Julia Saison Band 63 - Barbara McMahon - E-Book

Julia Saison Band 63 E-Book

BARBARA MCMAHON

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Beschreibung

AUF EWIG MEIN TRAUMMANN von LINDA MILES
Charles Mallory braucht endlich eine Sekretärin, die sich nicht in ihn verliebt! Deshalb stellt der begehrte Junggeselle Barbara ein, die er seit der Kindheit kennt. Mit dem stürmischen Verlangen, das sie in ihm auslöst, hätte er nie gerechnet. Noch dazu scheint Barbara gegen seinen Charme immun zu sein!

AUSFLUG INS GLÜCK von Barbara McMahon
Ausgerechnet seine Ex-Frau Heather nimmt an einer seiner Bergtouren teil. Am liebsten würde Hunter sie vor die härtesten Aufgaben stellen – merkt aber schnell: Er begehrt sie so stürmisch wie nie zuvor. Ganz offensichtlich empfindet Heather genauso. Hat ihre Liebe nach allem, was geschehen ist, noch eine Chance?

GEFANGENE IHRER SEHNSUCHT von DANA MARTON
Unaufhaltsam versinkt Sadie im Treibsand – da nähert sich ein Mann in Beduinentracht. Er entreißt sie nicht nur dem Tod, sondern weckt mit einem einzigen heißen Kuss eine verhängnisvolle Sehnsucht in Sadie! Denn ihr attraktiver Retter hat ein gefährliches Geheimnis …

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Seitenzahl: 638

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Linda Miles, Barbara McMahon, Dana Marton

JULIA SAISON BAND 63

IMPRESSUM

JULIA SAISON erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Erste Neuauflage in der Reihe JULIA SAISON, Band 63 8/2021

© 1999 by Linda Miles Originaltitel: „His Girl Monday to Friday“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1399

© 2005 by Barbara McMahon Originaltitel: „Winning Back His Wife“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Trixi de Vries Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1644

© 2006 by Dana Marton Originaltitel: „Undercover Sheik“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Heike Warth Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA LIEBESKRIMI, Band 8

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 8/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751501712

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

Auf ewig mein Traummann

1. KAPITEL

„Nein“, sagte Barbara zum fünften Mal und vertiefte sich demonstrativ wieder in Rumänisch im Alltag, um die Seite ebenfalls zum fünften Mal zu lesen. Und auch diesmal achtete keiner der anderen beiden darauf.

Sie hatte es sich im Wohnzimmer ihrer Eltern auf der Fensterbank gemütlich gemacht. Das Haus lag in Richmond, und vom Fenster aus hatte man einen herrlichen Ausblick auf den Garten mit den schönen Rosenbüschen. Im Wohnzimmer, das mit gemütlichen Polstermöbeln eingerichtet war, herrschte Chaos, denn überall lagen halb fertige Handarbeiten herum. Und inmitten dieses Chaos befanden sich ihre Mutter Ruth, eine Frau, die in allen Menschen nur das Gute sah, und Charles Mallory, in dem nur eine Frau wie sie das Gute sehen konnte.

„Eine tolle Idee!“, rief Ruth nun zum sechsten oder siebten Mal. „Ich finde es schön, dass Barbara so viele Interessen hat, aber manchmal habe ich das Gefühl, sie bringt nichts richtig zu Ende. Es wäre die Chance für sie, ihre Sprachkenntnisse anzuwenden. Das muss Schicksal sein!“ Sie hielt einen Pullover in der Hand, den sie gerade angefangen hatte, und strahlte Charles an, der für sie immer wie ein Sohn gewesen war.

Obwohl Barbara noch immer ins Buch schaute, sah sie aus den Augenwinkeln, dass er daraufhin jungenhaft lächelte. Es war das für ihn so typische Lächeln, das alle Mädchen in seiner Klasse hatte dahinschmelzen lassen, als ihre Eltern ihn vor fünfzehn Jahren bei sich aufgenommen hatten. Sie war damals elf gewesen.

Jetzt waren seine Züge härter – ein Eindruck, der durch seinen Kurzhaarschnitt noch verstärkt wurde –, und seine grünen Augen wirkten kalt. Doch wenn er lächelte, hellte sich seine Miene genauso auf wie damals, als er siebzehn gewesen war.

„Ich habe sofort an sie gedacht“, erklärte er.

Er schob die Hände in die Hosentaschen und begann, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. „Es ist das größte Projekt, das ich je angepackt habe. Wir müssen jetzt in den osteuropäischen Markt einsteigen. Ich brauche jemanden, der mich dabei unterstützt, und ich kann es mir nicht leisten, sechs Monate nach einem geeigneten Mitarbeiter zu suchen.“

„Nein, natürlich nicht“, pflichtete Ruth ihm bei, die gerade eine Reihe beendete.

„Und das Problem ist, dass ich nicht sagen kann, welche Qualifikation dieser Mitarbeiter haben muss. Es wird eine Achterbahnfahrt, und ich brauche jemanden, der damit fertig wird.“

„Barbara würde sich bestens dafür eignen.“

„Und ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann.“

Nun hörte Barbara auf, so zu tun, als wäre sie in das Buch vertieft.

„Auf mich kannst du dich nicht verlassen“, sagte sie. „Ich bin nicht daran interessiert. Ich will nicht für dich arbeiten.“

Daraufhin nahmen die beiden endlich Notiz von ihr.

„Barbara!“, rief ihre Mutter vorwurfsvoll.

Charles blickte finster drein. „Warum nicht?“

„Weil du ein egoistischer, arroganter Mistkerl bist“, erwiderte Barbara.

Trotzig hob sie das Kinn und funkelte ihn wütend an, den einzigen Mann, den sie je geliebt hatte.

„Barbara!“

„Und das ist noch untertrieben“, fügte Barbara hinzu.

„Es ist kein Job für Mimosen …“, begann er.

„Es ist kein Job für jeden, der Wert auf gute Umgangsformen legt.“

„Du hast doch erst einen Tag für mich gearbeitet …“

„Das war ein Tag zu viel.“

„Es waren außergewöhnliche Umstände. Normalerweise ist es nicht so schlimm. Es macht bestimmt viel Spaß.“

Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Die Jahre als Geschäftsmann, in denen er es ganz allein zum Millionär gebracht hatte, hatten ihre Spuren hinterlassen, doch sein Lächeln übte immer noch dieselbe Wirkung auf sie aus wie damals. Sie spürte, wie sie es unwillkürlich erwiderte und ihr Herzschlag sich beschleunigte, aber sie bemerkte auch den Ausdruck in seinen Augen, der besagte, dass Charles seine Ungeduld nur mühsam zügelte.

„Tatsächlich?“, meinte sie skeptisch. „Bedeutet das, du willst die Dreckarbeit selbst machen?“

In seinen Augen blitzte es auf. „Das heißt?“

„Das heißt, wenn du ein halbes Dutzend Freundinnen hast, die du nicht mehr sehen willst, solltest du ihnen sagen, dass es vorbei ist, und nicht deine Sekretärin bitten, ihnen auszurichten, dass du in einer Besprechung bist. Bedeutet ‚außergewöhnliche Umstände‘, dass du normalerweise nur eine oder zwei loswerden willst oder dass du es jetzt selbst machst?“

Vielleicht würde Ruth nun endlich merken, wie er wirklich war.

Doch Charles zog lediglich eine Augenbraue hoch. „Das macht dir also zu schaffen? Ich weiß nicht, mit wem ich zu der Zeit zusammen war, aber ich glaube nicht, dass ich jemanden loswerden wollte. Ich sage den Frauen, dass sie mich nicht im Büro anrufen sollen. Falls du allerdings keine Notlügen magst, kannst du gern die Wahrheit sagen. Ich lasse es dich wissen, wenn es jemanden gibt, mit dem ich sprechen möchte.“

Eigentlich hätte sie, Barbara, erleichtert darüber sein müssen, dass es immer noch keine Frau gab, mit der es ihm ernst war. Soweit sie wusste, hatte es auch noch nie jemanden gegeben. Doch seine Gleichgültigkeit schockierte sie wie eh und je.

Seine Eltern hatten ihn nach England geschickt, damit er seine letzten beiden Schuljahre dort verbrachte, und schon nach wenigen Tagen hatte das Telefon pausenlos geklingelt. Es hatte sie, Barbara, nicht überrascht, denn er war der attraktivste Junge, den sie je gesehen hatte. Doch wenn er die Gespräche entgegengenommen hatte, hatte er immer ausgesprochen gelangweilt gewirkt.

Manchmal war sie auch ans Telefon gegangen. Charles hatte dann gefragt, wer am Apparat wäre, und ihr manchmal zu verstehen gegeben, dass er mit dem betreffenden Mädchen nicht sprechen wollte. Seine Gleichgültigkeit hatte sie schockiert, und es schien ihr nun, als hätte sie schon immer gewusst, dass sie ihm niemals zeigen durfte, was sie für ihn empfand.

Sie hatte ihn geärgert, als wäre sie tatsächlich seine kleine Schwester, und ihm hatte es offenbar gefallen – vielleicht weil sie ihn nicht so anhimmelte wie die Mädchen in seinem Alter. Vielleicht hatte er sie sogar ein wenig gemocht, bevor alles schief gegangen war.

„Es ist nicht das Einzige, was mich stören würde“, erklärte Barbara. „Du weißt genau, dass ich es hasse, irgendwo länger als ein paar Wochen zu arbeiten – vor allem bei jemandem, für den ein zehnstündiger Arbeitstag nichts ist. Nenn mir einen guten Grund, warum ich mich von dir beschimpfen lassen sollte.“

„Geld“, erwiderte Charles.

„Ich weiß nicht, wie viel du bezahlen wirst, aber es ist nicht genug. Nächsten Monat fliege ich nach Sardinien. Ich schicke dir eine Postkarte.“

„Wie viel willst du?“

„Das würdest du sowieso nicht zahlen.“

„Barbara!“, protestierte ihre Mutter. „Charles braucht deine Hilfe. Es ist sicher nicht zu viel verlangt, wenn du deine Reise verschiebst. Er gehört praktisch zur Familie. Du solltest dich freuen, wenn du ihm helfen kannst.“

„Ich dachte, ich wäre die Letzte, von der er Hilfe annehmen würde“, platzte Barbara heraus. „Als ich das letzte Mal versucht habe, ihm zu helfen, hat es ihm nicht gerade zum Vorteil gereicht.“ Trotzig sah sie ihn an.

Ihre Mutter sah verständnislos drein, während Charles ihr einen spöttischen Blick zuwarf. „Das würde ich nicht sagen“, meinte er kühl. „Sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“

„Dann bin ich dir auch nichts schuldig.“

„Das würde ich auch nicht sagen. Ich finde, dass du mir immer noch etwas schuldest. Du nicht?“

„Dann werde ich es auf andere Art wieder gutmachen“, erwiderte sie. „Als Arbeitgeber bist du unmöglich, und ich möchte Sardinien sehen, bevor ich sterbe. Daher lautet die Antwort nein. Warum soll eigentlich ausgerechnet ich es machen?“

„Weil du sehr gut in Steno und Maschineschreiben bist.“

„Das sind andere auch.“

„Und weil du seit deinem Schulabschluss noch nichts Vernünftiges getan hast. Ständig bist du auf Reisen und arbeitest dich durch die ganze Sprachen leicht gemacht-Reihe, von Albanisch bis Zulu.“

„Gibt es überhaupt einen Band für Zulu?“, erkundigte sich Barbara geistesabwesend.

„Ich weiß nicht, aber wenn ja, kannst du ihn in den Mittagspausen lesen.“

„Bei dir darf man keine Mittagspause machen.“

„Und weil es bei diesem Projekt sehr viele logistische Probleme geben wird“, fuhr Charles ungerührt fort. „Darum möchte ich mich nicht selbst kümmern, und ich habe noch nie erlebt, dass du mit einem Problem nicht fertig geworden bist.“

Ungeduldig fuhr er sich durch das kurze schwarze Haar. „Ich könnte mich an eine Zeitarbeitsfirma wenden, aber selbst wenn man mir eine hoch qualifizierte Kraft vermitteln würde, wäre die vielleicht hilflos, wenn irgendein Faxgerät in Wladiwostok ausfällt oder alle Hotels in Kiew im Winter geschlossen sind …“

Als er ihr plötzlich in die Augen sah, konnte sie sich kaum vorstellen, dass dieser Mann der attraktive, sorglose Junge von damals war.

„Mir war gar nicht klar, dass du so ungern für mich arbeitest, aber es spielt keine Rolle, denn ich brauche dich, zumal es dir sicher nicht schwerfallen wird, auf Distanz zu bleiben. Überleg dir, wie viel ich dir zahlen muss, damit du meine Macken ertragen kannst.“

Bestürzt sah ihre Mutter ihn an. „Barbara hat sicher nichts gegen dich, Charles. Für uns gehörst du zur Familie. Ich habe mich auch immer mit meinem Bruder gestritten, aber das hat nicht bedeutet, dass wir uns nicht gemocht haben.“

„Na ja, ich habe offenbar gewisse Macken“, räumte Charles ein, und sein Lächeln galt ausschließlich ihr. „Jedenfalls ist es mir lieber, wenn Barbara es zu ihren Bedingungen tut. Ich weiß, dass sie nicht gern langfristige Verpflichtungen eingeht.“

Barbara wurde bewusst, dass er seine Worte sorgfältig wählte, um sie nicht noch mehr gegen sich aufzubringen. Aus Rücksicht auf ihre Mutter hatte er ein Treffen in der Stadt vorgeschlagen, doch sie hatte mit der Begründung abgelehnt, sie wäre zu beschäftigt. Dass er ihre Mutter nicht verletzen wollte, sprach für ihn. Wenn sie allein gewesen wären, hätte er sich allerdings ganz anders verhalten.

Die Nachmittagssonne, die durchs Fenster schien, tauchte die verschlissenen Polstermöbel, den alten Teppich und die halb fertigen Handarbeiten in goldenes Licht. Wie oft hatte sie, Barbara, das Wohnzimmer aus dieser Perspektive betrachtet! Schon als Kind hatte sie immer am liebsten auf der Fensterbank gesessen und gelesen.

Ein Jahr lang hatte sie jeden Abend dort gesessen, während Charles vor dem Fernseher saß und seine Hausaufgaben machte. Letzteres war jedoch selten der Fall gewesen, denn er war zwar sehr intelligent, aber ausgesprochen faul und daher auch ein schlechter Schüler gewesen.

Sie war sehr fleißig gewesen, aber trotz ihrer Intelligenz keine gute Schülerin, da sie einer Sache schnell überdrüssig geworden war. Und da sie ihrer Klasse immer voraus war, hatte sie keine Lust, Hausaufgaben zu machen oder für die Prüfungen zu lernen.

Ständig bedrängte sie Charles, ihr zu erzählen, was er machte, und wenn nichts Gutes im Fernsehen lief, beantwortete er ihre Fragen auch. Manchmal sagte er ihr, sie solle den Mund halten, und wenn sie nicht lockerließ, reichte er ihr mit einem boshaften Lächeln das Buch, in dem er gerade las. Allerdings las sie gern in seinen Büchern, weil sie ihm gehörten und weil sie die schwierigeren Texte verstand.

Wenn es etwas Gutes im Fernsehen gab, saß sie da, blickte zu seinen Büchern oder betrachtete ihn, wie er auf dem Sofa lag. Damals hatte sie sich an ihm nicht sattsehen und nicht genug über ihn erfahren können, doch er hatte sie überhaupt nicht beachtet, wie sie geglaubt hatte.

Lächerlicherweise verspürte sie ein intensives Hochgefühl bei der Vorstellung, dass er doch von ihr Notiz genommen, ja, sich sogar Gedanken über sie gemacht hatte.

Diese Erkenntnis weckte eine Sehnsucht in ihr, den Wunsch, dass Charles sich genauso viel Gedanken über sie machen würde wie sie sich über ihn, dass er sie genauso ansehen würde wie sie ihn. Er stand jetzt direkt im Sonnenlicht und wartete darauf, dass sie ihm einen Betrag nannte. Wie immer, wenn er im Raum war, wurde ihr Blick magisch von ihm angezogen, und sie musste sich zwingen, ihn abzuwenden.

Als Arbeitgeber war Charles unmöglich. Außerdem hasste sie langfristige Verpflichtungen und hatte etwas getan, das er ihr niemals verzeihen würde. Er hätte sich nie an sie gewandt, wenn er sich nicht dazu gezwungen gesehen hätte. Es würde die reinste Folter sein, jeden Tag mit ihm zusammen zu sein, und die Versuchung war groß.

„Tut mir leid, Charles“, erklärte Barbara unvermittelt. „Es geht nicht ums Geld – ich kann es nun mal nicht tun.“

Ihre Mutter wirkte enttäuscht. „Natürlich will Charles dich zu nichts zwingen, Schatz“, sagte sie, ohne seinen ungeduldigen Blick zu bemerken. „Ich finde, es wäre eine tolle Chance für dich, aber wenn du dir so sicher bist, werden wir nicht mehr darüber reden. Du bleibst doch zum Abendessen, Charles?“

„Gern“, erwiderte er. „Natürlich werde ich Barbara nicht bedrängen, aber ich hoffe, dass sie ihre Meinung noch ändert.“

„Darauf würde ich nicht wetten.“ Barbara vertiefte sich erneut in ihr Buch.

„Ich auch nicht.“ So leise, dass nur sie es hören könnte, fügte er hinzu: „Ich wette nie, wenn ich mir einer Sache sicher bin.“

2. KAPITEL

Charles Mallory nahm die Unterschriftenmappe aus seinem Eingangskorb, schlug sie auf und nahm den ersten Brief heraus. Prompt verfinsterte sich seine Miene. Wo haben sie die bloß aufgetrieben? dachte er und drückte ungeduldig auf den Knopf der Sprechanlage.

„Teresa“, sagte er.

„Ja, Mr. Mallory“, antwortete jemand so leise, dass es kaum zu hören war.

„Haben Sie je daran gedacht, die Rechtschreibprüfung durchlaufen zu lassen, bevor Sie ein Dokument ausdrucken?“

„Gibt es einen Rechtschreibfehler?“, fragte Teresa im Flüsterton.

Charles betrachtete die restlichen Briefe, in denen es vor Fehlern nur so wimmelte. „Es ist außerdem ganz hilfreich, ein Dokument Korrektur zu lesen, bevor man es zur Unterschrift vorlegt“, erklärte er trügerisch sanft. „Ich habe das unterschrieben, das als Einziges in Ordnung ist.“ Während er das sagte, setzte er seine Unterschrift darunter. „Die anderen müssen alle noch mal geschrieben werden. Ich bringe sie Ihnen.“

Er klappte die Mappe zu, stand auf und ging zur Tür. Als er sie öffnete, sah er gerade noch, wie die neue Aushilfe schnell durch die Tür verschwand, auf der stand: „Notausgang. Bei Öffnen der Tür wird Alarm ausgelöst“.

Sofort ertönte das ohrenbetäubende Heulen der Sirene. Wo haben sie die bloß aufgetrieben?, überlegte er bitter, während er auf die entsprechenden Knöpfe drückte, um den Alarm wieder abzustellen. Dann kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück und wählte die Nummer der Personalabteilung.

„Guten Morgen, Mr. Mallory“, meldete sich die Personalleiterin resigniert. „Ich habe den Alarm gehört. Ich war mir sicher, dass sie wenigstens bis zur Mittagspause bleiben würde.“

Charles trommelte auf den Schreibtisch. „Ich weiß nicht, was das Problem war“, erklärte er. „Ich habe sie lediglich daran erinnert, dass es eine Rechtschreibprüfung gibt, und vorgeschlagen, dass sie ihre Briefe Korrektur liest. Darauf hätte sie eigentlich selbst kommen müssen. Und wenn sie es nicht weiß, sollte sie wenigstens etwas konstruktive Kritik vertragen können.“

Die Personalleiterin seufzte. „Tut mir leid, Mr. Mallory, aber sie war die einzige Kraft, die uns die Zeitarbeitsfirma schicken konnte. Alle anderen sind bereits hier gewesen und wollen nicht wiederkommen.“

„Dann versuchen Sie es bei einer anderen Firma.“

„Keine der anderen Firmen hatte eine Mitarbeiterin, die noch nicht hier gewesen ist.“

„Ich suche keine Superfrau, sondern lediglich eine erfahrene Sekretärin, die über die üblichen Fähigkeiten verfügt und auch unter Druck arbeiten kann.“

„Ja, Mr. Mallory“, erwiderte sie skeptisch. „Es ist nur …“

„Was?“, unterbrach er sie unwirsch.

„Die wirklich erfahrenen, hoch qualifizierten Kräfte können sich ihre Jobs aussuchen. Wir bieten natürlich gute Konditionen, aber sie bekommen woanders dasselbe Geld, und sie lassen sich nicht gern anschreien.“

„Anschreien!“, rief Charles entrüstet. „Ich schreie nie. Aber wenn etwas noch einmal gemacht werden muss, weil jemand die Intelligenz eines Kleinkinds an den Tag legt, werde ich vielleicht ein bisschen ungeduldig …“

„Offenbar schlagen Sie einen Tonfall an, der von manchen Mitarbeitern als Schreien empfunden wird“, warf die Personalleiterin diplomatisch ein.

„Das ist doch lächerlich“, meinte er geringschätzig. Warum konnte die Personalabteilung niemanden wie Barbara auftreiben? Jemanden, der nicht sofort zu weinen anfing, wenn er eine einfache Frage stellte. Jemanden, der seine Fehler in einem Bericht entdeckte, statt fünfzig andere Fehler zu machen? Vor einigen Jahren hatte die Firma, für die Barbara arbeitete, sie für einen Tag an ihn vermittelt, und weder vorher noch danach hatte er eine so perfekte Sekretärin wie sie gehabt.

Wenn er auf dem osteuropäischen Markt Fuß fassen wollte, dann brauchte er eine gute Sekretärin in Dauerstellung. Seine Absicht war es gewesen, Barbara in ihrer Wohnung aufzusuchen und sie zu überreden. Wenn Ruth nicht dabei war, würde es leicht sein. Allerdings hatte er es nicht geschafft, und wenn er noch länger wartete, würde Barbara womöglich schon auf dem Weg nach Sardinien sein. Vielleicht wäre es doch besser, sie erst einmal als Aushilfe einzustellen und abzuwarten, wie die Dinge sich entwickelten. Zumindest würde er sich so zur Abwechslung mal auf seine Arbeit konzentrieren können.

„Ich habe wirklich keine Zeit, mich mit hypersensiblen Mädchen abzugeben, die nicht einmal buchstabieren können“, erklärte Charles. „Versuchen Sie, Barbara Woodward über eine dieser Firmen zu bekommen, ja? Und machen Sie ein großzügiges Angebot. Wir müssen sie unbedingt haben.“

3. KAPITEL

Barbara wollte noch einen Job annehmen, bevor sie nach Sardinien flog. Sie hatte zwar Geld für die Reise gespart, jedoch einen Teil davon für einen Bengalikurs wieder ausgegeben. Als sie am Montag bei „Jobs for the Girls“ anrief, wo sie unter Vertrag stand, bot man ihr sofort eine Tätigkeit bei der Mallory Corporation an.

„Es ist ein fantastischer Job“, erklärte Sue, ihre Betreuerin, begeistert. „Chefsekretariat, unbefristet, sehr gute Bezahlung. Sie haben ausdrücklich dich verlangt.“

„Ich möchte ihn lieber nicht annehmen“, erwiderte Barbara und wünschte, sie hätte Charles außerdem gesagt, dass sie ihn für hinterhältig und skrupellos halte.

„Hm“, meinte Sue. „Momentan habe ich nichts anderes, aber ich halte dich natürlich auf dem Laufenden. Sag mir Bescheid, falls du deine Meinung änderst.“

Barbara legte auf und rief anschließend bei „Girl Monday-to-Friday“ an.

„Ich habe genau das Richtige für dich, Barbara“, verkündete Cathy fröhlich. „Bei der Mallory Corporation in der Innenstadt von London. Chefsekretariat, sehr gute Bezahlung, unbefristet …“

„Tut mir leid“, sagte Barbara, „aber ich suche einen befristeten Job für ein paar Wochen.“

„Du kannst doch erst einmal anfangen und sehen, wie es läuft …“

„Ich suche mir lieber etwas anderes.“

„Hm“, meinte Cathy. „Im Moment habe ich nicht viel im Angebot – jedenfalls nichts, was deinen Qualifikationen entspricht. Aber ich sage dir Bescheid, wenn ich etwas bekomme.“

Nachdem Barbara aufgelegt hatte, betrachtete sie wütend das Telefon. Anschließend rief sie bei vier weiteren Zeitarbeitsfirmen an, doch die Auskunft war immer die gleiche. Dieser verdammte Mistkerl! dachte sie.

Wenn sie es ihrer Mutter erzählte, würde diese Charles anrufen und ihm sagen, er solle sein Stellenangebot zurücknehmen. Doch er wusste, dass sie es ihrer Mutter zuliebe nicht tun würde. Eigentlich hätte sie sich geschmeichelt fühlen müssen, denn er hatte bei jeder Firma angerufen, für die sie je gearbeitet hatte. Offenbar hatte er ihre Mutter nach den Namen gefragt.

Sie konnte sich natürlich bei einer anderen Firma bewerben, aber womöglich hatte er dort bereits auch angefragt, und das Problem war, dass kein Arbeitgeber die Interessen einer Mitarbeiterin über die der Mallory Corporation stellte. Vielleicht hatte er jeder Firma in Aussicht gestellt, sie bei erfolgreicher Vermittlung in Zukunft zuerst zu berücksichtigen, wenn er eine Stelle zu besetzen hatte. Also was sollte sie jetzt tun? Sie biss die Zähne zusammen, griff wieder zum Hörer und wählte.

„Guten Morgen, hier Mr. Mallorys Büro“, meldete sich eine leise Stimme.

„Guten Morgen. Ich würde gern mit Mr. Mallory sprechen“, erklärte Barbara forsch.

„Mr. Mallory ist leider in einer Besprechung.“

„Das ist er immer“, bemerkte Barbara trocken. „Könnten Sie mich trotzdem durchstellen? Es ist dringend.“

„Er möchte nicht gestört werden. Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?“

Barbara dachte einen Moment nach. „Ja“, erwiderte sie schließlich. „Die Nachricht lautet: ‚Auch in einer Million Jahren nicht‘. Er weiß dann Bescheid.“

Dann knallte sie den Hörer auf die Gabel.

Ihr erster Gedanke war, bei einer der Firmen anzurufen, in denen sie im Lauf der Jahre gearbeitet hatte. Eigentlich durften die Mitarbeiterinnen der Zeitarbeitsfirmen sich nirgends in Eigeninitiative bewerben, doch es war auch nicht in Ordnung, dass man sie dort links liegen ließ, weil sie den Job bei Charles abgelehnt hatte. Vielleicht würde sie etwas finden, doch es würde eine Weile dauern, und vorerst konnte sie an nichts anderes denken als daran, dass sie wütend war.

Schließlich entschied sie, zu Charles zu gehen, um ihrer Wut freien Lauf zu lassen, und sich danach einen Job zu suchen.

Eine halbe Stunde später betrat Barbara das große marmorne Foyer der Mallory Corporation und fuhr mit dem Aufzug in den zwölften Stock. Nachdem sie sich erfolgreich mit der Empfangsdame geschlagen hatte, ging sie den Flur entlang zu Charles’ Büro, das sich hinten in der Ecke befand. Im Vorzimmer saß eine junge Frau am Computer, die weinte.

Barbara ging zur Tür und öffnete sie schwungvoll.

Leider war Charles nicht in seinem Büro.

„Wo ist er?“, fragte sie.

„Er ist in einer Besprechung“, erwiderte die junge Frau unter Tränen.

„Und wo findet dieses kleine Tête-à-Tête statt?“

„Wie bitte?“

Seufzend nahm Barbara eine Packung Papiertaschentücher aus ihrer Handtasche und reichte sie der jungen Frau. „Die Besprechung. Wo findet sie statt?“

Diese deutete auf ein Konferenzzimmer. Vielleicht war Charles tatsächlich in einer Besprechung. Umso besser, dachte Barbara. Sie ging zu der Tür und öffnete sie schwungvoll.

Etwa zwanzig Männer in dunklen Anzügen wandten sich ihr zu. Sie waren unterschiedlichen Alters und unterschiedlich attraktiv, doch keiner von ihnen war einen zweiten Blick wert, denn gegen Charles, der am Kopfende des Tisches saß, verblassten sie alle. Wider Erwarten wirkte er nicht verärgert, sondern zog lediglich eine Augenbraue hoch.

„Ich bin froh, dass du kommen konntest, Barbara“, sagte er gewandt.

Barbara stand auf der Türschwelle, die Hände in die Hüften gestemmt. Ihre blauen Augen sprühten Funken, und ihr rotes Haar schien förmlich zu knistern. Schon besser, dachte Charles zufrieden und beschloss, seiner Personalleiterin eventuell einen Blumenstrauß zukommen zu lassen.

In etwas gestelztem Deutsch erklärte er den Anwesenden, dass Miss Woodward seine Assistentin sei.

„Nein, das bin ich nicht“, sagte Barbara.

Daraufhin erhob sich irritiertes Gemurmel. Sie hörte Tschechisch, Polnisch und etwas, das wie Arabisch klang. Charles blickte sie herausfordernd an.

„Ich möchte etwas mit dir besprechen“, fuhr sie fort. „Wollen wir nach nebenan gehen oder es hier tun?“

Er zuckte die Schultern und stand auf. „Würden Sie mich bitte entschuldigen, meine Herren? Es dauert nicht lange.“

Dann folgte er ihr in sein Büro. „Ich weiß zwar nicht, was das soll, aber konnte es nicht warten?“

„Nein, das konnte es nicht!“, rief sie wütend. „Wie konntest du es wagen, mich bei allen Agenturen zu verlangen und sie anzuweisen, mir keine anderen Jobs zu vermitteln?“

„Hast du mich deswegen hergebracht?“ Wütend funkelte er sie an. „Es ist ganz normal, eine bestimmte Mitarbeiterin zu verlangen. Da ich unbedingt jemanden brauche, habe ich die Personalleiterin beauftragt, bei allen Zeitarbeitsfirmen anzurufen, für die du gearbeitet hast. Natürlich haben wir ihnen nicht gesagt, dir andere Tätigkeiten zu verweigern. Aber nun, da du schon mal hier bist, kannst du dich genauso gut nützlich machen.“

„Nützlich!“, wiederholte sie außer sich vor Wut.

„Wir haben einige Probleme mit dem Protokoll“, erklärte er kühl. „Die junge Frau, die bei uns gearbeitet hat, hat ihre sprachlichen Fähigkeiten leider überschätzt.“

„Wirklich schade“, bemerkte sie.

Charles musterte sie finster. „Du hast gesagt, dass du Arbeit suchst.“

„Aber keine Sklavenarbeit.“

„Wir hatten vor, dich zu bezahlen“, meinte er sarkastisch. „Ich zahle dir das, was die Zeitarbeitsfirma bekommen hätte – hundert Pfund, wenn du heute bleibst, fünfhundert, wenn du die ganze Woche bleibst.“

„Abgemacht“, erwiderte sie und folgte ihm zurück ins Konferenzzimmer.

Die Männer dort waren wegen der Sprachprobleme in keiner guten Stimmung und betrachteten Barbara gereizt und anerkennend zugleich. Das dunkelblaue Stiftkleid, das sie trug, betonte ihre schlanke Figur. Charles spürte, wie sich die Stimmung schlagartig besserte. Als er auf Barbara hinunterblickte, sah er sie plötzlich mit anderen Augen. Sie war auffallend hübsch. Sie würden sie nicht so ansehen, wenn sie wüssten, was für ein kleines Biest sie ist, überlegte er gereizt.

Barbara schloss die Tür hinter sich und folgte ihm ans Kopfende des Tisches. Nachdem sie neben ihm Platz genommen hatte, nahm sie Schreibblock und Stift zur Hand.

Sofort begannen fünf Männer, gleichzeitig zu reden, und sie versuchte, die unterschiedlichen Sprachen zu verstehen. Allerdings fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren, da sie sich Charles’ Gegenwart überdeutlich bewusst war.

Wenn sie auf ihren Block sah, fiel ihr Blick auf seinen muskulösen Schenkel, wenn sie einen der Männer anschaute, sah sie aus den Augenwinkeln Charles’ markantes Profil. Umso erleichterter war sie, wenn er das Wort ergriff und sie sich ihm zuwenden konnte. Der Ausdruck in seinen grünen Augen war jedoch so kühl, dass sie sich zusammenreißen musste, um etwas Gescheites zu Papier zu bringen.

Trotz der Konzentrationsschwierigkeiten stellte sie allerdings bald fest, dass ernsthafte Probleme auftauchten. Fast alle der Anwesenden konnten Deutsch, aber zwei sprachen Englisch, zwei Französisch und einer Italienisch, sodass oft ins oder aus dem Deutschen übersetzt werden musste.

Nach einer Weile fiel ihr ebenfalls auf, dass der Mann, der dem Italienisch sprechenden Tschechen behilflich war, oft ungenau oder falsch übersetzte – ob absichtlich oder nicht, konnte sie nicht sagen.

Nach einer halben Stunde machte sie eine Notiz, die sie Charles zeigte. Er nickte und schrieb: „Wir machen jetzt eine Kaffeepause.“

Obwohl es die ideale Gelegenheit war, ihm ihre Meinung zu sagen, hielt irgendetwas Barbara davon ab. Vielleicht war es der Tscheche, der ihrer Meinung nach von dem Polen, der für ihn dolmetschte, übervorteilt wurde. Daher holte sie Kaffee, und als es nach der Pause weiterging, nahm sie neben ihm Platz und dolmetschte für ihn. Schon bald zeigte sich, dass seine Meinung großes Gewicht hatte. Einige Punkte, auf die man sich zuvor geeinigt hatte, wurden geändert, sehr zum Missfallen der Anwesenden.

Schließlich verkündete Charles, dass sie die Verhandlungen am nächsten Tag weiterführen würden.

Während die Männer heftig diskutierend den Raum verließen, begann Barbara, ihre Notizen zu sichten.

„Charles!“, rief sie plötzlich. „Ich bin vielleicht blöd! Ich habe die ganze Zeit vom Italienischen ins Deutsche übersetzt, aber ich hätte doch aus dem Tschechischen übersetzen können. Es ist zwar ein paar Jahre her, dass ich Tschechisch im Alltag gelesen habe, aber ich wäre bestimmt irgendwie zurechtgekommen.“

„Ich bin froh, dass du es nicht getan hast.“ Er streckte sich, dann wandte er sich ihr zu und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Dir ist es vielleicht nicht recht, aber du hilfst mir wahrscheinlich mehr, wenn die Leute nicht wissen, wie viel du verstehst. Vermutlich sind sie dann untereinander offener.“

Sie wollte gerade Einwände erheben, als ihr klar wurde, was los war. „Es spielt keine Rolle, ob ich damit einverstanden bin oder nicht“, erklärte sie, „denn ich werde nicht für dich arbeiten. Hast du mich verstanden?“

„Und ob. Ich hätte die Frau erwürgen können, weil sie dich nicht durchgestellt hat. Du hättest eine halbe Stunde früher hier sein können.“

„Wenn sie mich durchgestellt hätte, wäre ich nicht hergekommen. Was hast du bloß zu der Armen gesagt?“

„Das weiß ich nicht mehr. Ich habe vermutlich irgendwelche Kraftausdrücke benutzt.“ Charles spielte mit seinem Stift. „Nun mach nicht so ein Gesicht, verdammt! Hast du eine Ahnung, wie viel Zeit und Geld es mich gekostet hat, diese Besprechung anzuberaumen? Sie sagte, sie könne Französisch und Deutsch, und dann hat sie sich als völlig inkompetent erwiesen. Also was erwartest du von mir?“

„Ich erwarte, dass du ungehobelt bist“, erwiderte sie. „Schließlich warst du das schon immer.“

„Oh, ich kann auch nett sein, wenn ich will.“

„Ja, wenn du eine Frau verführen willst“, bemerkte sie scharf.

„Dann sollte ich dir gegenüber wohl sehr unhöflich sein, damit du nicht auf falsche Gedanken kommst.“ Er tat seine Unterlagen in seine Aktentasche und machte diese zu.

„Auf die Idee würde ich bestimmt nicht kommen. Das ist wirklich lächerlich!“

Nun trat eine kleine Pause ein. „Was ist daran lächerlich?“ Er betrachtete sie mit unergründlicher Miene. „Du bist sehr schön. Dir ist doch sicher nicht entgangen, wie die Männer dich angesehen haben.“

Barbara atmete plötzlich schneller. „Ich dachte, du wolltest dich nicht mit deiner Sekretärin einlassen.“

„Und ich dachte, du würdest nicht für mich arbeiten. Sieht so aus, als könnte ich dich doch verführen.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

„Nein, das kannst du nicht. Du kannst bei der Firma anrufen und sagen, dass du mich nicht mehr brauchst, damit sie mir eine andere Stelle vermitteln.“

„Ich brauche dich aber.“ Nun blickte er wieder finster drein. „Wenn du das Protokoll nicht schreibst, wird niemand es tun. Bleib wenigstens noch diese Woche hier.“

Barbara schwieg.

„Was ist so schlimm daran?“, fuhr er ungeduldig fort. „Du wirst nicht die ganze Zeit in London sein. Wir werden nach Prag und Warschau reisen, und du wirst interessante Leute kennenlernen. Du wirst deine Arbeit hervorragend machen und zusätzliche Qualifikationen erwerben. Ich habe keine Ahnung, warum du so verdammt misstrauisch bist. Alles, was du jetzt hast, sind ein schlechtes Abschlusszeugnis und Berufserfahrung als Aushilfe, und das wird dir nicht gerade den Weg in die höheren Ränge der Geschäftswelt ebnen.“

„Ich will gar nicht in die höheren Ränge der Geschäftswelt vordringen“, sagte sie. „Ich langweile mich sehr schnell.“

„Dieser Job wird dich bestimmt nicht langweilen. Und du eignest dich hervorragend dafür. Also zier dich nicht so.“

„Ich ziere mich nicht“, entgegnete sie scharf. „Aber wenn es dir so viel bedeutet, von mir aus. Wie viel versprichst du dir von diesem Projekt?“

„Wenn es gut läuft, einige Hundert Millionen …“

„Also gut“, meinte sie. „Ich möchte 25.000 Pfund.“

„Abgemacht.“

„Plus Überstunden.“

„Abgemacht.“

„Plus fünf Prozent der Aktien.“

„Wie bitte?“

„Du hast mich ganz richtig verstanden.“

„Hast du den Verstand verloren?“

„Nein, das habe ich nicht. Du könntest 100.000 Pfund zahlen, um eine hoch qualifizierte Kraft zu bekommen und würdest am Ende immer noch gut dastehen. Wenn du so viel Geld zur Verfügung hast, brauchst du mich nicht. Ich komme morgen wieder und tippe das Protokoll, aber nächsten Monat werde ich nach Sardinien fliegen, und du wirst mich nicht davon abhalten.“

Charles blickte seiner Pseudoschwester in die funkelnden blauen Augen und fragte sich, ob eine richtige Schwester ihn auch nur halbwegs so wütend gemacht hätte. Wollte er sich das wirklich ein Jahr lang zumuten?

Er wollte Barbara gerade sagen, sie solle doch nach Sardinien fliegen, als ihm in den Sinn kam, was seine Personalleiterin zu ihm gesagt hatte: „Die wirklich erfahrenen, hoch qualifizierten Kräfte können sich ihre Jobs aussuchen. Wir bieten natürlich gute Konditionen, aber sie bekommen woanders dasselbe Geld, und sie lassen sich nicht gern anschreien.“ Es gibt solche Konditionen und solche, dachte er grimmig.

Ruhig sah er Barbara an.

„Du weißt genau, dass du das nicht bekommst“, erklärte er schließlich. „Du willst also einen Bonus. Also mach mir ein neues Angebot.“

Starr erwiderte sie seinen Blick. Das Problem war, dass sie keinen Bonus wollte, sondern den Job nicht wollte. Aber wenn er wirklich bereit war, ihr viel zu zahlen, brauchte sie in absehbarer Zeit keine Aushilfsjobs mehr anzunehmen …

„Für dieses Projekt werden neue Aktien ausgegeben, stimmt’s?“, fragte sie.

„Ja“, erwiderte er kurz angebunden.

„Ich möchte fünf Prozent davon.“

Seine Augen wirkten hart. „Versuch’s weiter.“

Sie betrachtete ihn nachdenklich und überlegte dabei, wie weit er gehen würde oder was ihn am meisten ärgern würde. Und plötzlich wusste sie, was sie sagen musste.

Einige Jahre zuvor hatte Charles eine kleine Firma gegründet, um diverse Erfindungen, die nicht in das Programm der Mallory Corporation passten, zu lancieren. Verglichen mit dieser war sie völlig unbedeutend, doch sie, Barbara, hatte das Gefühl, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie Rekordumsätze machen würde. Auf dem Papier war die Firma allerdings kaum etwas wert, und der Aktienpreis war dementsprechend niedrig. Es gab also keinen Grund, warum Charles ihr nicht einige Aktien geben sollte.

„Fünf Prozent von Mallorin“, sagte sie daher. „Und das ist mein letztes Angebot.“

Charles schob die Hände in die Hosentaschen und schwieg. Nachdem er eine Weile zu Boden geblickt hatte, sah er sie mit unverhohlener Abneigung an.

„Also gut“, sagte er schließlich. „Bis zum Ende der Woche wirst du den Vertrag bekommen. Aber die fünf Prozent bekommst du nur, wenn du ein Jahr bleibst.“ Er reichte ihr die Kassette mit den Aufzeichnungen. „Und bei der Bezahlung erwarte ich, dass das Protokoll bis morgen fertig ist und du um Punkt sieben im Büro bist.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er das Konferenzzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

4. KAPITEL

Barbara blieb bis Mitternacht im Büro, um das Protokoll fertigzustellen. Da Charles sie wegen ihrer Sprachkenntnisse engagiert hatte, verfasste sie es in Englisch, Französisch und Deutsch, vervielfältigte es und legte den Stapel auf ihren Schreibtisch.

Am nächsten Morgen wachte sie um sechs auf, als ihr Wecker klingelte. Sie stellte ihn aus und kuschelte sich wieder in die Kissen.

Als ihr jedoch einfiel, warum sie ihn gestellt hatte, setzte sie sich auf und blickte aus dem Fenster. Es war ein herrlicher Tag – ideal, um nach Sardinien zu fliegen. Doch stattdessen hatte sie sich bereit erklärt, für lediglich fünf Prozent der Mallorin-Aktien ein Jahr lang Sklavenarbeit zu leisten.

Um Viertel nach sieben betrat sie den Aufzug im Mallory-Gebäude, ein Papptablett mit drei Bechern Kaffee und verschiedenen Gebäcksorten in Händen. Einen Becher konnte Charles haben. Sie würde mindestens zwei brauchen, um die Augen offen halten zu können.

Um siebzehn Minuten nach sieben verließ sie den Aufzug. Die Tür zu Charles’ Büro stand offen.

„Du kommst zu spät“, ließ Charles sich von drinnen vernehmen.

Vorsichtig ging Barbara auf den Raum zu. Da er nach Osten hin lag, fiel helles Sonnenlicht in den Flur. Sie kniff die Augen zusammen, als sie ihn betrat, und zuckte dann zusammen.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du um Punkt sieben hier sein sollst.“ Charles ging auf und ab, ein Diktiergerät in der Hand. Er war frisch rasiert, wie immer tadellos gekleidet und wirkte geradezu unerträglich ausgeschlafen und energiegeladen.

„Ich habe Frühstück mitgebracht“, erklärte sie.

„Ich esse nichts.“

„Natürlich. Du bist viel zu beschäftigt. Ich verstehe. Du machst weiter, und ich soll auch sofort anfangen.“

Charles machte ein finsteres Gesicht. „Es ist absolute Zeitverschwendung. Wenn du morgens Probleme hast, wach zu werden, dann solltest du vielleicht gleich nach dem Aufstehen eine Runde joggen.“

Barbara erschauerte. „Machst du das morgens auch?“

„Ich war eine Stunde im Fitnessstudio.“

Sie sank auf seinen Schreibtischsessel, nahm einen Becher Milchkaffee, der extra stark war, und hob ihn an die Lippen.

Charles ging vor seinem Schreibtisch auf und ab.

„Kümmer dich nicht um mich“, sagte sie freundlich, etwas belebt durch den Kaffee. Dann nahm sie ein Croissant vom Tablett und biss hinein. So konnte sie vielleicht am Leben bleiben.

„Ich hoffe, du beabsichtigst nicht, deine Überstunden auf der Grundlage zu berechnen, dass du um sieben anfängst“, erklärte er scharf. „Glaubst du wirklich, du bist fünf Prozent einer Firma wert?“

Barbara gähnte. „Eher zehn Prozent, aber du hast ein gutes Geschäft gemacht.“

Wütend funkelte er sie an. Er sieht wirklich fantastisch aus, dachte sie schläfrig. Und es musste fantastisch sein, morgens neben ihm aufzuwachen. Nur würde sie nie Gelegenheit dazu haben, weil er bereits mitten in der Nacht ins Fitnessstudio verschwand.

„Von wegen!“

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du sehr attraktiv bist, wenn du wütend bist?“, erkundigte sie sich verträumt.

„Müssen wir das jetzt etwa jeden Morgen durchmachen?“

„Jeden Morgen!“ Entsetzt sah sie ihn an. „Du fängst doch nicht immer so früh an, oder?“

„Und ob“, erwiderte er gereizt. „Und das wirst du auch.“

„Nein, das werde ich nicht.“ Sie stellte den Becher auf den Schreibtisch und stand auf. „Das werde ich nicht ein Jahr lang mitmachen. Ich habe das Protokoll auf Englisch, Französisch und Deutsch verfasst. Die Kopien liegen auf meinem Schreibtisch. Es müsste gut verständlich sein. Ich fliege nach Sardinien.“

Charles ging ins Vorzimmer und kehrte mit den Kopien in der Hand zurück, die er dann durchblätterte.

„Das ist gut“, sagte er schließlich.

„Das freut mich“, erwiderte sie, bevor sie in ein zweites Croissant biss.

Wieder begann er, auf und ab zu gehen, wobei er weiter in den Kopien blätterte.

„Also gut“, meinte er dann. „Du kannst um acht anfangen.“

„Ich würde lieber nach Sardinien fliegen, aber ich habe nun mal zugesagt. Ich wäre bereit, um neun anzufangen.“

Er wollte offenbar gerade etwas sagen, als sein Blick auf die deutsche Version des Protokolls fiel, die nun oben lag.

„Dein Blutzuckerspiegel ist zu niedrig“, bemerkte sie. „Deswegen solltest du ausgiebig frühstücken, sonst bist du womöglich gereizt und ungeduldig …“

„Ich bin nicht gereizt …“, begann er.

„Iss ein Croissant“, drängte sie. „Oder ein Stück Gebäck. Dann geht es dir gleich besser.“

Charles warf die Protokolle auf einen Stuhl. „Ich muss völlig übergeschnappt sein.“

„Nein, dein Blutzuckerspiegel ist nur zu niedrig“, versicherte sie.

Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie zu weit gegangen war, denn sie vergaß ständig, dass sie es nicht mehr mit dem lockeren, selbstironischen Siebzehnjährigen von damals zu tun hatte, sondern mit dem ehrgeizigen Unternehmer. Doch wenn sie sich erst einmal vor ihm fürchtete …

„Iss etwas, dann geht es mir besser“, fuhr Barbara daher herausfordernd fort. „Ich habe dir extra etwas mitgebracht. Wenn eine Mitarbeiterin sich so viel Mühe gibt, solltest du ihr auch zeigen, dass du es zu schätzen weißt. Es hebt die Arbeitsmoral.“

In diesem Moment fiel ihr auf, dass sie plötzlich hellwach war. Mit Charles zu streiten wirkte offenbar Wunder.

„Ich werde etwas essen, wenn es dazu beiträgt, dass du schneller fertig wirst und mit der Arbeit anfängst.“ Er legte einige Croissants auf einen Teller und nahm einen Becher Kaffee vom Tablett.

Daraufhin begann sie, sich auf dem Schreibtischsessel zu drehen. „Ein toller Stuhl“, bemerkte sie nach der vierten Umdrehung. „Machst du das auch manchmal?“

„Nein.“

„Zu beschäftigt.“ Wieder drehte sie sich. „Du musst ein Vorbild für deine Mitarbeiter sein.“

Schließlich hielt sie an und blickte aus dem Fenster. Auf den Straßen war noch nicht viel los, da es erst halb acht war, doch die meisten Frühaufsteher betraten das Mallory-Gebäude, und zwar mit einer Aktentasche in der einen und einer Sporttasche in der anderen Hand – zweifellos eine Folge davon, dass Mr. Mallory mit gutem Beispiel voranging. Es hatte etwas Deprimierendes.

„Und nun zum Diktat“, verkündete Barbara forsch, bevor sie sich mit dem Fuß von der Wand abstieß.

Der Stuhl bewegte sich jedoch nur ein kleines Stück und blieb dann unvermittelt stehen. Als sie aufblickte, sah sie sich dem leuchtenden Vorbild der Belegschaft gegenüber, der sie mit grimmiger Miene musterte. Sie wollte gerade protestieren, als der große Motivator ihre Arme umfasste und sie unsanft hochzog.

„Findest du nicht, dass du endlich erwachsen werden solltest?“, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Offenbar hatte sie einen wunden Punkt getroffen. Gut zu wissen, dachte sie.

„Ich bin erwachsen“, erwiderte sie. „Ich betrachte es nicht unbedingt als Maßstab für Reife, wenn man sich nicht auf Stühlen herumdreht.“

„Ich auch nicht“, bestätigte er trocken. „Ich hatte an einige andere Dinge gedacht, wie zum Beispiel die Tatsache, dass du dein Talent vergeudest, solange ich dich kenne. Du solltest etwas auf die Beine stellen. Du solltest eine eigene Firma gründen, verdammt! Du könntest tun, was du willst …“

„Ich habe getan, was ich wollte, bevor du dich eingemischt hast“, sagte sie atemlos.

Charles hielt noch immer ihre Arme umfasst und funkelte sie an. Ihr ging durch den Kopf, dass er sie vielleicht genauso gehalten hätte, wenn er sie hätte küssen wollen. Das war etwas, was sie sich bei vorsichtiger Schätzung bereits ungefähr fünftausend Mal vorgestellt hatte, und weiter würde sie niemals kommen.

Er zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Dein Ehrgeiz macht mich sprachlos.“

Ihr Blick fiel auf seinen sinnlichen Mund, den Charles nun verächtlich verzogen hatte. Was, wenn sie ihn küssen würde? Wenigstens würde sie dann erfahren, wie es war …

„Ich weiß nicht, warum du dich beschwerst.“ Sie zwang sich, ihm wieder in die Augen zu sehen. „Ich dachte, du bräuchtest eine mehrsprachige Sekretärin. Was würdest du ohne mich tun?“

„Wahrscheinlich würde ich es schon irgendwie schaffen.“ Er schüttelte sie ungeduldig. „Was erwartest du denn von mir, wenn ich sehe, dass jemand, der genauso clever ist wie ich, alberne Witze reißt und sich wie eine Idiotin auf meinem Schreibtischstuhl dreht? Du solltest dich schämen.“

Wie schön seine Augen sind, dachte Barbara. Sie waren von dichten dunklen Wimpern gesäumt, und die Brauen waren sanft geschwungen.

„Findest du mich wirklich hübsch?“, erkundigte sie sich unvermittelt.

Charles presste verächtlich die Lippen zusammen und ließ die Arme sinken. „Ich muss jetzt arbeiten. Vergiss, was ich gesagt habe. Mach mit deinem Leben, was du willst, solange du nur deine Arbeit tust.“

„Gestern hast du gesagt, ich sei hübsch“, erinnerte sie ihn. „Hast du das ernst gemeint?“

Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu. „Ja. Können wir jetzt weitermachen?“

„Aber …“, begann sie.

„Aber was?“

„Nichts.“ Wenn sie jetzt etwas sagte, dann war es bestimmt etwas so Dummes, dass er sein schmeichelhaftes Urteil über ihre Intelligenz sofort revidieren würde. Fast hörte sie sich fragen: „Wenn ich eine eigene Firma gründe, wirst du mich dann küssen?“ Keine gute Idee. „Angenommen, ich würde den Nobelpreis bekommen, würdest du dann nur für eine Nacht …?“ Nein. Nein. Nein.

Dass sie so früh aufgestanden war, hatte sie offenbar völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Vielleicht erschien ihr deshalb alles wie im Traum. Sie träumte manchmal von Charles, und in ihren Träumen war er immer viel netter als in Wirklichkeit. Wenn er sie küsste, versuchte sie immer, nicht aufzuwachen.

Er nahm das Band aus dem Diktiergerät und reichte es ihr. „Fang damit an. Ich habe die Namen und das Wesentliche raufgesprochen. Du kannst die Briefe verfassen, und ich unterschreibe sie anschließend.“

Erst in diesem Moment wurde Barbara bewusst, wie untypisch dieser heftige Gefühlsausbruch für Charles gewesen war.

Statt die Kassette entgegenzunehmen, blickte sie ihn starr an.

Seit wann interessierte er sich für irgendjemanden außer sich selbst? Mit siebzehn war er egoistisch und faul gewesen, jetzt war er egoistisch und ehrgeizig. Und seit wann verhielt er sich so widersprüchlich? Noch vor Kurzem war sie für ihn nur ein Rädchen im Getriebe gewesen, und nun, da er sie eingestellt hatte, hielt er ihr vor Augen, dass sie ihr Leben mit einer Tätigkeit als solches vergeudete.

Was war bloß mit ihm los?

Einmal hatte sie geträumt, dass er schon immer in sie verliebt gewesen war. Leider war es seitdem nicht wieder vorgekommen, und es sah nicht so aus, als würde der Traum wahr werden, denn Charles, der ausgesprochen selbstbewusst war, würde seine Gefühle vermutlich nicht für sich behalten.

„Glaubst du wirklich, ich sollte eine Firma gründen?“, fragte sie.

Seine Miene war undurchdringlich. „Tu, was du willst.“

„Glaubst du, ich könnte es?“

„In Anbetracht deiner Aussage, dass du dich schnell langweilst, wohl kaum.“

Obwohl sie das Gefühl hatte, dass sie nicht weiterkam, wusste Barbara nicht, was sie noch fragen sollte. Sie nahm die Kassette entgegen, und als sie ihn dabei flüchtig berührte, verspürte sie ein heftiges Prickeln. Schnell zog sie die Hand zurück und betrachtete ihn verstohlen, um herauszufinden, ob er etwas bemerkt hatte – oder genauso empfunden hatte. Doch er war bereits dabei, eine neue Kassette einzulegen.

Sie nahm das Tablett mit ins Vorzimmer und schaltete den Computer ein. Keine der anderen Sekretärinnen, die in diesem Stockwerk arbeiteten, war bisher erschienen, doch es betraten immer mehr Leute mit Akten- und Sporttaschen das Gebäude, wie Barbara mit einem Blick aus dem Fenster feststellte.

Einige von ihnen schienen gut in Form zu sein, aber keiner wirkte so energiegeladen wie Charles. Manch einer sah sogar ziemlich abgespannt aus. Charles verlangte seinen Mitarbeitern viel ab, wie sie aus Erfahrung wusste, und sie wusste ebenfalls, dass es sie oft zu Höchstleistungen anspornte. Aber mussten sie alle so müde aussehen?

Barbara krauste die Stirn. Doch als sie sich daran machte, die Briefe zu schreiben, dachte sie nicht mehr darüber nach.

5. KAPITEL

Zwanzig osteuropäische Geschäftsmänner saßen an dem großen Konferenztisch und machten sich Notizen. Manchmal sagte einer von ihnen etwas auf Deutsch, und ein anderer, der die Sprache nicht verstand, schenkte Miss Woodward ein gewinnendes Lächeln und bat sie zu übersetzen. „Es ist besser, wenn Sie neben mir sitzen“, hieß es dann, und die neunzehn anderen folgten der attraktiven Rothaarigen mit den Augen, wenn sie aufstand und um den Tisch herumging.

Ich wäre auch neidisch, wenn ich sie nicht kennen würde, dachte Charles, während er beobachtete, wie Barbara wieder Platz nahm und dabei charmant lächelte. Wenn ich sie nicht kennen würde, würde ich sie sicher näher kennenlernen wollen, überlegte er weiter und betrachtete dabei ihr Gesicht. Sie war eine sture, widerspenstige … Plötzlich fiel ihm ein, dass er sie an diesem Morgen praktisch in den Armen gehalten hatte. Genauso gut hätte er sie auch küssen können.

Im Geiste sah er ihre schläfrigen blauen Augen vor sich, die weichen, vollen Lippen, und im Geiste neigte er den Kopf und … Nein. Mühsam riss Charles sich zusammen.

Er konnte es sich nicht leisten, sich derartigen Fantasien hinzugeben. Die Besprechung lief ausgesprochen gut. Nun, da Barbara dabei war, funkelten die Teilnehmer sich wenigstens nicht mit dem wütenden Ausdruck an, der besagte, dass sie keine Ahnung hatten, worüber gerade gesprochen wurde, es ihnen aber auch egal war, weil sie sich ohnehin unsympathisch fanden. Er brauchte eine Sekretärin, und er würde Barbara eine Menge Geld zahlen, damit sie das nächste Jahr bei ihm blieb und ihn unterstützte. Daher durfte er es auf keinen Fall riskieren, sie zu verlieren, indem er sich ausmalte, wie es wäre, wenn … Wieder riss er sich zusammen, und diesmal kostete es ihn noch mehr Mühe.

Jemand anders ergriff nun auf Englisch das Wort, und der Mann, der zu seiner, Charles, Linken saß, lächelte Miss Woodward hilflos an und bat sie, für ihn zu dolmetschen. Die übrigen Besprechungsteilnehmer folgten Barbara mit den Augen, als sie aufstand und sich zwischen ihn und den Glücklichen setzte, der kein Englisch sprach. Er musste ein Lächeln unterdrücken, als sie sich zu dem Mann hinüberbeugte und etwas in der Sprache seiner Wahl zu ihm sagte.

Sie sollte ihr Talent nicht so vergeuden, dachte er und nahm sich vor, noch einmal mit ihr darüber zu reden. Dann fiel ihm jedoch sein Gespräch mit ihr über dieses Thema ein, und er rief sich ins Gedächtnis, dass er es sich nicht leisten konnte, derartige Gedanken zu hegen.

„Ich glaube, wir sind uns grundsätzlich einig“, erklärte er dann. „Lassen Sie uns zur nächsten Frage übergehen.“

Barbara dolmetschte in leisem Tonfall für den Mann, der neben ihr saß. Es scheint nicht allzu schlecht zu laufen, überlegte sie dabei. Es war schwer für sie, mitzuhalten, denn neben dem Übersetzen versuchte sie, sich Notizen zu machen, und bemühte sich außerdem, Charles zu ignorieren.

Nach ihrer Auseinandersetzung mit ihm schien sie sich seiner Gegenwart noch deutlicher bewusst zu sein, und immer wieder ließ sie den Blick in seine Richtung schweifen und musterte sein markantes Profil.

Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie so ein ganzes Jahr überstehen sollte.

Andererseits konnte sie erst um neun mit der Arbeit anfangen, wie sie sich ins Gedächtnis rief. Daher würde sie Charles nicht zu einer Zeit allein antreffen, in der sie eigentlich beide im Bett hätten liegen sollen. Und wenn sie ihm auch sonst gelegentlich aus dem Weg gehen konnte, würde sie es schon schaffen.

Es verging eine Woche, in der Barbara glaubte, an ihrem Vorsatz festhalten zu können. Charles kam weiterhin zu nachtschlafender Zeit ins Büro und ging gegen neun, weil er noch eine Verabredung zum Abendessen hatte. Sie kam um neun und blieb bis mindestens zehn, wobei sie über ihre Überstunden peinlich genau Buch führte. Sie hatte so viel zu tun, dass es ihr oft gelang, fünf oder zehn Minuten überhaupt nicht an ihn zu denken. Er machte keine Bemerkungen mehr über ihr Aussehen und empfahl ihr auch nicht mehr, eine Firma zu gründen.

Doch leider gab es mit Charles irgendwann immer Probleme.

Er versuchte nicht nur, den osteuropäischen Markt zu erobern, sondern expandierte auch immer noch innerhalb des Vereinigten Königreichs. Derzeit arbeitete man an einem Angebot für die Entwicklung eines individuell zugeschnittenen Softwarepakets sowie eines umfangreichen Schulungsprogramms für eines der größten Unternehmen des Landes.

Mike Carlin, der zuständige Projektleiter, war außerdem für die Akquisition neuer Kunden in Polen zuständig. Am Montagnachmittag rief Charles ihn zu sich, um den Stand der Dinge zu besprechen. Barbara führte Protokoll. Mike sah übernächtigt aus, doch Charles schien es nicht zu bemerken, sondern überschüttete ihn mit Fragen, die Mike irgendwie beantwortete.

„Es scheint gut zu laufen“, erklärte Charles schließlich. „Ich muss Ihnen ja nicht sagen, dass Zeit von entscheidender Bedeutung ist.“ Er lächelte jungenhaft. „Apropos … Gerade hat jemand von Barrett angerufen und gesagt, in zwei Wochen wollen sie das Angebot haben. Es bleibt also noch genug Zeit für die Feinabstimmung. Wie sieht es aus?“

Mike schien noch blasser zu werden, als er ohnehin schon war. „Na ja, es wird“, erwiderte er stockend.

„Ich würde gern sehen, wie weit Sie inzwischen sind.“

„Es … es … es sind sechs verschiedene Punkte. Man kann sich noch kein richtiges Bild davon machen …“

„Das reicht mir“, meinte Charles. „Ich lasse es mir von Ihrer Sekretärin bringen.“

Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer.

„Hier Mallory. Könnten Sie mir bitte die Barrett-Akten bringen? Barrett. Richtig. Und beeilen Sie sich bitte, ja?“

Nachdem er aufgelegt hatte, besprach er mit Mike einige Punkte, die die polnischen Kunden betrafen.

Ungefähr eine Viertelstunde später betrat eine Sekretärin den Raum, eine einzige dünne Akte in der Hand.

„Das ist leider alles, was ich finden konnte“, entschuldigte sie sich.

Charles nahm die Akte entgegen und blätterte sie durch. Sie enthielt lediglich einige in Stichworten abgefasste Vorschläge.

„Ich brauche den aktuellen Stand der Dinge“, sagte er ungeduldig. „Mike, holen Sie mir doch bitte die Akten.“

Als Barbara Mikes verzweifelten Gesichtsausdruck sah, sagte sie aus einem Impuls heraus: „Ich habe die Akte noch nicht nach unten geschickt, Charles. Tut mir leid, mir war nicht ganz klar, wovon du sprichst.“

Beide Männer sahen sie verständnislos an.

„Ich habe einige Male bei Barrett gearbeitet“, improvisierte sie weiter. „Man ist dort sehr penibel. Mr. Carlin hat mir seine Entwürfe gegeben. Sie waren nicht schlecht, aber einiges war verbesserungsbedürftig. Ich habe ihm vorgeschlagen, sie durchzugehen und Vorschläge zu machen.“

„Dann lass mal sehen“, meinte Charles.

„Sei nicht albern“, erwiderte sie, woraufhin Mike und die Sekretärin sie beinah ehrfürchtig betrachteten. „Es ist sinnvoller, wenn du sie erst siehst, nachdem ich sie den Anforderungen von Barrett entsprechend umgestaltet habe.“

„Also morgen.“

„Am Freitag sind sie fertig.“

„Ich würde sie gern morgen haben“, beharrte er.

„Mal sehen, was ich tun kann“, sagte sie freundlich. „Ich gehe davon aus, dass du mich heute nicht mehr brauchst.“

„Heute kann ich dich nicht entbehren“, entgegnete er.

„Gut, dann bekommst du die Akte am Freitag.“ Sie lächelte engelsgleich, bevor sie hinzufügte: „Ich habe noch einige Fragen an Mr. Carlin. Also wenn es dir recht ist, gehe ich jetzt mit ihm in sein Büro.“

Sie wandte sich an Mike, der daraufhin unmerklich nickte.

Sobald sie in seinem Büro waren, sank er auf seinen Schreibtischstuhl und barg das Gesicht in den Händen.

„Danke, dass Sie mir zu Hilfe gekommen sind“, meinte er, „aber früher oder später wird er es sowieso erfahren. Ich schaffe es einfach nicht. Am besten sage ich es ihm gleich …“

Barbara hatte die Akte aufgeschlagen. Sie enthielt kaum mehr als einige Notizen.

„Hat Mallory keine anderen Angebote gemacht?“, fragte sie.

„Doch, aber keins in diesem Umfang. Die Zeit ist ohnehin zu knapp, selbst wenn ich mich nur damit befassen würde.“ Er schloss für einen Moment die Augen.

„Sicher haben Sie von Barrett einiges an Material bekommen, oder?“, hakte sie nach.

„Ja, aber Sie verstehen offenbar nicht“, sagte er scharf. „Die Zeit ist einfach zu knapp …“

„Für Sie. Natürlich verstehe ich das. Aber für mich ist es nicht zu spät.“ Aufmunternd lächelte sie ihm zu. „Ich habe tatsächlich einmal für Barrett gearbeitet und weiß, was man dort erwartet. Ich werde einen Rohentwurf machen. Wenn Charles den vorliegen hat, sagen Sie ihm, dass das Polen-Projekt Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert und jemand anders das Barrett-Projekt weiterführen soll.“

Mike betrachtete sie müde. „Ich kann doch nicht Ihre Arbeit als meine ausgeben.“

Barbara zuckte die Schultern. „Sie wissen, dass Sie gute Arbeit leisten. Nächstes Mal lassen Sie sich von Charles nicht mehr aufdrücken, als Sie bewältigen können. Auf lange Sicht ist das auch besser für die Firma. Und darum geht es doch, oder?“

Stirnrunzelnd trommelte er auf den Schreibtisch. „Ich weiß nicht … Mallory sagt, Sie seien hervorragend, aber …“

„Aber was?“

„Er hat mir eine Geschichte über Vendler Morris erzählt. Es ging um einen Bericht über den Euro.“ Wieder schloss er kurz die Augen. „Ein typisches Vendler-Morris-Fiasko. Sie haben ständig neue Mitarbeiter darauf angesetzt und wieder abgezogen, bis schließlich ein heilloses Durcheinander herrschte. Dann haben sie eine Aushilfe eingestellt, die sich als eine Art verrückte Linguistin mit einem ausgeprägten Gespür für Zahlen erwies und drei Monate an dem Projekt gearbeitet hat …“

Barbara unterdrückte einen Schauer. Man hatte sie damals mit der Versprechung gelockt, dass es auf keinen Fall länger als drei Wochen dauern würde, denn sie hatte anschließend nach Kreta fliegen wollen. Sie hatte eines der Dokumente Korrektur lesen sollen. Dabei hatte sie Unstimmigkeiten bei den Zahlen entdeckt und begonnen, diesen auf den Grund zu gehen.

Aus den drei Wochen waren erst vier, dann fünf, dann sechs geworden, und immer noch hatte man sowohl bei Vendler Morris als auch bei ihrer Zeitarbeitsfirma gesagt, wenn sie nur noch eine Woche bleiben könnte, würde man alles unter Kontrolle bekommen. Dass Charles von dieser Geschichte wusste, war ihr neu, doch er hatte vor einigen Jahren Software für Vendler Morris entwickelt. Offenbar hatte er damals davon gehört.

Carlin betrachtete sie skeptisch. „Die Rede ist aber nicht von drei Monaten, sondern von drei Tagen.“

„Ja“, bestätigte Barbara, „aber ich habe schon ganz genaue Vorstellungen. Es ist zumindest einen Versuch wert.“

Er wirkte vielmehr resigniert als überzeugt. „Wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht …“

„Vermutlich wird es mir sogar Spaß machen“, erwiderte sie wahrheitsgemäß.

Sie nahm die Akte mit und verbrachte die Mittagspause zum ersten Mal nicht an ihrem Schreibtisch, sondern in der Cafeteria. Dort nahm sie sich einen Cappuccino und drei verschiedene Desserts und setzte sich in eine Ecke, um sich in Ruhe die Notizen sowie das Material anzusehen, das Barrett zur Verfügung gestellt hatte. Nachdem sie die Akte wieder zugeklappt hatte, zwang sie sich, nicht mehr daran zu denken. Vorerst hatte sie ohnehin keine Zeit dazu, da sie am Nachmittag diverse äußerst wichtige Dinge für Charles erledigen musste.

Charles verließ um neun die Firma, da er wieder zum Abendessen verabredet war. Sie wusste immer die Namen der betreffenden Frauen, denn er schrieb sie in seinen Kalender und strich sie manchmal auch wieder durch. Heute Abend war es Karina. Wie sonst auch musste Barbara sich zwingen, sich nicht vorzustellen, wie Karina aussah, weil sie sich nicht unnötig quälen wollte.

Sobald sie allein war, nahm sie die Akte hervor. Da ihr Schreibtisch sehr voll war, ging sie in Charles’ Büro, um sich an seinem Besprechungstisch auszubreiten. Bedrückt betrachtete sie die Unterlagen.

Das Problem war, dass sie nicht mit zwei, sondern drei Weltanschauungen konfrontiert war.

Die Philosophie der Mallory Corporation war, dass die Evolution des Menschen auf Umwegen zu einer letzten und größten Errungenschaft geführt hatte – dem Computer. Hardware war toll, Software noch toller, und es gab kein Problem, das nicht mit einer Kombination aus beiden gelöst werden konnte. Die Hochglanzprospekte bestachen durch zahlreiche Tabellen und Diagramme, und offenbar hatten sich bereits viele Kunden davon überzeugen lassen.

Die Philosophie von Norman Barrett, dem zweiundsiebzigjährigen Gründer der Barrett Corporation, war, dass für eine florierende Firma lediglich eine mechanische Schreibmaschine und eine kompetente Schreibkraft vonnöten waren. Alles Überflüssige wie zum Beispiel Hochglanzprospekte war ihm suspekt, da es seiner Meinung nach nur Kosten verursachte.

Die Philosophie des Leiters des Benutzerservice bei Barrett war etwas fortschrittlicher, denn seiner Meinung nach war modernste Technologie unerlässlich für die Wettbewerbsfähigkeit einer Firma. Allerdings musste ein Softwarepaket seiner Ansicht nach komplexe Aufgaben verrichten können, durfte die Anwender jedoch nicht dazu verleiten, selbst damit herumzuexperimentieren.

Angestrengt dachte Barbara darüber nach, wie sie allen gerecht werden konnte. Unterbewusst hatte sie sich den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, aber das Problem erschien immer noch unlösbar.

Sie ging zu Charles’ Schreibtischsessel, setzte sich darauf und begann, sich zu drehen …

Ihrer Meinung nach hatte es überhaupt keinen Sinn, die Lösung eines Problems zu erzwingen. Man musste sich Zeit lassen, bis man eine Eingebung hatte.

Um elf hörte sie draußen Stimmen im Flur.

„Tut mir leid, dass ich dich mit in die Firma nehmen musste“, sagte Charles. „Aber ich habe noch etwas zu erledigen.“

„Macht nichts“, erwiderte eine Frauenstimme. „Ich würde mir gern dein Büro ansehen.“

„Da gibt es nicht viel zu sehen“, erklärte er mit einem amüsierten Unterton.

Denkst du, dachte Barbara, die förmlich erstarrt war.

„Ich gehe erst einmal für kleine Mädchen“, meinte die Frau.

„Das ist gleich um die Ecke“, informierte er sie. „Die erste rechts, dann links, dann gegenüber vom Aufzug …“

„Wenn wir die zweite Flasche nicht auch noch geleert hätten, würde ich es vielleicht allein finden“, erwiderte sie lachend. „Du musst wenigstens ein Stück mitgekommen.“

„Was ist es dir wert?“

„Was hattest du denn im Sinn?“

Charles lachte. „Das sage ich lieber nicht. Komm, hier entlang.“

Barbara sprang auf, eilte zum Tisch und sammelte in Windeseile die Unterlagen zusammen. Sie konnte es nicht riskieren, sein Büro zu verlassen, aber wo sollte sie sich verstecken? Panikerfüllt sah sie sich um. Es gab einen Wandschrank, in dem immer ein Ersatzanzug hing, doch die Türen hatten keine Griffe.

Sie lief auf die nächstbeste Tür zu und drückte dort, wo eigentlich der Griff hätte sein müssen. Die Tür schwang auf, und eine Überwachungskamera kam zum Vorschein.

Als Barbara wieder Schritte im Flur hörte, quetschte sie sich in den engen Schrank und schloss die Tür hinter sich.

Man konnte zwar nicht in den Schrank sehen, von hier aus aber den ganzen Raum überblicken. Sie beobachtete, wie Charles allein hereinkam, zu einem Aktenschrank ging und einige Unterlagen herausnahm. Dann lehnte er sich an den Schrank und blätterte in den Unterlagen. Kurz darauf kam die Frau herein.

Barbara schluckte. Die Frau war groß und schlank, hatte unmöglich lange Beine und den Gang eines Models. Ihr Haar war blond gesträhnt, ihre Augen blau. Sie war perfekt geschminkt und trug ein enges schwarzes Kleid mit einem dazu passenden Gehrock. Sie zog den Gehrock aus, während sie auf Charles zuging, und blieb schließlich neben ihm stehen.

Charles schien die Akte interessanter zu finden als die atemberaubende Frau an seiner Seite, denn er blätterte immer noch darin.

Nach ungefähr zwei Sekunden beschloss die Frau, die Initiative zu ergreifen. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und küsste ihn auf den Mund.