Romana Herzensbrecher Band 9 - Barbara McMahon - E-Book

Romana Herzensbrecher Band 9 E-Book

BARBARA MCMAHON

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Beschreibung

SCHON NACH DEINEM ERSTEN KUSS von SUSAN STEPHENS

Was für eine atemberaubende Frau! Iannis Kiriakos ist hingerissen von Charlotte, als er ihr auf der romantischen Mittelmeerinsel begegnet. Aber wird sie seine Gefühle weiterhin erwidern, wenn sie die Wahrheit erfährt? Denn er ist nicht der einfache Fischer, für den sie ihn hält …

AUF DER JACHT DES MILLIONÄRS von Barbara McMahon

Verzückt taucht Sara mit Nikos durch die Unterwasserwelt der Ägäis. Und an Bord seiner Jacht lassen seine Zärtlichkeiten sie von noch mehr Glück träumen. Jetzt muss sie ihm endlich sagen, warum sie wirklich nach Griechenland gekommen ist. Wird dieses Geständnis ihren Traum zerstören?

VERFÜHRUNG AUF GRIECHISCH von HELEN BIANCHIN

Dem griechischen Multimillionär Xandro Caramanis bleibt keine andere Wahl: Um die schöne Ilana vor ihrem Ex-Verlobten zu schützen, entführt er sie kurzerhand in seine Luxusvilla am anderen Ende der Welt. Nur zu ihrer Sicherheit? Oder doch eher für sich selbst?

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Seitenzahl: 574

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Susan Stephens, Barbara McMahon, Helen Bianchin

ROMANA HERZENSBRECHER BAND 9

IMPRESSUM

ROMANA HERZENSBRECHER erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: ROMANA HERZENSBRECHER, Band 9 – 2021

© 2004 by Susan Stephens Originaltitel: „The Greek’s Seven-Day Seduction“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sabine Buchheim Deutsche Erstausgabe 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1653

© 2009 by Barbara McMahon Originaltitel: „Greek Boss, Dream Proposal“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Andrea Zapf Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1836

© 2007 by Helen Bianchin Originaltitel: „The Greek Tycoon’s Virgin Wife“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Emma Luxx Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 299

Abbildungen: Ridofranz / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751503334

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

Schon nach deinem ersten Kuss

1. KAPITEL

Die Brandung umspülte Charlottes Füße, während sie zu den Sternen hinaufschaute. Sie konnte einfach nicht fassen, dass es auf der winzigen griechischen Insel Iskos zu so später Stunde noch immer so warm war. Der Sand unter ihren Füßen fühlte sich fest und kühl an. Endlich war der Moment gekommen, auf den sie gewartet hatte. Sie holte weit aus und schleuderte den schmalen Goldreif ins Meer hinaus. Ihre Ehe mit einem reichen Mann war gescheitert, und der Ring war das letzte Symbol aus dieser Zeit.

Mit geschlossenen Augen malte sie sich aus, wie er auf den Meeresboden sank, und während er fiel, hoben sich ihre Lebensgeister, bis grenzenlose Erleichterung sie durchflutete. Sie setzte sich in den Sand, zog die Beine an und machte eine Bestandsaufnahme. Die Welt hatte sich erfreulicherweise nicht verändert, aber immerhin fühlte sie selbst sich wie verwandelt – sie war frei. So musste sich ein Schmetterling fühlen, wenn er zum ersten Mal die Flügel ausbreitete.

Sie stützte sich auf die Ellbogen und erblickte unter all den funkelnden Punkten am Himmel das Sternbild Pegasus. Ihr erschien es wie ein Zeichen. Die Scheidung lag hinter ihr. Ihr Leben würde neu beginnen.

Charlotte dachte an die Zukunft. Manche Dinge würde sie nicht ändern. Sie war eine renommierte Gesellschaftsjournalistin – reiselustig und Besitzerin eines Laptops – und konnte, dank des Internets, überall leben. Vielleicht würde sie an einen neuen, aufregenden Ort ziehen, vielleicht auf eine Insel wie diese? Zuvor musste jedoch noch einiges passieren, beispielsweise musste ihre Lebensfreude zurückkehren. Sie war nun schon fast einen Monat auf der Insel und nicht ein einziges Mal abends ausgegangen. Dabei hatte die Reise nach Griechenland sowohl ihr Selbstbewusstsein heben als auch ihre Karriere fördern sollen. Bislang hatte der Szenenwechsel nicht geholfen. Die zum Schreiben dringend nötige Inspiration war ausgeblieben, und ihr Selbstbewusstsein tendierte nach wie vor gegen null.

Sie dachte an die verführerischen Kleider, die unbeachtet in ihrem Koffer lagen. Es waren traumhafte Designerstücke, ein kleines Geschenk des Magazins, für das sie arbeitete – aber sie hatten einen Preis. Als ihre Chefredakteurin verlangt hatte: „Finden Sie einen atemberaubenden Griechen, und schreiben Sie über ihn“, war es tatsächlich nur eine andere Formulierung gewesen für: Bring einen reißerischen Reisebericht zurück, um damit deine Karriere aufzupäppeln, die durch deine Scheidung schwer gelitten hat. Das Problem war einzig, dass atemberaubende Griechen auf Iskos offenbar Mangelware waren.

Charlotte ließ den Blick über die Klippen schweifen, an denen sich das Wasser brach und dann durch die stille Bucht wieder hinaus ins Meer strömte. In der Taverne am Ufer brannten die Lichter, und gelegentlich hallte ein Ruf oder Gelächter von den Felsen wider und ermahnte sie, dass es Zeit zum Gehen war.

Sie erhob sich und klopfte sich den Sand von den Sachen, hielt jedoch inne, als ein anderer Laut herüberdrang. Es dauerte einen Moment, bis sie gleichmäßige Ruderschläge identifizierte.

Bei genauerem Hinsehen erkannte sie die Laterne am Bug des kleinen Bootes. Die Dunkelheit hatte alle Farben geschluckt, doch dank der Lampe konnte Charlotte die Silhouette eines Mannes ausmachen. Seine Bewegungen waren kraftvoll und ruhig, so als würde er sich am Mond und den Sternen orientieren, um sein Ziel zu erreichen.

Der Anblick des Ruderers übte eine seltsam hypnotische Wirkung auf sie aus. Er vermittelte ihr den Eindruck von Stärke. Lächelnd ließ Charlotte ihrer Fantasie freien Lauf. Sie war auf der Insel zahllosen drahtigen, robusten Fischern begegnet, doch der Instinkt sagte ihr, dass dieser Mann sich von ihnen unterschied. Er war muskulös, aber anmutig wie ein Tiger … geschmeidig und gefährlich energiegeladen. Sie versuchte, seinem Schattenriss Tiefe und Charakter zu verleihen – und plötzlich verspürte sie den Drang, alles niederzuschreiben.

Rasch streifte Charlotte ihre Sandaletten über. Der Kern des Artikels hatte sich ihr noch nicht eröffnet, aber er hatte mit dem Mann im Boot zu tun, dessen war sie sicher. Je mehr sie sich dem steilen Pfad näherte, der den Hang hinauf zu der von ihr gemieteten Villa führte, desto schneller lief sie.

Die Terrasse umschloss das gesamte eingeschossige Gebäude und war mit Kies bestreut. An der steinernen Brüstung stand ein langer Tisch, von dem aus man einen märchenhaften Blick über die Bucht hatte. Hier richtete Charlotte ihr provisorisches Büro ein. Wie die meisten Häuser im warmen Klima verfügte die Villa über zahlreiche Außenlampen, die während der ganzen Nacht ein problemloses Arbeiten ermöglichten.

Während sie eifrig schrieb, war sich Charlotte des winzigen Lichtpunktes auf dem Wasser bewusst. Obwohl sie den Mann und sein Boot nicht voneinander unterscheiden konnte, tröstete sie die Gewissheit, dass er dort war. Dadurch wurde ihre Fantasie beflügelt, und die Worte erschienen wie von selbst auf dem Bildschirm.

Allmählich wurde die Liste der Ideen und Impressionen immer länger, die sie in Vorbereitung für ihren Artikel notierte: geschmeidige Anmut, körperliche Stärke, mühelose Bewegungen, Zielstrebigkeit, Aura der Macht. Charlotte hielt inne und hob mit klopfendem Herzen den Kopf. Entschlossen richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Tastatur: glänzendes rabenschwarzes Haar im schwindenden Licht, ein markantes Profil, Mondschein auf wohlproportionierten Muskeln … Sie zögerte erneut und spürte, dass sich nun auch ihr Atem beschleunigt hatte. Während ihre Finger über den Tasten verharrten, blickte sie hinaus aufs Meer, um sich gleich darauf kopfschüttelnd abzuwenden. Konzentrier dich!

Charlotte merkte gar nicht, wie schnell ihr die Worte aus den Fingern strömten, bis ein plötzlicher Temperaturabfall sie aus ihren Gedanken riss. Fröstelnd richtete sie sich auf und lockerte die verspannten Schultern. Eine frische Brise war aufgekommen und wehte ihr das lange tizianrote Haar ins Gesicht.

Als sie den Himmel das letzte Mal betrachtet hatte, war er bleigrau gewesen, mit einem schmalen rötlichen Streifen am Horizont, wo die Sonne untergegangen war, doch nun hatte er sich in eine tiefschwarze griechische Nacht verwandelt – eine kühle griechische Nacht. Charlotte hüllte sich fester in ihre Stola. Wenige Minuten später musste sie ihre Niederlage eingestehen und sich ins Haus zurückziehen.

Tiefe Stille umfing sie beim Betreten der luxuriösen Villa, aber die Ruhe erfüllte sie eher mit Erleichterung als mit Einsamkeit. Bei der Besichtigungstour mit dem Makler hatte sie sofort erkannt, dass dies für sie der richtige Ort war, um sich zu erholen. Das gepflegte Anwesen am oberen Ende der Preisskala bot ihr die ersehnte Ablenkung von jeglichem Kummer. Sie war seelisch zu angeschlagen und brauchte ein wenig Hilfe, wenn sie ihren Kampfgeist wiedererlangen wollte.

Die gescheiterte Ehe hatte mehr Narben hinterlassen, als sie erwartet hatte. Hinzu kamen das schlechte Gewissen – vielleicht hätte sie etwas anders oder besser machen können –, ein Gefühl des Versagens und natürlich der Schmerz. Und das hatte sie am meisten verwundert. Aber sie war eine Kämpfernatur, und der Griechenlandurlaub war eine Investition in ihre Zukunft. Wie auch immer sich dieser Artikel entwickeln mochte, sie war überzeugt, dass der Grundtenor optimistisch und heiter sein würde.

Die ausgedruckten Seiten an die Brust gepresst, stieß Charlotte die schwere Eichentür zu ihrem Schlafzimmer mit der Schulter auf. Wie der Rest des großzügigen Hauses war auch dieser Raum in traditionellem Stil gehalten, reich gemusterte Läufer in allen Rottönen bedeckten den glänzenden Terrakottaboden.

Bei der Ausstattung hatte man selbst die ausgefallensten Wünsche künftiger Mieter berücksichtigt und keine Kosten gescheut. Frisch getünchte weiße Wände umgaben das mächtige Bett, von dem aus man aufs Meer blicken konnte. Und das Bett war einzig dazu entworfen, sogar den verwöhntesten Bewohner zu beeindrucken. Die Matratze lag auf einer Plattform aus poliertem Granit, und auf den Leinenlaken türmten sich bunte Seidenkissen.

Im angrenzenden großen Badezimmer wurden die nagelneuen weißen Sanitärobjekte durch hellblaue Anbaumöbel ergänzt. Charlotte beschloss, sich mit einem ausgedehnten Bad für den Beginn des Artikels zu belohnen, doch zuvor wurde sie von einer unsichtbaren Macht zum Fenster gezogen.

Der Mond hatte sich hinter einer Wolke verborgen, und selbst die Zweige des Olivenbaums vor dem Fenster schienen mit der Dunkelheit verschmolzen zu sein. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Ein zarter Limonenduft lag in der Luft, und in der Ferne rief eine Eule. Als Charlotte die Augen wieder öffnete, versuchte sie, die winzige Lichtquelle zu erspähen. Vergeblich. Stirnrunzelnd meinte sie, das Boot sei verschwunden. Doch plötzlich erschien die Laterne dann wieder und strahlte wie Glühwürmchen in der tintenschwarzen Leere.

„Gute Nacht“, flüsterte sie und wandte sich lächelnd ab.

Dies ist vermutlich das bequemste Bett, in dem ich je geschlafen habe, überlegte Charlotte träge, als sie sich an die Kissen lehnte und in die Nacht hinausschaute. Ihr Blick fiel auf die Laterne und verweilte dort. Unwillkürlich dachte sie über den Mann an Bord, den einsamen Fischer, nach.

Rastlos drehte sie sich auf den kühlen Laken hin und her. Wie sollte sie schlafen, wenn ihr Verstand noch so wach war? Wenn sich all ihre Gedanken um den Fischer drehten? Begehre ich einen Schatten? fragte Charlotte sich verwundert. Lief es darauf hinaus? Es schadet doch niemandem, tröstete sie sich. Ich bin jetzt frei.

Im Schlafzimmer einer Villa auf einer winzigen griechischen Insel in der Ägäis war ihre Welt zu einer Oase der Sinnlichkeit geschrumpft, und es war eine Welt voller Möglichkeiten, wenn sie es nur wollte. Die Insel war weit weg von allen, die sie kannte. Sie könnte eine Affäre haben, und niemand würde es je erfahren. Sie könnte eine leidenschaftliche sexuelle Beziehung mit einem Mann beginnen, der nichts von ihr erwarten würde – warum sollte er auch? Keine Verpflichtungen, keine Konsequenzen. Und vielleicht brauchte sie genau das.

Ihr Körper schien jedenfalls dieser Meinung zu sein. Erregung erfasste Charlotte, während sie das tanzende Licht auf dem Meer beobachtete. Lockende Schauer durchrannen sie, aber sie nahm die Hand fort und widerstand der Versuchung. War die Antwort auf ihre Frustration tatsächlich dort draußen auf See in dem Boot mit dem Fischer?

Seufzend rief sie sich zur Ordnung und vergewisserte sich, dass die Laterne noch immer zu sehen war. Das Licht tanzte jetzt stärker, ganz so, als wäre die See rauer geworden. Dann glaubte sie jedoch, ihre Fantasie habe ihr einen Streich gespielt, denn mit jedem Herzschlag schien das Boot sich zu nähern. Sosehr sie sich auch bemühte, es durch pure Willenskraft zur Villa zu locken, es bewegte sich unaufhaltsam zur anderen Seite der Bucht.

Wer ist er? fragte Charlotte sich, als sie an den Fischer dachte. Und, was noch wichtiger ist, wie kann ich ihn kennenlernen? Sie grübelte noch über dieses Problem nach, als der Schlaf sie überwältigte.

2. KAPITEL

Das Gurren der Turteltauben im knorrigen Geäst des alten Olivenbaumes vor dem Fenster weckte Charlotte im Morgengrauen. Gähnend erhob sie sich von der behaglichen Schlafplattform und lief barfuß über die kühlen Fliesen zum Fenster. Es dauerte einen Moment, bis sie sich an das schwache Licht gewöhnt hatte, dann seufzte sie enttäuscht.

Was hatte sie erwartet? Sie hatte beobachtet, wie der Fischer mitten in der Nacht zur Küste zurückgerudert war. Trotzdem hatte ihre Fantasie ihr vorgegaukelt, er würde irgendwo dort draußen auf sie warten.

Der Himmel war zartgelb. Charlotte lächelte hoffnungsvoll. Immerhin bestand die erregende Möglichkeit, dass sie heute den geheimnisvollen Mann wiedersehen würde.

Diese letzten Tage auf der Insel sind vielleicht mehr wert als alle anderen zusammen. Charlotte verspürte plötzlich den unerklärlichen Drang, sich aus dem Fenster zu lehnen und den neuen Tag zu umarmen. Sie wollte sich diese Aussicht für immer einprägen: die sichelförmige Bucht mit dem elfenbeinfarbenen Sand, der so aussah, als wäre er eigens für ihr Vergnügen gereinigt und geglättet worden, und dahinter den leichten Morgennebel über den Olivenhainen. Die See schimmerte türkisgrün und erstreckte sich spiegelglatt bis zu dem Steg, an dem der Fischer vermutlich sein Boot festgemacht hatte. Sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte keine Spur von ihm oder seinem Boot entdecken.

Zeit zum Schwimmen, entschied sie. Danach würde sie sich wieder an den Artikel setzen.

Sie schlüpfte in ihre flachen Sandaletten, bevor sie die Steinstufen zur Terrasse nur mit ihrem Schlafanzug bekleidet hinunterging. Während ihres kurzen Aufenthalts in Griechenland hatten Sonne und Wärme sie ihr Schamgefühl vergessen lassen – dies und die Tatsache, dass bislang niemand außer ihr den Strand unterhalb der Villa betreten hatte. Sie würde heute nackt schwimmen, genau wie an jedem Tag seit ihrer Ankunft.

Als Charlotte den Rand der Klippen erreichte, klopfte ihr Herz heftiger als sonst. Draußen auf den Wellen tanzten zwei rote Bojen. Seine Bojen? Zweifellos. Sie lief rasch den steilen Pfad zum Strand hinunter. Die beiden Markierungen zogen sie wie Magnete zum Wasser.

Es sind bloß Bojen, ermahnte sie sich, während sie den Sand überquerte. Nichts, worüber man sich aufregen müsste. Betont langsam zog sie die Sandaletten aus, doch als sie an die Wasserlinie kam, konnte sie vor Spannung kaum noch atmen. Er wird zurückkehren – irgendwann muss er zurückkehren, um die Signalzeichen zu holen, überlegte sie, während sie den Pyjama abstreifte und auf den Boden warf.

Reiß dich zusammen, schalt sie sich und genoss es, die frische Brise auf ihrem nackten Körper zu spüren. Wenn sie sich so aufführte, wäre es vernünftiger gewesen, in der Villa zu bleiben, wo sie sicher war. Zumal es wesentlich ungefährlicher war, sich den Fischer nur in ihrer Fantasie vorzustellen, als eine Begegnung zu riskieren …

Als jedoch das kühle Wasser über Charlottes Füße schwappte, kam ihr eine Gedichtzeile in den Sinn, die perfekt auf den Fischer zu passen schien. Mehr noch, sie bot das ideale Thema für ihren Artikel.

Mögen ihre mühselige Plackerei, ihre häuslichen Freuden und wahren Bestimmungen nie durch Ehrgeiz gestört werden.

Es war einfach perfekt – sowohl als Aufhänger für den Text als auch als Thema, nach dem sie gesucht hatte.

Sie brauchte bloß noch an den Fischer zu denken, und schon war die Richtung ihres Berichts klar. Es war eine Geschichte, die die Leser garantiert fesseln und sie bei ihrem Caffè Latte innehalten lassen würde: ein gefestigter Mann, ein Mann, der seine Erfüllung bei der Arbeit in freier Natur in der verträumten Umgebung einer kleinen griechischen Insel gefunden hatte.

So weit, so gut. Fröstelnd watete Charlotte tiefer ins Wasser. Aber was war aus ihrem Vorsatz geworden, sich selbst neu zu definieren? Sollte der Fischer auf Papier gebannt werden? In einer Fantasiewelt zu leben, war wunderbar – es hatte ihr stets eine Fluchtmöglichkeit geboten –, aber war es auch genug? Und durfte der Gedanke an den Fischer ihren Blutdruck in astronomische Höhen katapultieren? Sie verdrängte diesen Gedanken, als sie mit einem leisen Aufschrei in die kalten Wellen tauchte.

Mit kraftvollen Zügen schwamm Charlotte auf die Bojen zu. Sie bewegte sich gut, hielt den Kopf meist unter Wasser, um möglichst wenig Widerstand zu bieten und den Kraftaufwand zu verringern. Das Meer war so klar, als wäre es gefiltert, der Grund war mit Felsen übersät, die Scharen bunter Fische Schutz gewährten. Sie sah die Hummerfallen des Fischers zwischen zwei Steinbrocken, bevor sie die Markierungen erreichte.

Wasser tretend umklammerte sie eine der roten Kugeln und presste sie an die Brust. Die Knospen ihrer Brüste richteten sich steil auf, während sie die schartige Oberfläche der Bojen mit den Fingerspitzen nachzeichnete und ihren Überlegungen freien Lauf ließ. Mit geschlossenen Augen gab sie sich einem erotischen Abenteuer hin, in dem sich das feste Hinterteil des Fischers im gleichen Rhythmus bewegte wie die Wellen unter seiner Boje. Sie ließ sich treiben und benutzte die Markierung, um sich über Wasser zu halten. Der Ballon fühlte sich kühl und angenehm an ihrer Wange an, gerade rau genug, um sie von einem unrasierten Kinn an ihrer Haut träumen zu lassen. Ihre Fantasie beschäftigte sich mit seinen starken Händen, seinen Berührungen und …

„Oy! Min to kanis afto!“

Erschrocken stieß Charlotte die Boje von sich. Der laute Befehl war eindeutig vom Ufer übers Wasser zu ihr gedrungen. Tropfen spritzten hoch in die Luft, als sie herumwirbelte und zu erkennen versuchte, wer sie so anschrie.

So viel zu romantischen Idealen! Es war ihr Fischer, und sogar der Schock, so jäh in die Realität zurückgeholt worden zu sein, spielte keine Rolle mehr, als sie sah, dass er den Strand entlangeilte. Er denkt, ich sei in Gefahr, und will mich retten, stellte sie fest. Rasch hielt sie den Arm in die Luft und bedeutete dem Mann mit dem Daumen nach oben, dass alles in Ordnung sei. Charlotte entspannte sich ein wenig, als er unvermittelt innehielt, trotzdem strahlte er unbeugsame Entschlossenheit aus, die bei der geringsten Provokation erneut durchbrechen konnte. Sie bildete sich nicht ein, dass er sich um sie sorgte. Er war schlichtweg wütend.

Allmählich ärgerte sie sich über sein unverschämtes Eindringen auf ihren Strand. Was glaubte er wohl, was sie hier tat? Dachte er, sie wolle sich ihr Abendessen zusammenstehlen? Gehörte ihm das Meer? Charlotte war so schlau, zu bleiben, wo sie war, bis der Mann aufgeben und wieder verschwinden würde. Doch dann hörte sie Motorengeräusch, das sich rasch näherte. Ein kleines Fischerboot tuckerte unaufhaltsam auf sie zu.

Der Fischer hatte sich inzwischen vor ihren Schlafanzug gestellt, während im Boot ein gedrungener älterer Mann mit einem buschigen Schnurrbart saß. Er hatte sie inzwischen entdeckt. Das Boot war mittlerweile nahe genug, dass Charlotte die blauen und weißen Streifen an der Seite erkennen konnte.

Sie konnte nicht ewig Wasser treten. Trafen hier die Fäden des Schicksals zusammen, oder bahnte sich eine Katastrophe an? Es gab nur einen Weg, dies herauszufinden. Sie schwamm zum Strand zurück und wurde erst langsamer, als sie die Gischt sah, die die Füße des Fischers umspülte. Ihre Blicke begegneten sich, und er schwenkte ihre Sachen wie eine Fahne hin und her.

Will er mir den Pyjama zeigen oder mich damit verspotten? überlegte Charlotte. Angesichts des schadenfrohen Funkelns in seinen Augen, steuerte sie auf die schützenden Felsen am Ufer zu.

Es geht doch nichts über ein paar unverfälschte Erfahrungen, um dem Text Würze zu verleihen, dachte sie selbstironisch. Als sie sich umwandte, bemerkte sie, dass der Fremde eine gebieterische Geste machte – diesmal allerdings nicht in ihre Richtung, sondern zum Boot hin.

Sofort wurde der Motor abgestellt. Der Mann an Bord ging zum Heck und beschäftigte sich mit den Netzen. Jetzt war nur noch die Brandung zu hören, die unablässig gegen das Riff und den Rumpf des kleinen Fischkutters schlug.

Charlotte robbte wie ein Rekrut auf den Ellenbogen durchs Seichte und verbarg sich atemlos hinter zwei mächtigen Felsen. Nachdem ihr Pulsschlag sich beruhigt hatte, riskierte sie einen Blick zum Strand. Der Fischer hatte sich nicht von der Stelle gerührt und hielt jetzt aber ihren Schlafanzug in der Hand.

„Werfen Sie ihn her“, rief sie aus sicherer Deckung. Sie wartete, doch als keine Reaktion erfolgte, spähte sie erneut heraus. Der Fischer schüttelte zuerst ihre Sachen und dann den Kopf – langsam und verächtlich.

Frustriert lehnte Charlotte sich zurück. Der Mann war ein ernst zu nehmender Gegner und außerdem ein hinreißend attraktives Exemplar. Seine Augen waren außergewöhnlich. Ein Blick allein genügte, um ihr einen lustvollen Schauer über den Rücken zu jagen.

Vielleicht rührt die Ausdruckskraft vom naturverbundenen Leben her, sagte sie sich ungeduldig. Allerdings musste sie einräumen, dass der durchtrainierte, muskulöse Körper des Fremden in Verbindung mit seiner geringschätzigen Miene mehr verhieß, als sie sich in ihren Tagträumen über den geheimnisvollen und bis dahin ungesehenen Fischer ausgemalt hatte.

Er war größer, als sie gedacht hatte, und wie ein Kickboxer gebaut. Er hatte unglaublich lange Beine, die in den ausgefransten Shorts bestens zur Geltung kamen. Bei dem bloßen Gedanken, von solch kraftvollen Schenkeln umfangen zu werden, gerieten Charlottes Sinne in hellen Aufruhr. Sie schloss die Augen, als könnte sie so die Gefahr bannen.

Fantasie war eine Sache. Die Wirklichkeit hingegen, in Gestalt dieses speziellen Griechen, war etwas völlig anderes. Er trug sogar ein Messer an der Hüfte, das in einer langen Scheide von einem locker sitzenden Ledergürtel baumelte. Charlotte spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Der Mann war so unwiderstehlich, dass sie sich einerseits danach sehnte, ihm die Kleidung vom Leib zu reißen, anderseits wütend auf ihn war, weil er derart unverantwortliche Wünsche in ihr weckte.

Es dauerte eine Weile, bis sie sich genug gefangen hatte, um einen weiteren Blick zu riskieren – und das war ein Fehler.

Charlotte stockte der Atem, als ihre Blicke sich begegneten. Irgendetwas in der nachdenklichen Miene des Griechen deutete an, dass er jede Position des Kamasutra kannte und sein bisheriges Leben darauf verwandt hatte, sie allesamt zu perfektionieren. Zweifellos ideales Hintergrundmaterial für ihren Artikel, aber war sie dafür tatsächlich bereit?

Sie ignorierte die warnende innere Stimme. Der Moment war gekommen. Entweder nutzte sie ihn, oder sie würde es ewig bedauern.

Der Mann strahlte Überlegenheit und überaus männliches Interesse aus. Charlotte schätzte ihn auf Mitte dreißig, alt genug, um zu wissen, was im Schlafzimmer geschah, ohne die Begeisterung oder Ausdauer für das verloren zu haben, was ihr vorschwebte …

Energisch verdrängte sie die letzten Zweifel und rief sich noch einmal ins Gedächtnis, was sie über ihn wusste: sein Haar war dicht, rabenschwarz und leicht gewellt, und er trug es länger als die meisten Männer – allerdings glich er auch nicht im Entferntesten den meisten Männern.

Sie konnte keinen Ring an seiner Hand entdecken. Trotzdem würde sie Marianna diskret aushorchen, die in der Villa arbeitete und alles über jeden auf der Insel zu wissen schien. Die Zeichen stehen gut, dachte Charlotte zuversichtlich. Ein hinreißender, ungebundener Mann mit makelloser Figur für das Vergnügen einer einsamen Journalistin. Natürlich nur zum Zwecke der Recherche.

Er hätte mühelos als einer der alten griechischen Götter durchgehen können, nur dass diese zu klein und zu hübsch gewesen waren, wie sie fand. Sie verglich ihn eher mit Jason, dem legendären Führer der Argonauten, und prompt nahm der kleine weißblaue Fischkutter die Form der „Argo“ mit ihren fünfzig Ruderbänken an – wobei es selbst Charlottes blühender Fantasie nicht gelingen wollte, ihren schäbigen Schlafanzug als das Goldene Vlies zu präsentieren. Apropos Schlafanzug … Er hatte ihn noch immer in seiner Hand.

„Werfen Sie den Pyjama her“, befahl sie laut.

Zu ihrer Empörung zuckte er mit keiner Wimper. Stattdessen übte der Blick seiner Augen eine geradezu hypnotische Wirkung auf sie aus. Er wirkte hart und spöttisch, war der eines erfahrenen Verführers.

Charlotte versuchte ein letztes Mal, ihn zu überreden, diesmal mit sanfter Stimme, in der Hoffnung, an sein Gewissen zu appellieren. Lächelnd deutete sie auf den Pyjama.

Der Fischer machte einen Schritt in ihre Richtung.

„Bleiben Sie stehen“, schrie sie eingedenk ihrer Nacktheit.

Er hielt inne und stützte lässig eine Hand auf die Hüfte.

Er genießt meine Notlage und wartet darauf, dass ich mein Versteck verlasse und den Schlafanzug hole.

Als er gelangweilt die Schultern zuckte, kam ihr plötzlich eine Erklärung in den Sinn. Warum hatte sie nicht schon früher daran gedacht! Er verstand kein Wort von dem, was sie sagte!

Charlotte überlegte. Sie sprach kein Griechisch, also würden sie sich nie einigen.

„Warum kommen Sie nicht her und holen sich Ihre Sachen?“, fragte der Fischer plötzlich in nahezu akzentfreiem Englisch.

3. KAPITEL

Charlotte wich erschrocken zurück. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass er ihre Sprache so mühelos beherrschte.

Seine Stimme war kaum lauter als die sanfte Brandung, und dennoch schwang in ihr jene Selbstsicherheit mit, die Charlotte mit urtümlicher Männlichkeit verband.

Er sprach so gut Englisch … Touristen! Sie verwünschte ihre Begriffsstutzigkeit. Natürlich sprach er fließend Englisch, was sonst? Etwa Altgriechisch?

Zweifellos würde er die Lacher auf seiner Seite haben, wenn er später in der Taverne von dieser Begegnung berichtete. Wollte sie die Chance nutzen, die sich ihr so unverhofft geboten hatte, musste sie ihren Stolz vergessen. Ihr Aufenthalt auf der Insel neigte sich dem Ende zu, und sie hatte noch einen Artikel zu schreiben sowie ihre Selbstachtung zurückzugewinnen. Sie musste endlich einen Anfang machen.

Nun, da sie wusste, dass er ihre Sprache beherrschte, konnte sie direkter sein. Trotzig hob sie das Kinn und verließ ihr Versteck. „Geben Sie mir sofort den Schlafanzug! Und wagen Sie es ja nicht, mir vorzuwerfen, ich hätte Ihren Fang gefährdet. Ich habe genauso viel Recht, hier zu schwimmen, wie …“ Sie verstummte unvermittelt.

Der Strand war verlassen und der Fischer nirgends zu sehen.

Stirnrunzelnd schaute Charlotte sich um. Der Mann war so spurlos verschwunden, als wäre er ein Produkt ihrer Fantasie. Der einzige Beweis für seine Existenz war die Tatsache, dass der Pyjama nicht mehr im Sand lag, sondern auf einem Felsvorsprung. Sie war zwischen Erleichterung und Enttäuschung hin- und hergerissen, bis ihr einfiel, dass der Kutter noch immer in der Nähe dümpelte. Blitzschnell schnappte sie sich ihre Sachen und lief zurück hinter die Felsen, um sich anzuziehen.

Dank jahrelanger Übung kletterte Iannis lautlos und geschickt hinauf. Oben angelangt, schwang er sich über die Steinkante und erhob sich.

Wer war sie? Von seinem Standpunkt hoch über dem Strand konnte er kaum mehr als den Kopf der jungen Frau erkennen. Er sah, dass sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich.

Widerwillig musste er einräumen, dass sie eine angeborene Anmut besaß, lächelnd erinnerte er sich, wie sie mit stolz erhobenem Kopf hinter ihrer Felsenzuflucht aufgetaucht war. Nicht ganz wie Aphrodite aus den Wellen – dazu war sie zu widerspenstig –, aber genauso schön. Ihr geradezu sträflicher Leichtsinn ärgerte ihn. Was, wenn er sich irgendwo versteckt hätte, um die Situation auszunutzen? Wäre sie dann auch noch so tollkühn gewesen?

Ein Muskel in seiner Wange zuckte, als er sich zum Gehen wandte. Was kümmerte es ihn?

Weil sie ihn nicht nur reizte, sondern zugleich faszinierte. Es war etwas eindeutig Provokatives an einer schönen Frau, die bereit war, ihm die Stirn zu bieten. Ihr Benehmen war eine Herausforderung, die er nicht ignorieren konnte – es drängte ihn, ihre Grenzen auszuloten. Vielleicht hatte sie keine. Vielleicht würde er versuchen, es herauszufinden. Zuvor jedoch musste er erfahren, wer sie war. Irgendjemand würde es ihm sagen. Iskos war eine kleine Insel, und im Herbst kamen nur wenige Touristen her.

Sie lief über den Strand zu dem Pfad, der zur Villa führte, die sie offenbar gemietet hatte. Wenn er blieb, wo er war, würde sie direkt auf ihn zukommen.

Im Gegensatz zu ihrem Auftritt am Strand hatte sie jetzt etwas sonderbar Verletzliches an sich, und Iannis merkte, dass sein Interesse wuchs. Ihr Pyjama war nass und klebte ihr am Körper – war es das?

Er beobachtete sie mit zusammengepressten Lippen. Hatte sie noch nichts von Badeanzügen gehört? Oder war es ihr zu mühsam gewesen, einen anzuziehen? Wie auch immer, es bewies ihre mangelnde Rücksicht auf die Sitten von Iskos, wo eine alleinstehende Frau nicht ohne Begleitung ausging, geschweige denn nackt im Meer badete. Gott sei Dank ging sie ihn nichts an!

Er machte ein paar Schritte und blieb wieder stehen. Theos! Sie besaß die aufreizendste Figur, die er seit Langem gesehen hatte. Solch wohlgeformte Hüften mochten vielleicht nicht dem herrschenden Modeideal entsprechen, aber ihre üppigen Kurven trotzten jedem Trend. Und ihre Brüste … Iannis wandte sich ab und wollte energisch den verführerischen Anblick verdrängen.

Doch es war zu spät. Das Gesicht und die Formen der geheimnisvollen Frau hatten sich ihm bereits unauslöschlich eingeprägt. Sie war eine atemberaubende Verführerin, die sich seiner Sinne bemächtigt und ihn aus dem inneren Gleichgewicht gebracht hatte. Iannis spürte, wie sich sein Verlangen regte. Ich werde sie treffen, beschloss er, während er sich in den Schatten der hohen Pinien zurückzog. Sie war offensichtlich eine Spielerin, und falls sie einen Spielgefährten suchte, konnte er ihr behilflich sein. Allerdings zu einem Zeitpunkt, den er bestimmte und nicht sie.

Sie waren jetzt nur noch wenige Meter voneinander entfernt, aber Iannis nutzte den Schutz der Bäume. Das Warten war ihm zuwider. Wenn ihm eine Frau gefiel, handelte er schnell und in aller Öffentlichkeit. Diese Frau jedoch schien eine unsichtbare Mauer zu umgeben. Vielleicht die Verwundbarkeit, die er vorhin gespürt hatte. Was immer es sein mochte, es hinderte ihn so effektiv wie ein Dutzend Leibwächter daran, sie anzusprechen.

Möglicherweise werde ich auch einfach nur weich, überlegte Iannis selbstironisch.

Marianna, die sich um die von Charlotte gemietete Villa kümmerte, hängte gerade Wäsche auf, als Charlotte zurückkam. Die Hände in die Hüften gestützt, betrachtete sie den jungen englischen Gast. „Warum gehen Sie unbekleidet zum Strand?“, fragte sie vorwurfsvoll.

Charlotte war momentan nur froh, alles heil überstanden zu haben. „Ich werde es nicht wieder tun“, versicherte sie nachdrücklich. Sie hatte ihre Lektion gelernt! „Außerdem bin ich nicht unbekleidet“, fügte sie hinzu. „Ich trage einen Pyjama.“

Marianna rang die Hände. „Und was ist mit den Fischern?“

„Fischern?“ Charlotte heuchelte Unschuld, obwohl ihre Wangen sich verräterisch röteten. „Sie wissen von ihnen?“

„Und Sie haben sie gesehen“, erklärte Marianna. „Und was noch wichtiger ist, die Männer haben Sie gesehen. So etwas schickt sich nicht auf Iskos. Das nächste Mal werde ich Sie begleiten.“

Charlotte wusste, dass die Zurechtweisung gut gemeint war, beeilte sich aber trotzdem, das Thema zu wechseln. „Lassen Sie mich Ihnen helfen.“ Sie nahm einen feuchten Kopfkissenbezug aus dem Korb, den Marianna ihr prompt aus den Händen riss.

„Hat einer der Männer mit Ihnen geredet?“ Marianna ließ nicht locker.

„Ja, einer.“

„War er größer als die anderen?“

„Überlebensgroß“, bestätigte Charlotte ironisch. „Wissen Sie, wen ich meine?“

„Haben Sie mit ihm gesprochen?“

Die Miene der Haushälterin alarmierte Charlotte. „Nur kurz. Warum? Kennen Sie ihn?“

Marianna murmelte etwas Unverständliches in ihrer Muttersprache. „Die Fischer haben erst heute Morgen beschlossen herzukommen, sonst hätte ich Sie gewarnt. Das Wetter ist für diese Jahreszeit ungewöhnlich warm und hat die Fischschwärme zu diesem Teil der Insel getrieben.“

„Warum ist es so wichtig, ob ich die Fischer gesehen habe?“

„Die Fischer? Bah!“, rief Marianna. „Den Fischer!“

„Ja?“, drängte Charlotte neugierig.

„Ich muss weitermachen“, verkündete Marianna abweisend. „Ihr Frühstück steht auf der Terrasse.“ Sie wandte Charlotte den Rücken zu und beendete damit die Unterhaltung.

Charlotte blieb nichts anderes übrig, als ihre Niederlage einzugestehen. „Ich werde vor dem Essen duschen“, meinte sie mehr zu sich selbst. Sie wollte das Salz von ihrem Körper waschen und die Erinnerung an den Fischer aus dem Gedächtnis löschen. Danach würde sie sich frische Sachen anziehen und die Kamera mit auf die Terrasse nehmen, für den Fall, dass sie später Fotos zur Illustration ihres Artikels schießen wollte. Auf diese Weise würde sie zumindest hinsichtlich ihrer Arbeit etwas Positives erreichen, denn die Zeit wurde allmählich knapp.

Er war da. Charlotte konnte es kaum fassen. Er stand direkt unter ihr am Strand und flickte mit anderen Männern die Netze, wobei man ihn leicht erkennen konnte, denn er überragte die Gruppe um mindestens einen Kopf.

Gegen ein solches Eindringen in ihre Privatsphäre hatte Charlotte absolut nichts einzuwenden. Sie griff nach der Kamera und stellte das Objektiv scharf. Das köstliche Frühstück, das Marianna hergerichtet hatte, war vergessen, während Charlotte wie besessen fotografierte. Ich muss auch ein paar Aufnahmen von der Landschaft und den anderen Männern machen, ermahnte sie sich. Sie knipste sie schnell herunter und konzentrierte sich dann wieder auf ihr eigentliches Motiv – breite, sonnengebräunte Schultern unter einer ausgeblichenen Weste. Der Stoff schmiegte sich um seinen muskulösen Oberkörper und … Sie fiel vor Schreck fast vom Stuhl, als der Fischer sich zu ihr umdrehte. Er schien sie direkt anzublicken …

Instinktiv bedeckte sie die Linse mit der Hand. Die Sonne hatte sich offenbar im Glas gespiegelt. Mit bebenden Händen öffnete sie die Fototasche und verstaute den Apparat.

Der Mann hatte eindeutig etwas gesehen, das bewies seine Haltung, wie er die Hände in die Hüften stützte und zur Terrasse hinaufschaute. Er war viel zu weit entfernt, sodass sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte, aber das war auch nicht nötig.

„Sie haben ja gar nicht gefrühstückt.“

Charlotte war erleichtert, Mariannas vorwurfsvolle Stimme zu hören. Sie brachte so etwas wie Normalität in eine Situation, die immer unbehaglicher wurde. „Tut mir leid.“ Sie lächelte reumütig. „Warten Sie, ich helfe Ihnen“, erbot sie sich, als Marianna begann, das Geschirr zusammenzuräumen. Sie hatte keine Lust, sich mit dem Fischer anzulegen, und fühlte sich im Haus sicherer.

„Sie werden noch verhungern“, schalt Marianna, als sie die Küche betraten. „Sie müssen essen.“

„Verhungern? Ich?“ Charlotte betrachtete sich kritisch im Spiegel.

Sie hatte nie das Idealgewicht gehabt, aber gesunde Ernährung und viel Bewegung unter griechischer Sonne hatten die überzähligen Pfunde verschwinden lassen. Es überraschte sie, wie fit sie aussah. In England war es ihr selbst mit hartem Training im Fitnessstudio nicht gelungen, eine so straffe Figur zu erzielen.

Ihr Äußeres hatte sich drastisch verändert: Ihr Haar hatte einen rötlich-goldenen Schimmer angenommen und wies sogar ein paar hellere Strähnen auf. Gar nicht so schlecht, fand sie, aber meine Sommersprossen … Frustriert fuhr sie sich mit der Hand über Nase und Wangen.

Marianna riss sie aus ihren Überlegungen. „Essen Sie überhaupt etwas, wenn ich nicht da bin? Ich glaube nicht“, fügte sie hinzu, ohne Charlotte Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben. „Aber heute Abend werden Sie es tun.“

„Werde ich das?“

„Ja“, erklärte Marianna nachdrücklich. „Heute Abend werden Sie mit mir in die Taverne gehen und etwas Ordentliches essen.“

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich …“

„Sie essen nicht? Ja, das weiß ich.“ Die Haushälterin seufzte. „Deshalb habe ich Ihnen ja vorgeschlagen, mich heute in die Taverne zu begleiten. Die Küche dort ist sehr gut. Außerdem gibt es Musik und Tanz.“

Sie hob die Arme über den Kopf, schnippte mit den Fingern und funkelte dabei so mutwillig mit den Augen, dass Charlotte sich lebhaft vorstellen konnte, welch temperamentvolle Frau Marianna vor fünfzig Jahren gewesen sein musste. Es wäre kindisch, die Einladung abzulehnen, dachte sie.

„Sie sind sehr lieb, Marianna. Danke, dass Sie mich gefragt haben. Ich würde gern mitkommen.“

„Ich hole Sie um neun Uhr ab“, versprach die ältere Frau. „Ziehen Sie ein hübsches Kleid zum Feiern an.“

„Ein Kleid zum Feiern?“ Charlotte fielen die hinreißenden Designermodelle in ihrem Koffer ein. „Werden sich denn alle herausputzen?“ Sie wollte keinesfalls einen falschen Eindruck erwecken, indem sie eine dieser Kreationen trug.

„Natürlich. Heute ist ein ganz besonderer Abend, ein panagiria. Es gibt Volksmusik, gutes Essen und Tanz. Alle werden ihre besten Sachen anhaben.“

„Alle …“ Charlotte verstummte verlegen.

Er würde natürlich nicht dort sein. Die Annahme, der starke Mann der Insel könnte ein solches Ereignis mit seiner Anwesenheit beehren, war lächerlich. Er würde sich eher dabei wohlfühlen, bei einem Boxkampf zu wetten oder selbst dabei mitzumachen, in Shorts und mit nacktem Oberkörper … Hastig verdrängte sie die beunruhigende Vision.

Nein, die von Marianna beschriebene Veranstaltung übte wahrscheinlich nicht den geringsten Reiz auf das beeindruckende Individuum aus, das sie am Strand getroffen hatte.

„Ich werde pünktlich um neun fertig sein“, versicherte Charlotte lächelnd und freute sich bereits auf ihren ersten geselligen Abend auf der Insel.

„Da wäre noch etwas“, begann Marianna zögernd. „Es wäre besser, wenn Sie die Kamera zu Hause ließen. Die Männer mögen es nicht.“

„Die Männer mögen es nicht?“, wiederholte Charlotte ratlos.

„Es ist klüger, sich anzupassen.“

„Passen Sie sich denn an?“ Bislang hatte Charlotte eigentlich vermutet, dass eine so starke Persönlichkeit wie Marianna Regeln aufstellte, statt sich ihnen zu beugen.

„Ja“, bestätigte die Griechin ernst. „Weder ich noch sonst wer darf mit jahrhundertealten Traditionen brechen.“

Charlotte wollte natürlich niemanden beleidigen. „Es tut mir leid … Sie haben natürlich recht. Ich werde niemanden fotografieren, ohne zuvor um Erlaubnis zu bitten.“

„Nein. Es ist besser, wenn Sie die Kamera erst gar nicht mitnehmen. Die Leute können …“

„Ja?“, hakte Charlotte dann nach, als die Haushälterin verstummte.

Marianna zuckte die Schultern. „Es ist besser, wenn Sie die Kamera erst gar nicht mitnehmen“, wiederholte sie.

„Keine Sorge, ich lasse sie in der Villa“, versicherte Charlotte. Vielleicht hatte das den Fischer am Strand so empört – er hatte geahnt, dass jemand ihn ablichtete. Mariannas Anspielung auf jahrhundertealte Traditionen legte den Verdacht nahe, dass auf Iskos durch irgendeinen Aberglauben Fotos verboten waren. „Bis heute Abend“, verabschiedete sie sich von Marianna.

Voller Vorfreude dachte sie an den vor ihr liegenden Abend. Sie blickte zur anderen Seite der Bucht hinüber. Die Kunststofftische in der Taverne standen bereit, mit den landestypischen blau-weißen Tüchern gedeckt zu werden.

Vom Fischer und seinem Boot war jedoch keine Spur zu entdecken, und so wandte sie ihre Aufmerksamkeit der Anlegestelle zu, die auf Pfählen ins Meer ragte. Bei Nacht wurde sie von funkelnden Lichtern erhellt und wirkte von oben betrachtet äußerst romantisch. Manchmal drangen auch Musikfetzen zur Villa herauf, wenn der kalamatiana, der traditionelle Tanz Griechenlands, gespielt wurde. Und heute, in nur wenigen Stunden, würde sie dabei sein!

Ohne Partner. Aber sie freute sich auf die Mahlzeit, die Marianna erwähnt hatte. Der bloße Gedanke an frisch gefangenen Fisch und köstliche mezés, die vielfältigen Vorspeisen, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Ich werde den ganzen Tag schreiben, beschloss Charlotte. Und als Belohnung wollte sie die ganze Nacht tanzen …

Nur noch eine halbe Stunde bis zu Mariannas Eintreffen, und Charlotte hatte sich noch immer nicht entschieden, welches Kleid sie anziehen sollte. Das hautenge Rote mit dem gerafften Dekolleté oder das rückenfreie Zartgrüne?

Zumindest von vorn wirkte Letzteres recht respektabel, wenngleich ihre Brüste ziemlich betont wurden und ihr Rücken … Glücklicherweise konnte sie den Kopf nicht weit genug drehen, um einen gründlichen Blick darauf zu erhaschen, und so beschloss sie, das Problem einfach zu ignorieren. Wenigstens ist die Farbe dezent, tröstete sie sich.

Wenn sie sich einen Schal um die Schultern legte, würde sie sittsam bedeckt sein. Als einzige Alternative boten sich Shorts und T-Shirt an, aber Marianna hatte auf festlicher Kleidung bestanden. Ich darf sie nicht enttäuschen, dachte Charlotte und streifte die hochhackigen, mit winzigen Perlen besetzten Sandaletten über. Einfach atemberaubend.

Allmählich begann sie sich wie Aschenputtel zu fühlen. Sie fasste das lange Haar mit einer Schildpattspange am Hinterkopf zusammen und zupfte einige feine Strähnchen heraus. Dann wandte sie sich ihren Sommersprossen zu und trug das Make-up ungewöhnlich kräftig auf. Sie verschwanden, doch unter der dicken Grundierung wirkte ihr Gesicht so maskenhaft, dass sie zusätzlich Rouge auflegen musste.

Die Verwandlung war verblüffend. Nachdem sie sich die Wimpern schwarz getuscht und die Lippen in einem hellen Rotton nachgezogen hatte, erkannte sie sich fast selbst nicht wieder. War dies die „neue“ selbstsichere Charlotte?

Marianna erschien pünktlich auf die Minute. Sie hatte ihren schwarzen Sonntagsstaat gewählt, bestehend aus einem knöchellangen, weiten Rock, bequemen Schuhen und einem alles verhüllenden Oberteil sowie dem obligatorischen Kopftuch, das nur wenige Zentimeter ihres stahlgrauen Mittelscheitels frei ließ.

„Fertig?“ Ihre Meinung über Charlottes Outfit gab sie mit einem leisen Zungenschnalzen wider. „Ist das Ihr einziges Kleid zum Feiern?“

„Jawohl.“ Charlotte hatte keine Lust, sich in eine Diskussion verwickeln zu lassen.

„Gehen wir“, meinte Marianna und zog Charlotte die cremefarbene Stola über den bloßen Rücken.

4. KAPITEL

Marianna wurde in der Taverne wie ein Ehrengast behandelt und sogleich an einen der besten Tische geleitet, der zu Charlottes größter Freude auf der Mole direkt an der Tanzfläche stand.

Marianna stellte ihr den Wirt Mikos vor. Ein Fingerschnippen seinerseits, und schon eilte ein Kellner herbei. Der gut aussehende junge Mann zündete eine Kerze an, brachte einen Korb frisch gebackenes Brot zusammen mit einer Schale Olivenöl zum Eintunken sowie eine große Flasche eisgekühltes Wasser nebst Gläsern.

„Ich lade Sie beide ein, meine Küche zu besuchen und unter den Gerichten auszuwählen.“ Mikos wandte sich an Marianna. „Ich möchte, dass Sie das Allerbeste bekommen, Kiria Lyknos“, beteuerte er ehrerbietig. „Ich habe heute herrlichen Fisch gefangen.“ An Charlotte gerichtet fügte er hinzu: „Mikos Anglias, Teilzeitwirt und hauptberuflich Fischer. Zumindest bin ich in meinem Herzen Fischer. Hier auf Iskos ist Fischfang eine Lebenseinstellung, nicht wahr, Kiria Lyknos?“

„Alle beneiden die Fischer von Iskos“, bestätigte Marianna.

Charlotte mochte den temperamentvollen Tavernenbesitzer auf Anhieb. Er schien das Thema ihres Artikels zu untermauern, demzufolge auf Iskos die Menschen mehr wegen ihrer inneren Werte geschätzt wurden als wegen ihres Reichtums oder ihrer Stellung. Mit klopfendem Herzen dachte sie an den Auslöser für diese Idee. Dabei habe ich mich so sehr bemüht, den Fischer aus meinem Gedächtnis zu verdrängen, schalt sie sich im Stillen. Sie wollte nicht, dass irgendetwas den Abend verdarb.

Die Erinnerung an ihn bewog sie, sich neugierig umzuschauen. Das Restaurant füllte sich rasch, aber er war natürlich nirgends zu entdecken. Sie ärgerte sich über ihre Nervosität, doch ihr Herzschlag wollte sich nicht beruhigen, so als wäre der Fischer ganz in der Nähe. Marianna musste sie zwei Mal auffordern, sie in die Küche zu begleiten.

„Entschuldigung.“ Verlegen stand sie auf. Bevor Charlotte Mikos jedoch folgen konnte, hielt ihre selbst ernannte Anstandsdame sie zurück und arrangierte die Stola so lange, bis Charlottes Schultern bis auf den letzten Zentimeter verhüllt waren.

Kaum hatte diese die Schwingtür passiert und die Küche betreten, glaubte sie sich in einer anderen Welt. Das Zentrum der Taverne war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte: heiß, feucht und voller Lärm. Pfannen schlugen aneinander, und auf den mächtigen Herden brodelte und brutzelte es in den Töpfen, während eine ganze Armee von Leuten umherflitzte.

Charlotte presste sich mit dem Rücken an die Wand, um die Angestellten vorbeizulassen. Auf einmal kehrte Ruhe ein, und der Raum leerte sich. Die beiden Köche rührten jedoch unverdrossen weiter, und Marianna plauderte angeregt mit Mikos.

Der Dampf verschwand, als hätte eine Riesenhand ihn beiseite geschoben, und eine dunkle Ahnung befiel Charlotte. Ihr Blick wurde wie magisch zur gegenüberliegenden Seite der Küche gezogen – und dort stand der Fischer.

Es gab nicht den geringsten Zweifel. Sie hätte ihn überall erkannt, obwohl seine Augen aus der Nähe betrachtet noch außergewöhnlicher waren, als sie nach der kurzen Begegnung am Strand vermutet hatte. Sie hatten die Farbe von dunklen Halbedelsteinen, mit winzigen goldenen Pünktchen. Seine Miene war abweisend, aber interessiert, und das Leuchten seiner Augen ließ sie unwillkürlich erschauern. Sie maßen einander mit Blicken wie Gegner kurz vor dem Kampf.

Nicht eine Sekunde lang hätte Charlotte gedacht, ihren Fischer in der Küche der Taverne zu treffen – und womit, um alles in der Welt, hatte sie sich seine Missbilligung zugezogen? Als er keinerlei Anstalten machte, den Blickkontakt zu beenden, wurde sie ärgerlich, und ihre Wangen röteten sich. Er hatte sie mit Sicherheit nackt am Strand gesehen, was seinen spöttischen Gesichtsausdruck erklärte. Sie erwiderte seinen Blick und bemühte sich, die Tatsache zu ignorieren, dass er jetzt statt Arbeitskleidung eine enge schwarze Hose mit einem schmalen Ledergürtel trug. Dazu hatte er ein blütenweißes Hemd angezogen, bei dem gerade genug Knöpfe geöffnet waren, um Charlotte von einer muskulösen, sonnengebräunten Brust mit dunklem Haarflaum träumen zu lassen.

„Iannis!“

Beim Klang von Mariannas Stimme zuckte Charlotte nun schuldbewusst zusammen.

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dich heute Abend hier zu sehen.“ Charlotte zuliebe sprach die Griechin Englisch.

Iannis lächelte Marianna an, und Charlotte wunderte sich über die Herzlichkeit, mit der die Frau ihn begrüßte. Er antwortete etwas auf Griechisch – vermutlich etwas Anzügliches, denn Marianna schlug ihn spielerisch auf den Arm und wurde mit einer liebevollen Umarmung sowie Küssen auf beide Wangen belohnt.

„Kommen Sie“, sagte sie zu Charlotte. „Dies ist Iannis Kiriakos.“

Charlotte fügte sich ins Unvermeidliche. Sein Name gefiel ihr. Kiriakos war auf der Insel ziemlich verbreitet, und sein Vorname war in ganz Griechenland beliebt. Sie hätte sich keinen besseren Namen für ihren Artikel ausdenken können, trotzdem würde sie ihn verschweigen müssen – oder Iannis um Erlaubnis bitten, seinen Namen erwähnen zu dürfen.

Er bleibt besser anonym, entschied sie, als er ihr die Hand schüttelte.

„Wir haben uns bereits am Strand getroffen“, erinnerte er sie vielsagend, so als wollte er ihr die Demütigung ins Gedächtnis rufen, ohne Marianna zu alarmieren.

Ein heißer Schauer durchrann Charlotte. Sie fühlte sich eindeutig im Nachteil, weil er wahrscheinlich jeden Zentimeter von ihr kannte.

Sein Händedruck war fest und selbstsicher, seine Finger waren warm, stark und erstaunlich glatt. Insgeheim verglich sie ihn mit einer kraftvollen Maschine im Leerlauf. Sie konnte sich nicht einmal annähernd ausmalen, welche Konsequenzen es haben würde, diese Energien zu entfesseln. Er braucht mindestens zehn Frauen, um ihn zu befriedigen, dachte sie und wich instinktiv zurück, als er ihre Hand freigab – was enttäuschend schnell geschah.

Iannis Kiriakos hatte etwas an sich, das in Charlotte den unsinnigen Wunsch auslöste, sich an ihn zu schmiegen. Er vermittelte ihr das Gefühl, klein und schutzlos zu sein, in seiner Gegenwart schien die Luft vor Spannung zu knistern. Sosehr sie sich auch bemühte, nicht auf ihn zu achten, eine verräterische Hitze durchflutete ihren Körper und weckte ihren Appetit. Und zwar nicht auf Nahrung.

Unter all den Küchendünsten machte sie eine schwache würzige Note aus. Sandelholz, einer ihrer Lieblingsdüfte und eine ausgefallene Wahl für einen Fischer. Sie warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu. Ein leichter Bartschatten lag auf seinem Kinn und verlieh ihm zusammen mit dem etwas zu langen Haar das Aussehen eines Piraten.

Charlotte träumte davon, mit den Fingern durch sein dichtes, glänzendes Haar zu fahren, wenn … wenn sie nur herangekommen wäre. Als er sich umdrehte, um einem der Köche zu antworten, kam er ihr so nahe, dass sie meinte, ein elektrischer Schlag habe sie getroffen.

Nun war ihr die Sicht von seinen breiten Schultern versperrt, und die Lässigkeit seiner Bewegungen verriet, dass er wesentlich entspannter auf die unmittelbare Nähe zu ihr reagierte, als sie es je könnte.

Konzentrier dich darauf, Fakten für den Artikel zu sammeln, befahl sie sich. Aber ihre Gedanken kreisten unablässig um die Episode am Strand und die tiefe, spöttische Stimme, die ihr vorschlug, sie möge nackt aus ihrem Versteck kommen und sich ihre Sachen holen.

Charlotte atmete tief durch und rekapitulierte, was sie bislang herausgefunden hatte. Iannis Kiriakos ist mit sich und der Welt völlig im Reinen. Verglichen mit anderen Männern mag er vielleicht wenig besitzen, aber dennoch ist er selbstsicherer als die meisten. Er knüpft schnell Kontakte, und alle scheinen sich in seiner Gesellschaft wohl zu fühlen. Nur ich nicht. Sie schluckte trocken, als er sich zu ihr umwandte.

„Wir waren lange genug in der Küche.“ Marianna nahm Charlotte beim Arm und schob sich zwischen sie und Iannis. „Ich habe unser Menü zusammengestellt, und jetzt gehen wir zurück zu unserem Tisch.“ Sie dirigierte Charlotte zur Tür.

Erleichtert folgte Charlotte dem Befehl. Auf dem Weg zu ihren Plätzen bedachte Marianna jeden Mann mit finsteren Blicken, der es wagte, auch nur das geringste Interesse an ihrem Schützling zu zeigen. Gerade so, als wäre ich bereits jemandem versprochen, überlegte Charlotte amüsiert. Nun, ihr sollte es recht sein – solange Mariannas Pläne für sie nichts mit Iannis Kiriakos zu tun hatten.

„Wer ist Iannis, Marianna?“, fragte Charlotte, als sie sich wieder setzten.

Genau in diesem Moment beanspruchten ein paar Bekannte am Nachbartisch Mariannas Aufmerksamkeit.

Charlotte fühlte sich allmählich von dem geheimnisvollen Fischer verfolgt, und ihr mangelndes Wissen über ihn trug nicht dazu bei, sie zu beruhigen. Noch nie war sie einer so geballten Ladung Testosteron begegnet, vermutlich war sie deshalb so besorgt. Nachdem sie sich ein wenig gefangen hatte, beugte sie sich vor, um Marianna die Frage erneut zu stellen. Bevor diesmal die Griechin jedoch antworten konnte, begannen alle zu applaudieren. Das Unterhaltungsprogramm hatte angefangen.

„Ah, die Musiker.“ Marianna klatschte erfreut in die Hände und deutete auf die Busukispieler, die sich auf einer kleinen Bühne am Ende der Mole niedergelassen hatten. „Ich hoffe sehr, Sie genießen den Abend.“ Sie tätschelte Charlottes Hand.

„O ja, das werde ich.“ Ihr Lächeln verschwand allerdings, als Iannis Kiriakos die Tanzfläche überquerte und sich an einen Tisch ihnen direkt gegenüber setzte.

Während er Platz nahm, grüßten ihn die anderen Gäste und hoben ihre Gläser, um ihm zuzutrinken. In der Taverne herrschte plötzlich eine völlig andere Stimmung. Als hätte das Orchester nur auf sein Erscheinen gewartet, setzte nun die Musik ein.

Vielleicht ist er eine Weile nicht auf der Insel gewesen, überlegte Charlotte. Die Zurufe deuteten auf etwas Derartiges hin. Aber wohin würde ein Mann wie Iannis gehen? Auf eine Nachbarinsel womöglich?

Sie merkte, dass Marianna sie neugierig beobachtete, und wollte sie gerade mit Fragen bestürmen, als der Geräuschpegel anschwoll und jegliche Unterhaltung unmöglich machte. Marianna war bald in ein lebhaftes Wettschreien mit ihren Freunden verwickelt. Weitaus mehr Unbehagen bereitete Charlotte jedoch Iannis Kiriakos. Er hatte nur eine Person im Auge.

Sie senkte die Lider, aber nicht schnell genug. Ihre Blicke waren sich nur flüchtig begegnet, doch es hatte genügt, um sie erröten zu lassen, als sie die Frage in den Augen ihres Fischers las: Verfügbar oder nicht? Sein überhebliches Lächeln verriet, dass er die Antwort bereits kannte.

Bevor sie entscheiden konnte, wie sie reagieren sollte, wurde das Essen hereingebracht. Eine fröhliche Schar von Kellnern, angeführt von einem strahlenden Mikos, präsentierte riesige Platten, auf denen sich die Speisen türmten. Erleichtert über die Ablenkung, fiel Charlotte in das rhythmische Klatschen ein, das die Parade begleitete.

„Es ist herrlich“, rief sie Marianna zu.

„Ich wusste, dass es Ihnen gefallen würde“, erwiderte die Griechin würdevoll.

Das Funkeln in ihren Augen machte Charlotte misstrauisch. Hatte Marianna etwa die Begegnung mit Iannis arrangiert? Nein, dazu war sie viel zu konservativ erzogen. Sie würde niemals einem zügellosen Junggesellen eine unverheiratete Frau vorstellen, wenn diese die Insel schon in wenigen Tagen wieder verlassen musste. Charlotte wurde bewusst, dass sie der älteren Frau vertraute.

Bereits wenige Minuten nach ihrer Ankunft hatte sie sich der Haushälterin in einer Weise geöffnet, wie sie es bei einer Fremden nie für möglich gehalten hätte. Aber Marianna besaß die Gabe, Menschen durch bloßes Zuhören zu helfen. Sie hatte Charlottes Schmerz über die gescheiterte Ehe gelindert, und als die Griechin am ersten Abend gegangen war, hatte Charlotte gespürt, dass der Heilungsprozess begonnen hatte.

Auf Charlottes bekümmerte Äußerung, sie habe als Aushängeschild ihres Mannes kläglich versagt, hatte sie unverblümt geantwortet: „Sie brauchen jemanden, der sich seines eigenen Wertes bewusst ist – einen Mann, der keine Besitztümer benötigt, um seine Stellung im Leben zu festigen.“

Nein, dachte Charlotte, nicht in einer Million Jahre würde Marianna mich mit diesem unbeugsamen Individuum verkuppeln wollen, der mich anschaut, als wäre ich die nächste Leckerei auf der Karte.

Bald schon war ihr Teller mit Köstlichkeiten gefüllt. Der frische Fisch zerging förmlich auf der Zunge, und die Schalen mit Salaten und Dips wirkten so verlockend, dass sie gar nicht wusste, womit sie beginnen sollte.

„Nehmen Sie die Finger“, riet Marianna ihr und machte es ihr vor.

Charlotte brach ein Stück Brot ab und folgte ihrem Beispiel, indem sie es tief in die würzige Sauce tauchte und die herunterrinnenden Tropfen von den Fingern leckte. Da die Flüssigkeit kaum aufzuhalten war, blieb ihr nichts anderes übrig, als alle Finger nacheinander mit der Zunge zu säubern. Als sie nach einer Weile den Kopf hob, sah sie, dass Iannis Kiriakos sie amüsiert beobachtete.

Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, war es ihr nicht möglich, den Blick von ihm zu wenden, bis Marianna ihre Aufmerksamkeit beanspruchte, indem sie ihr eine weitere Schüssel zuschob. Aber selbst danach war Charlotte außer Stande, sich aufs Essen zu konzentrieren. Immer wieder schweifte ihr Blick zu ihm hinüber. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, aber sein Blick blieb kalt und prüfend.

Sie rückte instinktiv näher an Marianna. Trotzdem erhaschte sie immer wieder einen Blick auf Iannis – auf seine langen, schmalen Finger, mit denen er aß, oder auf seine ebenmäßigen weißen Zähne, wenn er mit dem Kellner sprach. Sobald er sich jemand anderes als Charlotte zuwandte, wurden seine Züge weicher, und seine Augen funkelten vor Heiterkeit. Schaute er allerdings in ihre Richtung, erschien ein Ausdruck in seinen Augen, den sie nicht zu deuten vermochte.

Nach und nach wurden die Teller beiseite geschoben und die Gläser nachgefüllt. Der Geräuschpegel war gestiegen und nahm nur wenig ab, als die Lichterketten bis auf eine einzige Girlande gelöscht wurden. Zeit zum Tanzen, vermutete Charlotte, als ein erwartungsvolles Raunen durch die Reihen ging. Die Musiker hatten ihre Pause beendet und stimmten ihre Instrumente. Mondschein fiel auf die Tanzfläche und tauchte sie in einen romantischen Schimmer. Ich könnte mich blendend amüsieren, wäre da nicht dieser Mann!

Trotz ihres Unbehagens konnte sie sich der Faszination nicht entziehen, die die ersten Akkorde auf sie ausübten. Männer erhoben sich von den Tischen, stellten sich am Rand der Tanzfläche in einer Reihe auf und legten einander die Arme auf die Schultern. Es war die typische Formation für den kalamatiana.

Und dann setzte der unverwechselbare Rhythmus ein, machte die gestählten Muskeln der Männer geschmeidig und zauberte einen Ausdruck äußersten Stolzes auf ihre Mienen. Charlotte fand diesen Anblick unwiderstehlich.

Anfangs war das Tempo langsam und gleichmäßig, verhieß jedoch mehr, wie ein Rennpferd, das mühsam im Zaum gehalten wurde. Das gelegentliche Anschwellen der Melodie steigerte die Spannung ebenso wie die Begeisterung des Publikums, und es dauerte nicht lange, bis alle in die Hände klatschten und mit den Füßen stampften, um das Tempo voranzutreiben. Der Rhythmus wurde alle paar Takte drängender, bis jeder Nerv in Charlottes Körper zu vibrieren schien.

Sie war inzwischen aufgesprungen, wiegte sich wie die anderen Gäste hin und her und stieß mit ihnen leise Schreie aus, um das Lied zu seinem unausweichlichen Höhepunkt zu treiben. Plötzlich scherte einer der älteren Männer aus der Reihe der Tanzenden aus und umwanderte die Tische mit ausgestreckten Armen, als wollte er die Leute auffordern, sich zu ihnen zu gesellen. Als sein Blick auf Charlotte fiel, winkte er ihr zu.

Worauf wartete sie noch? Sie streifte die Schuhe ab und eilte auf die Tanzfläche. Charlotte war für alles andere blind und taub, außer dem wilden, mitreißenden Takt. Kaum hatte sie ihren Platz am Ende der Reihe eingenommen, warf sie das Haar zurück und lächelte den Mann neben ihr strahlend an. Auch wenn sie eine Fremde auf der Insel war, sie hatte nicht die Absicht, eine solche Gelegenheit zu versäumen.

In der Aufregung entging ihr das Tuscheln der Anwesenden. Sie war viel zu beschäftigt damit, die Bewegungen zu studieren und ihre Schritte denen der Männer anzupassen. Auf einmal spürte sie einen warmen, muskulösen Arm unter ihrer Hand. Der Mann, der sie an sich zog, war sichtlich entzückt, sie als Partnerin zu haben. Leider roch sein Atem unerträglich nach Knoblauch, und Charlotte wandte den Kopf ab. Er schien sie fester als unbedingt nötig an sich zu pressen, und als das Tempo schneller wurde, tauchte ein weiterer Mann an ihrer freien Seite auf. Jetzt war sie zwischen den beiden gefangen – und vor den Blicken der übrigen Gäste verborgen. Und prompt machte Knoblauchatems Hand sich daran, sie näher zu erkunden …

Iannis sprang auf. Es war schlimm genug, dass diese Frau nackt am Strand von Iskos herumlief, aber das hier war durch nichts zu rechtfertigen!

Charlotte war inzwischen der Panik nahe, als ihre beiden Partner sie so unvermittelt freigaben, dass sie sekundenlang allein mitten auf der Tanzfläche stand und sich ziemlich dumm vorkam.

„Was, zum Teufel, tun Sie hier?“

Sie wirbelte herum. Die wütenden Worte hatten sie überrascht, aber noch verblüffender war der Anblick eines zornigen Iannis Kiriakos. Es war ihm offenbar völlig gleichgültig, dass er noch mehr Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Charlotte wurde vor Verlegenheit und Empörung feuerrot. Was glaubte er wohl, was sie hier machte? Sie tanzte wie alle anderen auch.

„Müssen Sie denn ohne Rücksicht auf die Empfindungen anderer Menschen sämtliche Anstandsregeln brechen?“, fragte er kalt, bevor sie sich wieder gefangen hatte. Ein kurzes Fingerschnippen in Richtung Orchester, und schon wurde die Musik langsamer.

Charlotte war froh über die schwache Beleuchtung. Wenn Iannis Kiriakos tatsächlich vor allen Leuten Streit wollte, sollte er ihn haben.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, nahm er ihren Arm und führte sie zurück in die Reihe der Tanzenden. „Sie wollen tanzen? Dann tanzen wir.“

Mittlerweile starrten alle sie an. Der Lärm und das Gelächter ringsum war ungläubigem Schweigen gewichen. Ihr überheblicher Fischer konnte durch seine bloße Anwesenheit jeden in seinen Bann schlagen, aber in dieser Verfassung war er absolut sehenswert. Die neugierigen Mienen der Einheimischen verrieten, dass sie gespannt darauf warteten, was er mit ihr machen würde.

„Gefällt es Ihnen, die einzige Frau in einem Männertanz zu sein?“, erkundigte er sich kalt, während er sich mit ihr ans Ende der Reihe stellte.

„Männertanz?“ Charlotte überspielte ihr Entsetzen mit Spott. „Mich wundert bloß, dass Ihr Stolz es Ihnen erlaubt, so frivolen Vergnügungen wie Tanzen zu frönen.“

Gleich darauf setzte die Musik wieder ein und kehrte zum ursprünglichen Tempo und Geräuschpegel zurück. Sie rang um Atem, als Iannis sie packte und sich mit ihr im Takt bewegte. Der Unterschied zwischen ihren Tanzpartnern hätte nicht größer sein können. Im Gegensatz zu Knoblauchatem hatte Iannis kein Interesse, sie zu betasten, und konzentrierte sich stattdessen ganz auf die komplizierten Schritte. Sein Zorn hatte sich in Ausdruckskraft verwandelt, die es ihm erlaubte, der Melodie elegant und kraftvoll zugleich zu folgen. Er hielt Charlotte so fest, dass sie sich keine Gedanken um ihre eigenen Füße zu machen brauchte.

Und als sie glaubte, das Stück habe seinen Höhepunkt erreicht, gab er dem Chef der Gruppe ein Zeichen, und das Lied wurde langsamer, inniger.

Iannis löste sich von ihr und ließ Charlotte verwirrt stehen. Sekunden später war Marianna bei ihr und nahm ihren Arm.

„Was habe ich jetzt schon wieder falsch gemacht?“ Charlotte versuchte, nicht darauf zu achten, dass Iannis durch den Raum wanderte und alle Frauen zum Tanz holte. Keine konnte ihm widerstehen, insbesondere nicht die Älteren, denen er galant auf die Füße half und die Stühle zurechtrückte. „Können Sie mir sagen, was ich verbrochen habe?“

„Iannis erspart Ihnen eine Blamage“, erklärte Marianna.

„Eine Blamage?“, wiederholte Charlotte ratlos, während die jungen Mädchen sehnsüchtig darauf warteten, von Iannis aufgefordert zu werden. „Jemand sollte ihm einen Dämpfer verpassen.“

„Sind Sie die richtige Frau dafür?“

„Marianna!“, rief sie empört. „Natürlich nicht. Ich bin nicht einmal daran interessiert …“

„Ach wirklich?“, meinte die Griechin ironisch. „Alle Frauen sind an Iannis Kiriakos interessiert. Warum sollten Sie eine Ausnahme sein?“

Um keinen Streit zu provozieren, rang Charlotte sich ein schwaches Lächeln ab. In ihrem Innern tobten jedoch die Emotionen – Emotionen, die sie gern an Iannis Kiriakos abreagiert hätte und nicht an der netten Marianna, die ihn aus unerfindlichen Gründen offenbar beschützen wollte.

„Auf Iskos ist der kalamatiana reine Männersache.“

„Das weiß ich jetzt auch.“ Charlotte seufzte.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals eine Frau – zumal eine junge, ledige Frau ohne Begleitung – sich daran beteiligt hätte“, fuhr Marianna kopfschüttelnd fort.

„Vielleicht war es Zeit dazu. Außerdem bin ich nicht ohne Begleitung“, fügte sie versöhnlich hinzu. „Sie sind ja bei mir.“

Marianna schmunzelte. „Jetzt schon.“

Charlotte beobachtete, wie Iannis immer mehr Frauen auf die Tanzfläche holte. Er streift umher wie ein Tiger auf der Jagd. Würde er zu ihr zurückkommen?

Er kam und sagte nur ein einziges Wort. „Fertig?“ Mit einem knappen Nicken bedeutete er ihr, die Hand auf seinen Arm zu legen.

Arrogantes Scheusal, dachte sie wütend, während sie sich gleichzeitig am liebsten an ihn geschmiegt hätte. Zwischen Marianna und Iannis gefangen, hatte sie Sicherheit auf der einen Seite und Gefahr auf der anderen. Diese Erkenntnis machte sie leichtsinnig. Als der Tanz begann, befanden sich ihre Sinne in hellem Aufruhr. Sie war außerstande, kühl zu bleiben, solange Iannis ihr so nahe war. So viel Männlichkeit gehört eingesperrt, dachte Charlotte und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Leider sandte ihr Körper ganz andere Signale aus.