Kabinengeflüster - Pit Gottschalk - E-Book

Kabinengeflüster E-Book

Pit Gottschalk

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dieses Buch ist keine Autobiografie. Und auch keine Abrechnung. Sondern eine Liebeserklärung an den Sportjournalismus als Berufung. Der bekannte Sportjournalist Pit Gottschalk erzählt pointiert aus seinem Reporterleben. Und das war ziemlich abwechslungsreich. Mal amüsant wie die Interviewtermine mit Diego Maradona und Recep Erdogan, mal skurril wie beim Elfmeter-Duell mit Andy Möller, dann wieder dramatisch wie beim Attentat auf die BVB-Spieler. Der Rauswurf von Lothar Matthäus aus der Nationalmannschaft, der erzwungene Abschied von Thomas Tuchel beim BVB – Gottschalk war nicht nur dabei, sondern mittendrin. Außergewöhnliche Situationen gab es viele. Gottschalk vermittelt ihre Hintergründe spannend und humorvoll, aber nicht als Selbstzweck. Vielmehr beschäftigt er sich immer auch mit den sich verändernden Realitäten im (Fußball-)Sport und in den Medien. Und positioniert sich darin als Journalist, dem es nicht nur um die Nachricht, sondern vor allem um die Wahrheit geht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 212

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Pit Gottschalk

KABINENGEFLÜSTER

Meine verrückten Erlebnisse als Fußballreporter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

IMPRESSUM

1. Auflage Februar 2019

Umschlaggestaltung: Ina Zimmermann

Umschlagbild: Heiner Köpcke

Druck und Bindung: Drukkerij Wilco B.V., Vanadiumweg 9,

NL–3812 PX Amersfoort

© Klartext Verlag, Essen 2019

ISBN 978-3-8375-2023-1

eISBN 978-3-8375-2155-9

Alle Rechte der Verbreitung, einschließlich der Bearbeitung für Film, Funk, Fernsehen, CD-ROM, der Übersetzung, Fotokopie und des auszugsweisen Nachdrucks und Gebrauchs im In- und Ausland sind geschützt.

Jakob Funke Medien Beteiligungs GmbH & Co. KGJakob-Funke-Platz 1, 45127 [email protected], www.klartext-verlag.de

INHALT

Vorwort

Reporterleben statt mit Trollen leben

Ausgetuchelt

Vom Attentat bis zum Zeitungsinterview: Warum Tuchel gehen musste

Interview mit der Hand Gottes

Wie ich zu Maradona ins Hotelzimmer vordrang

Zwischen Hoeneß und Beckenbauer

Wie überlebt man als junger Reporter an der Säbener Straße?

Mit einem Hoeneß im Clinch

Der Unterschied zwischen Uli und Dieter

Mehr Boris als Becker

Das ambivalente Verhältnis zu Sportlegenden

Lehrstunde bei einem Weltstar

Tischtennis mit Timo Boll

Fürstenfamilie statt Cantona

Mein kurioses TV-Interview mit Prinz Albert von Monaco

Bei Erdoğan zu Hause

Darf man mit dem türkischen Staatspräsidenten Fußball spielen?

Matthäus-Rauswurf in Belfast

Wie man früher seine Interviews führte

Boykott bei der WM 1998

Zuerst Solidarität mit Freund – dann das WM-Aus

Im Osten was Neues

Beim Halleschen FC Teil der Mannschaft

Hinterm Rücken des Boxweltmeisters

Nach dem WM-Triumph in der Umkleidekabine mit Henry Maske

Auf einen „Expresso“ mit Lorant

Wasserpistole entschied bei 1860 München ein Transfergeschäft

Bestechungsversuch von Assauer

Die 10.000 D-Mark sollte Schalke 04 bezahlen

Da Sammer wieder

Wie die BVB-Legende zu Dortmund zurückkehrte

Elfmeter-Duell mit Möller

Danach kannten mich alle Spieler von Borussia Dortmund

Beim Posträuber in Rio de Janeiro

Zur Willensschulung im BVB-Trainingslager in Brasilien

In Dortmund die Meisterschale entführt

Dafür musste ich Rehhagel aufs Kreuz legen

Herrlich durch die Sommerpause

Als Kronzeuge im Transferstreit zwischen Gladbach und Dortmund

Hitzfelds Zielstrebigkeit

Wie er 1997 Champions-League-Sieger wurde

Von Krankl und Dietz

Sportjournalisten brauchen eine Leidenschaft, die Leiden schafft

Live auf Sendung

Der Doppelpass am Sonntagmorgen ist wichtig für Reporter

Wann ist eine Nachricht eine Nachricht?

Die Zerrissenheit zwischen Sorgfalt und Geschwindigkeit

Der perfekte Nachwuchsreporter

Er muss unbedingt eine Nervensäge sein

Schuften im Stadion

Ein Notizblock allein reicht längst nicht mehr am Bundesliga-Spieltag

Die Stradivari unter den Arschgeigen

Markenbildung im Digitalen: Sportreporter erfinden sich neu

Vorwort

Reporterleben statt mit Trollen leben

Nein, dieses Buch ist keine Autobiografie. Keine Selbstbeweihräucherung und keine Abrechnung. Sondern: eine Liebeserklärung an unseren Beruf. An den Sportjournalismus als Berufung. Und nebenbei möchte ich daran erinnern, was das Reporterleben ausmacht: News fit to print. Oder neuerdings: News fit to publish. Der Appell erscheint mir dringend notwendig: dass Reporter der Verlockung widerstehen, mit Meinungsstärke ihre Nachrichtenschwäche zu kompensieren.

Ich erlebe es jeden Tag, wie mir wildfremde Menschen erklären wollen, warum wie was im Fußball passiert. Wir nennen diese Menschen in den sozialen Netzwerken liebevoll „Trolle“, als seien es kleine Hunde, die ein wenig spielen wollen. Besonders lästig wird es, wenn diese Trolle mit ihrem Laienverstand Geld verdienen und ihr Halbwissen ungefiltert in Podcasts und Blogs zum Ausdruck bringen. Die Digitalisierung öffnet ihnen mediale Zugänge zur Öffentlichkeit. Leider nicht Augen und Ohren.

Was wir Journalisten ihnen voraushaben, sind die Informationen. Nicht allein die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung. Durch unsere Veranlagung und unsere Ausbildung, dass wir die Informationen werten, einordnen und verarbeiten können, damit die Informationen ein möglichst großes Publikum erreichen (ich unterscheide hier bewusst nicht zwischen Print und Online), werden wir einem gesellschaftlichen und nicht nur ökonomischen Auftrag gerecht. Wir sorgen für Aufklärung.

Dummerweise erfährt unsere Arbeit als Reporter derzeit eine zunehmende Abwertung. Mal zimmert ein US-Präsident seine eigene Wahrheit. Mal machen uns Trolle die Position streitig. Nicht selten begehen wir Fehler. Aus Zeit- oder Budgetdruck geben wir uns mit weniger Recherche zufrieden. Wir publizieren zu früh oder halbherzig. Manchmal sind wir zu bequem. Wo ein Quantitätsdenken den Anspruch an Qualität verdrängt, wird der Traffic geschätzt und nicht der Inhalt.

Wenn dieses Buch an eine Zeit erinnert, als nicht alles im Sport optimiert, abgeschottet oder vom Marketing geprägt war, dann nicht deshalb, weil die Zeiten früher angeblich besser und angenehmer waren. Das waren die Umstände und Arbeitsbedingungen nämlich nicht. Es geht vielmehr um den Auftrag, mit besseren, weil zuverlässigen Informationen Reichweite wie Relevanz zu erhöhen. Vielleicht spielt an dieser Stelle doch das Ego mit: Ich will junge Kollegen zum Reporterleben motivieren.

Reporterleben statt mit Trollen leben: Wenn uns Presseabteilungen nach der Unabhängigkeit trachten, uns Medienunternehmen die Beinfreiheit rauben, uns Verbände den Bewegungsradius im Stadion einengen wollen, müssen wir umso sorgfältiger und gieriger am schärfsten Schwert schleifen, das uns zur Verfügung steht: der Information. Digitalisierung darf keine Ausrede sein, sondern Ansporn: Wir unterscheiden uns, wenn wir uns selbst und unseren Beruf ernstnehmen.

Über drei Jahrzehnte bin ich hauptberuflich Journalist. Eine Reporterseele hatte ich schon immer. In meinem Kinderzimmer, wenn ich den Abramczik-Kopfball auf Tonband schilderte. Auf dem Gymnasium, wenn ich die Grünen-Politik für die Schülerzeitung durchpflügte. Bei der Bundeswehr, wenn ich jede Entgleisung vom Spieß zur potenziellen Schlagzeile beförderte. Und in Redaktionen, wenn ich um ein bisschen mehr Platz für das Ergebnis meiner Recherchen buhlte.

Einige Erinnerungen in diesem Buch habe ich zuerst auf Facebook veröffentlicht. Ich danke Andree Bock für seine penetrante Ermahnung, endlich ein Buch daraus zu machen: Hier ist es! Und es ist nur hier, weil ich gute Chefs hatte. Raimund Palm und Heiner Schepp bei den Eifler Nachrichten in Monschau. Rainer Päutz beim Mitteldeutschen Express in Halle/Saale. Franz-Hellmut Urban bei der Abendzeitung in München. Gerhard Pietsch bei Sport-Bild in Hamburg. Und Mathias Döpfner bei der Welt-Gruppe in Berlin.

Danach war ich selbst Chef. Nicht immer kuschlig. Aber immer mit der Leidenschaft eines Reporters. Immer. Mit dieser Leidenschaft will ich ansteckend wirken und nicht verhehlen, dass ich mehr als stolz bin, wenn ich auf ehemalige Nachwuchskräfte schaue, die heute bei Axel Springer in Berlin und München, bei Ringier in Zürich oder bei Madsack in Hannover selbst Chefs sind und jetzt ebenfalls ihr Können weitergeben. Die Saat geht auf.

Ausgetuchelt

Vom Attentat bis zum Zeitungsinterview: Warum Tuchel gehen musste

Lange Zeit haben sie bei Borussia Dortmund gerätselt, warum ihr Trainer Thomas Tuchel so misstrauisch wurde, sobald Journalisten ihre Fragen stellen und die Abschrift des Gesprächs zum Gegenlesen vorlegen wollten. Eigentlich kann da nichts schiefgehen.

Wenn das Interview dem Befragten nicht gefällt, darf er seine Sätze im Nachgang präzisieren, einen Geistesblitz ausschmücken oder Antworten umformulieren. Im Notfall könnte er, was selten vorkommt, den gesamten Dialog sperren und nicht zur Veröffentlichung freigeben.

Thomas Tuchel, der BVB-Trainer, wollte trotzdem kein niedergeschriebenes Interview liefern. Diejenigen, die es gut mit ihm meinen, sagen: In der verknappten Wiedergabe würde er seine komplexen Gedanken nicht genügend dargelegt sehen. Die anderen: „Er hat einen an der Waffel.“

Als Sportchef im Revier konnte ich in seinem Verhalten keine Drolligkeit erkennen, sondern genau das: Unprofessionalität. Ottmar Hitzfeld, einer seiner Vorgänger, hatte auch in den schwierigsten Phasen beim BVB immer Rede und Antwort gestanden. Sogar bei kritischen Fragen.

Seine Maxime lautete: Journalisten nicht die Bestätigung geben, dass man als Trainer getroffen oder geschwächt ist. Er setzte ein Pokergesicht auf, blickte in die Augen und antwortete. Sein Freund Jörg Berger formulierte es so: „Man darf seinen Kopf verlieren, aber nicht sein Gesicht.“

Als Journalist ist man hin- und hergerissen. Einerseits will man jeden Trainer fair behandeln und nicht jedem Wort glauben, dass man aus der Mannschaft erfährt. Andererseits: Wie will man Trainer verstehen, die sich nur oberflächlich im Fernsehen und in Pressekonferenzen äußern?

„Es kann sein, dass Sie morgen früh um zehn einen fest vereinbarten Termin mit ihm haben“, erklärte man mir auf der BVB-Geschäftsstelle, als ich noch neu war. „Und dann kommen Sie, und er erinnert sich nicht einmal an den Termin. Er sagt dann: Den Termin hat es nie gegeben.“

Wie nähert man sich als Journalist einem solchen Menschen? Sein Berater Olaf Meinking, ein Anwalt aus Hamburg, ließ jede Anfrage unbeantwortet. Sogar Mitte 2016, als die ersten Gerüchte aufkamen, das Verhältnis der Vereinsspitze zum Trainer sei nicht mehr das beste.

Nicht vieles offenbart die Wahrheit, wie es um das Klima innerhalb eines Klubs steht, treffender als die Einkaufspolitik. Wir Journalisten sind in den Transferperioden besonders hellhörig und kennen die Feinheiten bei der Kaderplanung.

Der Trainer möchte gerne den einen Spieler für sein System, die Scouts aber bevorzugen einen anderen, und die Vereinsspitze bewertet mit der Mischung aus Erfahrung und Zahlenverständnis, welche Verpflichtung perspektivisch und wirtschaftlich machbar oder sinnvoll sein könnte.

Mit Tuchel konnte man nicht diskutieren. Er wollte Andre Schürrle, seinen Musterschüler aus gemeinsamen Mainzer Tagen, und mit Verzögerung Ömer Toprak, den „besten Verteidiger der Liga“, wie er behauptete. Das Paket: 50 Millionen Euro schwer. Widerspruch: zwecklos.

Millionenschwere Spielerwünsche wollte Tuchel mit der unverhohlenen Drohgebärde durchsetzen, dass Dortmund mehr ihn als er Dortmund braucht. Niemand sollte ihm den Kader diktieren dürfen. Und niemand sollte Mario Götze in die Mannschaft beordern können.

Die Rückkehr des Finaltorschützen der WM 2014 war eine Herzensangelegenheit des BVB-Geschäftsführers. Hans-Joachim Watzke wollte Götze, den er 2013 quasi über Nacht an den Rivalen FC Bayern München verloren hatte, unbedingt zurück nach Dortmund holen.

Aus taktischen Gründen durfte er das nie so sagen. Schon gar nicht den Bayern. Bei einem Geheimtreffen am Düsseldorfer Flughafen hatte er dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge mit einem Trick 35 Millionen Euro für Hummels aus dem Kreuz geleiert.

Hummels wollte zwar unbedingt zu seiner Familie nach München. Aber Watzke rang ihm aus alter Verbundenheit das Versprechen ab, dass er nur bei einer entsprechend hohen Ablöse wechseln würde: „Dann siehst du, was du den Bayern wirklich wert bist.“ Hummels spielte mit.

Bewusst entkoppelte Watzke die Götze-Personalie vom Hummels-Transfer. Es lief wie auf einem Basar: Er wollte so tun, als interessiere ihn Götze nicht, um ihn günstiger zu bekommen, und spielte auf Zeit. Fast täglich telefonierte ich Details hinterher, um eine Bestätigung zu erhalten.

Unter Journalisten gilt die Parole: Transfers erfährst du immer vom abgebenden Verein – nicht vom aufnehmenden. Der Grund: Kein Manager hat ein Interesse, dass die Konkurrenz das Begehren teilt und den Preis im Bieterstreit hochtreibt. Beim Verkäuferklub ist es umgekehrt.

Watzke mauerte, so gut er konnte. „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann vielleicht …“, sagte er immer wieder seelenruhig am Telefon. Noch heute frage ich mich, ob er heimlich am Handy lacht, wenn er sich aus einer solchen Situation windet.

Maximal 18 Millionen Euro wollte er für Götze zahlen und heuchelte Rummenigge deswegen Desinteresse vor. Am Ende wurden es 22 Millionen Euro, weil Watzke als verantwortlicher Chef überzeugt war: Der Götze-Transfer bringt die Mannschaft weiter.

Was Tuchel von Watzkes Wunschspieler Götze hielt, bekamen die Journalisten beim Training mit. „Wie in der C-Jugend“, kommentierte er eine Szene beim Training, wohl wissend, dass eine Gruppe von Journalisten jedes Wort mitbekam.

Wie in der C-Jugend – das ist so ziemlich der boshafteste Rüffel, den ein Fußballweltmeister von seinem Trainer hören kann. Und das in aller Öffentlichkeit. Wir Journalisten wissen: Wenn ein Trainer seinen Spieler so anmacht, spalten sich die Reihen in der Mannschaft. Plötzlich gibt es jene Gruppe, die sich mit dem angegriffenen Spieler solidarisiert. Und jene Gruppe, die sich bestätigt fühlt und sogar sagt: Gut, dass der Trainer endlich durchgreift. Kalt lässt diese scheinbar nebensächliche Szene niemanden.

Trotzdem blieb die irritierte Vereinsspitze ruhig. Seine erste BVB-Saison hatte Tuchel mit einer Rekordpunktzahl absolviert und immerhin Platz zwei sowie das Pokalfinale in Berlin erreicht. Man wollte die offenbar erfolgreiche Zusammenarbeit nicht gefährden. Trotz zunehmender Rangelei.

Man musste Tuchel in der neuen Saison einiges mehr durchgehen lassen. So durfte er Mats Hummels, Weltmeister und jahrelang Turm in der BVB-Abwehr, zum Abschied eine gewisse Wehleidigkeit im DFB-Pokalfinale unterstellen. Öffentlich bei einer Pressekonferenz.

Man sah zu, als der Trainer die Mannschaft mit drei verschiedenen Spielsystemen in 90 Minuten überforderte. Oder nach einer Niederlage in Frankfurt wütete: „Technisch, taktisch, mental, Bereitschaft – es fehlte alles. Unsere Leistung war ein einziges Defizit.“

Sportdirektor Michael Zorc wollte das Binnenverhältnis zu einem Trainer ohnehin niemals thematisieren. Er blieb da loyal bis zur Selbstverleugnung und hielt den Laden irgendwie zusammen. Als sein Trainer dem Chefscout Sven Mislintat Hausverbot erteilte, schwieg er bedauernd.

Die Arbeit eines Reporters muss man sich so vorstellen: Ständig hört man Spekulationen und Gerüchte, Halbwahrheiten und bewusst gesetzte Hinweise, was gerade in der Mannschaft los ist. Man darf diese Gesprächsfetzen nicht einfach veröffentlichen. Man braucht eine Bestätigung.

Die bekommt man in aller Regel nicht. Gute Vereine bauen eine Wand des Schweigens auf: Jeder weiß Bescheid, aber keiner sagt etwas. Niemand will derjenige sein, der die Mauern zum Einsturz bringt und womöglich die Saisonziele gefährdet. Nicht die Spieler. Nicht das Management.

Beim BVB war es dennoch nur eine Frage der Zeit, wann der eine Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen würde. Der Moment kam im Frühjahr 2017: das legendäre Interview mit Hans-Joachim Watzke. Nach Tuchels Reaktion auf dieses Interview war er als BVB-Trainer nicht mehr zu halten.

Zum ersten Mal erzähle ich hier die Geschichte, warum Thomas Tuchel 2017 den Verein verlassen musste. Warum der Verein sogar nach dem Pokalsieg in Berlin, dem ersten Titel seit 2012, keine Grundlage mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sah. Aber der Reihe nach.

Dienstagabend, 11. April 2017, Viertelfinale der Champions League, Hinspiel gegen AS Monaco. Wir Reporter warteten im Stadion, als uns die WhatsApp-Nachricht von Kommunikationschef Sascha Fligge erreichte, dass etwas bei der Abfahrt am Mannschaftshotel passiert sei.

Wir rätselten über die Ursache. Ein Verkehrsunfall? Ein terroristischer Anschlag? Ich ging die Treppen hinunter zum Spielertunnel, wo normalerweise die Busse der beiden Mannschaften parken. Der von AS Monaco war da. Der vom BVB fehlte.

Inzwischen erreichte die Nachricht die Zuschauer im Stadion, dass es zu Verzögerungen beim geplanten Anpfiff um 20.45 Uhr komme. Der Signal Iduna Park brodelte. Der übertragende Fernsehsender Sky musste sein Publikum mit bruchstückhaften Informationen versorgen.

Längst gaben Präsident Reinhard Rauball und eben Hans-Joachim Watzke Interviews auf dem Rasen, um das Geschehene zu bestätigen – den Anschlag auf die Mannschaft und die Verletzung ihres Spielers Marc Bartra. Noch war nicht sicher, ob Terroristen hinter der Detonation der Bomben am Mannschaftshotel steckten. Hinweise gab es.

In meiner Redaktion in Essen eilten die Kollegen aus dem Feierabend zurück zum Arbeitsplatz. So schlimm ein solcher Anschlag ist: Die Öffentlichkeit braucht verlässliche Informationen und die Einordnung erfahrener Journalisten. Online und am nächsten Tag in der Tageszeitung.

Chefreporter Daniel Berg und ich hatten im Stadion keinen Handy-Empfang. Das Netz war zusammengebrochen. Man muss dann geduldig und gewissenhaft bleiben: Jeder Spur nachgehen – und trotzdem nicht übereilt Halbgares streuen. Ein Knochenjob. Kein falscher Satz darf raus.

Die Nachrichten überschlugen sich eh. So stand ich mitten in der Nacht auf dem Rasen im benachbarten Stadion Rote Erde und suchte nach einem Standort für einen besseren Empfang. Da war nichts zu machen. Die Frage war noch, ob und wann das Spiel angepfiffen wird!

Man muss die Situation so detailliert in Erinnerung bringen, um das Nachfolgende zu verstehen. Die Vereinsspitze um Rauball und Watzke hatte in dem Chaos eine Entscheidung zu treffen, die man erst hinterher als „richtig“ oder „falsch“ werten kann und nicht in diesem Augenblick.

Die Entscheidung lautete: Das Spiel gegen AS Monaco wird am nächsten Tag an gleicher Stelle um 18.45 Uhr nachgeholt. Trotz des Anschlags. Trotz der Not-OP von Marc Bartra. Die Geschäftsführung wollte der Mannschaft die Entscheidung am nächsten Morgen erklären.

Was hätte Borussia Dortmund tun sollen? Das Attentat am Mannschaftshotel L’Arrive in Dortmund-Höchsten war gerade erst passiert und das Motiv noch nicht ersichtlich, als sich umgehend ein Sicherheitsrat zur Krisensitzung traf.

Der Sicherheitsrat bestand aus Vertretern der Klubs, der UEFA und den Behörden und tagte in einem abgeschotteten Raum im Stadion. Es gab kein Fenster, keinen Handy-Empfang. Befürchtet werden musste, dass es weitere Bomben in und am Stadion gibt.

Stadionsprecher Norbert Dickel kämpft draußen um die richtigen Worte, damit die Unruhe nicht zur Hysterie führt. Drinnen im Raum musste eine Entscheidung her. Nur ratlose Gesichter von Zuschauern auf TV-Monitoren. Wann soll das Monaco-Spiel stattfinden?

Der erste Vorschlag: noch am selben Abend. Watzke war dagegen. Das sei den Spielern nicht zuzumuten, weil die Informationslage unübersichtlich sei. Der zweite Vorschlag der UEFA lautete: am nächsten Tag um 16 Uhr. Wieder wehrte sich der BVB: Das Stadion sei dann halbvoll.

Ratlosigkeit machte sich breit. Eine Entscheidung musste her. Der Druck stieg. Eine Neuansetzung in ein, zwei Wochen: Das war nicht möglich. Der BVB spielte Bundesliga, im DFB-Pokal gegen die Bayern; hinzu käme ein mögliches Weiterkommen in der Champions League.

Alle Teilnehmer dieser Task Force sahen den Konflikt von Interessen und Terminen. Innerhalb von Minuten setzte sich die Einsicht durch, dass zu der menschlichen Frage, was den Spielern zugemutet werden kann, zwei weitere Aspekte kamen. Zunächst der gesellschaftspolitische Aspekt, gegen den Terror ein Zeichen zu setzen, dass man trotzdem spielt. Darüber hinaus der pragmatische Gedanke, dass das Spiel zeitnah stattfinden musste. Erneut Ratlosigkeit in der Runde. Für alle Anwesenden war die Lage belastend.

Zwei Terminvorschläge waren abgelehnt worden. Also schaltete sich die UEFA-Vertretung vom Hauptsitz in Nyon ein und entschied: am nächsten Tag um 18.45 Uhr. Ein Teilnehmer der Runde erzählte mir, dass Watzke meinte: Es geht ja nicht anders.

An dieser Stelle entzweien sich die Darstellungen, wie der nächste Morgen in der Umkleidekabine auf dem Trainingsgelände in Dortmund-Brackel tatsächlich abgelaufen ist. Unstrittig ist: Den Spielern, noch immer völlig verstört, stand die Entscheidung über ihr Mitwirken frei.

Unstrittig ist auch, dass zwei Spieler ihre Stimmen erhoben und Bedenken gegen das Spiel am Abend anmeldeten: Marco Reus und Gonzalo Castro. Beide standen nicht im Kader. Keiner hatte ein gutes Gefühl bei der Sache. Wie auch? So ein Attentat hatte es noch nie gegeben.

Die dramatische Lage vor dem BVB-Spiel gegen AS Monaco in der Champions League: Noch am nächsten Tag bekam ich aus dem direkten Umfeld der Mannschaft Informationen, wie emotional die Stunden vor dem 2:3 abgelaufen sein mussten. Wie Tränen in der Umkleidekabine flossen.

Einer blieb vergleichsweise gelassen: der Trainer. Thomas Tuchel ließ in keiner Sekunde erkennen, dass ihn die zeitnahe Spielansetzung störte. Mehr noch: In spontanen Meinungsäußerungen in der aufregenden Nacht, teilweise schriftlich, freute er sich auf die „Energie im Stadion“.

Als er die Umkleidekabine verließ, die Stimmen der zwei Spieler noch im Ohr, soll er so ungehalten über deren Bedenken geraunt haben, dass ein weiterer Spieler seinen entscheidenden Satz hören konnte: „Und mit diesen Weicheiern soll ich die Bayern schlagen?“

Weicheier – der Begriff wird noch heute zitiert, auch in der Mannschaft, wenn man beim BVB eine Erklärung für den Stimmungsumschwung sucht, der im Laufe des Tages passiert sein muss und der sicherlich im Resultat von 2:3 am Abend begründet liegt.

„Die Termine werden vorgegeben, und wir haben zu funktionieren“, fauchte Tuchel hinterher öffentlich. „Wir hatten das Gefühl, dass wir behandelt werden, als wäre eine Bierdose auf den Bus geflogen.“ Und weiter: „Das ist kein gutes Gefühl, es war ein Gefühl der Ohnmacht.“

Jeder Satz: eine Ohrfeige für Watzke. Der Trainer stellte ihn vor versammelter Presse als kalten Apparatschik dar, dem der Kommerz über das Menschliche geht. Vom Ringen um Spieltermine, vom Zögern und Verzweifeln: kein einziges Wort. Tuchel sammelte Sympathien.

Ich selbst ging zunächst davon aus, dass die verkratzte Beziehung zum Trainer eine Glättung erfährt. Als er am Samstag überraschend Bayern besiegte und ins Pokalfinale einzog, erinnerte ich mich an die Weisheit: Siege heilen alle Wunden. Ich sollte mich täuschen.

Vor einer Doppelpass-Sendung in München rief ich Watzke auf dem Handy an, um mich über die Befindlichkeit seit dem Bayern-Spiel zu erkundigen. Ich fragte eher scheinheilig, ob jetzt wieder alles gut mit Tuchel sei. Die Antwort: Schweigen.

So ein Stillhalteabkommen kann aber nicht ewig dauern. Ich ahnte und wusste: Nur eine Kleinigkeit fehlte noch zum Ausbruch der aufgestauten Wut. Man muss als Reporter dann auf den entscheidenden Moment lauern. Zum Beispiel bei einem Interview.

Ich schickte meine Reporter mit dem Auftrag zum Interviewtermin, Watzke scheinbar beiläufig zu fragen, ob es eine Kontroverse mit dem Trainer gebe. Der Anlass für das Interview war eigentlich ein anderer: Watzke wollte Dietmar Hopp, Mäzen von Gegner TSG Hoffenheim, würdigen.

Auf die Frage nach einem möglichen Dissens mit Tuchel überlegte Aki Watzke eine Weile. Und bestätigte, was wir wussten: „Den gibt es, ja.“ In der Folge definierte er das Maß an Vertrauen, das ein Management für eine gute Zusammenarbeit mit dem Trainer verlangt.

Ganz ehrlich: Ich rechnete nicht damit, dass diese kurze, aber aussagekräftige Passage den Prozess des Gegenlesens überstehen würde. Sascha Fligge, der Kommunikationsdirektor, würde die Brisanz erkennen und tilgen. Dachte ich. Aber die Passage blieb drin.

Man hatte sich offenbar bewusst dazu entschieden. Die Vereinsführung wollte nicht mehr die heile Welt vorgaukeln, die es nicht gab. Als Journalist ist man dann glücklich: Die Öffentlichkeit erfährt endlich die Wahrheit und nicht ein Stück inszenierter Wirklichkeit.

Natürlich hatte ich damit die entscheidende Zutat, um das Interview „hochzukochen“. Tat ich aber aus Berechnung nicht: Die Überschrift mit Hopp war so langweilig gewählt, dass mich Kollegen fragten, ob ich die Brisanz des Interviews nicht überblickt hätte. Nein, das war nicht der Grund. Ich wusste: Wenn ich den Tuchel-Dissens zur Überschrift machte, eine vergleichsweise kurze Passage in einem langen Interview, würde man mir Stimmungsmache am Spieltag unterstellen können. Man muss hier Augenmaß bewahren. Im schlimmsten Fall hätte man in Dortmund sagen können: Da wurde ein kleiner Satz unangemessen zur Schlagzeile hochgejazzt, der Quote wegen. Die Flanke wollte ich nicht offen lassen und spekulierte darauf, dass der Watzke-Satz auch so seine Kraft entfaltet.

Das tat der Satz. Und daran hatte Patrick Wasserziehr seinen Anteil. Er rief mich Samstagmorgen an, als das Interview erschien, und befragte mich nach den Umständen des Gesprächs mit Watzke. Er wollte vorbereitet sein. Am Nachmittag würde er Tuchel vor dem Mikrofon haben.

Wasserziehr genießt einen vortrefflichen Ruf in der Branche. Er gehört zu den TV-Reportern, die der Sache im direkten Gespräch auf den Grund gehen. Hätte Tuchel auch nur angedeutet, dass die Watzke-Sätze ja so nicht gefallen sind, hätte er mit meinen Infos kontern können.

Tuchel machte einen anderen Fehler. Hätte er eingelenkt und gesagt: Ja, es gab einen Dissens, aber jetzt ist alles wieder mit Blick auf das Pokalfinale gut – im BVB wäre tatsächlich Frieden eingekehrt. Aber der Trainer legte nach.

„Ich verbiete mir als Trainer, darüber nachzudenken und darauf einzugehen“, sagte er. „Es stehen so viele wichtige Spiele an, wir können uns nicht mehr ablenken lassen. Das ist heute noch ein bisschen schwerer als sonst.“ Der Vorwurf zwischen den Zeilen: Watzke gefährde die Ziele.

Die Vertrauensbasis war endgültig zerstört und nicht mit dem späteren Pokalsieg zu reparieren. Die gesamte Vereinsspitze sah das so. Als Journalist gerät man dadurch in Erklärungsnot. Man kennt die Zusammenhänge aus Hintergrundgesprächen – und darf nicht alles schreiben.

In den sozialen Netzwerken wird der Druck noch dadurch erhöht, dass man die Spekulationen und Verschwörungstheorien in der eigenen Leserschaft mitverfolgen kann. Wie gerne würde man seiner journalistischen Aufgabe nachkommen und die Zusammenhänge erklären.

Hier sind Grenzen gesetzt. Jedes Wort verlangt eine Erklärung. Einen Vertrauensvorschuss, dass ein Journalist den Dingen nachgegangen ist, den Zusammenhang also kennt und sein Urteil begründen könnte, gibt es nicht. Alle wissen es besser. Der Fall Tuchel hat mir die Augen geöffnet.

Niemand wollte verstehen, warum ein Verein einen erfolgreichen Trainer feuert. Watzke wurde wechselweise Populismus und verletzte Eitelkeit unterstellt, noch bevor die Trennung öffentlich und begründet worden war. Dem Urteil der Sportjournalisten wurde nicht vertraut.

Ein Moment des Innehaltens hätte genügt, und jeder dieser Besserwisser wäre auf den Gedanken gekommen, dass genau das Gegenteil richtig war. Es wäre populistisch gewesen, den offenbar populären Trainer zu halten und eben nicht den unbequemen Weg der Trennung zu gehen.

So geht das heutzutage ständig. In diesem Beruf machen sich zu viele Meinungsmacher breit, die in Podcasts flotte Sprüche formulieren, in Tweets die Trolle füttern und trumpesk Fehler als Untergang des Abendlandes beschreien. Die eigene Vita im Sport: belanglos. Recherche: null.

Darum habe ich dieses Buch geschrieben: als Motivation für diejenigen, die ihr Telefon als Werkzeug verstehen oder ihren Wissensdurst im Zigarillo-Qualm stillen. Für diejenigen, denen 29 Minuten Aufmerksamkeit als Belohnung reicht.

Interview mit der Hand Gottes

Wie ich zu Maradona ins Hotelzimmer vordrang

Als ich Diego Maradona das erste Mal sah, so von Angesicht zu Angesicht, fuhr mir ein Schrecken durch alle Glieder. Das also sollte er sein: der beste Fußballer auf Erden. Ein kleiner Mann – der Körper etwas zu speckig, die Haare etwas zu verwegen, der Blick etwas zu unruhig. Und diesen Kerl sollte ich zum Interview verführen?

Ich war gerade 24 Jahre alt und arbeitete bei der Abendzeitung in München. Deutschland, angeführt von Kapitän Lothar Matthäus, war zwei Jahre zuvor Weltmeister geworden und hatte eben jenen Maradona und dessen Argentinier im WM-Finale von Rom 1:0 besiegt. Ich selbst war gerade aus Halle an der Saale in die Weltstadt München gewechselt.

Maradona kannte ich nur aus dem Fernsehen. Dass ich jetzt vor ihm stand, war schon kurios genug. Meine Arbeit in Halle hatte sich bis nach München herumgesprochen. Als der AZ-Sportchef Franz-Hellmuth Urban meine Spielerportraits las, verpflichtete er mich noch am Telefon. 4000 Mark im Monat. Arbeitsbeginn Anfang April. Kein Vorstellungsgespräch.

Meinen ersten Arbeitstag beendete ich mit einer langen Story über … ich weiß es nicht mehr. Was ich noch weiß: Der Sportchef holte sich meinen Text auf den Computerschirm, befahl mich an seine Seite und sagte: „Und jetzt machen wir einen richtigen Text daraus.“ Er markierte alle Absätze und drückte die Löschtaste. Vier Stunden Arbeit: komplett weg.