Kaltes Spiel – Kriminalroman – Tod in München: Der zweite Fall für Schmidtbauer und van Royen, den gemütlichen bayerischen Kommissar und die pfiffige holländische Polizistin - Harry Luck - E-Book
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Kaltes Spiel – Kriminalroman – Tod in München: Der zweite Fall für Schmidtbauer und van Royen, den gemütlichen bayerischen Kommissar und die pfiffige holländische Polizistin E-Book

Harry Luck

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Beschreibung

Je höher die Kreise der Politik, desto schmutziger die Geschäfte: der Münchner Kriminalroman »Kaltes Spiel« von Harry Luck bei dotbooks. Mord am See! Am Tegernsee wird eine Leiche aus dem Wasser geborgen – doch die Ermittlungen dürfen nur unter äußerster Verschwiegenheit erfolgen: Der Tote ist Friedrich Joseph Simnacher, bayerischer Top-Politiker und Kandidat für das Ministerpräsidentenamt. Für den Münchner Kommissar Lukas Schmidtbauer und seine Kollegin Anneke van Royen steht viel auf dem Spiel: Sie müssen den Fall so schnell wie möglich lösen, aber sie ahnen, dass sie die ganze Wahrheit auf keinen Fall ans Licht bringen sollen, um einen Politikskandal zu vermeiden. Hat Simnacher seine Gier nach Macht das Leben gekostet – oder hat sich hinter dem Schein seiner perfekten Familie ein ebenso persönliches wie tödliches Drama abgespielt? Ohne es zu ahnen, geraten Lukas und Anneke nun selbst mitten in die Schusslinie … Politisch, brisant, hochspannend: Harry Luck verbindet erstklassiges »Tatort«-Feeling mit feinem Lokalkolorit und einem ungleichen Ermittler-Duo, das enthüllt, welche Abgründe hinter der Fassade von Münchens feiner Gesellschaft lauern. »Ein absoluter Spannungskünstler.« Bayerischer Rundfunk »Ein sprachlich auf hohem Niveau gewobenes Puzzlespiel. Spannend bis zum Schluss.« Gong »Harry Luck ist ein exzellenter Kenner der bayerischen Politik und verarbeitet seine Beobachtungen in spannende Krimis.« Dieter Janecek, Bundestagsabgeordneter der Grünen in Bayern Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Kaltes Spiel – Der zweite Fall für Schmidtbauer und van Royen« von Harry Luck – ein Großstadtkrimi mit Regio-Charme. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Mord am See! Am Tegernsee wird eine Leiche aus dem Wasser geborgen – doch die Ermittlungen dürfen nur unter äußerster Verschwiegenheit erfolgen: Der Tote ist Friedrich Joseph Simnacher, bayerischer Top-Politiker und Kandidat für das Ministerpräsidentenamt. Für den Münchner Kommissar Lukas Schmidtbauer und seine Kollegin Anneke van Royen steht viel auf dem Spiel: Sie müssen den Fall so schnell wie möglich lösen, aber sie ahnen, dass sie die ganze Wahrheit auf keinen Fall ans Licht bringen sollen, um einen Politikskandal zu vermeiden. Hat Simnacher seine Gier nach Macht das Leben gekostet – oder hat sich hinter dem Schein seiner perfekten Familie ein ebenso persönliches wie tödliches Drama abgespielt? Ohne es zu ahnen, geraten Lukas und Anneke nun selbst mitten in die Schusslinie …

Politisch, brisant, hochspannend: Harry Luck verbindet erstklassiges »Tatort«-Feeling mit feinem Lokalkolorit und einem ungleichen Ermittler-Duo, das enthüllt, welche Abgründe hinter der Fassade von Münchens feiner Gesellschaft lauern.

»Ein absoluter Spannungskünstler.« Bayerischer Rundfunk

»Ein sprachlich auf hohem Niveau gewobenes Puzzlespiel. Spannend bis zum Schluss.« Gong

»Harry Luck ist ein exzellenter Kenner der bayerischen Politik und verarbeitet seine Beobachtungen in spannende Krimis.« Dieter Janecek, Bundestagsabgeordneter der Grünen in Bayern

Über den Autor:

Harry Luck wurde 1972 in Remscheid geboren. Nach seinem Studium der Politikwissenschaften berichtete er in München für verschiedene Medienunternehmen über die bayerische Landespolitik, wofür er auch alljährlich während der CSU-Klausurtagungen im Schnee von Wildbad Kreuth stand. Heute lebt er mit seiner Familie in Bamberg. Wenn er nicht an weiteren Kriminalromanen arbeitet, leitet er Seminare an der Universität und ist als Pressesprecher für das Erzbistum tätig.

Die Website des Autors: www.harryluck.de/

Der Autor im Internet: www.facebook.com/luck.harry und www.instagram.com/luck_harry/

Harry Luck veröffentlichte bei dotbooks außerdem den Kriminalroman Kaltes Spiel – Ein Fall für Schmidtbauer und van Royen.

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Juni 2019

Dieses Buch erschien bereits 2012 unter dem Titel Kreuther Komplott bei Hermann Josef Emons Verlag

Copyright © der Originalausgabe 2012 Hermann Josef Emons Verlag

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Kai Gathemann GbR

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Shutterstock/frederikloewer, Georgina Montagu und Honza Krej

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-761-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Harry Luck

Kaltes Spiel

Ein Fall für Schmidtbauer und van Royen

dotbooks.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

EINS

Die Berge.

So viel hatte sie schon von ihnen gehört. So oft hatten die Kollegen schon von ihren Wanderausflügen geschwärmt. Jetzt war sie fast ein Vierteljahr in München und sah zum ersten Mal mit eigenen Augen einen Gipfel. Er war weit entfernt, aber deutlich am Horizont zu erkennen. Anneke blinzelte, die tief stehende Wintersonne ließ die schneebedeckte Gebirgskette besonders grell erstrahlen.

Doch der beeindruckende Anblick währte nur wenige Sekunden, dann machte die A 995 hinter Unterhaching eine leichte Rechtskurve, und das Alpenpanorama verschwand hinter den Bäumen. Hauptkommissar Lukas Schmidtbauer blinkte links, schaute in den Rückspiegel und setzte mit dem Dienstfahrzeug zum Überholen eines Familienvans mit Flensburger Kennzeichen und Skiausrüstung auf dem Dachgepäckträger an.

Commissaris Anneke van Royen rieb sich auf dem Beifahrersitz des Dreier-BMW die Augen. Der Blick auf die Alpen kam ihr jetzt vor wie eine Sinnestäuschung, eine winterliche Fata Morgana. Was sie eben gesehen hatte, entsprach exakt ihren Kindheitserinnerungen aus der Zeichentrickserie »Heidi«, die auch im holländischen Fernsehen ausgestrahlt worden war. »Heidi, Heidi, leef toch hoog in de bergen«, fiel ihr die Titelmusik der Serie wieder ein, die sie so gern geschaut hatte wie »De Fabeltjeskrant« oder »Paulus de Boskabouter«.

Es herrschte dichter Verkehr auf der Autobahn.

»Warum müssen die alle im Schneckentempo fahren?«, schimpfte Lukas und trommelte mit seinen Fingern ungeduldig auf dem Lenkrad. »Bloß weil im Radio ständig eine Unwetterwarnung verbreitet wird? Für Nordbayern!«

Seit sie vor einer knappen halben Stunde von ihrer Dienststelle in der Münchner Hansastraße 24 losgefahren waren, berichtete B5 aktuell pausenlos über die katastrophalen Verkehrsverhältnisse in und um Nürnberg. Schon zweimal war der O-Ton des Polizeisprechers eingespielt worden, der alle Autofahrer aufrief, zu Hause zu bleiben und nur unaufschiebbare Fahrten zu unternehmen. Der öffentliche Nahverkehr lag lahm, aus den Krankenhäusern wurden mehrere Dutzend Fußgänger mit Knochenbrüchen gemeldet.

Doch hier in Oberbayern war die Lage entspannt.

»Es gibt keinen Grund, mit Tempo fünfzig voranzutuckern«, murmelte Lukas und zog wieder auf die rechte Spur. An der Abfahrt Holzkirchen verließen sie die Autobahn und wechselten auf die B318. Das Navigationsgerät zeigte noch eine gute halbe Stunde Fahrzeit bis nach Kreuth, ihrem Ziel, an.

Es war für Anneke der erste Einsatz außerhalb Münchens, seitdem sie nach Abschluss ihres Europol-Austauschprogramms die Übernahme in den bayerischen Polizeidienst beantragt hatte. Ihre doppelte Staatsbürgerschaft und ihr vorheriger Einsatzort, der »Dienst Nationale Recherche« der holländischen Polizei im niederrheinischen Grenzgebiet, hatten es Polizeipräsident Stapper leicht gemacht, Annekes Übernahme zu befürworten und sie auf eine freie Planstelle in der dritten Mordkommission zu setzen. Dass sie an der Aufklärung einer Anschlagsserie im Münchner Kabarettmilieu beteiligt gewesen war, hatte sich über den Zuständigkeitsbereich des Präsidiums hinaus herumgesprochen. Doch der außerordentliche Einsatz, der ihnen jetzt bevorstand, klang trotz aller landschaftlichen Reize nach langweiliger Routine: Schutzmaßnahmen für eine gefährdete öffentliche Person.

»Mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen rund um das Tagungszentrum in Wildbad Kreuth reagiert die Polizei auf die Morddrohungen ...« Lukas drehte das Radio lauter. »... gegen den IOC-Präsidenten Pablo Faszantas. Die Ankunft des Sportfunktionärs zum Kamingespräch bei der traditionellen CSU-Winterklausur ist nach Informationen des Bayerischen Rundfunks für heute Abend geplant. Offiziell bestätigen wollten dies die Sicherheitsbehörden nicht. Innenminister Max von Donnersberg, der selbst erst morgen in Kreuth erwartet wird, betonte, es gebe keine konkreten Erkenntnisse über einen bevorstehenden Anschlag auf Faszantas. Die vorliegenden Warnungen würden jedoch ernst genommen. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees wird mit den CSU-Abgeordneten über den Stand der Beratungen über eine mögliche erneute Bewerbung um die Winterspiele sprechen, nachdem München und Garmisch-Partenkirchen bei der Vergabe der Spiele 2018 gescheitert sind.«

»Schade, dass es mit 2018 nicht geklappt hat. Ich wäre gern bei der Eröffnung der Olympischen Spiele dabei gewesen, wenn ich dann noch in München bin«, sagte Anneke.

Lukas drehte das Radio wieder leiser und schob dann mit Daumen und Mittelfinger seine schwarze Plastikbrille zurecht.

»Nach den Protesten gegen die Olympia-Bewerbung glaube ich nicht, dass wir jemals wieder eine Chance haben werden«, sagte er. »Dass der IOC-Präsident nur unter Polizeischutz nach Bayern kommen kann, sagt doch schon alles. Schlimm genug, dass irgendwelche spinnerten Öko-Terroristen mit fadenscheinigen Drohbriefen das Münchner Morddezernat lahmlegen.«

Gute Laune klingt anders, dachte Anneke und verkniff sich eine Bemerkung über Lukas' neue Ray-Ban-Brille, die er heute zum ersten Mal trug und deren Gläser für ihren Geschmack etwas groß geraten waren. Er hatte sein bisheriges kleines Metallgestell gegen das auffällige Woody-Allen-Modell aus schwarzem Kunststoff getauscht. Lukas setzte seine Brille nicht immer auf. Sie wusste nicht, ob er ansonsten Kontaktlinsen trug.

»Herzlich willkommen in Hartpenning«, begrüßte sie ein Schild am Straßenrand und verwies mit den Zahlen »804 – 2004« auf ein schon länger zurückliegendes Jubiläum. Anneke betrachtete die Bilderbuchlandschaft mit weißen Feldern, auf denen vereinzelte Bauernhäuser mit Balkonen und schneebedeckten Dächern standen. Auf der linken Seite sah sie eine einsame kleine Kirche mit einem schlanken Zwiebelturm, wie sie auch in Heidis Schweizer Berglandschaft hätte stehen können. Sie schmunzelte, als sie rechts ein kleines Schild entdeckte, das den Weg zum Flugplatz Tannried wies. Sie stellte sich einen großen Airport mitten in der Einöde vor, vermutete dann aber, dass »Flugplatz« im Deutschen eine andere Bedeutung hatte als »Flughafen«.

»Was wissen wir über die Drohungen gegen Faszantas?«, fragte Anneke und stellte die Sitzheizung eine Stufe wärmer.

»Dieser Idiot!«, rief Lukas. Und er schien nicht den IOC-Chef zu meinen, sondern den Fahrer des Toyota Aygo vor ihnen, der sein Tempo von fünfzig auf vierzig drosselte, als ein Schild über der Fahrbahn vor Glatteisgefahr warnte.

»Äh, Faszantas?« Der fünfunddreißigjährige Hauptkommissar wandte sich seiner sieben Jahre jüngeren Kollegin zu. »Er war während des zweijährigen Bewerbungsverfahrens die Hassfigur der Nolympia-Bewegung, zumindest auf internationaler Ebene. In der deutschen Politik gibt es auch ein paar Figuren, die sich mit ihrem Engagement für die Winterspiele in München und Garmisch nicht nur Freunde gemacht haben. Und sie sagen: Nach der Bewerbung ist vor der Bewerbung, und wollen unbedingt erreichen, dass München die weltweit einzige Stadt wird, die sowohl eine Sommer- als auch eine Winterolympiade ausgetragen hat.«

»Aber was ist das Problem?«, fragte Anneke und pustete sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Es ist doch cool für eine Stadt, wenn sie die Olympischen Spiele austragen darf! Allein für den Tourismus und die Wirtschaft ...« Sie erinnerte sich an die Bewerbung Amsterdams für die Olympiade 1992. Und sie hatte in der Schule gelernt, dass es nur einmal Sommerspiele in Holland gegeben hatte: 1928 war in Amsterdam das olympische Feuer entzündet worden.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine Aufregung es in Garmisch während der Olympia-Bewerbung gab. Die Bauern, auf deren Grundstücken Skipisten oder olympische Dörfer entstehen sollten, gingen auf die Barrikaden, sprachen von Enteignung und starteten ein Volksbegehren.« Lukas bremste ab, als sie das Ortseingangsschild von St. Quirin passierten. Danach rückte er schon wieder seine Brille zurecht. »Aber die sogenannten Öko-Terroristen sind noch mal eine ganz andere Liga. Es ist eine kleine Gruppe militanter Extremisten, die sich nicht damit begnügen, Atommülltransporte zu blockieren oder Ölplattformen zu besetzen. Sie schrecken nicht davor zurück, Leute zu verletzen oder gar zu töten, um damit Zeichen zu setzen, dass der Mensch sich nicht über die Natur erheben darf.«

»Gab es schon mal richtige Anschläge von Öko-Terroristen?«, wollte Anneke wissen. Sie sah, dass das Außenthermometer neben dem Tacho immer niedrigere Werte anzeigte, je weiter sie sich von der Großstadt entfernten.

»In Italien gibt es eine Gruppe von gewaltbereiten Natur- und Tierschützern namens ›Il Silvestre‹. Sie wurde 2004 in der Toskana von linksextremen Anarchisten gegründet und gilt als Nachfolge-Organisation der Roten Brigaden. Auf ihr Konto geht ein Anschlag auf ein Nanotechnologie-Labor in der Schweiz. Auch für eine Serie von Paketbomben, die an Botschaften in Rom, Berlin, Madrid und Athen geschickt worden waren, sollen militante Öko-Spinner verantwortlich sein.«

Nach einer Weile fuhren sie an einem kleinen Schild mit der Aufschrift »Brunnbichl« vorbei. Lukas trat kräftig auf die Bremse und bog in ein winziges Sträßchen ein.

»Bei einem von ihnen«, setzte er seine Erläuterung fort, »wurde nach der Festnahme ein Flugblatt gefunden mit der These, dass vier Fünftel der Menschheit sterben müssten, damit der Rest überleben könne. Na ja, bis sie so weit sind, die Menschheit auszurotten, wird zum Glück noch eine Weile vergehen.« Lukas parkte den BMW vor einem Bauernhaus. »Ich glaube, wir sind da.«

»Und Faszantas steht immer noch auf einer Todesliste, obwohl zunächst mal keine Spiele in Bayern stattfinden?«, fragte Anneke.

»Für die militanten Olympia-Gegner ist es egal, ob die Natur in Bayern oder in Südkorea verwüstet wird. Faszantas hat einen anonymen Brief bekommen, dass er seinen Besuch in Kreuth nicht überleben wird. Und deshalb sind wir hier.«

***

Die »Irmingard« schwankte leicht auf dem Wasser. Es war heiß im Heck, wo sich zwei Männer auf hölzernen Bänken gegenübersaßen. Sie interessierten sich nicht für das auf der anderen Seite liegende Ufer des Tegernsees, das romantisch erleuchtet war, und hatten keinen Blick übrig für das sich auf der Wasseroberfläche spiegelnde Mondlicht. Es war so heiß an Bord, dass die beiden Männer splitternackt auf weißen Handtüchern saßen.

Die siebzehn Meter lange, 1925 erbaute »Irmingard« war einst ein Ausflugsschiff auf dem Chiemsee gewesen, später dann Ausbildungsboot für angehende Kapitäne. Seit einigen Jahren hatte sie keinen Kapitän mehr, lag führerlos am Ufer des Tegernsees auf dem Gelände der Seesauna vor Anker und diente als Schwitzkabine für wellnesshungrige Alltagsflüchtlinge, die vor alpenländischer Kulisse eine hochtemperierte Auszeit nehmen wollten.

»Kein Schweiß auf's Holz«, stand auf einer kleinen, schmuckvollen Holztafel, bei deren Herstellung Design wichtiger gewesen war als die Schreibweise.

Fünfundneunzig Grad zeigte das rote Digitalthermometer an. Friedrich Joseph Simnacher fühlte die Schweißtropfen seinen Rücken herunterrinnen. Trotz oder auch wegen seiner Sechzig-Stunden-Woche legte er Wert auf Sport und Entspannung. Er versuchte, seinen Kreislauf mit Lauftraining in Schwung zu halten. Und regelmäßige Saunagänge gehörten ebenfalls ganzjährig zu seinem Programm. Allerdings verzichtete er seit einiger Zeit darauf, in den Wintermonaten den Tegernsee nach dem Besuch der Seesauna als natürliches Tauchbecken zu nutzen, wie es einige hartgesottene Saunagänger praktizierten. Eins Komma acht Grad war das Wasser an diesem Januarabend kalt.

Simnacher war mit neunundfünfzig Jahren in einem Alter, in dem sich andere bereits auf den Ruhestand vorbereiteten. Er jedoch hatte den Höhepunkt seiner Karriere noch vor sich, soweit die Gesundheit mitspielte. Ganz nach oben konnte er es schaffen und sich seinen Lebenstraum erfüllen, davon war er überzeugt. Schon bald könnte sich dazu eine einmalige Gelegenheit bieten. Er würde nur im richtigen Moment zugreifen müssen. Vielleicht konnte der Mann, der ihm hier nackt gegenübersaß, dabei behilflich sein. Nur deshalb hatte er sich auf ein Treffen an diesem ungewöhnlichen Ort eingelassen.

»Hoffentlich hält uns keiner für ein Schwuchtelpaar, Herr ...«, sagte Simnacher, der seinem Verhandlungspartner nach dem Austausch mehrerer E-Mails jetzt zum ersten Mal persönlich begegnete, und dann gleich im Adamskostüm. »Wie soll ich Sie eigentlich nennen? So, wie Sie Ihre Mails unterschrieben haben? Ich nehme an, das ist nicht Ihr richtiger Name.«

»Keine Sorge, wir sind hier allein«, antwortete sein etwa eins neunzig großes Gegenüber mit üppigem Brusthaar und muskulösem Oberkörper. »Nennen Sie mich einfach Nick. Wie Nick Knatterton, der Meisterdetektiv.«

So hatte auch die E-Mail-Adresse gelautet, mit der ihn der unbekannte Absender vor etwa zwei Wochen zum ersten Mal kontaktiert hatte: [email protected].

»Ein Nickname sozusagen.« Nick lachte in sich hinein.

Simnacher schätzte seinen Gesprächspartner auf Anfang vierzig. Es irritierte ihn, dass Nick offenbar völlig schamlos und breitbeinig vor ihm saß und den Blick auf sein mächtiges Geschlechtsteil freigab. Irgendwie kam ihm das Gesicht des Mannes, dem er noch nie wissentlich begegnet war, bekannt vor.

»Ich habe am Steg ein Schild befestigt, dass das Saunaschiff vorübergehend wegen Reinigungsarbeiten gesperrt ist. Wir werden ungestört bleiben, Herr Simnacher.«

Es fühlte sich für Simnacher unangenehm an, in einer solch intimen Situation von einem Unbekannten mit Namen angesprochen zu werden. Er, der es gewohnt war, Einfluss und Macht zu haben und durch geschicktes Strippenziehen den Lauf der Dinge nach seinen Interessen zu steuern, fühlte sich jetzt einem Unbekannten ausgeliefert.

»Warum wollten Sie, dass wir uns in der Seesauna treffen, Herr Nick?«

Nick lächelte überlegen. »Weil ich hier sicher sein kann, dass Sie nichts Unlauteres im Schilde führen. So wie Sie hier sitzen, würde es Ihnen sehr schwerfallen, irgendwo ein Aufnahmegerät zu verbergen. Oder gar eine Waffe.«

»Sie wissen, dass ich Möglichkeiten hätte ...«

»Jaja. Ich pfeife auf Ihre Möglichkeiten«, erwiderte Nick gelangweilt. »Dann hätten wir uns auch in Ihrem Büro verabreden können. Ich nehme an, dass Sie unser Geschäft nicht dem Finanzamt melden und darüber auch keine Aktennotiz anfertigen werden.«

»Noch haben wir kein Geschäft abgeschlossen, Herr Nick.«

Simnacher wischte mit der Hand über seine Stirn. Lange würde er die Hitze nicht mehr aushalten. Sie müssten zur Sache kommen oder das Gespräch woanders fortsetzen. Ihm fiel nicht ein, wo er dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte. Vielleicht täuschte er sich auch.

»Wie hoch ist der Preis?«, fragte Simnacher. »Und wer garantiert mir, dass Sie mir keine Fälschungen andrehen?«

»Hundertfünfzigtausend Euro ist eine faire Summe, würde ich sagen.«

»Sie sind verrückt.«

»Hundertfünfzig. Ich denke, das müsste es Ihnen wert sein. Sie sind nicht nur einflussreich, sondern auch wohlhabend.«

»Glauben Sie, ich habe so eine Summe im Sparstrumpf versteckt? Wie stellen Sie sich das vor?«

»Das ist nicht mein Problem, Herr Simnacher. Ich hätte noch andere Abnehmer. Es ist Ihre freie Entscheidung.«

»Was soll das heißen, andere Abnehmer?« Die Hitze wurde immer unangenehmer.

»Sie kennen doch das ewige Spiel von Angebot und Nachfrage. Ich habe eine Ware. Die Nachfrage bestimmt den Preis. Ich muss auch sehen, wo ich bleibe. Leider habe ich nicht so einen sicheren Job mit regelmäßigen Bezügen wie Sie.« Nick sprach mit seiner tiefen Stimme in einem Tonfall, als würde er einem Kind eine Gutenachtgeschichte vorlesen. »Und wenn Sie nicht bereit sind, mir die hundertfünfzigtausend zu zahlen, dann rede ich mit einem anderen Interessenten.«

Es klang wie der Märchen-Schlusssatz: »Und wenn sie nicht gestorben sind ...«

»Welche anderen Interessenten?«, fragte Simnacher kurzatmig.

»Die Bild-Zeitung zum Beispiel. Dort könnte ich den Preis noch mit einer Zusatzinformation in die Höhe treiben. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Nein, ich verstehe nicht. Mir wird es zu heiß, Herr Nick. Was für eine Zusatzinformation?«

»Ich bin sicher, die Zeitung würde es interessieren, dass Sie mir eine solche Summe bieten wollten für einen kleinen Speicherchip. Ich würde sagen, dass ich mich als seriöser Geschäftsmann selbstverständlich nicht auf derartige zwielichtige Deals einlasse und das Material, das mir durch Zufall in die Hände gefallen ist, lieber der Presse zukommen lasse. Oder ...«, Nick grinste hinterhältig, »oder gleich der Polizei. Dann sähe es schlecht aus mit Ihrem Karrieresprung, Herr Simnacher.« Er lachte erneut.

Plötzlich schien das Boot zu schwanken wie auf hoher See. Simnacher wurde schwindelig im Kopf. Zugleich setzten sich in seiner Erinnerung Bilder zusammen, wo er den Mann, der sich Nick nannte, schon einmal gesehen hatte. Vor langer Zeit. Er versuchte, sich nicht von der Nacktheit ablenken zu lassen und sich das Gesicht jünger vorzustellen. Mit mehr Haaren und ohne Bartstoppeln.

»Ich brauche Luft, lassen Sie uns draußen weiterreden.«

Simnacher richtete sich auf, um sein Handtuch zu ergreifen. Doch Nick war schneller und drückte ihn mit seinen kräftigen Armen zurück auf die Holzbank.

»Zuerst will ich eine Antwort von Ihnen. Ja oder nein. Der Preis beträgt hundertfünfzigtausend Euro. Und das Angebot steht noch genau eine Minute.«

Simnacher schnappte nach Luft. »Sie ... sind ... ein ... Verbrecher.«

Nick blieb seelenruhig. »Ich glaube, Sie bringen da etwas durcheinander. Ist Ihnen nicht gut?«

Jetzt wurde die Erinnerung klarer und klarer.

Simnacher keuchte. Dann sagte er: »Ich weiß, wer Sie sind.«

Das Thermometer zeigte sechsundneunzig Grad.

ZWEI

Als Anneke aus dem BMW stieg, schlug ihr ein Geruch entgegen, der sie sofort in ihre Kindheit zurückversetzte, als sie jedes Jahr mit ihren Eltern den Urlaub auf einem nordfriesischen Bauernhof verbracht hatte. Das lang gezogene Muhen, das sie im selben Moment wahrnahm, passte auch dazu. Sie machte zwei Schritte zurück, um das Gebäude, vor dem Lukas den Dienstwagen geparkt hatte, mit ihrem Blick ganz erfassen zu können. Ein Hotel war das jedenfalls nicht.

»Wo sind wir hier?«, fragte sie, während auch Lukas aus dem Auto stieg und sogleich den Reißverschluss seines Anoraks hochzog. Das Bauernhaus wirkte alt, aber gepflegt und sah mit seinem schneebedeckten Dach, den langen Eiszapfen und den hell erleuchteten Fenstern auf der dunklen Anhöhe wie das Motiv eines Wintermärchens aus. Das schmale Holzschild neben der Tür mit der Aufschrift »Willkommen im Haus Pollinger« schien hier schon seit Ewigkeiten zu hängen. Neueren Datums waren die Plaketten, mit denen der Milchviehbetrieb mehrere Jahre in Folge für besondere Qualität ausgezeichnet worden war. Daneben war ein kleines Schild montiert, das das Haus Pollinger als Mitglied des örtlichen Tourismusverbandes auswies.

»Das hier ist ein Geheimtipp«, sagte Lukas. »Und günstig obendrein. Allerdings mussten wir es für vier Tage buchen. Aber das war immer noch preiswerter als eine Nacht im Hotel Zur Post.«

»Ich dachte, wir bekommen die Kosten für ein Hotel erstattet, während wir auf Außeneinsatz sind.« Anneke blickte sich ratlos um. So idyllisch es hier auch war: Auf einen Bauernhofausflug war sie nicht vorbereitet.

»Es gibt sowieso keine freien Hotels mehr von Kreuth bis Rottach-Egern«, sagte Lukas schulterzuckend und öffnete die Heckklappe, um seine und Annekes Reisetasche herauszuholen. In diesem Moment ging Licht hinter der Glasscheibe in der Eingangstür des Bauernhauses an, und kurz darauf wurde sie geöffnet.

»Grüß Gott, Sie müssen die Herrschaften von der Kripo ...« Die zierliche Mittdreißigerin mit burschikosem Haarschnitt hielt inne, als sie Anneke erblickte. Frauen im Polizeidienst schienen in Brunnbichl, einem Ortsteil von Kreuth, noch nicht zum alltäglichen Straßenbild zu gehören. Sofern man die Wege hier auf der verschneiten Anhöhe als Straßen bezeichnen konnte. »Kommen S' herein. Es ist schon alles hergerichtet. Ich bin die Frau Pollinger. Allerdings dachte ich ...«

»Grüß Gott, Frau Pollinger, mein Name ist Kriminalhauptkommissar Schmidtbauer«, sagte Lukas und streckte der Bäuerin die Hand entgegen. »Das ist meine Kollegin van Royen. Mit dem Zimmer ist alles in Ordnung?«

»Ja, natürlich. Es ist nur ... ich dachte ... ich hatte ja gesagt, dass wir nur dieses eine Fremdenzimmer haben. Und das ist ein Doppelzimmer.«

Anneke wunderte sich mal wieder, dass in Deutschland Gäste grundsätzlich als »Fremde« bezeichnet wurden. Noch mehr wunderte sie sich aber, dass Lukas für sie ein Doppelzimmer hatte buchen lassen, ohne das vorher mit ihr zu besprechen.

»Das passt schon, Frau Pollinger.« Lukas blickte Anneke beschwichtigend an, als wollte er sagen, dass er gleich alles erklären würde.

»Gehen S' den Gang durch und dann die Holzstiege hinauf«, sagte Frau Pollinger und drückte Anneke einen eisernen Schlüssel in die Hand, der aussah, als könnte sie damit eine alte Schatzkiste aufsperren. Die Stufen knarzten unter ihren Schritten. Eine Kuh muhte ihnen noch mal hinterher. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer zeigte Frau Pollinger ihnen noch den Frühstücksraum, erläuterte die Essenszeiten und bat um Verständnis dafür, dass der Fernseher im Zimmer derzeit kein Programm empfing, weil die Satellitenschüssel auf dem Dach eingeschneit war. Zudem erklärte sie, dass man sich an den Getränkekisten unter der Treppe bedienen könne und die Flaschen bei der Abreise abgerechnet würden.

Wenige Minuten später saßen Anneke und Lukas mit dem Rücken zueinander auf der jeweils anderen Seite eines Doppelbettes. Das Zimmer war rustikal mit Holzmöbeln eingerichtet. Vor dem Fenster stand ein Tisch mit einer rot-weiß karierten Decke, davor ein brauner Holzstuhl mit einem ausgesägten Herz in der Lehne. Neben einem Bauernschrank stand ein Sofa, lang genug, um als Nachtlager für einen erwachsenen Mann zu dienen, was Anneke beruhigte. Die Lampe an der Decke, in der eine Birne mit höchstens vierzig Watt brannte, flackerte ein bisschen, über dem Bett hing ein Ölgemälde, das ein Bergpanorama mit einem reißenden Fluss darstellte.

»Ich schlafe natürlich auf dem Sofa«, beeilte sich Lukas zu versichern.

Das wäre ja auch noch schöner gewesen, dachte Anneke. In den wenigen Monaten ihrer Zusammenarbeit hatte sie Lukas als zuverlässigen und fairen Partner schätzen gelernt, der charmant sein konnte, ohne die Grenze der Kollegialität zu überschreiten. Er hatte sie zu Beginn ihrer Hospitanz in der MK3, die im ganzen Präsidium den Beinamen »Männer-WG« trug, sofort als gleichwertige Kollegin behandelt und in die Ermittlungen eingebunden, während Kommissionsleiter Hubert Neidlinger keinen Hehl daraus machte, dass Frauen im Polizeidienst seiner Meinung nach allenfalls Strafzettel verteilen sollten. Neidlinger würde gut nach Brunnbichl passen, dachte Anneke.

»Ich schlafe auf dem Sofa«, wiederholte Lukas, als Anneke nicht reagierte, »und ich setz meine Brille nur auf, wenn du angezogen bist.«

Anneke musste schmunzeln über die unbeholfene Art ihres Kollegen, wollte sich aber nichts anmerken lassen.

»Im Ernst«, fuhr er fort. »Es war wirklich das einzige Zimmer, das wir hier in der Gegend bekommen konnten. Und das auch nur, weil ein anderer Gast wegen Krankheit abgesagt hat. Alle Hotels sind bis zum Dachboden mit Journalisten und Kamerateams belegt. Das gab's zum letzten Mal beim Stoiber-Putsch, haben sie im Tourismusamt erzählt.«

»Und warum sind jetzt so viele Medienvertreter hier?«, fragte Anneke. »Doch nicht wegen Faszantas, oder? Von der Morddrohung hat die Öffentlichkeit doch nichts erfahren.«

»Die interessieren sich nicht die Bohne für den IOC-Boss. Aber in diesem Jahr spukt wieder der Geist von Kreuth. So steht's in der Zeitung.«

»Der was?« Anneke setzte sich mit angewinkelten Beinen auf das Kopfkissen und lehnte sich an die Wand. Ihre Turnschuhe, die sie am liebsten auch im Winter trug, hatte sie vor das Bett plumpsen lassen, den violetten Wollpullover behielt sie an. Die Heizung schien noch nicht lange zu bullern.

»Den Geist von Kreuth gibt es seit 1976. Damals tagte die CSU zum ersten Mal hier und kündigte unter FJS ...«

Sie blickte fragend auf.

»... unter ihrem legendären Vorsitzenden Franz Josef Strauß die Fraktionsgemeinschaft mit der Schwesterpartei CDU im Bundestag auf. Das gab großen Zoff und führte letztlich zu nichts. Aber Kreuth ist seitdem ein Symbol für das Selbstbewusstsein der kleinen bayerischen CSU gegenüber der großen CDU.« Auch Lukas setzte sich auf das Bett, nachdem er seine Schuhe abgestreift hatte.

»Warum gibt es die CSU nur in Bayern?«, wollte Anneke wissen, doch darauf hatte Lukas auch keine plausible Antwort.

»Vielleicht treffen wir morgen jemanden, der das erklären kann. Jedes Jahr im Januar jedenfalls kommt die CSU hier in Wildbad Kreuth zu ihrer Winterklausur zusammen. Die Journalisten erhoffen sich immer wieder etwas Spektakuläres. Meistens allerdings vergebens. Bis auf 2007, da wurde der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber gemeuchelt.«

»Und dieses Jahr?«, fragte Anneke.

»Dieses Jahr gibt es wieder Personalspekulationen. Ministerpräsident Franz Däxl ist für einen Wechsel nach Berlin in die Bundesregierung im Gespräch, und seit Wochen tobt in Bayern schon der Kampf um seine Nachfolge. Die Journalisten hoffen jetzt, dass es heuer in Kreuth zu einem schlagzeilenträchtigen Showdown kommt. Aber wenn die Erwartungen hoch sind, passiert meist gar nichts.«

»Ich bin müde, Lukas«, sagte Anneke. »Wir müssen morgen früh raus.«

»Du hast recht. Um halb acht ist Lagebesprechung mit dem Einsatzleiter im Wildbad. Trinken wir noch eine Flasche Tegernseer Bier zusammen?«

Anneke überlegte kurz. »Okay. Dann können wir besser schlafen. Ich hoffe, du schnarchst nicht.«

»Davon gehe ich aus.« Er lachte. »Und entschuldige, dass ich das mit dem Doppelzimmer nicht vorher gesagt habe. Aber ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Und ich wollte nicht, dass du mir irgendwelche Hintergedanken unterstellst. Aber es gab echt keine andere –«

»Schon gut, Lukas. Das weiß ich doch. Also, ein Bier trinken wir noch, auf unsere erste gemeinsame Dienstreise.«

***

Anders als in den Parlaments- oder Gremiensitzungen der Partei trugen sie keine Krawatten und hatten ihre Jacketts abgelegt. Trotz des Rauchverbots, das sie selbst nach langem politischen Hickhack für alle bayerischen Gasthäuser beschlossen hatten, hingen dichte Rauchwolken über dem Tisch in der Hinterstube des »Alten Bads«. Der Wirt hatte das vor fünfhundert Jahren von Abt Heinrich V. erbaute Gasthaus für die Zeit der Winterklausur komplett für die CSU reserviert, weshalb das Rauchverbot für diese »geschlossene Veranstaltung« nicht wirksam war.

Kultusminister Gustav Wiedemann nahm einen großen Schluck aus seinem Bierglas und widmete sich dann dem Rindergulasch mit frischem Marktgemüse und hausgemachten Spätzle von der Tageskarte. Gustl, wie ihn seine Parteifreunde nannten, war viele Jahre lang als CSU-Fraktionschef im Landtag ein machthungriger Strippenzieher gewesen. Seit seiner Berufung zum Schulminister war er zu einem besonnenen Sachpolitiker geworden, der im Alter von inzwischen sechsundsechzig Jahren auch beim politischen Gegner Anerkennung und Respekt gewonnen hatte. Sein Wort hatte bei seinen Parteifreunden nach wie vor großes Gewicht. Und so war es nicht ohne Bedeutung, dass sich Gustl Wiedemann im Nachfolgestreit um den Ministerpräsidentensessel sowohl intern als auch öffentlich eindeutig auf die Seite des populären Innenministers Max von Donnersberg geschlagen hatte.

»Er ist der richtige Mann zur richtigen Zeit«, sagte Wiedemann zu Generalsekretär Alfons Fasnacht, von dem bekannt war, dass er immer wieder das geringe Alter von Donnersbergs als Gegenargument ins Spiel brachte.

»Wir brauchen in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten einen erfahrenen Politiker als Landesvater, der unseren Freistaat mit starker Hand in die Zukunft führt«, sagte Fasnacht, der gebratenes Lachsfilet mit Dillsoße auf Gemüsereis bestellt hatte. Alle Anwesenden wussten aber, dass Fasnacht, der sogar noch drei Jahre jünger war als der neununddreißigjährige Innenminister, das Altersargument nur vorschob. Wenn der beliebte Polit-Shootingstar von Donnersberg jetzt Ministerpräsident werden sollte, dann wäre der Posten auf Jahre hinaus blockiert. Und dass Fasnacht selbst ein ehrgeiziger Karrierist mit höchsten Ambitionen war, daraus machte er kein Geheimnis.

»Das Problem, dass man laut Verfassung erst mit vierzig wählbar ist«, schaltete sich Fraktionsvize Manfred Dobler ein, »das löst sich für Donnersberg von selbst, wenn er Geburtstag hat. Bis dahin würden wir eine Übergangslösung finden, davon bin ich fest überzeugt.« Dobler hatte seinen Hühnersuppeneintopf schon fast aufgegessen.

»Es geht doch nicht nur um Köpfe und Personen, die in Umfragen gerade gut abschneiden, weil sie sich bei Beckmann und Kerner charmant präsentieren können«, sagte der Münchner Abgeordnete Anton Markert. »Wir sind bei der Besetzung von Führungspositionen mit Personalvorschlägen aus Oberbayern immer gut gefahren. Die einzige Amtszeit eines fränkischen Ministerpräsidenten kann ja wohl getrost als gescheitertes Experiment betrachtet werden. Ich halte daher an meinem Vorschlag fest, Wiggerl Sanktjohanser ins Rennen zu schicken.«

Es war nicht das erste Mal, dass Markert den gescheiterten Münchner OB-Kandidaten für höhere Ämter vorschlug. Aber auch wenn niemand in der Partei an der Eignung von Ludwig Sanktjohanser zweifelte, so galt doch das ungeschriebene Gesetz, dass man Verlierertypen nicht noch einmal neu aufstellte. Da war es egal, wie knapp die Niederlage bei der Oberbürgermeisterwahl ausgefallen war.

»Guten Abend, die Herren«, sagte Alois Kandlinger, als er die Stube betrat, seinen dicken Wintermantel ablegte und warme Atemluft in seine geballten Fäuste pustete. Er blieb kurz vor dem grünen Kachelofen stehen, der eine behagliche Wärme ausstrahlte. »Handschuhe im Auto vergessen«, erläuterte der Justizminister und schaute sich suchend um. »Habt's ihr noch einen Platz frei? Ich will natürlich auch mitspekulieren, wenn's um die Däxl-Nachfolge geht.«

Alle lachten, und Markert und Fasnacht rückten auf der Bank unter dem mächtigen Hirschgeweih etwas näher zusammen.

»Wir bereiten nur die Sachthemen vor«, meinte Wiedemann schmunzelnd und trank sein Bierglas leer. »Setz dich, Alois.«

Kandlinger nahm seine beschlagene Brille ab, blickte kurz auf die Tageskarte und bestellte die hausgemachte Gemüselasagne mit Tomatensoße und ein Helles dazu.

»Was haltet ihr von einer Mitgliederbefragung, wenn sich in den nächsten Tagen kein eindeutiges Stimmungsbild herausstellt?«, schlug Wiedemann vor.

»Den Ministerpräsidenten nominiert die Fraktion«, widersprach Markert energisch. »Als Herzkammer der Partei sollten wir uns dieses Privileg nicht nehmen lassen. Mitbestimmung der Basis hin oder her.«

»Und hat schon mal jemand darüber nachgedacht, dass auch eine Frau –«, setzte Kandlinger an.

»Aber Alois!« Wiedemann lachte gönnerhaft. »So weit sind wir in Bayern noch nicht. Hast du etwa an die Lindinger gedacht? Die ist ja nicht nur eine Frau, sondern auch noch evangelisch und geschieden.«

»Das wäre ja fast so, als würden die Amerikaner einen Neger zum Präsidenten wählen«, tat Fasnacht empört und lachte lauthals über seinen eigenen Scherz. »Spaß beiseite. Ich bin dafür, dass wir gleich morgen zu Beginn der Klausur eine Mehrheitsentscheidung für Simnacher herbeiführen, damit alle Personaldebatten beenden und uns der Sachpolitik zuwenden. Das ist es, was der Wähler von uns erwartet. Klare Linie, schnelle Entscheidungen. Und nach außen Geschlossenheit demonstrieren.«

»Aber Donnersberg –«, wandte Dobler ein.

»Donnersbergs Zeit wird noch kommen«, schnitt ihm der Generalsekretär das Wort ab. »Was wir brauchen, ist Kontinuität und Erfahrung an der Spitze unseres Landes. Und jetzt sollten wir das Thema für heute beenden.«

»Noch etwas zu trinken, die Herren?«, fragte die rothaarige Kellnerin im Dirndl und erntete von allen dankbares Kopfnicken.

»Wann geht's eigentlich los morgen früh?«, fragte Dobler in die Runde.

»Acht Uhr dreißig, nebenan«, antwortete Kandlinger und wandte den Kopf in die Richtung der an das Wirtshaus angeschlossenen kleinen Badkapelle und fügte hinzu: »Gottesdienst.«

»Dann beten wir zum Heiligen Geist, dass bald weißer Rauch aufsteigen wird«, sagte Fasnacht mit vollem Mund.

Und Kandlinger fügte hinzu. »Lujah, sog i.«

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Anneke lag wach im großen Bett, ihr Kopf dröhnte, und ein lästiges Ohrensausen plagte sie. Von einer Flasche Bier? Das konnte kaum sein. Vertrug sie keinen Alkohol mehr? Sie war noch keine dreißig. Lukas war schnell eingeschlafen. Sie hatte fast Mitleid mit ihm gehabt, wie er auf dem schmalen Sofa lag, während sie das große Doppelbett für sich allein hatte. Doch tauschen hätte sie auch nicht gewollt. Vielleicht würde sie ihm morgen anbieten, sich bei den Schlafstätten abzuwechseln. Zum Glück war nicht damit zu rechnen, dass ihr Personenschutzeinsatz länger dauern würde. Faszantas würde übermorgen Bayern verlassen und nach Madrid zurückfliegen.

Anneke trug einen Pyjama, den sie seit vielen Jahren nicht mehr angezogen hatte und nur für den Fall einer plötzlichen Klinik-Einlieferung zu Hause im Schrank hatte. Normalerweise schlief sie nur mit Slip und T-Shirt bekleidet. Nun war sie froh, dass sie den Schlafanzug mitgenommen hatte.

Seltsamerweise waren ihr tausend Gedanken durch den Kopf gegangen, bevor ihr bewusst wurde, dass sie zum ersten Mal seit dem schrecklichen Unfall wieder mit einem Mann im selben Zimmer schlief. Über zwei Jahre war es her, dass ihr Freund Henk mit seinem Corsa gegen einen belgischen Milchtransporter geprallt war, der ihm die Vorfahrt genommen hatte. Seitdem lag er in einem Pflegeheim in Breda im Wachkoma. Zwar hatten sie sich wenige Tage zuvor mal wieder getrennt. Doch in seiner Jackentasche hatten die Sanitäter einen Brief an sie gefunden, in dem er um einen Neuanfang gebeten hatte. Auch nach zwei Jahren fühlte sie sich immer noch gebunden und gehemmt, wenn sie anderen Männern begegnete. Doch wusste sie auch, dass sie sich irgendwann befreien musste. Die Prognosen für Henk waren schlecht. Die Chancen, dass er irgendwann wieder die Augen öffnen würde, sanken von Tag zu Tag, von Monat zu Monat. Doch was wäre, wenn er doch irgendwann zu sich käme? Hätte er dann nicht das Recht, dass seine Freundin zu ihm stünde?

Aber wir waren nicht mehr zusammen, versuchte sie sich klarzumachen. Vielleicht würde er sich überhaupt nicht an sie erinnern können.

Und warum kamen ihr all diese Gedanken jetzt, während sie mit einem durchaus attraktiven Kollegen in einem Zimmer schlief? Wie hätte Lukas reagiert, wenn sie vorgeschlagen hätte, das Doppelbett zu teilen? Jeder auf seiner Seite, ganz sittsam? Lukas hätte bestimmt keine Hintergedanken gehabt, und auch für sie war es oberstes Gebot, Privates und Dienstliches immer sauber zu trennen. Kollegen, die eine Beziehung am Arbeitsplatz führten, konnte sie nicht verstehen.

»Wer im selben Bett schläft, sollte nicht auf derselben Kostenstelle arbeiten«, hatte ihr Vorgesetzter beim DNR, Hoofdcommissaris Willem Tedsen, immer gesagt. Vermutlich hatte er recht damit. Dass Lukas sie in den ersten Wochen ihrer Zusammenarbeit mal abends auf ein Bier einladen wollte, hatte sie zunächst als Flirtversuch interpretiert und erst später gemerkt, dass das nur auf seiner kollegialen Art beruhte. Lukas war ein netter und charmanter Kollege, mit dem man Pferde stehlen konnte. Mehr sollte und durfte nicht sein.

Beim Tegernseer Bier hatte sie Lukas zum ersten Mal ein bisschen ausführlicher von ihrem Privatleben erzählt: Dass sie immer noch in der kleinen, schäbigen, ursprünglich nur für vier Wochen gemieteten Bude in der Studentenstadt wohnte, weil sie bisher keine Zeit gehabt hatte, sich etwas anderes zu suchen. Auch über Henk hatten sie gesprochen und darüber, dass sie vielleicht selbst in seinem Unfallwagen gesessen hätte, wenn sie nicht zur gleichen Zeit einen Einsatz im Drogenmilieu gehabt hätte, in dessen Verlauf sie in Notwehr einen Dealer erschossen hatte. Dass es sich bei dem Toten um Jan Tedsen, den Sohn ihres Dienststellenleiters, gehandelt und sie deshalb im Job keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen hatte, diese Geschichte kannte Lukas schon.

Er war ein guter, verständnisvoller Zuhörer. Doch über sich selbst redete er kaum. Anneke fiel auf, wie wenig sie über den Privatmenschen Lukas Schmidtbauer wusste. Mit diesen Gedanken schlief sie ein.

DREI

Am nächsten Morgen hatte Frau Pollinger ein üppiges Frühstück in der kleinen Speisestube angerichtet. Marmelade, Käse, Schinken, Eier, alles aus eigener Herstellung. Nur der Filterkaffee war etwas dünn geraten. Dabei hätte Anneke jetzt auch einen doppelten Espresso vertragen. Sie fühlte sich, als hätte sie die ganze Nacht kein Auge zugetan. Der Kopf dröhnte, der Rücken schmerzte. Vielleicht war die Matratze zu weich.

»Hast du ein Aspirin dabei?«, fragte sie Lukas, der ihr gegenübersaß und mit einem Plastiklöffel vorsichtig auf die Schale seines Frühstückseis klopfte.

»So viel haben wir doch gar nicht getrunken«, sagte er und blickte auf. »Im Handschuhfach im Wagen ist immer eine Schachtel Paracetamol.«

»Ich weiß auch nicht. Ich fühle mich tatsächlich total verkatert. Habe verdammt schlecht geschlafen und wirre Dinge geträumt. Vielleicht liegt's am fremden Bett. Dabei soll Bergluft doch müde machen, sagt man.«

»Du schläfst nicht oft in fremden Betten?« Er grinste sie an. Doch Anneke überging seine Anzüglichkeit und köpfte ihr Ei durch einen einzigen Schlag mit dem Messer.

»Oh, so brutal?«, fragte Lukas und lachte. Seine gute Laune im Morgengrauen empfand sie als noch größere Zumutung als das homöopathische, kaffeeähnliche Heißgetränk. Sie gähnte und rieb sich die Augen.

»Wir müssen uns nicht unterhalten, Frau Kollegin. Aber ich habe hier leider keine Zeitung, in die ich mich vertiefen könnte, um dich nicht zu stören.« Jetzt schien seine Stimmung ins Gegenteil zu kippen. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?«

»Entschuldige, Lukas. Es wird gleich wieder gehen. Lass uns unterwegs irgendwo einen richtigen Kaffee holen, das wäre toll.«

Sie war froh, dass der heutige Einsatz keine intellektuellen Herausforderungen bieten würde. Der Auftrag lautete, sich während der Ankunft von Faszantas diskret im Hintergrund zu halten. Für den unwahrscheinlichen Fall eines Anschlags sollten erfahrene Kripobeamte vor Ort sein, damit die ersten Maßnahmen nicht den Kreuther Provinzpolizisten überlassen wurden. So jedenfalls hieß die Vorgabe aus dem Landeskriminalamt und dem Innenministerium, wo man den Beamten der örtlichen Polizeiinspektion offenbar nicht mehr zutraute, als die Nummernschilder und Presseausweise der akkreditierten Journalisten mit den Anmeldebögen zu vergleichen.

»Wir müssen langsam los«, sagte Lukas. »Bist du warm angezogen? Wir werden viel an der frischen Luft sein. Und die Betonung liegt dabei auf frisch. Es soll nicht wärmer als zwölf Grad werden. Minus.«

Anneke wollte gerade antworten und versichern, dass sie unter ihrer bordeauxroten wattierten Winterjacke einen dicken Fleecepullover tragen würde, als Lukas' Handy neben seiner Kaffeetasse mit der Titelmusik der »Lindenstraße« einen Anruf signalisierte.