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Rana Wenzel

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Beschreibung

Als eine Unternehmergattin gewaltsam ums Leben kommt, soll ausgerechnet Rechtsanwältin Victoria Stein, die dem Strafrecht schon vor Jahren den Rücken kehrte, den tatverdächtigen Ehemann verteidigen. Für Staatsanwalt Tom Hertzmeier scheint die Schuldfrage bereits geklärt zu sein. Victoria muss auf eigene Faust ermitteln, um ihren Mandanten vor der drohenden Verurteilung zu bewahren. Doch was sie mit Hilfe des Privatdetektivs Jarne de Zand entdeckt, lässt die Zweifel an der Unschuld des Unternehmers wachsen. Dann wird Victoria selbst zum Ziel eines Angriffs und plötzlich erscheint vieles in einem anderen Licht ... »Juniregen« ist der erste Band der Krimireihe um die Rechtsanwältin Victoria Stein

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Ähnliche


 

 

 

 

 

 

 

 

Juniregen

Ein Victoria Stein Krimi

 

Rana Wenzel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Über die Autorin

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Nachwort und Danksagung

Für Victoria geht es gefährlich weiter …

Impressum

 

Über das Buch

Als eine Unternehmergattin gewaltsam ums Leben kommt, soll ausgerechnet Rechtsanwältin Victoria Stein, die dem Strafrecht schon vor Jahren den Rücken kehrte, den tatverdächtigen Ehemann verteidigen.Für Staatsanwalt Tom Hertzmeier scheint die Schuldfrage bereits geklärt zu sein. Victoria muss auf eigene Faust ermitteln, um ihren Mandanten vor der drohenden Verurteilung zu bewahren.Doch was sie mithilfe des Privatdetektivs Jarne de Zand entdeckt, lässt die Zweifel an der Unschuld des Unternehmers wachsen. Dann wird Victoria selbst zum Ziel eines Angriffs und plötzlich erscheint vieles in einem anderen Licht ...

 

»Juniregen« ist der erste Band der Krimireihe um die Rechtsanwältin Victoria Stein.

 

 

Über die Autorin

 

Rana Wenzel kam 1971 als Kind des Ruhrgebiets zur Welt. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften sowie einem kurzen, berufsbedingten Abstecher nach Spanien zog es sie wieder in die Heimat zurück, wo sie heute mit ihrem Ehemann an der Grenze zum Sauerland lebt.

Prolog

 

Nichts an diesem Montagmorgen erschien ihr ungewöhnlich, als sie über die lange Auffahrt auf das Herrenhaus der Mocks zuging. Das Grau des wolkenverhangenen Himmels erdrückte das Gebäude und den gepflegten Garten, dennoch gab es keinen Hinweis auf den bevorstehenden Schrecken.

Zögernd setzte sie einen Fuß auf die Freitreppe. Die Hausherrin sah es nicht gern, wenn eine Angestellte die Vordertüre benutzte. Der Kiesweg zum Nebeneingang war allerdings nach den Regenfällen der vergangenen Tage ohne Gummistiefel unpassierbar.

Den Kopf tief zwischen den Schultern betrat sie das Haus durch die große Eingangstür, gewappnet für den Tadel, den sie zu erwarten hatte. Doch der blieb aus. Niemand rügte sie, niemand eilte herbei, um ihr Anweisungen zu geben.

Sie lauschte in die unvermutete Stille. Durch die geöffneten Schiebetüren sah sie Saskia Mock seltsam reglos in einem der Sessel im Salon sitzen.

Der rote Fleck auf der hübschen Bluse ihrer Arbeitgeberin bohrte sich in die Augen der Haushälterin. Sie ahnte bereits, was er bedeutete, noch bevor ein prüfender Blick Gewissheit brachte.

Ihr Schreckensschrei hallte laut durch die großen Räume. Erst nach mehreren tiefen Atemzügen war sie in der Lage, den Notruf zu wählen, um die Ermordung ihrer Chefin zu melden.

Kapitel 1

 

Es herrschte diese Stimmung, die nur ein Montagmorgen hervorrufen kann – eine Komposition in Moll aus Nieselregen, Müdigkeit und schlechter Laune. Victoria starrte stirnrunzelnd auf die Tasse in ihren Händen. Normalerweise war Kaffee ihr Lebenselixier, heute fühlte es sich jedoch nicht so an, als ob er sie nachhaltig aufwecken könnte. Solche Tage waren keine Tage zum Wachwerden. Auch der Morgen hatte bereits vor dem Grau kapituliert, er gab sich keine Mühe, noch hell zu werden. Seit Wochen wartete ganz Deutschland auf die Vorboten des Frühsommers, aber eine Kette von Tiefdruckgebieten stellte die Geduld auf eine harte Probe und stimmte die Menschen auf Herbstdepression ein. Dabei zeigte der Kalender Anfang Juni.

Lustlos wanderten Victorias Augen den Aktenstapel hinunter, der an der Seite ihres Schreibtischs emporwuchs. Ein angehefteter Zettel mahnte sie mit dem Wort ›Frist‹ in neongelben Lettern, sich an die Unterhaltsangelegenheit zu setzen, die unter dem blauen Aktendeckel auf Bearbeitung wartete.

Sie hatte diese unliebsame Akte bis heute weitgehend ignoriert. Die Aussicht auf viel Schreiberei, die finanziell wenig einbrachte, bremste ihren Arbeitseifer. Einmal hatte sie sich den Stundenlohn in einer solchen Angelegenheit ausgerechnet. Nachdem der errechnete Betrag weit unterhalb des Mindestlohns lag, beging sie diesen motivationsraubenden Fehler nie wieder.

So hatte sie sich das nicht vorgestellt, als sie damals mit neunhundert Kommilitonen den Hörsaal für Erstsemester der rechtswissenschaftlichen Fakultät betrat. Werte wie Streben nach Gerechtigkeit hatten sie zu Beginn ihrer juristischen Karriere zu dieser Studienwahl bewogen. »Das Robin-Hood-Prinzip« nannte es ihre beste Freundin Josephine spöttisch. Idealismus entpuppte sich später im Berufsalltag als Luxus. Wer wirtschaftlich überleben wollte, durfte nicht wählerisch bei der Annahme neuer Mandate sein. Irgendwann hatte sie akzeptiert, dass der Beruf des Anwalts nichts mit dem verklärten Bild des Kämpfers für das Recht gemein hatte. Sie würde nicht mit dem säbelgleich gezückten Gesetzbuch in der Hand in die Schlacht vor die höchsten Gerichte ziehen, sondern überprüfte stattdessen endlose Zahlenkolonnen auf unterhaltsrechtliche Relevanz. Berufsmonotonie statt hehrer Ziele. Mit einem tiefen Seufzen nahm sie die Akte vom Stapel und schlug sie auf.

 

Victoria hatte sich gerade in die Unterlagen vertieft, als das Telefon sie aus der Konzentration riss. Ein interner Ruf. Gespräche wurden an einem Montagmorgen selten zu ihr durchgestellt. Das Sekretariat wusste, wann es besser war, sie von Mandanten fernzuhalten – und von Mitarbeitern und Kollegen, denn zu Beginn der Arbeitswoche war Victoria in aller Regel vor der dritten Tasse Kaffee ungenießbar. Stirnrunzelnd hob sie den Hörer von der Station.

Svenja, die Auszubildende, ratterte ohne hörbares Satzzeichen ihr Anliegen herunter – als ob die Störung dadurch geringer würde. Kurz musste Victoria schmunzeln, wurde aber sofort ernst, als sie hörte, wer darauf bestand, mit ihr zu reden. Sie hatte die Frau vor einiger Zeit in einer Scheidungsangelegenheit vertreten und obschon alles gut gelaufen war, hatte sie Beatrice Mock als anstrengende Mandantin in Erinnerung.

Sie einfach abzuwimmeln, erschien Victoria deshalb durchaus verlockend. Andererseits hatte der letzte Kontoauszug eine beängstigend kleine Summe ausgewiesen und die finanziellen Sorgen würden voraussichtlich in den kommenden Wochen tiefe Falten in Victorias Stirn graben, sofern sie nicht einen lukrativen Fall auftrieb. Und Beatrice Mock hatte nicht nur Geld, sondern darüber hinaus ihre Kostennoten stets pünktlich beglichen. Widerwillig drückte Victoria die Taste, um das externe Gespräch zu übernehmen.

Ein Entschluss, den Victoria augenblicklich bereute, als Beatrice Mock sie nach einer kurzen Begrüßung mit einem Wortschwall überfiel, der Victorias ohnehin schwache Bereitschaft zu diesem Telefonat ansatzlos ertränkte. Aufgeregte Satzfetzen strömten auf sie ein und Victoria hatte Mühe, aus dieser ungeordneten Flut brauchbare Informationen herauszufiltern. Irgendetwas war mit Beatrices Bruder Benedikt und dessen Frau geschehen. Dann begriff sie plötzlich, um was es ging und ihr Puls jagte in die Höhe. Als Worte wie Strafverteidigung und Untersuchungshaft fielen, war Victoria auch an diesem verregneten Montag schlagartig hellwach.

 

Eine halbe Stunde später befanden sich Victoria und ihr Anwaltskollege Marcus Froh auf dem Weg zu Beatrice Mock. Diese hatte zwar nicht ausdrücklich nach dem Strafverteidiger der Kanzlei gefragt, aber Victoria, die schon ewig keine Ermittlungsakte mehr in der Hand gehalten hatte, fand es beruhigender, ihren Sozius kurzerhand als Verstärkung mitzunehmen.

»Beatrice Mock war mal deine Mandantin?«, fragte Marcus sie, während sie sich durch den Stadtverkehr schlängelten. »Kennst du die Familie näher?«

Victoria schüttelte den Kopf. »Nein, nur Beatrice durch ihre Scheidung. Keine Ahnung, wie sie damals auf mich kam. Dass sie eine dieser Mocks war, habe ich erst im Laufe des Verfahrens mitbekommen. Sie hat nach der Scheidung ihren Mädchennamen wieder angenommen. Über die Familie weiß ich nur, was jeder weiß. Erfolgreiches Bauunternehmen, überregional bekannt und übertrieben großes Firmenlogo. Weißt du mehr?«

Marcus schmunzelte über ihre Zusammenfassung. »Ein bisschen«, antwortete er dann. »Benedikt Mocks Großvater hat den Familienbetrieb gegründet und zusammen mit seinem Sohn – dem Vater von Beatrice und Benedikt – zu dem gemacht, was er heute ist. Ich habe gehört, der Großvater sei trotzdem ein bodenständiger Typ geblieben. Er hat seine Wurzeln nicht vergessen und zahlreiche soziale Projekte unterstützt. Bei seinem Sohn lagen die Dinge schon anders. Der Vater von Beatrice und Benedikt hatte den Ruf eines rücksichtslosen Geschäftsmannes, dessen karitatives Wirken nicht dem Andenken seiner Herkunft entsprang, sondern seinem Interesse daran, möglichst häufig in diversen Zeitungen zu erscheinen. Meistens händeschüttelnd mit einem weiteren Mitglied der Lokalprominenz. Wenn ich dem Klatsch einiger Anwaltsstammtische Glauben schenke, ist sein Sohn vom selben Schlag.«

»Klingt ja ausgesprochen nett. Hören wir uns trotzdem an, was Beatrice Mock von uns möchte?«

»Aber sicher doch«, lachte Marcus. »Du weißt doch, dass Sympathie in unserem Job keine Rolle spielen darf.«

 

Beatrice Mock erwartete sie schon an der Haustür. Sie war eine zierliche Blondine, die wie immer teuer gekleidet war. Die dunkelblaue Hose saß perfekt, die schlichte cremefarbene Bluse, sowie eine Perlenkette mit dazu passenden Ohrsteckern vervollständigten das Gesamtbild unaufdringlicher Eleganz. Allerdings wirkte sie heute deutlich älter als die Mitte dreißig, die sie tatsächlich war. Tiefe, schlecht überschminkte Augenringe und ein harter Zug um den Mund verliehen ihr eine herrische Ausstrahlung, die eher an ein alterndes Familienoberhaupt denken ließ, als an eine Frau in den besten Jahren.

Beatrice Mock führte die Besucher in ein Zimmer, dessen Dimension die Bezeichnung Salon verdiente. Der Raum war jedoch mit viel zu klobigem Mobiliar vollgestellt, um mit Vornehmheit zu beeindrucken.

»Erinnert mich an die Wohnzimmer der Generation meiner Großeltern. Eiche rustikal Klötze zwischen zu enge Wände gepfercht«, raunte Victoria ihrem Kollegen zu, während ihre Gastgeberin die Terrassentüren im rückwärtigen Bereich schloss.

»Ich schätze, die Möbel hier sind einige Preisklassen höher anzusiedeln«, flüsterte Marcus zurück. »Schöner werden sie dadurch aber nicht.« Beide grinsten sich an.

Marcus und Victoria nahmen auf einem monströsen Sofa Platz, dessen vermutlich beachtlicher Kaufpreis in keiner Weise Einfluss auf seine Bequemlichkeit genommen hatte. Unbehaglich rutschte Victoria auf dem Sitzmöbel herum, während Marcus unmittelbar auf den Anlass des Besuchs zu sprechen kam. Victoria ahnte, wie dringend ihr Kollege diesen Raum wieder verlassen wollte, in dessen Ausstattung er sicherlich einen persönlichen Angriff auf sein ästhetisches Empfinden sah.

Ihre Gastgeberin war inzwischen gefasster als noch bei ihrem Anruf, trotzdem konnte sie nicht viel zu den Geschehnissen sagen. »Ich weiß nur, dass meine Schwägerin tot aufgefunden wurde«, sagte sie mit einer Stimme, die jeden Moment wegzubrechen drohte. Sie holte zitterig Luft und stieß sie gepresst wieder aus, bevor sie weiterreden konnte. »Mein Bruder Benedikt ist daraufhin am Flughafen aufgegriffen und verhaftet worden. Als nächste Angehörige wurde ich von der Polizei informiert und habe mich dann sofort bei Ihnen gemeldet.«

Victoria war wie elektrisiert. Sobald der Begriff Mord in einer Schlagzeile auftauchte, versprach das Publicity. Und die Verteidigung brachte Geld. Beatrice Mock blickte auf Marcus. »Es ist sehr freundlich, dass Sie Ihre Kollegin begleitet haben. Dennoch gehe ich davon aus, eine Person wird als Rechtsbeistand reichen. Ich würde gerne Frau Stein damit beauftragen. Sie hat damals die Arbeit als Scheidungsanwältin durchaus zufriedenstellend erledigt.«

›Zufriedenstellend‹ hörte sich herablassend nach ›sie war stets bemüht‹ an, und erklärte vor allem nicht, warum sie das zu Beatrices erster Wahl als Strafverteidigerin machte. Aber die Worte ihrer ehemaligen Mandantin waren unmissverständlich. Victoria sollte die Verteidigung übernehmen, und zwar allein. Dennoch hätte sie lieber Marcus mit ins Boot geholt. Ohne Unterstützung war die Sache eine Nummer zu groß.

»Es ist mir geradezu gleichgültig, wie gut die Verteidigung tatsächlich ist«, erwiderte ihre Auftraggeberin auf Victorias Einwand, zwei Anwälte könnten im Sinne einer bestmöglichen Verteidigung effektiver arbeiten. »Sie muss nur gut aussehen. Nicht mehr und nicht weniger.« Sie schürzte missbilligend die Lippen. »Hätte ich die bestmögliche Verteidigung gewollt, hätte ich mich an eine bekannte Strafverteidigungskanzlei gewandt.«

Angesichts dieser an Unverschämtheit grenzenden Offenheit verschlug es Victoria die Sprache. Sogar ihrem für gewöhnlich redegewandten Kollegen fiel keine passende Erwiderung ein. Als sich das Schweigen wie eine Mauer zwischen ihnen aufbaute, versuchte Beatrice Mock, sich mit einem gezwungenen Lächeln zu erklären: »Verstehen Sie bitte, er ist mein Bruder und deshalb muss ich ihm helfen. Aber unter uns gesagt … das bleibt doch unter uns, was hier gesagt wird?«

Victoria nickte noch immer wortlos.

»Die Leute müssen vor allem sehen, dass ich mich kümmere.« Der harte Zug grub sich tiefer in Beatrice Mocks Gesicht. »Ich muss an den Ruf der Familie denken. Niemand soll glauben, die Familie sei zerrüttet. Das wäre nicht gut für unsere Firma.« Beatrice Mock fixierte die Anwälte mit einem stechenden Blick. Zusammen mit den nach unten gezogenen Mundwinkeln verlieh er ihr etwas Raubvogelartiges. »Dennoch habe ich kein Interesse daran, ein Vermögen für Anwälte auszugeben. Ich zahle Ihnen die gesetzlichen Gebühren, aber nicht das Phantasiehonorar, das die Strafrechtsspezialisten verlangen. Also, werden Sie zu meinem Bruder fahren?«

Das war kein Vorschlag, das waren Bedingungen, die Victoria so annehmen konnte oder nicht. Sie verständigte sich durch einen Blick mit Marcus. Auf den Punkt gebracht hatte Beatrice Mock soeben wenig schmeichelhaft behauptet, sie seien nicht gut, aber wenigstens günstig. Ein hartes Urteil, das Victoria bis ins Mark traf. Ein Blick in Marcus verbissenes Gesicht verriet ihr, dass er ähnlich empfand und vermutlich aus Empörung dazu tendierte, abzulehnen. Aber das war ihr Fall. Sie musste entscheiden. Letztendlich wäre nicht Beatrice, sondern Benedikt Mock ihr Mandant. Er müsste sie beauftragen und wäre ihr Ansprechpartner. Eine Strafverteidigung hatte sie zuletzt vor Jahren übernommen, doch nun erschien ihr die Vorstellung verlockend, aus dem täglichen Einerlei auszubrechen. Vor allem würde der Fall das Loch in der Kasse stopfen. Victoria warf Marcus einen entschuldigenden Blick zu und nickte, allerdings ohne große Überzeugung.

Kapitel 2

 

»Ein bisschen sonderbar verhält sich die Mock schon, oder?« Ein geringschätziger Seitenblick traf Victoria, bevor Marcus seine Augen wieder auf den Straßenverkehr richtete, als die Ampel auf Grün sprang. Victoria war sich nicht sicher, ob seine Missbilligung ihr oder Beatrice Mock galt, beschloss jedoch, den kritischen Gesichtsausdruck ihres Sozius nicht auf sich zu beziehen. Was hätte sie schließlich anderes machen können? Die Kanzlei brauchte das Geld, das dieses Mandat versprach.

»Das lässt sich nicht von der Hand weisen«. Gedankenverloren zwirbelte sie eine Locke ihres blonden Haares um den Zeigefinger. »Irgendetwas stört mich enorm an der Frau.«

Marcus lachte trocken auf. »Mich auch. Die Art, wie sie über unsere Kanzlei spricht, zum Beispiel.«

»Oh ja, das war wirklich an der Grenze zur Beleidigung.«

»Fragt sich nur, auf welcher Seite der Grenze«, murmelte Marcus.

»Was sollte ich denn tun?«, verteidigte sich Victoria, die sich plötzlich doch angegriffen fühlte. »Du weißt genauso gut wie ich, dass wir die Einnahmen brauchen.«

»Reg dich nicht auf, ich mache dir keinen Vorwurf«, besänftigte Marcus sie. »Eigentlich kann es mir auch egal sein. Ich werde mit ihr ja nicht klarkommen müssen.«

»Hast du es gut.« Victoria seufzte tief. »Frau Mock war bereits in der Familiensache eine Herausforderung. Wegen ihres Geldes ist sie es wohl gewohnt, alle nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.« Sie hielt inne, auf der Suche nach den richtigen Worten. »Ihr etwas spezieller Charme hat jedoch nicht die Alarmglocken bei mir schrillen lassen – mich stört etwas anderes, das ich noch nicht greifen kann.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist eher so eine Ahnung, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache.«

»Dein sechster Sinn?« Marcus Mundwinkel schossen nach oben und Victoria kniff drohend die Augen zusammen, falls er sich über sie lustig machte. Sie hatte gelernt, sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen, aber ihr pragmatischer Sozius hielt von diesen Dingen nichts. Obwohl er schon häufig zugeben musste, dass sie damit richtig lag.

»Spotte nicht!«, wehrte sie sich. »Dir kam sie doch auch merkwürdig vor. Nicht nur ihre abwertenden Worte, sie wirkte irgendwie lauernd. So angespannt. Findest du nicht?«

Marcus nickte zustimmend. »Nur war das auch keine alltägliche Situation für sie. Das kann schon mal unsicher und verspannt machen.« Er zuckte mit den  Schultern. »Einerlei … solange die Gute uns bezahlt, sind mir die Schrulligkeiten dieser Person gleichgültig.«

 

Als Marcus und Victoria das Büro erreichten, hatte der Regen endlich aufgehört.

Ihr erster Weg führte Victoria in die Küche zu dem neuen Kaffeevollautomaten. Diese von allen schnell ins Herz geschlossene Maschine war das einzige Zugeständnis an den Luxus, den man üblicherweise in Anwaltskanzleien erwartet. Der Rest der Einrichtung bestand aus einem Inventar, das zugleich praktisch und chaotisch war. Den größten Teil hatten sie einer Kollegin günstig abgekauft, die sich kleiner setzen wollte. Deshalb besaßen sie weitaus wertigere Büromöbel, als Marcus und Victoria sich hätten leisten können. Da alles bis in den letzten Winkel mit Fachbüchern, Akten und sonstigen Papieren vollgestopft war, fiel der Blick der Besucher jedoch nur selten auf das hochklassige Mobiliar.

›Ein Arbeitspsychologe hätte seine helle Freude an uns‹, murrte Victoria leise, während sie vorsichtig einen Stapel Akten zur Seite schob, um Platz für ihren Kaffeebecher zu schaffen. Sie verzog das Gesicht bei dem Gedanken an einen Vortrag zum Thema ›effektiver arbeiten‹, den sie vor einigen Monaten besuchen wollte.

»Wenn Sie noch ein Stück ihrer Schreibtischplatte sehen können, besteht für Sie eine Chance«, war die Einleitung des Dozenten gewesen. Im selben Moment hatte Victoria sich erhoben und das Seminar resigniert verlassen. Voller Einsicht, dass der Zustand ihres Schreibtisches aussichtslos war, hatte sie es vorgezogen, einen Kaffee trinken zu gehen. Irgendwie schaffte sie es trotzdem, in dem Chaos einigermaßen den Überblick zu wahren, und hatte noch nie eine Frist versäumt oder ein Schriftstück verloren. Zumindest kein wichtiges.

 

Während sie sich ihrem Kaffee und der Rückrufliste widmete, saß Svenja am Telefon und versuchte herauszufinden, wo sich der zukünftige Mandant aufhielt. Aus ihrer kurzen Karriere als angestellte Anwältin in einer auf Strafrecht spezialisierten Kanzlei wusste Victoria, wie schwierig es werden konnte, den Aufenthaltsort eines vorläufig Festgenommenen zu ermitteln. Im einfachsten Fall benennt der in Gewahrsam Genommene seinen Verteidiger, den die Polizei daraufhin verständigt.

›Natürlich kann die Sache auch weitaus umständlicher sein‹, dachte Victoria lakonisch, während sie ihrer Auszubildenden durch die halbgeöffnete Bürotür dabei zuhörte, wie sie hinter Benedikt Mock hertelefonierte. Seit die Polizei ihren zukünftigen Mandanten mitgenommen hatte, war geraume Zeit vergangen. Deshalb befand er sich nicht mehr im Polizeigewahrsam, sondern war schon in irgendeine andere Zelle verbracht worden – vielleicht bereits in einer JVA. Victoria war dankbar, sich in solchen Situationen auf Svenjas Hartnäckigkeit verlassen zu können. Geduldig fragte diese sich durch und nach einigen Telefonaten stand fest, dass Benedikt Mock in der örtlichen Haftanstalt auf den Vorführtermin am kommenden Tag wartete.

 

Ein Blick auf die Homepage der Einrichtung trieb Victoria zur Eile. Nach dem Ende der Besuchszeit würde selbst Anwälten der Zutritt in die Justizvollzugsanstalt verwehrt. Mit einer gewissen Hektik führte sie mehrere Telefonate, damit die notwendigen Formalitäten erledigt werden konnten. Zum Glück spielten sämtliche Beteiligten mit. Wohl nicht zuletzt, weil es dem Gericht die Mühe sparte, einen Pflichtverteidiger zu bestellen, war die Hilfsbereitschaft auf allen Seiten auch kurz vor Feierabend noch groß, sodass Victoria schneller als erwartet die ›Besuchserlaubnis für ein erstes Anbahnungsgespräch‹, den sogenannten Sprechschein, in Händen hielt. Wenig später traf sie atemlos und mit erhitztem Gesicht in der JVA ein.

Nach Überprüfung der Formulare sowie ihrer Personalien durfte sie im Anwaltssprechzimmer Platz nehmen.

Sie hatte bislang nur ein einziges Mal eine Justizvollzugsanstalt betreten, als während des Referendariats eine Gefängnisführung auf dem Ausbildungsplan stand. Schon damals konnte das Wissen, das Gebäude in Kürze wieder verlassen zu dürfen, ihre Beklemmung nicht verhindern.

Auch jetzt fühlte sie sich von den betongrauen Wänden erdrückt. Das Sprechzimmer bot gerade ausreichend Platz für einen Tisch und drei Stühle. Ein winziges Fenster ließ nicht genügend Licht herein, um die Neonröhren tagsüber ausschalten zu können. Ihr Surren war der einzige Laut. Die abgestandene Luft roch muffig. Victoria überlegte, ob man Gefängnisfenster zum Lüften öffnen konnte, als Geräusche durch die Tür drangen. Schritte, das Klappern von Schlüsseln. Dann wurde Benedikt Mock hereingeführt. Der Uniformierte nickte Victoria zu und verließ den Raum. Durch eine kleine Verglasung in der Tür sah Victoria seinen schemenhaften Schatten vor dem Sprechzimmer Wache stehen.

Victoria musterte ihr Gegenüber. Er galt als harter Geschäftsmann, so hatte sie mit einer stattlichen Erscheinung gerechnet. Groß, blond, sportlich. Ein Typ, der Erfolg, Geld und Macht ausstrahlte. Jemand, der sowohl auf dem Tennisplatz als auch beim Golfturnier eine gute Figur abgab. Der Mann, der jetzt vor ihr Platz nahm, sah hingegen von Kopf bis Fuß durchschnittlich aus. Benedikt Mock war von unauffälliger Statur, nicht bemerkenswert durchtrainiert, aber auch nicht allzu unsportlich. Er trug ein einfaches T-Shirt sowie eine unvorteilhafte Trainingshose, die sicherlich kein Designerlabel zierte. Victoria hatte eine andere Ausstrahlung erwartet. Bedrohlicher möglicherweise, charismatischer auf jeden Fall. Allerdings hatte sie mit Geschäftsleuten dieses Kalibers wenig Erfahrung.

Benedikt Mock hob die Augenbrauen, während er sie taxierte. Seine Mundwinkel bogen sich aufwärts, daraus entwickelte sich ein Zahnpastalächeln, strahlend weiß und zu synthetisch, um auch nur einen Hauch von Wärme in das Gesicht zu tragen.

Die Selbstsicherheit, die von ihm mit einem Mal ausging, überrollte Victoria derartig, dass sie sich wunderte, wie sie diesen Mann vor Sekunden noch als durchschnittlich hatte ansehen können.

»Benedikt Mock« stellte er sich vor. »Aber das wissen Sie vermutlich schon.« Seine Stimme klang angenehm und angesichts der Umstände erstaunlich fest. Der Tonfall eines Mannes, der es gewohnt war, Anweisungen zu geben. Er wies mit einer abfälligen Handbewegung auf seine Hose. »Nicht meine übliche Bekleidung, wie Sie sich sicher denken können. Aber meinen Anzug musste ich zur Spurensuche abgeben und das hier« – er zupfte angewidert an Shirt und Hose herum – »waren in der Kleiderkammer die einzigen Stücke in meiner Größe.«

Ihr Erstaunen bei seinem Eintreten war ihm also nicht verborgen geblieben, aber sein unverbindlicher Gesichtsausdruck ließ nicht erkennen, ob er ihr die Reaktion übel nahm. Victoria bemühte sich um Gelassenheit. Es gehörte zu den anwaltlichen Aufgaben, Selbstsicherheit und Zuversicht auszustrahlen, selbst wenn sie sich innerlich im Augenblick nervöser fühlte, als sie das in der Rolle der professionellen Juristin vermutlich sollte. Sie reichte ihm lächelnd die Hand. »Victoria Stein von der Kanzlei Stein und Froh. Ihre Schwester Beatrice hat mich als Ihre Verteidigerin hergeschickt, ist das in Ihrem Sinn?«

Mit dem Mienenspiel, das ihre einfache Frage auslöste, hatte sie nicht gerechnet. Sein Blick flackerte. Anfangs glaubte Victoria Erstaunen, vielleicht sogar Freude aufleuchten zu sehen, aber dann legte sich etwas darüber, das sie nicht deuten konnte. Bitterkeit? Schmerz? Benedikt Mock erlaubte ihr nicht, tiefer in sein Inneres zu sehen. Er senkte rasch den Kopf, und als er Victoria wieder ansah, war sein Gesichtsausdruck undurchdringlich. Er saß Victoria so beherrscht gegenüber, als habe es diesen Moment nicht gegeben, in dem er beinahe verletzlich gewirkt hatte. Victoria biss sich auf die Lippe. Hatte sie sich diese Reaktion nur eingebildet? Oder hatte die Erwähnung der Schwester eine Wunde bei Benedikt Mock aufgerissen? Ahnte ihr neuer Mandant, dass seine Schwester sich nur der Leute wegen um ihn kümmerte, hauptsächlich Geld sparen wollte und er sich einer bestenfalls durchschnittlichen Anwältin anvertrauen sollte? Aber dann wäre es doch ein Leichtes, sich höflich von ihr zu verabschieden und einen anderen Rechtsbeistand zu beauftragen. Der Flurfunk funktionierte innerhalb der JVA hervorragend und die Namen guter Verteidiger wurden unter den Gefangenen nicht nur bereitwillig weitergegeben, sondern vielfach auch die entsprechende Visitenkarte und eine Strafverteidigungsvollmacht gleich dazu. Es wäre einfach für Benedikt Mock gewesen, seine Verteidigung selbst zu organisieren. Kein Grund für wie-auch-immer geartete Blicke.

Beide saßen sich für einen Augenblick schweigend gegenüber. Victoria verunsichert, Benedikt Mock abschätzend. Dann fasste Benedikt Mock offensichtlich einen Entschluss.

Er beugte sich vor, griff Victorias Kugelschreiber und zog wortlos ein Vollmachtsformular zu sich heran, das Victoria schon auf den Tisch gelegt hatte. Er unterzeichnete die Strafverteidigungsvollmacht, die Victoria nun offiziell zu seiner Verteidigerin machte. Lächelnd reichte er das Papier zurück. Für einen Moment erreichte das Lächeln sogar seine Augen. Seine Miene verlor das Künstliche. Sie las Hoffnung und die Bitte um Hilfe in diesem Gesicht. Sie kannte diesen Blick von früher, aus Zeiten, bevor ihr Kampfgeist gestorben war. Hier saß ein Mensch, der ihre Unterstützung brauchte, den sie nicht hängen lassen durfte. Sollte es Beatrice auch egal sein, ob Victoria eine gute Strafverteidigerin war, für den Mann ihr gegenüber war es wichtig. Sie würde fehlende Erfahrung durch Einsatz wettmachen müssen.

Benedikt Mock nickte ihr zu. Hatte ihr Mienenspiel ihre Gedanken so deutlich verraten? Er schien zumindest zufrieden zu sein.

Nachdem die Formalitäten erledigt waren, wandten sie sich dem zu, was seit dem vergangenen Abend geschehen war. Benedikt Mock konnte selbst nur wenig beitragen. »Bis die Polizei mich kurz vor dem Abflug festgenommen hat, wusste ich nicht, was passiert war.« Er hob hilflos die Arme. »Ich wollte nicht fliehen, sondern auf eine Geschäftsreise. Ich bin gleich vom Büro aus zum Flughafen gefahren und war in der Nacht gar nicht zuhause, da es am Abend vorher eine Besprechung gab. Danach musste ich noch die Unterlagen für den Geschäftstermin vorbereiten, den ich eigentlich jetzt gerade wahrnehmen würde, wenn ich nicht hier wäre.« Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. »Bevor Sie fragen – nein, es kann niemand bestätigen, dass ich die Nacht im Büro verbracht habe.« Seine Miene wurde flehend. »Sie müssen mir sagen, was passiert ist! Was genau wird mir vorgeworfen? Man hat mich komplett im Dunkeln gelassen!«

»Es handelt sich um ein Tötungsdelikt, aber das wurde Ihnen vermutlich bei Ihrer Festnahme schon mitgeteilt.«

»Diese Idioten hatten nicht einmal den Anstand, mir den Tod meiner Frau schonend beizubringen.« Benedikt Mock schnaubte. »Sie haben keine Sekunde meine Täterschaft bezweifelt und mich gleich mit voller Wucht mit den Tatsachen konfrontiert.« Er atmete tief aus, rang seine Empörung über die Art, wie man ihn behandelt hatte, nieder, dann fragte er leise: »Wie ist meine Frau ums Leben gekommen?«

Die Festigkeit in der Stimme war verschwunden. Benedikt Mocks Gesicht wirkte auf einmal müde. Ob er wegen des Todes seiner Ehefrau oder wegen seiner Verhaftung niedergeschlagen war, vermochte Victoria nicht zu sagen. Es fiel ihr schwer, ihn einzuschätzen.

»Ich kann Ihnen leider auch noch nichts Genaueres sagen«, begann sie. »Die Obduktion hat noch nicht stattgefunden. Für Akteneinsicht ist es noch zu früh. Ich werde allerdings den zuständigen Staatsanwalt anrufen, um auf diesem Weg vorab an ein paar Informationen zu gelangen. Sobald ich Näheres weiß, werde ich Sie davon unterrichten.«

»Hm.« Benedikt Mock war aus nachvollziehbaren Gründen nicht zufrieden mit der spärlichen Auskunft. »Und wie geht es jetzt weiter?«

»Als Nächstes steht der Vorführtermin an, gleichzeitig beantragen wir Akteneinsicht und …«

»Vorführtermin?«, unterbrach Benedikt Mock. »Was ist das?«

»Im Vorführtermin wird vom Gericht über Ihre weitere Untersuchungshaft entschieden«.

»Das heißt, ich komme hier raus?« Ihr Mandant richtete sich merklich auf.

»Ähm …« Victoria biss sich auf die Lippe. »Also …«, setzte sie neu an.

»Ich verstehe schon, Sie wissen es auch nicht«, schlussfolgerte ihr Gegenüber.

»Nun ja«, versuchte sie es erneut und seufzte leicht. Es war erstaunlich, welch reichhaltiges Angebot an nichtssagenden Satzanfängen die deutsche Sprache bereit hielt. Um sie nicht alle auf der Stelle abzunutzen, gab sie sich schließlich einen Ruck und brachte den Satz zu seinem unerfreulichen Ende. »Es ist so, dass die Ermittler Sie als dringend tatverdächtig ansehen, sonst hätte es die vorläufige Festnahme am Flughafen nicht gegeben. Damit Sie in Untersuchungshaft bleiben, ist ein richterlicher Beschluss nötig. Dieser wird erlassen, wenn auch das Gericht einen dringenden Tatverdacht bejaht und darüber hinaus ein sogenannter Haftgrund gegeben ist. Das könnte zum Beispiel Fluchtgefahr oder Verdunklungsgefahr sein.«

Die Hoffnung in Benedikt Mocks Miene erlosch so rasch, wie sie darin aufgeleuchtet war. Er hatte herausgehört, dass seine Haftentlassung nicht ganz so einfach war, wie er für einen Moment angenommen hatte.

„Fluchtgefahr? Verdunklungsgefahr? Welch ein Unsinn.« Benedikt Mock schnaubte abfällig. »Was gedenken Sie gegen diese idiotischen Vorwürfe zu unternehmen?“, fragte er, plötzlich in schneidendem Tonfall.

Der abrupte Stimmungswechsel irritierte Victoria. Wie konnte sich seine Körpersprache innerhalb eines Augenblicks nur so ändern? Waren es Masken, hatte sie nur auf Fassaden geblickt?

»Ich benötige noch mehr Informationen, bevor ich mir eine juristische Meinung bilden kann«, blieb sie bewusst vage. Wenn es ihnen nicht gelang, die Verdachtsmomente gegen Benedikt Mock zu entkräften, würde bereits die Schwere der vorgeworfenen Tat ausreichen, um ihn nicht aus der Haft zu entlassen. »Sie sagten, Sie hätten kein Alibi für die vermutliche Tatzeit. Da der Vorfall in Ihrem Haus stattgefunden hat, werden dort bestimmt zahlreiche Spuren von Ihnen vorhanden sein.« Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, bevor sie ihre nächste, eine delikate, Frage stellte: »Könnte man auch ein Motiv finden?«

Benedikt Mock sah sie ruhig an. »Nein, sicherlich nicht. Ich habe meine Frau geliebt. Wirklich geliebt.«

Irgendetwas an der Art, wie er das zu nachdrücklich betonte, ließ Victoria vermuten, die Liebe wäre nicht mehr allzu groß gewesen, allerdings behielt sie ihre Zweifel für sich und hörte schweigend weiter zu.

»Natürlich gab es gelegentlich auch Spannungen, in welcher Beziehung gibt es die nicht? Freunde haben jedoch oft gesagt, wie sehr sie uns um unser harmonisches Eheleben beneiden!« Sein Blick verlor sich hinter der Schulter der Anwältin. Victoria kannte diesen Gesichtsausdruck aus ihren Familienrechtsfällen. Von diesem Mann würde sie nichts anderes hören, als die Versicherung, wie glücklich die Ehe gewesen war – unabhängig davon, ob das stimmte.

Nachdem sie nicht mehr weiterkamen, verabredeten sie, zunächst abzuwarten, was der Vorführtermin am nächsten Tag ergeben würde. Darüber hinaus sollte Victoria helfen, Benedikt Mocks Mitarbeiterin Nora Fritz eine Besuchserlaubnis zu besorgen, damit der Geschäftsbetrieb provisorisch weitergehen konnte.

»Sie ist meine Sekretärin, Assistentin und rechte Hand. Sie weiß, was zu tun ist«, sagte Benedikt Mock und zum zweiten Mal an diesem Tag erreichte ein Lächeln seine Augen.

Kapitel 3

 

Victoria saß an ihrem Schreibtisch, den Blick aus dem Fenster gerichtet und beobachtete den Regen, der noch immer – oder schon wieder – fiel. Während sie sich die Schläfen massierte, um die drohenden Kopfschmerzen zu bekämpfen, ging sie die geschäftigen Tage durch, die hinter ihr lagen.

Der Vorführtermin war ein Desaster gewesen.

Ihr stand das Bild von Benedikt Mock unauslöschbar vor Augen, als dieser in der Verhandlung hörte, er werde noch länger in Haft bleiben. Sein Blick, in dem sie stummen Vorwurf und deutliche Zweifel las, war schwer zu ertragen. Das Schlimmste war, dass sie ihn verstehen konnte. Seit sie im Vorführtermin gelähmt dabei zugesehen hatte, wie ihr gesamtes Vorbringen vom Tisch gewischt wurde, ohne dass sich das Gericht ernstlich damit auseinandersetzte, brannte der Gedanke wie ein Giftstachel in ihr, das Mandat angenommen zu haben, obwohl sie der Sache nicht gewachsen war. Ihre Zeit als Strafrechtlerin war einfach zu lange her, das Feuer von damals erloschen.

Vor dem Termin hatte ihr der Staatsanwalt kurz die wichtigsten Erkenntnisse mitgeteilt, mit denen er die Inhaftierung Benedikt Mocks begründen würde. Saskia, die Ehefrau, war mit einem Küchenmesser erstochen worden, das nach der Tat abgewischt wurde, aber noch Teilabdrücke aufwies – die leider zu ihrem Mandanten gehörten. Ihr Hinweis lief ins Leere, das sei doch verständlich, da Benedikt Mock auch in diesem Haus wohne und natürlich auch die Messer zum Kochen benutze. Das Gericht hatte es als zu schwerwiegend angesehen, dass Benedikt Mock mit einer erheblichen Summe Bargeld auf dem Weg ins Ausland war. Das allein reichte, um sie mit all ihren Argumenten vor die Wand laufen zu lassen.

Victoria war nach und nach verstummt und hatte mit einem Gefühl wachsender Ratlosigkeit dabei zugesehen, wie die Entscheidung in einer Geschwindigkeit getroffen wurde, die ihr keine Gelegenheit zur Gegenwehr gab. Ohnehin waren ihr die Argumente ausgegangen. Das, was sie vorgetragen hatte, reichte dem Gericht nicht, doch mehr Munition war nicht verfügbar. Sie hatte sich tieferen Einblick in die Ermittlungsergebnisse erhofft, war aber stattdessen mit ein paar gehaltlosen Informationsbröckchen abgespeist worden, die ein desinteressierter Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft ihr hingeworfen hatte.

Um effektiv agieren zu können, brauchte sie Akteneinsicht. Sie wusste, dass man als Anwalt oft ewig auf die Ermittlungsakte warten musste. Bis dahin würde ihr Mandant ihr die Hölle heiß machen, falls sie es nicht vorher schaffte, zumindest mit dem verantwortlichen Staatsanwalt zu sprechen. Das Problem dabei war, den zuständigen Sachbearbeiter überhaupt ans Telefon zu bekommen. Nachdem sie ein weiteres Mal von der Geschäftsstelle vertröstet worden war, knallte sie den Hörer mit einem unterdrückten Wutschrei auf die Station.

Marcus steckte den Kopf durch die Bürotür. »Ärger?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Staatsanwaltschaft«, erwiderte Victoria.

Marcus schob sich nun ganz in ihr Büro und nahm Victoria gegenüber Platz. »Du hast da jetzt schon so häufig angerufen« sagte er grinsend. »Ist der zuständige Staatsanwalt heiratswillig oder aus anderen Gründen besonders attraktiv?«

Victoria konnte dem Humor ihres Kollegen in diesem Moment nichts abgewinnen. »Allein, um den besagten Staatsanwalt in Erfahrung zu bringen, musste ich ja schon ein Dutzend Mal dort anrufen«, entgegnete sie hitzig. »Und davon, ihn an die Strippe zu bekommen, bin ich weit entfernt.«

»Reg dich ab, das sollte ein Witz sein – du sahst aus, als könntest du ein Lächeln auf deinem Gesicht gebrauchen. Hattest du heute noch keinen Kaffee, oder was ist los?«

Sein friedfertiger Ton besänftigte sie etwas. »Wenn das ein Angebot sein soll, mir noch einen zu holen – also ich sage nicht nein«, sagte sie und brachte immerhin die Andeutung eines hochgezogenen Mundwinkels zustande.

»Das bekomme ich hin«, erwiderte Marcus, »wenn es dir danach besser geht!« Er griff zum Hörer, wählte intern den Empfang und bestellte zwei Becher Kaffee.

Nachdem Elena den Kaffee gebracht hatte, nahm Marcus das Gespräch wieder auf. »Welcher Umstand beschert uns denn nun deine hervorragende Laune?« Victoria verzog das Gesicht. »Die Sache Mock ist bisher ein Debakel auf ganzer Linie.«

Marcus lehnte sich zurück, verschränkte die Hände vor seinem Bauch und sah sie aufmerksam an. »Magst du mir erzählen, wo der Schuh drückt?«

»Ohne Informationen bin ich zum Nichtstun verurteilt. Mein Mandant erwartet aber, dass ich aktiv werde. Vor allem will er Antworten, die ich ihm nicht geben kann.«

»Antworten worauf?«

»Zunächst auf die wichtigste seiner Fragen – was überhaupt geschehen ist.«

»Das weißt du immer noch nicht?« Marcus’ Augenbrauen schossen nach oben. »War nicht bereits der Vorführtermin? Für gewöhnlich erfährt man spätestens dort, was einem zur Last gelegt wird! Du weißt schon … diese roten Zettel. Die im Termin verlesen werden!«

»Du kannst deine Sticheleien einfach nicht lassen, oder? Gieß ruhig noch Öl ins Feuer! Kommt jetzt ein Spruch zu meiner Unerfahrenheit in Strafsachen?« Victoria hatte auf seine Belehrungen überhaupt keine Lust. Sie haderte mit ihrer Unzulänglichkeit und war durchaus gewillt, ihren Ärger an Marcus auszulassen, wenn der ihr weiterhin auf die Nerven ging.

Marcus rettete die Situation, indem er lachte, als Victoria ihm eine Büroklammer an den Kopf warf und hörte sich den Bericht über den furchtbaren Vorführtermin dann schweigend an. Während sie erzählte, fuhr Victoria sich immer wieder mit beiden Händen durch ihre Locken, obwohl sie danach vermutlich aussah, wie gerade aus dem Bett gekrochen. Es war ihr egal. Sie trank einen großen Schluck Kaffee, bevor sie weitersprach: »Das war leider nicht alles. Abgesehen von dieser Sache mit dem Messer standen auch die Gläser vom Abendessen noch in der Küche … ebenfalls mit Mocks Fingerabdrücken darauf.

---ENDE DER LESEPROBE---