Kampf um Anurin - Galdra - Antje Niendorf - E-Book
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Kampf um Anurin - Galdra E-Book

Antje Niendorf

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Beschreibung

Verfolgt von dunkler Magie, getragen von neuen Verbündeten, stellt sich Magierin Arden ihrer wahren Berufung als Hüterin der weißen Steine. Während Burkors Schatten die Reiche Anurins bedroht und der Älteste Sullivan im Verborgenen seine Netze spinnt, führt ihr Weg sie und ihre Gefährten von den belagerten Städten Anurins bis in die Straßen der Erde – und schließlich zurück zu jenem Ort, an dem alles begann. Inmitten von Verrat und Verlust wächst in ihr eine neue Hoffnung: die Erinnerung an das, was niemals verloren ging. Magische Portale, uralte Prophezeiungen und eine Heldin, die zwischen den Welten steht – dieser dritte Band der epischen Fantasy-Reihe Kampf um Anurin entfaltet eine fesselnde Geschichte voller Spannung, innerer Entwicklung und unerwarteter Wendungen. Für alle, die starke Heldinnen, komplexe Welten, magische Artefakte und tiefgründige Charaktere lieben. Fans von Portal-Fantasy, High Fantasy und düsterer Magie werden hier ebenso fündig wie Leserinnen und Leser, die emotionale Tiefe und einen Sog voller Geheimnisse suchen. Ein Buch über Vertrauen, Verrat – und die Erinnerung an das, was niemals verloren ging.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Antje Niendorf

Kampf um Anurin – Galdra

Band 3

Band 3 der Fantasyreihe „Kampf um Anurin“: Während Arden in Anurin nach den weißen Steinen sucht, greift die Dunkelheit auch auf die Erde über. Zwischen alten Feinden und neuen Allianzen formt sich das Schicksal beider Welten.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Karte Anurin, im Jahr 2688

Prolog

Das Zeichen

Brüder in Ketten

Die weißen Banner

Wasendelsteins Fluch

Sullivans Arm

Mittleres Anurin mit Arboras

Die Hütte auf dem Höllenhorn

Flucht bei Nacht

Die Durdavain

Richards Entscheidung

Der Anschlag

Auf Abwegen

Die WG

Am Beginn aller Dinge

Stunde um Stunde

Erinnern und Vergessen

Karte Süd-Borrell mit Lehen Talton

Weder König noch See

Eine neue Allianz

Wächter der Stadtmauer

Nimra Lods Vermächtnis

Der Hüter

Ein Kreis aus Feuer

Was verloren ging

Torheiten

Die Stunde der Königin

Mittsommer

Ein überraschendes Wiedersehen

Treinrichs Irrtum

Wahre Magie

Nuyyextouplijaös

West-Anurin mit Dairelslanden und Nieradell

Der Sohn des Marschalls

Der König ist tot, es lebe der Älteste

Ein alter Irrtum

Galdra

Es waren sieben

Nachwort

Anhang: Personen und Figuren

Über die Autorin

Impressum

Überblick

Das vorliegende Buch ist der dritte Teil von Kampf um Anurin.

Im ersten Buch wird erzählt, wie die junge Arden ein scheinbar gewöhnliches Leben in einer irdischen Stadt führt – bis dunkle Schattenwesen in ihren Alltag einbrechen. Sie entkommt nur knapp und erfährt, dass sie zu einer anderen Welt gehört: Anurin. Dort ist sie die Auserwählte, Hüterin der weißen Steine, die einst den finsteren Herrscher Burkor bannen konnten.

 

Auf dem abgelegenen Landsitz Grüngrund trifft sie ihren Vater, ihre drei Halbbrüder und eine Gemeinschaft von Magiern und Kriegern, die sich dem Widerstand gegen Burkor verschrieben haben. Von den Ältesten Anurins wird sie in ihre Bestimmung eingeführt. Ihre Kräfte erwachen: Visionen, Projektionen, Empathie. Doch mit der Magie kommt auch die Gefahr.

 

Gemeinsam mit ihren Gefährten macht sich Arden auf die Suche nach den sieben weißen Steinen. Ihre Reise führt sie durch dunkle Wälder, über fremde Gebirge und uralte Orte voller Magie. Sie begegnet Feinden – und Warnungen. Nicht nur Burkor erhebt sich, sondern ein zweiter Feind, der das Zeichen eines siebenzackigen Sterns trägt.

 

Zurück auf der Erde mehren sich die Angriffe. Die Tore zwischen den Welten geraten ins Wanken, ein Krieg steht bevor. Arden beginnt zu ahnen, dass der Verrat näher ist, als sie dachte. In einer Vision sieht sie Wiedergänger aus den Bergen steigen – das Land Lassalor vor dem Untergang.

 

Im Sichelgebirge trifft sie schließlich Burkor selbst – und entreißt ihm den dritten Stein. Mit knapper Not entkommt sie, doch sie hat erkannt: Die Steine sind mehr als Waffen. Sie sind der Schlüssel zur Verbindung der Welten. Und diese Verbindung droht zu zerreißen.

 

Am Ende des ersten Bandes steht Arden nicht nur als Hüterin dreier Steine – sondern als Hoffnungsträgerin zweier Welten.

 

Im zweiten Buch wird zuerst vom Ältesten Sullivan berichtet, der im Süden Anurins ein Heer unter seinem Banner sammelt – unterstützt von Pilgern, die nur für magische Augen sichtbar sind. Zugleich wächst im Norden die Bedrohung durch Burkors Söldner. Inmitten dieser Spannungen stoßen Arden und ihre Gefährten auf einen alten Feind: Torben, ein Verwandter aus der eigenen Familie und Diener Burkors. Mit mächtigen Illusionen raubt er Arden fast die weißen Steine – und bezahlt letztlich mit dem Verstand.

 

Die Reise führt sie nach Dassin Dal, wo sie gemeinsam mit dem arborasischen Heer eine belagerte Stadt befreien. Doch der Preis für diesen Sieg ist hoch: Der Krieg rückt näher, und dunkle Mächte greifen nach den freien Ländern. Arden ruft den Adler Ernor – und stellt sich dem Feuerdämon Kral. Eine uralte Kraft erwacht in ihr.

 

In der Krinzdahlklamm scheint sie Richard zu verlieren. Doch sein Tod war nur eine Illusion – gesponnen von Torben, der sich als auserwählter Hüter der Steine wähnt. Arden entkommt, findet den vierten Stein – und kehrt mit schwerem Herzen nach Grüngrund zurück. Dort erfährt sie mehr über ihre Verbindung zur legendären Nimra Lod und den Ursprung ihrer Magie.

 

Doch Verrat lauert in den eigenen Reihen. In Siriann werden Keena und Taria als Spioninnen Burkors enttarnt. Auf Kierons Drängen nehmen Arden und ihre Gefährten die beiden mit zurück nach Anurin. Dort schließen sie sich einem Treck an, der sie über das Ringlargebirge führen soll. Doch Argwohn, Staub und ein magisch entfesseltes Steingewitter bringen sie an ihre Grenzen.

 

Neue Wege offenbaren sich: Sieben Pforten, die durch ganz Anurin führen. Doch bevor sie sie nutzen können, wird Arden in der Schwarzen Feste gefangen genommen – dem Sitz Sullivans. Dort erkennt sie die volle Wahrheit: Sullivan ist der andere Feind. Es war nie Burkor allein. Arden gelingt mit Hilfe der Kräfte Nimra Lods die Flucht.

 

Während sich in ihr Zweifel und Zorn mischen, kommt es zur offenen Konfrontation: Verräter, alte Feinde und Illusionen entlarven sich. Am Ende bleibt nur ein Ziel: Die Gefährten brechen auf in die Dairelslande – zur Schlacht im Weißseelbruch.

Karte Anurin, im Jahr 2688

Prolog

Wenn die Abendsonne ihren roten Leib in die Starrenseen taucht, versinken die Fischerdörfer im nordwestlichen Nieradell längst im Dämmerlicht, so gewaltig sind die Schatten, welche die Kreideküste über die Lande legt. Einst ein Bollwerk gegen Terles Vals Armeen, ragen die Felsen wie eine steingewordene Legion fast siebenhundert Meter hoch in den weiten Himmel. Hinter den zerklüfteten Klippen ziehen sich lange Gänge ins Gestein, wo in längst vergangenen Tagen die Korsaren der Iidinseln ihre Beute lagerten.

Nach Osten hin gehen die Kreidefelsen allmählich in die Ebenen von Dorkenstein über, ein ausgedehntes Land, auf dem sich Fischerdörfer und kleine Bauernsiedlungen tummeln. Das dort ansässige Orinstadt wäre kaum der Rede wert, wenn es nicht mit Schloss Rohten aufwarten könnte, ein scheußlicher Klotz aus rotem Backstein, der wie ein Geschwür aus den Kreidefelsen herauswuchert.

Drei Tore besitzt das Schloss, allesamt so hoch, dass sie fast die Zinnenfriese erreichen, die das Flachdach schmücken wie Häkelsäume ein Spitzendeckchen. Darunter reihen sich Kolonnen von schießschartengroßen Fenster um die Außenmauern. Seit der Verbannung Terles Vals stand die Residenz verlassen, bis König Ramon, Dalgors willfährige Marionette, vor Kurzem mit seinem Hofstaat einzog. Vor den Schlosstoren weht seither neben dem Eichenblatt das Löwenbanner der Erben des Laktar. Dalgor, der Marschall von Nieradell, ist einer von ihnen.

Vor Monaten hatte Dalgor seinen Amtsvorgänger Rosgard mit Gewalt entmachtet. Die nieradellische Ratsversammlung hatte Ramon, dem aus dem Exil zurückgekehrten Thronerben, widerstandslos das Zepter übergeben. Nur Richard, Rosgards Sohn, und vier Gefährten entkamen der Falkenfestung.

***

Vom Dach waren schrille Schreie der Mauersegler zu vernehmen, die in den wolkenlosen Himmel aufflogen. Die winzigen Fenster in den roten Fassaden blinzelten kühl im Abendlicht.

Jetzt wurde ein Fenster geöffnet, im dritten Stockwerk, rechts oberhalb des mittleren Tors. Dahinter lag das Schlafzimmer von Brandon. Der ehemalige Stadtoberste hatte hier nach seiner Flucht aus Dassin Dal vor drei Wochen ein gemütliches Zuhause gefunden – im Gegensatz zur Magierin Arden und ihren Gefährten, die gerade in diesem Moment im Treck des Gauklervolks die staubigen Loredlinpfade des Ringlargebirges passierten.

Brandons Miene schob sich in die Fensteröffnung. Der Ostwind pustete ihm kräftig auf die roten Wangen und ließ den weißen Rauschebart flattern. Dann fuhr er mit einem Ruck wieder herum, zu den beiden Männern am Tisch.

»Prinz Miras’ Besuch hat unsere Pläne gefährdet. Eine Katastrophe. Burkor greift den Weißseelbruch an, rückt nach Syth vor. Nieradell ist nur einen Katzensprung entfernt, und Miras fleht um Hilfe. Burkors zweiter Schlag gegen Anurins Westen fällt schneller als gedacht.«

»Nachdem sein erster Schlag vereitelt wurde«, ertönte eine andere Stimme, die zu Brandons Zwillingsbruder Dalgor gehörte. Eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Brüdern war nicht auf den ersten Blick erkennbar, denn Dalgor war ein eher grobschlächtiger Mann mit schwarzem Haar und Bart, wobei Letzterer kaum seine Pockennarben verbarg. Doch in seinem verschlagenen Blick erkannte man die Verwandtschaft.

»An Dassin Dal hat Burkor sich die Zähne ausgebissen.« Arboras‘ Ratsvorsitzender Theodor hatte ein Heer in die Stadt geführt und sie erfolgreich verteidigt – nicht zuletzt mit Hilfe seiner Tochter Arden, Herrin und Hüterin der weißen Steine.

»Woran du keinen Anteil hast«, sprach Dalgor weiter und hob die Augenbrauen. Sein Bruder Brandon hatte tatenlos zugesehen, wie der Feind anrückte. »Anurins Westen ist strategisch zu bedeutsam, als dass Burkor viel Zeit verschwenden könnte. Wer die Dairelslande und Nieradell kontrolliert, wird auch Arboras erobern. Im Süden wehen längst Sichelbanner oder Siebensternflagge. Prinz Miras hat unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt.«

»Wer Arboras beherrscht, beherrscht Anurin«, sagte Doran, der dritte Mann in der Runde. Fiel sein Erscheinungsbild mit hagerer Statur, fahlen Augen und lichtem Haar eher glanzlos aus, galt das nicht für seine Ambitionen. Immerhin hatte er es schon einmal bis zum Minister gebracht, bevor er von seinem Dienstherrn Theodor gedemütigt wurde.

»Ich hätte Burkor die Stadt auf dem Silbertablett serviert, was eine Allianz gesichert hätte«, brummte Brandon, die Erinnerung an seine bequemen Tage als Stadtoberster ein bitterer Stachel. »Doch dieser Plan ist gescheitert.«

Dalgor schnaubte. »Das war ein lausiger Plan«, dröhnte er. »Wenn du wirklich einen Plan gehabt hättest, dann hättest du eine Armee aufgestellt und zum richtigen Moment zur Kapitulation gezwungen. Du hast zugelassen, dass der eiserne Theodor sich zum Retter der Stadt aufschwingen konnte. Nun genießt er den bedingungslosen Rückhalt des arborasischen Volkes, des Rates der Einundzwanzig und der Ältesten. Damit ist er stärker als je zuvor.«

»Ohne seine Tochter hätte er trotz allem keine Chance gehabt«, widersprach Brandon.

»Und da wären wir bei deinem größten Fehler«, polterte Dalgor, »wer hat denn zugelassen, dass sich diese Magierin – Arden – mit einer List den Zugang zur Stadt verschafft? Mit einer List!« Er lief so tiefrot an, dass man hätte meinen können, ein Herzanfall stünde unmittelbar bevor.

Seinen Bruder scherte das wohl weniger, denn er warf ein: »Das hat der Hauptmann der Stadtwache zu verant–«

»Weil er einen Holzkopf zum Befehlshaber hatte«, brüllte Dalgor. Dann atmete er einige Male tief durch und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Die Auswirkungen sind verheerend: Die Magierin besiegte in der Schlacht den Feuerdämon Kral und mehrt so Theodors Ruhm. Selbst das Volk in Nieradell spricht von diesem Kampf.« Er verstummte. Seiner Miene waren die finsteren Überlegungen anzusehen, die er in seinem Kopf hin- und herwälzte, während zwei Zornesfalten sich tiefer und tiefer in seine vernarbte Stirn hineingruben.

»Rosgards Sohn befindet sich ebenfalls im Gefolge der Magierin«, erklang Dorans näselnde Stimme. Er unterbrach sich, schielte zu Dalgor und wartete. Als Dalgor knapp nickte, fuhr Doran fort: »Die Menschen werden sich die Frage stellen, warum wir uns nicht Theodor anschließen.« Seine Stimme sank zu einem Raunen. »Warum der Sohn unseres ehemaligen Marschalls dies hingegen getan hat und offensichtlich mehr an die Befreiung unserer Welt glaubt als an eine zweckdienliche Allianz mit dem dunklen Herrscher.«

»Diese Frage sollte sich besser niemand stellen.« Dalgor lachte trocken.

»Wenn Ihr erlaubt, Marschall«, sagte Doran süßlich, »ich weiß auch schon, wie wir das anstellen.« Ein kaltes Lächeln verzog ihm die Lippen. »Wir klären die Lehnsherren auf, über Theodor, den Thronräuber, der die Macht in Dassin Dal ergriffen hat. Der Stadtoberste Brandon und seine beiden Kinder suchten in ihrer Verzweiflung Asyl hier bei uns auf Schloss Rohten. Und der Phrysäersohn Richard und seine Gefährten haben Theodor bei dem Staatsstreich unterstützt.«

Dalgors Augen verengten sich. »Und schon spricht keiner mehr vom eisernen Theodor, dem großen Befreier. Zumindest ist das ein Anfang! Möglicherweise schwächt das auch Rosgards Bestrebungen, der laut unseren Spähern an den Morinseen nach Verbündeten für eine Rebellion sucht. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.« Er klatschte in die Hände. »Wir sollten in Erwägung ziehen, zwei oder drei unserer Lehnsherren mit in die Abordnung zu bestellen, die wir zum Sichelberg schicken. Wenn sie das Bündnis mit Burkor mit herbeiführen, brauchen wir von den anderen keinen nennenswerten Widerstand befürchten. Immerhin haben dann ihresgleichen mit am Verhandlungstisch gesessen.«

»Wer wird der Unterhändler sein, Herr?«, kroch Dorans Stimme über den Tisch.

»Für diese Entscheidung ist es noch zu früh. Zuerst müssen wir eine –«, er stockte auf der Suche nach dem passenden Wort, »– Lösung finden für unser größtes Problem.«

»Ramon«, antwortete Doran, und der ausgelassene Amtstitel des Königs von Nieradell schwebte wie ein Geist durch den Raum.

Dalgor stieß ein schweres Seufzen aus. »Seine Krone ist ihm zu Kopf gestiegen. Er glaubt, nun tatsächlich regieren zu müssen, wobei niemand anderes dazu weniger fähig ist als er selbst. Eher noch hätte seine Frau, Königin Sira, das Zeug dazu, doch er hält sie von allen Geschäften fern.« Seine Stimme troff vor Verachtung. »Dieser Dummkopf. Befiehlt ein Bündnis mit dem Ältesten Sullivan gegen Burkor. Was glaubt er, damit zu erreichen? Schon möglich, dass Sullivan im Süden stark ist. Dennoch schickt er dem Prinzen nur ein Bataillon.«

»Das ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein«, ereiferte sich Doran, »vor allem, weil niemand sonst von dieser Bedrohung weiß. Miras hat erwähnt, dass er und seine Mutter es auch nur vom Ältesten Sullivan erfahren haben: Der Feind segelt über das Sandenmeer – unsichtbar und daher unbehelligt von den Posten der nördlichen Länder an der Küste von Golta. Dort ist garantiert ein Magier zugange, und ein mächtiger dazu.«

»Selbst wenn das Heer nicht unsichtbar wäre, von wem könnten sich Königin Larissa und Prinz Miras Hilfe erhoffen?«, fragte Brandon. »Alle Länder hier im Norden sind in ihre eigenen Angelegenheiten verstrickt. Lassalor führt Krieg gegen Armeen, die dem Untergrund entstiegen sind. Das Norestenland befindet sich bereits in Burkors Händen. Und Theodor aus Arboras wird sein Land nicht entblößen, denn im Vorland des Graumondgebirges sammeln sich die Unterstützer Burkors. So bleibt nur noch Nieradell übrig.«

Dalgor ließ seinen Blick über Doran und Brandon wandern. »Und weil wir seine einzige Hoffnung sind, hat uns Miras als Pfand seine wertvollste Information geliefert: Über sieben Pforten, die durch Anurin führen. Magische Wege, über die man große Entfernungen in Windeseile zurücklegen kann. Das erklärt, wie er den Kontakt zum Ältesten Sullivan halten konnte, der sich in Bren im Süden aufhält. Nun gilt es, alles darüber herauszufinden. Das könnte uns später einmal einen entscheidenden Vorteil verschaffen.« Er schloss die Augen und atmete hörbar ein und aus. »Doch dazu müssen wir unverzüglich zur Tat schreiten. Ramon verlässt das Schloss so selten, dass es niemandem auffallen würde, wenn er ganz durch Abwesenheit glänzte.«

Brandon griff sich ans Herz. In Dassin Dal hatte er den Krieg gescheut, seinen Frieden bewahrt – bis die Ereignisse ihn dazu zwangen, sich Dalgors Ehrgeiz zu beugen. »Abwesenheit, sagst du? Wie meinst du das?«

Vielleicht lag es an dem schwindenden Licht in diesem Zimmer, dass ein Schatten Dalgors zerfurchtes Gesicht streifte. »Weil es nicht in der Natur eines Toten liegt, anwesend zu sein, geschätzter Bruder.«

»Die Thronfolge ist gesichert, denn Königin Siras Niederkunft rückt näher«, sagte Doran. Er lächelte kalt. »Wozu brauchen wir also noch einen König?«

Ein wimmernder Laut drang aus Brandons Mund. War das wirklich der Weg, den er mitgehen wollte? Doch sich gegen Dalgors Zorn zu stellen, würde er nicht wagen.

Dalgor fügte hinzu: »Kaylon und Marlon werden das übernehmen. Deine Söhne werden sich beweisen.«

Brandon sank in sich zusammen und schwieg.

Das Zeichen

Trotz der nächtlichen Stunde brannte in der Hütte noch Licht. Dass Zeit verrann, war am Wachs zu sehen, das sich von Kerzenrändern löste und auf einen Tisch tropfte.

Die Hütte barg zwei Etagen. Öllampen baumelten von den Deckenbalken, deren flackernde Muster sich im Holz abzeichneten. Die Eingangstür wurde von einem massiven Schrank bewacht, in dessen blinden Spiegeln die Kerzenflammen geisterhaft tanzten. Dutzende Stühle standen kreuz und quer um einen langen Tisch. Über dem Ofenherd glänzten Pfannen und Töpfe, die Regale daneben ächzten unter dem Gewicht von Tellern und Schüsseln.

Die Nacht floss mit einem Flüstern herein, als Arden eines der weißverstrebten Fenster öffnete. Kühle Luft strich über ihre Haut, ließ die Flammen in den Lampen erzittern. Es war noch weit bis zur Dämmerung, bis zu dem Augenblick, an dem hauchdünnes Licht den Berggipfel vor der Hütte aufglimmen ließ.

***

Ein Windstoß traf in die Hütte und sorgte für die Abkühlung, auf die Arden gehofft hatte. Leise trat sie ans Bett ihres Bruders Marvin, die Stirn in Falten gelegt. Er warf sich hin und her, geplagt von Fieberträumen. Sie nahm das Tuch von seiner Stirn, tauchte es in eine Schüssel Wasser und wrang es aus. Ihr kummervoller Blick fiel auf seinen Brustkorb, der sich unter jedem Atemzug hob und senkte. Die Wunde an seiner Schulter hatte sie vorhin frisch verbunden, so gut sie es konnte.

Die magischen Steine in ihrer Tasche sirrten, und Arden griff nach ihnen. Ihre Gedanken schweiften zu dem Tag, als sie mit ihren Brüdern und Gefährten in die Dairelslande gereist war, wo Burkors Söldnerarmee in die grünen Hügel des Weißseelbruchs eingefallen war.

***

Ihr Weg hatte sie durch eine magische Pforte zwischen dem Land Bren und den Dairelslanden geführt.

Mehr als siebzig Männer und Frauen – Krieger und Magier aus ganz Anurin – waren gemeinsam aus den Verliesen der Schwarzen Feste geflohen. Ein jeder von ihnen hatte sich entschieden, Burkors Bedrohung hier im Westen Anurins entgegenzutreten.

Unter ihnen waren auch die Syärth, ein Kriegerinnenvolk aus diesen Breiten, angeführt von ihrer Obersten Ana. Gekleidet in braunes Leder, mit kurzgeschorenen Haaren, die ihre markanten Gesichtszüge noch schärfer erscheinen ließen, und auffallend grünen Augen.

Ferner hatten sich Krieger aus Bren angeschlossen – jene, die sich geweigert hatten, unter Sullivans Siebensternflagge zu marschieren. Letzterer führte zwar seine Heere gegen den Usurpator Burkor ins Feld. Doch der Arden treu ergebene südländische Hauptmann Palos empfand den Ältesten als ebensolche Alternative zum dunklen Herrscher, als hätte er sich gegen die Pest entschieden – und dafür die Cholera in Kauf genommen. Wer sich weigerte, unter Sullivan zu dienen, wurde kurzerhand in die Verliese der Schwarzen Feste geworfen.

  * * *

Die Nachmittagssonne stand schräg am Himmel und warf zögerlich ihr Licht durch die geschundenen Bäume. Abertausende von Eisenschuhen hatten eine Schneise in den Wald geschlagen. Die Spuren des Söldnerheeres hatten die Kréloststraße in eine Schlammwüste verwandelt, und Ardens Schritte schmatzten im nassen Boden.

Der Weg wandte sich nun bergab über eine einstmals grüne Lichtung, die übel verwüstet war. Der Gestank nach Exkrementen nahm ihr den Atem.

»Es ist ungefähr zwei Tage her, dass das Heer hier gelagert hat«, sagte Marvin. Er kniete kerzengerade auf dem Boden und untersuchte die Spuren. In der verwüsteten Umgebung wirkte er wie ein Fremdkörper, mit dem zurückgekämmten Haar, das keine verirrte Strähne duldete wie auch sein glattrasiertes Gesicht kein einziges Barthaar. Die Strapazen der letzten Tage – darunter ein mehrtägiger Aufenthalt in Sullivans Verliesen und die anschließende Flucht daraus – hatte er offenbar hinter sich gelassen, spätestens in der Pforte von Dol, wo ihnen ein unbekannter Wohltäter Vorräte an sauberer Kleidung, Essen und Waffen hinterlegt hatte.

Grant trat neben Arden. Er war der ältere Bruder ihrer Gefährtin Erin. Sein dunkler Vollbart und das lange, zum Zopf gefasste Haar, Ergebnisse einer strapaziösen Reise über das Ringlargebirge, standen ihm gut zu Gesicht und ließen ihn nicht nur verwegener, sondern auch älter als fünfundzwanzig Jahre wirken.

»Das hier sind nicht nur Söldnerspuren.« Mit beunruhigter Miene wies er auf die funkelnden Wasserlöcher. Als Arden genauer hinsah, stockte ihr der Atem. Es waren Fußabdrücke. Gigantische, klaffende Wunden im Boden.

»Das müssen Ungeheuer sein«, sagte Ardens jüngster Bruder Irving. Er deutete auf das löchrige Walddach mit zahlreichen zerstörten Baumkronen. Sowohl seine Stimme, zuweilen mit dem Klang eines Glockenläutens, als auch sein schönes Gesicht, umflossen von seidig blondem Haar, wirkten in der Verwüstung fehl am Platz. »Schreckliche Wesen, die der Sichelberg geboren hat und denen sich die Menschen der Dairelslande in diesem Moment Aug in Aug gegenüberstehen sehen.«

»Eine Wegstunde liegt noch vor uns«, sagte Marvin und erhob sich. Er klopfte sich den Staub von der Kleidung und ließ seinen Blick über die Verwüstung gleiten. »Dann stehen wir ihnen Aug in Aug gegenüber.«

***

Die Sonne sank schnell. Der Wind riss die Blätter von den Bäumen und die Luft wurde kälter. Auch hier war der Winter nicht mehr fern, dachte Arden, und erinnerte sich einen sehnsüchtigen Augenblick lang an die Wärme im Süden Anurins.

Als schimmerndes Band wand sich der Fluss Seel von Nordosten heran. Die Siedlungen des Weißseelbruchs kamen langsam in Sicht, Ansammlungen von weißen Pfahlhäusern, die an die Flussufer drängten. Ställe und Scheunen waren in Brand gesetzt worden, und an vielen Stellen quoll dichter Rauch, den der Wind in alle Richtungen zerstob.

Damit nicht genug: Mit zunehmender Dämmerung glommen auf den fernen, grasbewachsenen Hügeln immer mehr Lichter auf – die Feuer einer Schlacht rund um die Mauern des Schlosses Girgentol, das auf der höchsten Erhebung stand und sich wie eine Schaumkrone aus einem stürmischen Meer emporreckte.

Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Ihre Fähigkeiten waren seit Dassin Dal unbestreitbar gewachsen. Seit sie den Feuerdämon Kral bezwungen hatte, gehorchten ihr Flammen und Feuer – eine Gabe der legendären Nimra Lod, deren Namen sie nun trug. Bald würde sie die Brände in den Siedlungen nutzen können. Doch mit ihrer Macht war auch die Angst gewachsen – vor Krieg, Zerstörung und Chaos; davor, ihre Gefährten zu verlieren.

Aus der Ferne erklangen Hörnerrufe, die ihr einen Schauer über den Rücken jagten.

***

Im letzten Dämmerlicht gingen sie abseits der Spuren des Heeres. Bald tauchte vor Arden ein steiler Hügel auf, dessen Kuppe mit den ersten Schatten der Nacht verschmolz.

Oben angelangt, erkannte sie die schemenhaften Gestalten von Marvin, Grant und einigen anderen. Sie berieten sich mit leisen Stimmen, während sie immer wieder nach vorn sahen, wo das Schlachtfeld vor ihnen ausgebreitet liegen musste. Eine Erinnerung ergriff Arden, vom Tag vor der Schlacht von Dassin Dal, als sie auf einer Mauerkrone gestanden hatte und Burkors erstes Heer herannahen sah. Wie verzweifelt sie sich gefühlt hatte! Aber dennoch, meldete sich eine andere Stimme, auch hoffnungsvoll. Du wusstest in diesem Augenblick, dass Ernors Adler euch unterstützen werden, wenn du sie rufst.

»Beeilen wir uns!«, drang Irvings Stimme an ihr Ohr. Seine Besorgnis war fast mit den Händen zu greifen. Vor wenigen Wochen waren seine Freundin Erin, der Krieger Rowen und Ardens Freund Richard nach Nieradell gereist, um die Lehnsherren des Landes um Unterstützung für die Dairelslande zu erbitten. Die Hoffnung, sie hier im Weißseelbruch wiederzusehen, hatte sie die letzten Tage begleitet.

Sie schloss die Finger um seine Hand, und sie liefen gemeinsam zu den anderen. »Wenn sie hier wären, wüsste ich es«, beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. Sie und ihre Gefährtin Erin konnten ihre Gedanken miteinander teilen. Würde sie sich in der Nähe befinden, hätte Arden sie gespürt.

Ein lautes Brüllen riss sie aus ihren Gedanken, und einen verstörenden Moment lang glaubte Arden, der Feuerdämon Kral wäre zurück. War er ebenfalls in diese Schlacht geschickt worden? Sie zwang sich zur Vernunft. Kral war tot, sie hatte ihn besiegt. Welchen unbekannten Gefahren würde sie in den nächsten Stunden gegenüberstehen? Welchen Ungeheuern aus den Tiefen der Udercon würde sie sich stellen müssen? Burkor würde darauf vorbereitet sein, dass Nimra Lod in dieser Schlacht auftauchte. Dieser Meinung waren zumindest Marvin und Grant gewesen, deren Gespräch sie vorhin mitangehört hatte.

Das Brüllen erklang erneut, und Ardens Mut sank. Das konnte nicht nur ein einziges Untier sein, das einen solchen Lärm verursachte. Das klang eher nach einer ganzen Horde.

 

Das Flüsschen Seel schob sich wieder in Ardens Sicht, ein samtschwarzes Band zu Füßen des Hügels, dessen Kuppe das Schloss Girgentol trug. Gleich einem Burggraben trennte es einen mächtigen Ringwall vom Schlachtfeld. Sie erschrak, als einen Augenblick später die Flussufer von Flammen aufloderten.

»Sie entzünden die Pechstreifen«, erklärte Marvin. »Sie dienen zur Abwehr.«

Der Feuerschein erhellte die ganze Szenerie vor ihnen, bis zu den silbernen Zipfeltürmen des Schlosses, die nun aufflackerten.

Unter diesem Licht warf sie einen Blick auf die Kreaturen, deren Gebrüll zwischen Hügeln und Mauern widerhallte: Sie waren nicht weniger als haushoch, mit grauer, lederner Haut und Händen so groß wie Weinfässer. Ihre flachen, kahlen Köpfe wirkten seltsam winzig auf den massigen Körpern. Wütende Schreie entfuhren den zahnlosen Mäulern, als die Bogenschützen auf den Mauerkronen brennende Pfeile hageln ließen.

»Das sind keine Sichelberg-Kreaturen«, sagte Grant erschrocken. »Das sind Munon Ka aus dem Nordosten.«

»Ich dachte, die sind viel kleiner«, widersprach ihm Keir, sein jüngerer Bruder. Seine Augen schimmerten im Feuerschein fast schwarz. »Rieke und Laap sind nur halb so groß.«

Arden erinnerte sich an die beiden. Vor Monaten hatte sie sie in Arbor Uri kennengelernt. Zu einer Zeit abseits von Schlachten und Blutvergießen. Ein Mann namens Thor hatte sie und ihre Gefährten durch die Roten Moore geführt, an seiner Seite die mutmaßlichen Munon Ka Rieke und Laap, die ihr Volk suchten.

»Hoffentlich sind die beiden in Sicherheit«, sagte Arden. Ihr Herz war bleischwer angesichts der Eisenketten, die sich um die bootsgroßen Füße der Riesen wanden. Burkor unterjochte anurinische Wesen und Völker, damit sie für ihn kämpften. Das war nichts Neues für sie. Auch der Feuerdämon Kral hatte sich nach seiner Heimat gesehnt und nur aus Verzweiflung gekämpft. Das hatte sie in seinem Geist spüren können, bevor sie ihn gemeinsam mit dem Ältesten Kieron vernichtet hatte.

Diese Wesen waren viel mächtiger als Burkors Söldner. Aber dennoch gingen sie in Ketten.

 

In angespanntem Schweigen warteten sie auf Palos und seine Krieger. Die Syärth waren bereits aufgebrochen, um die Reihen der Verteidiger zu verstärken.

An den Flussufern wurden die Angreifer von den brennenden Pechstreifen zurückgeworfen. Ein Heer aus goldenen Helmen zerstreute sich in den schattigen Hügeln dahinter.

»Das ist eine Kompanie aus dem Kalteenenland«, vernahmen sie Palos‘ Stimme hinter sich. Der Anführer der südländischen Krieger schloss neben Arden auf. »Ihre Banner tragen Burkors Sichel als Zeichen. So haben Sullivan und der dunkle Herrscher den Süden wohl unter sich aufgeteilt.« Ein Seufzen begleitete seine Worte. »Ich stamme aus Bren, wo der Älteste herrscht. Mein Bruder lebt im Land der Kalteenen. Was, wenn wir hier uns als Feinde gegenüberstehen und die Schwerter kreuzen? An einem Ort, der für keinen von uns eine Heimat ist.« Er sah sie direkt an. »Ich kämpfe an Nimra Lods Seite, weil ich eine Wahl habe. Doch viele aus dem Süden wissen das nicht. Sie haben sich einfach gebeugt, kampflos.«

»Nicht alle folgen Sullivan oder Burkor«, antwortete Arden, »und manche brauchen vielleicht länger, um zu begreifen, dass sie sich gegen ihre Unterdrücker wehren müssen.«

»Das mag sein. Aber wie viele werden bis dahin sterben? Und das nicht für ihre Freiheit, sondern für ihre Unterdrücker.«

»Dort.« Marvin deutete auf die Kompanien rings um den höchsten Hügel mit seiner Schlosskrone. Ihre Reihen verschmolzen mit den Schatten der Nacht, und nur das Flackern von stählernen Waffen verriet ihre überwältigende Anzahl. Sie brandeten gegen den äußeren Ringwall an, den man Laornmauer nannte. Er umschloss drei weitere, engstehende Ringmauern in seinem Inneren. »Noch keine Rabenschwärme. Keine Melnare wie in Dassin Dal.«

»Keine anderen Gegner, mal abgesehen von den Munon Ka«, sagte Irving und winkte demonstrativ ab. »Aber die sind eigentlich so gut wie erledigt.«

Arden schenkte ihm ein leises Lächeln. Doch jegliche Heiterkeit war längst aus ihr gewichen.

»Wir müssen der Königin eine Botschaft überbringen, dass wir da sind.« Palos‘ Blick aus dunklen Augen verweilte kurz auf Arden. »Sie muss wissen, dass Nimra Lod gekommen ist.«

Arden hob den Kopf. Der Himmel war tiefblau und wolkenlos. Bald würde der Mond die Nacht erhellen. Der Wind frischte auf und zerrte an den Flammen am Flussufer. In ihrer Tasche spürte sie das Sirren der magischen Steine.

Ihr Geist schwang sich in die erwachte Nacht und folgte den stürmischen Böen hinauf zum Schloss. Zuerst musste sie die Königin finden – Larissa, Königin der Dairelslande. Sie waren sich bereits einmal begegnet, im Felsenschloss Nad Kordin, und in Ardens Erinnerung zeichnete sich das Bild einer hageren Frau mit strengen Augen ab, mit zum Knoten verschlungenem, weißem Haar. Begleitet wurde sie damals von ihrem Heerführer, dem wuchtigen Kartas mit polternder Stimme und finsterem Blick. Ardens Mentor Kieron hatte auch einmal über Larissas Sohn gesprochen, Prinz Miras, aber über ihn wusste sie nichts Näheres.

Die Königin war nicht im Thronsaal oder in einem der Türme. Arden fand sie auf dem Schlosshof, aufrecht stehend, mit sorgenschwerem Blick, an der Spitze ihrer Dhahindir. Groß und breit waren die Schilde der dairelsländischen Krieger, geschmückt mit dem Wahrzeichen ihres Landes, dem Weißröschen. In ihren Gemütern spürte Arden die verlöschende Glut der Hoffnung auf Nieradells Hilfe.

 

Sie öffnete die Augen. »Larissa und ihr Marschall sind auf dem Schlosshof«, sagte sie. »Sie sollten wissen, dass sie nicht mehr alleinstehen.«

»Vielleicht kann Nimra Lod ihre Flammen sprechen lassen«, sagte Palos und richtete den Blick zum Himmel. »Ein Signal, das niemand übersehen kann.«

Sie dachte nach. Was sie benötigten, war ein klares Zeichen – und gehörte das nicht auch zu den Fähigkeiten der magischen Steine? Immerhin hatten sie vor einiger Zeit ein Einhorn aus reinem Licht erschaffen, um eine Gruppe verängstigter Flüchtlinge von ihren guten Absichten zu überzeugen.

Nach einem kurzen Zögern schloss sie die Augen. Ihr Geist reiste zu den Siedlungen an den Ufern des Seel, wo lodernde Flammen durch Dächer von Häusern und Scheunen schlugen. Die Feuer zu rufen, darin war sie geübt, doch wie daraus ein Zeichen formen? Zweifel überkamen sie. Dann, mit einer stummen Bitte an die weißen Steine, lenkte sie die Flammen zu einer Stelle hoch über den Baumwipfeln, weit oben über dem tosenden Schlachtfeld.

 

Unversehens hielt die Welt an. Der Wind legte sich, obwohl er eben noch durch das Geäst fuhr. Das dumpfe Gebrüll der Riesen verklang, wie auch aller andere Lärm. Kein Klirren von Schwertern, keine Kampfesschreie, kein berstendes Holz unter Flammen.

Eine gespenstische Stille senkte sich über das Schlachtfeld.

Sie öffnete die Augen. Palos Blick drang zu ihr, seine Pupillen weiteten sich, und er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen.

Ein einzelner Hornstoß ertönte, klar und hell, und Arden zuckte zusammen.

Lärm brandete vom Schlachtfeld auf. Doch es war nicht das Tosen der Schlacht, nein – die Krieger auf der Mauerkrone jubelten! Und obwohl die Munon Ka sofort wieder aufbrüllten, konnten sie nicht die vielen Hörner übertönen, die jenseits der Mauern heftig erschallten. Silbern und hoffnungsvoll klang ihr Ton, als ob erst davon der goldene Adler herbeigerufen worden wäre, der mit feurigen Schwingen über ihnen am Himmel stand.

Nimra Lod ist gekommen! Die Bezwingerin der Feuer!

Ein Chor aus Trommeln dröhnte.

Nicht feindselig und bedrohlich wie die peitschenden Klänge, mit denen die Obermänner ihre Söldner antrieben. Die Dhahindir der Königin schlugen auf ihre Schilde, und die Krieger auf dem Schlachtfeld stimmten ein; entschlossenes, kraftvolles Donnern überrollte den Fluss, die brennenden Ufer, die Hügel und das blitzende Meer aus Kämpfern und Kreaturen wie eine riesige Welle.

Der Mut der Menschen erwachte ein weiteres Mal.

Nimra Lod! Nimra Lod!

 

Marvin verschränkte die Arme. »Jetzt wissen alle, dass du da bist, Arden –«, er wies in Richtung Schlachtfeld, »unsere Feinde eingeschlossen.«

»Ziemlich verrückt, zu glauben, sie hätten es nicht bald selbst bemerkt«, spottete Irving. »Du weißt schon, wegen der Sache mit den Feuern und so.« Er zwinkerte Arden zu. »Also, stehen wir hier rum, oder was? Mein Schwert will Söldnerhälse spüren.«

»Zuerst kümmern wir uns um die Munon Ka.« Grant gab Palos ein Zeichen. »Die Syärth sind uns weit voraus. Brechen wir auf!«

Nach einem weiteren Blick zu den brennenden Hügeln setzte sich Arden in Bewegung, den Feuern entgegen.

Brüder in Ketten

Auf der Laornmauer gingen die Bogenschützen hinter den Zinnen in Stellung und spannten die Bögen. Ein Sturm aus Feuerspitzen prasselte gegen die Söldnerhelme. Ihre Reihen zerrissen, doch kaum tat sich eine Lücke auf, stießen neue Männer nach.

Die Fesseln der Munon Ka fielen unter Klirren zu Boden. Je zwanzig Mann waren nötig, um die schweren Ketten fortzutragen und an einer Uferstelle abzulegen. Die befreiten Riesen grölten auf und rissen mit ihren gewaltigen Pranken Löcher in den Boden. Die Erdhaufen schleuderten sie auf die brennenden Pechstreifen.

Die Flammen erstickten schnell. Der Weg über das Wasser war frei!

Als Nächstes folgten die Brückenbauer. Die Feinde öffneten eine Schleuse, machten Platz für Fuhrwerke, beladen mit Balken und Brettern. Binnen kurzem war die Luft erfüllt vom Klang zahlloser Hämmer.

Die Riesen warteten nicht, sondern stapften durch das für sie nur knietiefe Wasser.

Pfeilhagel verfolgten sie wie lästige Insektenschwärme, knurrend nahmen sie die Bogenschützen ins Visier. Mit unendlicher Kraft griffen sie nach den Mauern, rissen ganze Zinnen samt Schützen heraus und schleuderten sie durch die Gegend. Steine barsten, Staubwolken wallten auf.

»Rückzug! Rückzug!«, schrie der Kompanieführer seinen Männern zu, die nichts gegen diese Übermacht ausrichten konnten. In Scharen flohen Krieger in die Wehrgänge an der Mauerrückseite, zogen den Kopf ein, um den fliegenden Trümmern zu entgehen.

***

»Das ist der Anführer der Truppe!«, schrie Marvin.

Ardens Blick folgte seinem, zum größten der Riesen, der seinen kahlen Kopf wie einen Rammbock gegen die Mauer hieb. Bei jedem Aufprall erbebte das Gestein. Rasch vergewisserte sie sich der Steine in ihrer Tasche. Dann ging ihr Geist auf die Reise.

Bald empfand sie ein wenig Mitgefühl für dieses schreckliche Wesen namens Ghor. Wie verwirrt er war, hierher gebracht worden zu sein, in diese grelle, brennende Hitze; lieber säße er in seiner kühlen Höhle und zählte seine Frauen.

Schon der lange Marsch der letzten Tage hatte einige Opfer unter den Munon Ka gefordert, die sie am Wegesrand hatten zurücklassen müssen. Zu sechzehnt waren sie aufgebrochen, allesamt Familienoberhäupter ihres kleinen Stamms. Anfangs hatten sie sich geweigert, den Forderungen dieser dreckigen, mickrigen Winzlinge mit schrillen Stimmen und brennenden Eisenstäben nachzugeben und Frauen und Kinder schutzlos zurückzulassen.

Doch dann griffen riesige Drachenvögel ihren Wald an. Kreischend kamen sie aus dem Himmel gefahren, mit furchtbaren Krallen und eisigen Atemwolken, die aus den Mäulern schossen. Wie mühelos ihre dolchartigen Zähne Löcher in die dicke Riesenhaut gerissen hatten! Diese Wunden hatten zu schwären begonnen und einigen der Munon Ka schließlich das Leben gekostet.

Ghor brüllte auf. Es war ein Befehl: Zwei riesige Schatten preschten vor, die Riesen Let und Horn, um ihren Bruder Ghor an seiner Position zu unterstützen und gegen die Mauer anzurennen. Angesichts dieser Übermacht gab das Gestein nach. Knirschend brach die Mauerkrone ab wie ein zerbröselnder Kuchenrand.

Ardens Herz begann zu rasen. Die Zeit lief ihr davon.

Hinten am Fluss dröhnte es von zahllosen Stiefeltritten: Goldbehelmte Feindeshorden strömten über die neu erbauten Brücken.

Marvins Stimme drang durch das Dröhnen. »Beeil dich, Arden!«

Sie schuf eine Illusion: aus den Goldhelmen wurde ein Regiment grüngewandeter Dhahindir. Ein Hagel aus Speeren durchzuckte die Luft – zumindest glaubten das die Riesen! Die Brüder vergaßen die Mauer und stürmten zum Fluss. Ihre Pranken hieben nach den Angreifern und warfen sie durch die Luft, als wären sie Spielzeug.

Die Holzbrücken hielten der Last der Riesenfüße keine Sekunde stand. Sie zerbarsten krachend, übrig blieben nur Schutt und Späne.

***

»Angriffslinie bilden!«

Die Riesen trieben die Feinde in alle Richtungen auseinander.

»Greift euch die Ketten!« Palos‘ Stimme gellte über dem Chaos. Eoghan und Keir preschten los, jeder Mann wurde gebraucht. Die Ketten der Riesen lagen an den Flussufern wie glänzendes Gewürm.

»Zuerst der Anführer!«, rief Palos und zeigte auf Ghor, der in ihrer Nähe wütete.

Die Krieger kämpften gegen das Gewicht der Ketten, das kalte Metall entglitt immer wieder ihren Händen, doch irgendwann war die Schlinge fertig.

Und – Ghors Fuß verfing sich! Sie zogen zu.

Er hatte zu toben begonnen.

***

Im dämmrigen Licht der Hütte warf sich Marvin auf seinem Lager hin und her, in den Tiefen eines heillosen Schlafs taumelnd. »Maira«, murmelte er heiser. Arden hastete zu ihm.

Er sah sie an und wiederum nicht, sein Blick verlor sich auf dem halben Weg zu ihr. Sie spürte ihr Herz, wie es angstvoll gegen ihre Rippen schlug.

»Geh nicht fort von mir.« Sein Blick erlosch wie eine Flamme, die zur Glut sinkt.

Sie musste etwas gegen sein Fieber tun. Eine Arznei, ein Medikament, vielleicht war in dieser Hütte etwas zu finden.

Ihre Hände zitterten, als sie Schubladen aufriss und durchwühlte. Warum war sie allein?

Wut flammte auf, sie spürte die Hitze in ihrer Brust, und diese Wut trieb eine Sturmfront an Gedanken heran: Zuerst Reue, dass sie so unbekümmert mit Marvin losgezogen war, dann Vorhaltungen an Kieron – warum hatte er sie beide allein weggeschickt?

Sie wusste, dass sie dem Ältesten damit unrecht tat. Marvin war in der Schlacht verletzt worden, ja, doch bei ihrem Aufbruch war es ihm deutlich besser gegangen.

Trotzdem fühlte sie sich im Stich gelassen.

Im Schuppen wurde sie endlich fündig. In einem Regal standen Kräuter, in irdenen Gefäßen abgefüllt, sorgfältig beschriftet. Minze, Augentrost und Salbei las sie auf den Etiketten, außerdem Brennnessel, Eichenrinde und viele mehr. Die meisten Pflanzen kannte sie, aber über die Versorgung von Wunden wusste sie nicht viel.

Doch dann entdeckte sie ein schmales, kleines Buch, das sich zwischen zwei Kräutertöpfen versteckte. Heilkunde für Unkundige, versprach sein Titel.

Die Stunden verrannen, während sie Rezepte ausprobierte, Umschläge und Wickel machte, immer wieder frische Decken über ihn warf, damit Marvin das Fieber ausschwitzte.

Doch nichts half. Regen trommelte gegen die Fenster der Hütte, kein Mondlicht schien in dieser Nacht, die rasch schwand – und mit ihr Marvins Lebenskraft.

***

Vereint zogen Südländer und Ardens Gefährten an der Eisenkette, Stiefel scharrten über den Boden, sanken in die aufgeweichte Erde, Muskeln spannten sich, bis die Arme zitterten. Sie zerrten und rissen –

Endlich! Ein Rucken fuhr durch ihre Reihe, so heftig, dass einige Krieger ins Taumeln gerieten.

Ghors Fuß schnellte in die Luft. Er stieß ein tiefes Knurren aus, ruderte mit den Armen, aber fand keinen Halt.

»Zieht!«, brüllte Palos, und sie rissen an der rasselnden Kette, zogen die Schlinge um den Knöchel fester. Ein heiserer Aufschrei aus vielen Kehlen bündelte ihre Kraft ein weiteres Mal.

Der Boden erbebte, als Ghor rückwärts aufprallte. Die schiere Wucht presste ihm die Luft aus den Lungen, kein Knurren, kein Schreien, nur ein kurzes Röcheln, als sein massiger Körper aufschlug und dann reglos im Staub liegen blieb. Steine schossen kreuz und quer, Erde flog zu allen Seiten. Eine Staubwolke stieg vom Boden auf und hüllte seinen Körper ein, sodass nur noch ein dunkler Schemen zu sehen war.

Plötzlich erbebte der Boden erneut, noch viel stärker als zuvor. Arden verlor den Halt und strauchelte. Sie keuchte auf, als sie neun riesige Schatten erblickte, die schnell näherkamen.

Ihr Stampfen dröhnte über das Schlachtfeld, jeder Tritt ein Einschlag in den Boden. Neun Riesen!

Unser Bruder ist in Not.

Ihr Herz hämmerte ihr bis in den Hals, panisch flog ihr Blick herum, suchte ihre Gefährten. Viele Krieger standen wie erstarrt. Grant schrie etwas, das sie nicht verstehen konnte.

Mit einem Atemzug wappnete sie sich. Ihr Geist schweifte durch die Reihen der anrennenden Munon Ka.

Dann traf sie auf Horn, offensichtlich benannt nach einem hornartigen Auswuchs auf seiner Stirnmitte.

Ein furchterregendes Jaulen erklang, und Arden wusste, dass ihre Täuschung erfolgreich gewesen war. Horn scherte nach rechts aus und stürzte sich auf seinen Nebenmann Let, weil er glaubte, dieser habe ihm soeben eine schallende Ohrfeige versetzt. Schädel krachte gegen Schädel, und Horns Horn erwies sich als Vorteil für ihn.

Ein erbitterter Kampf zwischen Horn und Let entbrannte. Die anderen Riesen scharten sich um die beiden Kontrahenten.

Jeder Munon Ka wusste einen guten Fight zu schätzen. Begeistert feuerten sie die Kämpfenden an, ungeachtet der Hilfeschreie Ghors.

Ihr notleidender Bruder schien vergessen.

***

Für Momente wurde es ruhig am Fluss, als die Munon Ka abzogen. Die kalteenischen Soldaten hielten inne, rangen nach Luft; ihre gespenstischen Blicke aus den staubgrauen Gesichtern huschten über die Toten, die überall lagen. Doch ihre Obermänner kannten keine Atempause. Peitschen knallten.

Auf die Beine, Gesindel!

Zwanzig, dreißig Mann hoben einen Belagerungsturm an und kippten ihn in den Fluss. Mit einem Krachen landete das Ungetüm im Wasser. Sofort strömten Soldaten über die provisorische Brücke, hin zum östlichen Mauertor.

Ihre Rammböcke hätten im Normalfall keine Chance gegen das massive Tor gehabt. Doch durch die Attacke der Riesenschädel war es schwer beschädigt, und mit jedem Aufprall gaben die dicken Balken mehr und mehr nach. Holz splitterte, die Torangeln kreischten unter der Belastung.

Die Bogenschützen auf der Mauerkrone entfachten einen Sturm aus Pfeilen. Klirrend prallten sie auf die goldfunkelnden Schilddächer, doch dort, wo ein Feind fiel, rückte sofort ein anderer nach. Wie eine Flut brandeten die Kalteenen gegen das Tor, es bebte, es krachte, Holz barst, gleich würde es zerspringen.

»Rückzug! Hinter die zweite Mauer!«, befahl Marschall Kartas seinen Dhahindir.

Heftige Hornstöße erschallten. »Zieht euch zurück! Sammelt euch hinter dem Braëdring!«

***

Die Munon Ka trampelten und grölten, als Let mit einem dröhnenden Krachen zu Boden ging. Schlamm und Dreck spritzten meterhoch, die Riesen brüllten durcheinander. Arden nutzte die aufgekochte Stimmung, um noch mehr Unruhe zu stiften.

Als Nächstes ließ sie Lets Bruder Brol auf seinen Cousin Gankl losgehen. Das erwies sich verblüffend einfach. Gankl warf ihm nur einen schiefen Blick zu, und schon brannten bei Brol die Sicherungen durch. Seine Kiefer mahlten, die Riesenhände ballten sich zu Riesenfäusten, und er stürzte sich auf Gankl.

Die anderen Munon Ka ließen sich anstecken. Kaum landete Gankl den ersten Haken, ergriff ein anderer Riese seinen Nebenmann und versetzte ihm einen Stoß. Kurze Zeit später rangen zwei andere miteinander.

***

Das östliche Tor war genommen! Die Feinde brachen hindurch wie Wasser durch geöffnete Schleusen. Ihre Jubelschreie und schrillen Trompetenstöße dröhnten über dem Schlachtfeld und ließen die Herzen der Verteidiger erzittern.

Wie Donnergrollen setzte das Schlagen von Trommeln ein:

Rum-tat-ta, wir sind die Armee des Herrschers.

Rum-tat-ta, wir sind die schwarzen Soldaten des Einen.

Rum-tat-ta, unser Sieg ist euer Tod.

Ein Stahlgewitter lud seine Kraft über dem Weißseelbruch aus. Schwerter hämmerten gegen Schilde, Rüstungen barsten, Äxte schlugen zusammen, Pfeile stießen auf Helme.

Doch die Wucht des Ansturms erstarb in der Enge zwischen zwei Wällen. Die Gasse war kaum drei Meter breit, ein schmaler, dunkler Korridor; die Kämpfer prallten gegen ihre Vordermänner, wurden von hinten weitergeschoben, ein wogendes Chaos aus drängenden Körpern.

Der Braëdring, der zweite Ringwall, war höher als die Laornmauer. Drohend ragte er in die Dunkelheit, auch das Flackern von Fackeln erreichte nicht seinen First. Selbst wenn der Morgen dämmerte, in diesem Zwinger sähen die Angreifer bis zum Mittag kein Licht.

»Wir brauchen die Riesen!«, brüllte Tlestos, der Obermann des Sturmtrupps, seinem Feldwebel zu.

***

Auf einem Plateau oberhalb des Flusses versammelte sich Ardens Gruppe. Der Wind pfiff über die kahlen, schroffen Felsen, die sich dort über wenige hundert Meter zwischen die grünen Hügel zwängten.

Von hier aus konnten sie das Schlachtfeld gut überblicken, ohne gesehen zu werden. Es war eine kurze Atempause für sie alle, doch viel Zeit hatten sie nicht.

 

Aus dem Augenwinkel sah Arden eine Bewegung am Himmel. Von Nordwesten her zog eine Formation breitflügliger Kreaturen auf. Für einen Atemzug schlug ihr Herz höher.

Ernors Adler? Würden sie, wie einst in der Schlacht von Dassin Dal, das Blatt wenden?

Doch etwas stimmte nicht. Diese Schwingen waren zu breit, zu spitz. Dort glitten keine Adler durch den dunklen Himmel.

Etwas Kaltes ließ ihr Herz erstarren, als sie ihre Gegner erkannte.

Melnare. Drachenschlangen aus den Abgründen der Udercon, gegen die sie schon in der ersten Schlacht gekämpft hatte.

Und jeder dieser neun Melnare hatte weitere Feinde auf dem dornigen Rücken getragen, bislang kaum mehr als vage Schemen unter dem Licht des Mondes und dem kühlen Blau eines nahenden Tages.

***

»Vier Magier für Nimra Lod«, murmelte Arden in der Stille der Hütte, in die Nacht, in den flackernden Kerzenschein. Darunter Briana, eine mächtige Feuermagierin. Sie war auf dem Rücken eines dieser Melnare geritten, hoch über dem Schlachtfeld.

Doch sieh, Briana, du hast deine Macht entfesselt, und sie hat Furchtbares bewirkt. Weder du noch dein Herr habt damit gerechnet: Dass sich deine Kraft gegen eure eigenen Geschöpfe wenden würde, wenn ich nach den Feuern rufe.

Ihr Blick schweifte durch die Hütte. In ihrer Tasche vibrierten die Steine. Dann fand sie das bleiche Gesicht ihres Bruders. Wenn ich nach den Feuern rufe.

Die weißen Banner

Über dem Schlachtfeld hatten sieben Melnare gekreist, furchtbare Schatten unter dämmernden Wolken. Zwei jagten die Riesen Let und Horn zum Ringwall.

»Das sind zu viele!«, durchschnitt Grants Stimme das Chaos. Er wandte sich zu Arden. »Kannst du einen übernehmen?«

Sie schüttelte stumm den Kopf. Ihre Brust hob und senkte sich schneller, und ihre Muskeln prickelten vor Anspannung. Ihr Blick folgte den Melnaren und heftete sich schließlich an einen von ihnen. Neben einem Reiter saß eine zweite Gestalt, eine Frau – ja, dessen war sie sich sicher, dieser dunkle Schemen war eine Frau – und Arden tastete nach ihrem Geist.

Alles, was sie fand, war Feuer. Weiße Flammen, züngelnd, ohne Wärme.

Ihr magisches Umherschweifen blieb nicht unbemerkt. Ein Melnare scherte aus, sein Schrei gellte, als er auf das Plateau zustieß, wo Arden stand.

»Schützt Nimra Lod!«, donnerte Palos‘ Stimme. Die Krieger scharten sich um sie, rissen ihre Schilde hoch.

Mit einem schrillen Schrei stieß der Melnare herab, landete auf dem Rand des Plateaus. Sein Reiter sprang mit einem Satz auf die Erde. Seine Begleiterin glitt aus dem Soziussitz, und als Arden sie erblickte, antwortete ihr Herz mit einem brennenden Stechen.

Gleich stieg der Melnare wieder in die Luft. Die Krallen gespreizt, stürzte er erneut hinunter. Die Krieger öffneten ihre Formation, der Angriff ging ins Leere, doch sein Atem – eiskalt und heiß zugleich – zersprengte die Schilde.

»Da ist noch einer unterwegs!«, rief Marvin und stellte sich dem anfliegenden Tier entgegen. Irvings Hand fand den Pfeil im Köcher. Er sprintete los und spannte den Pfeil in den Bogen. Er wusste, wo die Untiere verwundbar waren: eine weiche Stelle, verborgen unter der mittleren Bauchschuppe. Er hielt den Atem an und zielte.

Der Reiter zog scharf am Zaum und der Melnare riss sich mit peitschenden Flügeln in die Höhe. Irvings Pfeile flogen wirkungslos über den Rand des Plateaus.

***

Der Zorn der Riesen Let und Horn verrauchte mit einem Schlag, als die Schatten von zwei Melnaren auf sie fielen. Sie heulten furchterregend auf, als die Drachenvögel sie in Richtung der vorderen Ringwälle jagten.

Immer noch zwängten sich Söldner und Kalteenen durch die schmalen Korridore zwischen den Wällen. Angstgepeitscht und völlig von Sinnen schlugen die Riesen blindlings los, rissen Gesteinsbrocken von den spröden Mauern und ließen sie in die Gassen stürzen.

Es gab kein Entkommen.

***

Das Osttor gab es nicht mehr. Eine riesige Lücke klaffte dort, wo einst massive Holzflügel die Stadt beschützten. Auch in der Laornmauer und im dahinter liegenden Braëdring zogen sich gewaltige Risse.

Jetzt wurden die Mauerbrecher zum Einsatz gebracht. Wimmelnde Söldnertrupps schoben die Gerüste auf die Positionen.

Eine Trommel dröhnte mit langsamen, wuchtigen Schlägen.

Macht euch bereit!

Brecht die Mauer!

Zurückziehen!

Rammen! Rammen! Rammen!

Marschall Kartas ließ die Horner blasen. »Rückzug! Hinter den dritten Ringwall!«

Seine Dhahindir preschten los. In ihrem Rücken gaben die Mauern nach, und sie wichen den umherfliegenden Steinen aus, während sie auf Nordesstein zurannten.

Als Nächstes machten sich Riesen und Bliden am Westtor zu schaffen.

***

Ardens Atem ging schneller. Die Luft vibrierte vor Spannung, ein Summen legte sich auf ihre Ohren, betäubte ihren Geist. Die Welt um sie herum verschwamm. Der Kampf ihrer Gefährten gegen die Melnare war nur noch ein fernes Tosen hinter dicken Mauern.

Etwas kam näher. Eine Präsenz, ein Wesen, dessen Geist hinter einer Barriere aus Flammen lag.

Es musste die Frau sein, die sie vorhin erspürt hatte.

Eine Feuermagierin? Ihre Furcht schwoll an. Das also war Burkors Waffe gegen sie. Feuer gegen Feuer!

Konzentriere dich, Arden.

Erins Stimme flog durch ihren Kopf wie ein Kolibri, verscheuchte Hitze und Chaos. Du hast die Steine, Hüterin.

Ardens Herz machte einen Sprung. Erin! Ihre Gefährtin war hier im Weißseelbruch.

Erleichterung durchfloss sie, und ihre Finger schlossen sich fest um die Steine. Das Summen verstummte. Langsam kehrte ihre Orientierung zurück.

Nur wenige Schritte entfernt stand eine Frau.

Ein Trugbild, unwirklich und fern inmitten einer blutgetränkten Schlacht.

Sie trug ein fließendes, weißes Kleid, das über ihre Füße fiel wie kräuselnde Wellen. Ihr rotes Haar glänzte bläulich unter dem blasser werdenden Dämmerlicht. Und da war noch mehr. Etwas, das nur ein Magier wahrnehmen konnte: winzige, weiße Flammen, die in ihrer Aura züngelten.

Arden versank momentelang in diesem Anblick, bis die Steine mit einem wütenden Sirren aufbegehrten. Gib Acht, Hüterin!

Bernsteinfarbene Augen trafen sie – durchdringend, wie die Sonne durch Rauchwolken scheint.

»Du bist also Arden, die Magierin.« Ihr Lachen perlte. »Ich bin Briana aus Kalstendorn. Doch das wird dir bald gleichgültig sein.«

Angesichts dieser Siegesgewissheit erwachte Arden aus ihrer Starre. »Briana«, ihre Stimme zitterte nur leicht, »nie gehört.«

Ein Schatten flog über Brianas alabasterfarbenes Gesicht. »Du hast vermutlich auch noch nie von den Tengargründen gehört, Magierin. Dennoch wird ihre Macht dich heimsuchen. Der Herr hat die Drachenfeuer der schwelenden Erde abgerungen und allein mir anvertraut.«

Der Herr.

Burkor!

Die ersten Strahlen der Morgensonne tasteten sich über den Rand des Plateaus und überfluteten den Boden mit flirrenden Fäden aus Licht.

Ein Blick aus bernsteinernen Augen traf sie erneut, dieses Mal gleichsam vergnügt und voller Angriffslust, und gab ihr einen einzigen Atemzug Zeit, sich zu wappnen. Dann traf sie eine Hitzewelle – ein unsichtbarer Schlag, der sie zu Boden schleuderte.

Arden prallte auf die Knie. Keine Flammen sah sie, nur stechende Hitze, die rasch verflog.

Ein Blick nach vorn zeigte Rauch, der in den Himmel jagte, alles verhüllte. Sie rappelte sich auf und ging einige Schritte rückwärts.

Der Rauch zerstob in der hellen Morgensonne. Auf der von Feuer und Blut gepeinigten Erde stand Briana, unversehrt, leuchtend, unantastbar von Asche und Rauch. Ihr langes, rotes Haar loderte im Sonnenlicht auf. Das weiße Kleid funkelte wie frischgefallener Schnee.

Ardens Blick fiel auf das Schwert in Brianas Händen. Die aufragende Klinge erschien seltsam geformt. Sie glänzte nicht, spiegelte kein Licht. Aus Metall war sie nicht beschaffen – nein, sie bestand aus einem strömenden Stoff, aus –

Flammen!

Aus dem blitzenden Schwertheft züngelten Flammen, zu einer langen Spitze verdichtet, blendendweiß wie Kleid und Aura ihrer Trägerin.

Die Steine in Ardens Tasche summten. Jetzt hieß es, schnell zu sein, das Überraschungsmoment zu nutzen.

Mit zitternden Knien griff sie nach Brianas Flammen.

***

Ein grauenhaftes, schrilles Kreischen ertönte.

Arden erschrak. Was war das? Das war kein menschlicher Schrei gewesen.

Ein übler Geruch breitete sich aus und erfüllte die Luft.

***

Palos, Irving und Marvin waren eingekesselt. Ein zweiter Melnare landete, seine Krallen furchten den Boden, und sein riesiger Körper versperrte als lebendiger Wall jeden Fluchtweg. Er trug keinen Reiter.

Irvings Pfeile schnellten in rascher Folge von der Sehne. Palos und Marvin stürmten mit erhobenen Schwertern auf das Untier zu. Die Kreatur brüllte auf, und schleuderte den dornengespickten Schwanz durch die Luft.

Der Schwanz zischte dicht an Marvins Ohr vorbei. Er riss den Kopf zur Seite, spürte den Luftzug auf seiner Haut.

Dann duckte er sich, schlüpfte mit einer behänden Bewegung unter den schuppenbewehrten Bauch, bereit, zuzuschlagen.

Einen Sekundenbruchteil später hörte er einen gellenden Schrei. Einen Schmerzensschrei, den dieses Ungetüm ausstieß, der jetzt in einem grauenhaften Wimmern mündete.

Es war nicht sein Schwerthieb, der dies verursacht hatte.

Schnell sprang er wieder hervor. Nicht zu früh! Mit einem dumpfen Krachen fuhr der schwere Vogelleib zu Boden, die mächtigen Schwingen zuckten unter höchster Qual.

Die Gefahr war jedoch nicht vorbei, weit gefehlt! Der Kopf fuhr wieder auf.

»Pass auf, Marvin!« Irvings Schreie wurden vom Todeskampf des Vogels übertönt. »Pass auf!«

Ein letzter Lebensfunke entfachte sich. Der zahnbewehrte Kopf schnappte unvermittelt zu – dorthin, wo Marvin stand.

 

Grant hob den Blick in den Himmel, und sein Herz setzte einen Schlag aus. Noch mehr schwarze Schwingen näherten sich, noch mehr Drachenschlangen steuerten das Plateau an, dürstend nach Chaos und Blut.

Dann ein gellender Schrei, geborsten, voller Qual. Sein Blick flog zu einem Melnare, der zu Boden sackte. Rauchschwaden entwichen seinem Körper, als brannte etwas in seinem Inneren, als fräßen sich Flammen durch Knochen und Fleisch.

Im nächsten Moment sah er Marvin fallen.

Grants Beine setzten sich in Bewegung. Ein Schrei entwich seiner Kehle. »Der Vogel begräbt Marvin!«

Er war nur noch ein paar Schritte entfernt, da erreichten Irving und Palos den Verletzten. Sie packten ihn und trugen ihn ein Stück zur Seite.

Palos breitete seinen Mantel wie eine Decke aus. Irving trennte mit dem Schwert seine Mantelschöße ab und begann, die blutende Wunde in Marvins Schulter zu verbinden.

»Ich komme klar«, sagte Marvin ächzend, »kämpft weiter.«

»Jemand muss deine Schulter verbinden, du Idiot!«, rief Irving heiser. Er schlang die Stofffetzen um Marvins Schulter, sprang dann auf. »Ich suche einen Heilmagier!« Entschlossen rannte er los.

Palos schüttelte den Kopf und sah Grant an. »Deinem Freund geht es im Vergleich zu dem Melnare noch gut. Etwas brennt sie von innen aus, lässt ihre Haut verglühen.«

Er deutete auf eine der Rauchsäulen. »Ich habe es selbst gesehen.«

»Was auch immer sie verzehrt – es ist ihr Ende«, erwiderte Grant und packte sein Schwert am Heft. »Schlecht für sie. Gut für uns. Geben wir ihnen den Rest.«

***

Drei Melnare belauerten das Plateau und zogen ihre Kreise. Die aufwallenden Rauchschwaden versperrten ihren Reitern jeden Blick. Sie befahlen ihren Tieren, sich in Geduld zu üben.

Zeit war für sie nicht mehr als eine flüchtige Illusion. Seit Ewigkeiten standen diese Magier im Dienst des Sichelbergs, gemeinsam mit ihrem Herrn, derzeit Burkor genannt. Nach der Verbannung von Terles Val hatten sie ausgeharrt, ohne den geringsten Zweifel an seiner bevorstehenden Wiederkehr.

Vor dreizehn Jahren waren sie schließlich in ihrer Ansicht bestätigt worden.

So manche Kreatur der Udercon hatten sie mit unheilvoller Magie ans Licht der Welt gezerrt. Doch das war nicht die unheimlichste Verbindung zwischen ihnen: Ihre Lebensfäden waren eng miteinander verknüpft. Ein seltenes, jedoch nicht einzigartiges Phänomen – vergleichbar mit den Ältesten, die nur lebten, solange alle drei am Leben waren. Starb einer von ihnen, würden ihm noch während seines letzten Atemzugs die anderen beiden auf diese Reise folgen.

Bei den Sichelberg-Magiern verhielt sich die Sache etwas anders, und dieser Unterschied verlieh ihnen ein gewisses Maß an Lebensgewissheit. Sie hätten erst dann die längste Zeit auf Erden verbracht, wenn sie alle drei den Tod finden würden. Bis dahin genügte ein einziger intakter Lebensfaden, damit Rames, Thiem und Lidora durch die Welt laufen oder fliegen und ihre üblen Machenschaften verfolgen konnten.

***

In der Hütte starrte Arden auf Marvins fiebernden Körper. Wenn ich nach den Feuern rufe.

Konnte sie die Hitze nicht bannen, wie sie Flammen rief? Tränen stiegen auf.

»Du Närrin«, flüsterte sie.

Ihre Worte verklangen in der Stille, während ihre Finger über das kalte Metall des Armbands tasteten. Dann löste sie den Verschluss und bannte Marvins Fieber in dem funkelnden Eichenblatt.

Diese Hitze sollte bald eine andere, bessere Bestimmung finden, als die Lebenskraft ihres Bruders zu verzehren.

***

Das Schlachtfeld tobte wie ein entfesselter Sturm.

In Scharen rannten die Feinde gen Nordesstein an, den vorletzten Ringwall, der Schloss und Sieg voneinander trennte.

Die Riesen Let und Horn hämmerten mit ihren massiven Fäusten auf das Mauerwerk, jeder Schlag ein dumpfes Beben, welches das Gestein zum Bersten brachte. An Nachschub für die Bliden fehlte es nicht; Trümmerteile lagen reichlich bereit. Die Zerstörung von Nordesstein, dem mächtigsten aller Ringwälle, würde bald vollendet sein.

Dunkle Trommeln dröhnten wie Pulsschläge der Schlacht.

Rum-tat-ta, wir sind die Armeen des Einen.

Rum-tat-ta, wir sind die Armeen des Sichelbergs.

Rum-tat-ta, unser Sieg ist euer Tod.

In der Burg hatte man aufgehört zu hoffen. Niemand glaubte mehr daran, dass ein Heer aus Nieradell je die Landesgrenzen überschritten hatte. Man munkelte zwar, der Sohn der Königin habe in den letzten Wochen in den Nachbarländern um Unterstützung geworben. Doch niemand traute dem Thronfolger Miras das notwendige diplomatische Geschick zu, mit Nieradells Lehnsherren erfolgreich zu verhandeln.

Dennoch: Eine verblichene Hoffnung, dass Rettung aus dem Norden unterwegs wäre, trug ein jeder im Herzen.

Zum Schutz vor den Angriffen der giftzähnigen Melnare hatte man die Königin und ihren Sohn in den höchsten Schlossturm gebracht. Doch auch dort, dachten Gardisten der Schlosswache, würden sie nur das Unvermeidliche abwarten.

Daher traute ihr diensthabender Hauptmann kaum seinen Augen, als er durch die Zinnen blickte und sah, wie eine Front unter den wehenden Bannern mit Eichenblatt und Silberstern über die nördlichen Hügelketten nahte.

Die kalten Schatten der Nacht, die auf den verbrannten Wiesen lagen, verzogen sich in dem Moment, als die Sonne den höchsten Hügel der Darod Dairl erklommen hatte und ihre Strahlen über den Weißseelbruch fliegen ließ – bis hin zur Heeresspitze, wo der Phrysäersohn Richard neben Erin, der Erbin des Fearghas, und den beiden nieradellischen Fürsten Baren und Valk auf eine Hügelschneide ritt.

***

»Valhòre aus Nieradell«, sagte ein Krieger zu seinem Nebenmann. Sie standen auf Nordessteins Krone und hielten die Stellung der Bogenschützen. Schon vor wenigen Stunden hatten die Wurfgeschosse der Bliden ihre Reihen stark gelichtet.

Als wollte er ihnen diesen Hoffnungsfunken gleich wieder nehmen, sank im nächsten Augenblick ein Melnare vor ihnen herab. Er kam so nah, dass sie seinen eisigen Atem spürten. Schon trieben die eisernen Krallen auf sie zu.

Zwei mächtige, gefiederte Pfeile trafen den Vogel am Bauch, und er geriet ins Straucheln. Mit neuerwachter Entschlossenheit legten die Krieger nach.

»Das Heer aus Nieradell steht vor unseren Pforten«, sagte Marschall Kartas ohne einen finsteren Ton oder Blick, als er durch die Zinnen schaute und die Schatten auf den Grashügeln schwinden sah.

Auf den westlichen Ringwällen, die an vielen Stellen noch heil waren, wurden weitere Katapulte heraufgezogen, als der Zeugmeister die weißen Banner im Norden wehen sah. »Das Wort der Valhòre bleibt ein weiteres Mal ungebrochen«, sagte er zu seinen Männern. Ihre Hörner erschallten daraufhin laut und hell wie zu dem Zeitpunkt, als der Tag zur Nacht hingedämmert war und Nimra Lods Feueradler mit breiten Schwingen am Himmel stand.

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An der Nordflanke bekamen die Feinde zuerst die Verstärkung zu Gesicht. Ein dumpfes Grollen, das sich jenseits einer langen Anhöhe erhob, kündigte sie an.

»Formiert euch!«, schnarrten die Obermänner ihre Befehle und trieben die Horden zueinander. »Speerkämpfer nach vorn!«

Speere wurden in den Boden gerammt – ein langer, dorniger Wall entstand. Die schwarzen Schilde wurden gebleckt. Die Sonne glitt über die noch unversehrten Wiesen, und ihr Licht ließ den Tau und die Silbersterne auf den Bannern der Standartenführer glitzern: das Zeichen des Fürsten Baren aus Feldengrund. Seine Kavallerie nahm oberhalb der Nordflanke Aufstellung, siebenhundert bestens ausgebildete Valhòre auf Atlasschimmeln.

Wenige Minuten später raste ein Sturm aus tausenden Hufen den Hügel hinab und riss dort die Söldnerlinien nieder.

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Bei Tagesanbruch schien der Sieg über den Weißseelbruch und das Schloss Girgentol für die kalteenischen Feinde nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Doch nun dämmerte ihnen, dass mit den Männern und Frauen aus Nieradell ihre Niederlage unaufhaltsam nahte, mit weißen Schilden und blitzenden Schwertern, die auf den Hügeln tanzten wie Schaumkronen auf einem tosenden Fluss.

Angeführt wurden sie von Richard aus Nieradell. Sein Schwert Harkenstahl gleißte wie die Sternenlichter, die über seiner Heimat im Dodinstal aufgingen.

Das Blut rauschte in den Adern der Krieger, ihre Schritte dröhnten auf der verbrannten Erde. Die feindlichen Schilde zersprangen unter den Lanzenhieben der singenden Valhòre, als sie das Schlachtfeld überrannten. Wie eine Lawine brach das nieradellsche Hauptheer bis zu den Steinwällen durch und ergoss sich entlang der Ringmauern von Südwesten nach Südosten.

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Noch ahnte Arden nicht, welchen entsetzlichen Schaden ihr Ruf nach Brianas Drachenfeuern ausgelöst hatte. Doch sie spürte deutlich, dass ihre Gegnerin immer zorniger wurde. Briana hieb erneut ihr Schwert in den Boden, und grellweiße Flammen sprangen aus der Erde. Die Hitze traf Arden wie eine Druckwelle und riss sie fast von den Füßen.

Sie reagierte wie schon zuvor: Sie rief die Flammen zu sich und trieb sie zum Fluss hinunter. Dort, so ihre Hoffnung, würden die Fluten des Seel diese teuflischen Feuer endgültig löschen.

Immer mehr hatte Arden den Verdacht, dass Briana auf Zeit spielte. Sollte es ihre Aufgabe sein, sie mit ihren Drachenfeuern hinzuhalten?

Sicherlich hatte Burkor sie, die Herrin und Hüterin der Steine, lebendig gefordert.

Sicherlich wusste er, dass er ihr die Steine nicht einfach wegnehmen konnte. Sie müsste freiwillig auf deren Gefolgschaft verzichten, damit ihre Macht auf einen anderen übergehen konnte. Nicht einmal Ardens Tod würde daran etwas ändern.

Ihr Blick wanderte zum Himmel, wo der dicke Rauch sich zu einem undurchdringlichen Dach zusammengeballt hatte. Lauerte dort ein Jäger? Sie würde ihren Geist dorthin ausstrecken, doch zuerst musste sie Briana ablenken.

In ihrem Hosenbund spürte sie das kühle Metall von Gandris, dem Dolch ihres Vaters. Er war ihr schon einmal sehr nützlich gewesen, ihn hatte sie benutzt, um Burkor den dritten Stein abzunehmen. Wie wäre es, wenn sie heute seine Klinge mit Brianas Drachenfeuern ausstattete?

 

Sichelberg-Magier Rames steuerte sein Reittier über das dichte Rauchdach des Plateaus.

Palach, zischte er. Unsere Zeit hier ist aufgebraucht.

Aus dem Süden naht die Älteste, antwortete eine eisige Stimme. Es war Lidora, die sprach. Sie trägt das verfluchte Schwert.

Greif dir die Magierin, schwarzer Drache. Chaztach.

Ein Raunen erhob sich und erfüllte den Himmel. Die düsteren Stimmen von Rames, Thiem und Lidora durchdrangen die dichte Rauchdecke.

Die Wolken erstarrten zu Eis und zerbrachen klirrend.