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Beschreibung

Neuanfang mit Hindernissen

Nach dem Ende ihrer Ehe bricht Katharina alle Brücken ab und wagt einen Neuanfang auf Lanzarote.

Doch die Vulkaninsel scheint ihr nicht wohlgesonnen: Der versprochene Job platzt, und ein anderer ist nicht in Sicht.

Katharina hat ihr Scheitern schon fast akzeptiert, da wendet sich endlich das Blatt. Sie findet nicht nur eine Arbeitsstelle, sondern in ihrem attraktiven Chef Konstantin auch den Mann ihrer Träume. Allerdings ahnt sie nichts von der dunklen Seite seines Charakters, und als sie diese erkennt, ist es beinahe zu spät.

Gut, dass es Sebastian gibt, ihren Retter in der Not. Er wäre gern mehr für Katharina, aber dazu muss sie erst lernen, wieder zu vertrauen …


Ein spannungsvoller Roman über alte Fehler und neue Chancen, gespickt mit viel Herz und kanarischem Lokalkolorit.



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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Rana Wenzel

Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Über die Autorin

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

Nachwort und Danksagung

Weitere Romane für den Urlaub im Kopf

Impressum

Über das Buch

 

Neuanfang mit Hindernissen

 

Nach dem Ende ihrer Ehe bricht Katharina alle Brücken ab und wagt einen Neuanfang auf Lanzarote.

Doch die Vulkaninsel scheint ihr nicht wohlgesonnen: Der versprochene Job platzt, und ein anderer ist nicht in Sicht.

Katharina hat ihr Scheitern schon fast akzeptiert, da wendet sich endlich das Blatt. Sie findet nicht nur eine Arbeitsstelle, sondern in ihrem attraktiven Chef Konstantin auch den Mann ihrer Träume. Allerdings ahnt sie nichts von der dunklen Seite seines Charakters, und als sie diese erkennt, ist es beinahe zu spät.

Gut, dass es Sebastian gibt, ihren Retter in der Not. Er wäre gern mehr für Katharina, aber dazu muss sie erst lernen, wieder zu vertrauen …

 

Ein spannungsvoller Roman über alte Fehler und neue Chancen, gespickt mit viel Herz und kanarischem Lokalkolorit.

 

 

 

Über die Autorin

 

Rana Wenzel ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die unter diesem Namen spannende Romane voller Emotionen veröffentlicht. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften sowie einem berufsbedingten Abstecher nach Lanzarote zog es sie wieder in die Heimat zurück, wo sie heute mit ihrem Ehemann an der Grenze zum Sauerland lebt. Die Autorin kennt und liebt die Kanareninsel Lanzarote seit den 1970er Jahren.

1.

Katharina Vehrmann wischte sich verstohlen ihre feuchten Handflächen an der Jeans ab. Als sie den Kopf hob, blickte sie geradewegs in das Gesicht ihres Sitznachbarn und fühlte sich ertappt.

»Ich fliege auch nicht gerne«, sagte der Mann mit einem aufmunternden Lächeln und sah ihr für einen Moment tief in die Augen.

Katharina zog die Mundwinkel weit genug nach oben, um nicht unfreundlich zu wirken, wandte aber den Blick schnell aus dem Fenster. Früher hätte sie souveräner reagiert, vermutlich sogar mit einem Augenzwinkern zurückgelächelt. Ein kleiner Flirt würde ihrem Selbstwertgefühl durchaus guttun. Sie schien allerdings diese Kunst des lockeren Miteinanders verlernt zu haben. Damals, in der Zeit, bevor sie Dirk kennengelernt hatte, war sie im Umgang mit dem anderen Geschlecht nicht so gehemmt gewesen, sondern hatte die bewundernden Blicke der Männer genossen. Die Zeit vor Dirk. Dirk, der bald ihr Ex-Mann sein würde. Ein Gedanke, der immer noch in ihr Herz schnitt. Er hatte …

Das Rumpeln des Fahrwerks riss sie aus ihren Grübeleien. Unter ihr erschien die graubraune Insel, die ab jetzt ihre Heimat sein sollte. Katharina reckte den Hals, um einen Blick von der Steilwand des Risco de Famara zu erhaschen, der aus der Luft mindestens so imposant wirkte wie vom Strand aus.

Einmal noch drehte der Flieger über dem offenen Meer, bevor er so tief sank, dass sie meinte, in die Speisesäle der Hotels sehen zu können, die sich mittlerweile bis zu den Ausläufern des Flughafens Arrecife erstreckten. Kurz hüpfte das Flugzeug, dann hatten alle Räder Bodenkontakt und der Pilot trat kräftig auf die Bremse.

Sie waren auf Lanzarote gelandet.

Katharina atmete hörbar aus und erntete einen belustigten Seitenblick.

»So schlimm?«, fragte ihr Sitznachbar mit einem leichten Schmunzeln.

»Ähm … ja.« Katharina lächelte beschämt und haderte mit sich, weil ihr keine schlagfertige Antwort einfiel. Als Rechtsanwältin sollte sie es eigentlich gewohnt sein, eloquente Wortwechsel zu führen. ›Ehemalige Rechtsanwältin‹, korrigierte eine Stimme in ihrem Hinterkopf sofort. Dieselbe Stimme, die auch dafür zuständig war, unverzüglich ein ›Ex‹ vor das Wort ›Mann‹ zu setzen, wenn ihre Gedanken wieder einmal um Dirk kreisten. Die Trennung hatte sie kalt erwischt. Sie hatte keine Ahnung von der Affäre mit seiner Referendarin gehabt. In ihrer Naivität hatte sie die Frau sogar zum Abendessen zu sich nach Hause eingeladen. In das Haus, das nun Dirks war und das er bestimmt bald gemeinsam mit dieser …

»Ich wünsche Ihnen trotz des strapaziösen Flugs einen erholsamen Urlaub«, verabschiedete sich der Mann, der neben ihr gesessen hatte und sich nun zum Gehen wandte.

»Danke, Ihnen ebenfalls einen schönen Aufenthalt«, antwortete Katharina automatisch. Mit einem leichten Bedauern sah sie, wie er seine Tasche schulterte und sich in die Schlange der Passagiere im Gang einreihte, ohne sich noch einmal umzusehen. Warum auch – sie hatte sich schließlich nicht als sonderlich kommunikativ erwiesen. Dabei hatte ihr der Mann mit seinem offenen Lächeln und den strahlenden Augen sogar gefallen. Nicht, dass sie auf der Suche nach einer neuen Beziehung war; dafür waren die Wunden zu frisch, und überhaupt hatte sie noch zu viele Baustellen in ihrem Leben. Die Trennung, die Entscheidung, alles hinter sich zu lassen, der neue Job, den sie als Chance für den Neuanfang sah …

Mit einem Mal bemerkte sie, dass der Flieger schon fast leer war. Schnell sprang sie in den Gang und angelte über dem Kopf nach ihrer dicken Reisetasche, die eigentlich wegen des Gewichts unter den Vordersitz gehört hätte. Ein Flugbegleiter näherte sich mit hilfsbereiter Miene, als er sah, wie sie trotz ihrer immerhin 1,72 m Körpergröße Mühe hatte, das sperrige Gepäckstück aus dem Fach hervorzuziehen. Sonst hatte Dirk immer …

»So bitte, hier ist sie.« Der Flugbegleiter händigte ihr mit einem professionellen Lächeln die viel zu schwere Tasche aus und überging souverän, dass Katharina sie kaum geschultert bekam. Mit hochrotem Kopf bedankte sie sich und floh aus der Maschine.

 

Wenig später stand sie mit ihrem Gepäckwagen in der Ankunftshalle und suchte die wartende Menge ab. Auf keinem der Schilder war der Name ›Vehrmann‹ zu lesen. Sicherheitshalber bahnte sich Katharina einen Weg um die Menschen herum, aber auch im hinteren Bereich hielt niemand ihren Namen in die Höhe. Dabei hatte Gero Meyer, ihr zukünftiger Chef, fest zugesagt, er werde einen Mitarbeiter vorbeischicken, der ihr auf dem Weg zu ihrem Apartment schon einmal grob den Ablauf des kommenden Tages – ihres offiziellen Arbeitsbeginns – erläutern sollte.

Hastig durchwühlte sie ihre Handtasche nach ihrem Mobiltelefon. Vielleicht hatte Gero Meyer ja eine Nachricht hinterlassen? Sie hatte ihr Smartphone beim Betreten des Flughafenterminals eingeschaltet, aber dann nicht weiter darauf geachtet. Tatsächlich, sie hatte zwei neue SMS erhalten. Es waren jedoch nur die üblichen Begrüßungsnachrichten des spanischen Netzbetreibers. ›Sie können Ihr Datenvolumen wie in Deutschland …‹. Ja, das wusste sie längst, sie hatte vor ihrer Abreise geklärt, ob EU-Roaming auch auf den Kanaren galt. Trotzdem würde sie sich um einen spanischen Vertrag kümmern, sobald feststand, dass sie auf der Insel bliebe. Dazu müsste sie die Probezeit erfolgreich überstehen, und aktuell sah es nicht so aus, als könne sie die überhaupt antreten. Die Ankunftshalle hatte sich inzwischen geleert und noch immer war ihr Abholer nicht erschienen. Etwas ratlos sah sie sich um und beantwortete mit einem Kopfschütteln die stumme Frage des einzig in der Halle verbliebenen Mannes, der ihr wortlos ein Schild entgegenstreckte. Nein, Cabrera hieß sie nicht.

Die Kälte innerhalb des klimatisierten Gebäudes umhüllte mittlerweile nicht nur ihren Körper, sondern fraß sich allmählich durch die Haut. Fröstelnd rieb sie sich die Arme und beschloss, in die Sonne zu gehen. Sie nahm den Fahrstuhl in die obere Etage und trat dort vor die Tür. Jetzt war sie zwar im Abflugbereich und würde es nicht mehr mitbekommen, falls ihr Abholer doch noch auftauchte, aber damit rechnete sie ohnehin nicht mehr. Sie schaute auf die Uhr. Fast fünfundvierzig Minuten hatte sie in der Halle herumgestanden; die Zeit hinzuaddiert, die sie auf das Gepäck gewartet hatte, so war ihr Abholer nicht nur zu spät, er hatte sie schlicht vergessen.

 

Seufzend ließ sich Katharina auf eine Bank vor dem Flughafengebäude fallen. Dass sie sich auf eine andere Mentalität einzustellen hätte, war ihr von vornherein klargewesen. Die Menschen sahen hier vieles lockerer, und wenn sie damit klarkommen wollte, musste sie sich von ihrem Überpünktlichkeitsanspruch rasch verabschieden. Dennoch war sie davon ausgegangen, ihr neuer Chef sei zuverlässiger. Immerhin war er Schweizer und die galten schließlich als der Inbegriff der Korrektheit. Sie hatte deshalb nicht lange gezögert, als sie auf das Jobangebot im Internet gestoßen war. Eigentlich hatte sie nur aus Spaß einmal geschaut, welche Arbeitsplätze dort offeriert wurden, aber als ihr Blick an dieser einen Anzeige hängenblieb, war ein aufgeregtes Kribbeln in der Magengegend entstanden.

Der ›Was-wäre-wenn‹-Gedanke fiel sie an und ließ nicht wieder los. Ein Schweizer Immobilienbüro suchte für die Niederlassung in Arrecife eine Mitarbeiterin, gepflegte Erscheinung, Büroerfahrung mit sehr guten Deutsch-, Englisch-, und Spanischkenntnissen. Zugegeben, das mit dem Spanisch musste sie etwas beschönigen, aber der Rest traf zu. Ihre sechsunddreißig Jahre sah man ihr nicht an, sie wurde durchweg jünger eingeschätzt und mit dem neuen Kurzhaarschnitt, den sie seit der Trennung trug, wirkte sie jugendlich-dynamisch.

Katharina hatte nicht lange nachgedacht. Sie stand ohnehin bei Null und musste noch einmal ganz von vorn beginnen. In Deutschland hielt sie nichts mehr – im Gegenteil: Es war verlockend, eine möglichst große Distanz zwischen sich und Dirk zu bringen. Die Trennung von ihm hatte gleichzeitig ihre Arbeitslosigkeit bedeutet, da sie die Kanzlei gemeinsam geführt hatten. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, weitere Familie gab es nicht mehr und selbst die guten Freunde ihrer Schul- und Studienzeit waren heute bestenfalls noch Bekannte. Was verband sie also mit ihrer Heimatstadt? ›Nichts‹, hatte eine abenteuerlustige und ausgesprochen tatendurstige Stimme in ihrem Hinterkopf geantwortet. So hatte sie noch am selben Tag eine Bewerbungs-E-Mail geschrieben und zu ihrer großen Überraschung eine Zusage erhalten.

Dann war alles schnell gegangen: Sie musste die wenigen Sachen einlagern, die sie nach der Trennung noch besaß. Das meiste war ohnehin im Haus geblieben und nun war sie froh darüber. Ein möbliertes Apartment war erstaunlich rasch gefunden und nun saß sie hier.

Allerdings nicht mehr ganz so euphorisch, wie noch heute Morgen, als sie vor lauter Vorfreude aufgeregt in ihrem Sitz hin- und hergerutscht war und ihr die etwas über vier Stunden Flugzeit schier endlos erschienen. Jetzt überfiel sie die Müdigkeit. Eine Frühaufsteherin war sie nie gewesen und die Abflugzeit um sechs Uhr morgens war die reine Qual. Obwohl sie Übergepäck angemeldet hatte, musste sie zuzahlen, weil sie dennoch den Rahmen des zulässigen Gewichts gesprengt hatte. Ein böses Omen, das sie hätte warnen sollen, dachte Katharina missmutig, als sie zum vermutlich zehnten Mal in der letzten halben Stunde auf ihr schweigsames Handy starrte.

Sie hatte zwischenzeitlich mehrfach versucht, ihren Arbeitgeber telefonisch zu erreichen, eine SMS geschickt und eine Whatsapp-Nachricht hinterher. Jetzt schob sie unschlüssig einige vor der Bank liegende Zigarettenkippen mit der Schuhspitze herum.

Ein Schatten fiel auf Katharina, hoffnungsvoll hob sie den Kopf. Aber es war nur der Arbeiter, der die Kofferwagen wieder einsammelte. Besorgt musterte er sie und fragte: »Todo bien?«

Sie musste wirklich sehr verzweifelt wirken, wenn wildfremde Menschen sich schon erkundigten, ob alles gut sei.

»Estoy bien, gracias«, versicherte sie eilig und lächelte dem Mann beruhigend zu, der sich mit einem Schulterzucken dem nächsten Kofferwägelchen zuwandte.

Katharina sah sich um. Es war spürbar ruhiger auf dem Flughafen geworden. Sie war weit und breit die Einzige, die hier noch auf der Bank für Raucher und Vergessene ausharrte. Es brachte nichts, weiter auf eine Nachricht ihres zukünftigen Chefs zu warten.

 

 

***

 

 

Das Taxi spuckte Katharina und ihren Gepäckberg vor ihrem Apartment im alten Teil Puerto del Carmens aus. Hier hatte sich der Ort einen Hauch Ursprünglichkeit bewahrt, wenngleich er sein Gesicht in den vergangenen drei Jahrzehnten erheblich verändert hatte. Katharina erinnerte sich an die gelbstichigen Fotos im Album ihrer Mutter, die das Fischerdorf in den Siebzigerjahren zeigten. Staubige Wege schlängelten sich an wenigen Häusern vorbei, man kaufte den Fisch am Hafen und auf der Ecke der einzigen Kreuzung befand sich ein kleines Kino.

Als sie das erste Mal in den Achtzigerjahren auf Lanzarote war, hatte Puerto del Carmen seinen pittoresken Charakter bereits eingebüßt und heute erinnerte nichts mehr an das verschlafene Dörfchen, in dem der Tourismus zunächst behutsam Einzug gehalten, dann aber rasant über den Küstenstreifen hergefallen war. Dennoch blieb der einstige Charme vereinzelt spürbar, wenn man durch die schmalen Gässchen rund um den Hafen bummelte, und so hatte Katharina begeistert zugesagt, als sie auf ihre Suchanfrage ein Angebot für ein einfaches Apartment im alten Dorf erhalten hatte. Es war perfekt – die Bushaltestelle in der Nähe, zum kleinen Strand, der Playa Chica, nur wenige Meter und sogar einen Balkon hatte ihr neues Zuhause.

Endlich war sie angekommen. Aufatmend schloss Katharina die Tür, fiel auf das Sofa und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Von draußen drang der Lärm der belebten Straße zu ihr hoch. Zum Glück ging das Schlafzimmer nach hinten hinaus. Der Vorteil der zentralen Lage war zugleich der Nachteil – besonders ruhig wohnte sie nicht. Aber das hatte sie vorher gewusst und trug dazu bei, dass dieses Apartment für sie erschwinglich war. Eine Wohnung in einer der besseren Lagen in Puerto del Carmen war auf Dauer nicht zu bezahlen. Sie musste aufs Geld achten, denn ihre wenigen Ersparnisse schmolzen erschreckend schnell zusammen und von Dirk hatte sie finanziell keine Hilfe zu erwarten.

Abrupt richtete Katharina sich auf. ›Schluss damit‹, befahl sie sich selbst. Jetzt begann ihr neues Leben. Sie würde ab sofort nicht mehr an Dirk denken, sondern den Blick nur noch nach vorne richten. Das bedeutete vor allem, sich einzuleben. Mit frisch erwachter Energie fing sie an, die Koffer auszupacken. Das Doppelbett wirkte mit der bunten, farblich zu den Vorhängen passenden Tagesdecke fröhlich und einladend. Aber bevor sie dieser Einladung folgen durfte, musste sie noch einiges erledigen.

Katharina versuchte erneut, Gero Meyer zu erreichen. Die Festnetznummer, die er ihr gegeben hatte, lief ins Leere und unter der Mobilnummer meldete sich eine automatische Stimme, die ihr auf Spanisch mitteilte, das angewählte Handy sei entweder ausgeschaltet oder außerhalb der Netzabdeckung. Sie seufzte genervt, als sie diese Standardansage zum ungezählten Mal hörte. Allmählich konnte sie das drückende Gefühl in der Magengegend nicht mehr ignorieren.

Ihre Ankunft zu vergessen, war eine Sache gewesen, aber heute war ein gewöhnlicher Wochentag, da sollte das Büro erreichbar sein. Sie hätte gerne gewusst, wann sie sich morgen einfinden sollte. Diese Details hätte sie heute auf dem Weg vom Flughafen erfahren sollen, wie Gero Meyer ihr mit kanarischer Gelassenheit erklärte, als sie ihn bereits vor Wochen mit deutscher Gewissenhaftigkeit danach gefragt hatte. Wenn sie genau darüber nachdachte, hatte sie ohnehin vor drei Wochen das letzte Mal etwas von ihrem Chef gehört. Es war ihr in Deutschland nicht aufgefallen, weil die Zeit dahinflog und es noch so viel zu organisieren gab, aber jetzt zogen sich bei diesem Gedanken ihre Eingeweide schmerzhaft zusammen.

›Unsinn‹, schalt sie sich selbst. ›Ich bin müde, brauche dringend einen Kaffee und das flaue Gefühl verschwindet, sobald ich etwas Vernünftiges gegessen habe.‹

Zur Bestätigung knurrte ihr Magen und so ergriff Katharina ihre Handtasche und eilte nach unten. Im Erdgeschoss des Hauses befand sich eine Cafeteria, in der auch kleine Snacks angeboten wurden, wie sie erfreut feststellte.

Nach einem starken Café solo und einem Sandwich ging es ihr tatsächlich besser. Nebenbei hatte sie erfragt, wie die Busse vormittags fuhren, und fühlte sich nun gut für den kommenden Tag vorbereitet. Sie würde einfach zur üblichen Geschäftszeit gegen neun Uhr im Büro in Arrecife sein und sich gut gelaunt in ihre neue Arbeit stürzen.

2.

Katharinas Blick klebte an dem leeren Schaufenster vor ihr. Im Inneren des Raumes lagen einige vergessene Blätter auf dem Boden. Etwas – vermutlich ein Kalender – hatte in jenen Tagen, in denen noch Menschen dort arbeiteten, einen braunen Rahmen an der vergilbten Wand hinterlassen. Nur ein umgestürzter Schreibtischstuhl erinnerte daran, dass hier einmal ein Büro gewesen war.

›Se alquila‹, verkündeten orangefarbene Buchstaben auf einem schwarzen Schild an der Tür. Die Räumlichkeiten waren wieder zu vermieten. Katharina notierte sich die angegebene Handynummer. Vielleicht wüsste der Vermieter, wo sie Gero Meyer erreichen konnte. Womöglich war das Büro nur umgezogen und ihr Arbeitgeber hatte vergessen, ihr die neue Anschrift mitzuteilen?

Noch weigerte sich Katharina zu akzeptieren, dass dieses leere Büro auch das Ende ihrer Pläne von einem Neuanfang auf Lanzarote bedeutete.

Nicht zum ersten Mal in den vergangenen zehn Minuten kontrollierte sie, ob sie die Anschrift des Immobilienbüros wirklich korrekt in das Navigationsmenü ihres Smartphones eingegeben hatte. Aber es bestand kein Zweifel – sie befand sich an der richtigen Anschrift. Nur ihr Arbeitsplatz nicht mehr.

Als das Klack-klack-klack sich nähernder Absätze neben ihr verstummte, hob sie den Kopf. Sie sah in das freundliche Gesicht einer etwa dreißigjährigen Spanierin.

»Hola«, grüßte die Frau, während sie einen beeindruckenden Schlüsselbund aus ihrer Handtasche zog und die Tür zum benachbarten Ladenlokal aufschloss. »Wollen Sie zu mir?«, fuhr sie auf Spanisch fort.

»Ich suche das Immobilienbüro Gero Meyer«, antwortete Katharina, die neue Hoffnung schöpfte. »Gehören Sie dazu?«

Das Gesicht ihrer Gesprächspartnerin verdüsterte sich augenblicklich. »Gero? Der ist weg«, erwiderte sie kurz angebunden und wandte sich ab, um ihr Büro zu betreten.

»Wissen Sie denn, wo ich ihn finden kann?«, rief Katharina schnell, bevor die Spanierin die Tür von innen schließen konnte.

Der flehentliche Unterton ihrer Stimme musste etwas in der Frau berührt haben, sie öffnete die Tür wieder und bat sie mit einer Kopfbewegung herein. »Nehmen Sie Platz. Einen Kaffee?«

»Oh ja, gerne«, erwiderte Katharina dankbar und betrat das zweckmäßig eingerichtete Büro. Der vertraute Geruch von Papier, Druckertoner und Kaffee schlug ihr entgegen. Vermutlich rochen Büros weltweit so.

In einer einzigen fließenden Bewegung, die jahrelange Übung verriet, drehte die Spanierin die Lamellenvorhänge so, dass Tageslicht hereinfiel, schaltete im Vorbeigehen Computer und Kaffeevollautomat ein, drückte im hinteren Bereich ein paar Knöpfe, woraufhin Klimaanlage und Deckenbeleuchtung ansprangen, und brachte auf dem Weg zurück zum Schreibtisch einige Faxausdrucke, sowie eine Tasse Kaffee mit, die sie Katharina reichte.

Als auch sie selbst mit einem dampfenden Café solo versorgt war, blickte sie Katharina fragend an. »Gero Meyer suchen Sie also? Darf ich fragen, wieso?«

»Natürlich. Heute wäre mein erster Arbeitstag bei ihm. Ich sollte im Büro seiner Immobilienagentur anfangen«, erläuterte Katharina bereitwillig.

Ein mitleidiger Ausdruck trat auf das Gesicht der Spanierin.

»Das bedaure ich sehr«, sagte sie. »Ich fürchte, Sie müssen sich einen neuen Job suchen. Gero Meyer ist weg.«

Katharina glaubte noch immer an ein Missverständnis. »Wie, weg? Sie meinen, er ist umgezogen? Wissen Sie denn wohin?«

»Nein, meine Liebe«, antwortete die Frau. »Er ist abgehauen. Untergetaucht. Mein Chef wüsste selber gerne, wo er steckt, denn er schuldet ihm noch Miete. Das Büro drüben gehört auch meinem Boss«, setzte sie erklärend hinzu. »Man munkelt, Gero habe Schulden bei den falschen Leuten gemacht und musste schnellstens die Insel verlassen. Nachdem ich die Männer gesehen habe, die hier einige Tage nach seinem Verschwinden auftauchten, glaube ich, dass die Geschichten stimmen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Der ist ganz fort. Sie müssen sich etwas anderes suchen.«

Katharina hatte das Gefühl, einen Kübel Eiswasser über den Kopf bekommen zu haben. Verstört blickte sie in Richtung der gegenüberliegenden Tür, als könne sie mit purer Willenskraft den leeren Raum möblieren und ihren Job zurückholen.

Das Telefon klingelte und die Spanierin wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln ihrer Arbeit zu. Katharina stand auf und bedankte sich mit einem Kopfnicken, bevor sie wie betäubt auf den Bürgersteig hinaustrat.

Die Luft waberte erhitzt durch die schmalen Straßen der Hauptstadt, in deren Enge die hohen Hauswände das letzte bisschen Sauerstoff aus ihr herauspressten. Nach wenigen Schritten klebte die cremefarbene Bluse an Katharinas Rücken und das Atmen fiel ihr schwer. Sie riss sich den dunklen Blazer vom Leib und war versucht, ihn wütend auf den Gehsteig zu werfen. Wozu brauchte sie ihn schließlich noch? Jetzt war sie völlig am Ende.

Sie hatte so viel Hoffnung in diesen Neuanfang gesetzt. Der Job schien wie das sprichwörtliche Licht am Ende des sehr dunklen Tunnels, in dem sie sich seit ihrer Trennung befand.

Vielleicht hatte sie sich auch deshalb so bereitwillig in dieses Abenteuer gestürzt, weil sie wusste, wie sehr Dirk es bereute, niemals selbst im Ausland gelebt zu haben. Oft hatten sie darüber gesprochen, wie es wäre, eine kleine Ferienwohnung irgendwo am Meer zu kaufen, um sie später als Altersruhesitz zu nutzen. Sie hatte den sehnsuchtsvollen Ausdruck in seinen Augen gesehen und konnte nicht leugnen, den Neid in Dirks Miene mit Genugtuung registriert zu haben, als sie ihm von ihren Plänen berichtete. Dirk hatte sich natürlich schnell wieder unter Kontrolle. Er war stets der beherrschte Typ gewesen.

Kühl hatte er die Augenbrauen hochgezogen und gönnerhaft gesagt: »Na, wenn du dir das mal alles gut überlegt hast, dann viel Erfolg.« Seine Stimme hatte keinerlei Zweifel daran gelassen, wie wenig er ihr diesen Schritt zutraute.

Ihm gegenüber jetzt ihr Scheitern einräumen zu müssen, wäre wie ein Dolchstoß ins Herz. Allein bei dem Gedanken an den süffisanten Blick, den er ihr zuwerfen würde, fühlte sie sich elend. Aber ihre Ersparnisse reichten nicht lange aus. Das Apartment war bereits für den gesamten Monat bezahlt, ein offenes Rückflugticket hatte sie zum Glück zusammen mit dem Hinflug gekauft, damit im allerschlimmsten Fall wenigstens ihre Heimkehr gesichert war. Dennoch würde sie höchstens noch vier Wochen bleiben können. Verdammt – sie wollte nicht schon wieder als Verliererin vor Dirk stehen! Katharina schnaufte unwillkürlich so zornig, dass ein vorbeieilender Mann erschreckt einen Schritt zur Seite machte.

Wie in Trance lief sie durch die Straßen. Ihre Beine fanden allein den Weg zur Playa reducto, dem Strand der Inselhauptstadt, und von dort weiter zur Bushaltestelle. Zahlreiche Urlaube hatten für eine ausreichende Ortskenntnis gesorgt, und so konnte sie sich ihren Gedanken hingeben. Als der Bus sie vor der Biosfera, dem großen Einkaufszentrum in Puerto del Carmen, ausspuckte, stand ihr Entschluss fest: Sie würde sich von dem Rückschlag nicht unterkriegen lassen und die verbleibende Zeit auf Lanzarote nutzen, um Kontakte zu knüpfen. Irgendetwas ergäbe sich mit Sicherheit und wenn nicht, konnte sie in vier Wochen noch immer Trübsal blasen und ihre Rückflugoption in ein Ticket eintauschen.

 

 

***

 

Die nächsten Tage brachten Ernüchterung.

Katharina war pausenlos unterwegs. Sie hatte auf ihrem altersschwachen Netbook Bewerbungen geschrieben und für eine absurde Summe in einem Copyshop drucken lassen, doch am Ende eines jeden langen Tages war sie die meisten ihrer Mappen nicht einmal losgeworden.

Sie stellte sich in unzähligen Hotels vor. Die Dialoge waren immer die gleichen.

Nein, Erfahrung im Hotelgewerbe hatte sie keine, aber sie war pünktlich und zuverlässig und mit Büroarbeit vertraut. Aha, also in dieser Saison nicht mehr. Ja, danke trotzdem.

Einige wenige Personalchefs hatten ihre Bewerbungsunterlagen entgegengenommen, doch Katharina war sich nicht sicher, ob sie das nicht nur aus Mitleid machten. Und es half ihr auch nicht, denn sie brauchte die Anstellung nicht irgendwann, sondern jetzt. Aber so viel sie auch herumfragte und im Internet suchte – Bürojobs waren offenbar eine Rarität.

An diesem Abend saß Katharina besonders lange im Rinconcito Ico. Der Ort war mittlerweile ein vertrauter Verbündeter im Kampf gegen die Einsamkeit ihres Appartements geworden. Hatte sie es in den ersten Tagen noch genossen, vom Sofa aus dem Treiben auf der Straße zu lauschen und sich als Teil des Ganzen empfunden, fühlte sie sich mit jeder Absage und jedem bedauernden Kopfschütteln ausgestoßener, und inzwischen sehnte sie sich nach Geborgenheit und Freundschaft.

Ihre Kraft war erschöpft. Sie hatte heute ihre letzte Bewerbungsrunde gedreht und war nun so weit, sich ihr Scheitern einzugestehen. Es blieben Stellenangebote im Supermarkt oder im Service, doch sie wollte nicht nur einige Monate lang jobben, sondern sich ein neues Leben aufbauen und sah keine Perspektive in diesen Aushilfsjobs. Es war vernünftiger, nach Deutschland zurückzukehren und ihre Energie in den Neuanfang dort zu stecken. Natürlich würde Dirk sie mit Häme überschütten, das musste sie irgendwie mit zusammengebissenen Zähnen überstehen.

»Cacahuetes?« Freundliche Augen blickten sie fragend an. Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie wollte keine Erdnüsse mehr. Sie bestellte allerdings einen weiteren Rotwein. Der Blick wurde noch fragender, doch sie lächelte nur unverbindlich zurück und konzentrierte sich wieder darauf, das Glas unablässig zwischen ihren Händen zu drehen. Vermutlich hielt ›Ico‹, wie sie den Wirt nannte, weil sie seinen Namen nicht wusste, sie für ziemlich verschroben. Abend für Abend saß sie stumm bei einem Glas Wein und sah mit jedem Tag deprimierter aus. ›Ico‹ konnte natürlich nicht sein richtiger Name sein. So hieß eine einstige Guanchenprinzessin, es war also ein weiblicher Name der kanarischen Ureinwohner.

»Ignacio« sagte er plötzlich und reichte ihr die Hand über die Theke.

»Nina«, antwortete sie automatisch. So hatte sie lange niemand mehr genannt, aber es fühlte sich in der lockeren Urlaubsatmosphäre passender an als das steife ›Katharina‹.

»Encantado«, lächelte Ignacio ihr zu. Sie war ebenfalls erfreut, ihn kennenzulernen. Endlich ein Mensch, der sie für einen Moment aus der Einsamkeit riss. Der Wein zeigte allmählich Wirkung und sie lächelte zurück – vielleicht eine Spur zu strahlend, wenn sie Ignacios vergnügtes Augenzwinkern richtig deutete. Egal – sie hatte soeben beschlossen, die restlichen Wochen auf der Insel zu genießen. An den Strand zu gehen. Ferien zu haben, wie alle Leute um sie herum auch.

Den Gedanken an Deutschland würde sie ganz weit in den Hintergrund verbannen und zwei Wochen lang einfach leben und Spaß haben.

Sie erwiderte seinen feurigen Blick.

Bevor jedoch etwas geschehen konnte, das heute dem Wein geschuldet und ihr morgen peinlich sein würde, kam eine Gruppe gut gelaunter neuer Gäste in die Bar und beanspruchte Ignacios ganze Aufmerksamkeit. Katharina zahlte schnell und verließ das Riconcito und die Idee, heute noch etwas Unüberlegtes zu tun.

 

Vor der Tür atmete sie tief durch, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die kühle Abendluft, die den Geschmack von Salz auf ihre Zunge legte, tat gut, und so entschied Katharina sich für einen Umweg und folgte der Straße bis zur Playa Chica. Das Glitzern des Mondlichts auf dem Meer zog sie magisch an. Sie setzte sich auf die Treppenstufen, die zum Strand hinabführten, und spielte gedankenverloren mit den Füßen im Sand. In diesem Moment bedauerte sie zutiefst, dass ihr Aufenthalt zu nichts anderem als einem Urlaub geführt hatte. Wie schön musste es sein, jeden Abend hier sitzen und auf die See blicken zu können. Erst als ihre Arme vom Wind mit einer Gänsehaut überzogen wurden, erhob sie sich fröstelnd. Es war spät geworden, und wenn sie morgen den ersten richtigen Strandtag seit ihrer Ankunft verleben wollte, durfte sie nicht verschlafen.

Die Straßen waren inzwischen menschenleer. Vereinzelte Straßenlaternen bemühten sich, helle Flecke auf den Bürgersteig zu werfen, um die letzten Heimkehrer sicher nach Hause zu führen. Dazwischen klafften jedoch riesige schwarze Lücken, in denen Katharina aufpassen musste, nicht in eines der Schlaglöcher zu treten. Fast hätte sie die Schuhe nicht bemerkt, die vor ihr auf dem Weg lagen. Sie konnte den Fuß gerade noch daneben aufsetzen und griff haltsuchend an eine kleine Gartenmauer, sonst wäre sie gestürzt.

Dann wurde ihr bewusst, dass das Hindernis nicht nur aus einem Paar hochhackiger Schuhe bestand, sondern eine Frau vor ihr lag, deren Körper sich seitlich in einem Hauseingang befand. Nur die Beine ragten auf den Bürgersteig.

Da hat aber jemand zu tief ins Glas geschaut, dachte Katharina. Dennoch wollte sie sich vergewissern, ob die Frau nur vor ihrer Haustür eingeschlafen war oder Hilfe benötigte.

Sie kramte nach ihrem Schlüssel, an dem eine kleine Taschenlampe baumelte. Als sie neben der Frau in die Hocke ging und ihr ins Gesicht leuchtete, blinzelte diese irritiert. Katharina sah ein Rinnsal getrockneten Blutes, das aus einer Kopfwunde ausgetreten war. Glücklicherweise schimmerte die Verletzung nur noch feucht und schien sich bereits von selbst zu schließen.

»Brauchen Sie Hilfe?«, sprach Katharina die Frau auf Englisch an. Dem Aussehen nach war die Verletzte Britin und deren Antwort bestätigte diese Vermutung.

»Nein, alles okay, danke«, antwortete die Frau mit einer überraschend deutlichen Aussprache. Betrunken war sie offenbar nicht, nur immer noch ziemlich benommen. Sie schaffte es kaum, sich aufzusetzen und akzeptierte bereitwillig Katharinas dargebotene Hand. Vorsichtig betastete sie danach ihren Kopf und verzog schmerzvoll das Gesicht, als sie die verletzte Stelle erreichte. Sie stöhnte auf und fluchte leise. »Ich bin gestolpert und hingefallen«, erklärte sie. »Vermutlich hätte ich besser auch andere Schuhe getragen.« Sie deutete auf die Sneaker, die Katharina trug, und blickte anklagend auf ihre Pumps mit den viel zu schmalen Absätzen.

»Können Sie aufstehen? Oder soll ich einen Krankenwagen rufen?«, erkundigte sich Katharina.

Die Britin wirkte entsetzt. »Nein, bloß keinen Krankenwagen! Da bin ich ja schon pleite, bevor ich nur einen Arzt sehe!« Sie grinste schief. »Ich habe keine Auslandskrankenversicherung«, fügte sie düster hinzu.

Mit Katharinas Hilfe gelang es der Frau aufzustehen, doch Katharina entging das leichte Schwanken nicht. Schnell griff sie den Arm der Verletzten, um sie zu stützen. Diese lächelte dankbar. »Sie müssen denken, ich habe zu viel getrunken«, sagte sie. »Aber das stimmt nicht. Allerdings fühlt sich mein Kopf wirklich gerade so an, als hätte ich.«

»Wenn Sie laufen können, begleite ich Sie nach Hause. Ich habe ein schlechtes Gefühl, Sie allein gehen zu lassen.« Katharina betrachtete skeptisch die unbeholfenen Versuche der Frau, auf den Beinen zu bleiben. »Wohnen Sie weit von hier? Oder kann ich jemanden anrufen?«

»Oberhalb des Hafens«, antwortete sie. »Ich bewohne das Apartment allein. Aber mir geht es schon wieder besser.«

Sie klammerte sich mit einem Arm an Katharina, während sie sich mit dem anderen an der Mauer abstützte, und sah dennoch nicht besonders standfest aus. Als ein Taxi in die Straße bog, zögerte Katharina deshalb nicht lange.

»Festhalten«, kommandierte sie und legte auch die zweite Hand der Frau auf die Mauer. Dann trat sie auf die Straße und winkte das Taxi herbei.

Nachdem sie der Frau beim Einsteigen geholfen hatte, blickte sie sie fragend an. »Wohin müssen Sie genau?«

Die Britin antwortete mit einem Schulterzucken. »Ich weiß nicht. Ich kenne nur den Fußweg. Der Straßenname ist so kompliziert und der Zettel, auf dem er steht, liegt in meinem Apartment.« Die Frau sah so hilflos aus, dass Katharina seufzte.

»Okay, dann fahren wir zu mir«, entschied sie kurzerhand und nannte dem Fahrer ihre Adresse, während sie auf die Rückbank schlüpfte.

Mit Hilfe des Fahrers, dem sie das mit einem üppigen Trinkgeld dankte, gelang es, die Frau in Katharinas Apartment zu bringen und auf ihr Bett zu legen.

»Danke«, murmelte die Britin und schloss die Augen.

Während Katharina darüber nachdachte, ob sie die Verletzte noch irgendwie versorgen sollte, verrieten tiefe Atemzüge, dass ihr Gast bereits eingeschlafen war. Katharina zog die zweite Garnitur Bettwäsche aus dem Schrank und machte es sich auf dem ausziehbaren Sofa im Wohnzimmer gemütlich.

 

Am nächsten Morgen wurde sie wach, als jemand durch das Apartment huschte und dann die Tür zum Badezimmer schloss. Erschreckt fuhr sie hoch, bis ihr die Geschehnisse des gestrigen Abends wieder einfielen. Sie ließ sich in das Kissen zurückfallen und schaute auf die Uhr. Es war fast halb zehn! Die Idee, früh am Strand zu sein, konnte sie vergessen.

Ihr Übernachtungsgast hatte sich offenbar erholt, jedenfalls schien sie nicht im Bad zu kollabieren. Kurz darauf tauchte ein verstrubbelter Kopf in der Badezimmertür auf. »Guten Morgen, ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt.« Das Gesicht hatte deutlich mehr Farbe als in der vergangenen Nacht, das getrocknete Blut hatte die Frau abgewaschen.

Katharina lächelte zurück. »Kein Problem. Möchtest du duschen? Im Schrank sind Handtücher, nimm dir eins.« Ihr Blick fiel auf den roten Fleck auf Schulterhöhe des verknitterten Shirts, das die Frau trug. »Mit dem getrockneten Blut kannst du nicht auf die Straße. Ich leihe dir eins von meinen T-Shirts.«

Wenig später saßen die beiden am Frühstückstisch. Die Fremde hatte sich als Heather vorgestellt, und bald schon plauderten sie wie alte Freundinnen miteinander. Heather war auf Lanzarote, um ihre Tochter Elaine zu besuchen, die hier lebte und in der Tourismusbranche arbeitete. »Aber sie wohnt viel zu einsam. Noch hinter Costa Teguise«, erklärte Heather. »Deshalb habe ich das Apartment in Puerto del Carmen gemietet. So kann ich mein eigenes Ding machen und wir gehen uns nicht auf die Nerven.«

Katharina war erstaunt, als sie erfuhr, dass Elaine nur wenige Jahre jünger als sie selbst war. Heather lachte. »Ja, ich war sehr jung, als ich schwanger wurde. Viele halten uns für Schwestern und mir gefällt’s.«

Nach dem Frühstück verabschiedete sich Heather, allerdings bestand sie darauf, Katharina zum Abendessen einzuladen.

»Passt dir acht Uhr heute Abend? Wir holen dich ab!«

Mit diesen Worten umarmte sie Katharina und lief die Treppe hinunter.

 

Als es um kurz vor acht unter ihrem Balkon langanhaltend und sehr nachdrücklich hupte, blickte Katharina auf die Straße. Unten stand ein Opel Corsa und aus dem Beifahrerfenster winkte Heather und rief »Komm runter. Hier gibt es keinen Parkplatz.«

Katharina eilte nach unten. Heather hatte inzwischen auf der Rückbank des schon etwas in die Jahre gekommenen Autos Platz genommen, sodass Katharina sich rasch auf den Beifahrersitz fallen ließ.

»Hallo, ich bin Elaine«, stellte sich die Fahrerin vor, während sie bereits Gas gab, um dem wütenden Hupkonzert der Autoschlange zu entkommen, die sich hinter ihr gestaut hatte.

Katharina verstand sofort, warum die Leute Heather und Elaine häufig für Schwestern hielten. Beide hatten die blonden Haare zu einem Bob geschnitten, hatten in etwa die gleiche sportliche Figur und ihre blauen Augen blitzten unternehmungslustig. Heather hatte die vergangene Nacht offenbar gut überstanden.

»Ich bin okay, nur der Kopf dröhnt noch ein bisschen«, beantwortete sie Katharinas Frage. »Was mich aber selbstverständlich nicht davon abhält, mit meiner Retterin heute gut Essen zu gehen.«

»Wohin fahren wir eigentlich?«, erkundigte sich Katharina.

»Es gibt ein tolles Restaurant in der Nähe von Uga«, antwortete Elaine. »Ein echter Geheimtipp. Sie haben dort sehr ausgefallene Tapas und beziehen ihren Wein direkt von der hauseigenen Bodega. Du weißt, dass das Weinanbaugebiet ›La Geria‹ direkt hinter Uga beginnt?«

Katharina nickte. »Ja, das weiß ich. Der Wein gilt als besonders gut, auch wenn ich zugeben muss, dass ich keine Weinkennerin bin.«

»Bin ich auch nicht«, lachte Elaine. »Aber dass er hervorragend schmeckt, merke selbst ich.«

 

Wenige Minuten später saßen die drei in Elaines Geheimtipp in einer gemütlichen Ecke und nippten an ihrem Wein. Elaine hatte Katharina überschwänglich für die Hilfe in der vergangenen Nacht gedankt. Diese hatte abgewunken, etwas von »Selbstverständlichkeit« gemurmelt, und das Eis war gebrochen. Katharina fühlte sich das erste Mal seit ihrer Ankunft auf Lanzarote richtig wohl.

Die Tapas, die sie ausgewählt hatte, erwiesen sich als Volltreffer und der Wein rundete den Genuss ab. Das Schönste an diesem Abend war jedoch das Gefühl, mit Freunden zusammenzusitzen. Katharina hatte das nicht nur in den zwei Wochen auf der Insel vermisst, sondern wenn sie ehrlich war, auch die Monate zuvor. Seit der Trennung von Dirk war ihr bewusst geworden, wie wenig echte Freunde sie hatte. Die meisten dieser sogenannten Freunde waren gemeinsame Bekannte von Dirk und ihr gewesen, die sich nach der Trennung unbehaglich zurückgezogen hatten. Sie selbst war ebenfalls auf Abstand gegangen, weil sie alles vermieden hatte, was sie irgendwie an Dirk erinnerte.

»Wo bist du denn gerade mit deinen Gedanken?« Elaine hatte Katharinas geistesabwesenden Gesichtsausdruck bemerkt.

»Gar nicht so weit weg«, antwortete sie. »Mir ist soeben aufgefallen, wie sehr ich einen solchen Abend vermisst habe.«

Heather strahlte. »Dann habe ich mir ja das Richtige einfallen lassen, um mich zu bedanken. Und wenn du möchtest, können wir das gerne wiederholen. Mir ist, als würden wir uns schon ewig kennen. Wie lange bleibst du noch auf der Insel?«

Katharina schluckte. Sollte sie mit den beiden offen über ihre Situation sprechen? Eigentlich kannte sie sie ja kaum. Sie entschied sich für einen Mittelweg. »Vermutlich noch zwei Wochen«, antwortete sie deshalb.

Elaine war die eigentümliche Wortwahl nicht entgangen. »Vermutlich? Das heißt, du weißt nicht, wie lange du Urlaub machst?« Sie runzelte die Stirn. »Ich will natürlich nicht zu neugierig sein, aber das klingt ungewöhnlich. Verrätst du, was dahinter steckt?«

Katharina nahm einen Schluck Wein und nickte dann. »Es ist alles etwas komplizierter«, leitete sie ihre Geschichte ein und erzählte, warum sie auf die Insel gekommen war und nun doch nicht bleiben konnte.

Am Ende der Schilderung blickte Elaine sie verständnisvoll an. »Bürojobs sind in der Tat selten. Die Wirtschaftskrise hat auch vor den Kanaren nicht Halt gemacht. Selbst Jobs in der Tourismusbranche sind derzeit rar, weil alle ihre Planungen für die Saison abgeschlossen haben. Das tut mir wirklich leid für dich.« Dann lächelte sie aufmunternd. »Aber ich höre mich mal um. Lass uns die Mobilnummern austauschen, ich melde mich, falls sich etwas ergibt.«

3.

Zwei Tage später rief Heather an. Sie verabredeten sich für den Abend am Hafen. »Und – hast du schon jemanden erreicht?«, erkundigte sich Heather anschließend.

»Wie? Wen erreicht? Warum?« Katharina runzelte die Stirn.

»Sag bloß nicht, du hast noch immer nicht mit Elaine gesprochen?«, tönte es empört aus dem Hörer. »Elaine hat mir schon vor Stunden gesagt, sie rechne jeden Moment mit deinem Rückruf!«

»Ich komme gerade vom Strand und hatte das Handy bis zu deinem Anruf noch gar nicht in der Hand«, verteidigte sich Katharina. »Was gibt es denn?« Plötzlich kribbelte es in ihrem Magen.

»Ruf sie an, dann hörst du es«, flötete Heather munter und legte einfach auf.

Nervös suchte Katharina Elaines Namen in der Liste. Dabei sah sie, dass sie tatsächlich drei Anrufe in Abwesenheit, eine SMS und zwei Whatsapp-Nachrichten hatte. Es schien wirklich dringend zu sein. Hoffentlich war sie nicht zu spät dran – für was auch immer.

»Na endlich«, meldete sich Elaine anstelle einer Begrüßung. »Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr auf der Insel bleiben.«

Katharina hörte den vergnügten Unterton. »Hast du etwa was für mich?«, fragte sie atemlos.

»Versprechen kann ich natürlich nichts, aber immerhin ist es eine Chance.«

 

***

 

Bereits am folgenden Nachmittag saß Katharina mit weichen Knien am Steuer ihres kleinen Mietwagens. Nach dem Gespräch mit Elaine war alles so schnell gegangen, dass Katharina es noch gar nicht richtig begriffen hatte.

Direkt nach dem Telefonat mit Elaine hatte sie mit zitternden Fingern die Nummer gewählt, die diese ihr genannt hatte, aufgeregt, weil so viel davon abhing. Als sich eine warme Männerstimme meldete, hatte sie plötzlich eine trockene Kehle und war sich nicht sicher, ob das nur an der Wichtigkeit des Gesprächs lag. Zum Glück half ihr die jahrelange Berufserfahrung. Katharina schaffte es, in den professionellen Modus umzuschalten, obwohl es sie irritierte, wie sehr ihr Körper auf den angenehmen Klang der Stimme reagierte. Deutlich selbstbewusster, als sie sich fühlte, trug sie ihr Anliegen vor.

Und nun war sie in dem kleinen Fiat Panda, den sie heute Vormittag noch schnell angemietet hatte, auf dem Weg zu Konstantin Schwarz, ihrem – mit etwas Glück – zukünftigen Chef.

»Ich hoffe, es erschreckt Sie nicht, wenn ich Sie gleich zu mir einlade«, hatte Konstantin Schwarz gesagt und Katharina meinte, ein Schmunzeln in seiner Stimme zu hören, »aber ich arbeite von zu Hause aus und das Firmenbüro ist hier.«

Dann hatte er ihr erklärt, wie sie zu ihm kam, weil ohnehin kein Navi den Weg zu seinem Haus fand. Katharina hatte sich die Wegbeschreibung gut eingeprägt und fuhr nun konzentriert in Richtung La Geria. Sie hatte kaum einen Blick für die perfekte Sicht, die sich heute auf die Nachbarinseln Los Lobos und Fuerteventura bot. Die Dünen von Corralejo strahlten ungewöhnlich weiß über das Meer. Wenig später führte die Strecke in einem Bogen ins Landesinnere und sie erreichte den Kreisverkehr nach Femés und La Geria. Hier bog sie in die Straße ein, die sich kilometerweit durch das Weinanbaugebiet zog.

Der kontrastreiche Anblick der sprießenden Weinreben im Zentrum dunkler Mulden faszinierte Katharina jedes Mal von Neuem. Die Lavakuhlen wirkten, als seien sie von einem riesigen Daumen in den schwarzen Kies gedrückt worden.

Da sie überpünktlich war, hielt sie an und gab sich für einen Moment dem Genuss hin, die Gegend zu betrachten. Die bizarre Landschaft erschien wie moderne Kunst auf dem Mond. Eine Installation aus schwarzen Kreisen, ein jeder mit einem grünen Punkt in der Mitte, die sich bis zum Horizont erstreckte. Ein Gesamtkunstwerk, das eigentlich keines war, sondern das Produkt harter Arbeit. Denn nur so gelang es, die empfindlichen Weinpflanzen vor den Passatwinden zu schützen und vor dem Austrocknen zu bewahren. Katharina dachte an die Bauern, die vor 250 Jahren aus der Not heraus begonnen hatten, diese Art des Trockenfeldbaus zu entwickeln. Sie grinste bei der Vorstellung, ihnen hätte damals jemand gesagt, ihre unter größter Anstrengung urbar gemachten Ascheflächen würden Jahrhunderte später eine Kunstauszeichnung vom Museum of Modern Art in New York erhalten.

Sie konnte sich kaum losreißen, doch allmählich drängte die Zeit. Nach wenigen Kilometern ging links ein Weg ab. Katharina fluchte leise, als ihr kleiner Fiat über die Furchen und Schlaglöcher hüpfte. Sie hatte aus Kostengründen auf eine Zusatzversicherung für die Reifen verzichtet und hoffte, das nicht in einigen Minuten bereuen zu müssen.

Die Strecke zu Konstantin Schwarz' Haus zog sich ewig, weil sie ohne Geländewagen nur im Schneckentempo vorwärtskam. Katharina blickte nervös auf die Uhr. Vielleicht hätte sie den kurzen Stopp vorhin doch nicht einlegen sollen, aber sie hatte noch so viel Zeit gehabt und wollte auch keinesfalls überpünktlich sein. Erleichtert atmete sie auf, als sie nach einer Rechtskurve am Ende des Wegs ein langgestrecktes, zweistöckiges Gebäude erblickte. Da es das einzige weit und breit war, musste es sich um ihr Ziel handeln.

Der Weg verbreiterte sich zu einem Platz, auf dem Katharina ihren tapferen Wagen abstellte und ausstieg. Bis auf eine dicke Staubschicht hatte das Auto den Hinweg offenbar überstanden und Katharina schickte vorsorglich für den Rückweg ein Stoßgebet gen Himmel, bevor sie sich dem Tor näherte.

Eine hohe Trockenmauer aus ungleichen Lavabrocken umgab das Grundstück. Vor Katharina wölbte sich ein Torbogen über einem schmiedeeisernen Gitter. Neben dem Tor war an der Mauer oberhalb eines Klingelknopfs der ebenfalls geschmiedete Namenszug ›Schwarz‹ angebracht. Sie war also richtig – und zudem pünktlich, wie sie sich mit einem Blick auf die Armbanduhr versicherte. Katharina strich noch einmal ihren Blazer glatt und überprüfte den Sitz des Kragens ihrer Bluse, die dunkelblaue Hose und die Schuhe. Kein Fleck, keine Fluse. Alles war einem Bewerbungsgespräch angemessen. Sie holte tief Luft und schellte.

Ein knarziges Geräusch kam aus einem der Steine. Eine Gegensprechanlage, erkannte Katharina nach genauerem Hinsehen. So geschickt in die Mauer integriert, dass sie nicht auffiel.

»Katharina Vehrmann nehme ich an?«, ertönte es blechern aus dem Lautsprecher. Katharina lächelte. Trotz des verzerrten Klangs erkannte sie Konstantin Schwarz' Stimme wieder. Sie war gespannt, zu welchem Mann diese angenehme Stimme gehörte. Ohne Katharinas Antwort abzuwarten, erklang das Summen des Türöffners, begleitet von der Anweisung, sich an der Abzweigung links zu halten.

Der schon fast betäubende Duft eines Blumenmeeres empfing Katharina auf dem Grundstück. Sie hatte keine Ahnung von Pflanzen und erkannte gerade einmal die knallroten Hibiskusblüten, die sich hier mit unzähligen weiteren Blumen und Sträuchern zu einem Farbenrausch gruppierten. Das hatte sie hinter den dicken Mauern nicht erwartet. Sie wurde immer neugieriger auf den Mann, dem die nette Stimme und dieser Garten gehörten. Aber vielleicht war ja auch seine Frau für dieses Paradies verantwortlich.

Als der Weg sich gabelte, folgte sie einem Pfeil nach links, der ›Viajes Schwarz‹ auswies. Kurz darauf stand sie vor einer rustikalen Tür. Sie wollte gerade klopfen, als die Tür von innen geöffnet wurde und ein Mann im Türrahmen erschien. Er war lässig mit weißen Sneakern, einer hellbeigen Leinenhose und einem sportlichen weißen Hemd gekleidet, das einen Kontrast zu seiner gebräunten Haut bildete. Strahlend lächelte er sie an.

»Katharina, wie schön, dass Sie den Weg gefunden haben. Ich bin Konstantin Schwarz«, begrüßte er sie so freudig, als sei sie eine alte Freundin.

Katharina befand sich sofort in seinem Bann. Sie musste aufpassen, ihn nicht mit offenem Mund anzustarren. War der Klang am Telefon schon angenehm gewesen, so streichelte seine Stimme jetzt sanft Katharinas Sinne. Der Tonfall war warm und dunkel und gleichzeitig fest und bestimmt. Damit passte er perfekt zu seinem Auftreten. Konstantin Schwarz war groß, sicherlich einen Kopf größer als sie. Er schaffte es, mit aufrechter Haltung trotzdem entspannt zu wirken, als er ihr die Hand reichte, und sie ins Innere des Büros leitete, das sich hinter der Tür verbarg.

»Bitte, nehmen Sie doch Platz.«

Während Konstantin Schwarz auf die andere Seite des Schreibtischs ging, hatte Katharina Gelegenheit, einen längeren Blick auf sein Profil zu werfen. Seine gerade Nase und die gleichmäßigen Gesichtszüge wären schon fast zu makellos gewesen, wenn ihn nicht die ersten Anzeichen ergrauender Schläfen im sonst braunen Haar und der Schatten eines Dreitagebarts interessanter gemacht hätten. Jetzt richteten sich die grauen Augen ihres Gegenübers fragend auf sie und Katharina konzentrierte sich rasch auf einen Punkt hinter seiner Schulter. Ein wissendes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Katharina fühlte sich ertappt, aber ließ sich nichts anmerken. Wenn sie eines während der unzähligen Stunden in diversen Gerichtssälen gelernt hatte, dann war es, einen stoischen Gesichtsausdruck zu bewahren, selbst wenn sich ein Fall suboptimal entwickelte. Sie lächelte also freundlich zurück, bemüht, Seriosität und Zuverlässigkeit auszustrahlen.

Als Konstantin Schwarz anfing, über die Arbeit zu reden, klang seine Stimme neutral. Der Moment, in dem es kurz zwischen ihnen geknistert hatte, war verflogen und Katharina war dankbar dafür. Von dem Ausgang dieses Gesprächs hing ihre Zukunft ab, da konnte sie keinerlei Ablenkung gebrauchen. Ihr zukünftiger Arbeitgeber fragte sie nach dem beruflichen Werdegang, nach Hobbys und intensiv nach sportlichen Aktivitäten, gab sich mit dem ›Wunsch nach Neuorientierung‹ als Erklärung für ihre Arbeitsplatzsuche auf Lanzarote zufrieden und betrachtete dann eingehend ihre Bewerbungsmappe mit den Zertifikaten über diverse Fremdsprachenkurse. Katharina wurde immer nervöser und zupfte trotz aller Vorsätze, ruhig und beherrscht aufzutreten, rastlos unsichtbare Fusseln von ihrem Blazer, bis Konstantin Schwarz endlich die Bewerbungsunterlagen aus der Hand legte, und lächelnd den Kopf hob.

»Da wäre nur noch ein Punkt zu klären …«, sagte er.

»Nämlich?«

»Würden Sie heute mit mir essen gehen, um Ihren neuen Arbeitsvertrag angemessen zu feiern?«

 

***

 

Katharina starrte in die hellgoldene Flüssigkeit. Der Wein schmeckte vorzüglich, das erkannte sie auch ohne besondere Sachkunde. Konstantin hatte ihn ausgewählt, ebenso wie er entschieden hatte, den Fisch des Tages zu probieren. Katharina hatte ihn machen lassen, froh darüber, keine eigenen Entscheidungen treffen zu müssen. Zu sehr waren ihre Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt.

Sie war glücklich, die Anstellung bekommen zu haben, doch schon beschlichen sie Zweifel. Das Kribbeln war nicht zu leugnen, das sie durchfuhr, sobald Konstantin sie zufällig berührte. Als er ihr gerade die Hand an den Rücken gelegt hatte, um sie sanft zu ihrem Tisch zu dirigieren, waren Stromstöße durch ihren Körper gefahren. Von den Gefühlen ganz zu schweigen, die seine Stimme in ihr auslöste. Er hätte ihr das Telefonbuch vorlesen können, sie hätte dabei an seinen Lippen gehangen. Irgendwann zwischen Vorspeise und Hauptgang hatte er darauf bestanden, sich zu duzen, und blickte Katharina tief in die Augen, die nicht anders konnte, als dümmlich wie ein Backfisch beim ersten Date zurückzulächeln. Nein, es war keine gute Idee, für ihn zu arbeiten. Wenn sie eine Sache aus der unglückseligen Ehe mit Dirk gelernt haben sollte, dann war es, nie wieder berufliche Zusammenarbeit und eine Beziehung miteinander zu verknüpfen. Und dass sie auf dem besten Weg war, sich Hals über Kopf in Konstantin Schwarz zu verlieben, stand außer Frage.

»Du siehst plötzlich so ernst aus. Stimmt etwas nicht?«, fragte Konstantin mit einem Mal.

»Ähm … nein … ich bin nur ein bisschen müde, denke ich.« Katharina lächelte entschuldigend. Sie konnte ihm schließlich unmöglich erzählen, was ihr gerade wirklich durch den Kopf ging.

»Dann weiß ich genau das Richtige für dich.« Konstantin winkte den Kellner herbei, bestellte zwei Carajillo sowie die Rechnung und wandte sich lächelnd an Katharina. »Danach machen wir einen Spaziergang. An der frischen Luft wirst du bestimmt wieder munter.«

Katharina dachte an die Pumps, die sie trug, aber nickte ergeben. Frische Luft hörte sich tatsächlich gut an. Um die Nervosität zu überspielen, hatte sie das erste Glas Wein viel zu hastig getrunken und merkte die Wirkung deutlich. Wenn sie nun nach dem zweiten Glas Wein noch den Carajillo, einen Kaffee mit Brandy, trinken würde, wäre ein Spaziergang mehr als sinnvoll.

 

Als sie wenig später zu seinem SUV gingen, warf Konstantin einen prüfenden Blick auf Katharinas Schuhe. »Sag mal, ich weiß, dass Frauenhandtaschen wahre Raumwunder sind. Du hast nicht zufällig noch andere Schuhe dabei?«, fragte er skeptisch.

Katharina wedelte mit der kleinen Clutch, die sie trug. »Bei dem Preis sollte man zwar einiges erwarten können, aber magisch sind die Dinger nicht. Mein Aktenmäppchen liegt in meinem Mietwagen bei dir vor dem Haus. Doch selbst darin verstecken sich keine Wanderschuhe.«

Konstantin seufzte theatralisch. »Dann wird unser Spaziergang wohl etwas kürzer ausfallen müssen. Gut, dass ich immer einen Plan B habe.« Er drückte ihr die Fahrzeugschlüssel in die Hand. »Wenn du möchtest, setz dich schon einmal in den Wagen. Ich habe noch etwas zu erledigen.« Er zwinkerte ihr geheimnisvoll zu und verschwand wieder im Restaurant.

Katharina stellte sich ans Auto, stieg jedoch nicht ein. Es tat gut, einen Moment allein auf dem Parkplatz zu stehen, um die Sinne zu sortieren. Sie war auf die Emotionen nicht vorbereitet gewesen, die sie heute überspült hatten. Aufregung wegen des Vorstellungsgesprächs – damit hatte sie gerechnet. Das trat allerdings in den Hintergrund, sobald Konstantin sie auch nur ansah. Katharina hatte keine Ahnung, wann sie das letzte Mal auf einen Mann so reagiert hatte. Verunsichert lehnte sie sich mit dem Rücken an Konstantins Geländewagen und schloss die Augen. Die Luft roch nach Meer. Katharina atmete tief durch. Weit entfernt brummte der Motor eines Autos und irgendwo bellte ein Hund. Der Wind spielte raschelnd mit einer Plastiktüte, die sich in einer benachbarten Mauer aus Lavagestein verfangen hatte. Sonst war es ruhig, und Katharina merkte, wie sich die Stille auch in ihr ausbreitete.

Sicher, es wäre nicht ideal, wenn sie sich in ihren Chef verliebte, aber sie würde jetzt einfach abwarten. Dieser Bürojob in der Tourismusbranche war ein Geschenk des Himmels. Sie wäre verrückt, ihn nicht anzunehmen. Und noch war ja gar nichts passiert. Sie hatten zwanglos zusammen gegessen, über Belanglosigkeiten geredet und abgesehen von dem einen oder anderen Blick, der vielleicht etwas zu intensiv ausgefallen war, hatte Konstantin keinen Hinweis darauf gegeben, in dem Abendessen mehr zu sehen, als eine nette Art, sie willkommen zu heißen. Sie musste sich jetzt zusammenreißen und wenn sie sich nichts anmerken ließ, dann …

»So, da bin ich wieder.«

Katharinas Herz machte einen freudigen Hüpfer, als sie die warme Stimme vernahm. So viel zu den guten Vorsätzen. Sie öffnete die Augen und blickte auf zwei weiße Plastikbeutel. Aus dem einen ragte der Hals einer Weinflasche, aus dem anderen das obere Drittel eines Baguettes. Verwirrt starrte sie auf die beiden Tüten, die in Kopfhöhe vor ihr schwebten und auf die grauen Augen, die dazwischen hervorblitzten.

»Möchtest du die Tragetaschen per Telekinese ins Auto bewegen, oder warum kannst du deine Augen nicht von ihnen wenden? Du hast die Autoschlüssel«, spöttelte Konstantin, als Katharina nicht reagierte. Dass es vielmehr die grauen Augen zwischen den Tüten waren, die Katharina schon wieder aus dem Konzept brachten, würde sie ihm nicht sagen. Schnell drückte sie auf die Fernbedienung und öffnete die hintere Tür, damit Konstantin die Sachen auf die Rückbank legen konnte.

Kurz darauf lenkte Konstantin das Fahrzeug über die mäandernde Straße an den schroffen Lavaklippen von Los Hervideros vorbei in Richtung der Salinen von Janubio. Schäumend brachen sich die Wellen an der wilden Westküste. Tagsüber benutzten Kolonnen von Touristenbussen und Mietwagen die Straße, aber zu dieser späten Stunde herrschte kaum noch Verkehr. Sie konnten sich Zeit lassen, ohne jemanden zu behindern, und rollten mehr, als dass sie fuhren, während sie die spektakuläre Sicht auf das Meer genossen.

»Der Sonnenuntergang ist auf dieser Seite der Insel jeden Tag aufs Neue ein Schauspiel«, sagte Konstantin. »Ich habe zuhause extra eine Terrasse in Richtung Westen anlegen lassen, um abends diesen Anblick bestaunen zu können.«

Seine Stimme klang beinahe ehrfurchtsvoll. Katharina warf ihm einen prüfenden Blick zu. Er hatte seine Worte offensichtlich ernst gemeint und rührte damit etwas in Katharina an, die sich ebenfalls an solch einfachen Dingen erfreuen konnte. Eine Sache, die Dirk nie verstanden hatte. Romantik war in seinen Augen etwas für weichgespülte Softies und die Freude an Sonnenuntergängen fiel ganz eindeutig in diese Kategorie. Nur wirkte Konstantin keineswegs wie ein Schwächling.

Und sie saß hier, hatte vielleicht den perfekten Mann gefunden, der genau auf ihrer Wellenlänge lag und durfte die Gefühle nicht zulassen. Er war ihr Chef und sie wusste nicht einmal, ob er nicht längst vergeben war. Mit Sicherheit war er das, denn so einen Mann ließ sich doch keine Frau durch die Lappen gehen. Unwillkürlich seufzte Katharina auf. Das war nicht fair.

Noch bevor sie weiter über die Ungerechtigkeiten dieser Welt nachdenken konnte, setzte Konstantin den Blinker und hielt auf einem Parkplatz. Zu ihrer Linken lagen die Salinas de Janubio, die auch heute noch zur Salzgewinnung genutzt wurden. Rechts erstreckte sich das Meer unter dem rötlich schimmernden Horizont.

»Schau, der Himmel färbt sich langsam, wir sollten uns beeilen, wenn wir noch einen Platz in der ersten Reihe haben wollen.« Schmunzelnd deutete Konstantin auf den menschenleeren Strand, der sich unterhalb des Parkplatzes ausbreitete.

Katharina stieg aus dem Fahrzeug und nahm die beiden Tragetaschen an, die Konstantin ihr hinhielt. Ein leises Klirren ließ sie neugierig in die Tasche mit der Weinflasche schielen.

»Du hast sogar Weingläser besorgt?«, fragte sie verblüfft, als sie den Inhalt sah.

»Natürlich. Oder willst du aus der Flasche trinken?«, entgegnete Konstantin mit hochgezogenen Augenbrauen. Katharina konnte nicht sagen, ob seine Entrüstung echt oder gespielt war. Vorsichtshalber verkniff sie sich den Hinweis, dass sie eigentlich an diesem Abend überhaupt keinen Wein mehr trinken wollte – schließlich musste sie den kleinen Mietwagen später noch unbeschadet über den Schlaglochparcours vor Konstantins Haus steuern.

Konstantin hatte in der Zwischenzeit eine Decke aus dem Kofferraum genommen. Er deutete auf einen Pfad, der vom Parkplatz hinunter zum schwarzen Strand führte.

»Geht das mit deinen Schuhen wohl?«, fragte er Katharina.

Sie wog den Kopf hin und her. »Ich gebe mein Bestes«, versprach sie. »Aber nimm du die mal lieber.« Mit diesen Worten drückte sie Konstantin die Tüten in die Hand.

Vorsichtig balancierten sie den steinigen Pfad hinab und erreichten die Wasserlinie, als sich die Sonne erst orange und dann glutrot färbte.

»Schön«, seufzte Katharina, während sie sich auf der Decke niederließ, die Konstantin ausgebreitet hatte. Er setzte sich neben sie und löste ein Taschenmesser von seinem Schlüsselbund.

Katharina grinste. »Allzeit bereit, Pfadfinder?«

»Wie man sieht, kann man nie wissen, was kommt«, gab Konstantin zurück und öffnete geschickt die Flasche.

Nachdem er beide mit Wein versorgt hatte, schnitt Konstantin einige Scheiben von dem Baguette auf und zauberte dann noch ein Stück Käse aus der Tüte hervor.

»Woher hast du …«, begann Katharina.

»Ich esse dort sehr oft«, beantwortete Konstantin die unbeendete Frage. »Die Privilegien eines Stammgastes.« Er zwinkerte ihr zu. »Zum Wohl.«

Einträchtig saßen sie schweigend nebeneinander und blickten in den Himmel, der sich über diverse Rottöne allmählich violett färbte.

---ENDE DER LESEPROBE---