Jupiter 10: Ganymed fällt - Hubert Haensel - E-Book + Hörbuch

Jupiter 10: Ganymed fällt E-Book und Hörbuch

Hubert Haensel

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Beschreibung

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. In dieser Zeit haben sich die Erde und die Welten der Liga Freier Terraner zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die neue Gefahr für die Menschheit kommt diesmal auch nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der menschlichen Zivilisation – direkt vom Riesenplaneten Jupiter. Mit seiner Lebensgefährtin Mondra Diamond und Reginald Bull, seinem ältesten Freund, begibt sich Perry Rhodan an den Ort des Geschehens. Er stellt fest, dass unbekannte Mächte den Jupiter in ein Schwarzes Loch verwandeln wollen. Während Rhodan in fremdartige Bereiche des Kosmos aufbrechen muss, ringt seine Lebensgefährtin auf der Station MERLIN ums Überleben. Auf Ganymed kämpft Reginald Bull gleich an zwei Fronten. Bull will die Machenschaften des Syndikats der Kristallfischer durchkreuzen, die das Solsystem mit einer tödlichen Droge überschwemmen. Und er muss verhindern, dass GANYMED FÄLLT ...

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Nr. 10

Ganymed fällt

Jupiters Mond stürzt der Vernichtung entgegen – 165 Millionen Menschen bangen um ihr Leben

Hubert Haensel / Kai Hirdt

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Ganymed

2. MERLIN

3. Ganymed

4. MERLIN

5. Ganymed

6. MERLIN

7. Ganymed

8. MERLIN

9. Ganymed

10. MERLIN

11. Ganymed

Impressum

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. In dieser Zeit haben sich die Erde und die Welten der Liga Freier Terraner zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die neue Gefahr für die Menschheit kommt diesmal auch nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der menschlichen Zivilisation – direkt vom Riesenplaneten Jupiter.

Mit seiner Lebensgefährtin Mondra Diamond und Reginald Bull, seinem ältesten Freund, begibt sich Perry Rhodan an den Ort des Geschehens. Er stellt fest, dass unbekannte Mächte den Jupiter in ein Schwarzes Loch verwandeln wollen.

Während Rhodan in fremdartige Bereiche des Kosmos aufbrechen muss, ringt seine Lebensgefährtin auf der Station MERLIN ums Überleben. Auf Ganymed kämpft Reginald Bull gleich an zwei Fronten.

Bull will die Machenschaften des Syndikats der Kristallfischer durchkreuzen, die das Solsystem mit einer tödlichen Droge überschwemmen. Und er muss verhindern, dass GANYMED FÄLLT ...

Die Hauptpersonen des Romans

Reginald Bull – Der Verteidigungsminister stemmt sich gegen eine kosmische Katastrophe.

Starbatty – Der Syndikatssenator wird von seinen eigenen Leuten verraten.

Daubert Eviglich – Der SteDat-Chef will 165 Millionen Menschen in den Tod reißen.

Chayton Rhodan

1.

Ganymed

12. Februar 1461 NGZ

Mit schnellen Schritten durchquerte Reginald Bull den Laborkomplex. Eine neue Lieferung Roboterfragmente, Stahlröhren und einfacher Triebwerkselemente war eingetroffen, die Ganymedaner bauten die nächsten Funksonden zusammen. Einige schauten ihm erstaunt hinterher, er nahm nur flüchtig davon Notiz.

Bull versuchte, wenigstens überschlägig abzuschätzen, wie viel Zeit bis zu Ganymeds Ende blieb. Er verließ die Halle und hielt am Rand der leicht verwilderten Parkfläche inne.

Rund 10,9 Kilometer in der Sekunde, das war die Orbitalgeschwindigkeit des Eismonds, sein mittlerer Abstand zum Jupiter lag bei 1,07 Millionen Kilometern. Selbst wenn Ganymed von einem Moment zum nächsten vollständig aus seiner Umlaufbahn herausgerissen worden wäre ...

Das ist Unsinn. Die dann auf den Mond einwirkenden Kräfte hätten ihn sofort auseinanderbrechen lassen.

... selbst in dem theoretischen Fall würden an die dreißig Stunden ... Nein, unmöglich! Er glaubte den Wert nicht. Abgerundet zehn Kilometer in der Sekunde, das waren sechsunddreißigtausend in der Stunde. Wenn er dreißig Stunden ansetzte ...

Verdammt!

Es durchzuckte ihn wie ein heftiger Stromstoß. Er fragte sich, wie unter diesen Umständen überhaupt viel zu retten sein konnte.

Hatte es wirklich keine frühen Anzeichen gegeben, dass diese Katastrophe über das Solsystem hereinbrechen würde?

Nein!, gab er sich Antwort. Nicht einmal das überraschend aus dem Eis hervorgebrochene Artefakt hatte solche Befürchtungen nahegelegt. Diesmal hat es uns eiskalt erwischt.

Tief atmete Bull ein. Die Luft schmeckte nach Blüten, nach Frühling mit einem Hauch Zitrone. Ein warmer Windhauch wehte heran, und für einen Augenblick war ihm sogar, als bräche die Sonne mit wärmenden Strahlen hinter den langsam treibenden Wolkenschleiern hervor. Das ganymedanische Halblicht erweckte diesen Eindruck – die Albedo, mit der Jupiter seine Monde überschüttete.

Mächtig und drohend stand der Riesenplanet eine Handbreit über dem Horizont.

Er ist größer geworden!

Das war Einbildung. Undenkbar, dass der Ausbruch des Monds aus seiner Umlaufbahn schon binnen weniger Minuten mit bloßem Auge erkennbar sein konnte. Reginald Bull sah den Planeten größer, weil er genau das erwartete – ein Bild, das die Bedrohung greifbar machte.

Angespannt blickte er nach Süden.

Er fragte sich, ob Rhodan noch lebte. Und Mondra. Und mit ihnen die für ihren Schutz abgestellten drei TLD-Agenten. Er schüttelte den Kopf. Keine Leibwache half gegen Gewalten, wie sie seit Mitternacht in Jupiters Atmosphäre tobten. Am besten wäre es gewesen, sich herumzuwerfen und zu fliehen, egal wohin, nur fort.

Aber diese Blöße würde er sich niemals geben.

Bull verkrallte die Hände im Halsausschnitt seines SERUNS. Breitbeinig stand er da, als könnte nichts und niemand ihm etwas anhaben. Er taxierte die ineinander verlaufenden Wolkenbänder des Planeten. Gasströmungen im Äquatorbereich, einige Dutzend Mal so groß wie die Erde, dehnten sich wild mäandernd aus, wurden zu monströsen Schlieren, deren heller Farbton sich allmählich blutig rot färbte. Als steige Glut aus den tiefen Schichten der Atmosphäre an die Oberfläche empor.

Unübersehbar der gigantische, neue Wirbel, ein Mahlstrom, der den Großen Roten Fleck an Ausdehnung deutlich übertraf.

Wie eine tief klaffende Wunde erschien Bull der Gravo-Mahlstrom, ein goldfarbenes Monstrum, das sich unaufhaltsam durch Jupiters Atmosphäre fraß. Er glaubte nicht bloß, das Brodeln im Randbereich dieser furchteinflößenden Erscheinung zu sehen – er sah es wahrhaftig. Der Zyklon tobte mit Windgeschwindigkeiten, die wohl tausend und mehr Stundenkilometer erreichten.

Eine neue Bebenwelle durchlief Ganymed, begleitet von dem unheimlichen Knistern und Knacken, das hier draußen bedrohlicher klang als in den Laborhallen. Jupiter interessierte Bull in diesen Sekunden nicht mehr, sondern der Himmel über Galileo City. Suchend schaute er in die Höhe und griff zugleich in den Nackenwulst des SERUNS, um den Folienfalthelm schnell nach vorn ziehen zu können.

Nur falls der Himmel Risse bekommt und wie Glas zerspringt.

Ausschließen durfte er das keinesfalls. Die schweren Schäden würden unweigerlich kommen.

»Bislang haben wir nicht verloren«, sagte Bull trotzig. »Der Kampf ums Überleben beginnt erst!«

*

Immel Murkisch schaute den Verteidigungsminister der Liga Freier Terraner durchdringend an. Sein Schweigen wirkte bedrückend, und mit einer fahrigen Handbewegung wischte er sich die widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. Erst Sekunden später besann er sich darauf, weshalb er Bull zu sich herangewinkt hatte.

»Ich dachte mir schon, dass es nicht leicht sein würde«, erkannte Bull die Stimmungslage des Wissenschaftlers. »Was zeigen die Messungen? Oder geht gar nichts mehr?«

Dass Ganymed in womöglich dreißig Stunden auf Jupiter stürzen würde, war nicht ihr einziges Problem. Der fortschreitende, extreme Massezuwachs, der den Gasriesen zu einer immer größeren Gefahr für das Solsystem machte, hatte weitere Nebenwirkungen. Die gewaltigen und vor allem unberechenbaren Schwerkraftanomalien machten die Raumfahrt in der Nähe Jupiters so gut wie unmöglich. Sie störten zudem Hyperfunk und Ortung.

Mit anderen Worten: Die Heimatflotte des Solsystems konnte Ganymeds Bevölkerung nicht zu Hilfe kommen. Die Bewohner des Monds mussten sich selbst retten. Sogar ein Normalfunkkontakt zur Erde war bisher unmöglich, lediglich auf kurze Distanz ließ sich funken – und das auch nur, wenn sie Dutzende Funksonden losschickten. Die meisten wurden von den Gravo-Anomalien zerstört, nur wenige hielten lange genug, um einige kurze Nachrichten auszutauschen.

Und um wenigstens grob zu erkennen, was um Ganymed herum vorging, mussten sie die Ortungsergebnisse zahlreicher Sonden übereinanderlegen und nach einem komplizierten Verfahren abgleichen.

»So schnell geben wir uns nicht geschlagen.« Murkisch deutete auf die Holos vor sich. »Wir bekommen die Überlappung der Ortungsbilder zunehmend besser in den Griff, lediglich die Filterprogramme müssen weiter verfeinert werden. Die hochspezifizierten Eingangsdaten werden in kleinste Bildelemente zerlegt, und die Positronik löscht alle lediglich in geringer Zahl sich überlappenden Elemente. Je öfter Punkte miteinander korrelieren, desto höher wird ihre Relevanz eingestuft, und sie werden als reale Ortung in die Ausgabe übertragen. Daraus ergibt sich eine zwar verzerrte, aber wenigstens einschätzbare Darstellung. Eine Serie ausgewerteter Einzelbilder lässt als zweiten Schritt erkennen, wo sich Fehler eingeschlichen haben.«

»Geeignet für die Navigation?«

Murkisch zuckte mit den Schultern. »Wir haben eine Ausgabeverzögerung zwischen zehn und fünfzehn Sekunden und leider nur einen Erfolgsquotienten, der bei simulierten Probemanövern fünfzig Prozent bislang nicht überschreitet.«

»Besser als gar nichts«, bemerkte Bull. »Was ist nun mit Ganymed? Sag nicht, dass uns weniger als dreißig Stunden bleiben.«

»Dreißig?« Murkisch riss die Augen auf. »Meine Güte, nein. Der voraussichtliche Einschlag auf Jupiter wird erst am Montag sein. Zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr. Exakt lässt sich der Zeitpunkt nicht festlegen. Die Schwerkraftschocks des Effektors könnten heftiger werden und Ganymed steiler ausbrechen lassen. Auch dass sich die Geschwindigkeit des Monds weiter erhöht ...«

»Also bleiben uns knapp sechzig Stunden«, stellte Bull unumwunden fest.

Murkisch stutzte, dann nickte er.

Montag, der 14. Februar 1461 NGZ, war der Tag, der über das Schicksal des Solsystems entscheiden sollte.

*

Reginald Bull fluchte leise. Der verdammte Gravitonen-Effektor, der vor gut einer Woche aus Ganymeds Eisozean hervorgebrochen war – zunächst hatte er nur wie ein unerklärlicher, uralter und vor allem inaktiver Turm aus fünf großen, unzerstörbaren Würfeln gewirkt.

Mittlerweile wussten sie mehr über das Artefakt. Es pumpte Gravitonen in den Jupiter, die sich dort mit hyperphysikalisch modifizierten Higgs-Teilchen verbanden und die Masse des Planeten steigerten. Da der Planet dabei nur schwerer wurde, aber nicht wuchs, würde er irgendwann – bald – unter seiner eigenen Masse kollabieren und zum Schwarzen Loch werden.

Als wäre das nicht genug, hatte der Würfelturm auf Ganymed massive, von Beben begleitete Gravo-Impulse ausgelöst, die den Mond aus seiner Bahn getrieben hatten. Er würde auf Jupiter hinabstürzen. Und dies zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt.

»Auf perfide Weise scheint alles annähernd zeitgleich zusammenzulaufen«, eröffnete Bull kurz darauf Kaci Sofaer, der Bürgermeisterin von Galileo City, und Starbatty, dem Ersten Senator des Syndikats der Kristallfischer.

»Sag mir keiner, dass das nur Zufall sei. Übermorgen, ab 23.30 Uhr, wird der Prozess aus Gravitonen und Higgs-Teilchen unumkehrbar sein. Dass Ganymed ungefähr eine Stunde vorher in den goldenen Gravo-Mahlstrom stürzen wird, was macht das schon für einen Unterschied? Die Evakuierung des Monds müsste ohnehin sehr viel früher abgeschlossen werden.«

»Was könnte die TSUNAMI-X daran ändern?«, wollte Starbatty wissen. Der kleine, dickliche Mann trug noch immer Abendgarderobe, einschließlich affiger Lackschuhe. Aber sein überlegenes Getue hatte er weitgehend abgelegt, seit er begriffen hatte, dass Ganymed ernsthaft bedroht war.

»Nichts, außer sie würde schon heute oder morgen eintreffen«, antwortete Bull bitter. »Es ist die größte Ironie des Schicksals, dass unser Experimentalschiff ebenfalls erst gegen dreiundzwanzig Uhr hier sein wird. Gerade rechtzeitig zur Leichenschau, so ist das.«

Starbatty reagierte fahrig. »Ich wollte wissen, welche Möglichkeiten dieses Schiff überhaupt hat. Kann es Wunder vollbringen?«

»Wunder!« Bull seufzte. »Die müssen wir uns wieder mal selbst schaffen. Auf Wunder zu warten, hat nie weitergeholfen. Die TSUNAMI-X kommt dank ihrer Konzeption sehr nahe an den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs heran. Das heißt, der Anflug auf Jupiter selbst in der letzten Phase seiner Verwandlung würde der Besatzung kaum Probleme bereiten. Aber was kann dann noch unternommen werden? Nichts. Dieses eine Raumschiff wäre für die Evakuierung unbedeutend.«

»Ein entsetzliches Thema.« Nervös strich die Bürgermeisterin ihrem Begleiter, der sprechenden Schlange Bhunz, über den Kopf. »Wer darf an Bord, wer nicht? Wer wird gerettet, wer in den sicheren Tod geschickt?«

»Genau das will ich nicht hören!«, entgegnete Bull schroff. »Wenn wir die TSUNAMI-X brauchen, dann um den Gravitonen-Effektor auszuschalten. Ansonsten ist sie nur ein Prototyp. Das X steht für Unbekannt – unbekannt, was sie zu leisten vermag, und unbekannt, ob es eines Tages weitere Experimentalschiffe dieses Typs geben wird. Sie hat spezielle Waffen an Bord, vorausgesetzt, an dem mir bekannten Ausrüstungsplan hat niemand nachträglich Abstriche vorgenommen. Immerhin wurde schon mit dem Schiffsrohbau der Kostenvoranschlag deutlich überschritten.«

Mit beiden Händen zog er einen symbolischen Schlussstrich unter das Thema. »Die TSUNAMI-X wird nicht rechtzeitig im Sonnensystem sein, wir können sie nicht herbeizaubern, eine Alternative gibt es nicht. Das heißt ...«

»... alles hängt an der Korvette!«, beendete Starbatty den Satz.

Das Beiboot der CHARLES DARWIN II war das letzte Raumfahrzeug gewesen, das Ganymed erreicht hatte, unter großen Schwierigkeiten und mit einigen Schäden. Das kleine Sechzig-Meter-Boot war augenscheinlich das einzige Schiff auf dem Mond, das über eine nennenswerte Bewaffnung verfügte.

Es sei denn, Starbatty hatte noch ein Ass im Ärmel.

»Hast du ein anderes Schiff zur Verfügung?«, wollte Bull wissen. »Größer und mit mehr Durchschlagskraft?«

Der Senator verzog das Gesicht zur wehmütigen Grimasse. »Das Syndikat hält sich seit jeher von Auseinandersetzungen fern, wir liefern unseren Hypertau nicht einmal in Krisenregionen. Sicher, wir verfügen über mehrere Frachter, damit wir uns nicht zu sehr in Abhängigkeit begeben. Unsere Kleinfrachter haben die üblichen Thermo- und Impulsgeschütze für die Asteroidenabwehr, aber nicht einer ist derzeit auf Ganymed stationiert. Drei oder vier dürften aufgrund von Nachschubflügen an den Faktoreien angedockt sein – falls diese noch existieren.«

Wieder war eine schwache Erschütterung zu spüren. Das Beben richtete jedoch im Laborbereich keine neuen Schäden an.

Durchaus möglich, dass sich die Tektonik des Jupitermonds vorübergehend wieder beruhigte. Bull dachte an die Hunderte Kilometer messende Schicht aus zähem Wassereis. Dieses Eis, das einen Großteil von Ganymeds Masse ausmachte, reagierte träge auf Veränderungen. Zweifellos absorbierte es sehr viel von den auf Ganymed einwirkenden Kräften.

Andererseits würde die wachsende Beschleunigung den Mond langsam deformieren. Eine der Folgen mochte sein, dass auf der Mondseite, die dem Jupiter abgewandt war, Kryovulkane ausbrachen. Auch das Magnetfeld musste sich verändern; der Dynamoeffekt basierte auf flüssigen Bereichen im Kern des Monds, vor allem jedoch auf den tiefen Wasser- und Eisströmen.

»Gibt es eine Transmitterverbindung ...?« Bull unterbrach sich sofort. »Schon gut. War nur eine Überlegung.«

»Bis zum Hyperimpedanz-Schock hatten wir eine Transmitterverbindung nach Port Medici«, antwortete Sofaer. »Danach wurde wegen der Transportrisiken darauf verzichtet. Seit hundertdreißig Jahren fliegen wir die Strecke stattdessen. Was sind schon zweihundert Kilometer?«

Bull nickte knapp. »Ich nehme einen schnellen Gleiter zum Raumhafen.«

»Falls du Unterstützung ...«

»Ich begleite ihn!«, sagte Starbatty spontan und in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. »Falls tatsächlich einige unserer Wissenschaftler das Kommando beim Artefakt übernommen haben, werden sie meine Anordnungen wohl befolgen. Mag sein, dass sie bereits Versuche anstellen, den Effektor auszuschalten. Sehr wahrscheinlich sogar, schließlich steht die Existenz unserer Faktoreien auf dem Spiel.«

Bull zögerte nur kurz. »Gut«, sagte er dann und wandte sich wieder an Sofaer. »Was die Situation in Galileo City anbelangt ...«

»Die Beben haben viele aufgeschreckt. Eigenartigerweise zeigen sich die Schlaflosen kaum betroffen, als sei es ihnen egal, was geschieht. Ich habe vor einigen Minuten mit der Verwaltung gesprochen. In Kürze wird eine Verlautbarung gesendet, dass die Beben mit dem Fund in der Ovadja Regio zu tun haben.«

»Wer Augen im Kopf hat, kann den riesigen, goldfarbenen Fleck auf Jupiter sehen«, merkte Bull an.

»Und? Vorerst kann niemand erkennen, dass Ganymed seine Umlaufbahn verlassen hat und auf den Planeten zustürzt.«

»Wir dürfen die Wahrheit nicht totschweigen. Umso unberechenbarer wird die Reaktion hinterher ausfallen ...«

Kaci Sofaer blickte den Residenz-Minister überrascht an. »Glaubst du schon nicht mehr, dass die Korvette den Gravitonen-Effektor vernichten kann? Warum willst du es dann überhaupt versuchen?«

»Ich glaube daran«, sagte Bull mit Nachdruck. »Auf irgendeine Weise bekommen wir das Mistding klein. Schade nur, dass wir dann wohl nie die Hintergründe erfahren werden. Woher kam das Artefakt, wie alt war es überhaupt und was war wirklich seine Aufgabe?«‚

Er holte kurz Luft und fuhr dann fort: »Andererseits bin ich mir inzwischen ziemlich sicher, dass wir keinesfalls ungeschoren davonkommen werden. Selbst wenn wir Jupiter vor dem Schwerkrafttod bewahren können, wie sollen wir Ganymed auf seine Umlaufbahn zurückbringen? Was auch geschieht, der Mond wird abstürzen. Wir haben keine Chance, ihn innerhalb von zwei Tagen zu stabilisieren. Und was nach dem Aufschlag folgen wird, wage ich nicht abzuschätzen. Ich kann nur hoffen, dass Jupiter nach dem großen Brocken nicht heftig aufstößt.«

»So habe ich das bis jetzt nicht gesehen«, brachte Sofaer stockend über die Lippen. Achtlos wischte sie Bhunz beiseite, der sich vor ihr aufblähte. »Wir werden demnach auf jeden Fall evakuieren müssen. Wie?« Die Frage schrie sie beinahe.

»Darüber zerbreche ich mir bereits den Kopf«, gestand Bull. »Ich habe nur noch keine Lösung. Sehr viel wird davon abhängen, ob die Schiffe der Heimatflotte bald ungefährdet im Jupiterorbit manövrieren können.«

Mit der linken Hand fuhr Sofaer sich über den Scheitel. Es sah aus, als wolle sie sich die eingewachsenen weißen Federn aus der Kopfhaut reißen.

2.

MERLIN

14. Februar 1461 NGZ

Chayton Rhodan starrte auf ein Infoholo an der Korridorwand. 1.52 Uhr. Nur noch acht Minuten bis zum Schichtwechsel, doch seine selbst ernannten Soldaten des Lichts ließen keine Eile erkennen. Sie trotteten ihm hinterher, schlurften beinahe.

Es war eine traurige Truppe; seine elf Getreuen standen unter Drogen. Vor nicht einmal fünf Minuten hatten sie sich alle eine große, hirnaushebelnde Dosis Tau-acht in die Augen gestäubt, als sie ihm Treue geschworen hatten. Nun hatte er zwar Leute, mit denen er MERLINS Zentrale erobern konnte – aber diese standen alle noch unter dem Einfluss des ersten Kicks. Eine Viertelstunde später würden sie noch immer euphorisch sein, aber wenigstens wieder halbwegs in der Realität.

Nur: Diese Viertelstunde hatten sie nicht. Sie mussten die Zentrale sofort kapern. Während der Wachablösung.

Im Normalfall wäre das kein Problem gewesen. Der Kommandoraum der Faktorei war nur mit vier Personen besetzt. Mehr brauchte es nicht, um die in Jupiters Atmosphäre schwebende Station stabil zu halten. Im Normalfall wäre auch das Zugangsschott nicht besonders gesichert gewesen, und Chayton als registrierter Experte für die Triebwerkskalibrierung hätte freien Zutritt gehabt. Mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit auf MERLIN hatte er damals in diesem Raum verbracht. Er kannte die Menschen dort drin: Captain Duvall, seinen Stellvertreter Annan Kubli und die anderen zehn Techniker, die einander in Acht-Stunden-Schichten abwechselten.