Kandid - Voltaire - E-Book
SONDERANGEBOT

Kandid E-Book

Voltaire

0,0
0,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dieses eBook: "Kandid" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Kandid oder der Optimismus ist eine 1759 unter dem Pseudonym Docteur Ralph erschienene satirischer Roman des französischen Philosophen Voltaire. Im Jahr 1776 erschien eine deutsche Übersetzung unter dem Titel Candide oder die beste aller Welten. Diese Satire wendet sich unter anderem gegen die optimistische Weltanschauung Gottfried Wilhelm Leibniz', der die beste aller möglichen Welten postulierte. Voltaire propagiert Skeptizismus und Pessimismus, die Leibniz' Postulat in den Kontext der Zeit rücken und in Frage stellen. Mit Witz, beißendem Spott und Ironie prangert Voltaire in seinem "conte philosophique" den überheblichen Adel, die kirchliche Inquisition, Krieg, Sklaverei und die naive Utopie des einfachen Mannes von einem sorglosen Leben an. Der einfach gestrickte Held Candide, der illegitime Neffe des westfälischen Barons Thunder-ten-tronckh, wird aus dem Heimatschloss verbannt, nachdem er mit der traumhaft schönen Prinzessin Cunégonde in flagranti ertappt worden ist. Die Vertreibung gerät ihm zur Verstoßung aus jenem Paradies, in dem ihm sein Lehrer Pangloss die Leibnizsche Theorie der "besten aller Welten" versucht näherzubringen. Voltaire (1694-1778) war ein französischer Philosoph und Schriftsteller. Er ist einer der meistgelesenen und einflussreichsten Autoren der französischen und europäischen Aufklärung. In Frankreich nennt man das 18. Jahrhundert auch "das Jahrhundert Voltaires". Als Lyriker, Dramatiker und Epiker schrieb er in erster Linie für ein Publikum gebildeter Franzosen, als Erzähler und Philosoph für die gesamte europäische Oberschicht im Zeitalter der Aufklärung, deren Mitglieder für gewöhnlich die französische Sprache beherrschten und französische Werke zum Teil im Original lasen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Voltaire

Kandid

Voltaires Meisterwerk der Ironie
e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-6736-4

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel: Was maßen Kandide in einem schönen Schlosse erzogen und aus selbigem fortgejagt wird
Zweites Kapitel: Wie's Kandiden unter den Bulgaren geht
Drittes Kapitel: Wie Kandide den Bulgaren entkam und wie's ihm nachher erging
Viertes Kapitel: Wie Kandide seinen alten Lehrmeister in der Philosophie, den Magister Panglos, wiederfand und was weiter geschahe
Fünftes Kapitel: Seesturm, Schiffbruch, Erdbeben, Schicksal des Magister Panglos, Kandidens und des Wiedertäufers Jakob Schwezinger
Sechstes Kapitel: Probates Mittel der hochehrwürdigen Inquisition fürs Erdbeben, bestehend in einem schönen Autodafe, wobei Kandide den Staupbesen bekommt
Siebentes Kapitel: Kandide wird von der Alten wohl gepflegt und findet unverhofft seine Geliebte
Achtes Kapitel: Baroneß Kunegundens Geschichte
Neuntes Kapitel: Was sich mit Kunegunden, Kandiden, dem Großinquisitor und einem Juden zuträgt
Zehntes Kapitel: Kandide, Kunegunde und die Alte kommen in einer gar schlimmen Lage zu Cadix an und schiffen sich ein
Elftes Kapitel: Geschichte der Alten
Zwölftes Kapitel: Wie übel es der Alten weiter erging
Dreizehntes Kapitel: Wie sich Kandide genötigt sahe, die schöne Kunegunde und die Alte zu verlassen
Vierzehntes Kapitel: Wie Kandide und Kakambo in Paraguay von den Jesuiten aufgenommen werden
Fünfzehntes Kapitel: Weshalb Kandide den Bruder seines Mädchens tötet
Sechzehntes Kapitel: Zwei Mädchen und zwei Paviane stoßen unsern Reisenden auf. Wie's ihnen bei den Wilden, die Langohren genamst, ergeht
Siebzehntes Kapitel: Kandide kommt mit seinem Bedienten nach Eldorado. Was sie da gesehn
Achtzehntes Kapitel: Was sie in Eldorado sahen
Neunzehntes Kapitel: Was ihnen zu Surinam begegnet, und wie Kandide mit Martinen bekannt wird
Zwanzigstes Kapitel: Seeabenteuer Kandidens und Martins
Einundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin nähern sich den französischen Küsten. Wovon sie sich unterhalten
Zweiundzwanzigstes Kapitel: Was Kandiden und Martinen in Frankreich begegnet
Dreiundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin kommen an die englischen Küsten; was sie dort sehn
Vierundzwanzigstes Kapitel: Von Gertruden und Bruder Viola'n
Fünfundzwanzigstes Kapitel: Besuch beim Signor Pocourante, Nobile di Venezia
Sechsundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin speisten mit sechs Ausländern. Wer diese Ausländer waren
Siebenundzwanzigstes Kapitel: Kandidens Reise nach Konstantinopel
Achtundzwanzigstes Kapitel: Baron von Donnerstrunkshausen und Panglos erzählen, was ihnen bisher begegnet ist
Neunundzwanzigstes Kapitel: Was maßen Kandide Kunegunden und die Alte wiederfand
Dreißigstes Kapitel: Schlußszene
Dreißigstes Kapitel: Schlußszene

Erstes Kapitel: Was maßen Kandide in einem schönen Schlosse erzogen und aus selbigem fortgejagt wird

Inhaltsverzeichnis

In Westfalen auf dem Schlosse des Herrn Baron von Donnerstrunkshausen ward mit der jungen Herrschaft zugleich ein junger Mensch erzogen, ein gar liebes, sanftes Geschöpf, aus dessen kleinstem Gesichtszuge Sanftheit hervorblickte. An Kopf fehlt' es ihm gar nicht, und doch war er so offen, so rund, so ohn' alles Arg wie unsre Ahnen. Ebendeswegen, glaub ich, nannte ihn Baroneß Engeline, Schwester des Herrn Barons, Kandide. Wie hätte eine Dame, die anderthalb Jahr zu Berlin in französischer Pension gewesen, sich auf einen teutschen Namen besinnen, oder wenn sie sich ja darauf besonnen, ihn goutieren können?

Kandide war – munkelten die alten Bedienten im Hause, – eine heimliche Liebesfrucht von ebenbesagter Schwester des Herrn Barons und einem guten ehrlichen Schlag von Landjunker aus der Nachbarschaft. Zum Gemahl hatte ihn die gnädge Baroneß nie gemocht, weil der arme Schlucker seinen Adel mit nicht mehr als einundsiebenzig Ahnen belegen konnte und weil der Rest seines Stammbaums durch den scharfen Zahn der Zeit war auf genagt worden.

Der Herr Baron, Hans Jost Kurt von Donnerstrunkshausen, war einer der Matadore in Westfalen, denn sein Schloß hatte Tür' und Fenster, ja sogar einen austapezierten Saal. Seine Kettenhunde stellten, wenn Not an Mann kam, eine Jagdkoppel vor, seine Stallknechte die Jäger und der Priester im Dorfe den Oberschloßkaplan. Alt und jung nannte den alten Herrn Ihro hochfreiherrliche Gnaden, und wollte vor Lachen bersten, wenn er etwas erzählte.

Die Frau Baroneß stand in gar großem Ansehn, denn sie wog richtig ihre dreihundertundfünfzig Pfund, wo nicht noch mehr, und wußte die Honneurs mit einer Würde zu machen, die ihr noch größre Hochachtung verschaffte.

Ihre Tochter, die Baroneß Kunegunde, war ein munters, rundes, rotbäckiges Ding, siebzehn Sommer alt und gar lieblich anzuschaun; Junker Polde, ihr Bruder, ein würdiges Ebenbild des gnädgen Herrn Papa. Magister Panglos, der Hofmeister der jungen Herrschaft, stellte das Hausorakel vor. Der junge Kandide schluckte jegliche seiner Lehren mit der Treuherzigkeit hinter, die seinem Alter und Charakter gemäß war.

Panglos lehrte die Metaphysiko-theologo-kosmolo-nigologie; bewies mit der stärksten philosophischen Suade, daß ohne Ursach keine Wirkung sein könne, und daß in dieser besten aller möglichen Welten das Schloß des gnädgen Herrn Barons das schönste aller Schlösser sei und die gnädge Frau die beste aller möglichen Baroninnen.

Es ist bereits klärlich dargetan, hub er zu demonstieren an, daß die Dinge nicht anders sein können, als sie sind; denn alldieweil alles, was da ist, zu einem Endzweck geschaffen worden, so zielt notwendig alles zu dem besten Endzweck ab. Gebt nur acht, und Ihr werdet diese Grundwahrheit durchgängig bestätigt finden. Betrachtet zum Beispiel Eure Nasen. Sie wurden gemacht, um Brillen zu tragen, und man trägt auch welche. Eure Beine: Ihr empfingt sie, um sie zu bestrümpfen und zu beschuhen, und Ihr bestrümpft und beschuht sie. Seht die Quadersteine an! Sie wachsen, um zersägt, behauen, und zum Bau der Paläste verwandt zu werden, derohalben hat unser gnädiger Herr Baron einen gar herrlichen Palast von Quadersteinen; der größte Baron im ganzen Herzogtume muß die beste, bequemste Wohnung haben, und hat sie auch. Die Schweine schuf Gott, damit der Mensch sie äße, essen wir nicht Schweinefleisch jahraus jahrein? Folglich ist es Torheit mit einigen zu behaupten, daß alles gut gemacht ist, aufs beste ist alles gemacht, muß man sagen.

Das fing der junge Kandide mit beiden offnen Ohren auf, und glaubte es in seiner Herzenseinfalt steif weg, denn er fand Baroneß Gundchen außerordentlich schön, ob er gleich nie den Mut gehabt hatte, es ihr zu sagen. Er schloß, die erste Stufe irdischer Glückseligkeit wäre Freiherr auf und von Donnerstrunkshausen, die zweite Baroneß Kunegunde zu sein, die dritte, sie täglich zu sehen, die vierte, den Magister Panglos zu hören, den größten Philosophen im ganzen Westfälischen Kreise, folglich auch in der ganzen Welt.

Eines Tages, als Baroneß Kunegunde in dem kleinen Gehölze am Schlosse spazierenging, das man den hochfreiherrlichen Park nannte, erblickte sie hinter dem Gesträuch den Herrn Magister Panglos, der Versuche aus der Experimentalphysik mit ihrer Frau Mutter Kammerjungfer anstellte, einem gar niedlichen und gar gefügen braunen Dirnchen. Die junge Baroneß lauscht' und lauschte mit dem leisesten Atemzug und beobachtete – denn sie hatte ungemeine Anlage zu den Wissenschaften – all' die Experimente, die der Magister von Zeit zu Zeit wiederholte; sähe Panglosens zureichenden Grund, die Ursachen und Wirkungen gar deutlich, und schlich fort in tiefen Gedanken. Ihr war so wohl und so weh ums Herz; die Begier, gelehrt zu werden, füllte ihre ganze Seele, und der Gedanke: sie könnte wohl des jungen Kandide zureichender Grund werden, und er der ihrige. Beim Hereintreten ins Schloß begegnete ihr Kandide; sie ward rot, Kandide auch. Guten Morgen Kandide! stammelte sie. Und Kandide schwatzte mit ihr, ohne zu wissen was. Den folgenden Tag, nach aufgehobner Mittagstafel, befanden sich Kunegund' und Kandide hinter einer spanischen Wand; Kunegunde ließ ihr Schnupftuch fallen, Kandide hob's auf; sie nahm ihn in aller Unschuld bei der Hand, er, auch in aller Unschuld, küßte der jungen Baronesse die ihrige, und das so warm, so herzlich! O es war keiner von Euren Theaterküssen! Ihre Lippen begegneten einander, ihre Augen erglühten, ihre Kniee bebten, ihre Hände verirrten sich.

In eben dem Nu ging der Herr Baron von Donnerstrunkshausen bei dem Schirm vorbei, und diese Ursach' und diese Wirkung erblickend, jagt' er Kandiden mit derben Fußtritten zum Schlosse hinaus. Gundchen sank in Ohnmacht; sobald sie sich ein wenig erholt hatte, ward sie von der gestrengen Frau Mama wieder völlig in's Leben zurückmaulschelliert, und in dem schönsten und anmutigsten aller Schlösser herrschte Bestürzung über Bestürzung.

Zweites Kapitel: Wie's Kandiden unter den Bulgaren geht

Inhaltsverzeichnis

Vertrieben aus seinem irdischen Paradiese wanderte Kandide mit weinendem Auge fort, ohne zu wissen wohin, oft gen Himmel blickend, noch öfter nach dem Palaste, der die schönste aller jungen Baronessinnen in sich schloß; mit leerem Magen legt' er sich mitten im Felde hin, zwischen zwei Furchen. Es schneite die Nacht durch heftig; ganz erstarrt schlich Kandide mit dämmerndem Morgen nach einer benachbarten Stadt. Sterbensmatt vor Hunger und Strapaze, nicht einen Heller Geld bei sich, macht' er vor der Tür eines Wirtshauses höchst betrübt halt.

Zwei Blauröcke wurden ihn gewahr. Ha! ein hübscher Kerl, Herr Bruder! sagte der eine. Wie'n Rohr gewachsen! Just so groß, wie wir'n brauchen! Sie gingen auf Kandiden los und baten ihn sehr höflich, zu Mittag mit ihnen zu speisen. Ich finde mich ungemein durch Ihre Einladung beehrt, meine Herren, sagte Kandide mit einem bescheidenen Ton, der gleich seine Nation verriet, allein ich habe kein Geld, kann meine Zeche nicht zahlen. Ach! was Geld! was Zeche zahlen! sagte einer von den Männern. Das haben solche wohlgewachsne, artige junge Herren wie Sie nicht nötig. Sie messen sechs Zoll?

Die mess' ich, meine Herrn, sagte er mit einer Verbeugung. "Hurtig, mein Herr! zu Tische. Wir zahlen nicht allein die Zeche für Sie, wir werden auch sorgen, daß es einem Manne wie Ihnen nie an Gelde fehlt. Wozu sind die Menschen in der Welt, als einander beizustehn, unter die Arme zu greifen?" Wohl wahr! sagte Kandide, so hat mich der Herr Magister Panglos immer gelehrt, und ich sehe wohl ein, daß alles aufs beste gemacht ist. Man drang ihm etliche Taler auf; er wollt' ihnen dafür schwarz auf weiß geben; sie wollten's nicht. Man setzt sich zu Tische, ißt, trinkt. Nicht wahr, fängt der eine an, Sie sind ihm recht herzlich gut dem . . . Dem herzensguten engelhaften Kunegundchen? antwortet' er. Wohl bin ich's; ich liebe sie; bete sie an. "Nicht doch! den König der Bulgaren meinen wir, ob Sie dem recht herzlich gut sind?" Was wollt' ich? Ich kenn' ihn gar nicht, antwortete jener; hab' ihn nie gesehn. "Kennen ihn gar nicht! Haben ihn nicht gesehn! Den Mann nicht! Teufel! das ist der trefflichste Herr auf Gottes Erdboden! solchen König gibt's gar nicht mehr! Hallo! Er soll leben!" Das soll er! rief Kandide aus vollem Herzen, und stieß an. Wie er geleert, hieß es: Na, so wär's denn geschehn! Nun sind Sie Held! Die Säule der Bulgaren! Ihr Schutz und ihr Schirm! Die Schranken der Ehre stehn vor Ihnen geöffnet! Lorbeern ohne Zahl warten Ihrer!

Sogleich legte man ihm Schellen an die Füße und führte ihn zum Regimente. Da lernt' er das Rechtsundlinksumkehrteuch, Gewehr hoch, Gewehr beim Fuß, Feuer, Marsch, und kriegt' dabei dreißig Prügel; den andern Tag exerziert' er schon ein wenig besser und bekommt nur zwanzig; den Tag drauf gar nur zehne, und all' seine Kameraden gafften ihn als ein blaues Meerwunder an.

Kandide war noch ganz verdutzt, konnte gar nicht recht begreifen, wie er so im Hui zum Helden geworden. An einem schönen Frühlingsmorgen fällt's ihm ein, spazierenzugehn. Er schlendert grade vor sich hin, der Meinung: die Menschen hätten sowohl wie die Tiere das Vorrecht, sich ihrer Beine nach Belieben zu bedienen. Kaum hat er zwei Meilen gemacht, wie ein Blitz sind ihm vier andre sechsschuhige Helden auf den Hals, binden ihn und werfen ihn in ein Loch, wohin nicht Sonne nicht Mond kam.

Ein wohllöbliches Kriegsgericht fragte ihn, was er lieber wollte, sechsunddreißigmal Spießrutenlaufen oder sich drei bleierne Kugeln mit eins ins Gehirn jagen lassen. Kandide hatte gut sagen, daß des Menschen Wille frei sei und daß er keins von beiden möchte; das half nichts, er mußte wählen. Sonach entschloß er sich denn, kraft der lieben Gottesgabe, Willensfreiheit genannt, sechsunddreißigmal Spießruten zu laufen.

Zweimal hatte er die Wandrung gemacht, Gaß' auf, Gaß' ab; und weil das Regiment aus zweitausend Mann bestand, hatte er seine viertausend Hiebe richtig weg. Alle Muskeln und Nerven vom Nacken an bis zum Wirbelbein des Rückens herab, lagen ganz blank und bar da. Den dritten Gang machen sollend und nicht könnend, erbat er sichs zur Gnade, erschossen zu werden. Man gestand's ihm zu; verband ihm die Augen, ließ ihn niederknien.

In eben dem Nu reitet der König der Bulgaren vorbei, fragt, was der arme Sünder begangen und nimmt aus allen Umständen ab – denn er war ein großes Genie –, daß Kandide ein junger Metaphysiker sei, dabei noch völlig Neuling in der Welt, und begnadigte ihn mit einer Milde, die Welt und Afterwelt in Journalen und Chroniken preisen wird. Ein braver Kompaniefeldscher kurierte Kandiden binnen drei Wochen mit erweichenden Mitteln nach der Vorschrift des großen Dioskorides. Haut hatte Kandide bereits schon ziemlich, und marschieren könnt' er auch schon, als der König der Bulgaren dem Könige der Abaren ein Treffen lieferte.

Drittes Kapitel: Wie Kandide den Bulgaren entkam und wie's ihm nachher erging

Inhaltsverzeichnis

So flink und flimmernd, so wohlgeordnet, so stattlich hatte man noch nie Armeen gesehn als diese beiden. Trompeten und Pfeifen, Hoboen und Trommeln, Mörser und Kanonen machten ein so vollstimmiges Konzert, als selbst Satanas in der Hölle nicht geben kann.

Zuerst rissen die Kanonen auf jeder Seite so ein sechstausend Mann nieder, alsdann säuberte das Musketenfeuer die beste aller möglichen Welten von so ein neun- bis zehntausend Schurken, die deren Oberfläche angesteckt hatten. Das Bajonett war gleichfalls ein zureichender Grund, daß einige tausend Menschen umkamen. Die ganze Summe mochte sich wohl auf ein dreißigtausend Seelen belaufen.

Kandide, der als echter Philosoph zitterte und bebte, ließ die heroischen Metzger immer fortmetzeln und verbarg sich, so gut er konnte.

Endlich hatte die Fehd' ein Ende; die beiden Könige ließen das Te Deum in ihren Lagern anstimmen. Derweil faßte unser Kandide den Entschluß, in andern Gegenden über Wirkungen und Ursachen zu philosophieren; stieg über die Haufen der Toten und Sterbenden weg und arbeitete sich in einen nahbelegnen Aschenhaufen vom Dorfe herein. Es hatte vor kurzem den Abaren gehört, und die Bulgaren hatten es dem Völkerrechte gemäß abgebrannt.

Greise lagen hier, die Wund' an Wunde hatten und neben sich ihre zermetzelten Weiber mußten hinsterben sehn, an deren blutenden Brüsten ihre Säuglinge zappelten; dort gaben Jungfrauen ihren Geist auf, deren jegliche einem Halbdutzend Helden ihre Naturbedürfnisse hatte stillen müssen und nachher war entbaucht worden; hier schrien andre, deren Leichnam halbverbrannt war: man möcht' ihnen nur den Rest geben. Die ganze Erde war mit Gehirnen übersät und mit Armen und Beinen.

Kandide floh in voller Hast in ein ander Dorf. Es gehörte den Bulgaren, und die Helden unter den Abaren hatten ihnen kein Haar besser mitgespielt. Noch immer mußte der arme Flüchtling über zuckende Glieder gehn und über Schutt und Graus. Endlich sah' er sich außerhalb des Kriegstheaters; in seinem Schnappsack etwas weniges Mundproviant habend und in seinem Herzen die ihm unvergeßliche Baroneß Gundchen. Als er in Holland ankam, war er mit seinem Proviant zu Rande; da er aber gehört hatte, hier sei jedermann reich und Christ, so dacht' er, es würd' ihm hier so gut gehn als im Schlosse des Herrn Barons, bevor er aus selbigem Baroneß Gundchens schöner blauer Augen halber war gejagt worden. Er sprach viele gravitätsche Allongenperücken, die sich bei ihm vorbeischoben, um einen Zehrpfennig an und viele ehrbare alte Hauspostillen, die bei ihm wegtrippelten; allein diese sowohl wie jene rückten mit nichts hervor als mit der Ermahnung: diese Lebensart fahren zu lassen, sonst würde man ihn im Zuchthause unterbringen.

Hierauf wandt' er sich an einen Mann, der eine Stunde lang ganz allein in einer großen Versammlung über christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit gesprochen. Dieser Redner sah' ihn über die Schulter an und sagte: Freund, warum seid Ihr hieher kommen? Um Euch zu dem kleinen Häuflein der Gerechten und Stillen im Lande zu gesellen? Oder waserlei ist die Ursach?

Jegliche Wirkung, hub Kandide in bescheidnem Tone an, hat ihre Grundursach; jegliche Begebenheit unsers Lebens ist ein notwendiges Glied in der Kette der Dinge; ist selbiger aufs geschickteste, beste eingepaßt. Ich mußte von Baroneß Kunegunden fortgejagt werden, mußte Spießruten laufen und muß so lange mein Brot betteln gehn, bis ich welches verdienen kann; das alles konnte nicht anders kommen.

Glaubt Ihr denn, mein Freund, sagte der Redner zu ihm, daß der Papst der Antichrist sei? Davon hab' ich noch nie gehört, antwortete jener, auch gilt's mir ganz gleich, sei er's oder sei er's nicht; hätt' ich nur Brot. Auch nicht der Brosämlein einen verdienst du, heilloser Bube, die von der Herren Tische fallen, sagte der Schwarzrock. Heb' dich aus meinen Augen, du Schalk du! du Belialsbrut!

Des Redners Frau, die den Kopf zum Fenster hinausgesteckt und vernommen hatte, daß es einen Menschen gab, der an der Antichristheit des Papsts zweifelte, leerte über sein Haupt einen vollgerüttelten und geschüttelten Nachttopf. Gott, wie weit geht der Religionseifer bei den Damen!

Ein niegetauftes Geschöpf, ein wackrer Wiedertäufer, namens Jakob Schwezinger, sähe, wie hartherzig, wie schmählich man einem seiner Brüder begegnete, einem zweifüßigen, federlosen Geschöpf, das doch eine Seele hatte; und es jammerte ihn sein, und er führte ihn hinab in sein Haus und säuberte ihn und gab ihm Brot zu essen und Bier zu trinken, und schenkte ihm zwei Gulden; auch wollt' er ihn sogar in seiner Fabrik arbeiten lehren, woselbst mitten in Holland persische Stoffe verfertigt wurden.

Kandide wollte sich ihm zu Füßen werfen und schrie: Er hat wohl recht, der gute Herr Magister! Diese Welt ist die beste! Ihr außerordentlicher Edelmut macht tiefern Eindruck auf mich als die Hartherzigkeit des Herrn Schwarzmantels und seiner Frau Gemahlin.

Den folgenden Tag stieß er beim Spazierengehn auf eine wahre Lazarusfigur von Bettler. Über und über mit Schwären bedeckt war sein Aug erloschen, die Nasenspitze weggefressen, der Mund ganz verzogen, die Zähne kohlschwarz. Er gurgelte und hustete jedes Wort hervor; und sein Husten war so heftig, daß er jedesmal einen Zahn ausspie.