Kairos – Die Entscheidung Band 1 – Das Deimos-Ereignis - Christian Gallo - E-Book

Kairos – Die Entscheidung Band 1 – Das Deimos-Ereignis E-Book

Christian Gallo

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Beschreibung

Im Jahr 2052: Gegen alle Logik verlässt der Marsmond Deimos seinen Orbit und nimmt Kurs auf die Erde. Ein Zusammenstoß und damit die Vernichtung allen Lebens darauf scheint unumgänglich.
Doch schnell stellt sich heraus, dass dieses Ereignis durch eine fremde Intelligenz vollzogen wurde. Dem zur Supermacht aufgestiegenen Vereinten Europa obliegt die erste Konfrontation mit dem Unbekannten, bei der man auf ein Wesen trifft, das Unfassbares berichtet.
Uralte Mechanismen greifen; fatale Entwicklungen starten – und bald schon sieht sich die Menschheit einer weit überlegenen Macht gegenüber, die sie vernichten will. Aber wenn alte Weltbilder implodieren, entstehen auch neue Allianzen. Und klar wird: Die Bewohner der Erde stehen nicht allein. Die Reise in eine ungewisse Zukunft unserer Welt beginnt, Wissenschaftler planen das Undenkbare und Entscheidungen stehen an, die zur falschen Zeit getroffen, alle Hoffnungen zunichtemachen …

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Christian Gallo

 

 

Kairos – Die Entscheidung

Band 1

 

Das Deimos-Ereignis

 

 

Science-Fiction-Roman

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Kathrin Peschel nach Motiven, 2023

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

28. Kapitel 

29. Kapitel 

30. Kapitel 

31. Kapitel 

Epilog 

Der Autor 

 

Das Buch

 

 

 

Im Jahr 2052: Gegen alle Logik verlässt der Marsmond Deimos seinen Orbit und nimmt Kurs auf die Erde. Ein Zusammenstoß und damit die Vernichtung allen Lebens darauf scheint unumgänglich.

Doch schnell stellt sich heraus, dass dieses Ereignis durch eine fremde Intelligenz vollzogen wurde. Dem zur Supermacht aufgestiegenen Vereinten Europa obliegt die erste Konfrontation mit dem Unbekannten, bei der man auf ein Wesen trifft, das Unfassbares berichtet.

Uralte Mechanismen greifen; fatale Entwicklungen starten – und bald schon sieht sich die Menschheit einer weit überlegenen Macht gegenüber, die sie vernichten will. Aber wenn alte Weltbilder implodieren, entstehen auch neue Allianzen. Und klar wird: Die Bewohner der Erde stehen nicht allein. Die Reise in eine ungewisse Zukunft unserer Welt beginnt, Wissenschaftler planen das Undenkbare und Entscheidungen stehen an, die zur falschen Zeit getroffen, alle Hoffnungen zunichtemachen …

 

 

***

 

 

Prolog

 

 

Der Giacomo-Mars Rover rollte über die rostrote, mit Steinbrocken bedeckte Ebene und hinterließ breite Profilspuren im Sand. 

»Dort, jenseits der Hügel.« Missionsgeologe Jonas Moravsky wies auf die den Horizont markierenden Dünen. »Mare Cimmerium.« 

»Ja, richtig.« Anna Burnacini prüfte die Koordinaten. »Und, was halten Sie hiervon? Einst blühte hier Leben.«

Jonas musterte sie. »Sie fasziniert diese Vorstellung.«

»Nein.« Erst sah sie ernst aus, dann grinste sie. »Ich bin besessen davon.«

Er lächelte. »Offenbar. Ich für meinen Teil bin sicherlich fasziniert. Wäre ich sonst hier?«

»Alles hier sah früher ganz anders aus. Definitiv. Hier waren Meere. Ein unglaublicher Gedanke.«

»Und woher rührte dieser Klimawandel?«

»Wir wissen es nicht. Es ist und bleibt rätselhaft.« Annas Augen funkelten ähnlich verheißungsvoll wie das Gestirn über ihr. »Aber wegen der Rätsel sind wir hier.«

»Oh, alles klar.« Innerlich verschränkte er die Arme. »Sie sind wie diese Prinzessin im Zauberwald.«

Sie hob eine Braue. »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich will den Dingen eben auf den Grund gehen.«

»Verstehe. Das Manna regnet wieder, und das reichlich.«

Vor nicht langer Zeit, in der Phase nach dem euro-amerikanischen Dissens, waren die nationalen Raumfahrtprogramme mit nur einem Bruchteil der Staatsbudgets abgespeist worden. Später waren private Investoren ins Spiel gekommen; die etablierten Raumfahrtagenturen hatten sich gegen die Konkurrenz gewehrt und schließlich war der Industriezweig mithilfe von Staatsgeldern wieder aus der Versenkung geholt worden. Auf einmal war es ganz leicht, Sonden ins All zu schicken. Aber die erste Marslandung hätte auch zwanzig Jahre eher erfolgen können.

Aber jetzt war es so weit!

Anna lächelte durchs Plexiglas zu den Sternen empor, deren Licht ihr Gesicht überschüttete. »Wir spüren außerirdischem Leben nach – für mich das eine große Ziel. Eine Pflicht. Der Kosmos hat uns geschaffen. Jetzt sagen wir ihm Hallo.« 

Jonas bewunderte ihren Enthusiasmus, dessen Ursprünglichkeit, auch wenn er ihn nicht teilte. Zunächst war er Realist und alles, was man bislang gefunden hatte, waren etwas Eis unter den Polkappen mitsamt ein paar Bakterien und einer Menge eisenhaltigem Sand.

»Ich bin Geologe. Fachartikel über Zeolithe zu schreiben und im Yosemite oder in den Appalachen herumklettern ist eine Sache, das hier etwas völlig anderes.« Er zuckte die Schultern und grinste. »Wenn auch nur Eisenoxid.«

»Es ist viel mehr als das. Denken Sie an das Wasser.«

»Verstehen Sie mich richtig, ich bin überwältigt wie Sie. Aber wir könnten auch falsch mit diesem Außerirdischen-Ding liegen. Ich glaube nicht, dass wir auf etwas in dieser Richtung stoßen werden.«

Anna entgegnete zunächst nichts. »Ich glaube, wir sind nur aus einem Grund aus den Meeren gestiegen.«

»Der da lautet?«

»Um die Sterne zu sehen, Jonas. Um unserem Ursprung nachzuforschen.«

Das ließ er sich durch den Kopf gehen. Annas Worte klangen naiv, aber auch philosophisch. Er lenkte den Rover unbeabsichtigt über einen Stein; die Federung steckte es mühelos weg, es gab aber einen Satz, der beide Insassen auf und ab hüpfen ließ. Jonas fluchte und entschuldigte sich prompt.

Anna schien ganz woanders zu sein. »Ich weiß, dass wir auf etwas stoßen werden. Ich weiß es einfach.«

Jonas, gespielt verschwörerisch: »Ruinen unter dem Sand? Reste früherer marsianischer Kulturen?«

Seine Ironie ließ sie kalt. »Es wäre die größte Entdeckung seit dem Penicillin.«

»Das Beste seit der Entschlüsselung des Genoms. Der Entwicklung des HIV-Antiserums.« Sie hätte es endlos fortführen können.

»Im Ernst, ich bin auch stolz«, sagte Jonas. »Wir erforschen Himmelskörper. Heilen nahezu jede Krankheit. Bauen Kilometer hohe Gebäude. Aber Außerirdische? Ich weiß nicht.« Ein Signal. Jonas sah auf die Anzeigen. »Okay, wir sind gleich da.«

»Ich verständige das Camp.« Sie tat es und die Missionsleitung unter Professor H. C. Belmuth gab das Okay, die Expedition wie geplant fortzusetzen.

Kurz darauf erreichten sie das Ziel und stiegen aus dem Rover.

»Wo genau wollen Sie Ihre Proben nehmen?«, fragte Anna.

»Weiß ich noch nicht. Am besten nah beim Fels.«

Jonas Moravsky ging es um Gesteinsproben, Anna Burnacini um die vermuteten Wasserspeicher unter dem Sand und folglich um die Wasserdampfmenge in der Atmosphäre. An verhältnismäßig warmen Tagen wie diesem taute der Permafrost in der Erdschicht etwas auf, und der aufsteigende Wasserdampf wäre messbar. Orte besonders hoher Konzentration konnten mehr gefrorenes Wasser anzeigen.

»Fangen wir an.« Jonas schritt zur nahen Gesteinsformation. Auf der Erde wog er etwas mehr als eineinhalb Zentner, hier dreißig Prozent weniger. Der Geologe setzte den Bohrer zusammen, drang einen Meter tief ins Regolith ein, entnahm die Gesteinsproben und verstaute sie in seiner Probentasche.

Anna machte unterdessen ihre Messungen. Als Jonas sie ansprach, blickte sie auf. Seine Gestalt verdeckte teilweise die blasse, tiefstehende Sonne. Jonas umgab eine Aureole aus Licht, sein Gesicht war hinter dem Schutzvisier nicht zu erkennen. »Wie sieht es bei Ihnen aus?«

»Wenig Sauerstoff und noch weniger Wasserdampf. Kaum HDO.«

Jonas sah Zahlen und Tabellen, die sich auf ihrem Visier spiegelten, in ihren Augen nur Trübsal. »Morgen ist auch noch ein Tag. – Sagen Sie, warum tasten Sie den Boden eigentlich nicht mit einem der Orbiter ab?«

»Das tun wir doch ohnehin. – Aber, weshalb lassen Sie Ihre Proben nicht von einem Roboter nehmen?«

»Ich weiß schon, was Sie meinen: Manchmal lohnt es sich eben, es selbst zu tun.«

»Exakt.« Sie stand auf. »Die Temperatur fällt rasch. Zeit aufzubrechen. Der Siebentagesbericht muss heute Abend vorliegen«, seufzte sie.

»Kopf hoch. Machen wir uns auf den Weg.«

Einer Eingebung folgend hob Jonas den Kopf und sah in den Weltraum. Mit bloßem Auge peilte er die Sterne an. Ein Leuchten weckte sein Interesse. Es wurde zu einem Kreis, blau und weiß: die Erde, ganz friedlich. Sein Blick wanderte weiter. »Wie schwach die Sonne hier ist.«

»Wussten Sie …« Sie brach ab. »Was ist das denn?«

»Wo?« Sein Blick folgte ihrem Starren und fand am Himmel ein helles Objekt. »Ich sehe es. Ein naher Stern?«

»Kein Stern. Einer der Monde. Mein Gott, ist es möglich? Er entfernt sich von uns!«

»Was sagen Sie da?«

»Das gibt’s nicht. Schnell, Jonas, die Kamera!«

Jonas hatte die Helmkamera ganz vergessen. Jetzt aktivierte er sie hastig. Ihr schwarzer Linsenkreis reflektierte das Unfassbare. Jonas hielt drauf.

Anna rief: »Haben Sie es?«

»Ja, doch!«

»Folgen Sie ihm so lange wie möglich.«

»Habe ich vor.«

»Verzeihung, aber das kann unmöglich wahr sein!«

»Welcher ist es?«, wollte Jonas wissen. Er wusste, es gab zwei Monde, Phobos und Deimos, benannt nach den Getreuen des Kriegsgottes Mars.

»Der Kleinere. Deimos«, flüsterte sie. »Schrecken.«

Sie sahen es mit eigenen Augen, aber trotzdem würden die Leute denken, dass es eine Fälschung wäre. Man würde sie für verrückt erklären, egal, was der Speicherchip der Kamera zeigte.

»Nur sein Name.« Sehr viel leiser: »Keine Ahnung, was ich sagen soll.«

»Vergessen Sie mein Gerede von vorhin. Dies ist ein großer Moment. Vielleicht der großartigste überhaupt.«

»Ob er nun großartig sein wird oder nicht, auf alle Fälle ist er einschneidend.«

 

 

Finsternis. Unendlichkeit. Das interstellare Medium. Wasserstoff und Neutrinos sind überall.

Und eine Energie. 

Ein Glimmen entkommt dem Dunkel – Licht!

Es wächst an zu einem Pulsieren, zu einer Ballung aus Myriaden von Sternen, die sich um einen hellen Kern drängen. Wir wissen von einhundert Milliarden Milchstraßen. Diese ist unsere. 

Sie schießt auf uns zu. 

Inmitten von Staub glühen die Sterne rot und orange. Spiralarme aus hellen Nebeln und Sternen nähern sich. Ausläufer superheißer Gasschleier bleiben zurück; voraus liegt ein System.

Pluto zieht seine Bahn Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt.

Neptun, Uranus, Saturn.

Die Asteroiden.

Jupiter.

Mars mit seinen zwei Monden, ›Angst‹ und ›Schrecken‹.

Die Erde – mit dem einen Mond – erstrahlt in allen Farben.

Wolken, Gebirge, Ozeane.

Land.

Bäume in Blüte.

Und, in der Dämmerung des Mittsommers eine Straße zwischen Städten …

 

 

***

 

 

Die Erde als die einzige bevölkerte Welt im unendlichen All anzusehen,

ist ebenso absurd wie die Behauptung, auf einem ganzen, mit Hirse bestellten Feld

würde nur ein einziges Korn wachsen.

 

Metrodoros

 

 

***

 

 

›The chances of anything coming from Mars are a million to one‹, he said. 

›The chances of anything coming from Mars are a million to one – but still they come.‹ 

 

Jett Wayne, War of the Worlds 

 

 

***

 

 

1. Kapitel

 

Halb acht an einem Samstagabend im Juni. Die Sonne war ein Glutball im Westen, die Autobahn nach Glasgow ein waberndes Asphaltband.

Corey Homme fuhr die Fujitsu-Honda im Renntempo, wechselte ständig die Spur, um zügig durch den Berufsverkehr zu kommen. Kaum war er auf der rechten Spur, scherte er aus, um erneut zu überholen. Dann war der Weg frei. Er beschleunigte, die anderen Wagen fielen zurück und weiter ging es westwärts.

Nazma Chaudhry, an ihn gepresst, holte tief Luft und schrie aus Leibeskräften.

Corey wusste, sie hasste das Motorrad und noch mehr, wie er es fuhr. Etwas daran ändern wollte er aber nicht. Geschwindigkeit fand er nicht nur spannend, sie bewirkte bei ihm einen Rausch. Er fuhr nicht einmal langsamer, als sie erneut schrie. Er dachte nicht daran, Gas wegzunehmen, auch nicht, als sie ihm auf die Schulter schlug.

Er wusste ja, dass er riskant fuhr. Aber Fakt war: Sie kamen zu spät. Glasgow lag noch etliche Kilometer entfernt. Corey seufzte. Es war der erste Auftritt der Kunstflieger in diesem Sommer, die Tribünen würden voll sein, doch ihm drohte, es zu verpassen. Und das nur wegen Nazmas Unschlüssigkeit, ob sie mitkommen sollte oder nicht. Insgeheim hatte Corey gehofft, sie würde auf dem Campus bleiben.

Er blickte über die Schulter zu ihr.

»Halt an!«, brüllte sie.

Seine Masche, sie zu besänftigen, zog nicht mehr. Es war noch nie eine gute Methode gewesen, aber Corey beherrschte nur die eine. Was sollte er machen? Nazma irgendwo absetzen? Sie am Fahrbahnrand stehen lassen und zusehen, wie ihre Gestalt im Rückspiegel schrumpfte?

Nein, dachte er. Dies wäre wohl das Ende. 

Er wollte nicht, dass es zu Ende ging. Er wusste selbst nicht, warum. Alte Gewohnheiten vermutlich. Zu lange gehegte Rituale, die Macht des Alltags, diese Leier.

Also nahm er fluchend Gas weg und lenkte auf den Seitenstreifen. Kies knirschte unter den Reifen und spritzte davon. Er stoppte das Motorrad. Atmete einmal tief die Luft ein und ließ sie langsam wieder entweichen. Er wappnete sich. Und er nahm den Helm ab. Auf einmal war die Luft erfüllt vom Straßenlärm. »Schon gut.« Er hielt den Blick nach vorn gerichtet.

Sie sprang ab. Er reichte ihr die Hand, bestrebt, sie zu besänftigen, doch mit einer energischen Geste ließ sie das Visier hochschnellen. Ihr Blick bohrte sich in seinen. Feindselig.

»Was?« Sein Tonfall war dringlich, aber ohne Aggression.

»Es reicht mir! Endgültig!« Sie riss sich den Helm vom Kopf und warf ihn Corey zu.

»Jetzt warte.«

»Vergiss es, Arschloch! Ich habe dich gebeten, langsamer zu fahren, dir war es scheißegal und jetzt verschwinde ich!«

Sie marschierte los.

Corey prüfte seine Optionen. Sie gehen lassen war die eine. Ihr folgen die andere. Leise stöhnend fuhr er zu ihr. »Jetzt komm schon.«

Sie blieb nicht stehen. Ihre Augen blitzten.

Immerhin schreit sie nicht mehr, dachte er. »Die Flugshow. Man erwartet uns.« 

»Fahr doch.«

»Ich hab’ mich entschuldigt.«

»Hast du nicht!«

Er zögerte. »Was hast du vor?«

»Mir einen Funkschlitten rufen.«

»Was ist schlimm daran, wenn ich gehe?«

Sie schob ihren Ärmel hoch und benutzte ihr Pad.

 »Schlitten sind teuer«, sagte er nur.

»Man kommt mit ihnen lebend ans Ziel.«

»Komm schon. Ist je etwas passiert?«

Sie hob einen Finger. »Oh, richtig: Du beherrschst es ja.« Sie verzog das Gesicht. »Das ist so abgeschmackt.«

»Du machst dich über mich lustig.«

»Sicher nicht.«

»Ich soll langsamer fahren? Okay. Ich beherzige es.«

»Das hatten wir schon, wie oft?«

Schweigen. Der Verkehr, seine grellroten Schlusslichter; die Luft; der vitale Sonnenschein.

»Ich bin ein Idiot.« In Wahrheit dachte er ganz anders.

Sie entgegnete nichts darauf.

»Was denn noch? Reicht das nicht?«

»Nein.«

Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Worum geht es hier?«

»Verrate du es mir.«

Corey tat nichts dergleichen.

»Das Schlimme ist …« Sie sprach nicht weiter und dachte: Ich schaff’s nicht. 

Sie standen sich gegenüber. Coreys Blick schweifte über die brüchige Lärmwand voller Graffiti, weiter zu einem Schuttberg. Er richtete seinen Blick auf seine Freundin, die nur dastand, mit hängenden Schultern, die Arme eng am Körper. Sie allein wusste, was sie sah, dachte, welche Schlüsse sie zog.

»Nazma?«

»Keine Ahnung.«

»Warum steigst du nicht auf und wir verschwinden?« Es war keine Frage. Corey bot ihr den Helm an.

»Warum sollte ich?«

»Was spricht dagegen?«

»Viel.«

»Und dafür?«

»Verarsch mich nicht!«

»Tu ich nicht.«

Er lügt. Und ich lüge. Es ist sinnlos. 

Er deutete ihr Schweigen als Zweifel. »Also kommst du?«

Und was weiter? Wie würde das Morgen aussehen? Wie das Übermorgen? Sie liebte Corey und sie liebte ihn nicht. Was ließ sie bleiben? Was hielt sie vom Gehen ab? Angst. Furcht vorm Alleinsein, vor der Veränderung. Verlustängste lähmten sie. Sie hasste sich dafür.

»Nächstes Mal bin ich weg, Ehrenwort.«

»Wie du willst.« Er versuchte, so aufrichtig wie möglich zu klingen. Und wartete. Nichts passierte. Corey überlegte. Ihr Selbstvertrauen: eine glatte Lüge. Oder Selbsttäuschung. Eher das. Sie glaubte, die Initiative zu übernehmen, in Wahrheit gab sie das Heft des Handelns ab. Niemals übernahm sie Verantwortung für ihr Handeln. Das störte ihn am meisten. Sie begriff nichts.

»Ich weiß sehr wohl, was du sagst«, entgegnete sie ruhig.

»Und?«

»Was willst du hören?

Sei nicht so blind. Du musst doch sehen, wohin es führt.«

»Ich sehe es, Nazma.« Wieder bot er ihr den Helm an. »Aber hier herumstehen und streiten ändert auch nichts.« Er holte Luft. »Bitte, fahr mit. Ich werde langsamer fahren und tun, was du sagst. Wir sehen, wie es weitergeht.« Er sprach leise und deutlich. »Aber jetzt lass uns von hier verschwinden.«

Alles spielte sich für Corey mittlerweile in Zeitlupe ab, ein Schauspiel wie unter Wasser. Als Nächstes erstarrte das Wasser selbst. Er sah sich um. Die Wagen standen still und ihre Insassen waren wie eingefroren. Der Wind war auch erstarrt, die Büsche standen reglos. Stille. Nur sein Herz hörte er schlagen. Der Augenblick hielt an. Corey begriff: Sein Leben stand still. Etwas hielt ihn von dem ab, was er eigentlich tun sollte. Und mit dieser Erkenntnis kam die Welt wieder in Bewegung. Lebendigkeit zog ein. Autos fuhren, Menschen wanderten umher, Wolken und Vögel zogen weiter.

Der Erdball drehte sich.

Nazma sah ihn an.

Das Ende, dachte er. Eine seltsame Vorstellung. Es würde kommen, bestimmt, aber nicht hier und nicht jetzt. Nicht so. Zumindest darin waren sie sich einig. Was die Zukunft brachte, wusste niemand. 

Sie ergriff den Helm und saß auf.

»Es kommt alles in Ordnung«, versprach er leise. »So oder so.«

Darüber dachte sie nach, während Corey auf die Straße fuhr. Er stellte ihr Musik auf den Helmlautsprecher, ein Lied ihrer Lieblingsband; es handelte von Liebe und Verlust, vom Scheitern und den Irrungen des Lebens.

 

 

2. Kapitel

 

Group Captain Mary-Doria Patrick, Offizierin der europäischen Luftstreitkräfte, sah wieder Gespenster. Ihre Lieben zogen an Bord eines diffusen Luftschiffes im Zeitlupentempo vorbei. Doria kippte blinzelnd einen Flügel. Die Erscheinung verschwand. Doria blickte hinab und sah nur Wasser. Südlich verschwand Madeira.

Sie atmete durch.

»Alles in Ordnung?«, fragte Lewis Pardoe, ihr Instrukteur aus Lyon, über Funk.

»Bin beeindruckt. Ein Prachtstück.« Ihr Visier spiegelte die auf die Glashaube projizierte Kollektivsteuerung wider. »Geschwindigkeit: fünfhundert Knoten – wow! Bitte auf drei-fünf-tausend zu gehen, Überschallvektor zwo-drei zu acht.«

Lewis, kurz zögernd: »Roger, Merlin.« 

»Etwa besorgt?« Die Jungs der Flugkontrolle würden krank vor Sorge sein. Ausgerechnet sie – Doria Patrick – trieb den sündhaft teuren Prototypen im wilden Ritt über den Atlantik. Sie liebte es, anderen mit ihren Flugeinlagen einen Schweißfilm auf die Stirn zu zaubern. Für Provokationen war sie bekannt.

»Tu bitte einfach, was man dir sagt, okay?«

»Soll ich Merlin nun aufs Parkett führen?« 

Eine Pause. »Aber übertreibe es nicht.« Durchatmen. »Wie arbeitet die Autohydraulik?«

»Einwandfrei.«

»Bordelektronik?«

»Monitor zwei läuft holprig. Alle Sub- und Reservesysteme arbeiten normal.«

»Vergiss Monitor zwei. Es geht auch so.«

»Verstanden.«

»Achte auf eventuelle Vereisungen.«

Doria war bewusst, dass es in dieser Höhe zu keiner Vereisung kommen konnte. Und ebenso war ihr klar, dass Lew es auch wusste und einfach nur das Protokoll abspulte.

Sie hasste das Protokoll.

»Keine Vereisung, Lyon.«

»Gut. Haken wir die Checkliste ab.«

Die Checkliste hasste sie ebenso sehr wie das Protokoll. »Was soll das? Das hatten wir bereits.«

Die Checkliste war das Sicherheitsnetz eines Piloten. Aber Doria Patrick wollte manchmal kein Sicherheitsnetz. Nur ein Grund dafür, wie man munkelte, warum man dieser Frau niemals diesen Flug hätte anvertrauen dürfen. Man hatte anders entschieden. Wenn Doria Patrick nicht so gut darin wäre, alles aus den Prototypen herauszuholen und darin, Schwachstellen aufzudecken, es wäre längst jemand anderes Cheftestpilot des XJ-80-Programmes und oberster Berater bei der Luftwaffe in Luftkampffragen.

Doria legte den Jet waagerecht und rief das Diagnostikprogramm auf. »Fang ja schon an.«

»So ist es brav.« Lewis war erleichtert. Gewöhnlich gab sie nicht so schnell nach. »Okay, wir beginnen mit dem Steiggeschwindigkeitsmesser.« Er betrachtete die Fernmessdaten vor sich.

»Check«, funkte Doria.

Lewis ging mit ihr die Liste durch, fragte sie nach der Geschwindigkeit.

Dorias Ungeduld wuchs. Es juckte ihr einfach in den Fingern, mit Hochbeschleunigungswerten durch die Wolken zu stürzen. Was sie wollte, war Spaß. Sie wollte vergessen. Also ließ sie dem Impuls, sich im Rausch der Beschleunigung in grenzenloser Höhe zu verlieren, freien Lauf. Sie ließ die Tachometernadel ausscheren. »Und ab geht es! Mach zwei. Kaum Vibrationen.«

Erste Freude in Lyon. In dem Experimentalflieger, dessen Kennung von dem Merlinfalken stammte, bezeichnenderweise einem Vogeljäger, steckte viel Arbeit – das und zweihundert Millionen Euro. Und dass sich die Chefpilotin in ihrer Bewertung überschwänglich zeigte, war zumindest ein Anfang.

Lewis spürte, wie ihm jemand auf die Schulter klopfte. Er fragte Doria nach der Höhe.

»Zwanzigtausend Fuß.«

»Verstanden.«

Irgendwie mochte Lewis sie. Die meisten konnten sie nicht ausstehen. Viele fürchteten sie regelrecht. Lewis aber empfand gewisse Sympathien für diese Frau. Zumeist tat sie ihm leid. Ohne ihr Wissen hatte man ihr das Funkflugzeichen ›Ghostflight‹ verpasst, und das nicht nur wegen ihrer selbstmörderischen Flugweise. Die Frau sah tatsächlich Gespenster. Sie wähnte sich von einem nebelhaften Luftschiff verfolgt. Ghostflight. Dorias Fehler war es gewesen, davon über Funk zu berichten. Damals hatten eine Menge Leute Dorias Worte über einen durchsichtigen Zeppelin gehört, der ihr erschienen war und sie verfolgte. Kurz darauf hatte ihr neues inoffizielles Funkzeichen die Runde gemacht, beginnend in den Militärkneipen und Offiziersclubs auf dem Luftwaffenstützpunkt Lyon. Diese Person, hieß es, gehöre eingewiesen, auf jeden Fall degradiert und sicher nicht an die Kontrollen eines Kampfjets. Makaber, fand Lewis. Ein Wunder, dass Doria es nicht längst herausbekommen hatte, dieses Ghostflight-Ding. Wenn sie es irgendwann doch täte, war Lewis sich sicher, würde sie sich die versammelte Mannschaft einen nach dem anderen vorknöpfen. 

Er senkte den Blick und schaute auf die Rahmendaten von Dorias Flug wie Höhe und Geschwindigkeit. Und in genau diesem Moment gab Doria Vollschub und zog hoch. Das Flugzeug besaß eine Schub-Gewichtsrelation von zehn zu eins; die perfekte Harmonie zwischen Masse und Antrieb. Doria spürte beim Beschleunigen dieses köstliche Ziehen in den Eingeweiden. »Mach zwei-fünf.«

Die Azoren fielen zurück. Weiter nordwärts. Doria durchflog ein Wolkenfeld und der Flug wurde rauer. Vor ihr erhoben sich zwei enorme Gewitterwolken mit einem riesigen Tal dazwischen. Doria gab Schub und stieg weiter. Bei dreißigtausend bremste sie ab und flog Zickzack zwischen den Wolkentürmen. Sie hing kopfüber, als ein großer, transparenter Zeppelin aus dem Dunst schoss, sie kurz eskortierte und so schnell wieder verschwand, wie er erschienen war. 

Doria umklammerte den Steuerknüppel mit zitternden Händen und versuchte, Merlin in der Balance zu halten. Sie zwang sich zu tiefem Ein- und Ausatmen. Erkenne das Problem; löse es.Identifizieren und korrigieren. Okay. Du halluzinierst. Reiß dich zusammen.Dort ist nichts. 

Ihre verkrampften Muskeln lockerten sich. Langsam verging ihre Panik.

»Irgendwelche Probleme? Dein Herz pumpt wie wild«, entnahm Lewis Dorias Biotelemetrie. Der Adrenalinstoß hatte ihren Puls beschleunigt. Und rasende Herzen waren bei einem Hochgeschwindigkeitsflug grundschlechte Begleiter.

»Alles bestens«, funkte Doria aufgesetzt lässig. Sie zwang sich weiterhin zur Ruhe. »Die Aussicht ist unglaublich!«

»Behalt deinen Vibrationsmesser im Auge.«

»Keine Sorge. Ich – warte mal.«

Lewis studierte die Anzeigen und dachte: Was ist das Problem? 

»Mach drei.«

»Geh runter auf zwei und komm heim.«

Rauschen, daraufhin Doria, wie abwesend: »Ich sehe Orion. Wunderschön, Lew.«

Lewis stockte. Doria hatte in kurzer Zeit ziemlich viel Höhe gewonnen. Der Jet flog hervorragend und Doria steuerte ihn perfekt. Bei allen Eskapaden, diese Frau leistete der Luftwaffe und damit der privaten wie staatlichen Forschung, dem zivilen Luftverkehr und letztlich auch AstroCom kostbare Dienste und das oft unter Einsatz ihres Lebens. Ihm fiel bei diesem Gedanken unwillkürlich die alte Leier von Doria Patrick, der Selbstmordkandidatin, ein. Gerüchte gingen herum, Doria sehnte den Tod herbei und wünschte, es würde auf einem ihrer Flüge passieren. 

»Merlin, Flughöhe«, funkte er. 

»Vierzigtausend Fuß. Was ist los?«

Lewis dachte kurz nach. Hoch genug. »Okay.« Er setzte sich aufrecht. »Komm jetzt zurück. Ist erreicht. Genug für heute.« 

Doria wurde ärgerlich. Einen Jagdflieger so weit zu bringen, war leicht. Die Kunst war, die Grenze zu überschreiten, sie neu zu definieren. Darum ging es. Um das Fliegen. Den Preis, den man zu zahlen bereit war.

»Hörst du nicht? Das Limit ist erreicht.«

»Drei Punkt zwo«, meldete sie.

»Du bekamst eine Order.«

»Punkt drei.«

»Doria!«

»Und vier. Höhe jetzt fünfzig.« Die Reinheit der Hochatmosphäre war beispiellos. Wolken lagen unter ihr wie ein gefrorenes Meer.

In Lyon wurde der Bann der Anspannung in Form von Geschrei und Flüchen gebrochen. Jemand brüllte, Merlin würde abschmieren. Ein Mann mit zu kurzer Krawatte sprang auf, wobei sein Stuhl umkippte. Irgendjemand schleuderte seine Kopfhörer auf ein Armaturenbrett. Irgendwer schrie nach Ruhe, ein anderer nach dem Oberkommando. Auch Lewis fragte sich, wann die Kommandantur endlich eingreifen und Dorias Ungehorsam beenden würde. 

»Doria, jetzt bin ich besorgt. Der Test ist offiziell beendet. Befolge die Befehle und erspare uns das Theater.« 

»Aber Merlin bleibt doch stabil.« Sie manövrierte konzentriert die Turbulenzen aus. 

»Treib es nicht zu weit.«

»Tut mir leid, Lew. – Sechzig.«

»Hör auf!« In seinem Tonfall lag noch immer keine Wut oder Frustration, nur Dringlichkeit. »Du trudelst.« Er betonte es wie eine nüchterne Feststellung.

Dorias Steuerhologramm wurde Alarm-Rot. Der Staubflugalarm lärmte. »Triebwerkausfall«, meldete sie ruhig. »Die Instrumente fallen auf null. Initiiere Computerneustart.«

»Du bist unter sechzig: Probiere einen halbwegs stabilen Sturzflug. Bei zwölftausend steigst du aus.«

»Nein.«

»Keine Diskussion. Ich alarmiere die Rettung.«

»Ich versuche, die Systeme hochzufahren.«

»Negativ.«

»Ich schaff’s.« Zwölftausend Fuß genügten, glaubte sie.

»Du wirst …« Lewis verstummte. Ein Hoffnungsschimmer in Form minimaler Fluktuationen von Merlins Flugdaten: Stabilität. »Warte. Du trudelst nicht mehr.« 

»Ich halte die Nase unten.«

»Bereite dich auf den Ausstieg vor.«

»Yeah, nachdem ich gelandet bin.«

»Fünfzig.«

»Das reicht.«

Lewis, ohne rechten Glauben, hoffte es – und stutzte. »Ich empfange etwas. – Status!«

»Der Computer ist auf go. Die Systeme fahren hoch, aber die Triebwerke zünden nicht.« 

Zehntausend.

»Okay. Zünden die Triebwerke nicht in zwanzig Sekunden, war es das.«

»Nein.«

»Schleudersitz bei zwölf. – Notfalls löse ich ihn per Funk aus.«

»Nicht nötig«, knirschte Doria, während die Fußhebel ihr die Knie in den Bauch pressten.

»Sei nicht idiotisch!«

Die Wahrheit war schlimmer. Doria Patrick würde irgendwann draufgehen. Lewis wusste es einfach. Wenn nicht heute, dann ein andermal. Einfach, weil sie es wollte. Aber ihrer Todessehnsucht gegenüber stand die Entschiedenheit des Testpiloten, die ihm anvertraute Maschine unbedingt zu retten. 

Wie würde sie sich heute entscheiden? Lewis sank erschöpft in die Lehne zurück und fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen. Die Zeit schien stillzustehen. Das Stimmengemurmel des anderen Funkverkehrs lief im Hintergrund, dazu Statikschnarren. Instrumente summten und piepsten, Computertasten klickten.

In diesem Moment erwachten Merlins Doppelbooster zum Leben. Zuerst stockendes Grollen, gefolgt von einem röhrenden Gebrüll. Die Initialzündung folgte. Systeme fuhren hoch. Die Düsen spuckten Feuer. Lews Display für die Triebwerksleistung von XJ-80 zeigte jetzt Wellen, wo zuvor zitternde Linien gewesen waren. 

»Ich wusste es!«, schrie Doria im Brustton des Triumphs. »Turbinen leisten Vollschub!«

»Du fällst weiter!«

»Ich fang sie ab.«

Es gab eine Pause. Doria hörte eine neue, aber bekannte Stimme. »XJ-80, hier spricht der Kommandant der Flugeinsatzabteilung, General Pross. Was ist in Sie gefahren, Group Captain? Leiden Sie unter Hypoxie?«

Doria sprach ganz sachlich. »Fehlanzeige, Sir. Mein Sauerstoffhaushalt funktioniert einwandfrei.«

Ihr Gesprächspartner brüllte: »Und warum zum Teufel missachten Sie permanent die Befehle Ihres Instruktors und führen sich auf wie eine gottverdammte Wahnsinnige?«

Doria war viel zu sehr damit beschäftigt, den Jet abzufangen, um zu antworten.

Pross donnerte: »Ich befehle Ihnen, Ihren Testflug gemäß Flugplan fortzusetzen. Ich werde einen Bericht über Ihre Insubordination abfassen und dem Generalstabschef persönlich vorlegen. Ihre Karriere ist mit dem heutigen Tag beendet, das garantiere ich Ihnen! Sie haben den Bogen endgültig überspannt. Hören Sie mir zu, Captain?«

»Ich – ja, Sir.«

»Ich lasse Sie unter Arrest stellen, Patrick, und diesmal boxt Sie keiner raus! Das war Ihr letzter Verstoß. Pross Ende.«

Pross’ Befehle und Drohungen ließen sie kalt. Sollte man sie doch aus den Streitkräften entlassen. Sie würde ihr Offizierspatent mit Kusshand abgeben und eben beim ›Champ‹, Rory Mancienne, einem Freund aus Akademietagen, anheuern und Buschpilotin in Ostafrika werden. Sie würde den ganzen Tag prall gefüllte Postsäcke von einem Ort zum anderen fliegen. Sie würde fliegen und sich betrinken, weiterfliegen und weitertrinken. Bis sie eines Tages einen Fehler machen und abstürzen würde. So oder so, es würde auf diese Art enden, an Bord von etwas, das flog. Das war für sie klar.

»Roger, Sir. Merlin Ende«, funkte sie. 

Lewis Pardoe war ebenfalls eigenartig teilnahmslos zumute. Im Grunde fügte er sich in dieser Minute ebenso seinem Schicksal wie Doria seit Jahren schon. Taten das nicht alle? Sich fallen lassen, sich fügen, jemand anderes entscheiden lassen. Über die Frauen und Männer der Fluginstruktion würde man genauso richten wie über Doria. Lewis war sicher, dieser Flug würde Dorias letzter gewesen sein, zumindest bei der Luftwaffe oder AstroCom. Man würde sie entlassen, wenn auch nicht unehrenhaft, wie von Pross angestrebt. Lewis seufzte. Pross. Blaskowitz. Viele Fragen und eine ganze Menge Streit. Für seine Gelassenheit war er bekannt, jetzt aber empfand er nur noch Entmutigung. »Sechstausend, Doria. Bereithalten.« 

»Teufel auch!«, keuchte sie und hantierte ständig an der Drossel herum. Der Steuerknüppel ließ sich kaum noch bewegen.

»Zwanzig. Ausstieg!«

»Noch nicht.«

»Die Flugdynamik berechnet, wo du runterkommst.« 

»Sie reagiert. Lew, hörst du, Merlin reagiert!« Sie klang wirklich erleichtert, was Lewis kurz eine Braue hochziehen ließ; und tatsächlich fiel die Maschine langsamer. »Vergiss es, du bist zu tief.« 

»Sie wird steigen!«

»Gleich bist du unter zwölf.« Lewis versicherte glaubhaft: »Tut mir leid.« Per Funksignal löste er den Schleudersitz aus.

»Scheiß drauf!« Sie kauerte sich in Embryonalstellung und sah die Haube lautlos davonfliegen.

---ENDE DER LESEPROBE---