Kaliber .64: Jedermanns Gier - Christine Grän - E-Book

Kaliber .64: Jedermanns Gier E-Book

Christine Grän

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Beschreibung

Victoria ist kein guter Mensch. Doch im Dunkeln betrachtet sind es die Männer, die zu ihren Opfern werden, auch nicht. Nicht immer mit dem Leben, doch bezahlen müssen sie. Denn die Dame sucht sich wohlhabende alte Herren, denen die Lebensgier zum Verhängnis wird. Zwischen Golfplatz, stürzenden Aktienkursen und der schönen, schrägen Welt des Kapitals kommt es zum Höhepunkt, der für den einen oder anderen böse endet.

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Christine Grän

JEDERMANNS GIER

Krimi * Nautilus

KALIBER .64

Edition Nautilus

Verlag Lutz Schulenburg

Schützenstr. 49 a

D-22761 Hamburg

www.edition-nautilus.de

Alle Rechte vorbehalten

Die Krimireihe

»Kaliber .64« wird

herausgegeben von

Volker Albers

© Edition Nautilus 2008

Umschlaggestaltung:

Maja Bechert, Hamburg

www.majabechert.de

Originalveröffentlichung

Erstausgabe Februar 2009

Druck und Bindung:

Fuldaer Verlagsanstalt

1. Auflage

Print ISBN 978-3-89401-589-3

E-Book EPUB ISBN 978-3-86438-124-9

E-Book PDF ISBN 978-3-86438-125-6

EINS

An den Anblick von alten Männern hat sie sich gewöhnt. Kurzsichtigkeit hilft, dezentes Licht und der Gedanke, dass sie Gutes tut – für sich. Victoria streichelt das faltige Gesäß mit zarter Hand, sie sind so zerbrechlich, die Greise, ihre Haut wie altes, knittriges Seidenpapier, und die dünnen weißen Härchen, die über braunen Flecken wachsen, Sommersprossen der Vergänglichkeit, und Knochen, die bei Berührungen leise ächzen. In den wässrigen Augen liegt Dankbarkeit, eine Demut, die sie früher nicht besaßen, als sie jünger und unsterblicher waren. Anton lächelt sie an mit seinen weißen, falschen Zähnen, und sie sagt: »Es war gut.« Das sagt sie immer, auch wenn es schlecht war. Lügen sind das Salz des Lebens, die Wahrheit jeder Liebe, der Imperativ ihrer Existenz. Selbst wenn Anton ahnt, dass der Sex traurig war, er ist mit 81 auch geistig noch rege, zieht er es vor, ihr zu glauben. Sie ist seine letzte Geliebte, das weiß er, ein kleiner Aufschub vor dem Nichts, in das er gehen wird, gehen muss, und Victoria ist das Leben, das er einmal geliebt hat, gelebt und verlebt. Er küsst ihren weißen Nacken und fühlt sich jung, noch einmal jung, so als könnten Gefühle die Zeit anhalten, sie in Glückseligkeit einfrieren, nein, dieser Begriff ist falsch, er erinnert Anton an ein Leichenschauhaus und an seine große Angst, die Kontrolle über sein Leben verloren zu haben.

»Du frierst«, sagt Victoria, und in ihrer Stimme liegt eine Besorgnis, die ihn zu Tränen rührt. Er war nie sentimental früher und viel zu beschäftigt, den Laden zu führen, Geld anzuhäufen und die Familie bei Laune zu halten. Ein bisschen Golf und Sex mit willigen Damen, das waren die einzigen Vergnügungen in seinem arbeitsreichen Leben. Jetzt ist er alt und zehn Millionen schwer. Das meiste davon steckt im Geschäft, doch selbst wenn er mehr als genug übrig hat, wofür sollte er es ausgeben? Der Appetit hat nachgelassen, so wie die Lust an teurem Burgunder. Das Zigarrenrauchen hat er auch aufgegeben, und für Golf fühlt er sich inzwischen zu klapprig. Trifft keinen Ball mehr wie früher, und er will sich nicht zum Affen machen in seinem Golfclub.

Dort hat er sie kennengelernt, die schöne Victoria, das war vor drei Monaten, als er auf der Terrasse des Clubhauses saß und vor Selbstmitleid verging, weil er nur noch zuschauen konnte bei allem, eine Randfigur war am Rande der Lebenszeit. Ihre roten Haare, lang und wild gelockt, das fiel ihm als Erstes auf, und dann diese grünen Augen und die Sommersprossen, diese weibliche, wunderbar gerundete Figur, die sich wohltuend von den dürren Golfziegen mit ihren blondierten Haaren abhob. Ihr erstes Lächeln, das ihn einer Ohnmacht nahe brachte. Die kleinen Schweißperlen auf ihrer Oberlippe, diese unglaublich weiße Haut und die winzigen Fältchen um ihre Augen. Sie hat ihm bis heute ihr Alter nicht verraten, doch Anton schätzt sie auf 40 plus, sie könnte – theoretisch – seine Enkeltochter sein.

Doch sie war so gütig, seine Einladung auf ein Getränk anzunehmen, ein gespritzter Apfelsaft, er weiß es noch genau, und sie redeten und redeten – Gott, er fühlte sich so lebendig wie seit Langem nicht mehr. Nach drei Abendessen und einem gemeinsamen Besuch in der Oper hat er sie zum ersten Mal geküsst –, und sie zuckte nicht zurück, sondern öffnete ihre Lippen und strich mit ihrer Hand sanft über seinen Nacken. Zärtlich ist sie, hingebungsvoll, und von erstaunlicher Schweigsamkeit. Fast nie spricht Victoria über sich oder ihr Leben. Er weiß nur, dass sie in Argentinien geboren wurde, als Tochter einer irischen Mutter und eines deutschstämmigen Lehrers, und dass sie nach dem Tod ihrer Eltern nach Deutschland ging, um Schauspielerin zu werden. Ein paar wenige Engagements, sie ist nicht gerade erfolgreich, doch bescheiden in ihren Ansprüchen und dankbar wie ein kleines Kind, wenn er sie in teure Restaurants führt oder beschenkt. Sie ist, auch das beeindruckt ihn, eine hervorragende Golfspielerin, und er hat ihr die besten Schläger gekauft, die es auf dem Markt gibt. Es sind die kleinen Aufmerksamkeiten, mit denen er vier Jahrzehnte überbrückt, es zumindest versucht, denn letztlich ist Victorias Zuneigung das größte Wunder seines Lebens.

Seine verstorbene Frau, die beiden Töchter – das war Familie, Pflicht und Verantwortung. Victoria ist leidenschaftliche Liebe, Lebenslust pur, und der Sex ist fast nebensächlich, wenn es doch nur darum geht, eine Frau neben sich zu spüren, ihre glatte, warme Haut zu berühren und mit den Fingern ihre Kurven nachzuzeichnen, das müde Haupt auf ihre Brüste zu legen und zu denken, dass die Ewigkeit warten kann.

»Willst du mich heiraten?« Antons brüchige Stimme klingt noch rauer als sonst. Ihre Antwort ist Nein, doch sie spricht es nicht aus, sondern streichelt seinen fast kahlen Kopf mit den von ihm gehegten Resthaaren. »Ist es nicht gut so, wie es ist?«

Er kann ihr Gesicht nicht sehen, nur ihre Brustwarzen spüren. Sie sind weich wie alles an ihr. »Sogar sehr gut, aber es gibt immer noch Raum für Verbesserungen. Du könntest eine wohlhabende Witwe werden.«

»Reden wir jetzt von Hochzeiten oder Begräbnissen, Anton? Geld bedeutet mir nicht so viel, weißt du.«

Er möchte es glauben, so sehr, dass sein Herz beunruhigend schnell schlägt. Ganz normale Ermüdungserscheinungen, sagt der Professor, den er fürstlich dafür bezahlt, ihm erträgliche Diagnosen zu stellen. »Geld ist das Beste nach der Liebe, mein Kind, und ich werde nicht ewig leben, das meine ich. Im Übrigen habe ich mein Testament bereits geändert und dir eine halbe Million hinterlassen. Das ist eine Summe, die meine Töchter juristisch nicht anfechten werden, ich kenne die gierigen Monster. Als meine Witwe würdest du die Hälfte kriegen, ein nettes kleines Vermögen.«

»Das klingt verlockend«, murmelte Victoria, und er kann zwischen Ernst und Ironie nicht unterscheiden. Tatsächlich kennt er sie kaum nach drei Monaten, zwölf Abenden und sieben Nächten. Er war noch nie in ihrer Wohnung, die sie als »nicht gesellschaftsfähig« bezeichnet. Er kennt ihre Freunde nicht, weiß nicht einmal, ob sie seine Musik mag, obwohl sie ihn zweimal begleitet hat in die Oper, und ihr Gesicht, dieses schöne, wilde Gesicht, zeigte keine Emotionen. Sie kann ausgelassen sein, ironisch oder still und nachdenklich, doch was sie wirklich denkt, weiß er nie. Ist vielleicht auch besser so, denkt Anton, den die Liebe nicht aller Sinne beraubt hat. Er wünscht nur, dass er mehr Zeit hätte für diese Liebe, mehr Kraft und Virilität. Das Herz, es ist schwach und verbraucht durch zu viele Jahre auf der falschen Seite des Vergnügens. Jetzt, da er es braucht, wird es ihn im Stich lassen. Bald, denkt Anton, doch es geschieht jetzt. Während er versucht, ihr zu sagen, dass sie seine größte Liebe ist, spürt er ein Kissen auf seinem Gesicht, ein großes Stück mit Daunen, von Damast umhüllt, das ihm die Stimme erstickt, mehr noch, ihm den Atem nimmt. Panik, er zappelt mit den Beinen und versucht, mit seinen Händen das Kissen wegzudrücken, doch sie ist viel stärker als er. Schließlich wandelt sich Todesangst in eine Hingabe an das, was mit ihm geschieht. Anton geht in das Nichts, das er immer so gefürchtet hat, und sein letzter klarer Gedanke ist, dass sie ihn wirklich nicht heiraten will…

ZWEI

Der Professor ist ein Jüngling im Vergleich zu Anton, 72, und er ist noch vor dem Stadium demütiger Dankbarkeit, auch wenn er sich in die Rothaarige verliebt hat, von der ersten Minute an, als er den Raum betrat, in dem sie vor dem Bett kniete und Antons kalte Hand streichelte. Eine berührende Szene, und nachdem er den alten Freund untersucht und den Totenschein ausgestellt hatte, tröstete er sie mit starkem Tee und beruhigenden Worten.

»Er war immerhin glücklich, bevor er starb«, sagte er, und das kann man nicht von jedem behaupten, die meisten gehen dahin, wie sie gelebt haben: fern von sich und ihren Wünschen. »Leben ist die Ideologie der eigenen Abwesenheit«, diesen Satz von Adorno spricht der Professor jeden Morgen vor dem Spiegel aus, um dann in bitterer Selbsterkenntnis die Zähne zu putzen und die Rituale der Morgentoilette zu durchlaufen; danach folgen Müsli und Tee, die Zeitung und ein paar Worte zur Gattin, die um diese Tageszeit sehr alt aussieht; anschließend die Praxis und abends die gesellschaftlichen Veranstaltungen, zu denen man sich begibt, um nicht vor Langeweile zu sterben.

Victoria ist nicht langweilig. Sie ist sexy, witzig und von geradezu schamloser Offenheit. Sie findet ältere Männer interessanter, weil sie mehr wissen und mehr besitzen, und als arbeitslose Schauspielerin muss sie Privates und Berufliches miteinander verbinden, um über die Runden zu kommen. Sie macht keinen Hehl aus ihrer Geldgier, ihrer Lebensgier, der Gier überhaupt. So unmoralisch, und das ist interessanter als das große Heucheln, das er in seinen Kreisen, lauter alte Leute, kennt.

Victoria behauptet, dass sie Antons Geist erotisch gefunden habe, und das glaubt er ihr sogar. Die halbe Million, die sein Freund und Patient ihr hinterlassen hat, investierte Victoria in Aktien, sie ist eine Spielerin, und manchmal denkt er, dass seine Geliebte das ganze Leben als Spiel begreift – und sie könnte, das zieht er in Betracht, eine schlechte Verliererin sein.

Keine Pläne, keine Ziele, Victoria will sich nur amüsieren, und das tun sie auf ihren Kurztrips nach Paris oder London oder Rom, und wenn er sie nicht explizit aushält, so kommt sie ihn doch teuer zu stehen mit ihren Vorlieben für die besten Hotels und Restaurants – und Handtaschen. Jeder Trip eine Tasche, doch andererseits ist ihm klar, dass auf dem Markt des Gebens und Nehmens die Rollen klar verteilt sind. Victoria ist eine Hure auf hohem Niveau, das streitet sie gar nicht ab, und hat sie je behauptet, in ihn verliebt zu sein?