KANTHARIDIN - DREI NOVELLEN UND EINE KURZGESCHICHTE - Rainer Fuhrmann - E-Book

KANTHARIDIN - DREI NOVELLEN UND EINE KURZGESCHICHTE E-Book

Rainer Fuhrmann

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Mit dem Band Kantharidin von Rainer Fuhrmann startet der Apex-Verlag seine Reihe Im Dunkel der Nacht – Krimis aus der DDR. Dieser Auswahlband enthält die Novellen Kantharidin (1985), Per Kippschalter (1981) und Herzstillstand (1981) sowie als Bonus die Kurzgeschichte Das Experiment (1976) – Klassiker der Kriminal-Literatur aus der DDR.

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RAINER FUHRMANN

Kantharidin

IM DUNKEL DER NACHT – KRIMIS AUS DER DDR, Band 1

Drei Novellen und eine Kurzgeschichte

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

Kantharidin 

Per Kippschalter 

Herzstillstand 

Das Experiment 

 

 

Das Buch

Mit dem Band Kantharidin von Rainer Fuhrmann startet der Apex-Verlag seine Reihe Im Dunkel der Nacht – Krimis aus der DDR.

Dieser Auswahlband enthält die Novellen Kantharidin (1985), Per Kippschalter (1981) und Herzstillstand (1981) sowie als Bonus die Kurzgeschichte Das Experiment (1976) – Klassiker der Kriminal-Literatur aus der DDR.

Der Autor

Rainer Fuhrmann,  (* 11. September 1940; † 3. November 1990).

Rainer Fuhrmann war ein deutscher Science-Fiction-Schriftsteller.

Fuhrmann erlernte den Beruf des Drehers, arbeitete als Mechaniker, erwarb den Meisterbrief als Mechaniker-Meister, brach ein Studium der Maschinenbautechnologie ab, um mehr Zeit zum Schreiben zu haben, und arbeitete als wissenschaftlich-technischer Mitarbeiter und Konstrukteur, bevor er 1980 freischaffender Schriftsteller wurde. Viele Jahre seines Berufslebens war er in der Orthopädietechnik tätig, und seine dabei gewonnenen Erfahrungen aus dem Gesundheitswesen sind in einigen seiner Werke spürbar.

Rainer Fuhrmann galt als einer der herausragenden Autoren der Science Fiction in der DDR. Er thematisierte 1977 unter anderem Gen-Manipulation am Menschen in dem Roman Homo Sapiens 10-2, in welchem das Experiment eines skrupellosen Wissenschaftlers dazu führt, dass eine Gruppe von Menschen miniaturisiert wird, bis sie an die Grenzen der Physik stoßen.

Zu Fuhrmanns bekanntesten Werken zählen die SF-Romane Homo Sapiens 10-2 (1977), Das Raumschiff aus der Steinzeit (1978), Planet der Sirenen (1981), Medusa (1985) sowie Kairos (1996), der erst nach dem Tod des Autors erschien und welcher gemeinhin als Fuhrmanns Abrechnung mit der DDR gilt.

Darüber hinaus schrieb er – neben zahlreichen Kurzgeschichten und Erzählungen – die utopischen Kriminalromane Per Kippschalter (1981), Herzstillstand (1981),  Zweimal vierundzwanzig Stunden (1982) und Kantharidin (1985), die allesamt in der legendären Reihe Blaulicht erschienen.

Der Apex-Verlag widmet Rainer Fuhrmann eine umfangreiche Werkausgabe.

  Kantharidin

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Das Tier tastete sich langsam über den Sand. Streckte abwechselnd zuerst die eine, dann die andere Schere vor. Den Schwanz steil über den gepanzerten Rücken gebogen, den schwärzlichen dünnen Stachel drohend nach vorn gerichtet. Von Zeit zu Zeit blieb es ruckartig stehen, als achte es auf ein Geräusch. Seine Sinneshaare glitzerten im rötlichen Licht. An der linken oberen Ecke des Terrariums klebte ein Schild: Scorpio maurus, Weibchen, Einzelexemplar.

Ein Skorpion, das sah jedes Kind.

Darüber ein anderer Glaskäfig mit einer auf einem Ast lauernden großen schwarzbraunen Spinne, vom Schild als Lycosa tarantula ausgewiesen. Vermutlich eine Tarantel. Im Terrarium daneben bot sich ein erfreulicherer Anblick: eine Schar prächtiger metallisch-grün glänzender Käfer. Auf dem Schild stand Lytta vesicatoria. Ein bombastischer Name für die kleinen, nur etwa zweieinhalb Zentimeter langen Tierchen. Sie sahen harmlos aus - im Vergleich zu den mit respekteinflößenden Stacheln, Zangen und Kiefern bewehrten Insassen der übrigen fünfundzwanzig Terrarien des Gewächshauses.

Der Wind trieb raschelnd verwelktes Laub über das Glasdach. Leutnant Wrage wandte sich ab und warf einen flüchtigen Blick in den Garten. Draußen streckten Obstbaumskelette wie hilfesuchend die nackten Äste in den grauen Himmel des elften Dezember. Auf dem immer noch grünen Rasen lag eine Harke und lauerte mit aufwärts gerichteten Zinken auf einen arglosen Gast. Der Garten war gepflegt und nicht groß, überschaubar. Ein paar Erdbeerbeete, Johannis- und Stachelbeersträucher und eine kleine Rasenfläche, auf der verloren eine Gruppe Gartenmöbel stand. Ihre Formen waren fließend und bestanden aus weißem Duroplast. Es würde ihnen nicht schaden, bis zum Frühjahr dort zu stehen.

Wrage rieb sich die Augen, versuchte sich von dem Bild des im Schlafzimmer liegenden toten Mannes zu befreien. Doch sobald er die Augen schloss, stand es wieder vor ihm: die blaugrüne Haut, die schwarzen Lippen, die verkrampften Züge. Der Mann lag verkrümmt, als litte er noch jetzt unter Leibschmerzen.

»Gift«, sagte der Arzt, »dafür würde ich meine Approbation verpfänden. Die Nieren sind blockiert.«

Wrage ging die lange Reihe der Terrarien ab. Auf der anderen Seite des Gewächshauses, das an die rückwärtige Front des großen alten Einfamilienhauses angebaut und durch eine Tür vom Ende des Korridors zu erreichen war, wucherten in Kübeln kleine Maulbeer-, Flieder- und Eschenbüsche. Am Ende, neben der Tür zum Garten, stand ein kleiner runder Tisch mit einer darüber hängenden Korblampe und zwei Stühlen von der gleichen Art wie die Gartenmöbel. Dort saß Doktor Hilser, auf den Knien eine abgewetzte Bereitschaftstasche, in der Hand eine Thermosflasche. Ihm gegenüber saß Wrages Kollege Schröder, in seine Notizen vertieft und scheinbar taub für die Umwelt.

Doktor Hilser schraubte sorgfältig die Flasche auf und schenkte sich eine dampfende bräunliche Flüssigkeit ein. Tee, der nach Kaffee, oder Kaffee, der nach Tee duftete - genau war das nicht zu unterscheiden. »Vermutlich ein schweres Nierengift.« Er verzog das Gesicht. »Kein schöner Tod.«

»Haben Sie eventuell eine Vorstellung...«

»Ich bin kein Toxikologe«, erwiderte Doktor Hilser, »doch ich darf annehmen, dass es sich in diesem Fall nicht um die üblichen Gifte handelt. Bevor Sie eintrafen, habe ich mich mit der Haushälterin des Toten...«

»Sie ist seine Schwester«, warf Schröder ein, ohne von seinen Notizen aufzublicken. Er benetzte seine Finger und blätterte eine Seite um. Eine Angewohnheit, die Wrage widerlich fand.

»...mit seiner Schwester unterhalten. Offenbar war der Mann schon vor einigen Tagen erkrankt. Eindeutige Symptome: Blasen- und Schorfbildung im Munde, heftige Leibschmerzen und unlöschbarer Durst, Schlingbeschwerden, Übelkeit, blutiges Erbrechen, ebensolche Durchfälle, blutiger Urin, zunächst Harndrang und schließlich Ausbleiben der Harnabsonderung, was nach einigen Tagen zum Tode führte. Also ein Nierengift. Mir unbegreiflich, warum nicht ein Arzt gerufen wurde. Als Notarzt habe ich es stets mit zwei Kategorien von Patienten zu tun: die einen, die zu faul sind, wegen einer lumpigen Erkältung zum Arzt zu gehen und ihn lieber zu sich kommen lassen, und die anderen, die ich mit Blaulicht ins Krankenhaus schaffen muss.«

»Trösten Sie sich. Wir kommen immer zu spät«, sagte Wrage. Er betrachtete die hell erleuchteten Terrarien. »Sagen Sie, Doktor, würden Sie es für möglich halten, dass einer aus der Belegschaft dieser Glaskäfige...? Skorpione, Taranteln, Spinnen - eine Menge giftigen Viehzeugs. Es wäre doch möglich, dass unser Mann bei der Fütterung gestochen oder gebissen wurde.«

Doktor Hilser folgte der Blickrichtung und kratzte sich nervös. »Ausgeschlossen, so giftig ist keines der Exemplare, wenn ich eine Übersensibilität oder eine allergische Reaktion unberücksichtigt lasse. Unter Umständen würde ich auf das Gift einer exotischen Schlange tippen. Doch der Verstorbene besitzt keine. Außerdem hätte ich die Bissstelle gefunden. Wie gesagt, ich bin kein Toxikologe. Jedoch beweisen die Symptome, dass er das Gift oral bekommen hat. Weder der Stich eines Skorpions noch der Biss einer Tarantel ist unter normalen Umständen lebensbedrohend.«

»Was verstehen Sie unter normalen Umständen?«

»Dass der Betreffende gesund ist und nicht zu allergischen Reaktionen neigt, sonst kann sogar ein Wespenstich eine tödliche Gefahr darstellen. Im vorliegenden Fall schließe ich diese Möglichkeit aus.« Er blickte auf die lange Reihe der Terrarien. »Unglaublich, womit sich manche Menschen beschäftigen. Ich muss gestehen, dass es mich am ganzen Körper juckt, wenn ich dort hinsehe. Ich könnte in diesem Haus nicht leben.«

»Waren Sie schon einmal hier?«

»Nein. Meines Wissens auch kein Kollege von mir, man hätte mir sonst gewiss von dieser widerwärtigen Menagerie erzählt.« Der Arzt kratzte sich abermals und zog ein Hosenbein hoch, um die Stelle zu betrachten. »Brauchen Sie mich noch? Ich möchte sonst lieber gehen, bevor ich akutes Nesselfieber bekomme.«

»Sie dürfen gehen«, erwiderte Wrage. »Ihre Adresse ist notiert, falls sich noch...«

 

Doktor Hilser steckte den Korken in die Thermosflasche, schraubte sie geschwind zu, packte seine Bereitschaftstasche und verließ nach einem Gruß mit langen Schritten das Gewächshaus.

Schröder - im dunkelgrauen Anzug, mit blütenweißem Hemd und dezent weiß und braun gestreiftem Binder - hob den Kopf, als sie allein waren. »Der Tote heißt Max Treudorf, geboren am sechzehnten Oktober neunzehnhundertneunzehn - also seit zwei Monaten Altersrentner. Von Beruf Maschinenbaumeister. Zum Haus gehören die Schwestern Gerda Siebert und Ilse Treudorf. Beide wohnen in der oberen Etage. Gerda Siebert führt den Haushalt, die andere ist berufstätig, Objektleiter einer Kaufhalle in Buch.« Er rückte am Knoten seines Binders, obwohl dieser einwandfrei saß. »Im Arbeitszimmer Max Treudorfs habe ich eine umfangreiche Korrespondenz gefunden. Offenbar war er ein Amateur-Entomologe. Ilse Treudorf wird auf ihrer Arbeitsstelle benachrichtigt. Ich habe jemanden hingeschickt.«

»In welchem Zustand befindet sich Frau Siebert?«

»Sie sitzt in der Küche und starrt an die Wand. Aber sie sagte vorhin, sie wäre für uns jederzeit zu sprechen, falls wir es wünschten. Wir sollten nur so lange warten«, Schröder hüstelte, »bis er aus dem Hause ist.«

Wrage trat durch die Tür vom Gewächshaus in die Diele. Die Männer waren gerade dabei, mit ihrer Last das Haus zu verlassen. Im Schlafzimmer rumorten die Kollegen von der Spurensicherung, und in der Diele zog sich der Fotograf den Mantel an und schulterte seine Tasche. Er nickte Wrage zu. »Die Bilder bekommen Sie morgen früh.« Er griff nach der Haustürklinke und fügte hinzu: »Und ich wollte mal ein Künstler werden.«

»Sie sind der Beste«, sagte Wrage.

Der Fotograf schnitt eine Grimasse und schlug die Tür hinter sich zu. Ein Schwall feuchtkalter Luft wehte durch die Diele.

Schröder drängte sich an Wrage vorbei und öffnete die Küchentür mit der Eleganz eines Hotelportiers. Im Grunde gab es an seinem Benehmen nichts auszusetzen. Er war zuvorkommend, korrekt, sprach artikuliert wie ein Schauspielschüler, steckte in einem tadellos gebügelten Anzug. Mit den Falten seiner Hosen hätte man Tomaten schneiden können. Immer sachlich und wenig beteiligt, aber mit einer tüchtigen Portion Besserwisserei. In den Monaten, die er mit dem sechsundzwanzigjährigen Schröder zusammenarbeitete, war nicht ein einziges privates Wort gefallen. Dabei war er von anderen Kollegen als aufgeschlossener und fröhlicher junger Mann beschrieben worden, und diesen Eindruck hatte er bei seiner persönlichen Vorstellung vor drei Monaten auch erweckt. Es hatte zwischen ihnen einen Händedruck »auf gute Zusammenarbeit« gegeben, der eine freudige Erwartung auslöste. Doch am ersten Arbeitstag erschien ein ganz anderer: ein Mann, der sich hinter seiner Korrektheit verschanzte wie hinter einem Schutzwall, steif, förmlich und humorlos, sichtlich bemüht, selbst den kleinsten Fehler zu vermeiden. Was mochte den Mann innerhalb weniger Wochen so verändert haben? Gewiss, Schröder war äußerst höflich, aber das erschien ihm, Wrage, als eine Höflichkeit, die zwischen Arroganz und schmeichlerischer Unterwürfigkeit pendelte.

In der Küche war das Licht angeschaltet, aber niemand hielt sich darin auf. Sie fanden die Schwester des Toten im Wohnzimmer. Sie saß in einem Sessel aus abgeschabtem Leder, die Hände vor dem Unterleib gefaltet, den Blick auf die Fenster gerichtet, hinter denen die blaugraue Dämmerung des Dezembernachmittags begann.

Schröder blieb neben der Tür stehen. Seine mittelgroße schlanke Gestalt mit den braunen Haaren und Augen schien mit dem dunklen Holz zu verschmelzen. Er verschwand geradezu. Wrage ging auf die Frau zu. »Frau Siebert, ich brauche Ihnen wohl nicht unser aufrichtiges Mitgefühl...«

Eine müde Geste.

»Es tut mir sehr leid«, fuhr Wrage fort, »dass ich Sie gerade zu dieser Stunde mit Fragen belästigen muss.«

Gerda Siebert blickte auf. Sie war korpulent, Anfang Fünfzig, das Gesicht aufgeschwemmt, großporig. Aber daraus blickten ein paar ungewöhnlich lebendige und klare braune Augen.

»Ich spüre keine Trauer, wenn Sie das meinen. Ich bin selber betroffen, von mir befremdet. In seinem Alter musste man damit rechnen. Sicher. Aber es kommt immer zu früh, egal, wie alt der Betreffende ist. In mir ist nichts als Leere. Das einzige, was mich berührt, ist die Tatsache des Endgültigen, Unwiederbringlichen - dass ich Max nie wieder sehen werde.« Sie blickte aufwärts von seinen schlammbespritzten Schuhen über die abgetragene Kordhose, den zerknitterten Parka, das karierte Hemd bis in sein Gesicht. Wrage war es gewohnt, dass nach dieser Musterung die Bemerkung kam: »So habe ich mir einen Kriminalbeamten gar nicht vorgestellt...« Als trügen alle Berufsgruppen unverwechselbare Merkmale mit sich herum. Auch Schröder wäre, trotz Anzug, weißem Hemd und geschmackvollem Binder, nicht als Kriminalist zu erkennen. Bei ihm würde 1man eher auf den Sekretär eines Ministers tippen. Wahrscheinlich auch nur eine Klischeevorstellung.

Die erwartete Frage wurde nicht gestellt.

»Was hat die Polizei am Totenbett meines Bruders zu schaffen? Ist so etwas üblich?«

»Es ist nicht üblich«, erwiderte Wrage.

»Wir sind von der MUK«, sagte Schröder laut.

Wrage brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er setzte sich in einen Sessel, legte die Hände auf die Knie, beugte sich vor. »Frau Siebert: Der Notarzt hat uns gegen vierzehn Uhr verständigt. Er hegt gewisse Bedenken hinsichtlich der Todesursache Ihres Herrn Bruders.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Bedenken in bezug auf eine natürliche Ursache«, fügte Wrage hinzu.

Die Frau öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Ton hervor. Sie starrte Wrage an, wagte anscheinend nicht zu begreifen, was er sagte.

»Es war die Pflicht des Arztes, sich mit uns in Verbindung zu setzen.« Wrage legte eine Pause ein. »Es besteht kein Zweifel, dass Ihr Bruder an Gift gestorben ist.«

Sie gab einen gurgelnden Laut von sich.

»Wir sind von der MUK, der Morduntersuchungskommission.« Wrage lehnte sich zurück.

»Ermordet?«

»Wie kommen Sie darauf?«

Sie suchte einen Augenblick nach Worten. »Unnatürliche Todesursache... Gift... welcher Gedanke läge näher?«

»Es könnte Selbstmord sein.«

»Max hatte keine Sorgen«, erwiderte die Frau abweisend. »Er kränkelte in diesem Jahr, aber deswegen bringt sich niemand um.«

»Vielleicht war es auch ein Unfall. Wir werden das untersuchen müssen.«

Gerda Siebert schlug die Hände vors Gesicht, schluchzte kurz und heftig auf. Als sie die Hände herunternahm, schien ihr Gesicht starr, verstört. »Tun Sie das, Herr Kommissar...«

»Leutnant Wrage.«

»Herr Leutnant. Aber jetzt bitte - keine Fragen. Ich bin, bin... Bitte, kommen Sie morgen wieder. Heute... bitte!« Ihre Augen begannen feucht zu schimmern.

Wrage gab Schröder einen Wink und erhob sich. Als sie in der Diele standen - Schröder nahm gerade seinen modischen graugesprenkelten Mantel vom Haken -, läutete es. Frau Siebert tauchte aus dem Wohnzimmer auf, schlurfte wie im Traum zur Haustür und öffnete. Herein trat ein älterer, kränklich aussehender Mann von kleiner Statur, auffallend schmächtig, mit ungesundem Teint. Er war gekleidet, als hätte er eine Polarexpedition vor sich, schälte sich umständlich aus Pelzmütze, Schal und Mantel, zog ein Jackett und eine Strickjacke aus, nestelte an den Knöpfen einer zweiten, während er mit der anderen Hand ein großes Schachbrett an die Flurgarderobe lehnte. Dann kämmte er sich vor dem Spiegel flüchtig die vollen melierten Haare, zog einen kleinen Holzkasten aus dem Einkaufsbeutel, klemmte das Schachbrett unter den Arm und drehte sich um.

Er nickte den beiden Männern zu und griff nach der Klinke zum Arbeitszimmer. Erst jetzt schien er den abwesenden Gesichtsausdruck Gerda Sieberts zu bemerken. Blickte zu den Kriminalisten. Runzelte die Stirn.

»Darf ich fragen, wer Sie sind?« Schröder griff in die Brusttasche nach seinem Dienstbuch.

»Mein Name ist Jens Hallstadt. Max wird sicherlich von mir erzählt haben«, erwiderte der Mann mit einer angenehmen tiefen Stimme. Wrage war verblüfft, dass dieser volltönende Bass in dem mageren Körper Platz fand. »Ist er im Arbeitszimmer?«

»Jens«, sagte Frau Siebert leise, »die Herren sind von der Kriminalpolizei.«

In Hallstadts Augen trat Erstaunen. »Warum? Hat Max etwa schon wieder...?«

»Max ist tot.«

Durch den Körper des Mannes schien ein Schlag zu fahren. Das Schachbrett rutschte ihm unter dem Arm hervor und knallte mit der Kante auf die Bodenfliesen. Das Kästchen entglitt seiner Hand und verstreute klappernd blaue und weiße Schachfiguren, die bis in die Ecken der Diele kollerten. Dann griff sich Hallstadt seufzend ans Herz und schlug der Länge nach zu Boden.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

»Ich möchte wissen, warum du dauernd auf Skorpion-Stichen und Spinnenbissen herumhackst«, bellte die Stimme am anderen Ende des Telefons.

»Weil der Tote eine umfangreiche Sammlung lebender Exemplare...«, erwiderte Wrage.

»Und wenn er sich nackend in seiner Menagerie gewälzt hätte!«, unterbrach ihn die Stimme. »Selbstmurmelnd sind wir noch nicht fertig, und ich teile dir nur auf deinen ausdrücklichen Wunsch unser vorläufiges Ergebnis mit. Doch ich bin der Überzeugung, dass sich an der Aussage prinzipiell nichts ändern wird. Wenn ich dir bereits am Telefon alles sage, wirst du meinen Bericht vermutlich dazu benutzen, ihn unter einen eurer wackligen Tische zu schieben.«

»Da kann ich dich beruhigen«, erwiderte Wrage, »wir klemmen ihn zwischen die Tür.«

Ein unzufriedener Schnaufer. »Die Befunde sind eindeutig, da gibt es keinen Zweifel. Es war Kantharidin, das innere Anhydrid einer einbasischen Säure mit der Summenformel C10, H12, O4. Farblose Kristalle, die in Wasser und Alkohol sehr schwer, in Äther, Chloroform und fetten Ölen leicht löslich sind. Und um deinem nächsten zweifellos dämlichen Einwand zuvorzukommen: Niemand wird sich eine Flasche mit Kantharidin vermischtem Äther vor den Kopf nehmen. Öl, Fett! Zum Beispiel saure Sahne! Und - in der Tat - wir haben von ihr Spuren gefunden.«

»Aha«, sagte Wrage und betrachtete die geröteten und juckenden Fingerkuppen seiner rechten Hand. Auf dem Zeigefinger saßen einige winzige Bläschen. Er hätte das Auswechseln der Säure seiner Autobatterie Fachleuten überlassen sollen. Selbst in die Hose hatte das Zeug kleine Löcher gefressen. »Du kannst also sagen, Doktor, dass Max Treudorf das Gift in der sauren Sahne bekommen hat?«

»Nimm es doch nicht so wörtlich, zum Henker! Bekanntlich mischt der Magen alles zu einem Speisebrei. Auf jeden Fall hat die Sahne das Kantharidin aufgelöst, gleich, ob dein Mann das Zeug vorher, nachher oder mit der Sahne vermischt bekommen hat. Von ihr wurde das Gift in den Blutkreislauf übergeführt und daher relativ wirksam. Betone: schnell.«

»Wann, glaubst du, hat er es bekommen?«

»Mit größter Wahrscheinlichkeit vier Tage vor seinem Tode, also am vergangenen Freitag, im Laufe des Tages.«

»Und da kannst du heute sagen, dass der Mann vorige Woche saure Sahne getrunken hat, nach fünf Tagen?«

»Das kannst du dir sicherlich nicht vorstellen, Leutnant, aber wir können noch eine Menge mehr nachweisen. Das Gift war nicht in Speiseöl, Butter oder Ölsardinen, sondern in saurer Sahne gelöst. Und zwar am Freitag, auch wenn er an den anderen Tagen ebenfalls das fette Zeug zu sich genommen hat. Offenbar eine Gewohnheit des Toten. Zeugt von einer bemerkenswerten Brutalität, jemanden mit diesem Gift ins Jenseits zu befördern. Äußerst hässliche und schmerzhafte Symptome. Der Notarzt hat recht mit der Annahme, dass es sich nicht um eines der üblichen Gifte handelt. Damit wurde in früheren Jahrhunderten im Hochadel nach Wunsch die Thron- und Erbschaftsfolge geregelt. Kantharidin wurde - wie alle Gifte - auch in der Medizin verwendet. Allerdings ist es in der heutigen Schulmedizin nicht mehr vorhanden. Wird nur noch in der Veterinärmedizin hier und dort angewandt. In der Humanmedizin seit Jahrzehnten obsolet.«

»Wenn du erwartest, dass ich bei Gesprächen mit dir ein Fremdwörterbuch bereit lege, bist du schief gewickelt.«

»Es ist veraltet, ungebräuchlich.«

»Sag es doch gleich.«

»Übrigens war es Bestandteil des sogenannten Schierlingsbechers, den Sokrates trinken musste - falls dir der Name etwas sagt.«

»Und ob«, gab Wrage zurück. »Das war der Erfinder der dummen Fragen, den Julius Cäsar neunzehnhundertacht auf das Ersatzrad einer Waschmaschine flechten ließ.«

Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Moment Ruhe, »Du hast ein gottloses Mundwerk, Wrage. - Was ist, kommst du Freitag zum Schachabend? Würde mich freuen, dich wieder über den Tisch ziehen zu dürfen.«

»Das möchte ich sehen, sprach der Blinde«, erwiderte Wrage und legte auf. Eine Weile kratzte er nachdenklich seine juckenden Fingerspitzen.

Vom Korridor ertönten Schritte. Schröder trat ins Büro, schloss entgegen seiner Gewohnheit energisch die Tür und setzte sich an seinen Schreibtisch. Legte den schmalen Hefter, den er wie eine Kostbarkeit unter dem Arm getragen hatte, vor sich auf die Schreibunterlage.

Wrage zweifelte keine Sekunde daran, dass der Heftrand genau im rechten Winkel zur Schreibtischkante lag. Überhaupt: Schröders Schreibtisch! Ein Glanzlicht in diesem nüchternen Büro. Stets war er aufgeräumt, als stünde am nächsten Tag der Urlaub bevor, die Unterlagen übereinander gestapelt, ohne dass irgendwo ein Aktendeckel oder auch nur ein Papierfetzen neugierig hervorblickte.

Mehrere Kugelschreiber standen, nach Größe sortiert, in einem Halter. Auf der linken Ecke befand sich ein Blumentopf mit einem prächtigen Weihnachtsstern. Selbstverständlich in Erde mit vorschriftsmäßigem Feuchtigkeitsgehalt. Schröder hatte bei seinem Einzug den Tisch aus eigenen Mitteln mit einer neuen Politur versehen. Auf ihr lag nicht ein Staubkorn. Es gab nur ein Telefon, doch Schröder achtete darauf, dass die Grenze zwischen den beiden mit der Stirnseite zusammengeschobenen Schreibtischen präzis durch die Mitte des Apparates verlief. Auf seiner Seite lag dicht daneben ein kleiner Notizblock, großzügig der gemeinsamen Nutzung preisgegeben.

Wrages Blick wanderte zurück auf den eigenen Schreibtisch: voller Zettel, unordentlicher Akten- und Hefterstöße, von Zigarettenaschehäufchen dekoriert, staubig. Ein Aschenbecher, auf dessen Entleerung Schröder achtete, eine schwarz geränderte Kaffeetasse. - Er fühlte sich plötzlich beschämt. Du bist die personifizierte Unordnung, pflegte Monika, seine Frau, zu sagen, aber ich liebe dich, du Schlamperich. Beneidenswert, wie Schröder Ordnung hielt, ohne dafür Zeit zu opfern, ohne dass es auffiel. Vielleicht bedurfte es dazu einer besonderen Begabung. Und dass der, der Ordnung hielt, nur zu faul zum Suchen wäre, war nichts als eine humorvolle Entschuldigung der eigenen Schwäche.  

»Ich hatte gerade Doktor Lesekin vom Gerichtsmedizinischen Institut an der Strippe. Es war Kantharidin, ein in früheren Jahrhunderten geschätzter Witwenmacher. Die Wirkung soll qualvoll sein. Treudorf hat es vermutlich vorigen Freitag bekommen.«

»Wie kann man an dieses Gift gelangen?«, fragte Schröder.

»Praktisch nicht. Es wird nicht produziert und befindet sich folglich auch nicht in den Apotheken. Vereinzelte Anwendung in der Tiermedizin.«

»Hm«, sagte Schröder. Er klappte den Hefter auf, den er mitgebracht hatte. »Ich habe Recherchen unternommen. Der Tote, Max Treudorf, ist der Justiz nicht unbekannt. Er wurde erst im Oktober dreiundachtzig aus der Haft entlassen. Verbüßte vier Jahre, wobei ihm sechs Monate erlassen wurden.«

«Ach! Weswegen?«

«Trunkenheit am Steuer - wobei es korrekterweise Trunkenheit am Lenkrad heißen müsste.«

»Diese Spitzfindigkeit ändert wohl kaum etwas am Tatbestand. Kommen Sie zu Stuhle, Mann!«

Schröder benetzte die Finger und blätterte.

»Können Sie das nicht unterlassen?«

»Was, bitte?«

»Müssen Sie sich jedes Mal Daumen und Zeigefinger abschlecken, bevor Sie eine Seite umlegen? Sie als personifizierte Korrektheit missachten elementare Regeln der Hygiene? Sehen Sie sich das an: Jedes Blatt bekommt krumme Ecken.«

»Das bedaure ich zutiefst, aber ich habe eine trockene Haut. Im Übrigen kann ich mir nicht vorstellen, dass diese meine - notwendige - Angewohnheit auf meine Mitmenschen auch nur annähernd so belästigend wirkt wie beispielsweise Tabaksqualm.«

Wrage gab einen knurrenden Laut von sich. Winkte.

»Max Treudorf verursachte am zwölften September neunundsiebzig in Berlin-Weißensee - genau gesagt: am Antonplatz - einen Verkehrsunfall mit Personenschaden. Er bog mit seinem Fahrzeug - Wartburg Tourist - am Broilerrestaurant rechts ein, geriet auf die Verkehrsinsel und überfuhr einen dort stehenden jungen Mann namens Peter Stiller. Er starb noch am Unfallort. Treudorf hatte zu diesem Zeitpunkt 2,6 Promille.«

»Das wäre ein Motiv«, murmelte Wrage.

»Ohne Fakten spekuliere ich nicht«, erwiderte Schröder würdevoll. »Max Treudorf war unverheiratet. Bis Oktober neunundsiebzig selbständiger Handwerksmeister. Betrieb mit drei Mitarbeitern eine Dreherei und Schlosserei in Buch. Gab im gleichen Monat, in dem er seine Haftstrafe antrat, das Gewerbe auf.«

»Wann wurde er entlassen?«

»Haben Sie nicht zugehört? Im Oktober vergangenen Jahres.«

»Dann hatte er noch ein Jahr bis zur Altersrente. Wovon lebte er in der Zeit?«

»Keine Ahnung. Jedenfalls ist er kein Arbeitsverhältnis eingegangen.«

»Also vom Eingemachten«, sagte Wrage.

»Außerdem war ich noch im Labor«, fuhr Schröder fort, zog einen Bogen aus dem Hefter und reichte ihn über den Schreibtisch. »Hier der Bericht. Nirgendwo im Haushalt wurden Spuren von Gift gefunden, auch nicht in Tassen, Flaschen, Glasern, auf dem Geschirr, im Tresor oder in Lebensmitteln.«

»Das schließt Selbstmord aus.«

»Sind Sie der Ansicht?«, fragte Schröder mit leisem Hohn in der Stimme. »Sie sagten soeben, dass Treudorf das Gift am Freitag vergangener Woche bekommen hat. Selbst in einem nachlässig geführten Haushalt wird man nach fünf Tagen das Geschirr abgespült haben. Und das schien mir ein ordentlicher Haushalt zu sein.«

»Daran habe ich jetzt nicht gedacht«, gab Wrage widerwillig zu. »Da können Sie mal sehen, wohin eine vorschnelle Schlussfolgerung führt.«

»Ich schließe Suizid aus anderen Gründen aus. Erstens wird ein Lebensmüder wohl kaum ein Gift wählen, das ihn auf qualvolle Weise umbringt...«  

»Angenommen, er kennt die Wirkung nicht«, wandte Wrage ein. Er zwang sich zur Ruhe. Nicht das, was Schröder sagte, sondern sein belehrender Tonfall begann ihn zu reizen.

»Das halte ich für ausgeschlossen. Wer sich ein dermaßen schwer zu beschaffenes Gift besorgt, ist über die Wirkung im Klaren.«

»Sie spekulieren ja!«

»Ich spekuliere nicht«, erwiderte Schröder zurechtweisend, »sondern wäge die Fakten ab. Warum musste es ausgerechnet Kantharidin sein? Ich, zum Beispiel, habe soeben erst aus Ihrem Munde erfahren, dass es solch ein Gift gibt. Schlussfolgerung: Der Mensch, der Treudorf das Gift gab, besaß die Möglichkeit, es sich zu beschaffen, und er wusste auch, wie es wirkt. Und dieser Mensch war nicht Treudorf selbst, denn der wäre an Schlaftabletten oder ähnliches leichter herangekommen. Zudem sind Selbstmörder gewöhnlich keine Selbstquäler.«

»Da ist was dran«, sagte Wrage.

»Auf diesen Stand der Erkenntnis gelangt, stellte sich als nächstes die Frage, wer von Treudorfs Ableben profitiert. Ich sprach zuerst bei Staatsanwalt Doktor Keil vor und setzte mich anschließend mit dem Notariat ins Benehmen. Dort hatte Max Treudorf sein Testament hinterlegt.«

»Woher wussten Sie das?«

Schröder lächelte schwach. Verächtlich, wie es Wrage schien. »Nachdem gestern dieser Jens Hallstadt vor unseren Augen ohnmächtig wurde, Sie ihm den Kragen geöffnet, Luft zugefächelt und anschließend die Schachfiguren eingesammelt hatten...«

»Sehr schöne Figuren«, warf Wrage ein, »eine chinesische Fayence, blau und weiß, keine Symbolik, sondern plastische Gestaltung... Unter Brüdern mindestens dreitausend wert. Nicht auszudenken, wenn jemand rauf getreten wäre...«

»Sie haben sie mit glänzenden Augen wie hypnotisiert zwischen den Fingern gedreht, während wir auf den Arzt warteten. Sie waren völlig abwesend und haben vermutlich nicht bemerkt, dass ich Frau Siebert nach einem Testament befragte. Möchten Sie nun hören, welche Verfügungen der Tote getroffen hat? Lässt nämlich tief blicken.«

Wrage machte eine Handbewegung.

Schröder zog einen zweiten Bogen aus dem Hefter. »Eine Lichtkopie, selbstverständlich beglaubigt...«

»Selbstverständlich«, zischte Wrage.

»Das Testament stammt vom einundzwanzigsten August dieses Jahres. Es löst ein zehn Jahre älteres ab. Der Text ist gleich: Fünfzehntausend Mark gehen an den Neffen Wolfgang Siebert, der Rest des Barvermögens und der Anteil am Haus zu gleichen Teilen an Treudorfs Schwestern Gerda Siebert und Ilse Treudorf. Der Unterschied besteht in einer zusätzlichen Klausel.« Er reichte Wrage das Schriftstück mit bedeutungsvoller Miene.

In einer ungelenken, aber lesbaren Handschrift stand als Schlusssatz: »Für den Fall, dass mein Tod auf unnatürliche Weise erfolgt (außer Verkehrsunfall), bestimme ich den Staat zu meinem alleinigen Erben.«

Wrage ließ das Blatt sinken. Nach Kenntnis dieser Zeilen konnte sich Schröder natürlich leicht in die Brust werfen und Selbstmord ausschließen.

»Da schlag einer lang hin«, sagte er.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Gerda Siebert führte sie die Treppe hinauf in die obere Etage. Dort öffnete sie eine der Türen im Korridor, und sie traten in ein mit ältlichen Möbeln vollgestopftes, doch gemütliches Zimmer. Sie setzte sich an den Ofen, zog fröstelnd die Schultern hoch, blickte die Kriminalisten nervös an und knetete die Hände vor dem Unterleib. Noch bevor Wrage Platz genommen hatte, öffnete sie den Mund und stieß hastig, sich überschlagend, dass es sich wie Schnarren anhörte, hervor: »Ich habe mir durch den Kopf gehen lassen, was Sie gestern sagten. Ich kann mir nicht erklären, wer Max in unserem Hause vergiftet haben soll! Er hat ja seit Monaten keinen Happen mehr gegessen, den ich zubereitet habe. Er rührte nicht einmal Kaffee an, nicht mal ein Glas Wasser.«

»Wie hat er sich denn ernährt?«

In der Frau arbeitete es. Ein wenig ruhiger, aber voller Groll: »Max zog es vor, sein Mittagessen im Restaurant einzunehmen. Was er zum Frühstück brauchte, kaufte er selbst und stellte es in den Tresor in seinem Arbeitszimmer. Nach all den Jahren«, fügte sie bitter hinzu, »die ich ihm den Haushalt geführt, für ihn gekocht, geschrubbt, gewaschen und mich geschunden habe! Und nun das!«

»Wie war er denn früher?»