Jugend und Der Nigger vom "NARCISSUS" - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Joseph Conrad - E-Book

Jugend und Der Nigger vom "NARCISSUS" - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski E-Book

Joseph Conrad

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Beschreibung

Joseph Conrad, der Klassiker maritimer Texte, kannte die See und die Schiffe aus jahrelanger eigener Erfahrung. Er liebte das Meer und konnte darüber wortreich erzählen. Zwei seiner Seefahrerromane werden in diesem Band neu aufgelegt: "Jugend" und "Der Nigger vom 'NARZISSUS'". - Rezension zur maritimen gelben Reihe: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Seitenzahl: 340

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Joseph Conrad

Jugend und Der Nigger vom „NARCISSUS“ - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Joseph Conrad

Jugend

Der Nigger vom „NARZISSUS“

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Die gelbe Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“

Weitere Informationen

Jugend

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten.

In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch.

Diese Rezension findet man bei amazon: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke, Herr Ruszkowski.

Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben.

Diese Zeitzeugen-Buchreihe umfasst inzwischen über 100 maritime und weitere Bände.

Hamburg, 2020 Jürgen Ruszkowski

Ruhestandsarbeitsplatz des Herausgebers

* * *

Joseph Conrad

Joseph Conrad

1857 – 1924

Ein Leben als Seefahrer und Literat

Die Texte stammen aus

https://www.projekt-gutenberg.org/conrad/augenwes/augenwes.html

die Fakten aus

https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Conrad

Joseph Conrad (ursprünglich Josef Teodor Konrad Nalecz Korzeniowski) wurde am 3. Dezember 1857 als Sohn polnischer Eltern in Berdyczów (Berdytschiw) unweit von Kiew (heute Ukraine) geboren, das bis 1793 polnisch gewesen war und nach der zweiten Teilung Polens unter russische Herrschaft kam.

– Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges lebten in dieser Gegend der ukrainischen Sowjetrepublik noch viele Polen. Sie wurden unter Stalin nach der Westverschiebung Polens in ehemals deutschen Landschaften zwangsweise umgesiedelt. –

Conrads Vater, Apollo Korzeniowski, war Schriftsteller und polnischer Patriot, der William Shakespeare und Victor Hugo ins Polnische übersetzte. Er regte seinen Sohn an, polnische und französische Literatur zu lesen. Aufgrund seines Engagements für die Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit wurde der Vater 1861 verhaftet, zunächst im X. Pavillon der Zitadelle Warschau eingekerkert und neun Monate später ins nordrussische Wologda verbannt, wohin ihn seine Ehefrau Ewelina (geborene Bobrowska) und sein Sohn begleiteten. 1865 starb dort Conrads Mutter (Josef war erst acht Jahre alt). Der Vater wurde aus der Verbannung schließlich entlassen, wohnte noch kurze Zeit in Krakau, wo Conrad das Gymnasium besuchte, und starb 1869 (Josef war also mit 11 Jahren Vollwaise).

Das Sorgerecht für das damals elfjährige Kind erhielt dessen Onkel Tadeusz Bobrowski. Er erlaubte dem sechzehnjährigen Jugendlichen 1874 ins französische Marseille zu gehen, um Seemann zu werden.

1886 erhielt er die britische Staatsbürgerschaft. 1888 wurde er Kapitän der OTAGO; es sollte seine einzige Position als Kapitän sein. Seine Erlebnisse zur See, insbesondere im Kongo und auf den malaiischen Inseln, bilden den Hintergrund seines Werkes.

Conrad begann etwa 1890 seine Laufbahn als Schriftsteller. Als Kapitän eines Flussdampfers an den Stanley-Fällen des Kongo hatte er schweres Fieber bekommen und musste in einem Kanu an Land gebracht werden. Das Kanu kenterte, doch Conrad wurde gerettet. Damals hatte er die Anfangskapitel seines ersten Romans bei sich. Das Fieber verließ ihn nie mehr, ein letzter Versuch 1893, auf See wieder zu gesunden, misslang.

Conrad schuf ohne große finanzielle Mittel ein umfangreiches literarisches Werk. Er schrieb in englischer Sprache, die er erst mit 21 Jahren zu erlernen begonnen hatte. 1895 veröffentlichte er seinen ersten Roman ‚Almayers Wahn’. Lange Zeit war er auf Gönner angewiesen. Erst 1914 hatte er seinen literarischen Durchbruch mit ‚Spiel des Zufalls’. Seine Romane und Erzählungen zählen zu den berühmtesten Werken der englischen Literatur des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Am 3. August 1924 starb Conrad an Herzversagen.

Er liegt mit seiner Frau auf dem Friedhof von Canterbury begraben. Auf seinem Grabstein steht ein Spruch von Edmund Spenser geschrieben, der auch Conrads vorletztem Roman ‚Der Freibeuter’ vorangestellt ist: „Sleep after toyle, port after stormie seas, Ease after warre, death after life, does greatly please.“

Joseph Conrads Grabstein

* * *

Jugend

Diese Geschichte hätte sich nirgends sonst als in England abspielen können, wo die Männer und die See einander gegenseitig durchdringen, sozusagen – indem die See in das Leben der meisten Männer hineinspielt und jeder Mann ein wenig oder alles von der See weiß, vom Vergnügen, vom Reisen oder vom Broterwerb her.

Wir saßen rund um einen Mahagonitisch, der die Flasche, die Spitzgläser und unsere Gesichter widerspiegelte, die wir auf die Ellbogen gestützt hielten. Wir waren zu fünft: der Direktor einer Handelsgesellschaft, ein Buchhalter, ein Rechtsanwalt, Marlow und ich. Der Direktor war an der Küste aufgewachsen, der Buchhalter hatte vier Jahre zur See gedient, der Rechtsanwalt – ein Tory vom reinsten Wasser, ein Anhänger der Hochkirche, der feinste alte Knabe, der sich denken lässt, dazu ein Ehrenmann durch und durch – der Rechtsanwalt also war Erster Offizier bei der P.&O.-Linie gewesen, in den guten alten Tagen, als noch die Postdampfer auf mindestens zwei Masten mit Rahen getakelt waren und das Chinesische Meer vor einem kräftigen Monsun unter vollen Lee-Segeln herunterzulaufen pflegten. Wir alle hatten unsere Laufbahn in der Handelsmarine begonnen. Die See hielt uns zusammen wie ein starkes Band, und hinzu kam noch ein seemännisches Gemeinschaftsgefühl, wie es keine noch so hohe Begeisterung für Wettsegeln, Kreuzen oder ähnlichen Sport erzeugen kann; denn diese umfasst immer nur ein Beiwerk des Lebens, jenes aber das Leben selbst.

Marlow (ich denke wenigstens, dass er sich so schrieb) erzählte uns die Geschichte einer Reise:

„Ja, ich habe ein wenig von den östlichen Meeren gesehen; am besten aber erinnere ich mich doch an meine erste Reise dahin. Ihr alle wisst ja, dass es Reisen gibt, die wie erläuternde Beispiele zu diesem Leben wirken, ja, wie das Sinnbild des Lebens überhaupt. Da kämpft man, arbeitet, schwitzt, bringt sich beinahe, manchmal auch ganz um, immer in dem Bestreben, irgendwas durchzuführen – das man dann doch nicht fertigbringt. Nicht aus eigenem Verschulden. Man kann nur einfach nichts vollenden, nichts Großes und nichts Kleines – kein Ding auf dieser Welt; nicht einmal eine alte Jungfer heiraten, oder eine Ladung von lumpigen sechshundert Tonnen Kohle in ihren Bestimmungshafen bringen.

Die Sache war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Es war meine erste Reise nach dem Osten, und meine erste Reise als Zweiter Offizier; es war auch das erste Kommando meines Kapitäns. Ihr werdet zugeben, dass es an der Zeit war, wenn ich euch sage, dass er immerhin sechzig Jahre alt war; ein kleiner Mann mit breitem, nicht sonderlich geradem Rücken, mit gebeugten Schultern und gewaltigen Säbelbeinen; er sah förmlich krummgezogen aus, wie man es häufig bei Leuten findet, die Feldarbeit tun. Sein Nussknackergesicht – Kinn und Nase suchten einander über dem eingesunkenen Mund zu begegnen – war von eisengrauem, flaumigem Haar umrahmt, das wie ein baumwollenes Sturmband aussah, von Kohlenstaub überfleckt. Und ein Paar blaue Augen standen in seinem alten Gesicht, die ganz erstaunlich jungenhaft blickten, mit dem unschuldigen Ausdruck, den manchmal ganz gewöhnliche Leute bis an das Ende ihrer Tage bewahren, einfach zufolge der seltenen Gabe ihrer Herzenseinfalt und Geradheit. Was ihn bewogen haben mag, mich anzunehmen, war mir ein Rätsel. Ich kam von einem prächtigen australischen Schnellsegler, wo ich Dritter Offizier gewesen war, und er schien gegen Schnellsegler – als aristokratisch und übervornehm – ein Vorurteil zu haben. Er sagte mir: ‚Verstehen Sie mich recht – auf diesem Schiff hier werden Sie arbeiten müssen!‘ Ich antwortete ihm, dass ich noch auf jedem Schiff, auf dem ich je gewesen, hätte arbeiten müssen. – ‚Ah, aber dies hier ist grundverschieden, und ihr feinen Herren von den großen Schiffen ... Aber, na, ich hoffe, Sie werden sich machen! Treten Sie morgen an!‘

Ich trat also am nächsten Tage an. Das ist nun zweiundzwanzig Jahre her; und ich war eben zwanzig. Wie die Zeit vergeht! Es war einer der schönsten Tage meines Lebens. Denkt euch doch – frischgebackener Zweiter – richtig verantwortlicher Offizier! Ich hätte mein neues Patent nicht um ein Vermögen hergegeben. Der Erste musterte mich genau. Er war auch ein alter Knabe, doch von anderer Prägung. Er hatte eine römische Nase, einen schneeweißen langen Bart und hieß Mahon, bestand aber darauf, dass man den Namen ‚Mann‘ aussprechen sollte. Er hatte gute Beziehungen, doch fehlte es ihm wohl an Glück, und so war er nie weitergekommen.

Was nun den Kapitän angeht, so hatte der jahrelang auf Küstenfahrern, dann im Mittelmeer und schließlich auf der westindischen Route gedient. Um das Kap war er nie herumgekommen, konnte zur Not in einer kratzigen Klaue schreiben und legte keinen Wert darauf, überhaupt zu schreiben. Beide waren sehr tüchtige Seeleute, wie nicht anders zu erwarten, und ich kam mir zwischen den beiden Alten vor wie ein kleiner Junge zwischen zwei Großvätern.

Auch das Schiff war alt. Es hieß ‚JUDEA‘ – komischer Name, nicht; und gehörte einem Manne namens Wilmer, Wilcox... irgendwas der Art; aber er hat Bankrott gemacht und ist gestorben, vor zwanzig oder mehr Jahren, und so tut sein Name nichts zur Sache.

Bark

Die Bark war endlos lange im Shadwell Dock aufgelegt gewesen, und ihr könnt euch ihren Zustand vorstellen. Sie war über und über voll Rost, Staub und Schmutz; die Takelung verrußt, das Deck förmlich überkrustet. Für mich war es ungefähr so, als wäre ich aus einem Palast in ein verfallenes Bauernhaus gekommen. Sie hatte etwa vierhundert Tonnen, ein altmodisches Ankerspill, Holzklinken an den Türen, kein kleinstes Stück Messing auf sich, und ein mächtiges, plattes Heck. Darauf stand in großen Lettern ihr Name; darunter war eine Menge Schnitzwerk angebracht, von dem die Vergoldung abgegangen war und das eine Art Wappen mit dem Wahlspruch umgab: ‚Halt aus oder stirb!‘ Ich erinnere mich noch, wie stark es meine Einbildungskraft gefangennahm. Ein Schimmer von Romantik lag darüber, etwas, das mich das alte Ding lieben ließ, – das mein junges Herz ergriff!

Wir verließen London in Ballast – Sandballast, – um in einem nördlichen Hafen eine Ladung Kohlen für Bangkok einzunehmen. Bangkok! Ich fieberte förmlich! Ich war sechs Jahre zur See gewesen, hatte aber nur Melbourne und Sydney gesehen, sehr nette Orte, entzückende Orte in ihrer Art – aber Bangkok!

Wir arbeiteten uns unter Segeln aus der Themse hinaus, mit einem Nordseelotsen an Bord. Er hieß Jermyn und drückte sich den ganzen lieben Tag in der Kombüse herum, wo er sein Taschentuch vor dem Ofen trocknete. Anscheinend schlief er nie. Er war ein trübseliger Mann, dem eine ewige Träne an der Nasenspitze glitzerte und der entweder Unglück gehabt hatte oder noch hatte oder welches erwartete, – der kurzum nicht glücklich war, wenn nicht irgendwas schief ging. Er misstraute meiner Jugend, meinem gesunden Menschenverstand und meinen seemännischen Fähigkeiten und ließ es sich angelegen sein, mir das auf hundert kleine Arten zu zeigen. Ich möchte fast glauben, dass er recht hatte. Mir scheint, ich wusste damals recht wenig und weiß heute nicht viel mehr; doch fühle ich bis zum heutigen Tage eitlen Hass gegen diesen Jermyn.

Wir brauchten eine Woche, um bis nach Yarmouth Roads hinaufzukommen, und dann gerieten wir in ein Unwetter – den berüchtigten Oktobersturm von vor zweiundzwanzig Jahren. Wind, Blitze, Hagel, Schnee und eine fürchterliche See. Wir waren zu leicht beladen, und ihr könnt euch vorstellen, wie schlimm es war, wenn ich euch sage, dass wir das Schanzkleid zertrümmert und das Deck unter Wasser hatten. In der zweiten Nacht rutschte der Ballast voraus nach Lee, und damals waren wir schon irgendwohin in die Nähe der Dogger-Bank verschlagen. Da gab es nichts anderes als: hinunter, mit Schaufeln, und versuchen, sie aufzurichten. Da waren wir also in dem weiten Laderaum, düster wie eine Höhle; die paar Lichter flackerten auf den Balkenenden, der Sturm heulte über uns, und das Schiff torkelte auf der Seite liegend wie verrückt dahin; da waren wir alle, Jermyn, der Kapitän, jeder einzelne, kaum imstande, auf den Füßen zu bleiben; alle hart bei der Totengräberarbeit, feuchten Sand schaufelweise nach Luv hinüberzuwerfen. Bei jedem Rollen des Schiffes konnte man in dem trüben Licht Männer zwischen blitzenden Schaufeln niederstürzen sehen. Einer von den Schiffsjungen (wir hatten zwei), bedrückt von der Schauerlichkeit der Szene, weinte herzbrechend. Wir konnten ihn irgendwo im Dunkeln schluchzen hören.

Am dritten Tage flaute der Sturm ab, und schließlich nahm uns ein Schlepper aus dem Norden auf. Wir brauchten insgesamt sechzehn Tage von London bis zum Tyne! Als wir endlich ins Dock kamen, hatten wir unsere Ladefrist versäumt, und man verwies uns auf einen Platz, wo wir einen Monat liegenblieben. Frau Beard (der Kapitän hieß Beard) kam von Colchester, um den Alten zu sehen. Sie lebte an Bord. Die Mannschaft war davongegangen, und es waren nur die Offiziere zurückgeblieben, ein Schiffsjunge und der Steward, ein Mulatte, der auf den Namen Abraham hörte. Frau Beard war eine alte Frau mit einem Gesicht ganz runzelig und faltig wie ein Winterapfel und mit der Figur eines jungen Mädels. Sie überraschte mich einmal dabei, wie ich mir einen Knopf annähte, und bestand darauf, meine Hemden zum Ausbessern zu bekommen. Das war freilich was andres, als ich es bisher von Kapitänsfrauen auf den Schnellseglern gewohnt war. Als ich ihr die Hemden brachte, sagte sie: ‚Und die Socken? Die brauchen das Stopfen sicher auch, und Johns – Kapitän Beards – Sachen sind nun alle in Ordnung. Ich freue mich, wenn ich etwas zu tun bekomme.‘ Gott segne die alte Dame. Sie sah meine ganze Ausstattung nach, und unterdessen las ich zum ersten Male ‚Sartor Resartus‘ und Burnabys ‚Ritt nach Khiva‘. Von dem ersten verstand ich damals nicht viel; doch zog ich, wie ich mich erinnere, den Soldaten dem Philosophen vor. Eine Vorliebe, die mein weiteres Leben nur verstärkt hat. Der eine war ein Mann, und der andere war entweder mehr – oder weniger. Doch so oder so – sie sind beide tot, und Frau Beard ist tot, und Jugend, Kraft, Genie, tiefe Gedanken, große Taten, einfältige Herzen – alles muss sterben... Macht nichts.

Schließlich kamen wir zum Laden. Wir heuerten eine Mannschaft an. Acht Vollmatrosen und zwei Jungen. Eines Abends gingen wir an die Bojen bei den Docktoren, klar zum Auslaufen und mit der ziemlich sicheren Aussicht, die Reise am nächsten Tage zu beginnen. Frau Beard sollte mit einem Nachtzuge heimfahren. Sobald das Schiff festgemacht war, setzten wir uns zum Tee. Wir – Mahon, das alte Ehepaar und ich – zeigten keine Lust zum Reden. Ich war zuerst fertig und verzog mich, um ein wenig zu rauchen; meine Kabine lag in einem Deckhaus hart an der Hütte. Es war Flut, Sprühregen in der Luft, dazu blies eine scharfe Brise; die Doppeltore des Docks standen offen, und die Kohlenschiffe dampften in der Dunkelheit mit grellen Signallichtern ein und aus, unter großem Geplätscher der Schrauben, dem Rasseln der Winden und mächtigem Geschrei auf den Quais. Ich sah der langen Reihe der Topplaternen zu, die hoch oben, und der grünen Seitenlichter, die niedrig durch die Nacht hinglitten, als plötzlich ein roter Schein vor mir aufblitzte, verschwand, wieder auftauchte und stehenblieb. Der Bug eines Dampfers zeichnete sich in nächster Nähe ab. Ich brüllte in die Kajüte hinunter: ‚Kommt herauf, schnell!‘ und hörte gleich darauf eine erschreckte Stimme weiterab im Dunkeln sagen: ‚Stoppen Sie, Herr!‘ Eine Glocke schrillte. Eine andere Stimme rief warnend: ‚Wir rennen kerzengerade in die Bark da hinein!‘ Die Antwort hierauf war ein brummiges ‚Schon recht‘, und unmittelbar danach kam ein schwerer Krach, während der Dampfer mit seinem breiten Bug unsere Fockwanten abstreifte. Es gab einen Augenblick der Verwirrung, mit Geschrei und Herumrennen. Dampf zischte. Dann hörte man jemand sagen: ‚Alles klar, Herr!‘ – ‚Seid ihr in Ordnung?‘ fragte die brummige Stimme. Ich war vorausgesprungen, um den Schaden zu besichtigen, und rief zurück: ‚Ich denke!‘ – ‚Langsam vorwärts!‘ sagte die brummige Stimme. Eine Glocke schrillte. ‚Was für ein Dampfer ist das?‘ brüllte Mahon. Unterdessen erschien uns der Dampfer nur noch als ein klobiger Schatten, während er ein Stück weitab manövrierte. Sie brüllten uns einen Namen zu – irgendeinen Frauennamen, Miranda oder Melissa oder so was Ähnliches. ‚Das bedeutet noch einen Monat mehr in dem verwünschten Nest hier‘, sagte mir Mahon, während wir mit Lampen das zersplitterte Schanzkleid und die gerissenen Brassen ableuchteten. ‚Aber wo steckt der Kapitän?‘

Wir hatten die ganze Zeit über nichts von ihm gesehen oder gehört. Wir gingen achtern, um nachzusehen. Irgendwo von der Mitte des Docks her erhob sich eine klägliche Stimme: ‚JUDEA, ahoi!‘ ... Wie zum Teufel kam er dahin? ... ‚Hallo!‘ brüllten wir. – ‚Ich treibe in unserem Boot ohne Ruder‘, rief er zurück. Ein verspäteter Jollenführer bot seine Dienste an, und Mahon handelte mit ihm aus, er sollte um eine halbe Guinee unseren Kapitän längsseits schleppen; doch war es Frau Beard, die zuerst die Leiter heraufkam. Die beiden waren in dem kalten Sprühregen fast eine Stunde lang im Dock herumgetrieben. Nie in meinem Leben war ich so überrascht.

Wie sich herausstellte, hatte er, sobald er mich ‚Kommt herauf!‘ rufen hörte, sofort begriffen, worum es sich handelte, hatte seine Frau gepackt, war an Deck und quer hinüber zu unserem Boot gelaufen, das an der Leiter festlag. Nicht übel für einen Sechzigjährigen! Stellt euch nur den alten Burschen vor, der heldenmütig in seinen Armen die alte Frau rettete – die Frau seines Lebens. Er setzte sie auf eine Ruderbank und schickte sich an, an Bord zurück zu klettern, als die Fangleine irgendwie loskam und sie beide abtrieben. Natürlich hörten wir ihn in dem Trubel nicht rufen. Er sah niedergeschlagen aus. Sie sagte fröhlich: ‚Nun, ich denke, es macht nichts aus, dass ich den Zug versäumt habe?‘ – ‚Nein, Jenny – geh hinunter und wärm dich!‘ knurrte er. Dann zu uns: ‚Ein Seemann soll sich mit keiner Frau abgeben, sage ich. Da war ich also fort vom Schiff. Na, diesmal hat es nichts auf sich gehabt. Sehen wir einmal nach, was der verteufelte Dampfer angerichtet hat.‘

Es war nicht viel, aber es hielt uns drei Wochen lang auf. Nach Ablauf dieser Zeit trug ich, da der Kapitän gerade mit seinen Maklern zu tun hatte, Frau Beards Koffer zum Bahnhof und setzte sie recht bequem in ein Abteil dritter Klasse. Sie ließ das Fenster herunter, um mir zu sagen: ‚Sie sind ein netter junger Mann. Wenn Sie John – Kapitän Beard – nachts ohne seinen Schal sehen, dann erinnern Sie ihn doch in meinem Namen daran, dass er den Hals warmhalten soll!‘ – ‚Gewiss, Frau Beard!‘ sagte ich. – ‚Sie sind ein netter junger Mann; ich habe beobachtet, wie aufmerksam Sie gegen John – gegen Kapitän.‘ – Der Zug fuhr plötzlich an; ich zog meine Mütze vor der alten Frau; ich habe sie nie wieder gesehen ... Reich die Flasche weiter! Am nächsten Tag gingen wir in See. Als wir so nach Bangkok aufbrachen, waren wir schon drei Monate von London fort. Wir hatten mit etwa vierzehn Tagen – allerhöchstens – gerechnet. Es war im Januar und das Wetter wunderschön – das herrliche, sonnige Winterwetter, das mehr Reiz hat als der Sommer, weil es unerwartet ist und herb, und man weiß, dass es unmöglich lange anhalten kann. Es ist wie ein Fallwind, wie Strandgut, wie ein unverhofftes Glück.

Es hielt die ganze Nordsee und den Kanal durch an und weiter noch, bis wir etwa dreihundert Meilen westlich von Kap Lizard waren. Dann sprang der Wind nach Südwest um und begann richtig zu pfeifen. Nach zwei Tagen hatten wir Sturm. Die JUDEA, beigedreht, rollte im Atlantischen wie eine Nussschale. Es blies Tag um Tag: schneidend, ohne Unterlass, unbarmherzig. Die Welt war nichts als eine Unendlichkeit schäumender Wogen, die gegen uns anstürmten, unter einem Himmel, niedrig genug, dass man ihn mit der Hand greifen konnte, und schmutzig wie eine verrauchte Stubendecke. In dem sturmzerrissenen Raum rings um uns war ebenso viel Gischt wie Luft. Tag um Tag und Nacht um Nacht umtobte das Schiff das Heulen des Windes und der Wogen und das Donnern der Sturzseen auf Deck. Es gab keine Rast, weder für das Schiff noch für uns. Die Bark stampfte, schlingerte, stellte sich auf den Kopf, setzte sich auf den Stert, rollte, ächzte, und wir mussten uns festklammern, wenn wir auf Deck, und uns gegen die Kojen spreizen, wenn wir unter Deck waren, in ewiger Anspannung von Seele und Leib.

Eines Nachts sprach Mahon durch das kleine Fenster in meiner Koje. Es ging gerade in mein Bett, wo ich schlaflos lag, in Stiefeln und mit dem Gefühl, als hätte ich jahrelang nicht geschlafen und könnte es nicht mehr, wenn ich auch wollte. Er sagte aufgeregt: ‚Haben Sie den Peilstock da, Marlow? Ich kann die Pumpen nicht zum Aussaugen bringen. Bei Gott, es ist kein Kinderspiel!‘

Ich gab ihm den Peilstock, legte mich wieder hin und versuchte allerlei zu denken – aber ich dachte nur an die Pumpen. Als ich auf Deck kam, waren sie immer noch dabei, und meine Wache löste an den Pumpen ab. Im Licht einer Laterne, die auf Deck gebracht worden war, um den Peilstock abzulesen, konnte ich ihre müden, ernsten Gesichter sehen. Wir pumpten die vollen vier Stunden durch. Wir pumpten die ganze Nacht, den ganzen Tag, die ganze Woche – Wache um Wache. Die Bark arbeitete sich lose und leckte schlimm – nicht schlimm genug, um uns augenblicklich zu ersäufen, doch genug, um uns mit der Schinderei an den Pumpen umzubringen. Und während wir pumpten, ging das Schiff stückweise dahin: das Schanzkleid erst, dann die Stützen; die Ventilatoren wurden zerschlagen, die Kajütentür eingedrückt. Es gab kein trockenes Fleckchen mehr im ganzen Schiff. Alles wurde nach und nach überschwemmt. Das Langboot wurde wie durch Zauberei zu Brennholz, während es fest in den Bootskrabbern stand. Ich hatte es selbst festgelascht und war richtig stolz auf meine Handarbeit, die so lange den Tücken der See widerstanden hatte. Und wir pumpten. Und das Wetter änderte sich nicht. Die See war einfarbig weiß von Schaum, wie ein Kessel voll kochender Milch; kein Riss zeigte sich in den Wolken – kein handtellergroßer Riss – nicht zehn Sekunden lang. Keinen Himmel gab es für uns, keine Sterne, keine Sonne, keine Welt – nichts als böse Wolken und eine wütende See. Wir pumpten Wache um Wache ums liebe Leben; und es schien Monate, Jahre, eine ganze Ewigkeit zu währen, als wären wir alle gestorben und in eine Hölle für Seeleute verdammt worden. Wir vergaßen den Wochentag, den Namen des Monats, das Jahr, und dass wir je an Land gewesen waren. Die Segel wurden davongeweht, die Bark lag dwars unter einer Persenning, der Ozean strömte über sie weg, und wir achteten es nicht. Wir drehten an den Kurbeln und sahen wie die Idioten drein. Sobald wir auf Deck gekrochen waren, pflegte ich eine Tauschlinge um die Leute, die Pumpen und den Hauptmast zu legen, und wir drehten, drehten unaufhörlich, im Wasser bis zu den Hüften, bis zum Hals, über den Kopf. Es war alles eins. Wir hatten vergessen, wie es war, sich trocken zu fühlen.

Und irgendwo in mir lebte der Gedanke: Bei Gott, das ist ein verteufeltes Abenteuer – etwas, wie man es in Büchern liest; und es ist meine erste Reise als Zweiter Offizier – und ich bin erst zwanzig und beiße es durch wie nur einer und halte meine Kerls bei der Stange. Es gefiel mir. Ich hätte das Erlebnis nicht um die Welt missen mögen. Augenblicke lang jubelte ich sogar. Sooft die alte, abgetakelte Bark, mit der Gillung hoch in der Luft, aufstampfte, schien sie mir wie eine Klage, eine Herausforderung, wie einen Schrei zu den gnadenlosen Wolken die Worte emporzuschleudern, die auf ihrem Heck geschrieben standen: JUDEA, London. Halt aus oder stirb!‘

O Jugend! Ihre Kraft, ihre Gläubigkeit, ihre schönen Träume! Für mich war das Schiff kein alter Klapperkasten, der eine Ladung Kohle durch die Welt schleppte. Für mich verkörperte sich darin alles, was im Leben des höchsten Einsatzes wert sein konnte. Ich denke gerne an die Bark zurück, mit Liebe und Schmerz, wie an einen lieben Toten. Ich werde sie nie vergessen... Reich die Flasche weiter!

Eines Nachts, als wir wieder, wie ich schon sagte, an den Mast gebunden waren und pumpten, pumpten, betäubt vom Wind und zu zermürbt, um uns auch nur den Tod wünschen zu können, da also schlug eine schwere See über Bord und glatt über uns weg. Sobald ich wieder Luft schnappen konnte, brüllte ich pflichtgemäß: ‚Haltet fest, Jungs!‘ und spürte dabei plötzlich, wie etwas Hartes, das auf Deck herumschwamm, gegen meine Wade stieß. Ich griff danach und verfehlte es. Es war so dunkel, dass wir einer des andern Gesicht keine Spanne weit sehen konnten, müsst ihr wissen.

Nach dem Krach hielt sich das Schiff eine Weile ruhig, und das Ding, was es auch sein mochte, stieß nochmals gegen mein Bein. Diesmal erwischte ich es – es war eine Kochpfanne. Im ersten Augenblick, übermüdet und nur mit dem Gedanken an die Pumpen im Kopf, begriff ich gar nicht, was ich in der Hand hielt. Plötzlich dämmerte es mir auf, und ich brüllte: ‚Jungs, das Deckhaus ist über Bord. Lasst die Pumpen sein, und sehen wir nach dem Koch!‘

Vorn war ein Deckhaus, das die Kombüse, die Koje des Kochs und das Mannschaftslogis enthielt. Da wir seit Tagen damit gerechnet hatten, dass es weggerissen würde, war den Leuten befohlen worden, in der Kajüte zu schlafen, dem einzig sicheren Platz im Schiff. Der Steward, Abraham, aber beharrte darauf, in seiner Koje zu bleiben, stumpfsinnig wie ein Mulo – aus blanker Angst, denke ich mir, wie ein Tier, das sich weigert, einen Stall zu verlassen, der während eines Erdbebens einstürzt. So gingen wir also hin, um nach ihm zu sehen. Dabei setzten wir unser Leben aufs Spiel, denn sobald wir erst einmal unsere Umschnürung aufgegeben hatten, waren wir ebenso ungeschützt wie auf einem Floß. Aber wir gingen hin. Das Deckhaus war zertrümmert, als wäre eine Granate darin explodiert. Der Großteil war über Bord gegangen – der Ofen, das Quartier und alles Eigentum der Mannschaft, alles war dahin. Wie durch ein Wunder aber waren zwei Pfosten stehengeblieben, mit einem Stück Schott dazwischen, woran Abrahams Koje befestigt war. Wir wühlten in dem Trümmerwerk, stießen hierauf, und da saß er also in seiner Koje, zwischen Schaum und Trümmern, und babbelte vergnügt vor sich hin.

Er hatte den Verstand verloren, war richtig und unheilbar verrückt geworden; dieser letzte Stoß hatte seinen Lebensgeistern den Rest gegeben. Wir packten ihn zusammen, schleiften ihn nach achtern und stießen ihn kopfüber die Kajütentreppe hinunter. Ihr könnt euch wohl denken, dass keine Zeit war, ihn mit größter Sorgfalt hinunterzutragen und abzuwarten, wie er sich weiter machen würde. Die von der Freiwache würden ihn wohl am Fuß der Treppe zusammenklauben, dachten wir. Wir hatten es eilig, an die Pumpen zurückzukommen. Die Arbeit litt keinen Aufschub. Ein großes Leck ist eine unmenschliche Sache.

Man hätte glauben können, es sei der ganze Zweck dieses Mordssturms gewesen, den armen Teufel von Mulatten um den Verstand zu bringen. Noch vor dem Morgen ließ der Sturm nach, und am nächsten Tage klarte der Himmel auf, und sowie der Seegang nachließ, zog sich auch das Leck zu. Als neue Segel angeschlagen werden sollten, bestand die Mannschaft auf der Rückkehr, – und tatsächlich war nichts anderes zu tun. Die Boote dahin, das Deck reingefegt, die Kajüte unter Wasser, die Leute ohne einen Knopf, außer dem bisschen Zeug, das sie am Leibe hatten, die Vorräte verdorben, das Schiff überanstrengt. Wir setzten Kurs nach Hause, und – würdet ihr 's glauben? – der Wind blies uns von Osten gerade ins Gesicht. Ein schöner, stetiger Gegenwind. Wir mussten Zoll um Zoll aufkreuzen, aber die Bark leckte nicht gar zu arg, weil die See ziemlich ruhig blieb. Von vier Stunden immer je zwei zu pumpen ist kein Spaß – aber wir erhielten sie damit flott bis nach Falmouth.

Die guten Leute dort leben von den Unfällen auf See und freuten sich zweifellos, uns zu sehen. Eine hungrige Schar von Zimmerbaasen wetzte ihre Meißel beim Anblick dieses Schiffskadavers. Und bei Gott! Es kostete einen schönen Batzen Geld, ehe sie fertig waren. Ich denke mir, dass der Reeder damals schon nicht mehr gut stand. Es gab allerlei Aufschübe. Dann wurde beschlossen, einen Teil der Ladung herauszunehmen und die Seiten der Bark zu kalfatern. Das wurde gemacht, die anderen Ausbesserungen beendet, die Ladung wieder eingenommen; eine neue Mannschaft kam an Bord, und wir gingen in See – nach Bangkok. Nach knapp einer Woche waren wir wieder zurück. Die Mannschaft erklärte, sie dächte nicht daran, die etwa hundertfünfzig Tage Überfahrt nach Bangkok in dem Huker zu machen, der von vierundzwanzig Stunden acht an den Pumpen brauchte; und die nautischen Blätter brachten wieder die kleine Anzeige: ‚JUDEA. Bark. Vom Tyne nach Bangkok; Kohle; leck nach Falmouth zurückgekehrt; Mannschaft verweigert Dienst.‘

Wieder gab es allerhand Aufschübe – allerhand Flickarbeit. Der Reeder kam für einen Tag herunter und erklärte, die Bark sei tipptopp, wie eine kleine Geige. Der arme Kapitän Beard sah wie ein Gespenst aus – vor lauter Kummer und Demütigung. Bedenkt, dass er sechzig und dass es sein erstes Kommando war. Mahon meinte, es sei eine verrückte Geschichte, die schlimm ausgehen würde. Ich liebte das Schiff mehr als je und brannte darauf, nach Bangkok zu kommen. Nach Bangkok! Zauberhafter Name, dreimal gesegneter Name! Mesopotamien reichte nicht im Traum daran hin. Bedenkt, dass ich zwanzig, dass es mein erstes Patent als Zweiter Offizier war und dass der Osten auf mich wartete.

Wir verließen den Hafen und gingen an der Außenreede vor Anker, mit einer neuen Mannschaft – der dritten. Die Bark leckte ärger als je. Es war, als hätten ihr die verwünschten Zimmerbaase geradezu ein Loch geschlagen. Diesmal kamen wir nicht einmal mehr auf hohe See. Die Mannschaft weigerte sich einfach, das Ankerspill zu bemannen.

Sie schleppten uns in den Innenhafen zurück, und wir wurden so etwas wie ein Merkmal, eine Sehenswürdigkeit, eine stehende Einrichtung des Ortes. Die Leute zeigten uns gelegentlichen Besuchern als ‚die Bark da, die nach Bangkok gehen soll – liegt schon sechs Monate hier – dreimal umgekehrt!‘ – An Feiertagen pflegten uns wohl die kleinen Jungen, die in Booten herumruderten, anzurufen: ‚JUDEA, ahoi!‘ und, wenn sich ein Kopf über der Reling zeigte, zu brüllen: ‚Wohin seid ihr bestimmt? – Bangkok?‘ Und dann grölten sie vor Lachen. Wir waren nur zu dritt an Bord. Der arme alte Schiffer brütete in der Kajüte vor sich hin. Mahon hatte das Kochen auf sich genommen und dabei unerwartet das ganze Geschick eines Franzosen für die Bereitung netter kleiner Gerichte bewiesen. Ich sah gelangweilt die Takelung nach. Wir alle wurden Bürger von Falmouth. Jeder Ladeninhaber kannte uns. Beim Barbier oder im Tabakladen fragte man uns vertraulich: ‚Glauben Sie, dass Sie je nach Bangkok kommen werden?‘ Unterdessen stritten sich der Reeder, die Versicherung und die Befrachter in London herum, und unser Gehalt lief weiter... Reich die Flasche weiter!

Es war schauerlich. Seelisch war es schlimmer, als ums liebe Leben pumpen zu müssen. Es schien, als wären wir von der Welt vergessen worden, als sollten wir, verhext, für ewig und immer in dem Innenhafen dort leben müssen, Zielscheibe des Spottes für Geschlechter von Hafenbummlern und unehrlichen Bootsleuten. Ich erwirkte drei Monate Gehalt und fünf Tage Urlaub und machte einen Abstecher nach London. Ich brauchte einen vollen Tag hin und ebenso lange zurück – aber drei Monate Gehalt gingen dabei drauf. Ich weiß nicht, was ich damit anfing. Ich ging in ein Tingeltangel, glaube ich, aß zu Mittag, zu Abend und zu Nacht, in einem piekfeinen Lokal in Regent Street, und war pünktlich zurück, ohne als Gegenwert für drei Monate Arbeit mehr aufweisen zu können als eine Gesamtausgabe von Byrons Werken und eine neue Reisedecke. Der Jollenführer, der mich zum Schiff hinüberruderte, sagte: ‚Hallo! Ich dachte, Sie hätten die alte Kiste sein lassen. Die kommt nie nach Bangkok!‘ – ‚Was Sie schon davon wissen!‘ gab ich geringschätzig zurück – aber mir gefiel die Weissagung ganz und gar nicht.

Plötzlich tauchte irgendein Agent mit Vollmacht auf. Er hatte ein rotes Trinkergesicht, eine unbändige Tatkraft und ein frohes Gemüt. Wir erwachten zu neuem Leben. Ein Hulk kam längsseits, nahm unsere Ladung ein, und dann gingen wir ins Trockendock, um den Kupferbelag abnehmen zu lassen. Kein Wunder, dass die Bark leckte! Das arme Ding hatte, in dem Sturm über alle Gebühr beansprucht, wie vor Ekel das ganze Werg aus den unteren Nähten ausgespien. Sie wurde frisch kalfatert, neu mit Kupfer beschlagen und so dicht gemacht wie eine Flasche. Wir gingen zu dem Hulk zurück und nahmen unsere Ladung wieder ein.

Dann verließen in einer schönen Mondnacht alle Ratten das Schiff. Wir hatten eine Unzahl davon an Bord gehabt. Sie hatten unsere Segel zerfressen, mehr Vorräte verschlungen als die Besatzung, hatten liebevoll unsere Betten und unsere Gefahren mit uns geteilt, um nun, als das Schiff endlich seetüchtig gemacht war, doch auszuwandern. Ich rief Mahon, damit auch er das Schauspiel ansehe. Eine Ratte nach der anderen erschien auf unserer Reling, warf einen letzten Blick über die Schulter zurück und sprang mit einem dumpfen Aufklatschen in den leeren Hulk hinunter. Wir versuchten sie zu zählen, kamen aber bald nicht mehr nach. Mahon meinte: ‚Nun, nun, sagen Sie mir nichts von dem Verstand der Ratten! Die hätten früher auswandern sollen, als wir knapp am Untergehen waren. Da haben Sie den Beweis dafür, wie töricht der Aberglaube wegen der Ratten ist. Sie verlassen ein gutes Schiff einem alten, verfaulten Hulk zuliebe, auf dem es überdies nicht einmal etwas zu essen gibt; die dummen Viecher! ... Ich finde, sie wissen nicht besser als Sie oder ich, was gut für sie ist.‘

Und nach einigem Hin und Her einigten wir uns darauf, dass die Weisheit der Ratten gröblich überschätzt worden und tatsächlich nicht größer als die der Menschen sei.

Die Geschichte des Schiffes war inzwischen den ganzen Kanal entlang von Land's End bis zu den Forelands bekanntgeworden, und wir konnten an der Südküste keine Bemannung mehr zusammenbringen. Sie schickten uns eine – ganz vollzählig – von Liverpool herunter, und noch einmal gingen wir in See – nach Bangkok. Wir hatten gute Brisen und glatte See bis über den Wendekreis hinaus, und die alte JUDEA bummelte im Sonnenschein dahin. Wenn sie acht Knoten lief, dann krachte oben alles, und wir banden uns die Mützen fest; meist aber machte sie ihre drei Meilen in der Stunde. Was hätte man auch erwarten dürfen? Sie war müde – das alte Schiff. Ihre Jugend war, wo meine ist, wo eure ist, ihr Burschen, die ihr dieser Geschichte zuhört; und welcher Freund wollte euch wohl eure Jahre und eure Müdigkeit vorwerfen? Wir schalten sie nicht. Uns kam es so vor, als wären wir auf ihr geboren und aufgezogen, hätten jahrzehntelang auf ihr gelebt und nie ein anderes Schiff gekannt. Ebenso gut hätte ich unserer alten Dorfkirche daheim vorwerfen können, sie sei keine Kathedrale.

Und in meinem besonderen Fall half auch noch meine Jugend zur Geduld. Der ganze Osten lag vor mir, und das ganze Leben; dazu der Gedanke, dass ich auf diesem Schiffe auf die Probe gestellt worden war und die Probe gut bestanden hatte. Und ich gedachte der Männer alter Zeit, die vor Jahrhunderten, in Schiffen, die kaum besser segelten, den gleichen Weg gezogen waren, ins Land der Palmen, der Gewürze und des gelben Sands, der braunen Völkerschaften unter der Herrschaft von Königen, grausamer als Roms Nero und prachtliebender als Salomo. Die alte Bark bummelte weiter und trug schwer an ihrem Alter und ihrer Ladung, während ich jugendlich unwissend und hoffnungsfroh dahinlebte. Sie stolperte während einer endlosen Reihe von Tagen dahin; und die frische Vergoldung strahlte den Abendsonnenschein wider, schien über die dunkelnde See die Worte hinauszurufen, die auf dem Heck geschrieben standen: ‚JUDEA, London. Halt aus oder stirb!‘

Dann kamen wir in den Indischen Ozean und hielten nördlich, auf die Spitze von Java zu. Die Winde blieben leicht. Die Wochen glitten dahin. Die Bark schlich ihren Weg, halt aus oder stirb, und die Leute daheim begannen daran zu denken, uns als überfällig anzumelden.

Eines Samstagabends, als ich eben dienstfrei war, baten mich die Leute, ihnen eine Extraration Wasser auszugeben, damit sie ihre Sachen waschen könnten. Da ich so spät nicht mehr die Frischwasserpumpe anschrauben wollte, ging ich pfeifend nach vorne, einen Schlüssel in der Hand, um die Vorderstevenluke aufzusperren und das Wasser aus einem Reservetank auszugeben, den wir dort aufbewahrten.

Der Geruch da unten war so unerwartet wie beängstigend. Man hätte glauben können, dass Hunderte von Petroleumlampen in dem Loche tagelang gerußt und geraucht hätten. Ich war froh, als ich wieder draußen war. Der Mann neben mir hustete und sagte: ‚Komischer Geruch, Sir.‘ Ich gab nachlässig zurück: ‚Das soll recht gesund sein, sagt man‘, und ging nach achtern.

Als nächstes steckte ich meinen Kopf in die Öffnung des Ventilators mittschiffs. Als ich den Deckel lüftete, stieg etwas wie ein sichtbarer Hauch, wie ein dünner Nebel, eine kleine Hitzewelle aus der Öffnung auf. Der Luftzug war heiß und brachte schweren, rußigen, öligen Geruch mit. Ich zog ihn einmal ein und machte dann den Deckel leise wieder zu. Es hatte wenig Sinn, mich dem Ersticken auszusetzen. Die Ladung hatte Feuer gefangen.

Am nächsten Tag begann die Bark ernstlich zu rauchen. Es war allerdings zu erwarten gewesen; denn wenn auch die Kohle von einwandfreier Art gewesen war, so war doch mit der Ladung so herumgewirtschaftet worden, dass das Zeug nun weit eher wie Schmiedekohle aussah. Dann war auch öfter als einmal Wasser darauf gekommen. Die ganze Zeit über, als wir sie aus dem Hulk wieder übernahmen, hatte es geregnet, jetzt während der langen Überfahrt hatte sich die Kohle erhitzt, und so war also die Selbstentzündung zustande gekommen.

Der Kapitän rief uns in die Kabine. Er hatte eine Karte vor sich auf dem Tische ausgebreitet und sah unglücklich aus. Er sagte: ‚Die Küste von Westaustralien ist nahe, ich beabsichtige aber, weiter auf unseren Bestimmungsort zuzuhalten. Allerdings haben wir überdies noch den Orkanmonat; aber wir wollen doch einfach auf Bangkok zu und das Feuer bekämpfen. Kein Zurück mehr, um keinen Preis, und sollten wir alle geröstet werden! Zuerst einmal wollen wir versuchen, den verteufelten Brand zu ersticken, indem wir ihm die Luftzufuhr abschneiden!‘

Das versuchten wir. Wir verschalkten jedes kleinste Loch, und doch rauchte die Bark weiter. Der Rauch kam durch unmerkliche Ritzen heraus, zwängte sich durch Schotte und Deckel, wehte da und dort in dünnen Fäden herum oder als ein kaum sichtbarer, unheimlicher Glast. Er fand seinen Weg in die Kajüte, ins Vorderkastell, verpestete alle Winkel auf Deck und war sogar noch oben auf der Großrahe zu spüren. Es war klar, dass, wenn der Rauch herauskam, die Luft auch hineinkommen musste. Und das brachte uns fast zur Verzweiflung. Der Brand ließ sich nicht ersticken.

Wir beschlossen, es mit Wasser zu versuchen und machten die Luken auf. Ungeheure Rauchwolken, weiß und gelb, dick, schmierig, erstickend, stiegen bis zum Flaggenknopf auf. Alle Mann verzogen sich nach achtern. Dann verwehte die giftige Wolke, und wir machten uns wieder an die Arbeit, in einem Rauch, der nicht dicker war, als der eines gewöhnlichen Fabrikschornsteins.

Wir stellten die Druckpumpe zu, legten den Schlauch aus – und er platzte. Nun, er war so alt wie das Schiff, ein prähistorischer Schlauch; an eine Ausbesserung war nicht zu denken. So pumpten wir also mit der schwachen Bugpumpe, zogen Wasser in Eimern herauf, und brachten es so mit der Zeit fertig, ein gut Teil des Indischen Ozeans in die Großluke hineinzuschütten. Der breite Strom glitzerte im Sonnenschein, stürzte sich auf eine niedrig kriechende, weiße Rauchwolke und verschwand unter der schwarzen Oberfläche der Kohle. Dampf wallte auf und mischte sich mit dem Rauch. Wir schütteten Salzwasser hinein, wie in ein Fass ohne Boden. Es war unser Schicksal auf diesem Schiff, zu pumpen, herauszupumpen, hineinzupumpen; – nachdem wir mit allen Kräften das Wasser aus ihr herausgebracht hatten, um uns vor dem Ertrinken zu retten, schütteten wir es nun wieder mit allen Kräften hinein, um nicht zu verbrennen.

Und sie schlich weiter, halt aus oder stirb, durch das klare Wetter. Der Himmel war wunderbar rein und blau. Die See lag glatt blau, durchsichtig, glitzernd wie ein Edelstein, dehnte sich weit nach allen Seiten, rings um den Horizont, so, als wäre die ganze Erdkugel ein Juwel, ein ungeheurer Saphir, ein einziges Kleinod, zu einem Planeten umgeschliffen. Und auf dem endlosen, ruhenden Wasserspiegel glitt die JUDEA unmerklich dahin, eingehüllt in träge, böse Dämpfe, in eine Wolke, die leicht und leise nach Lee abtrieb: eine todbringende Wolke, die die strahlende, reine Heiterkeit der See und des Himmels trübte. Die ganze Zeit über sahen wir natürlich kein Feuer. Die Ladung glimmte irgendwo ganz zuunterst. Einmal sagte mir Mahon, als wir nebeneinander arbeiteten, mit einem eigenen Lächeln: ‚Wenn sie jetzt nur richtig leck springen wollte – so wie damals, als wir das erste Mal den Kanal verließen – , so würde das dem Brand rasch ein Ende machen, nicht?‘ Ich gab ihm ohne Zusammenhang zurück: ‚Denken Sie noch an die Ratten?‘

Wir bekämpften das Feuer und segelten das Schiff dabei so sorgfältig, als wäre gar nichts los gewesen. Der Steward kochte und wartete uns auf. Von den anderen zwölf Mann arbeiteten acht, während vier ruhten. Jeder kam an die Reihe, auch der Kapitän. Es herrschte Gleichheit, und wenn nicht gerade Brüderlichkeit, so doch ein gutes Gefühl. Manchmal schrie ein Mann, während er einen Kübel Wasser in die Großluke hinunterschüttete: ‚Hurra, für Bangkok!‘ und die anderen lachten. Meist aber waren wir schweigsam und ernst – und durstig. – Oh, wie durstig! – Wir mussten mit dem Wasser vorsichtig sein. Streng bemessene Rationen. Das Schiff rauchte, die Sonne brannte... Reich die Flasche weiter!