Jupiter 6: Gravo-Schock - Hubert Haensel - E-Book

Jupiter 6: Gravo-Schock E-Book

Hubert Haensel

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Beschreibung

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße; die letzte kosmische Krise liegt lange zurück. Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der menschlichen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge vom Riesenplaneten Jupiter wirft dunkle Schatten über Terra. Während Perry Rhodan den Hintermännern im Syndikat der Kristallfischer nachspürt, bleibt Reginald Bull auf Ganymed, dem größten Mond des Jupiters. Er untersucht das mysteriöse Artefakt, das aus dessen Tiefen aufgestiegen ist. Plötzlich erschüttern Schwerkraftanomalien den Eismond, und titanische Energiegewalten toben durchs All. Reginald Bull sieht sich konfrontiert mit dem GRAVO-SCHOCK ...

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Nr. 6

Gravo-Schock

Die CHARLES DARWIN II in Raumnot – das Artefakt zeigt sein wahres Gesicht

Hubert Haensel

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. CHARLES DARWIN II

2. Ganymed, Ovadja Regio

3. CHARLES DARWIN II

4. Ganymed, Ovadja Regio

5. CD-K 7

6. CHARLES DARWIN II

7. Ganymed, Ovadja Regio

8. CHARLES DARWIN II

9. Vor Galileo City

10. CD-K 7

11. Galileo City, Verwaltungszentrale

12. CHARLES DARWIN II

13. Galileo City, Verwaltungszentrale

14. Galileo City, Materiallabor

15. Galileo City, Materiallabor

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße; die letzte kosmische Krise liegt lange zurück.

Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der menschlichen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge vom Riesenplaneten Jupiter wirft dunkle Schatten über Terra.

Während Perry Rhodan den Hintermännern im Syndikat der Kristallfischer nachspürt, bleibt Reginald Bull auf Ganymed, dem größten Mond des Jupiters. Er untersucht das mysteriöse Artefakt, das aus dessen Tiefen aufgestiegen ist. Plötzlich erschüttern Schwerkraftanomalien den Eismond, und titanische Energiegewalten toben durchs All.

Reginald Bull sieht sich konfrontiert mit dem GRAVO-SCHOCK ...

Die Hauptpersonen des Romans

Reginald Bull – Der Verteidigungsminister wird zum Bastler.

Hannan O’Hara – Die Raumschiffkommandantin sieht schwarz.

Kaci Sofaer – Die Bürgermeisterin lehnt Terras Hilfe ab.

Starbatty

1.

CHARLES DARWIN II

12. Februar 1461 NGZ, 0.04 Uhr

Robert Marion Morrison fluchte stumm. Der Waffenoffizier der CHARLES DARWIN II ließ bereits die fünfte Simulation ablaufen, und noch immer kam er seinem Ziel nicht näher. Wortwörtlich: Seine Datenbrille zeigte ihm ein ums andere Mal, wie seine Schüsse knapp fehlgingen.

Augenscheinlich konnte er die ganze Ovadja Regio auf Ganymed in Schutt und Asche legen. Nur das fremdartige Artefakt, diese fünf aufeinandergetürmten Quader, die sich aus dem Eis des Jupitermonds an die Oberfläche geschoben hatten, bekamen dabei keinen einzigen Treffer ab. Außerhalb des Mondmagnetfelds bildeten sich regional begrenzte Schwerkraftanomalien und hyperphysikalische Interferenzen, die einen direkten Treffer vom Weltraum aus offenbar unmöglich machten.

»Ihr habt Rhodans Befehl gehört«, sagte Hannan O'Hara. »Wir fliegen zum Ganymed und schicken Bull ein Taxi.« Die Kommandantin der DARWIN klang angespannt.

Eigentlich hatte dies als Routineflug begonnen: Sie hatten lediglich Perry Rhodan, Reginald Bull und Mondra Diamond zur Dreitausendjahrfeier der Mondkolonie bringen und dabei ein paar Messungen an dem seltsamen, uralten Artefakt vornehmen sollen.

Nun zeigte der Raum um Jupiter und seine Monde unerklärliche Veränderungen, die nicht nur das Zielen mit den Bordwaffen, sondern auch die Navigation erschwerten. Reginald Bull auf Ganymed hatte erzählt, wie glücklich er war, bei dem Artefakt sein zu können – sein Verhalten war so seltsam, dass Rhodan eine Bergungsmission angeordnet hatte.

»Holt Bully da raus!«, hatte der Resident befohlen. »Schickt eine Korvette runter! Meinetwegen alle Beiboote, aber ich will ihn lebend wieder ...« Und sofort danach war der Funkkontakt abgerissen. Rhodans Micro-Jet war verschwunden und ohne jeden Kontakt in der Jupiteratmosphäre unterwegs.

»Sollten wir nicht lieber Rhodan rausholen als Bull?«, fragte Libius Ofdenham. Der Erste Offizier der CHARLES DARWIN II hatte keine Scheu, die Anordnungen seiner Kommandantin öffentlich infrage zu stellen. Normalerweise akzeptierte O'Hara das – oft genug hatte er sie damit auf gute Ideen gebracht.

»War irgendwas an Rhodans Befehl missverständlich?«, fragte die Kommandantin gereizt.

Morrison lächelte unmerklich. Er hatte schon auf anderen Schiffen gedient, auf denen solche Eigenmächtigkeiten wie die von Ofdenham nicht möglich gewesen wären. Ihm gefiel, dass O'Hara zumindest gegenwärtig, in der unübersichtlichen Gesamtlage, auf die Einhaltung der Befehlskette pochte. Das konnte in kritischen Situationen wichtige Sekunden einsparen. Sekunden, die über Leben oder Tod entscheiden mochten.

»Möglicherweise wird beides schwierig«, meldete sich Yoshimi Cocyne, die Erste Pilotin der DARWIN. Trotz ihrer Freischicht hielt sie sich in der Zentrale auf. Sie leckte sich über die Lippen. Ein Zeichen von Nervosität? »Die Schwerkraftanomalien werden stärker und wechseln ihre Position schneller. Egal wo wir hinfliegen, wir müssen höllisch ...« Sie verstummte und riss die Augen auf.

Morrison erkannte in seiner Datenbrille den Grund: Eben sandte Jupiter eine hyperphysikalische Schockwelle aus, wie sie seit der Zeit der Hyperstürme vor hundertdreißig Jahren nicht mehr angemessen worden war.

»Statusbericht!«, forderte O'Hara. »Funk, ich will mit Bull und danach mit Rhodan sprechen. Ortung, findet sofort Rhodans Micro-Jet! Wir fliegen ein Schiff der ENTDECKER-Klasse, da müssen wir doch auf die paar Hunderttausend Kilometer ein Beiboot orten können!«

Morrison fragte sich, ob Jupiters Schockwelle mit dem Artefakt von Ganymed zusammenhing. Hatte der rätselhafte Turm im ewigen Eis das Phänomen ausgelöst? Würde es noch schlimmer werden? Er wiederholte seine Simulationen mit veränderten Parametern. Noch immer war es unmöglich, die fünf mysteriösen Würfel zu treffen.

»Wo bleibt mein Gespräch mit Bull?«, fragte O'Hara ungeduldig.

»Die Systeme funktionieren«, kam es von der Funkstation, »aber ich bekomme keine Verbindung ...«

»Versucht es weiter!«, befahl die Kommandantin an. »Wir fliegen ...«

»... nirgendwohin«, fiel ihr die Erste Pilotin ins Wort. »Unsere Antriebe haben sich noch nicht von der Schockwelle erholt.«

O'Hara presste stumm die Lippen aufeinander.

Morrison hatte seine Kommandantin noch nie sprachlos erlebt. Ein schlechtes Gefühl hatte er bei dieser Mission schon seit Längerem.

2.

Ganymed, Ovadja Regio

12. Februar 1461 NGZ, 0.04 Uhr

»... ich bin glücklich, dass ich hier sein kann.«

Hatte er das tatsächlich gerade gesagt? Reginald Bull zog die Stirn kraus, weil er von diesem Satz selbst überrascht war. Angespannt wartete er auf eine süffisante Reaktion seines Gesprächspartners, doch die Funkverbindung bestand schon nicht mehr. Offenbar hatte Perry Rhodan kommentarlos abgeschaltet.

Das war eigenartig; so kannte Bull den Freund nicht. Er fragte sich, was Rhodan wirklich von ihm gewollt hatte. Bestimmt war Rhodan nicht nur an Small Talk gelegen gewesen, aber im Endeffekt ... Auf seiner Unterlippe kauend, schob Bull die Überlegung beiseite.

Sein Blick glitt an den übereinandergetürmten Würfeln des Artefakts in die Höhe und blieb an Jupiters Wolkenbändern hängen, dessen gewaltiges Rund den Sternenhimmel über Ganymed dominierte. Der kurze Funkkontakt erschien Bull suspekt.

»Manchmal habe ich den Eindruck, dass du dich veränderst, mein Freund ... Zu viel Müßiggang hier im Solsystem; dir fehlt die nächste Herausforderung zwischen den Sternen.«

Reginald Bull lachte verhalten. Mit beiden Händen streifte er über den bleichen Quader, das mittlere Segment des mysteriösen Objekts, das vor zehn Tagen aus den Eis- und Wassertiefen Ganymeds aufgestiegen war. Das Material erinnerte ihn immer deutlicher an glasiertes Porzellan. Aber das war nur der äußere Anschein. Tatsächlich hatte sich das Gebilde als extrem widerstandsfähig erwiesen. Es wurde Zeit, dem Fund mit härteren Methoden zu Leibe zu rücken.

Sekundenlang ließ Bull seine Hände auf der Seitenwand des Würfels liegen. Das Ding hatte weiterhin keine wahrnehmbare Temperatur. Er konnte sich noch so sehr darauf konzentrieren, die Empfindungen kalt oder warm ergaben sich einfach nicht.

»Ich vermute richtig, nicht wahr? Du stammst nicht aus unserem Universum.«

Selbstverständlich erwartete Bull keine Antwort. Das Artefakt war tot, eine Hinterlassenschaft aus tiefer Vergangenheit. Die ersten Analysen hatten das Alter der fünf Quader mit zweihunderttausend Jahren beziffert – eine Angabe, die später jedoch mehrfach nach unten korrigiert worden war, als ob das Objekt stetig jünger würde.

Die Frage ist mittlerweile: Wie alt bist du jetzt? Weiterhin ein paar Tausend Jahre oder nur mehr wenige Hundert?

Das Ding näherte sich jedenfalls der Gegenwart; spätestens in vierundzwanzig Stunden würde es vollends angekommen sein. Vielleicht ließ eine Berührung dann endlich warm oder kalt erkennen.

Bringt mich das irgendwie weiter?

Bull klopfte mit der flachen Hand auf den Würfel. Er musste Kraft aufwenden, um den Arm zurückzuziehen, und das überraschte ihn. Bis vor wenigen Minuten war das nicht der Fall gewesen.

Perry Rhodan hatte von Schwerkraftanomalien gesprochen, die von dem Artefakt ausgingen. Überhaupt: Von wo hatte der Freund sich gemeldet? Der begrenzte Bildausschnitt im Helmdisplay während des Gesprächs ließ Bull vermuten, dass Rhodan sich an Bord einer der Micro-Jets befand. Demzufolge hatte er Galileo City verlassen und war von Port Medici gestartet.

»Warum?«

Bull seufzte leise. Dass Mondra Diamond ihren Lebensgefährten begleitete, bezweifelte er nicht. Aber waren die TLD-Leute bei ihnen? Und die beiden Pressefritzen ebenfalls?

Quatsch. Mehr als fünf Personen stopft niemand in eine Micro-Jet, selbst dann nicht, wenn man einen Schuhlöffel zum Einsteigen benutzt. Bull grinste breit. Dieser Gedanke, fand er, gehörte aufgezeichnet. Aus diesem Blickwinkel hatte er die kleinen Raumfahrzeuge bislang nicht betrachtet.

»Er ist deinetwegen unterwegs, oder?« Beinahe freundschaftlich boxte er gegen den verwitterten, uralten Porzellanquader.

Nicht mehr uralt, korrigierte er sich in Gedanken. Inzwischen beinahe schon neuwertig.

Von verwittert konnte ebenso wenig die Rede sein. Die glasiert wirkende Oberfläche war zunehmend glatter geworden, seitdem das Gebilde aus dem Eis hervorgebrochen war. Ein eigentümlicher Glanz umgab die Würfel wie die Aura von etwas Lebendigem.

Bull öffnete die Faust und tastete abermals sanft über die Quaderfläche hinweg.

»Das magst du?« Er redete mit dem Würfel wie mit jemandem, der ihn verstand. Wenn sogar die Wissenschaftler nicht davor zurückschreckten, nahm er sich selbst keineswegs davon aus.

»Komm schon!« Bull spreizte die Finger der rechten Hand, mit allen fünf Fingerspitzen gleichzeitig tippte er den Würfel fordernd an. »Wenn du mit den anderen redest, solltest du mir nicht mit Schweigen begegnen. Ich habe dir nichts getan, dass du trotzig reagieren musst. Dass ich dich wenn nötig mit den Traktorstrahlen der CHARLES DARWIN aus dem Mond rausbreche, war doch nur ein Scherz.«

Drei oder vier Stunden waren vergangen, seit Bull mit Immel Murkisch über ein solches Vorgehen gesprochen hatte. Der Hyperphysiker hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er das Artefakt für eine Reliquie hielt, eine Art heilige Stätte.

Ausgerechnet Murkisch. Bull hatte nie einen überzeugteren Atheisten kennengelernt. Und das hieß eine ganze Menge, gehörte er doch zu den Aktivatorträgern der ersten Stunde und konnte wie Perry Rhodan auf mehr als drei Jahrtausende Lebenserfahrung zurückblicken.

Wenn Immel Murkisch das Artefakt als »Schatz eines alten, guten Gottes« bezeichnete, dann bestimmt nicht nur, weil ihm das einfach so in den Sinn kam. Denn die einzige Gottheit, die der Hyperphysiker anerkannte, war das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis.

Bull zwang sich wieder in die Gegenwart zurück, klopfte in verhaltenem Rhythmus gegen die vermeintliche Porzellanwand. Die Bewegung strengte an. Als wollten die Finger an dem Kubus festkleben.

»Okay.« Bull versuchte, alles aus seinen Gedanken zu verdrängen, was ihn beeinflusste. »Künstliche Schwerkraft ist einfach zu erzeugen, das schafft jedes Volk, sobald es die interstellare Raumfahrt betreibt. Ich nehme an, in einem der Würfel sind Schwerkraftgeneratoren angelaufen. Im günstigsten Fall können wir also die Quelle anmessen.«

Bislang waren alle Versuche fehlgeschlagen, den seltsamen Turm aus unterschiedlich großen Quadern zu analysieren. Vielleicht ergab sich nun ein brauchbarer Ansatzpunkt.

»Du veränderst dich zwar, aber besser wäre es, du würdest dein Geheimnis preisgeben.«

Bull bediente sich nun der Sprache der Lemurer. Vor mehr als fünfzigtausend Jahren hatte sich die Erste Menschheit über die Milchstraße und die Nachbargalaxis Andromeda ausgebreitet. Ohne diese Epoche wäre die Welt, wie die Terraner sie kannten, eine andere gewesen, denn viele Hinterlassenschaften hatten die Zeit überdauert.

»Mag sein, dass du mich nicht verstehst.« Er zuckte mit den Achseln. »Lemurisch ignorierst du also auch. Was bist du? Ein selbstständig agierender Roboter? Oder lediglich ein einfaches Transportsystem? Dann frage ich mich allerdings, was für eine Fracht du mit dir herumträgst.«

Das Ding blieb stumm.

Bull wechselte zur Sprache der Mächtigen, die sogar in fernen kosmischen Bereichen verstanden wurde. »Eine Menge Fragen stellen sich, wenn ein geheimnisvolles Objekt urplötzlich in unserem Sonnensystem erscheint. Solange wir die Absicht dahinter nicht kennen, werden wir diesen Zustand nicht akzeptieren. Unsere Sicherheit hat Priorität. Auch wenn es sehr angenehm ist, dich in unserer Nähe zu wissen.«

Sein Blick sprang über den tiefen Graben hinweg, mit dem das Artefakt bis zum untersten Würfelsegment freigelegt worden war. Rundgänge und Treppenstufen umgaben die Quader. Brückenelemente aus Eis erlaubten es, den Graben an etlichen Stellen zu überqueren. Auf gewisse Weise erinnerte ihn der in sich verschobene Turm deshalb an eine Spinne, die dick und fett in ihrem Netz lauerte. Ein seltsamer Gedanke war das – völlig unpassend.

Auf einer der Eisbrücken sammelten sich Personen. Bull konnte nicht erkennen, was vorgefallen war. Wenn er sich nicht täuschte, lag dort jemand am Boden. Aber wie konnte das sein? Von dem Artefakt ging doch keine Gefahr aus, sondern nur Gutes. Hier konnte niemand Schaden nehmen.

Sein kritischer Verstand meldete sich zurück. Hier stimmte etwas nicht. Das Artefakt war gut. Aber jemand war in seiner Nähe zusammengebrochen. Das war schlecht. Die Fakten passten nicht zusammen.

»Bringt ihn oder sie ins nächste Zelt!«, ächzte er. »In der Eiseskälte könnt ihr nichts anderes unternehmen!«

Keiner der Beteiligten schien ihn zu hören.

Bull löste sich von dem Quader – und zögerte. Das Gefühl, etwas unbeschreiblich Schönes zu verlieren, machte es ihm schwer.

Er lachte heiser.

»Du versuchst, alle in deiner Nähe zu beeinflussen!« Nach wie vor bediente er sich der Sprache der Mächtigen. »Nicht mit mir! Es hätte mir schon auffallen müssen, als Immel von einer Reliquie sprach.«

Dass er so viel redete, entsprang seiner inneren Zerrissenheit. Nun, da er sich von dem Würfel abwandte, wurde sein Zwiespalt deutlicher, der Wunsch, dem Artefakt nahe zu sein, obwohl ihn sein Instinkt warnte.

Glücklich? Zugegeben, er fühlte sich immer noch zufrieden, Glück war indes etwas anderes, war ...

... zu wissen, dass der Zellaktivator unterhalb seines linken Schlüsselbeins zuverlässig arbeitete. Dass der eineinhalb mal zwei Zentimeter messende, dünne Chip nicht nur Krankheiten von ihm fernhielt, sondern jeden Alterungsprozess verhinderte.

Ist das alles?, dachte Bull verwirrt. Bin ich so bescheiden geworden?

War der Wunsch nach Unsterblichkeit wirklich bescheiden? Vor allem: Gab es Dinge, die einem Menschen mehr bedeuten konnten? Bull fragte sich, wie viele in der Hoffnung, das ewige Leben zu erlangen, in den Tod gegangen waren.

Er wandte sich vollends um.

Nach den ersten beiden Schritten auf dem schmalen Eisband hielt er zögernd wieder inne. Ein Schwindelgefühl machte ihm zu schaffen und wollte ihn zwingen, sich erneut an dem Quader abzustützen.

Da kennst du den alten Bull schlecht! Verdammt schlecht sogar. Wenn du ein Kräftemessen suchst, das kannst du haben!

Er biss sich kräftig auf die Zunge, drei Mal, bis es blutete. Der Schmerz und der leicht metallische Geschmack klärten seine Gedanken. Es gelang ihm, die Beeinflussung zu überwinden.

Er konzentrierte sich auf den nächsten Schritt. Seine Benommenheit wich einem heißen Aufwallen unter der Haut. Sekunden später spürte er die belebenden Impulse des Aktivatorchips – und fragte sich, ob das Artefakt ihn verstanden hatte.

Bull schritt schneller aus und stieg einige Eisstufen höher. Auf der Brücke drängten sich mittlerweile mindestens fünfzehn Personen. Zwei Roboter schwebten von der anderen Seite heran.

Mit einem Schwall von Störgeräuschen meldete sich der Helmfunk.

*

»Reginald, endlich!« Hannan O'Haras Seufzen klang erleichtert, als hätte sie sich Sorgen gemacht.

Im Helmdisplay sah Bull nur ein verzerrtes Bild der Kommandantin, eigentlich nicht mehr als ihr hochgestecktes Haar und dass sie mit beiden Händen versuchte, ihre Frisur zurechtzurücken. Prompt fragte er sich, weshalb die Frau so hartnäckig darauf verzichtete, ihre Haarfülle mit den üblichen Antigravklammern zu bändigen. Genau das wäre angebracht gewesen. O'Haras Anruf erinnerte ihn zugleich daran, dass er nicht nur wegen des Artefakts nach Ganymed gekommen war.

»Gibt es Probleme?«, wollte er wissen.

Was die Kommandantin der CHARLES DARWIN II antwortete, blieb unverständlich. Bull sah O'Haras Gesicht wie in einem Zerrspiegel vor sich. Im einen Moment schwollen ihre Augen riesig an und sezierten ihn beinahe, dann schien ein Pferdegebiss nach ihm zu schnappen.

Reginald Bull versuchte, die Wiedergabe zu ignorieren. Mit ihrem dunklen Teint und den vollen Lippen entsprach die Frau dem gängigen Schönheitsideal. Ihre einzige Marotte war das toupierte Haar.

»Probleme?« O'Hara klang schrill, als werde eine Aufzeichnung extrem schnell wiedergegeben. »In Jupiternähe ist eine hyperenergetische Schockwelle durch den Raum getobt.« Die Stimme rutschte mit jedem Wort tiefer in den Bass. »Nicht nur der Funkverkehr wurde lahmgelegt, auch die Triebwerke versagten minutenlang. Probleme ist eine etwas schwache ...«

»Wie weit ist die DARWIN von Ganymed entfernt?«

Die Kommandantin reagierte nicht darauf. Die Bildsequenz wirkte, als sei sie eingefroren. Einen Lidschlag später erlosch die Wiedergabe.

»Reginald Bull ruft die CHARLES DARWIN II! Was ist los bei euch?«

Schweigen.

Die spärlichen Anzeigen im Helmdisplay gaben keinen Hinweis darauf, warum der Kontakt nicht wieder zustande kam. Bulls SERUN war nicht das hochwertigste Raumanzug-Modell, sondern gehörte zu den Downsize-Versionen. Der Montur fehlten einige Ortungsapparaturen und technische Spielereien, die man für gewöhnlich gar nicht vermisste, weil sie höchst selten benötigt wurden. Der Vorteil des SERUN Warrior III ds war vor allem, dass er den Eindruck eines klobigen Schutzanzugs vermied. Er erfüllte einerseits seine Aufgabe in widrigem Terrain ausgezeichnet und wirkte zugleich sogar auf diplomatischem Parkett nicht deplatziert.

»Hannan ...!«

Eine Meldung wurde im Display eingeblendet: »Der Funkkontakt wurde von der CHARLES DARWIN II aus abgebrochen.« Stirnrunzelnd nahm Bull den Hinweis zur Kenntnis.