Just for the Summer - Abby Jimenez - E-Book

Just for the Summer E-Book

Abby Jimenez

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Beschreibung

Sie wollen sich verlieben – nur nicht ineinander Abby Jimenez ist ein »wahres Talent«. – Emily Henry Nicht alles läuft in Justins Leben rund. Jede Frau, die er länger als einen Monat datet, findet nach der Trennung ihr Happy Ever After, aber er bleibt jedes Mal allein zurück. Und als ein von ihm abgesetzter Reddit-Post viral geht, kann er sich nicht mehr vor Nachrichten retten – alle von Frauen, die ihn treffen und dann abservieren wollen, um anschließend den Mann fürs Leben zu finden. Doch dann erhält er eine Nachricht von Emma, der es genauso geht wie ihm. Emma liebt ihr unstetes Leben als reisende Krankenschwester. Mit ihrer besten Freundin Maddy kann sie das ganze Land kennenlernen und überall so lange bleiben, wie sie will. Nächster Stopp: Hawaii! Schade nur, dass ihr Dating-Leben alles andere als erfüllend ist, denn kein Mann scheint der Richtige für sie zu sein und nach ihr direkt seiner großen Liebe zu begegnen. Aber als sie Justins Reddit-Post sieht, slidet sie in seine DMs, und die Chemie zwischen den beiden stimmt sofort. Um den »Dating-Fluch« zu brechen, unter dem die beiden leiden, beschließen sie, sich gegenseitig zu daten, und für Emma und Maddy geht es statt nach Hawaii erstmal nach Minneapolis ins Royaume Northwestern Hospital. Klingt doch nach dem perfekten Plan und als könnte nichts schiefgehen ... oder? Die Presse ist begeistert von Abby Jimenez: - »Ein gefährlich süchtigmachender Sinn für Humor.« Booklist - »Bestsellerautorin Jimenez liefert eine emotionale tour de force in dieser intensiven Geschichte von Liebe, Verlust und Kindheitstrauma.« Publishers Weekly  - »›Just for the Summer‹ ist eine großartige Sommerlektüre.« Book Reporter Weitere Bücher aus dem Royaume-Northwestern-Universum: ›Part of Your World‹ – Alexis und Daniel: Wenn du die große Liebe triffst, und euch Welten trennen. ›Yours Truly‹ – Briana und Jacob: Mr Darcy meets ›Grey's Anatomy‹ Tropes:  - Right Person, Wrong Time - He falls first, he falls harder - Dating Experiment - Slow Burn - Star-crossed Lovers

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 562

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Emma und Justin haben eine Sache gemeinsam: Jedes Mal, wenn sie eine Beziehung beenden, finden ihre Ex-Partner direkt danach die Liebe ihres Lebens, und sie selbst bleiben alleine zurück. Um gegenseitig ihren »Dating-Fluch« zu brechen, beschließen sie deshalb, für vier Wochen ein Paar zu werden – und sich dann zu trennen. Doch Emma und Justin verlieben sich wirklich ineinander, haben aber zeitgleich mit eigenen Schicksalsschlägen zu kämpfen, die eine richtige Beziehung unmöglich zu machen scheinen. Und es sieht so aus, als hielte ihre Liebe tatsächlich nur für einen Sommer … oder?

 

 

Von Abby Jimenez sind bei dtv außerdem erschienen:

 

Die Burning-Secrets-Reihe:

›The Friend Zone‹

(ebenfalls erschienen als ›Wenn aus Funken Flammen werden‹)

›The Happy Ever After Playlist‹

(ebenfalls erschienen als ›Wenn in mir die Glut entflammt‹)

 

Die Royaume-Northwestern-Reihe:

›Part Of Your World‹

›Yours Truly‹

Abby Jimenez

Just for the Summer

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Urban Hofstetter

 

 

 

Dieses Buch ist meinen wunderbaren Leserinnen und Lesern gewidmet. Am Anfang habe ich nur für mich selbst geschrieben. Ich habe nie geglaubt, dass aus meinen Geschichten mal etwas werden oder jemand sie lesen würde. Jetzt schreibe ich für euch. In Gesellschaft geht es viel besser.

Hinweis der Autorin

Obwohl dieser Roman wie all meine Bücher eine romantische Komödie ist, enthält er ein paar Themen, die unter Umständen verstörend wirken können. Wer Hinweise dieser Art nicht benötigt und sie als Spoiler betrachtet, sollte den nächsten Absatz überspringen und zum Anfang der Geschichte weiterblättern.

Dieses Buch enthält Szenen, in denen Panikattacken, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, nicht diagnostizierte psychische Probleme, eine toxische Mutter und ein in der Vergangenheit liegender Fall von Kindesvernachlässigung beschrieben werden. Weitere inhaltliche Hinweise finden sich auf meinem Goodreads-Profil.

 

Liebe Grüße

Abby

Prolog

r/BinichderArsch

Vor 1 Woche

Gepostet von just_in_267

BIDA, weil ich meinen hässlichen Hund nach meinem ehemaligen besten Freund benannt habe?

Ich [29m] bin schon mein ganzes Leben lang mit Chad [32m] befreundet. Unsere Mütter sind BFFs, wir sind gemeinsam aufgewachsen und haben die letzten 10 Jahre zusammengewohnt – bis zu dem Vorfall, mit dem unsere aktuelle Situation begonnen hat.

Zum Hintergrund: Ich habe diesen … man könnte es vielleicht einen Lauf nennen. Wenn ich mich mehr als zwei- oder dreimal mit einer Frau verabrede und wir uns entscheiden, wieder getrennte Wege zu gehen, findet sie anschließend sofort ihren Seelenverwandten. Kein Witz! Es hat vor drei Jahren angefangen und ist mittlerweile fünfmal passiert. Die Frau und ich machen Schluss, und die nächste Person, mit der sie zusammenkommt, entpuppt sich als absoluter Volltreffer.

Meine Freunde finden das wahnsinnig witzig. Die jeweiligen Frauen und ich gehen immer im Guten auseinander, und ich bin froh, dass sie glücklich sind. Aber meine Kumpel ziehen mich gnadenlos damit auf. Sie nennen mich den »Glücksbringer«.

Wie auch immer. Vor fünf Monaten war ich ein paar Wochen lang mit Hope [28w] zusammen. Es war keine große Sache. Wir fanden beide, dass wir nicht zusammenpassen, weil die Chemie zwischen uns einfach nicht gestimmt hat. Also haben wir es gelassen. Und siehe da, plötzlich funkt es zwischen ihr und Chad. Da ich der Glücksbringer bin, erweist sich Chad natürlich als Hopes Mann fürs Leben. Auch Chad ist total verknallt. Sie stellen einander ihren Eltern vor, gehen Ringe shoppen – und wollen zusammenziehen. Von jetzt auf gleich.

Das einzige Problem bei der Sache ist, dass Chad noch sechs Monate an unseren Mietvertrag gebunden ist, aber das perfekte Haus für sich und Hope gefunden hat. Und zwei Mieten gleichzeitig kann er nicht bezahlen.

Ein paar Wochen lang habe ich deswegen echt Stress gehabt. Ich wollte mir auf keinen Fall einen neuen Mitbewohner suchen, und der Vermieter hat mich nicht vorzeitig aus dem Vertrag gelassen. Aber er hat gesagt, ich kann in ein günstigeres 1-Zimmer-Apartment umziehen – das einzig freie im ganzen Wohnblock. Es wirkte ein bisschen klein, aber fürs Erste in Ordnung und ist billiger. Also habe ich, ohne es zu besichtigen, zugesagt und erst anschließend herausgefunden, WARUM es billig und frei war: Direkt vor dem Fenster hängt eines dieser Toilet-King-Plakate. Das, auf dem er wie Henry Tudor gekleidet ist und einen Pömpel über eine bis zum Rand mit Kacke verstopfte Toilettenschüssel hält. Es sollte verboten sein, ein Plakat so dicht vor ein Gebäude zu hängen, wo nur der Bewohner eines einzigen Apartments es sehen kann – genauer gesagt: ich. Es füllt buchstäblich mein gesamtes Blickfeld aus. Für mich gibt es keinen Himmel, kein Wasser – nur den Toilet King. Tagein, tagaus. Wenn die Sonne untergeht, wird es von einem Scheinwerfer angestrahlt, der durch meine Jalousie leuchtet, und ich arbeite von zu Hause aus. Es ist die reinste Hölle.

Und Chad, der an allem schuld ist, amüsiert sich königlich. Er ist voll der Troll und schickt mir Fotos von allen Toilet-King-Plakatwänden, -Bushaltestellen-Displays und -Flugzeugbannern, die er sieht. Wer, wie ich, in Minneapolis-Saint Paul wohnt, kann sich ungefähr vorstellen, wie oft das passiert.

Ich bin total genervt und wollte unbedingt einen Grund haben, öfter vor die Tür zu gehen, damit ich nicht andauernd aus dem Fenster starren muss. Und ich wollte schon immer einen Hund haben, aber Chad war dagegen. Also bin ich zur Hunderettung gegangen und habe mir einen Rüden ausgesucht, der so scheußlich ist, dass kein anderer ihn haben wollte. Einen Belgischen Zwerggriffon mit Unterbiss und Räude, dem außerdem ein halbes Ohr fehlt. Mit seinem für Zwerggriffons typischen Blick sieht er wie ein vorwurfsvoller Kobold aus. Ich habe ihn aufgenommen und Chad getauft, weil er jetzt mein neuer bester Freund ist. Falls du das hier liest, menschlicher Chad: Du bist für mich gestorben.

Das meine ich natürlich nicht ernst. Ich liebe Chad immer noch. Aber ich tagge ihn in jedem Instagram-Post mit dem Hund. »Schau mal, so sieht ein treuer Chad aus!«

Chad findet es irgendwie lustig, aber Hope ist sauer und will, dass ich den Hund umtaufe. Chads Mutter sieht es genauso. Sie sagt, dass ich nicht mehr bei ihr vorbeikommen darf, solange ich den Namen nicht ändere. Was ziemlich blöd ist, weil meine Mom und sie, wie gesagt, beste Freundinnen sind und häufig irgendwelche Familientreffen bei ihr stattfinden. Ich mache es aber trotzdem nicht.

Bin ich kleinlich? Ja.

Aber bin ich der Arsch?

1Emma

»Hast du das schon gelesen?«

Meine beste Freundin Maddy hielt ihr Handy so, dass ich sehen konnte, wovon sie sprach: ein Reddit-Thread mit dem Titel »Bin ich der Arsch«. Wir waren gerade in der Mittagspause und saßen in der Cafeteria des Krankenhauses, in dem wir arbeiteten.

»Was ist das?«, fragte ich und drückte Ketchup auf meine Pommes.

»Lies es einfach. Ich schicke dir den Link«, erwiderte sie und einen Moment später blinkte mein Handy auf. Als ich den zweiten Absatz las, riss ich die Augen auf. »O. Mein. Gott.«

»Nicht wahr? Und ich dachte, du wärst die Einzige mit diesem Glücksbringer-Fluch.«

»Es ist ein Segen, Maddy«, sagte ich. »Nicht für mich, aber all meine Exfreunde sind darüber sehr glücklich.« Ich trank einen Schluck und las weiter. Als ich fertig war, legte ich das Handy weg. »Er ist definitiv nicht der Arsch in dieser Geschichte.«

»Das sehe ich ganz genauso«, pflichtete Maddy mir bei. »Hast du schon das Plakat gesehen, von dem er schreibt?«

»Nein.«

»Ich habe es gegoogelt. Das musst du dir anschauen.« Sie hielt mir ihr Handy wieder hin, und ich verschluckte mich fast vor Lachen.

»Oje, der arme Kerl!«

»Ich würde dich niemals so mies behandeln«, sagte Maddy.

»Das will ich doch sehr hoffen. Ohne dich könnte ich nämlich nicht leben.«

Grinsend biss sie in ihren Veggie-Wrap. »Echt schräg, dass ihr beide das gleiche Problem habt«, sagte sie, nachdem sie runtergeschluckt hatte.

»Ha. Bei wie vielen Hochzeiten er wohl schon dabei sein musste?« Ich zog die Essiggurken aus meinem Hühnchensandwich und legte sie auf den Teller.

Maddy deutete mit dem Kopf auf mein Handy. »Frag ihn doch.«

Ich sah sie an. »Ich soll ihm eine DM schicken?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ja, warum nicht? Männer stehen voll drauf, wenn Frauen in ihre DMs sliden. Ich meine es ernst. Frag ihn. Dann ist die Mittagspause wenigstens nicht so langweilig.«

Ich seufzte. »Also gut. Eine Nachricht.« Ich wischte die Finger an einer Serviette ab, nahm mein Handy und öffnete die Chat-Funktion auf seinem Profil.

Sein Benutzername war just_in_267. Ich fragte mich, ob er in echt Justin hieß. Mein Benutzername lautete Emma16_dilemma, weil ich ihn seit der zehnten Klasse nicht mehr geändert hatte. Wahrscheinlich sollte ich das mal machen.

Ich begann zu tippen.

Hey, ich habe genau das gleiche Problem wie du! Es ist in den letzten vier Jahren siebenmal passiert. Wenn ich mich von einem Mann trenne, ist er innerhalb von sechs Monaten verheiratet. Laden sie dich auch zu ihren Hochzeiten ein? Ich bin schon dreimal gebeten worden, eine der Brautjungfern zu sein

Ich schickte die Nachricht ab und legte das Handy wieder auf den Tisch zurück. »So, jetzt habe ich einem komplett Fremden geschrieben. Jetzt komme ich mir vor wie meine Mom.«

Maddy schnaubte. »Nein, das wäre nicht ihr Stil. Amber würde all ihr Geld irgendeiner Hellseherin in den Rachen werfen, die behauptet, ein Porträt ihres Seelenverwandten malen zu können, aber in Wahrheit all ihren leichtgläubigen Kunden das gleiche Bild schickt. Das würde Amber tun.«

Ich lachte nicht, weil es leider stimmte.

Mein Handy pingte. »Der Reddit-Typ hat geantwortet!«

Maddy, die gerade wieder in ihren Wrap beißen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Was hat er geschrieben?«

Ich klickte die Nachricht an.

JUSTIN: Hey, entschuldige, falls ich dich zu Unrecht verdächtige, aber du bist nicht wieder so eine Reporterin, die einen Artikel über den Reddit-Thread schreiben und mich interviewen will, oder? Du musst es mir sagen. Das ist wie bei verdeckten Ermittlern, die auch nicht lügen dürfen, wenn man sie auf den Kopf zu fragt, ob sie Cops sind.

Ich lachte.

»Was?«, fragte Maddy.

»Er glaubt, ich wäre eine Reporterin, die herausfinden will, wer er ist.«

»Passiert ihm das öfter?«

»Anscheinend.«

Ich fing wieder an zu tippen.

ICH: Ich bin keine Reporterin.

JUSTIN: Genau das würde eine verdeckte Ermittlerin auch behaupten.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf.

ICH: Ich bin Krankenschwester.

Er schickte mir ein Emoji mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen.

ICH: Sag mir, wie viele Finger ich hochhalten soll.

Ein paar Sekunden vergingen.

JUSTIN: Vier.

»Mach mal ein Foto von mir, Maddy.«

Sie sah mich entgeistert an. »Du willst diesem Typen ein Foto von dir schicken?

»Ja, warum nicht?«

»Äh, weil er ein Serienmörder sein könnte?«

»Ein Serienmörder mit Sinn für Humor, einem Hund aus der Rettung, Kindheitsfreunden und Kontakt zu seiner Mom?« Ich reichte ihr mein Handy. »Etwas anderes würde er auch nicht sehen, wenn er mich auf Tinder matcht. Außerdem sind wir eh in ein paar Wochen in Hawaii, und er ist in Minnesota. Selbst wenn er herausbekommt, wer ich bin, könnte er mich niemals finden.«

»Und was, wenn er ein widerlicher Kerl ist, der keine Zahnseide benutzt und dein Bild dazu verwendet, sich einen von der Palme zu schütteln?«

»Jetzt mach aber mal einen Punkt«, erwiderte ich und verdrehte die Augen. Dann legte ich den Kopf schief, sodass mein Zopf zur Seite fiel, und hielt vier Finger in die Höhe. Maddy machte widerwillig ein Foto und gab mir mein Handy zurück.

An der Brusttasche meines Schwesternkittels klemmte ein Namensschild. Ich öffnete die Bildbearbeitungsfunktion, verpixelte die Schrift darauf und tippte auf Senden.

ICH: Ich bin bei der Arbeit. Tragen Reporterinnen Kittel? Und wie oft wurdest du schon von Reportern gecatfisht?

JUSTIN: Haha, meinst du diese Woche oder insgesamt?

Ich schickte ihm ein lachendes Emoji.

JUSTIN: Da ich nun zweifelsfrei weiß, wer du bist, beantworte ich deine Frage: Ich bin erst einmal zu der Hochzeit einer Frau eingeladen worden, die von meiner Glückssträhne profitiert hat. Ich war Trauzeuge, und es war eine ›Beetlejuice‹-Party.

Ich lachte und las Maddy die Nachricht vor.

»Das glaube ich erst, wenn ich Beweisbilder sehe«, sagte sie.

Ich tippte: Das glaube ich erst, wenn ich Beweisbilder sehe Dann legte ich mein Handy wieder auf den Tisch. »Du hast recht. Das macht wirklich Spaß.«

»Ich habe einfach die besten Ideen«, erwiderte sie.

Als ich fast mit meinem Sandwich fertig war, pingte mein Handy erneut. »Er hat tatsächlich ein Bild geschickt.«

Maddy sprang von ihrem Platz auf und stellte sich hinter mich.

Ich klickte das Foto an und prustete laut los. Der Bräutigam war als Beetlejuice verkleidet, die Braut trug Lydias rotes Hochzeitskleid. Die Trauzeugin und der Trauzeuge waren die Maitlands, mit den furchteinflößenden Fratzen, die sie zu Anfang des Films aus ihren Gesichtern formten, um die neuen Hausbewohner zu vertreiben. Der Mann, der das Selfie machte und wohl Justin war, hatte sich eine lange, kegelförmige Nase angeklebt und machte Kugelaugen. Ich schickte ihm mehrere lachende Emojis.

»Du hast recht, er hat wirklich Humor«, kommentierte Maddy.

Ich verengte die Augen zu Schlitzen. »Schade, dass man sein Gesicht nicht sehen kann.«

»Schick mir das Foto mal.«

»Warum?«

»Damit ich eine umgekehrte Bildersuche machen kann.«

»Ah, raffiniert«, sagte ich und sendete es ihr.

Maddy setzte sich hin und tippte auf ihrem Handy herum, während ich aufaß. »Hab ihn«, erklärte sie nach nicht mal einer Minute.

Ich riss die Augen auf. »Echt jetzt?«

»Das FBI sollte mehr Frauen rekrutieren. Wir sind die geborenen Ermittlerinnen. Ich bin auf seinem Instagram-Account. Das ist eindeutig er. Ich kann das Plakat sehen. Ich schicke dir den Link.«

Mein Handy pingte, doch ich zögerte, Maddys Nachricht zu öffnen. »Warte mal. Sollten wir uns das wirklich ansehen? Das kommt mir ziemlich übergriffig vor.«

Maddy sah mich über ihr Handy hinweg an. »Sobald Männer aufhören, Frauen zu attackieren, die sie online kennenlernen, werden wir aufhören, ihnen nachzustellen, um zu checken, ob ihre Vibes stimmen. Und außerdem: Wenn er seine Privatsphäre schützen wollte, hätte er den Account auf privat eingestellt.«

Ich nickte. »Okay. Guter Punkt.« Dann klickte ich auf den Link, und wir durchforsteten gleichzeitig seine Posts. Seine Haare waren braun, seine Augen auch, und er war glattrasiert. Er hatte ein nettes Lächeln, mit Grübchen, er wirkte fit … und süß. Sehr süß.

»Da kann man nicht meckern«, sagte Maddy. »Der verwendet definitiv Zahnseide.«

»O mein Gott, der Hund«, erwiderte ich.

Maddy schnappte nach Luft. »Wow. Der ist wirklich unansehnlich. Wie ein kleiner Gargoyle.«

Ich kniff die Augen zusammen. »Ich weiß nicht. Er ist so hässlich, dass er fast schon wieder süß ist.« Das braune Hündchen hatte ein struppiges Fell, eine platte Schnauze und einen sehr strengen Blick. Seine wässrigen Augen traten ein bisschen aus den Höhlen. Auf dem Foto hielt Justin ihn in den Armen und lächelte wie ein Junge, der ein heiß ersehntes Weihnachtsgeschenk vorzeigt. Darunter stand: Tja, Brad der Hund hat zwar einen Bandwurm, aber dafür hat er mich nicht um seinen Mietanteil betrogen.

»Brad?«, fragte ich und blickte auf. »Ich dachte, sein Freund heißt Chad.«

»Wahrscheinlich hat er die Namen aller Beteiligten geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen. Wie edel von ihm. Hast du die Kommentare gelesen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Die musst du dir unbedingt anschauen.«

Ich öffnete sie und sah jede Menge lachende Emojis. Jemand namens Faith hatte geschrieben: Ernsthaft, Justin? SMH Brads Kommentar lautete: Wenn ich das nächste Mal vorbeikomme, klaue ich die Stange deiner Jalousie.

Ich lachte.

»Schau dir mal den Hund ganz genau an«, sagte Maddy.

»Was ist mit ihm?«

»Er scheint sich bei Justin wohlzufühlen. Ich achte bei solchen Fotos immer auf die Tiere. Dabei erfährt man viel über die jeweiligen Menschen. Ich merke zum Beispiel sofort, wenn jemand sich einen Hund nur für sein Profilbild ausgeliehen hat. Dieser Hund hier denkt so was wie: Okay, ich kenne dich zwar noch nicht sehr lange, aber ich glaube, du bist ganz in Ordnung. Scroll mal weiter runter.« Ich tat es. »Siehst du das Foto von ihm auf der Couch?«

Auf diesem Bild hatte Justin einen Arm um ein kleines Mädchen gelegt, das an seine Brust gekuschelt schlief. Der Hund schlummerte derweil auf seiner anderen Seite.

»Dieser Hund vertraut ihm«, sagte Maddy. »Und das bedeutet echt was. Hunde, die gerettet werden mussten, sind normalerweise total eingeschüchtert und ängstlich.« Schweigend ließ sie den Blick weiter über Justins Fotos wandern. »Geh noch weiter runter«, sagte sie schließlich. »Zum Plakat.«

Ich scrollte ein paar Bilder weiter, und da war es. Die berüchtigte Reklame. Justin hatte nicht übertrieben: Das Plakat war wirklich furchtbar. Ich wusste schon von Maddys Google-Suche, wie es aussah, aber vom Apartment aus betrachtet wirkte es noch viel schlimmer. »Oh, wow. Nein, Justin ist definitiv nicht der Arsch. Das ist echt krass.«

Er musste das Foto von der Küche aus aufgenommen haben, um das ganze Motiv draufzubekommen. In dem kleinen Apartment gab es nur eine einzige große Glasschiebetür, und die war komplett mit einem grinsenden, bärtigen Mann mittleren Alters ausgefüllt, der wie ein König gekleidet war und einen Pömpel über eine verstopfte Toilette hielt.

»Er hat ein Bettgestell«, sagte Maddy.

»Und?«

»Das ist ein gutes Zeichen. Je niedriger ein Bett ist, desto schlimmer ist der Mensch, dem es gehört. Jeder, der bei einem Date so tut, als hätte er den Geldbeutel vergessen, schläft tausendprozentig auf einem Futon oder einer Matratze auf dem Boden. Ich lasse mir von den Typen immer erst ein Bild von ihrem Bett schicken, bevor ich sie besuche. Und für Schlafsäcke anstelle von echtem Bettzeug gibt es satte Punktabzüge, selbst wenn sie ein Bettgestell haben.«

»Warum?«

»Weil man sich in einem Schlafsack fühlt, als würde man auf dem Boden pennen?«

»Und was ist mit Stockbetten?«, fragte ich.

»Das ist der einzige Fall, in dem meine Theorie nicht anwendbar ist, aber übrigens auch ein Grund, warum ich vor meinem Besuch auf Fotos vom Schlafzimmer bestehe.«

»Du machst mich fertig.«

Ich vergrößerte das Foto an verschiedenen Stellen, um mir den Rest des Raums anzuschauen. Ein ordentlich gemachtes Bett mit beiger Decke und ein ebenso ordentlicher Schreibtisch, auf dem ein Computer mit drei großen Bildschirmen, einer flachen Tastatur und einer kabellosen Maus stand. Daneben ein kleines Hundebett, in der Ecke eine Topfpflanze und an den Wänden hingen Bilder. Abgesehen von der Aussicht war es eine schöne und saubere Wohnung, und Justin hatte offensichtlich einen ganz guten Geschmack.

Ich scrollte weiter, um mir seine restlichen Fotos anzusehen. Es gab keine von Frauen, dafür einige, die seine Familie zu zeigen schienen. Ein Junge im Teenageralter, der ebenfalls Grübchen hatte und wie ein fünfzehnjähriger Justin aussah, ein Mädchen, das vermutlich elf oder zwölf war, und das kleine Mädchen, das bei ihm auf der Couch geschlafen hatte. Sie war höchstens fünf. Er hatte in den Bildern eine Frau getaggt, bei der es sich vermutlich um seine Mom handelte. Ich klickte auf ihr Profil, doch es war gesperrt.

»Ich habe ihn auf LinkedIn gefunden«, sagte Maddy. »Sein Nachname ist Dahl, und er arbeitet als Programmierer.« Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: »Sein Dad ist vor ein paar Jahren gestorben. Ich habe gerade seinen Nachruf entdeckt. Ja, das ist er. Die gleichen Kinder wie auf Instagram. Er hat drei Geschwister: Alex, Chelsea und Sarah.«

»Wie ist sein Vater gestorben?«, fragte ich.

»Hier steht bloß ›unerwartet‹. Er ist gerade mal fünfundvierzig geworden, wie schrecklich. Warte einen Moment. Ich sehe mal im Register für Sexualstraftäter nach.« Maddy tippte einen Moment lang auf ihr Handy, nickte und legte es weg. »Er ist sauber«, sagte sie und nahm ihren Wrap wieder in die Hand. »Ich kann nichts Alarmierendes entdecken. Abgesehen von seinem Vornamen. Männer, deren Namen mit einem J beginnen, sind die schlimmsten. So, zur Sicherheit folge ich ihm jetzt noch mit meinem Alias-Account auf Instagram, um ihn im Auge zu behalten. Aber aus meiner Sicht kannst du weitermachen.«

Ich sah sie amüsiert an. »Womit weitermachen?«

»Ich weiß nicht. Weiter mit ihm hin und her schreiben, um zu sehen, ob er normal ist.«

»Er wirkt normal«, erwiderte ich und sah wieder mein Handy an. »Im Gegensatz zu uns«, fügte ich murmelnd hinzu.

Vor gerade mal neun Minuten hatte er uns das ›Beetlejuice‹-Foto geschickt, und seitdem hatten wir sein Leben komplett seziert. Ich kannte sein Gesicht, seine Familie, sein Apartment, den Nachruf auf seinen Dad, und ich wusste, wo er arbeitete.

Ich sah auf die Uhr. »Oh verdammt, wir müssen los.«

Maddy checkte ebenfalls die Zeit. »Mist.« Sie biss ein letztes Mal in ihren Wrap und stand auf. Dann räumten wir schnell den Tisch ab und eilten auf die Intensivstation. Unterwegs warf ich einen letzten Blick aufs Handy. Keine weitere Nachricht von Justin.

*

Nach unserer Schicht fuhren wir nach Hause, wo Maddy uns eine Reispfanne mit gegrillten Champignons machte. Als wir mit dem Abendessen fertig waren, war ich mit Abspülen dran und räumte die Küche auf. Anschließend duschte ich und föhnte mir die Haare.

Als ich mich ins Bett legte, sah ich, dass Justin mir doch noch mal geschrieben hatte – gleich nach unserer Mittagspause.

Er hatte mir ein Foto von sich geschickt. Es war keines von den Bildern auf Instagram. Er stand darauf mit dem Plakat hinter sich im Wohnzimmer und hielt seinen Hund im Arm.

JUSTIN: Damit du weißt, dass ich nicht in Wirklichkeit eine Figur aus ›Beetlejuice‹ bin. Ich hoffe nur, dass du echt keine Undercover-Reporterin bist, die meine Glücksbringer-Geschichte ausschlachten will.

Ich lachte und begann zu tippen.

ICH: Ist das Chad?

JUSTIN: Brad. Auf Reddit habe ich falsche Namen angegeben. Hope heißt eigentlich Faith.

ICH: Aha. Und wie findet Brad es, im Internet als Arsch dargestellt zu werden?

JUSTIN: Er findet es lustig. Weil er ja wirklich ein Arsch ist.

Ich schnaubte.

ICH: Was das Plakat angeht, hast du echt nicht übertrieben.

JUSTIN: In Wirklichkeit sieht es noch viel schlimmer aus als auf dem Foto, glaub mir.

ICH: Nur fürs Protokoll: Ich finde deinen Hund nicht hässlich.

JUSTIN: Das höre ich aber gar nicht gern. Das nimmt meiner Rache den Stachel … Hast du irgendwelche Haustiere?

ICH: Nein. Ich arbeite als Springerin und wechsle alle paar Monate das Krankenhaus. Aber ich kaufe mir in jeder neuen Stadt eine Pflanze.

JUSTIN: Nimmst du sie alle mit?

ICH: Nein, das kann ich nicht. Ich lasse sie immer zurück.

JUSTIN: Wie bitte? Du Mörderin.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf.

ICH: Pflanzen machen jeden Raum freundlicher. Ich würde sehr gern einen Garten anlegen, aber dafür ziehe ich zu oft um.

JUSTIN: Geht es dir wirklich genauso wie mir? Diese Glücksbringer-Sache?

ICH: Ja, wirklich. Warum wollen Reporter deine Geheimidentität lüften?

Er tippte eine Weile. Ich nutzte die Zeit, um Lippenbalsam aufzutragen.

JUSTIN: Weil alle Frauen den Typen kennenlernen wollen, der ihnen ein Happy Ever After garantieren kann. Ich glaube nicht, dass sich irgendwer für den Rest der Geschichte interessiert. Sie ist nur wegen der »Glücksbringer«-Sache viral gegangen.

ICH: Das habe ich gesehen :D

JUSTIN: Ich bekomme haufenweise Anfragen und musste die Benachrichtigungen abschalten, um nicht durchzudrehen. Deine habe ich nur beantwortet, weil du geschrieben hast, dass du das gleiche Problem hast wie ich. Deshalb gehe ich davon aus, dass du dich nicht mit mir verabreden willst, nur um mit mir Schluss zu machen.

Ich lachte und sah auf die Uhr. Es war spät.

ICH: Ich muss ins Bett. Morgen habe ich wieder eine Zwölfstundenschicht.

JUSTIN: Okay. Es war schön, mit dir zu chatten.

Ich lächelte.

Ja, das finde ich auch, dachte ich.

2Justin

Ich sah Brad und Benny im hinteren Teil des Restaurants.

»Endlich«, sagte Brad, während ich mich zu ihnen auf die kastanienbraune Sitzbank quetschte. »Nicht jeder von uns kann so lange Mittagspause machen, wie er will, du Blödmann.«

»Tut mir leid, ich musste Brad seine Wurmkur verabreichen. Für dich habe ich auch eine mitgebracht. Faith hat mir erzählt, dass du gerade ständig den Hintern über den Teppich schleifst. Stimmt das?«

Benny schnaubte. Brad versuchte, ernst zu bleiben, schaffte es aber nicht.

Mein bester Freund trug ein Hawaiihemd und pinke Cargo-Shorts. Er leitete eine Trader-Joe’s-Filiale, und seit seinem Auszug vermisste ich es, nicht in den Supermarkt gehen zu müssen. Um ehrlich zu sein, vermisste ich so einiges, seit er nicht mehr da war. Zum Beispiel, mit jemandem zu sprechen – auch wenn es nur Brad war.

Ich nahm einen Mozzarella-Stick vom Vorspeisenteller, der auf dem Tisch stand, und tauchte ihn in die Marinara-Soße. »Was schmeckt hier gut?«

»Die Chicken Wings«, erwiderte Brad.

»Ich wusste, dass du das sagen würdest.«

Brad bestellte in jedem Restaurant, in dem wir uns trafen, Chicken Wings. Er würde sie sogar in einem Sushi-Lokal essen, wenn es dort welche gäbe.

Benny deutete mit dem Kopf auf die Speisekarte. »Die Burger schmecken gut. Sie machen ihre eigenen Buns.«

»Oh, cool«, erwiderte ich und streifte die Jacke ab. »Wie geht’s Jane?«

»Gut. Sie lässt grüßen.«

Brad legte einen Arm auf die Rückenlehne der Bank. »Ja, Faith auch. Und sie sagt, dass du den blöden Hund umbenennen sollst.«

»Nichts da«, gab ich zurück und nahm die Speisekarte. »Der Name ist viral gegangen. Ich kann ihn jetzt nicht mehr ändern. Das wäre vollkommen prinzipienlos.«

»Läuft dein Beitrag auf Reddit denn noch?«, fragte Benny.

»Ja«, erwiderte ich, den Blick auf die Karte gerichtet. »Mittlerweile hat die Geschichte TikTok erreicht. In der letzten Woche konnte ich mich vor Nachrichten und Kommentaren kaum retten.«

»Was sagen die Leute?«, fragte Benny.

»Die meisten meinen, dass ich nicht der Arsch bin«, antwortete ich schmunzelnd und sah Brad an. »Ein paar haben geschrieben, dass ich dich auf Vertragsbruch verklagen sollte«, fügte ich lachend hinzu. Brad grinste. Wir wussten beide, dass ich das nie machen würde. »Und hin und wieder schreibt jemand, dass wir beide Ärsche sind.«

»Das stimmt«, erwiderte Brad und sah sein Handy an. »Aber nur füreinander. Darauf basiert unsere Freundschaft.«

»Ein paar Frauen haben mich gefragt, ob ich was mit ihnen anfangen und wieder Schluss machen würde, damit sie ihren Seelenverwandten finden können«, sagte ich amüsiert und ließ den Blick über das Burger-Angebot wandern.

»Und, wirst du es tun?«, fragte Brad.

Ich schnaubte. »Nein.«

»Warum nicht?«

»Sie wollen mich nur daten, um mir den Laufpass zu geben. Ich habe ungefähr zweihundert Nachrichten bekommen, und in allen steht das Gleiche.«

»Und was ist, wenn eine coole Frau dabei ist?«, warf Benny ein.

Ich sah ihn an. »Eine coole Frau, die mit mir Schluss machen will, bevor wir uns überhaupt kennengelernt haben? Ich bin für die doch bloß eine Kuriosität: ›der Glücksbringer-Typ von Reddit‹. Eine lustige Geschichte, die sie ihren Freundinnen erzählen wollen. Außerdem stimmt das mit der Serie nicht mal.«

»Als jemand, der davon profitiert hat, muss ich dir sagen, dass es sehr wohl stimmt«, entgegnete Brad.

»Das hat nichts mit Magie zu tun. Das Ganze ist nur eine Verkettung von Zufällen.«

Brad schüttelte den Kopf. »Hör mal, du kannst glauben, was immer du willst. Aber als ich Faith kennengelernt habe – und ich spreche hier buchstäblich vom allerersten Mal, das ich sie gesehen habe –, fühlte ich mich, als wäre ich von einem Truck gerammt worden. Und ihr ging es ganz genauso. Du verhilfst Frauen zu ihrem Liebesglück. Dafür solltest du Geld verlangen.«

»Oh, und das sagst du mir erst jetzt«, erwiderte ich und knallte die Speisekarte zu. »Letzten Monat hätte ich die zusätzlichen zwölfhundert Dollar gut gebrauchen können.«

Brad zeigte mir den Mittelfinger.

Ich nahm einen weiteren Mozzarella-Stick. »Durch diese Sache habe ich übrigens sozusagen jemanden kennengelernt.«

Benny sah mich interessiert an. »Echt jetzt? Wen?«

»Ich weiß nicht so genau. Eine Krankenschwester. Sie hat mir vor ein paar Tagen eine Nachricht geschrieben. Sie behauptet, bei ihr wäre es genauso.«

»Diese Glücksbringer-Sache?«, fragte Benny.

Ich nickte. »Ja.«

Sie war schön. Auf dem Bild, das sie mir geschickt hatte, trug sie eine hellblaue Schwesternuniform und hatte ihre langen braunen Haare zu einem Zopf geflochten. Sie sah aus wie ein Filmstar, der eine Krankenschwester spielt. Und sie schien auch ziemlich cool zu sein.

»Und, wirst du was mit ihr anfangen?«, fragte Brad.

»Ich glaube nicht, dass sie hier in der Nähe wohnt. Sie arbeitet als Springerin und ist ständig unterwegs.«

»Verdammt, das ist bitter«, sagte Brad. »Und wo ist sie jetzt gerade?«

»Keine Ahnung. Ich habe sie nicht gefragt.«

»Das solltest du aber«, sagte Benny. »Was, wenn sie zum Beispiel in Vegas wäre? Wir könnten sie alle zusammen besuchen. Das wäre ein Riesenspaß.«

Brad nickte. »Und weißt du was? Wenn es bei ihr mit der Glücksbringer-Sache genauso läuft, müsst ihr nur kurz zusammen sein und euch wieder trennen, um eure jeweiligen Seelenverwandten zu finden.«

Lachend stippte ich den Mozzarella-Stick in das Ranch-Dressing.

»Nein, ich meine es ernst«, beharrte Brad. »Denk doch mal nach. Eure Phasen würden sich überlagern und gegenseitig auslöschen.«

»Das klingt ein bisschen weit hergeholt, aber ich muss sagen, sie war echt nett.«

»Hast du ihr heute schon geschrieben?«, fragte Brad.

»Nein. Warum?«

»Ich weiß nicht. Ich habe es nur allmählich satt, dass du Single bist. Deinetwegen sind wir immer eine ungerade Zahl.«

»Na und, ist mir doch egal«, erwiderte ich und biss in den Mozzarella-Stick.

Doch das stimmte nicht.

Benny und Brad waren mittlerweile beide in festen Beziehungen. Wenn sie ihre Freundinnen zu unseren Treffen mitnahmen – was sie meistens taten –, fühlte ich mich wie das fünfte Rad am Wagen. Und das gefiel mir gar nicht.

Unsere Urlaube und Geburtstage verwandelten sich immer mehr in Pärchenveranstaltungen. Im Oktober wollten sie zusammen nach Lutsen zum Wandern fahren. Sie hatten mich gefragt, ob ich auch mitkommen wollte, aber allein hatte ich keine Lust dazu.

Ich blies die Wangen auf und stieß langsam den Atem aus. »Ich glaube, ich habe einfach so etwas wie einen Dating-Burnout.«

»Ich habe Daten auch immer gehasst«, sagte Benny.

Brad lehnte sich auf der Bank zurück. »Du hattest großes Glück, Jane über deine Schwester kennenzulernen. Und dass sie die Frau fürs Leben für dich ist, weißt du, weil sie schon mit dir zusammen war, bevor du die neue Niere bekommen hast.«

Benny lachte. Vor zwei Jahren hatte Janes Bruder, Jacob, ihm eine von seinen gespendet.

Brad trank einen Schluck und sah wieder mich an. »Bitte die Krankenschwester um eine Verabredung. Geh zu ihr, wo immer sie ist, und mach ihr die Idee schmackhaft. Vielleicht springt sie drauf an.«

Ich sah ihn mit großen Augen an. »Und wie genau soll das laufen?«

»Ist doch klar«, erwiderte Brad. »Ihr seid ein bisschen zusammen, dann trennt ihr euch und bekommt endlich euer Happy End. Es ist eine Win-Win-Situation. Ernsthaft, das ist deine Chance. Wenn du nichts unternimmst, wirst du für den Rest deines Lebens Frauen zu ihren Und-wenn-sie-nicht-gestorben-sind-Partnerschaften verhelfen und selbst immer leer ausgehen.«

»Ha.« Ich aß den letzten Bissen meines Mozzarella-Sticks. »Weißt du, das ist keine exakte Wissenschaft. Nicht jede Frau, die ich kennenlerne, heiratet anschließend.«

»Nein, es passiert nur, wenn du eine genug magst, um dich mehr als zweimal mit ihr zu verabreden. Hör mal« – er beugte sich über den Tisch – »du weißt, dass ich nichts von Esoterik halte. Ich glaube nicht an Magie, Zaubersprüche oder Flüche, aber was dir da passiert, ist real. Das geht jetzt schon seit drei Jahren und wird nie enden, wenn du nichts dagegen tust. Und vielleicht ist das ja die Lösung.«

Ich schüttelte den Kopf. »Warum sollte es mich stören, dass die Frauen, die nicht zu mir passen, mit dem Nächsten glücklich werden? Wieso sollte ich dem unbedingt ein Ende setzen wollen?«

»Weil das Universum jede Frau, an der dir auch nur ansatzweise etwas liegt, mit jemand anderem verkuppelt?«

Mir klappte der Mund auf.

Brad sah mir direkt in die Augen. »Du wirst nie die Eine finden, solange alle Frauen, mit denen du dich einlässt, für einen anderen bestimmt sind. Nicht du bist ihr Seelenverwandter, sondern die Person, die sie nach dir kennenlernen. Und das steht schon vom ersten Moment an fest. Sie sind buchstäblich nicht vom Schicksal dazu auserkoren, die Richtige für dich zu sein. Denk mal darüber nach.«

Doch ich musste gar nicht lange darüber nachdenken. In diesem Moment wurde mir klar, dass er recht hatte.

Es stimmte. Seit ich in dieser Dauerschleife feststeckte, fehlte mir immer irgendetwas. Nie fühlte sich eine Frau passend für mich an. Entweder funkte es zwischen uns nicht, oder ich verlor aus irgendeinem anderen Grund nach ein paar Verabredungen das Interesse. Ich hatte mir deswegen nie groß Gedanken gemacht und jedes Mal nur den Einzelfall betrachtet, aber was Brad sagte, ergab Sinn …

»Schreib ihr eine Nachricht«, fuhr er fort. »Versuch es doch einfach. Was soll schon schiefgehen?«

Benny nickte.

Ich hatte mir tatsächlich über sie Gedanken gemacht und mein Handy ein paarmal gecheckt. Sie hatte keine weiteren Nachrichten geschrieben. Die letzte war meine gewesen, in der ich ihr geschrieben hatte, wie schön ich es fand, mit ihr zu chatten. Das war mittlerweile drei Tage her. Da sie vermutlich woanders wohnte, waren mir weitere Kontaktversuche sinnlos erschienen.

Aber … keine Ahnung. Vielleicht hatte Brad ja recht. Was konnte schon groß passieren? Schlimmstenfalls würde ich Zeit und Geld investieren, ohne dass es zu etwas führte. Aber das war nun wirklich nichts Neues für mich. So ging es mir schließlich mit jedem Date.

Was soll’s, dachte ich mir und begann, eine Nachricht an Emma16_dilemma zu tippen.

3Emma

»Justin hat mir gerade eine Nachricht geschickt«, sagte ich zu Maddy, die uns vom Supermarkt heimfuhr.

Ich hatte drei Tage lang nichts von ihm gehört und unser Gespräch für beendet gehalten.

»Was hat er geschrieben?«

Ich las sie ihr vor.

JUSTIN: Darf ich dir eine medizinische Frage stellen?

Maddy wandte den Blick von der Straße ab und sah mich an. »Wenn du darauf eingehst, bekommst du entweder ein Foto von einem Ausschlag oder ein Dick Pic.«

»Soll ich es drauf ankommen lassen?«, fragte ich.

»Ja. Tatsächlich würde mich in beiden Fällen die Größe interessieren.«

Grinsend begann ich zu tippen.

ICH: Ich bin bereit, alle Fragen zu beantworten, die dir unter den Nägeln brennen. Und falls tatsächlich etwas brennt, solltest du zum Arzt gehen.

JUSTIN: Stimmt es wirklich, dass Q-Tips ungesund sind, oder wollen die Ärzte bloß nicht, dass ich glücklich bin?

Ich lachte und las Maddy die Nachricht vor.

»Dafür, dass er so süß aussieht, ist er ziemlich witzig«, sagte sie.

Ich schaute sie von der Seite an. »Können Männer etwa nicht gleichzeitig süß und lustig sein?«

»Nein. Wenn sie sexy aussehen oder über eins achtzig groß sind, haben sie normalerweise so viel Persönlichkeit wie eine hübsche Palme.«

Lachend tippte ich die Antwort.

ICH: Leider stimmt das mit den Q-Tips. Ich habe schon sehr viele geschundene Ohren behandeln müssen.

JUSTIN: Ich werde nie damit aufhören.

ICH: Ich auch nicht. #qtipsbisinsgrab

JUSTIN: LOL

Ich wartete einen Moment ab, doch von ihm kam nichts mehr. Damit hatten wir den Punkt erreicht, an dem man entweder den Versuch unternimmt, eine Unterhaltung am Laufen zu halten, oder sie den Gnadentod sterben lässt. Da ich ein bisschen gelangweilt war, entschied ich mich für eine lebensverlängernde Maßnahme.

ICH: Und was machst du beruflich?

Das wusste ich zwar bereits, da Maddy ihn online gestalkt hatte, aber das konnte ich ihm natürlich nicht sagen und musste daher die entsprechenden Fragen stellen.

Er antwortete fast sofort.

JUSTIN: Ich bin Softwareingenieur. Kann ich dir noch eine Frage stellen?

ICH: Klar

JUSTIN: Wo wohnst du?

ICH: Wieso?

JUSTIN: Ich dachte, vielleicht könnten wir zusammen einen Kaffee trinken gehen oder so. Und Geschichten von der Glücksbringer-Front austauschen.

Ich sah zu Maddy auf. »Er hat mich gerade um ein Date gebeten.«

»Das wurde aber auch langsam Zeit«, erwiderte sie ungerührt. »Und, sagst du zu?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Wieso nicht?«

»Weil er in Minnesota wohnt.«

»Vielleicht kommt er ja zu dir.«

»Glaubst du wirklich, ein Typ, der mich seit drei Tagen online kennt, fliegt bis nach Colorado, nur um mich in einen Starbucks auszuführen? Warum sollte er das tun?«

»Äh, weil du heiß aussiehst? Was so ungefähr das Einzige ist, wofür du deiner Mom dankbar sein kannst.«

Ich verdrehte die Augen und begann wieder zu tippen.

ICH: Ich würde gerne einen Kaffee mit dir trinken, aber ich bin gerade in Colorado. Und in drei Wochen ziehe ich für drei Monate nach Hawaii.

In diesem Moment bogen wir in die Einfahrt, woraufhin Maddy und ich eine Weile damit beschäftigt waren, die Einkäufe auszuladen. Anschließend ging sie duschen und ich ließ mich aufs Bett fallen und checkte mein Handy.

JUSTIN: Und was kommt nach Hawaii?

Ich tippte.

ICH: Das steht noch nicht fest. Ich lebe mit meiner besten Freundin Maddy zusammen, und wir entscheiden abwechselnd, wohin wir ziehen. Hawaii war ihre Wahl, und ich habe mir noch nicht überlegt, was wir danach machen.

Ich dachte nicht, dass Justin sofort reagieren würde. Da er wegen all der Kontaktanfragen seine Benachrichtigungen deaktiviert hatte, wurde er nicht sofort informiert, wenn er eine neue Nachricht bekam, und ich war sicher, dass Justin nach einer halben Stunde nicht mehr dasaß und auf meine Antwort wartete. Doch er meldete sich nach nicht mal dreißig Sekunden zurück.

JUSTIN: Ich würde euch zu Minnesota raten.

ICH: LOL, warum?

JUSTIN: Im Herbst ist es in Minnesota wunderschön. Und wir haben die Mayo Clinic und das Royaume Northwestern. Zwei der besten Krankenhäuser der Welt.

Ich lächelte.

ICH: Wow, du willst ja wirklich dringend einen Kaffee mit mir trinken gehen.

JUSTIN:

Nach einer kurzen Pause folgte eine weitere Nachricht.

JUSTIN: Weißt du, rein theoretisch müssten wir, wenn wir was miteinander anfangen und uns dann wieder trennen, anschließend beide unsere Seelenverwandten treffen.

Ich verengte die Augen zu Schlitzen.

ICH: Ich dachte, du willst dich nicht auf eine Frau einlassen, der es nur darum geht, sich wieder von dir zu trennen??

JUSTIN: Mit uns wäre das was anderes. Davon hätten wir beide etwas. Ganz im Ernst, was hältst du von der Idee? Ich finde sie nämlich echt gut.

Und nach einer weiteren kurzen Pause …

JUSTIN: Das soll übrigens kein unanständiges Angebot sein, sondern ein rein professioneller Vorschlag.

Ich setzte mich amüsiert auf und lehnte mich an das Kopfteil meines Bettes.

ICH: Kann ich dich anrufen?

JUSTIN: Äh, klar: 651–314–4444

Einen Moment lang überlegte ich, meine Handynummer zu unterdrücken. Er schien nett, aber ich kannte ihn nicht wirklich. Doch dann machte ich mir klar, dass ich ihn jederzeit blockieren konnte, falls er mir unheimlich wurde. Er nahm beim ersten Ton ab. »Emma.«

Keine Ahnung, warum, aber seine tiefe Stimme erzeugte ein Kribbeln in meinem Bauch.

»Ich glaube nicht an diesen Glücksbringer-Hokuspokus«, sagte ich ohne Umschweife.

»Ich auch nicht.«

»Ich bin nicht abergläubisch.«

Ich hörte ihn zischend einatmen. »Ich auch nicht. Na ja, vielleicht ein klitzekleines bisschen.«

Ich lachte. »Das ist alles reiner Zufall. Das ist dir doch klar, oder?«

»Absolut.« Er schwieg einen Moment. »Aber …«

»Was aber?«

»Aber was, wenn es kein Zufall ist? Brad sagt, dass jede Frau, an der mir auch nur ansatzweise etwas liegt, vom Schicksal für jemand anderen bestimmt ist.« Wieder verstummte er einen Moment. »Fühlt sich für dich auch niemand richtig an? Als wäre gerade mal genug Anziehungskraft vorhanden, um einen Versuch zu wagen, aber dann kommt nichts mehr? Oder geht es nur mir so?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Doch, das kenne ich auch. Aber ich glaube einfach, dass ich noch nicht den Richtigen getroffen habe.«

»Ja, das kann der Grund sein«, erwiderte er. »Ich finde es anstrengend, immer und immer wieder von vorn anzufangen. Und es fühlt sich so sinnlos an. Als würde ich in einer Dauerschleife feststecken und immer wieder an Leute geraten, die eigentlich zu jemand anderem gehören. Weißt du, was Brad zu mir gesagt hat? Er meinte, als er Faith kennengelernt hat, wäre er sich vorgekommen, als hätte ihn ein Truck gerammt. So intensiv hat sich ihre erste Begegnung für ihn angefühlt.« Justin schwieg einen Moment. »Das hat mich ins Grübeln gebracht«, fuhr er schließlich fort. »Ich habe so etwas noch nie erlebt. Mit niemandem. Ich bin neunundzwanzig. Mittlerweile hätte mir das doch auch schon mal passiert sein müssen, oder?«

»Ich bin achtundzwanzig und auch noch nie vom Truck gerammt worden«, gestand ich.

»Würdest du das gern?«

»Natürlich will ich das. Wer möchte denn nicht vom Liebes-Truck überrollt werden?«

»Hör mal«, sagte er. »Ich weiß, die Idee klingt ein bisschen abwegig, aber aus meiner Sicht haben wir dabei nicht viel zu verlieren und potenziell einiges zu gewinnen. Wir müssten nur ein paarmal miteinander Zeit verbringen und dann wieder damit aufhören. Mehr ist nicht nötig. Wenn es stimmt, was Brad sagt, und wir niemanden finden können, der zu uns passt, weil alle, für die wir uns interessieren, für jemand anderen bestimmt sind, würde ich dem gern ein Ende bereiten.«

Ich nickte. »Okay, und wie wollen wir es angehen?«

»Keine Ahnung. Wir gehen ein paarmal miteinander aus, trennen uns, und dann werden wir sehen, ob wir damit den Teufelskreis durchbrochen haben. Wie viele Dates sind bei dir nötig, damit es passiert? Bei mir sind es drei.«

»In meinem Fall hat es nichts mit der Anzahl der Verabredungen zu tun, denke ich. Es scheint eher darum zu gehen, wie lange es dauert.«

»Wie meinst du das?«

»Ich muss mindestens einen Monat mit jemandem zu tun haben, damit es passiert«, sagte ich.

»Okay. Und wie läuft das genau ab? Musst du den Mann jeden Tag sehen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, wir sollten zwar täglich miteinander Kontakt haben, aber es reicht, wenn wir uns schreiben oder telefonieren. Persönlich sehen müssen wir uns mindestens einmal pro Woche.«

Er schien darüber nachzudenken. »Ich müsste also einen Monat lang bei dir bleiben oder jede Woche hin und zurück fliegen.«

»Ich glaube schon.«

»Das schaffe ich leider nicht. Hawaii ist ziemlich weit weg, und ich muss mich um ein paar Familienangelegenheiten kümmern. So lange kann ich mich nicht loseisen.«

»Na ja«, erwiderte ich. »In dreieinhalb Monaten bin ich wieder auf dem Festland.«

»Okay. Vielleicht kriegen wir es ja dann hin.«

»Klar. Das klingt lustig.«

Ich war mir nicht ganz sicher, aber sein darauffolgendes Schweigen wirkte enttäuscht.

Maddy klopfte an meine offene Tür. »Bereit?«

Ich nickte und hob den Zeigefinger. »Ich muss auflegen«, sagte ich ins Handy. »Maddy will einen Filmabend machen.«

Justin und ich beendeten das Gespräch, und ich betrat das Wohnzimmer, um ›Forrest Gump‹ anzuschauen.

Dieser Film ging mir immer irgendwie an die Nieren. Wahrscheinlich weil mich Jenny – Forrests wunderschöne, vom Schicksal gebeutelte Angebetete – zu sehr an meine Mutter erinnerte.

Maddy offenbar auch, denn als der Abspann lief, stellte sie den Fernseher stumm und sah zu mir herüber. »Hast du in letzter Zeit was von Amber gehört?«

»Nein.«

»Weißt du, wo sie steckt?«

Ich schwieg einen Moment. »Nein. Ich kann sie nicht erreichen.«

Maddy sah genervt aus. »Wahrscheinlich hat sie die Telefonrechnung mal wieder nicht bezahlt. Was macht sie bloß mit all dem Geld, um das sie dich immer anpumpt? Gott, wie ich sie hasse.«

Ich wandte den Blick ab. Meine Gefühle für meine Mutter waren ziemlich kompliziert. Maddy dagegen wusste ganz genau, was sie von Amber hielt.

»Ich habe bei dem Café angerufen, in dem sie zuletzt gearbeitet hat«, sagte ich. »Dort hieß es, sie hätte vor drei Monaten hingeschmissen. Sie ist einfach nicht mehr zu ihren Schichten aufgetaucht.«

Maddy verdrehte die Augen. »War ja klar.«

Ich klapperte schon seit Jahren nicht mehr die Gefängnisse und Krankenhäuser in ihrer Umgebung ab, wenn so etwas passierte. Und ich gab auch keine Vermisstenanzeigen mehr auf. Das war reine Zeitverschwendung. Amber war viel zu impulsiv, um ihr auf den Fersen bleiben zu können. Wenn sie ein Konzert besuchte, konnte es passieren, dass sie in den Tourbus stieg und einmal quer durch die USA fuhr. Ein andermal lernte sie einen Typen in einer Bar kennen und verbrachte vier Monate mit ihm auf seinem Boot in Florida.

Wo sie war, wusste ich nur, wenn sie unvermittelt wieder von sich hören ließ. Dann hatte ich ein paar Wochen lang Ruhe, bis sie wieder verschwand.

Maddy schüttelte den Kopf. »Ich würde mir keine allzu großen Sorgen um sie machen. Amber ist wie schwarzer Schimmel, sie taucht immer wieder auf.«

Maddy hatte recht.

Aber ich nahm mir trotzdem vor, zur Sicherheit ihren Vermieter anzurufen.

Nur für den Fall, dass sie jemanden zurückgelassen hat, als sie ging …

»Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wie diese Frau das hier zustande gebracht hat«, sagte Maddy und wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht herum. »Ein rundum funktionsfähiges Mitglied der Gesellschaft.«

»Sie hatte ein ganz anderes Leben als ich, Maddy. Ich glaube nicht, dass es ganz allein ihre Schuld ist.«

»Und ob es ihre Schuld ist. Du bist viel zu nett zu ihr. Versuch doch wenigstens, wütend auf sie zu sein.«

Ich seufzte.

An diesen Punkt kamen wir jedes Mal, wenn es um Mom ging: Maddy war um meinetwillen sauer auf sie, und ich erinnerte sie daran, dass Amber auch gute Seiten hatte. Manchmal war sie ganz toll.

Wenn meine Mutter gut drauf war, kam sie mir wie eine Muse oder ein Engel vor. Dann war sie eine geistreiche, bezaubernde Frau, die einem das Gefühl gab, interessant und etwas ganz Besonderes zu sein.

Aber wenn sie schlecht drauf war …

Wie auch immer.

Ich glaubte nicht daran, dass jemand nur schwarz oder weiß war. Amber war bei meiner Geburt eine achtzehnjährige alleinerziehende Mutter ohne Familie, ohne Geld und ohne jede Unterstützung gewesen. Vielleicht hatte sie wirklich eine ähnliche Kindheit wie Jenny in ›Forrest Gump‹ durchgemacht, voller Missbrauch und Unsicherheit. Hatte sie Probleme? Ja. War ich der Meinung, dass nicht jeder Mensch Kinder bekommen sollte? Auch ja. Aber wer konnte schon sagen, wieso Amber so geworden war? Ich konnte mir jedenfalls nicht vorstellen, mit welchen inneren Dämonen sie kämpfte. Ich wusste nur, dass sie es tat.

Als Maddy aufstand, um die Popcornschüssel in die Spüle zu stellen, zog ich das Handy heraus, um nachzusehen, ob Mom sich mittlerweile gemeldet hatte. Hatte sie nicht. Dafür sah ich Justins Nummer auf dem Display – die letzte, die ich angerufen hatte. Ich speicherte sie in meinen Kontakten.

Seine Idee gefiel mir, nicht nur wegen dieser Glücksbringer-Sache. Es würde Spaß machen, es mit ihm zu versuchen. Er wirkte nett. Hätte ich ihn in einer Dating-App entdeckt, hätte ich ihn wahrscheinlich nach rechts gewischt und mich mit ihm verabredet. Minnesota war allerdings ein Problem, weil es definitiv nicht auf der Liste der Staaten stand, die Maddy und ich besuchen wollten.

Sie kam zurück und warf sich aufs Sofa. »Und, hast du schon über den anstehenden Jahrestag nachgedacht?«

»Was?«

»Janets und Beths dreißigster. Sie warten noch auf deine Antwort.«

»Ich weiß nicht. Ich glaube, ich werde ihn ausfallen lassen.«

Maddy presste die Lippen aufeinander.

»Was denn?«, fragte ich. »Es ist schwer für uns, gleichzeitig freizubekommen. Ich bleibe hier, damit du gehen kannst.«

»Es ist nicht unmöglich. Du solltest fragen, ob es geht. Sie wollen dich dahaben. Du bist auch ihre Tochter.«

Ich wich ihrem Blick aus.

Maddys Moms waren meine Pflegeeltern gewesen. Sie hatten mich adoptieren wollen, aber das war mir nie richtig erschienen. Schließlich hatte ich eine Mom. Und ich war bereits vierzehn gewesen, als ich zu ihnen kam. Da hat die Prägung natürlich nicht mehr funktioniert. Zumindest redete ich mir das ein. Ich mochte die beiden. Ich rief sie an ihren Geburtstagen an und besuchte sie mit Maddy an Weihnachten, wenn wir beide gleichzeitig freinehmen konnten. Aber ich betrachtete sie nicht als meine Eltern. Maddy wusste das, und es machte sie wahnsinnig. Sie verstand es nicht, und ich konnte es ihr einfach nicht begreiflich machen.

Seufzend stand sie auf. »Ich mache noch mal was mit dem IT-Typen von Tinder. Willst du mitkommen? Ich kann herausfinden, ob er einen Freund hat.«

»Nein, ich will mein Buch zu Ende lesen.«

»Okay. Warte nicht auf mich. Ich gehe anschließend wahrscheinlich zu ihm.«

Ich hob eine Augenbraue.

»Was denn?«, fragte sie. »Unser Nomadendasein ist nicht gerade förderlich für Beziehungen, und ich habe es langsam satt, immer selbst für meinen Spaß sorgen zu müssen.«

»Hat er denn ein Bettgestell?«

»Natürlich.« Sie machte sich auf den Weg in ihr Zimmer.

»Maddy?«

Sie blieb in der Tür stehen. »Ja?«

»Ich werde Urlaub beantragen, okay?«

Ihr Blick wurde ein bisschen weicher. »Okay.«

Ich würde es tun, hoffte aber, dass er nicht gewährt wurde.

*

Maddy war wie angekündigt nicht mehr nach Hause gekommen. Das Date lief wohl richtig gut, denn er führte sie am nächsten Morgen zum Frühstück aus, und anschließend wollten sie noch eine Kunstausstellung besuchen. Zum Abendessen würde sie auch nicht heimkommen, und so hatte ich frei und nichts zu tun.

Ich saß frisch geduscht im Bademantel in meinem Zimmer und machte mich gerade bereit, meine Nägel zu lackieren, als Justin mir ein Bild schickte.

Ich klickte es an und lachte laut auf. Es war ein Selfie von ihm, auf dem er eine lange rote Perücke und schief aufgetragenen Lippenstift trug. Der Begleittext lautete: Ich habe heute Vormittag meine kleine Schwester Chelsea gehütet. Ich musste Prinzessin Anna spielen. Sie durfte Elsa sein.

ICH: Als Rothaarige machst du echt was her.

Mein Handy klingelte. Lächelnd drückte ich auf das grüne Hörer-Symbol. »Prinzessin Anna?«

»Prinzessin Emma«, erwiderte er.

»Nur zur Erinnerung: Man kann keinen Mann heiraten, den man gerade erst kennengelernt hat.«

»Kann man wohl, wenn es die wahre Liebe ist«, gab er todernst zurück.

Ich kicherte leise.

»Chelsea hat mich dazu gezwungen, geschlagene fünfzehn Minuten lang wie eingefroren dazustehen. Sie hat mir einfach verboten, mich zu bewegen. Es war diese Szene am Schluss des Films – ich weiß nicht mehr genau, welche … Aber auf jeden Fall eine, die ewig dauert.«

»Ha.«

»Das würde mich umbringen, oder?«, fragte er. »Ich meine, wenn ich tatsächlich zu Eis erstarren würde.«

Ich holte das Fläschchen mit dem roten Nagellack aus dem Badezimmer und schüttelte es auf dem Rückweg zum Bett. »Nicht unbedingt. Wir würden dich aufwärmen und eine Wiederbelebung versuchen. Richtig gestorben bist du erst, wenn du warm und tot bist.«

Ich setzte mich auf die Matratze und hörte, wie sich am anderen Ende ein Schlüssel im Schloss drehte, gefolgt von aufgeregtem Hundegebell.

»Hast du deinen Hund bei dir?«

»Ja, ich komme gerade nach Hause. Er will Gassi gehen.«

»Oh«, erwiderte ich. »Dann will ich dich mal nicht länger stören.«

»Ich muss nicht auflegen«, sagte er und fügte gleich danach hinzu: »Außer du möchtest.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Bei mir geht’s auch. Ich mache zwar gerade was, aber zu Hause, und ich muss nirgends hin.«

Ich hörte ein leises Klirren, wahrscheinlich eine Leine, die an einem Halsband befestigt wurde, und einen Moment später klackerten Krallen über einen Fliesenboden.

»Ach ja?«, fragte Justin. »Was machst du denn? Beschreibe mir deinen Tag, von Anfang bis Ende.«

»Warum willst du wissen, was ich den ganzen Tag gemacht habe?«, fragte ich.

»Warum sollte ich das nicht wissen wollen? Ich bin neugierig«, hielt er dagegen. »Schieß los. Außer du bist eine Reporterin und hast Angst, dass dir was rausrutscht.«

»Haha.«

Eine Tür fiel ins Schloss. Schritte hallten von Korridorwänden wider.

»Du kannst mich ruhig altmodisch nennen«, sagte er, »aber wir sprechen darüber, gemeinsam einen Fluch zu brechen, was nicht nur eine anstrengende, sondern auch eine äußerst intime altehrwürdige Tradition ist. Bevor du aus Hawaii zurückkommst, passiert in der Richtung zwar nichts, aber wir können uns ja schon mal darauf vorbereiten, indem wir einander besser kennenlernen.«

»Oh, inzwischen ist es also ein Fluch.«

»Was denn sonst? Er hindert uns daran, glücklich zu werden.«

Ich schnaubte leise. Justin hatte nicht unrecht.

»Was glaubst du, womit wir ihn verdient haben?«, fragte er.

»Keine Ahnung«, sagte ich, während ich meine Kopfhörer einsteckte und meine Feuchtigkeitscreme vom Nachttisch nahm. »Ich halte mich für einen guten Menschen und finde nicht, dass ich einen Fluch verdient habe.«

»Geht mir auch so. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wieso jemand einen so aufwändigen Zauber an mich verschwenden sollte.«

Eine Fahrstuhltür glitt auf.

»Jetzt aber wieder zurück zu deinem Tag«, sagte er. »Erzähl mir davon.«

»Also, ich bin aufgewacht und habe mir einen Kaffee gemacht …«

»Was für einen Kaffee trinkst du?«

»Ganz normalen mit Sahne«, sagte ich und rieb meine Beine mit der Lotion ein.

»Und wo hast du ihn getrunken?« Der Fahrstuhl pingte.

»Gemütlich auf dem Sofa im Wohnzimmer, mit dem Handy in der Hand.«

»Dann hast du heute also einen freien Tag.«

»Genau. Meine nächste Schicht ist morgen.«

»Wieso bist du Krankenschwester geworden? War das schon immer dein Traumberuf?«

»Ja, schon seit ich zehn war.«

»Wirklich? Wieso?«

»Ich denke, ich habe das richtige Naturell dafür. Ich bin geduldig und nicht so schnell frustriert, und es gibt nicht viel, vor dem ich mich ekle. Außerdem kann ich gut mit Stress umgehen …«

»Und das wusstest du schon mit zehn?«, fragte er.

»Ja. Ich meine, mit zehn wusste ich schon, dass ich mich um andere Leute kümmern will. Ich war gut darin.«

»Um wen hast du dich denn mit zehn gekümmert?«

»Um meine Mom.«

»Ich verstehe … War sie krank oder so?«

»Oder so.«

Er spürte offenbar, dass ich nicht darüber reden wollte, denn er wechselte das Thema. »Was siehst du, wenn du aus dem Wohnzimmerfenster schaust? Wie wohnst du?«

»Maddy und ich wohnen in einem komplett möblierten Haus, bei dem das Dach außen links und rechts bis auf den Boden reicht und das im Prinzip aussieht wie ein großes A«, sagte ich und lehnte mich zur Seite, um den roten Nagellack zu angeln. »Wir versuchen immer möglichst witzige Behausungen zu finden. Ein Strandhaus oder ein Loft in einer Großstadt, von dem aus wir alles zu Fuß erreichen können. Einmal haben wir in einem umgebauten Getreidesilo gewohnt. Das war echt nett. Ach ja, und einmal in einem Baumhaus.«

»In einem Baumhaus?« Justin klang beeindruckt.

»Ja, mit Hängebrücken und allem Drum und Dran. Das war, während wir einen kurzfristigen zweiwöchigen Einsatz in Atlanta hatten. Maddy und ich mussten uns ein Bett teilen, aber es war total cool.«

»Wow.«

»In Hawaii nehmen wir uns eine Wohnung«, sagte ich, während ich mit dem Kinn auf den Knien die Nägel lackierte. »Das ist nicht sehr aufregend. Aber der Strand ist nur ein paar Minuten entfernt.«

»Klingt toll. Du hast also deinen Kaffee getrunken. Und was ist dann passiert?«

»Dann habe ich Frühstück gemacht«, erwiderte ich. »Rührei und Käse auf einem English Muffin. Und Weintrauben.«

»Kernlose?«

»Natürlich. Ich bin doch kein Masochist.«

»Du weißt also, wie man kocht«, sagte er.

»Ja. Du auch?«

»Mhmm, ich bin ein guter Koch.«

»Was hast du als Letztes zubereitet?«, fragte ich.

»Als Letztes habe ich mit Hot Dogs gefüllte Käse-Makkaroni für Chelsea gemacht. Sie ist vier. Das letzte Gute, was ich gekocht habe, waren langsam gegarte Rippchen. In meiner Küche steht, unter dem wachsamen Auge des Toilet King, ein Schmortopf.«

Ich lachte.

»Und dann?«, fragte er. »Was hast du heute sonst noch gemacht?«

Ich lächelte. Es war eine schöne Abwechslung, dass ein Mann sich nach mir erkundigte. Die meisten, mit denen ich mich traf, wollten nur über sich selbst reden.

»Dann bin ich zu Target gefahren und habe einen Nagellackentferner besorgt …«

»Dabei hast du sicher einen Abstecher zu Starbucks gemacht.«

»Ja, stimmt. Das ließ sich gar nicht vermeiden. Die Filiale ist gleich nebendran.«

»Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr Starbucks uns alle im Griff hat. Was hast du dir geholt?«

»Ich bestelle mir immer einen Cold Brew mit gesalzenem Karamell und kaltem Schaum, aber heute als koffeinfreien Americano, weil ich schon einen normalen Kaffee hatte. Und was holst du dir bei Starbucks?«

»Im Winter bestelle ich einen Grande Triple Caramel Macchiato. Im Sommer den Eistee, der nach Drachenfrucht schmeckt.«

»Dann trinkst du also neun Monate im Jahr Caramel Macchiatos?«

»Hey, mach dich nicht über Minnesota lustig«, erwiderte er, klang aber kein bisschen beleidigt. »So schlimm ist es hier auch wieder nicht.«

Ich hörte auf, meine Zehennägel zu bepinseln. »In den Nachrichten habe ich gesehen, dass es vor ein paar Monaten eine Woche lange minus dreißig Grad kalt war. Was ist daran nicht schlimm?«

»Du sprintest einfach von Tür zu Tür. So ist man höchstens dreißig Sekunden lang der Kälte ausgesetzt. Als würde man was aus einer Gefrierkammer holen. Die Hälfte der Zeit ziehe ich nicht mal eine Jacke an. Und wenn man sich länger im Freien aufhalten muss, besorgt man sich einfach die entsprechende Kleidung. Die Sommer sind toll, der Herbst ist wunderschön. Die Reise-Vloggerin Vanessa Price wohnt hier, und die könnte wirklich überall leben.«

»Hmm, die mag ich«, sagte ich. »So, jetzt habe ich dir von meinem kompletten Tag erzählt. Was hast du denn heute so gemacht?«

»Also, ich bin aufgewacht und habe mir einen Kaffee gemacht – mit meiner Nespresso-Maschine. Einen Cappuccino. Dazu habe ich den Aufschäumer verwendet. Mit zweiprozentiger Milch. Dann habe ich die Jalousie geöffnet, mit meiner Tasse in der Hand das Plakat angestarrt und mein ganzes Leben in Frage gestellt. Als Nächstes habe ich Brad Gassi geführt und hinterher geduscht. Danach habe ich eine Stunde lang auf Chelsea aufgepasst und mich anschließend mit Benny und meinem besten Freund Brad zum Mittagessen getroffen.«

»Wohin seid ihr gegangen?«, fragte ich.

»In ein kleines Restaurant, das Brad aufgetan hat.«

»Was hast du bestellt?«

»Einen Erdnussbutter-Burger.«

Ich verzog das Gesicht. »War er gut?«

»Ja, tatsächlich. Er war mit karamellisierten Zwiebeln und einem Weintrauben-Chutney belegt.«

»Und ist beim Mittagessen mit deinen Freunden irgendwas passiert?«

»Heute nicht, aber gestern haben wir beim Mittagessen über den Reddit-Thread gesprochen. Bei der Gelegenheit habe ich ihnen natürlich auch von dir erzählt, und Brad hat mir prophezeit, dass du und ich gemeinsam den Fluch brechen können.«

»Ah, das ist also der Grund, warum du mich angeschrieben hast«, sagte ich und blies, das Kinn noch immer auf den Knien, den Lack auf meinen Nägeln trocken.

»Nein, ich wollte wirklich unbedingt erfahren, wie das mit den Q-Tips ist.«

»Ich verstehe«, sagte ich und lächelte. »Danach bist du wieder heimgefahren?«

»Erst war ich tanken, und dann ging’s nach Hause. Ich habe dir mein Prinzessin-Anna-Bild geschickt. Und jetzt sind wir hier.«

»Und wo sind wir genau?«, fragte ich. »Was siehst du bei deinem Spaziergang?«

»Warte einen Moment. Ich zeig’s dir.«

Einen Moment lang geriet ich in Panik, weil ich glaubte, er wollte einen Videocall starten, doch er schickte mir nur ein Foto.

»Hier bin ich gerade unterwegs. Das Bild habe ich neulich bei Sonnenuntergang aufgenommen.«

Die Aufnahme zeigte die Skyline einer Stadt, aufgenommen auf einer breiten Fußgängerbrücke aus Beton mit rostigem Geländer.

»Das ist die Stone Arch Bridge.« Ein weiteres Bild kam durch. »Das ist der Mississippi.«

Der Fluss war von Bäumen gesäumt. Es war ein wirklich schöner Ort, urban, aber gleichzeitig auch ziemlich naturbelassen.

Ich öffnete den Browser, googelte die Brücke und tippte auf »Bilder«. »Ich sehe mir die Brücke gerade im Internet an. Das sind wirklich viele Verlobungsfotos.«

»Ich erlebe hier im Schnitt einen Heiratsantrag pro Woche«, erwiderte er.

»Heiratsanträge in aller Öffentlichkeit haben was von Geiselnahmen«, sagte ich, während ich sein Bild erneut öffnete und hineinzoomte. Ein Stück entfernt sah ich die Rückseite einer Plakatwand und fragte mich, ob sich sein Apartment gleich dahinter befand.

»Also würdest du nicht gern einen Antrag in der Öffentlichkeit bekommen?«, fragte Justin.

»Neeein.«

»Da bin ich ganz bei dir. Ich habe auch noch nie verstanden, was das soll. Eigentlich ist das doch ein sehr intimer Moment. Vor lauter Fremden hat es was Theaterhaftes.«

»Genau das habe ich vor ein paar Wochen zu Maddy gesagt. Wir waren bei einem Spiel, bei dem ein Typ vor aller Augen seiner Freundin einen Antrag gemacht hat. Und sie hat Nein gesagt.«

Ich hörte Justin zischend einatmen. »Das kommt davon, wenn man sein Publikum nicht gut genug kennt.«

Ein Kläffen ertönte. »Ist das Brad?«, fragte ich.

»Nein, ein Husky, der Brad anbellt. Magst du Hunde?«

»Wie kann man Hunde nicht mögen?«

Ich glaubte, ihn lächeln zu hören. »Ich möchte an dieser Stelle gern noch mal erwähnen, dass Minnesota der tollste Staat im ganzen Land …«

Ich seufzte. »Okay, du verstehst es wirklich, eine Lanze für Minnesota zu brechen, das muss ich dir lassen. Aber es wird ziemlich sicher zu nichts führen. Minnesota ist nicht in den Top 25 der Staaten, die wir uns ansehen wollen.«

»Und wie kann man dafür sorgen, dass ein Staat auf eurer Liste Plätze gutmacht.«

»Das kann man gar nicht.« Ich stand vom Bett auf, um mir die Haare zu bürsten. »So etwas ist noch nie passiert.«

»Hmm. Und wie entscheidet ihr, welchen Staat ihr als Nächstes besuchen werdet? Gibt es da eine bestimmte Reihenfolge?«

»Nein. Wir wägen jedes Mal alle relevanten Faktoren gegeneinander ab. Zum Beispiel, wie an einem bestimmten Ort während unseres Aufenthalts das Wetter wäre und ob in der Zeit irgendwelche Konzerte oder Festivals stattfinden. Außerdem ist uns wichtig, was für eine Unterkunft wir bekommen können, in welchem Krankenhaus wir arbeiten würden und was für Stellen dort gerade frei sind.« Ich zog mir das Handtuch vom Kopf, und meine langen, nassen Haare fielen mir über die Schultern. Als ich sie zu bürsten begann, hörte ich Justin nach Luft schnappen.

»O mein Gott, auf der Brücke macht gerade jemand seiner Freundin einen Antrag«, sagte er. »Ernsthaft. Warte einen Moment. Ich mache ein Foto für dich.«

Lächelnd verdrehte ich meine nassen Haare zu einem Dutt.