Jupiter 2: Das Artefakt von Ganymed - Hubert Haensel - E-Book + Hörbuch

Jupiter 2: Das Artefakt von Ganymed E-Book und Hörbuch

Hubert Haensel

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Beschreibung

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die weiteren besiedelten Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern und Sternenreichen der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück. Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge verbreitet sich über die Welten des Sonnensystems. Was sind die Hintergründe? Ein unbekannter Feind greift Perry Rhodan und seine Familie an. Perry Rhodan beschließt, diesen Fragen auf den Grund zu gehen – da spitzt sich die Lage unvermittelt zu. Der Eispanzer des Jupitertrabanten bricht auf und offenbart DAS ARTEFAKT VON GANYMED ...

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Nr. 2

Das Artefakt von Ganymed

Ein uraltes Relikt erwacht – verbotene Experimente auf der Jupiterstation

Hubert Haensel / Kai Hirdt

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die weiteren besiedelten Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern und Sternenreichen der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück.

Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation.

Eine mysteriöse Droge verbreitet sich über die Welten des Sonnensystems. Was sind die Hintergründe? Ein unbekannter Feind greift Perry Rhodan und seine Familie an.

Perry Rhodan beschließt, diesen Fragen auf den Grund zu gehen – da spitzt sich die Lage unvermittelt zu. Der Eispanzer des Jupitertrabanten bricht auf und offenbart DAS ARTEFAKT VON GANYMED ...

Die Hauptpersonen des Romans

Chayton Rhodan – Der Tau-acht-Süchtige macht Fluchtpläne.

Anatolie von Pranck – Die Chefwissenschaftlerin macht abscheuliche Experimente.

Kateen Santoss – Die Lemur-Archäologin macht einen sensationellen Fund.

Reginald Bull

1.

Ganymed

2. Februar 1461 NGZ

»Ein technischer Defekt! Wirklich ein Defekt?« Kurzatmig schrill klang die Stimme. Der Sprecher hatte seine Sauerstoffversorgung offenbar falsch geregelt, achtete aber nicht darauf. »Das ist das Dümmste, was ich seit Tagen gehört habe«, protestierte er. »In welcher Zeit leben wir eigentlich?«

»Besucht das Solsystem – nichts ist unmöglich!« Eine Frau lachte spöttisch, als sie den Werbespruch zitierte. »Bei allem Wohlwollen: Die Organisation hier lässt zu wünschen übrig. Falls die terranische Freizeitindustrie wirklich Standards setzen will, sind das Standards für ganz weit draußen im galaktischen Halo. Wie viel Zeit sollen wir eigentlich sinnlos vergeuden?«

»Sehr richtig!« Da Somnan mischte sich ein. Kateen Santoss hatte es kaum anders erwartet. Unwillig verzog sie das Gesicht, als die Stimme des Akonen im Helmfunk laut wurde. »Diese Zwangspause wird nicht folgenlos bleiben!«, sagte er scharf, mit einem lauernden Unterton. »Ich erwarte, dass ich umgehend ans Ziel gebracht ...«

»Der Flug kann in spätestens dreißig Minuten fortgesetzt werden.« Das war die fein modulierte Antwort des Robotpiloten. »Die Reparaturmechanismen haben den Schaden soeben lokalisiert, sie beginnen mit der Behebung.«

»Warum bringt uns kein anderer Gleiter ans Ziel? Ich bestehe auf einem Ersatz ...«

»Bedauerlicherweise stehen zurzeit keine freien Transportmöglichkeiten zur Verfügung.«

»Keine?« Das Lachen des Akonen klang spöttisch. »Es wird doch in erreichbarer Nähe ...«

Die Stimme brach mitten im Satz ab, übergangslos herrschte Stille.

Kateen Santoss atmete auf. Über den Blicksensor hatte sie ihren Helmfunk abgeschaltet. Manche Leute, fand sie, waren unausstehlich. Sie feilschten um Minuten und merkten gar nicht, dass währenddessen das Leben an ihnen vorbeiging. Wahrscheinlich lief da Somnans Gezänk auf eine Rückerstattung hinaus – einige Prozent des Arrangementpreises, also dreißig, vielleicht sogar vierzig Galax.

Und wofür?

Ein schneller Einsatz mehr im Casino des Isidor-Bondoc-Buildings ... Ein virtueller Ausflug durch die Jupiteratmosphäre, hinab in den heißen, flüssig werdenden Wasserstoff und weiter bis in den Bereich, in dem er schließlich metallische Eigenschaften annahm ... Im harmlosesten Fall mehrere doppelte Vurguzz, deren Alkoholgehalt den Eismond für kurze Zeit zum paradiesischen Eiland werden ließ.

Keine dieser Alternativen behagte ihr.

Warum ist heutzutage niemand mehr in der Lage, einfach nur den Augenblick zu genießen?, fragte sie sich.

Ungefähr einen halben Kilometer hatte Kateen sich von dem Transportgleiter entfernt. Sie stand bereits auf der anderen Seite der Eisverwerfung und konnte die rochenförmige Maschine nicht mehr sehen.

Die Mondoberfläche wies in diesem Bereich kaum nennenswerte Erhebungen auf. Nur die Verwerfung, die Kateen an eine verkrustete Narbe erinnerte. Unschwer zu erkennen, dass diese Formation erst in jüngerer Vergangenheit entstanden sein konnte.

Das weite Land zwischen Galileo City und der Ovadja Regio erschien ihr wie ein in sanfter Dünung erstarrter Ozean. Im Laufe von Äonen hatte sich das ewige Eis mit Patina überzogen – eine braungraue, lebensfeindliche Einöde.

Minus 166 Grad Celsius, las Kateen die Temperatur auf der Helmanzeige ab. Die ferne Sonne schaffte es nicht, Ganymed zu wärmen. Nicht einmal Jupiter konnte das.

Der Gasriese Jupiter!

Vor zweieinhalb Jahren war Kateen dem Giganten im Solsystem zum ersten Mal nahe gekommen. Unbeschreiblich schön waren die parallel verlaufenden Wolkenbänder, die dem Planeten sein unverwechselbares Aussehen gaben. Faszinierend die ockerfarbenen Wirbel der oberen Atmosphäre mit ihren weit mäandernden, weißen Einschlüssen. Vor allem der riesige Rote Fleck, jenes seit Jahrtausenden beständige Sturmgebiet, in dem die Erde leicht zweimal Platz gefunden hätte.

Jupiter sehen und sterben.

Dieser Werbespruch geisterte immer öfter durch die Medien. Welche Agentur ihn auch platziert haben mochte, Kateen fand, dass die Leute dort besser daran getan hätten, ihr Hirn einzuschalten. Für sie hatte der Satz jedenfalls eine beklemmend reale Bedeutung. Ihr war klar, wie unbedeutend und hilflos der Mensch der Natur gegenüberstand. Schönheit und Schrecken der Schöpfung entfalteten sich schon vor der eigenen Haustür in exotischer Pracht, lächerliche sechshundertdreißig Millionen Kilometer von der Erde entfernt.

Die Distanz ist eigentlich ein Katzensprung.

Residenz-Minister Reginald Bull hatte vor Kurzem diese Redewendung im Trivid benutzt. Kateen hatte keine Vorstellung davon, wie weit Terra-Katzen tatsächlich springen konnten. Außer im Zoo von Terrania hatte sie noch nie eine lebende Katze zu Gesicht bekommen. Im Jahr 1461 Neuer Galaktischer Zeitrechnung gab es längst exotischere Haustiere.

Sie spürte eine seltsame Benommenheit – ein Schwindelgefühl, das wohl mit Ganymeds geringer Schwerkraft zu tun hatte und ebenso damit, dass sie oft das Gefühl hatte, der riesige Jupiter zerre an ihr.

Kateen blinzelte gegen die Tränen in ihren Augenwinkeln an.

Trotz seiner Schönheit hasste sie den Planeten.

Jupiter hatte ihre Eltern getötet, und deshalb war sie wieder hier. Sie würde auch im nächsten Jahr kommen und im übernächsten. Nicht mehr offiziell, denn diese Möglichkeit hatte sie sich übereifrig verbaut, doch ihr Urlaubsziel war ihre Privatsache.

Der eigenartige Schwindel wollte diesmal nicht weichen. Vorübergehend war ihr sogar, als verlöre sie den Boden unter den Füßen.

Kateen breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Das Gefühl, dem Gasriesen entgegenzufallen, ließ ihren Atem stocken.

Einige Sekunden später war alles vorbei.

Jupiter starrte auf sie herab wie ein drohend glotzendes Auge. Rund fünfmal größer als der irdische Mond von der Erde aus gesehen, hing der Planet über ihr. Er war ein Zyklop. Ein Ungeheuer. Aber beileibe nicht der Göttervater der terranischen Mythologie.

»Ich hole mir dein Geheimnis!« Wie eine Verwünschung stieß Kateen Santoss den Satz hervor.

Vor achtzehn Jahren hatte sie sich geschworen, dass sie die Arbeit ihrer Eltern fortsetzen würde. Erst sechzehn war sie beim Tod ihrer Eltern gewesen, und nicht einmal im Traum hätte sie zuvor daran gedacht, lemurische Geschichte und Archäologie zu studieren. Von einem Tag zum nächsten hatte sich damals ihr Leben um hundertachtzig Grad gedreht.

Eine starke Erschütterung durchlief das Eis. Kateen taumelte. Ob gewollt oder nicht, sie machte einige Schritte auf die Barriere zu.

Große Eisschollen drückten hier gegeneinander, hatten sich bis zu fünfzig Meter hoch aufgeschoben und ineinander verkeilt. Ein schroffer Wall war entstanden, eine imposante Kulisse aus kantigen Blöcken, Absplitterungen und scharfen Graten. Zum Teil glänzten die Bruchflächen wie poliert. In unzähligen Facetten spiegelte das aufgebrochene Eis Jupiters Wolkenwirbel. Dazwischen schimmerten matte Bereiche in allen nur denkbaren Schattierungen.

Keine fünfhundert Meter weit erstreckten sich die Verwerfungen. Sie wirkten, als hätte sich das Eis erst vor wenigen Wochen oder Monaten bewegt. Tatsächlich indes hatte es hier keinerlei Veränderungen gegeben, seit Menschen zum ersten Mal die Ebene vermessen hatten.

Vielleicht existierte die Barriere seit der Zeit der Lemurer. Genau dieser Gedanke hatte Kateen dazu bewegt, die Nähe des Gleiters zu verlassen. Sie argwöhnte, dass die Verwerfung während des mörderischen Kriegs der Ersten Menschheit gegen die Bestien entstanden war.

Eine neue Erschütterung durchlief den Untergrund.

Sofort war der tobende Kopfschmerz wieder da. Alles um Kateen herum schien in Bewegung zu geraten. Sie riss die Hände hoch, wollte sich die Schläfen massieren, aber der Helm hinderte sie daran. Gurgelnd sank sie auf die Knie.

Ein dumpfes Rumoren dröhnte in ihren Ohren. Es war ein bedrohlich wirkendes Grollen, dessen Ursprung sie kaum lokalisieren konnte. Allem Anschein nach stieg es aus der Tiefe des Mondes herauf.

Ein Knistern und Knacken mischte sich hinein.

»Das Eis bricht!«, warnte Kateen. In dem Moment dachte sie gar nicht daran, dass niemand ihren Ruf hören konnte.

Sie hätte wenig später nicht einmal zu sagen vermocht, wie lange sie schon auf dem Eis kniete. Jupiter starrte noch immer auf sie herab. Die tiefschwarzen Schatten zweier seiner Monde sahen aus, als habe jemand Löcher in die quirlige Wolkendecke gestanzt.

Der Boden zitterte. Kateen stützte sich mit den Händen ab. Sie krallte die Finger ins Eis und wusste zugleich, dass sie sich nicht lange würde halten können. Sie verwünschte die Tatsache, dass ihr Schutzanzug über kein Flugaggregat verfügte.

Ganymeds Oberfläche bestand aus einem dicken Eispanzer. Darunter lagen Hunderte Kilometer weiches Wassereis, das tektonische Verspannungen kaum mehr aufkommen ließ. Früher, als Ganymeds Umlaufbahn sehr elliptisch gewesen sein musste, hatten starke Gezeitenkräfte sein Aussehen geprägt. In den zurückliegenden Jahrhunderttausenden aber war der größte Mond des Sonnensystems wohl nur noch von gelegentlichen Asteroiden- und Kometeneinschlägen erschüttert worden. Mittlerweile standen Robotjäger bereit, um alle kosmischen Vagabunden abzufangen, die in bedrohliche Nähe kamen. Das Beben konnte somit unmöglich die Folge eines Asteroidenaufschlags sein.

Wenn nun Erschütterungen auftraten, kamen wohl nur wenige Ursachen dafür in Betracht ...

Lemurische Hinterlassenschaften! Beinahe hätte Kateen die Vermutung laut hinausgeschrien. Ihre Eltern hatten nach Artefakten aus der Zeit des Bestienkriegs gesucht, waren aber nie fündig geworden.

Wir sind nahe dran. Fünfzigtausend Jahre haben zwar vieles verändert, trotzdem haben Helen und ich eine Spur ... So lautete die letzte akustische Aufzeichnung ihres Vaters. Zwei Tage später war das kleine Forschungsschiff in der Jupiteratmosphäre verglüht.

Das Dröhnen und Knacken schwoll rasend schnell an. Es wurde zum dumpfen Gurgeln, als bräche sich eine Flutwelle ungestüm Bahn.

Keine hundert Meter vor Kateen explodierte das Eis.

Sie sah den aufbrechenden Boden, konnte aber nicht mehr reagieren. Eine bleiche Fontäne stieg in den fahlen Himmel. Zähflüssiges Wassereis entfächerte sich in der Höhe und regnete langsam ab.

Zwei weitere Bruchstellen platzten auf. Ihnen fehlte indes die Kraft für eine große Eruption. Schwallartig quoll das Eis aus dem Boden und breitete sich aus.

Weite Regionen Ganymeds waren durch Kryovulkanismus entstanden. Die Verlaufsspuren wässriger Lava ließen sich dort gut erkennen. Trotzdem gab es keine tätigen Eisvulkane mehr.

Falls ein lemurisches Artefakt den Ausbruch ausgelöst hat ...

Nur mehr zwanzig Meter vor ihr brach der Untergrund auf. Fauchend stieg eine weitere Eisfontäne in den rötlichen Himmel. Wie eine Blume mit funkelnden Blütenblättern entfaltete sie sich. Es war ein überwältigender Anblick ...

... und endlich begriff Kateen die drohende Gefahr. Noch immer halb benommen, warf sie sich herum und wollte fliehen. Es war zu spät. Auch neben ihr platzte der Boden auf, Wasser und zähflüssiges Eis waren plötzlich überall.

Kateen wurde von der neuen Fontäne in die Höhe gerissen. Ein heftiger Schlag gegen ihre Hüfte ließ sie fürchten, dass ein scharfer Eisblock den Schutzanzug beschädigt hatte. Spontan griff sie mit beiden Händen zu, um den Riss zu finden – und atmete erleichtert auf, denn sie spürte weder eindringende Kälte noch zeigte das Helmdisplay ein Warnsignal.

Für Sekunden sah sie die fernen Wolkenbänder Jupiters vorbeihuschen, dann versank alles im Grau des Eises. War die Eruption so heftig gewesen, dass sie die geringe Schwerkraft des Mondes überwand? Die ersten Ausbrüche hatten diese Stärke keinesfalls erreicht. Kateens Überlegungen wirbelten durcheinander, andernfalls hätte sie längst daran gedacht, den Helmfunk wieder einzuschalten.

Erneut drang der Widerschein der Jupiteratmosphäre zu ihr durch. Der Planet hing aber nicht mehr schräg über ihr, sondern drehte sich zu ihren Füßen, als stünde die Welt kopf.

Kateens Gleichgewichtssinn rebellierte. Sie war keine Raumfahrerin, im Weltraum zu schweben, machte ihr sogar Angst. Sie fürchtete den endlosen Abgrund, und obwohl sie wusste, wie falsch diese Vorstellung war, kam sie nicht dagegen an. Mit aller Vernunft schaffte sie es nicht, ihre jedes Mal von Neuem gegen das Nichts aufbegehrenden Magennerven zu beruhigen.

Wie lange schon, seit die Eisfontäne sie mitgerissen hatte? Wahrscheinlich hatte sie den höchsten Punkt der Eruption überschritten und fiel bereits zurück. Ganymeds Schwerkraft lag nur bei einem Siebtel der Erdgravitation, das machte es leichter, den befürchteten Aufprall abzufangen.

Kateen zog die Beine an den Leib und versuchte, sich mit Schwimmbewegungen gegen die fester werdenden Eismassen zu behaupten. Rings um sie herum erstarrte das Wassereis bereits.

Sie schlug rückwärts auf.

Der Aufprall war weit weniger hart als befürchtet. Halb gefrorenes, unter ihrer Last splitterndes Eis dämpfte den Sturz. Kateen sank tiefer, schaffte es aber nicht, ihrem Fall eine Richtung zu geben. Ohnehin hätte sie nicht erkennen können, ob sie sich nach außen bewegte oder womöglich tiefer in der erstarrenden Masse versank.

2.

MERLIN

2. Februar 1461 NGZ

Er erwachte.

Oder nicht?

Chayton Rhodan nahm etwas wahr, hörte etwas. Er hörte Schreie. In seinem Traum hatte niemand geschrien. Er musste also wach sein.

Schlieren tanzten vor seinen Augen. Nur trübe drang das Laborlicht zu ihm durch. Ein kaltes Licht. Chayton fror.

Er griff nach einer der dünnen Decken, die man in ihr Gefängnis geworfen hatte. Er packte sie fest, zog sie über sich. Seine Hände zitterten. Wärmer wurde ihm nicht.

Er wollte fort, fort aus diesem gläsernen Käfig, in dem man ihn und die drei anderen seit ... Wie lange? Er wusste nicht, wie lange er hier schon gefangen war. Das Licht blieb immer gleich hell. Auf MERLIN gab es keine Nacht, fast niemand schlief in der Faktorei, dieser in der Jupiteratmosphäre schwebenden Kristallfischer-Station. Das aktuelle Datum erfuhren die Gefangenen nur, wenn Anatolie von Pranck ihre Forschungsergebnisse diktierte.

Chayton presste die Lider zusammen. Er wollte nicht wach sein. Wach sein hieß gefangen sein, ohne Chance auf Flucht. Träume waren Freiheit.

Die meisten jedenfalls.

Es gelang ihm nicht, wieder einzuschlafen. Telm Handror brüllte zu laut, zu durchdringend.

Chayton gab auf. Er öffnete die Augen wieder und schob sich an der Wand des Glastanks in die Höhe, bis er mit dem Rücken angelehnt saß. Ihm war immer noch kalt, immer noch zitterten seine Hände. Aber sein Kreislauf stabilisierte sich ein wenig.

Die Schlieren verzogen sich. Er konnte wieder Formen erkennen. Die Rundung des Glaszylinders, in dem man sie gefangen hielt. Philsa Hevring saß ihm in ganz ähnlicher Haltung gegenüber, teilnahmslos, geradezu gelangweilt.

Seit Beginn der Experimente hatte Chayton keinen Schrei von ihr gehört, kein Weinen, keinen Fluch und kein Wimmern. Diese Ausdruckslosigkeit passte zu ihrem unscheinbaren Äußeren – mittelgroß, mittelblond, blass mit etwas wässrigen Augen, nicht hübsch, nicht hässlich. Wenn sie sprach, war ihre Stimme leise, aber nicht so leise, dass man sich anstrengen musste, sie zu verstehen.

Chayton konnte sie noch immer nicht einordnen, obwohl der bordeigene Sicherheitsdienst SteDat sie schon vor vier Tagen zu ihm in die Zelle geworfen hatte. So wenig Eindruck Philsa auf ihn machte, so wenig schien sich auch der Schmerz für sie zu interessieren, der ihn, Telm und Motahn bei vielen Experimenten quälte.

Die Welt wirkte seltsam farblos auf ihn. Kaltes, weißes Licht. Schwarzer Stahlboden. Ein graues Gasgemisch in den anderen Glastanks, in denen die gruseligen, knochigen Flügelwesen hausten.

Er ließ die Schultern kreisen. Etwas knackte.

Aus dem Augenwinkel nahm Chayton eine Bewegung wahr. Motahn hatte den Kopf zu ihm gedreht und starrte ihn mit offenem Mund an. Wie so oft – eigentlich wie immer – saß sie im Schneidersitz auf dem Boden und wiegte den Oberkörper leicht vor und zurück.

Chayton wusste nicht, wie alt das Mädchen war. Vielleicht sechzehn, aber sehr zierlich gebaut. Seine eigene Tochter Caruu war genauso groß und kräftig, und Caruu war erst dreizehn. Motahn hatte sogar Caruus dunkle Locken und die leuchtenden grünen Augen.

»Hallo, Motahn«, sagte er. Seine Stimme klang krächzend.

Motahn antwortete nicht. Wie auch? Ihr Geist war erloschen, ausgebrannt vom Tau-acht. Eine feine Ironie des Schicksals – das Mädchen war die Einzige aus ihrer Runde, die ihre Fähigkeiten ohne den Tau behalten hatte. Sehr kleine Gegenstände konnte Motahn per Telekinese bewegen – sie ließ Staub tanzen und formte bizarre Muster. Etwas anderes vermochte sie mit dieser erstaunlichen Geistesgabe nicht mehr anzufangen. Ihr Verhalten glich dem eines Kleinkinds, Einnässen und Wutanfälle inklusive.

Wieder brüllte Telm auf. Er musste höllische Qualen erleiden. Chayton sah ihn nicht. Aber wo Telm auch war: Das Geschrei begann, Chayton auf die Nerven zu fallen.

Allmählich kehrten die Farben in die Welt zurück. Chayton erinnerte sich, dass so etwas früher schneller gegangen war. Dass seine Sinne nach dem Aufwachen nicht minutenlang gebraucht hatten, um zu funktionieren. Früher, vor dem Tau.