja, ich habe ein wenig von den östlichen Meeren gesehen; am besten aber erinnere ich mich doch an meine erste Reise dahin. Ihr alle wisst ja, dass es Reisen gibt, die wie erläuternde Beispiele zu diesem Leben wirken, ja, wie das Sinnbild des Lebens überhaupt. Da kämpft man, arbeitet, schwitzt, bringt sich beinahe, manchmal auch ganz um, immer in dem Bestreben, irgendwas durchzuführen – das man dann doch nicht fertigbringt. Nicht aus eigenem Verschulden. Man kann nur einfach nichts vollenden, nichts Großes und nichts Kleines – kein Ding auf dieser Welt; nicht einmal eine alte Jungfer heiraten, oder eine Ladung von lumpigen sechshundert Tonnen Kohle in ihren Bestimmungshafen bringen.

Die Sache war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Es war meine erste Reise nach dem Osten, und meine erste Reise als Zweiter Offizier; es war auch das erste Kommando meines Kapitäns. Ihr werdet zugeben, dass es an der Zeit war, wenn ich euch sage, dass er immerhin sechzig Jahre alt war; ein kleiner Mann mit breitem, nicht sonderlich geradem Rücken, mit gebeugten Schultern und gewaltigen Säbelbeinen; er sah förmlich krummgezogen aus, wie man es häufig bei Leuten findet, die Feldarbeit tun. Sein Nussknackergesicht – Kinn und Nase versuchten einander über dem eingesunkenen Mund zu begegnen – war von eisengrauem, flaumigem Haar umrahmt, das wie ein baumwollenes Sturmband aussah, fleckig von Kohlenstaub. Und ein Paar blaue Augen standen in seinem alten Gesicht, die ganz erstaunlich jungenhaft blickten, mit dem unschuldigen Ausdruck, den manchmal ganz gewöhnliche Leute bis an das Ende ihrer Tage bewahren, einfach als Folge der seltenen Gabe ihrer Herzenseinfalt und Geradheit. Was ihn bewogen haben mag, mich anzunehmen, war mir ein Rätsel. Ich kam von einem prächtigen australischen Schnellsegler, wo ich Dritter Offizier gewesen war, und er schien gegen Schnellsegler – als aristokratisch und übervornehm – ein Vorurteil zu haben. Er sagte mir: ›Verstehen Sie mich recht – auf diesem Schiff hier werden Sie arbeiten müssen!‹ Ich antwortete ihm, dass ich noch auf jedem Schiff, auf dem ich je gewesen, hätte arbeiten müssen. – ›Ah, aber dies hier ist grundverschieden, und ihr feinen Herren von den großen Schiffen … Aber, na, ich hoffe, Sie werden sich machen! Treten Sie morgen an!‹

Ich trat also am nächsten Tag an. Das ist nun zweiundzwanzig Jahre her; und ich war eben zwanzig. Wie die Zeit vergeht! Es war einer der schönsten Tage meines Lebens. Denkt euch doch – frischgebackener Zweiter – richtig verantwortlicher Offizier! Ich hätte mein neues Patent nicht um ein Vermögen hergegeben. Der Erste musterte mich genau. Er war auch ein alter Knabe, doch von anderer Prägung. Er hatte eine römische Nase, einen schneeweißen langen Bart und hieß Mahon, bestand aber darauf, dass man den Namen ›Mann‹ aussprechen sollte. Er hatte gute Beziehungen, doch fehlte es ihm wohl an Glück, und so war er nie weitergekommen.

Was nun den Kapitän angeht, so hatte der jahrelang auf Küstenfahrern, dann im Mittelmeer und schließlich auf der westindischen Route gedient. Um das Kap war er nie herumgekommen, konnte zur Not in einer kratzigen Klaue schreiben und legte keinen Wert darauf, überhaupt zu schreiben. Beide waren sehr tüchtige Seeleute, wie nicht anders zu erwarten, und ich kam mir zwischen den beiden Alten vor wie ein kleiner Junge zwischen zwei Großvätern.

Auch das Schiff war alt. Es hieß Judea – komischer Name, nicht? Und gehörte einem Mann namens Wilmer, Wilcox … irgendwas in der Art; aber er hat Bankrott gemacht und ist gestorben, vor zwanzig oder mehr Jahren, und so tut sein Name nichts zur Sache. Die Bark hatte endlos lange im Shadwell Dock vor Anker gelegen, und ihr könnt euch ihren Zustand vorstellen. Sie war über und über voll Rost, Staub und Schmutz; die Takelung verrußt, das Deck förmlich mit Dreck verkrustet. Für mich war es ungefähr so, als wäre ich aus einem Palast in ein verfallenes Bauernhaus gekommen. Sie hatte etwa vierhundert Tonnen, eine altmodische Ankerwinde, Holzklinken an den Türen, kein kleinstes Stück Messing auf sich, und ein mächtiges, plattes Heck. Darauf stand in großen Lettern ihr Name; darunter war eine Menge Schnitzwerk angebracht, von dem die Vergoldung abgegangen war und das eine Art Wappen mit dem Wahlspruch umgab: ›Handle oder stirb!‹ Ich erinnere mich noch, wie stark es meine Einbildungskraft gefangen nahm. Ein Schimmer von Romantik lag darüber, etwas, das mich das alte Ding lieben ließ, – das mein junges Herz ergriff!

Wir verließen London in Ballast – Sandballast –, um in einem nördlichen Hafen eine Ladung Kohlen für Bangkok einzunehmen. Bangkok! Ich fieberte förmlich! Ich war sechs Jahre zur See gewesen, hatte aber nur Melbourne und Sydney gesehen, sehr nette Orte, entzückende Orte in ihrer Art – aber Bangkok!

Wir arbeiteten uns unter Segeln aus der Themse hinaus, mit einem Nordseelotsen an Bord. Er hieß Jermyn und drückte sich den lieben langen Tag in der Kombüse herum, wo er sein Taschentuch vor dem Ofen trocknete. Anscheinend schlief er nie. Er war ein trübseliger Mann, dem eine ewige Träne an der Nasenspitze glitzerte und der entweder Unglück gehabt hatte oder noch hatte oder welches erwartete –, der kurzum nicht glücklich war, wenn nicht irgendwas schief ging. Er misstraute meiner Jugend, meinem gesunden Menschenverstand und meinen seemännischen Fähigkeiten und bemühte sich, mir das auf hundert kleine Arten zu zeigen. Ich möchte fast glauben, dass er recht hatte. Mir scheint, ich wusste damals recht wenig und weiß heute nicht viel mehr; doch fühle ich bis zum heutigen Tage eitlen Hass gegen diesen Jermyn.

Wir brauchten eine Woche, um bis nach Yarmouth Roads hinaufzukommen, und dann gerieten wir in ein Unwetter – den berüchtigten Oktobersturm von vor zweiundzwanzig Jahren. Wind, Blitze, Hagel, Schnee und eine fürchterliche See. Wir waren zu leicht beladen, und ihr könnt euch vorstellen, wie schlimm es war, wenn ich euch sage, dass wir das Schanzkleid zertrümmert und das Deck unter Wasser hatten. In der zweiten Nacht rutschte der Ballast voraus nach Lee, und damals waren wir schon irgendwohin in die Nähe der Doggerbank verschlagen. Da gab es nichts anderes als: hinunter, mit Schaufeln, und versuchen, sie aufzurichten. Da waren wir also in dem weiten Laderaum, düster wie eine Höhle; die paar Lichter flackerten auf den Balkenenden, der Sturm heulte über uns, und das Schiff torkelte auf der Seite liegend wie verrückt dahin; da waren wir alle, Jermyn, der Kapitän, jeder einzelne, kaum imstande, auf den Füßen zu bleiben; alle hart bei der Totengräberarbeit, feuchten Sand schaufelweise nach Luv hinüberzuwerfen. Bei jedem Rollen des Schiffs konnte man in dem trüben Licht Männer zwischen blitzenden Schaufeln niederstürzen sehen. Einer von den Schiffsjungen (wir hatten zwei), bedrückt von der Schauerlichkeit der Szene, weinte herzzerreißend. Wir konnten ihn irgendwo im Dunkeln schluchzen hören.

Am dritten Tag flaute der Sturm ab, und schließlich nahm uns ein Schlepper aus dem Norden auf. Wir brauchten insgesamt sechzehn Tage von London bis zum Tyne! Als wir endlich ins Dock kamen, hatten wir unsere Ladefrist versäumt, und man verwies uns auf einen Platz, wo wir einen Monat liegenblieben. Frau Beard (der Kapitän hieß Beard) kam von Colchester, um den Alten zu sehen. Sie lebte an Bord. Die Mannschaft war weggegangen, und es waren nur die Offiziere zurückgeblieben, ein Schiffsjunge und der Steward, ein Mulatte, der auf den Namen Abraham hörte. Frau Beard war eine alte Frau mit einem Gesicht ganz runzelig und faltig wie ein Winterapfel und mit der Figur eines jungen Mädels. Sie überraschte mich einmal dabei, wie ich mir einen Knopf annähte, und bestand darauf, meine Hemden zum Ausbessern zu bekommen. Das war freilich was andres, als ich es bisher von Kapitänsfrauen auf den Schnellseglern gewohnt war. Als ich ihr die Hemden brachte, sagte sie: ›Und die Socken? Die brauchen das Stopfen sicher auch, und Johns – Kapitän Beards – Sachen sind nun alle in Ordnung. Ich freue mich, wenn ich etwas zu tun bekomme‹. Gott segne die alte Dame. Sie sah meine ganze Ausstattung nach, und währenddessen las ich zum ersten Mal ›Sartor Resartus‹ und Burnabys ›Ritt nach Khiva‹