Kater Anton und das Weihnachtsglück - Angela Troni - E-Book
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Kater Anton und das Weihnachtsglück E-Book

Angela Troni

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Beschreibung

Wie ein kleiner Kater im winterlichen Dijon eine
Honigkuchen-Bäckerei rettet


Kater Anton reist nicht gerne, aber er freut sich auf das winterliche Dijon, wo seine Besitzerin Ella mit ihrem neuen Freund Xavier die Weihnachtsferien verbringen möchte. Sie wohnen ganz romantisch im hübschen Fachwerkhäuschen von Madame Bernard, die im Erdgeschoss eine Honigkuchenbäckerei betreibt, und genießen ihr Glück. Doch dann taucht der Anwalt Fréderic Burgoin auf, der den Laden für einen Großkunden aufkaufen soll, und bedroht die alte Dame. Zwei Tage später ist sie spurlos verschwunden – und mit ihr das uralte Familienrezept. Ella und Xavier wollen die Bäckerei retten. Nur wie? Da tritt Kater Anton auf den Plan ...

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Buch

Kater Anton reist nicht gerne, aber er freut sich auf das winterliche Dijon, wo seine Besitzerin Ella mit ihrem neuen Freund Xavier die Weihnachtsferien verbringen möchte. Sie wohnen ganz romantisch im hübschen Fachwerkhäuschen von Madame Bernard, die im Erdgeschoss eine Honigkuchenbäckerei betreibt, und genießen ihr Glück. Doch dann taucht der Anwalt Frédéric Burgoin auf, der den Laden für einen Großkunden aufkaufen soll, und bedroht die alte Dame. Einige Tage später ist sie spurlos verschwunden – und mit ihr das uralte Familienrezept. Ella und Xavier wollen die Bäckerei retten. Nur wie? Da tritt Kater Anton auf den Plan …

Autorin

Die Autorin, Lektorin und Ghostwriterin Angela Troni hat sich sowohl im Sachbuch als auch in der Belletristik etabliert. Zu ihren Erfolgen gehören die Romane »Risotto mit Otto« und »Spaghetti in flagranti« sowie ihre Katzenbücher um Kater Flo und das Sachbuch »Am Ende des Kreisverkehrs links abbiegen«, das kuriose Fahrschulanekdoten versammelt. Die Autorin hat siebzehn Jahre lang mit ihrem Kater Jarvis zahlreiche Abenteuer erlebt, die sie zu ihren Katzengeschichten inspirieren.

Angela Troni

Kater Anton und das Weihnachtsglück

Roman

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1. Auflage

Copyright © 2016 by

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagfoto: © Gettyimages/DigitalVision Vectors/friztin

Gettyimages/Photodisc/Life On White

Redaktion: Friederike Arnold

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-18092-8V001

www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Für Jarvis, die alte Socke

1

Den Blick fest auf seine Beute geheftet kauerte Kater Anton auf dem Bauch im Schnee und wartete auf den richtigen Moment. Die dicken Flocken, die wie an einer unsichtbaren Schnur vom Himmel fielen, kitzelten ihn nicht wie sonst an den Ohren und der Nasenspitze, so konzentriert war er.

Da! Seine Schwanzspitze zuckte, als der orangerote Leckerbissen wenige Zentimeter unter ihm vorbeischoss. Doch nur eine Sekunde später war er auch schon wieder verschwunden. Zu spät.

Der Kater veränderte seine Position, schob sich ein Stück nach vorne bis ganz an den Rand und duckte sich ins Schilf, die Augen zu Schlitzen verengt. Nur nichts überstürzen und bloß keinen Fehler machen, sonst musste er die vielversprechende Beute in seinen Träumen verspeisen.

Wie war das noch? Alles kommt zu dem von selbst, der warten kann.

Oh ja, Geduld ist eine Kunst, die kaum ein Lebewesen so gut beherrscht wie eine Katze. Menschen haben auf dem Gebiet eher wenig bis gar kein Talent, deshalb gewinnen Katzen auch jede Geduldsprobe und können sie hervorragend erziehen. Bettelnde Blicke zum Beispiel halten die meisten Zweibeiner nur schwer aus, schon gar nicht in Verbindung mit Schnurren, und anhaltendes Gemaunze um Viertel vor sechs morgens ertragen sie überhaupt nicht (dabei ist das schon spät). Genauso wenig wie kratzige Katzenzungen an der Fußsohle oder zärtliche Bisse in den großen Zeh. Das ist sozusagen wissenschaftlich erwiesen – in zahlreichen Studien am lebenden Objekt. Gegen einen ausgebufften Vierbeiner hat der Mensch keine Chance, und diesen Vorteil versteht jede Hauskatze für sich zu nutzen, vor allem wenn sie Hunger hat.

Da, wieder einer! Die Pupillen des Katers wurden groß, seine Augen waren nun schwarz und nicht mehr bernsteingelb, als er zum Sprung ansetzte und in einem perfekten Bogen aus seinem Versteck segelte. Statt seine Beute zu erwischen, landete er unsanft auf etwas Hartem, Nassem. Er versuchte, die Pfoten wieder unter Kontrolle zu bekommen, die in alle Himmelsrichtungen davonschlitterten, während ihn sein Hinterteil rechts überholte und er mit ganzer Wucht gegen den Steinfrosch prallte, aus dessen Maul im Sommer ein Wasserstrahl plätscherte. Empört versetzte Anton dem Ding einen Tatzenhieb, während der Goldfisch unter ihm unbeeindruckt weiter seine Bahnen zog.

Im Zickzack verfolgte der Kater den Fisch quer über den Gartenteich, wobei er immer wieder mit den Vorderpfoten auf der Eisfläche herumtrommelte. Er rutschte aus, landete auf der Nase und schüttelte die Schneekristalle aus dem Fell, um sofort wieder in Lauerstellung zu gehen. So schnell gab er nicht auf. Erneut passte er den richtigen Moment ab, setzte zum Sprung an und driftete gut eine Katzenlänge an seiner Beute vorbei. Immer wieder angelte er mit der Pfote nach dem Fisch, erwischte aber nichts als nassen Schnee. Der folgende Angriff war schon nicht mehr ganz so ungestüm, dennoch glitt Anton wie auf Kufen über die Eisfläche und drehte sich dabei einmal um die eigene Achse. Als er zurückrennen wollte, fanden seine Krallen nur schwer Halt, und der Versuch scheiterte kläglich, ebenso wie der nächste und der übernächste.

Mittlerweile war er pitschnass und fror. Der Schneefall war in Eisregen übergegangen, der unangenehm stach. Anton warf einen Blick zum Himmel und kniff die Augen zusammen. Winter – wer den Quatsch erfunden hatte, gehörte mit kaltem Wasser aus dem Gartenschlauch abgespritzt. So wie es Ella immer mit ihm machte, wenn er im Erdbeerbeet oder unter den Rosensträuchern nach Mäusen grub.

Ella. Sie war sein Lieblingsmensch, jedenfalls meistens, und seine Besitzerin. Sie war echt in Ordnung, von der Gartenschlauchnummer mal abgesehen. Ella konnte einen bei Bedarf ganz wunderbar hinter den Ohren kraulen und respektierte, dass er kein Schmusekater für die Couch war, sondern ein Alleingänger und Abenteurer. Genau genommen konnte einen niemand so gut hinter den Ohren kraulen wie Ella. Zielsicher fand sie jedes Mal die juckende Stelle und schubberte ihn dann ordentlich durch. Außerdem war sie mehr als großzügig, was das Füttern anging. Antons Napf war immer sehr gut gefüllt, an Essen mangelte es ihm ganz sicher nicht.

Apropos Essen … Was sprach eigentlich gegen eine spontane Planänderung in Sachen Nahrungsbeschaffung? Jagdtrieb hin oder her – wieso sollte er sich mit einem mageren Goldfisch abmühen, wenn in der Küche eine gedeckte Tafel wartete? Anton überlegte kurz und beschloss, seine schlechte Laune gegen eine Dose Thunfisch zu tauschen. Das hatte bisher noch jedes Mal funktioniert.

Der Kater schüttelte die nassen Hinterpfoten, um die Schneereste loszuwerden, die daran hafteten, und trat hocherhobenen Hauptes den Rückzug an. Er warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf den Gartenteich. Na gut, dachte er bei sich, heute hast du noch mal Glück gehabt, du kleiner Scheißer. Aber sobald es taut, bist du dran.

Mit in die Höhe gerecktem Schwanz trabte er auf das Haus zu. Es war ohnehin Zeit für einen Küchenrundgang inklusive Futternapfkontrolle, sagte seine innere Uhr. Außerdem machte Goldfische angeln hungrig. Wie fast alles hungrig machte.

Wenn er Glück hatte, war Ella inzwischen nach Hause gekommen und hatte für sein leibliches Wohl gesorgt. Sicher sein konnte er sich allerdings nicht. So toll und zuverlässig sie sonst war, an diesem Punkt biss er sich schier die Reißzähne an ihr aus. Seit geschlagenen eineinhalb Jahren versuchte er ihr nun schon beizubringen, dass die Befüllung seines Napfes das Erste war, was sie nach Betreten der Wohnung zu erledigen hatte – vergeblich.

Dabei waren Menschen sonst gar nicht so schwer von Kapee. Komisch. Entweder war Ella, was das anging, eine unrühmliche Ausnahme, oder Anton hatte mit seinen achtzehn Monaten noch nicht genügend Übung. Selbst durch die ausgebufftesten Katzentricks ließ sie sich einfach nicht davon abbringen, sich erst in aller Ruhe umzuziehen, zur Toilette zu gehen und Teewasser aufzusetzen. Anton hatte sogar schon den Wasserkocher außer Gefecht gesetzt, alles ohne Erfolg. Einen Tag später hatte ein neuer in der Küche gestanden, der zu seinem Entsetzen noch lauter fauchte als der alte.

Was sollte er machen? Gutes Personal war rar, da durfte man wegen derlei Kleinigkeiten nicht meckern, und alles in allem war Ella wirklich nicht übel.

Trotzdem musste er bei Gelegenheit mal Lizzy von schräg obendrüber fragen, wie sie das anstellte. Ein Blick aus ihren hübschen Siamkatzenaugen genügte, und Oma Gerda war Wachs in ihren Tatzen. Antons Freundin, immerhin schon fünfzehn und in Sachen Zweibeinererziehung mit allen Wassern gewaschen, hatte die Rentnerin voll im Griff. Lizzy bekam alles, was sie wollte. Sie hatte sich nicht nur mitten auf dem Balkontisch einen 1-A-Beobachtungsposten mit Katzenkörbchen einrichten lassen, sondern auch einen festen Platz bei Oma Gerda im Bett. Das hieß, die alte Dame durfte sich nachts an die Bettkante drücken, während Lizzy mit ihren gerade mal vierzig Zentimetern Rückenlänge den Rest der eins vierzig breiten Matratze einnahm. Gewusst wie!

Von derlei paradiesischen Zuständen konnte Anton nur träumen. Ein freundliches, aber bestimmtes »Raus mit dir, Kumpel!« bekam der Kater jedes Mal zu hören, sobald er sich auch nur Ellas gemütlichem Boxspringbett näherte. Er war zwar kein Schmusekater, aber ein Kostverächter in Sachen bequemes Schlafen war er auch nicht. Abschrecken ließ er sich daher selbstverständlich nicht, sondern startete regelmäßig neue Versuche, wobei er sich ganz auf seinen Vorteil in Sachen Geduld verließ.

Manchmal hatte er Glück, und Ella vergaß, die Schlafzimmertür zuzumachen, wenn sie morgens zur Arbeit ging. Dann horchte der Kater, bis die Haustür ins Schloss gefallen war, und stolzierte wie Wilhelm der Eroberer in das verbotene Reich. Durch das Loch zwischen zwei Knöpfen zwängte er sich in den Bettbezug, wobei er schon mal den einen oder anderen Knopf abriss. Nun ja, ein bisschen Schwund ist bekanntlich immer. Er kringelte sich auf der Daunendecke zusammen, legte den Kopf auf die Schwanzspitze und schlummerte selig. Nirgendwo schlief man besser als auf Antonia Premium Superlight.

Vor der Balkontür überlegte Anton kurz, ob er Oma Gerda und Lizzy noch schnell einen Besuch abstatten sollte, und wollte schon zum Vordereingang laufen. Aber dann schlüpfte er doch durch die Katzenklappe in der Balkontür ins Warme und stapfte auf nassen Pfoten schnurstracks in die Küche, wobei er eine Spur aus Pfützen auf dem Wohnzimmerparkett hinterließ. Er wollte gerade die Küchentür mit der Vorderpfote aufziehen, da erstarrte er.

Heiliger Hundehaufen! Gleich neben dem Eingang stand die grün-graue Transportbox, die er nur zu gut kannte und vor der er mindestens so viel Angst hatte wie vor Riesenschnauzern. Und vor denen hatte er richtig Muffe. Die Box stank nicht nur widerlich nach Plastik und Keller, sondern sie bedeutete vor allem eines:

Tierarztalarm!

Dieses Ding betrat er nicht mehr freiwillig, das hatte Anton sich nach dem letzten Besuch bei Dr. Windisch geschworen, da konnte Ella noch so viele Leckerlis reinstreuen und mit ihrer Säuselstimme auf ihn einreden. Er war schließlich nicht blöd, auf den Trick fiel er nicht mehr herein. Beim letzten Mal hatte sie ihm sonst was versprochen, und was hatte er bekommen? Einen Biss in den Po, der selbst einen Tag später noch geschmerzt hatte. »Dringend nötige Impfung«, hatte Ella das genannt, was die Sache keinen Deut besser machte. Nee, nee, nicht mit ihm.

Anton spitzte die Ohren und hörte Ella im Bad hantieren. Als er sah, wie sich die Türklinke nach unten bewegte, bekam er Panik. Abrupt fuhr er herum, hechtete mit eingeklemmtem Schwanz hinter den Schuhschrank und lauschte auf Ellas Schritte, die sich Richtung Küche entfernten. Puh, sie hatte ihn offenbar nicht bemerkt.

Der Futternapf war mit einem Mal nebensächlich, nun ging es darum, sich nicht erwischen zu lassen. Schlimm genug, dass er den Goldfisch vergeblich gejagt hatte und noch dazu pitschnass geworden war, da konnte er den Kerl, bei dem es jedes Mal nach Hund und Medizin stank, mit seinem Pikseisen nicht auch noch gebrauchen.

Wäre er doch bloß gleich zu Oma Gerda und Lizzy gelaufen! Obwohl – bei der spendablen Nachbarin war er nicht sicher. Zwar würde er dann garantiert einen (vermutlich eher zwei oder drei) seiner heiß geliebten Cat Sticks mit Kabeljau abstauben, aber dort würde Ella ihn früher oder später suchen. Sie wusste von seiner Schwäche für Lizzy, die er mindestens so gern mochte wie die Sticks.

Anton hatte im Spätsommer für zehn Tage bei den beiden gewohnt, als Ella für ihre Firma in Frankreich gewesen war. Seitdem hielt Oma Gerda stets eine Leckerei für ihn bereit, weshalb der Kater so gut wie bei jedem Reviergang auf ein Häppchen im ersten Stock vorbeischaute. Nicht dass es bei Ella wenig gäbe, aber es ging nun mal nichts über die eine oder andere Zwischenmahlzeit.

Dass Oma Gerda ihm dabei jedes Mal mit der flachen Hand auf dem Kopf herumpatschte, was er gar nicht leiden konnte, nahm er billigend in Kauf. Er konnte die Ohren noch so sehr zur Seite klappen, die Haare aufstellen und finster gucken, sie kapierte es einfach nicht. Einmal hatte er ihr einen Hieb mit der Vordertatze verpasst, da war sie ganz schön erschrocken. Der Kratzer hatte sogar geblutet. Zum Glück war Oma Gerda nicht allzu sauer gewesen.

Nun gut, einen Tod muss man bekanntlich sterben – und bevor er sich in die Transportkiste setzte, ließ er sich lieber von einer Rentnerin den Schädel eindellen. Dennoch: Oben bei den beiden würde er garantiert auffliegen, und das durfte er nicht riskieren.

Normalerweise ging Anton ein voller Magen über alles, wenn man allerdings Leib und Leben schützen will, muss man Prioritäten setzen. Es gab lediglich einen Ort, an dem er sicher war, weil Ella ihn mied wie die Pest. Nicht dass er sich dort sonderlich gerne aufhielt, aber in der Not …

Der Kater lugte hinter dem Schuhschrank hervor, und als die Luft rein war, flitzte er durch den Flur. Mit Anlauf sprang er durch die Katzenklappe und trollte sich mit knurrendem Magen.

»Kuschelsocken, Pflaster, Nagelfeile, Ersatzstrumpfhose, Aspirin«, murmelte Ella vor sich hin und hakte die einzelnen Posten auf ihrer Liste ab. »Ach je!«, sagte sie, lief vom Schlafzimmer in die Küche und wäre dabei fast über den Katzenschlafkorb gestolpert, den sie vergangenen Abend noch neben der Transportbox im Flur deponiert hatte, damit sie ihn nicht vergaß.

Im Vorbeigehen fiel ihr auf, dass der Korb unbenutzt war. Anton hatte die Nacht über also nicht drinnen geschlafen, was sehr ungewöhnlich war. So gerne er den ganzen Tag draußen herumstromerte, nachts mochte er es warm und weich. Seltsam, dachte sie, wo er wohl steckt?

Vorm Herd blieb sie stehen und sah sich um. Links der Esstisch, auf dem in der Obstschale zwei braune Bananen ihr trauriges Dasein fristeten, auf der Fensterbank die frischen Kräuter, rechts die Küchenzeile mit den drei Espressokannen in verschiedenen Größen und den Joghurtgläsern, in denen sie Hülsenfrüchte, Kakao, Reis und Zucker aufbewahrte. Ihr Blick blieb an der Etagere zwischen Cerankochfeld und Spüle hängen mit den Essig- und Ölflaschen darauf. Was hatte sie noch mal holen wollen?

Ella starrte das Etikett des Himbeeressigs an, als wollte sie es auswendig lernen, doch ihr Hirn streikte. Es war etwas Wichtiges gewesen. Nur was? Hektisch zog sie die Schubladen auf, während sie ihre Gehirnwindungen durchforstete, doch es wollte ihr nicht einfallen.

»Himmel, ich werd senil«, murmelte sie, »und Selbstgespräche führe ich auch …«

Nachdem sie ein paar Minuten vergeblich weitergekramt hatte, ging sie ins Schlafzimmer zurück, und zwar genau an die Stelle, wo sie vorher gestanden hatte. Meist fiel einem dann wieder ein, was man wollte.

»Die Tabletten!«, rief sie, kaum dass sie einen Fuß auf den flauschigen Teppichboden gesetzt hatte, und machte auf dem Absatz kehrt. »Schilddrüsentabletten, Schilddrüsentabletten, Schilddrüsentabletten«, murmelte sie, bis sie in der Küche die Schublade aufgezogen hatte und die Schachtel in der Hand hielt.

Wenn mich jetzt einer sehen könnte, dachte sie und steckte den Blister in den Kulturbeutel, der neben dem noch offenen, aber fertig gepackten Koffer auf dem Bett stand.

»Also noch mal von vorne: Kuschelsocken, Pflaster, Nagelfeile, Ersatzstrumpfhose, Aspirin, Wattestäbchen, Kontaktlinsenmittel, Brille, Katzenfutter … Was soll’s, in Dijon gibt es bekanntlich auch Supermärkte«, verspottete sie sich selbst, weil sie das ungute Gefühl nicht loswurde, etwas Wichtiges vergessen zu haben, das nicht auf der Liste stand. Egal, was es war, sie würde es vor Ort kaufen können, abgesehen von Antons Lieblingsfutter vielleicht, von dem sie vorsichtshalber gleich drei Stiegen eingekauft hatte: Atlantikthunfisch, Pazifikthunfisch, Thunfisch und Jungsardellen – Thunfisch in allen Variationen, sogar mit Huhn und Käse. Von den Dosen mit Sardellen hatte sie gleich ein paar mehr besorgt, weil Anton sie so gerne mochte.

Apropos Anton – wo steckte der Kerl überhaupt? Ella ging zurück in die Küche, wo der gefüllte Napf vom Vorabend unangetastet stand. Die Fischstückchen hatten einen dunkelbraunen Rand, die Soße war eingetrocknet, und es roch unangenehm. Seltsam, das war ihr vorhin gar nicht aufgefallen. Sie entsorgte den Inhalt des Napfs im Mülleimer und füllte ihn neu. Dabei überlegte sie, wann sie den Kater zum letzten Mal gesehen hatte. Gestern Morgen, bevor sie zur Arbeit gegangen war?

»Anton?«, rief sie und dann lauter: »Aaantooon!«

Keine Reaktion.

Nachdem sie all seine bevorzugten Verstecke inklusive dem Spalt hinter dem Schuhschrank abgesucht hatte, in den er sich manchmal wie ein Aal quetschte, war sie ratlos. Normalerweise strich ihr der Kater morgens um die Beine, sobald sie auch nur einen Fuß aus dem Schlafzimmer setzte. Was er davon hielt, dass sie erst zur Toilette ging, statt auf direktem Weg in die Küche, war selbst für die Nachbarn nicht zu überhören. Vor lauter Packerei und Vorfreude auf die Reise war ihr nicht aufgefallen, dass das Protestgeschrei diesmal ausgeblieben war.

Ella nahm die Schachtel mit Trockenfutter aus dem Schrank und schüttelte sie. Mit Futter war der Kater nämlich immer zu bestechen, selbst in Notlagen. Er war zwar verfressener als Garfield und das Krümelmonster zusammen, aber zugleich sehr wählerisch. Wenn ihm auch nur die kleinste Kleinigkeit nicht passte, etwa wenn das Futter zu lange in der Wärme gestanden hatte oder kalt aus dem Kühlschrank kam, trat er in den Streik. Dann stolzierte er mit gerümpfter Nase aus der Küche, ohne den sonst so geliebten Thunfisch anzurühren, nachdem er mit Todesverachtung daran gerochen hatte, und ließ sich für die nächsten Stunden nicht mehr blicken. Ella vermutete, dass er zu ihrer Nachbarin Gerda Schürer in den ersten Stock hochschlich und sich dort den Bauch vollschlug. Sie wusste, dass die Rentnerin den Kater ins Herz geschlossen hatte und ihn ebenso sehr verwöhnte wie ihre geliebte Lizzy.

Da fiel ihr ein, dass sie die alte Dame sowieso noch bitten wollte, ihren Briefkasten zu leeren. Dabei konnte sie auch gleich fragen, ob Frau Schürer Anton gesehen hatte. Aber erst wollte sie fertig packen, sonst verzettelte sie sich noch ganz.

Ella schloss den Koffer, hievte ihn vom Bett und war froh, dass er Rollen hatte, denn sie hätte ihn unmöglich bis zum Auto tragen können. Sie fragte sich ohnehin, wie das ganze Gepäck in den kleinen Citroën passen sollte. Neben zwei Kisten Wein für Xaviers Chef Monsieur Giroud nahm vor allem das Weihnachtsgeschenk für Xavier mehr Platz ein als gedacht, nicht zu vergessen das komplette Equipment für den Kater. Anton kam in seiner Transportbox auf den Beifahrersitz, doch trotz der umgeklappten Rückbank drohte der Platz knapp zu werden. Der C1 war eben ein Stadtflitzer und nicht für größere Reisen gedacht. Das Navi hatte sie vorsorglich bereits am Vorabend programmiert. Sechs Stunden und vierundzwanzig Minuten Fahrtzeit zeigte es für die sechshundertsiebenundachtzig Kilometer von München nach Dijon an. Hoffentlich überstand der Kater die lange Fahrt gut. Ella wusste, dass er Autofahren nicht sonderlich mochte, nicht nur weil er dann jedes Mal dachte, es ginge zum Tierarzt.

Ob sie Anton doch besser bei Frau Schürer und Lizzy lassen sollte? Obwohl – eigentlich hatte sie sich bewusst dagegen entschieden, und Xavier hatte extra eine Unterkunft gebucht, in der Haustiere erlaubt waren.

Das Telefon klingelte, und Ella rannte dreimal durch die Wohnung, bis sie es endlich unter der Laptoptasche im Flur fand. Sie hatte es extra dorthin gelegt, zusammen mit dem Ladekabel und ihrem Fotoapparat, schließlich kannte sie sich und ihre Vergesslichkeit.

»He, war das Gedankenübertragung?«, sagte sie, da sie die Nummer sofort erkannt hatte.

»Wieso?«, fragte Xavier überrascht und schob noch schnell »Ma puce, ça va?« hinterher, seine Standardbegrüßung.

»Du sollst mich nicht immer Floh nennen!«, grummelte Ella und lief hektisch durch die Wohnung, um die verstreuten Strümpfe einzusammeln, die sie am Morgen auf die Heizkörper verteilt hatte, damit sie noch rechtzeitig trockneten. Sie hatte völlig vergessen, sie einzupacken, und musste jetzt den schweren Koffer noch mal aufmachen.

»Wieso nicht? Du bist doch ein süßer Floh. Total süß. Finde ich jedenfalls.« Xaviers Grinsen war förmlich zu hören. Er war tiefenentspannt und in Plauderlaune – ganz im Gegensatz zu ihr. »Wie weit bist du? Fährst du bald los? Ich vermisse dich und halte es nicht mehr lange ohne dich aus.«

»Drück mir mal die Daumen, dass ich überhaupt loskomme. Seit gestern Abend schneit es wie irre, und hier herrscht das totale Verkehrschaos. Irgendwie hat keiner damit gerechnet, Anfang Dezember ist es doch sonst nicht so kalt, und vorgestern waren hier noch vierzehn Grad. Bei Schnee und Eis bin ich unsicherer als ein Schüler in der dritten Fahrstunde«, scherzte sie, wobei ein Körnchen Wahrheit in der Aussage steckte. »Vielleicht sollte ich Anton ans Steuer lassen, damit wir sicher ankommen.«

»Gute Idee, schließlich ist er ein Mann«, sagte Xavier und fügte, um Ellas Protest im Keim zu ersticken, schnell hinzu: »Wie geht’s überhaupt meinem petit ami?«

Ella hatte die Socken eingesammelt und ließ sie aufs Bett fallen. »Deinen Kumpel habe ich heute noch gar nicht gesehen. Hoffentlich ist er nicht wieder auf Reviereroberungsfeldzug, so wie neulich, und kommt mit einem abgebissenen Ohr nach Hause. Dann müssen wir nämlich einen Umweg über den Tierarzt machen, und der Gute wird so beleidigt sein, dass er noch bei unserer Ankunft guckt, als hätte er gerade Schnutensuppe gegessen.«

»Deine Katze isst Suppe?« Xavier hätte nicht entsetzter klingen können, wenn sie ihm gerade mitgeteilt hätte, dass sie doch nicht kommt.

»Nein.« Ella schmunzelte. »Das sagt man nur so.«

Sie klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und versuchte, den schweren Koffer wieder aufs Bett zu bugsieren, ohne sich dabei einen Halswirbel auszurenken, was unmöglich war. Sie entschied sich für ihren Hals, das Telefon fiel herunter und rutschte unters Bett. Fluchend kniete Ella sich hin und angelte nach dem Handy, aus dem Xaviers besorgte Stimme drang.

»Sorry, ich übe mich gerade im Telefonweitwurf«, sagte sie.

Xavier lachte. »Schon okay, aber bitte warne mich beim nächsten Mal vor, mein Trommelfell übersteht nicht noch so eine Attacke.« Seine Stimme wurde eine Oktave tiefer. »Und um Anton mach dir keine Sorgen, der kleine Kerl kann schon auf sich aufpassen. Sicher hat er sich bloß versteckt.«

Sie seufzte. »Du hast recht. Wenn das so weitergeht, entwickele ich mich noch zur Helikopterkatzenmutti und lasse ihm einen Chip einpflanzen, damit ich ihn auf Schritt und Tritt überwachen kann.«

»Super Idee, das gibt’s bestimmt schon als App. Jedenfalls freue ich mich schon riesig drauf, dich bald wieder in den Arm zu nehmen und dich auf deine süße Nasenspitze zu küssen«. Xavier lachte frech. »Fahr vorsichtig und bring mir meinen Kumpel heil mit, ma puce.«

»Du sollst mich nicht immer …« Weiter kam Ella nicht, denn Xavier hatte bereits aufgelegt.

Wie schön, dass er ihren eigenwilligen Kater genauso sehr mochte wie sie. Ella könnte nie mit einem Mann zusammen sein, der nicht tierlieb war oder den Anton ablehnte, was man dem Kater sofort anmerkte. Deshalb war es ihr auch so wichtig, dass die beiden sich ausgiebig beschnupperten, ehe sie diese wichtige Entscheidung traf, die nicht nur ihr, sondern auch Antons Leben auf den Kopf stellen würde.

Gerade hatte Ella die Socken zwischen die sorgfältig gefaltete Wäsche gestopft und den Reißverschluss des Koffers mit Mühe zugezogen, als ihr Handy ein Hupen von sich gab – eine SMS von ihrer besten Freundin. Isabel, von allen nur Isi genannt, war der einzige Mensch in Ellas Umfeld, der sich WhatsApp kategorisch verweigerte. »Und wenn ich eines Tages einsam sterben werde, die kriegen meine Daten nicht«, sagte sie immer.

Na, schon gepackt? Gute Reise und toi, toi, toi. Meinen Segen hast du, auch wenn ich dich jetzt schon vermisse!Isi

Sofort wurde Ella warm ums Herz. Auch sie würde ihre beste Freundin schmerzlich vermissen, genauso wie die anderen Kollegen und die Mädels aus ihrer Yogagruppe, ihren Lieblingsitaliener in Haidhausen, bei dem es die beste Holzofenpizza gab, die sie je gegessen hatte, und überhaupt München. Wenn Xavier und sie die knapp vier Wochen Bewährungsprobe bis Silvester gut überstanden, würde sie es wagen und zu ihm nach Frankreich ziehen. Würde die geliebten bayerischen Alpen gegen das Schwarze Gebirge eintauschen, die Isar gegen die Saône und das hektische Großstadtleben gegen beschauliche Kleinstadtidylle. Einige ihrer Freundinnen hatten sie für verrückt erklärt, dass sie ihr Leben und ihren guten Job bei vignoble.de für einen Mann – noch dazu einen Franzosen! – aufgeben wollte, den sie gerade mal vier Monate kannte.

Es war tatsächlich alles ganz schön schnell gegangen, aber Chancen waren nun mal dazu da, dass man sie nutzte. Zu behaupten, dass sie nicht nervös war, wäre eine Untertreibung gewesen.

Danke, Süße, freu mich total und hab trotzdem Riesenschiss, antwortete sie.

Think positive, kam es sofort zurück. So einen tollen Mann wie Xavier findest du nicht noch mal, der ist wie ein Sechser im Lotto. Außerdem hast du Bernds Wort. Du bist save!