Kater Brown und die Klostermorde - Ralph Sander - E-Book

Kater Brown und die Klostermorde E-Book

Ralph Sander

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Beschreibung

In der idyllischen Eifel ist die Hölle los - und das ausgerechnet dort, wo man es am wenigsten erwartet hätte: im Klosterhotel "Zur inneren Einkehr". Hier stößt der Klosterkater Kater Brown während eines nächtlichen Streifzugs auf die grausam zugerichtete Leiche von Michael Wilden, einem Hotelgast, der vor allem durch sein cholerisches Verhalten für Aufsehen gesorgt hatte. Erst am nächsten Tag gelingt es Kater Brown, die Aufmerksamkeit der jungen Reisejournalistin Alexandra auf den Tatort zu lenken. Zusammen begeben sie sich auf Spurensuche - und geraten bald selbst ins Visier des Mörders ...

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Seitenzahl: 373

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

Epilog

Über den Autor

Ralph Sander arbeitet seit vielen Jahren als Übersetzer und Autor. Unter diversen Pseudonymen sind von ihm etliche Krimis erschienen. Nachdem er bereits eine Reihe von fiktiven samtpfotigen Helden für seine Krimis geschaffen hat, entstand mit Kater Brown zum ersten Mal eine Figur nach einem realen Vorbild: dem Sander’schen Familienkater Paulchen Panther.

Ralph Sander

KATER BROWNUND DIEKLOSTER-MORDE

Kriminalroman

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Originalausgabe

Copyright © 2012 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Judith Mandt/Dorothee Cabras

Titelillustration: © missbehavior.de

Umschlaggestaltung:

Pauline Schimmelpenninck Büro für Gestaltung, Berlin

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5770-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Blut.

Es roch nach Blut.

Kater Brown blieb stehen und hob den Kopf, um die Witterung aufzunehmen. Seine Schnurrhaare zitterten, die Schwanzspitze zuckte nervös hin und her. Irgendetwas stimmte nicht – stimmte ganz und gar nicht! So wie jede Nacht streifte er in der Dunkelheit über das Klostergelände, immer auf der Suche nach einer unvorsichtigen Maus, die glaubte, seinen wachsamen Blicken entgehen zu können.

Diesmal jedoch waren all seine Sinne in Alarmbereitschaft, und das lag nicht nur am Geruch nach Blut. Kater Brown spürte etwas Dunkles, Gefährliches. Der Tod hatte das Kloster heimgesucht. Ein brutaler, heimtückischer Tod, der so plötzlich gekommen war, dass das Opfer nicht mehr hatte reagieren können.

Ein leichter Windhauch wehte um das Kloster, der den Blutgeruch mit sich trug. Um nur ja kein Geräusch zu verursachen, folgte Kater Brown langsam und vorsichtig dem Geruch und gelangte schließlich zur Vorderseite des Klosters, auf den Platz vor dem Eingang, auf dem der alte Brunnen stand. Auf dem breiten Brunnenrand ließ Kater Brown sich gewöhnlich gern nieder, um in der Sonne zu dösen oder aus leicht erhöhter Position über sein Reich zu wachen.

Als er nun die Ecke des Gebäudes erreichte, blieb er abrupt stehen und blinzelte. Auf dem Boden vor seinem Lieblingsplatz lag ein Mensch – allem Anschein nach ein Mann! Sein Kopf war blutüberströmt! Ein zweiter Mann stand über ihn gebeugt, in der Hand hielt er einen Hammer. Der Blutgeruch war hier am intensivsten.

Kater Brown setzte sich im Schatten der Hauswand hin und verfolgte neugierig das Geschehen auf dem Platz. Eine innere Stimme riet ihm, besser auf Abstand zu bleiben. Der Mann mit dem Hammer sah sich immer wieder nervös um. Erst nach einigen Augenblicken schien er ruhiger zu werden. Kater Brown reckte den Hals, während er beobachtete, wie der leicht gebückt dastehende Mann eine Plastiktüte hervorzog und sie dem am Boden Liegenden über den Kopf streifte. Dann packte er dessen Arme und zog ihn hinter sich her in Richtung Kapelle. Dabei schnaufte er angestrengt und blieb immer wieder keuchend stehen, um sich mit dem Ärmel über die Stirn zu wischen oder die Hände auf die Knie zu stützen und tief durchzuatmen.

Einige Minuten verstrichen. Der Mann kam mit seiner schweren Last kaum voran.

Plötzlich vernahm Kater Brown ein leises Fiepen unter der Hortensie neben sich. Kein Zweifel, eine Maus! Ein leiser Luftzug huschte an ihm vorbei, und etwas Braunes flitzte in Richtung Küchengarten davon. Hinterher!, schrie der Jäger in Kater Brown. Um die beiden Männer musste er sich später kümmern …

1. Kapitel

»Fräulein Hilde, ich bitte vielmals um Entschuldigung, dass ich so ohne Voranmeldung hereinplatze, aber es gibt wichtige Neuigkeiten von Ihrem Vater!«

»Hauptmann Brehm?«, erwiderte die Frau überrascht. »Was haben Sie hier zu su … zu su … Mann, Brehm, was ha … zu su … zu su … zu su …«, tönte es aus dem Autolautsprecher. Alexandra Berger schaltete entnervt vom CD-Player auf das Radio um. Mist, dabei hätte sie für das Magazin eigentlich noch eine Besprechung des Hörbuchs schreiben müssen!

»Heute ist einfach nicht mein Tag«, stöhnte sie und stellte den Ton leiser. Jetzt ließ sie auch noch der CD-Player im Stich, sprang auf der CD hin und her oder blieb an einer Silbe hängen! Bestimmt war das Schlagloch eben daran schuld, das sie zu spät bemerkt hatte. Mit einem lauten »Rums« war ihr rechtes Vorderrad hindurchgerumpelt, und dann hatte es gleich noch einmal einen heftigen Ruck gegeben, als das Hinterrad hineingeplumpst war.

Das Navigationsgerät hatte Alexandra auch schon vor einer Weile ausgeschaltet, nachdem sie von der nervigen Frauenstimme dreimal auf einen Waldweg gelotst worden war, der sich dann als unpassierbar erwiesen hatte. Stattdessen lag nun eine Straßenkarte auf dem Beifahrersitz, auf dem Alexandra den Weg zum Klosterhotel »Zur inneren Einkehr« nachvollzog. Zum wiederholten Mal lenkte sie den Wagen an den Fahrbahnrand und warf einen Blick auf die Karte.

»Mal sehen«, murmelte sie. »Da liegt Lengenich, und ich müsste mich eigentlich genau … hier befinden.« Sie sah nach links und entdeckte, zwischen ein paar Bäumen versteckt, eine Kapelle. »Richtig, du bist da eingezeichnet«, sagte sie und tippte auf das kleine Kreuz auf der Karte gleich neben der mit rosa Textmarker hervorgehobenen Straße. Verfahren kann ich mich auch allein, dachte Alexandra, warf dem schwarzen, an der Windschutzscheibe befestigten Gerät einen grimmigen Blick zu und fuhr weiter.

Sie sah kurz auf die Uhr neben der Tachoanzeige und verzog den Mund. Mit fast zwei Stunden Verspätung würde sie ihr Ziel erreichen, aber das konnte sie nicht der Wegbeschreibung des Klosterhotels anlasten. Drei Baustellen hatten auf ihrer Strecke gelegen, die sie weitläufig hatte umfahren müssen. Dafür hatte Alexandra auch einige Irrwege in Kauf nehmen müssen, da die Baufirmen großzügig auf Umleitungsbeschilderungen verzichtet hatten. Dachten diese Leute denn, hier wären nur Einheimische unterwegs? Alexandra überlegte, ob sie in ihrem Artikel über das Klosterhotel nicht besser eine andere Route vorschlagen sollte. Damit würde sie sich nach ihrem Aufenthalt im Kloster noch einmal in Ruhe beschäftigen.

Sie griff nach ihrem Diktiergerät, das in der Mittelkonsole steckte, schaltete es ein und sprach ins Mikrofon: »Prüfen, ob Anfahrt über Aachen, Trier oder Luxemburg einfacher möglich ist.« Dann legte sie das Gerät auf den Beifahrersitz und warf dabei noch einmal einen raschen Blick auf die Karte.

Nach ein paar Kilometern tauchte am Straßenrand ein Ortsschild auf, und beim Näherkommen konnte sie den Ortsnamen Lengenich erkennen. »Na bitte, wer sagt’s denn!«, meinte sie zufrieden und bremste auf die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit ab.

Sie fuhr vorbei an Bauernhöfen, die schon bessere Zeiten erlebt hatten, und frisch renovierten Einfamilienhäusern. Ihre Besitzer mussten es sich leisten können, in dieser Abgeschiedenheit zu leben, in der Arbeitsplätze rar gesät waren. Zu ihrer Rechten sah Alexandra eine Wirtschaft, gleich daneben ein leer stehendes Ladenlokal, in dem sich, den Überresten der Leuchtreklame nach zu urteilen, einmal ein Lebensmittelgeschäft befunden hatte. Aber das schien schon vor langer Zeit geschlossen worden zu sein.

Auf der linken Straßenseite wies ein Schild auf den Parkplatz eines Schwimmbades hin. Als Alexandra einen Blick auf die angrenzenden Liegewiesen warf, staunte sie nicht schlecht. Obwohl auf dem Parkplatz nur zwei Fahrzeuge standen, wimmelte es auf dem Freibadgelände von Kindern. Wie kann es in einem so winzigen Dorf so viele Kinder im schulpflichtigen Alter geben?, fragte sich Alexandra.

Drei Kilometer weiter fand sie die Antwort. An der Einfahrt zu einem weitläufigen Grundstück prangte ein großes Schild mit der Aufschrift Schullandheim Lengenich. »Daher also der Besucherandrang im Freibad«, murmelte sie. Im Vorbeifahren entdeckte sie zwischen den dicht stehenden Bäumen ein herrschaftlich wirkendes Gebäude, das Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erbaut worden sein musste, vielleicht sogar noch etwas früher. Es wirkte wie der Landsitz einer vermögenden Industriellenfamilie von anno dazumal.

In ihre Überlegungen versunken, hätte Alexandra beinahe den Wegweiser verpasst, der zwischen zwei Häusern nach rechts zeigte und die Richtung zum Kloster Lengenich angab. Zum Glück befand sich hinter ihr kein Wagen, sodass sie eine Vollbremsung machen konnte, um in die schmale Straße einzubiegen. Aber schon wenige Meter später endete Alexandras Abbiegeversuch an einem Holzgatter, das die komplette Fahrbahn versperrte. Privatweg! Durchfahrt verboten!, verkündete die krakelige Aufschrift auf dem Pappschild. Das alles wirkte amateurhaft, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass ihr die Weiterfahrt hier verwehrt wurde.

Alexandra griff wieder nach der Landkarte und sah sich die Alternativrouten an, die zu ihrem Ziel führten. Nein, sie war nicht bereit, weitere Umwege in Kauf zu nehmen. Außerdem befand sie sich hier eindeutig auf der offiziellen Route zum Kloster, das belegte allein schon das Hinweisschild an der Hauptstraße. Dies konnte also unmöglich ein Privatweg sein!

Ratlos sah sie sich um, dann setzte sie den Wagen zurück und fuhr im Schritttempo weiter.

Nach einigen Metern entdeckte sie auf der linken Straßenseite eine weitere Wirtschaft. Der Biergarten vor dem Haus war trotz des schönen Wetters völlig verwaist. Alexandra stellte das Auto auf dem asphaltierten Parkplatz gleich neben dem Gebäude ab, griff nach ihrer Schultertasche, stieg aus und betrat kurz darauf das Lokal.

Die Wirtschaft verströmte den Charme längst vergangener Tage, einer Zeit, die Alexandra selbst nie erlebt hatte. Ihr kam es vor, als hätte sie eine Zeitreise in die Fünfzigerjahre angetreten, in denen Plastikelemente auch ganz unverhohlen nach Plastik hatten aussehen dürfen. Um die schlichten orangefarbenen Deckenlampen über den momentan nicht besetzten Tischen auf der rechten Seite des Gastraums schwirrten zahlreiche dicke Fliegen. Offenbar waren sie alle klug genug, einen Bogen um die klebrigen braunen Fliegenfänger zu machen, die wie abstrakte Kunstwerke um die Kabel der Lampen gewickelt worden waren.

An der Theke links neben der Tür saßen zwei Männer in robuster Arbeitskleidung. Beide drehten sich zu Alexandra um, bedachten sie mit einem kurzen abschätzenden Blick und wandten sich dann gleich wieder ab. Vermutlich handelte es sich bei ihnen um Landwirte aus dem Ort oder aus der näheren Umgebung, da ihre Gesichter von Wind und Wetter gegerbt waren, wie es bei Menschen der Fall war, die einen Großteil ihres Lebens unter freiem Himmel verbrachten und dabei schwere körperliche Arbeit verrichteten.

»Entschuldigen Sie«, sagte sie zu den beiden, die ihr weiterhin den Rücken zeigten. »Ich möchte zum Klosterhotel ›Zur inneren Einkehr‹, aber der Weg wird durch einen Zaun versperrt. Wissen Sie zufällig, ob es eine Umleitung gibt, bei der ich nicht so einen riesigen Umweg in Kauf nehmen muss?«

Der eine Mann stieß den anderen an, sagte leise etwas zu ihm, dann begannen sie beide zu lachen, nahmen aber von Alexandra weiterhin keine Notiz.

Sie wollte gerade die Frage mit größerem Nachdruck wiederholen, als aus einem Nebenraum hinter der Theke eine Stimme ertönte:

»Habt ihr eigentlich schon mal was von Höflichkeit gehört?« Ein Perlenvorhang wurde zur Seite geschoben, und eine Frau erschien hinter dem Tresen. Sie trug die recht nachlässig blondierten Haare hochtoupiert, als wäre für sie die Mode irgendwann Anfang der Achtzigerjahre stehen geblieben. Dasselbe galt auch für die pinkfarbene Jeans und das hellgrüne Oberteil, die beide eindeutig etwas zu eng waren.

Die Wirtin lächelte Alexandra an. »Kommen Sie ruhig näher, junge Frau! Die zwei beißen nicht. Ich muss mich für den Hannes und den Karl entschuldigen. Diese Stoffel wissen einfach nicht, wie man sich benimmt.« Nach einem vorwurfsvollen Blick zu den zwei Männern sah sie wieder zu Alexandra. »Wissen Sie was? Wir zwei unterhalten uns einfach so über die Herrschaften, als wären sie gar nicht da. Und wenn wir schon dabei sind, kann ich ja auch gleich mal die Theke abwischen.« Ehe die Männer sich’s versahen, hatte die Wirtin ihnen die halb vollen Biergläser abgenommen und sie neben sich auf die Spüle gestellt. »Wer nicht da ist, kann auch nichts trinken, nicht wahr?«

Alexandra grinste, als sie vom Ende der Theke her beobachtete, wie Hannes und Karl empört die Augen aufrissen.

»Ach, hör schon auf, Angelika!«, protestierte der eine der Landwirte, der trotz seiner weißen Haare der Jüngere der beiden zu sein schien. »Gib mir …«

»Sieh an, du kannst ja doch reden, Hannes!«, unterbrach die Wirtin ihn in gespielter Begeisterung. »Dann bist du ja auch bestimmt in der Lage, der jungen Dame bei ihrem Problem zu helfen.«

»Seh ich etwa aus wie die Auskunft? Ich kann auch bei Harry mein Bier trinken. Da hab ich wenigstens meine Ruhe.«

»Mhm«, stimmte Angelika ihm zu. »Wenn du genug Geld dabeihast, um deinen Deckel zu bezahlen. Oder war das nicht der Grund, wieso Harry euch beide vor die Tür gesetzt hat?«

Der andere Mann, Karl, schüttelte frustriert den Kopf. Ihm musste noch mehr als seinem Zechkumpan an dem Bier gelegen sein, da er sich dazu durchringen konnte, sich zu Alexandra umzudrehen. »Sie sind fremd hier.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ja, deshalb brauche ich ja eine Auskunft.«

»Was er meint«, meldete sich nun auch Hannes zu Wort, »ist, dass Sie eine Fremde sind. Und wir in Lengenich haben’s nicht so mit den Fremden.«

»Pah! Ihr zwei habt’s nicht so mit Fremden«, korrigierte die Wirtin ihn.

»Nicht nur wir zwei«, widersprach Karl ihr. »Die meisten im Dorf …«

»Ja, ja, ich weiß«, schnitt ihm Angelika das Wort ab. »Nur dass die meisten im Dorf an den Fremden verdienen, also kann’s ja so schlimm auch wieder nicht sein.« Dann wandte sie sich an Alexandra. »Ich weiß nicht, ob Sie’s im Vorbeifahren gesehen haben, aber da vorn gibt es ein Schullandheim …«

»Das Gebäude, das aussieht wie eine Villa?«

»Ganz genau das«, bestätigte die Wirtin. »Das gehört der Stadt Bonn und wird das ganze Jahr hindurch von den Klassen der Bonner Schulen genutzt. Das bringt nicht nur Leben nach Lengenich, sondern auch Geld. Das Schwimmbad, der Imbiss, Harrys Kneipe und meine, wir profitieren alle davon …«

»Und das sind schon mehr als genug Fremde, die in unser Dorf einfallen! Und jetzt müssen diese bescheuerten Mönche auch noch so ein Walnusshotel aufmachen …«

»Das heißt Wellnesshotel, Hannes«, berichtigte Angelika ihn. »Und was die aufgemacht haben, ist eben kein Wellnesshotel. Aber um das zu wissen, müsstest du ja mal was anderes lesen als deine Revolverblättchen.«

»Angelika, so spricht man nicht mit seinen zahlenden Kunden«, hielt Karl ihr vor.

Die Frau nickte. »Du hast recht. So spricht man nicht mit seinen zahlenden Kunden. Nur habt ihr beide gestern Abend anschreiben lassen, und für das, was ihr mir heute weggetrunken habt, habe ich auch noch keinen Cent gesehen. Also erzähl mir nichts von zahlenden Kunden!«

»… und jetzt kommen noch mehr Fremde her«, fuhr Hannes unbeirrt fort. »Wir haben hier überhaupt keine Ruhe mehr.«

»Fahr mal ins nächste Dorf!«, empfahl Angelika ihm. »Dann kannst du dir angucken, was Ruhe bedeutet.« Auf Alexandras ratlosen Blick hin erklärte sie ihr: »Nicht ganz dreißig Häuser, davon stehen zwölf leer, weil da nichts mehr los ist, weil es da kein Geschäft mehr gibt und die Leute zu alt sind, um in einer Gegend zu leben, in der sie für jede Kleinigkeit auf andere angewiesen sind. Freiwillig will da keiner hinziehen. Wir in Lengenich können froh sein, dass wir das Schullandheim haben, sonst säh’s hier genauso aus.«

Alexandra nickte. »Eigentlich bin ich nur hereingekommen, um nach dem Weg zu fragen …«

»Tut mir leid, junge Frau, aber wenn die beiden Herrschaften erst mal in Fahrt gekommen sind, muss ich einfach Kontra geben«, sagte die Wirtin und lächelte entschuldigend. »Sie haben davon gesprochen, dass die Straße in Richtung Kloster gesperrt ist? Dann hat der alte Kollweck wieder zugeschlagen. Ihm gehört der Hof links von der Abzweigung. Die ersten paar Meter Straße waren früher mal die Zufahrt zu seinem Hof, aber dann hat das Land beschlossen, genau da eine Straße zu bauen. Kollweck hat sich lange gesträubt, die Fläche herzugeben. Wenn Sie mich fragen, ging es ihm nur darum, die paar Quadratmeter möglichst teuer zu verkaufen. Aber irgendwann ist den Leuten von der Verwaltung der Geduldsfaden gerissen, und dann haben sie ihn einfach enteignet. Das Ganze ist schon viele Jahre her, trotzdem macht er von Zeit zu Zeit die Straße dicht und behauptet, dass das immer noch sein Grund und Boden ist.«

»Und was soll ich jetzt machen?«, fragte Alexandra. »Ich habe mir auf der Karte angesehen, was für einen Umweg ich ansonsten fahren muss. Soll ich die Polizei rufen?«

Die Wirtin winkte ab. »Ach was, das dauert viel zu lange. Da hilft nur eines: den Krempel aus dem Weg räumen und Kollweck meckern lassen.« Sie sah die beiden Männer an der Theke auffordernd an, und als sie nicht reagierten, sagte sie: »Braucht ihr noch eine ausdrückliche Einladung, oder bewegt ihr jetzt euren Hintern hier raus und helft der jungen Dame?«

»Ist doch nicht mein Problem«, grummelte Karl und linste an Angelika vorbei nach seinem Bierglas, das nach wie vor auf der Spüle stand.

»Je schneller ihr für sie Kollwecks Hindernis aus dem Weg räumt, desto eher bekommt ihr euer Bier zurück.«

Schnaubend erhoben sich die beiden von ihren Hockern und zogen von dannen, jedoch nicht, ohne Alexandra missmutige Blicke zuzuwerfen.

»Na also«, meinte Angelika, »gleich haben Sie freie Fahrt. Sie glauben gar nicht, wozu Karl und Hannes fähig sind, wenn man ihnen droht, ihnen ihr Bier vorzuenthalten.«

»Danke, das war sehr nett von Ihnen«, sagte Alexandra und lachte. Sie verabschiedete sich und verließ das Lokal, um zu ihrem Wagen zu gehen.

Als sie zum zweiten Mal die Abzweigung in Richtung Kloster nahm, stellte sie erleichtert fest, dass Hannes und Karl das Gatter tatsächlich an den Fahrbahnrand geschoben hatten. Ein dritter, etwas älterer Mann stand bei ihnen, fuchtelte aufgebracht mit den Armen und redete lautstark auf sie ein.

Die drei waren so in ihre hitzige Diskussion vertieft, dass sie Alexandra gar nicht bemerkten, die kurz angehalten hatte und ihren Helfern durch das geöffnete Seitenfenster einen Dank zurief. Schmunzelnd gab sie wieder Gas.

2. Kapitel

Alexandra folgte dem Verlauf der asphaltierten Straße, die zwischen Bäumen und Feldern hindurch bergauf führte und immer steiler anstieg. Schließlich schlängelte sie sich in Serpentinen durch einen Wald auf die andere Seite der Anhöhe. Von hier hatte Alexandra einen herrlichen Blick auf das Tal dahinter. Ein schmaler Bach plätscherte zwischen saftig grünen Wiesen dahin, auf denen ein paar Kühe und Pferde zufrieden grasten.

Noch einmal beschrieb die Straße eine Linkskurve, und dann auf einmal erhob sich vor Alexandra das von der Mittagssonne beschienene Kloster. Das Erste, was einem Betrachter auffiel, war die Schlichtheit des Gebäudes, die für ein Kloster selbstverständlich war, nicht jedoch für ein Hotel. Aber es war gerade dieses Dezente, Verhaltene, was Alexandra so beeindruckte.

Das Hauptgebäude bestand aus einem breiten Bauwerk mit weiß gestrichener Front. Ein dunkles Satteldach saß auf dem ersten Stockwerk; auf dem rechten Trakt ragte ein romanischer Glockenturm in die Höhe. Die grünen Läden an den recht kleinen Fenstern waren geöffnet. Rechts des Klosters konnte sie eine ebenso schlichte Kapelle erkennen, die von einem Bauzaun umgeben war.

Was sich hinter dem Hauptgebäude befand, war von Alexandras Position aus nicht auszumachen, aber nach den Fotos zu urteilen, die sie gesehen hatte, gab es dort noch etliche Nebengebäude. Die Straße verlief an dem Bauwerk vorbei ins Tal, doch kurz bevor sie wieder abschüssig wurde, zweigte ein Feldweg in Richtung Kloster ab, der auf einen Platz mit einem kunstvollen alten Brunnen führte. Links davor befand sich ein weitläufiger Parkplatz, der den Eindruck erweckte, als hätte man ihn erst vor Kurzem auf einem Stück Weideland angelegt. Mehrere Autos sowie ein Bus waren dort abgestellt worden, was darauf hindeuten mochte, dass das Hotel gut ausgelastet war. Vielleicht hatte aber auch nur eine Reisegruppe auf dem Weg durch die Eifel hier eine Rast eingelegt, um zu Mittag zu essen.

Alexandra hielt diese Beobachtung mit ihrem Diktiergerät fest, nachdem sie ihren Wagen auf dem Parkplatz abgestellt hatte. Als sie ausstieg, drückte sich der Kies durch die dünnen Sohlen ihrer Schuhe. Sie holte die Reisetasche aus dem Kofferraum und ging den Weg entlang, bis sie den schätzungsweise dreißig Meter entfernten Eingang erreicht hatte. Die Mittagssonne brannte ihr auf den Rücken; die Wärme wurde jedoch durch einen leichten Wind gelindert. Von der Weide auf der anderen Seite der Landstraße klang das Muhen von Kühen herüber. Ein Meisenpärchen flog laut zwitschernd dicht über Alexandras Kopf hinweg.

Die schwere Eingangstür war aus massiver Eiche und musste nach außen aufgezogen werden. Alexandra musste unwillkürlich an einen der Texte im Prospekt denken, mit dem für das Klosterhotel geworben wurde. Erfahren Sie sich selbst und die Kraft, die in Ihnen steckt!, hieß es dort.

Im Foyer fand der schlichte Stil seine Fortsetzung, da es in dem quadratischen Raum lediglich einen Holztresen und eine Sitzgruppe aus Korbmöbeln gab, die nur einer Hand voll Gäste Platz bot. Die Wände schmückten einige Ölbilder mit bekannten Eifeler Motiven. Hinter dem Tresen hingen ein großes Schlüsselbrett und eine Wandtafel mit farbigen Steckkarten, die vermutlich Auskunft über die Belegung der Zimmer gaben. Diese eigentlich vorsintflutlich anmutende Tafel erfüllte jedoch wahrscheinlich ihren Zweck genauso wie ein aufwendiges Computerprogramm.

Alexandra durchquerte das recht kleine Foyer und tippte mit der flachen Hand auf die Glocke, die auf dem langen Tresen stand. Eine Fliege, die offenbar auf der abgewandten Seite auf der Glocke gesessen hatte, flog summend auf und suchte sich irgendwo einen ruhigeren Platz. Gleich darauf wurde eine Tür geöffnet, die in ein Büro hinter dem Empfang führte. Ein hochgewachsener, kräftiger Mann Ende zwanzig mit kurz geschnittenem blondem Haar kam nach vorn. Er trug eine dunkelbraune Mönchskutte, um die Taille lag ein grobes Hanfseil.

»Guten Tag und herzlich willkommen im Klosterhotel ›Zur inneren Einkehr‹! Mein Name ist Bruder Andreas. Was kann ich für Sie tun?« Die Begrüßungsformel kam ihm so leicht über die Lippen, als hätte er sie allein in der letzten Stunde schon zwanzig Mal gesagt.

»Für mich wurde ein Zimmer reserviert. Entweder auf den Namen Alexandra Berger oder auf den der Redaktion, für die ich arbeite: Traveltime. Ich bin hier, um für unser Reisemagazin einen Artikel über Ihr Hotel zu schreiben.«

»Aha.« Bruder Andreas hatte offenbar nur mit halbem Ohr zugehört. »Einen Augenblick, ich muss das erst heraussuchen.« Er blätterte in einem ausladenden querformatigen Buch. »Traveltime? Ist das die Verlagsgruppe DNK?«

»Ja, richtig.«

»Oh, dann haben wir …«, begann er, kam aber nicht weiter, da in diesem Moment eine Tür links neben dem Tresen aufgerissen wurde und ein Mann ins Foyer stürmte, der gut einen halben Kopf kleiner war als Alexandra. Er trug einen leuchtend roten Trainingsanzug, der ihm etwas zu weit war und der den Eindruck erweckte, als hätte er ihn eben erst gekauft und gleich anbehalten. Sein mittelbraunes Haar trug der Mann ordentlich gescheitelt, was ihn etwas jünger erscheinen ließ. Dennoch schätzte Alexandra ihn auf Mitte vierzig.

»Sagen Sie mal, wie lange soll ich denn noch darauf warten, dass der Kurier eintrifft?«, fuhr er Bruder Andreas an und schob sich vor Alexandra.

»Herr Wilden«, erwiderte der Mönch in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er sich mit aller Macht beherrschen musste, um ruhig und freundlich zu bleiben. »Ich sagte Ihnen doch bereits, ich rufe Sie an, sobald der Kurier das Päckchen für Sie abgegeben hat.«

»Bislang haben Sie mich aber nicht angerufen!«

»Bislang ist der Kurier auch noch nicht hier gewesen«, gab der jüngere Mann zurück, wobei es ihm nun sichtlich schwerfiel, seine Gereiztheit zu verbergen. Offenbar kennt auch die Geduld eines Mönchs ihre Grenzen, überlegte Alexandra und bemühte sich, ein Schmunzeln zu unterdrücken.

»In welchem Ton reden Sie eigentlich mit mir?« Der Mann namens Wilden erhob die Stimme und schlug mit der flachen Hand auf den Tresen, woraufhin sich Bruder Andreas zu seiner vollen Größe aufrichtete und den Wüterich vor dem Tresen nun um mehr als einen Kopf überragte. »Und überhaupt: Der Kurier ist noch nicht da gewesen! Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, oder was?«

Dürfte für Bruder Andreas keine Schwierigkeit sein, dachte Alexandra. Laut sagte sie jedoch: »Entschuldigen Sie, aber ich war gerade im Begriff einzuchecken. Wenn Sie so freundlich wären …«

Wilden drehte sich ruckartig zu ihr um und kniff die Augen zusammen, als bemerkte er sie erst jetzt. »Schön, dass Sie sich bei mir entschuldigen«, knurrte er. »Wenigstens einer hier weiß, wie man sich benimmt.« Dabei warf er dem Mönch hinter dem Tresen einen missbilligenden Blick zu. »Und Sie …«

»Augenblick mal«, beschwerte sich Alexandra, die sich so nicht behandeln lassen wollte. »Ich stehe hier, um einzuchecken, und wenn Sie eine Beschwerde haben, dann warten Sie bitte schön, bis Sie an der Reihe sind.«

Der Mann schüttelte verständnislos den Kopf. »Sie werden doch noch fünf Minuten warten können, oder nicht? Ich erwarte einen Kurier, der mir äußerst wichtige Unterlagen bringt, und …«

»Und der noch nicht eingetroffen ist, wie ich eben gehört habe. Also sind Sie derjenige, der im Augenblick warten muss.«

»Hören Sie, Frau … wie auch immer Sie heißen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das Laurentius-Hilfswerk in Kaiserslautern ein Begriff ist, aber ich bin der Kreisgeschäftsführer dieser Einrichtung, und auch wenn ich nicht im Büro bin, laufen die Geschäfte weiter.«

»Das mag ja sein«, erwiderte sie, »doch offenbar läuft jetzt erst mal nichts, solange Ihr Kurier Ihnen nicht die Unterlagen gebracht hat. Sie können die Zeit vielleicht nutzen und einen Spaziergang an der frischen Luft unternehmen. Möglicherweise kommt Ihnen ja dann Ihr heiß ersehnter Kurier entgegen.«

»Für wen halten Sie sich, dass Sie mir Vorschriften machen wollen?«, fauchte Wilden.

»Für die Frau, die vor Ihnen an der Reihe ist. Lassen Sie mich also jetzt bitte einchecken!«

Wilden schaute sie ungläubig an. Dann zuckte er mit den Schultern und drehte sich wieder zum Empfang um. »Sagen Sie mir sofort Bescheid, wenn der Bote kommt, verstanden?«

Bruder Andreas nickte nur und blätterte angelegentlich im Gästebuch vor sich.

»Hach!«, machte Wilden, warf die Arme in die Luft und verließ mit stampfenden Schritten das Foyer.

Alexandra stellte sich wieder an den Tresen. »Nettes Kerlchen«, bemerkte sie.

»Tut mir leid«, begann der Mönch. »Aber Bernd Wilden ist … er ist mit einer größeren Gruppe hier, und … ich wollte ihn nicht verärgern …« Hilflos hob er die Schultern. »Wissen Sie, dieser Herr Wilden macht mich einfach rasend … und nicht nur mich.« Der Mönch wollte weitersprechen, aber dann verstummte er abrupt. »Bitte entschuldigen Sie, ich habe mich soeben völlig vergessen. Ich kann mich doch nicht bei Ihnen über einen anderen Gast beklagen.« Er grinste schief. »Sagen Sie, könnten Sie noch mal reinkommen und dabei so tun, als wären Sie noch nie hier gewesen? Ich glaube nämlich, wenn Sie Ihren Artikel nach dem ersten Eindruck schreiben, den Sie von mir bekommen haben, dann werden wir das Hotel demnächst schließen müssen, weil dann niemand mehr hier ein Zimmer bei uns haben will.« Wieder zuckte er mit den Schultern. »Das ist alles noch so neu für mich … Ich bin ins Kloster gegangen, um dem Herrn zu dienen, aber nicht, weil ich Pförtner spielen wollte. Ich … ich habe mich daran noch nicht richtig gewöhnt.«

Sie lächelte ihn aufmunternd an. »Schon gut, machen Sie sich keine Sorgen! Fangen wir also einfach noch mal von vorn an! Für mich ist ein Zimmer reserviert worden, entweder auf Alexandra Berger oder auf Traveltime oder auf die Verlagsgruppe DNK.«

Bruder Andreas nickte. »Verlagsgruppe DNK … hier ist es.« Er nahm ein farbiges Kärtchen aus einer Schachtel und steckte es an die Tafel, um das belegte Zimmer zu markieren. Plötzlich stutzte er. »DNK? Ach, dann gehören Sie zu dem anderen Gast, nicht wahr?«

»Zu welchem anderen Gast?«, fragte sie und versuchte, den Eintrag in dem Buch zu entziffern, in dem Bruder Andreas die Reservierung nachgeschlagen hatte.

»Ich meine Herrn Ro …« Weiter kam er nicht, da in diesem Moment eine männliche Stimme ertönte.

»Alexandra? Alexandra Berger! Da bist du ja!«

Alexandra erstarrte, denn sie hatte die Stimme sofort erkannt. Nein, dachte sie. Bitte nicht! Nicht Tobias Rombach! Ganz langsam, als könnte sich ihre Vermutung doch noch als Irrtum entpuppen, wandte sie den Kopf. Aber das Schicksal meinte es heute offenbar gar nicht gut mit ihr.

In der Tür, die aus dem Foyer tiefer ins Kloster hineinführte, stand ein Mann, den sie nur allzu gut kannte. Er war in etwa so groß wie Alexandra, von schlanker Statur und dunkelhaarig, und rein objektiv betrachtet hätte man ihn durchaus als gut aussehend bezeichnen können. Alexandra fand jedoch, dass ihm das gewisse Etwas fehlte. Besonders nervig war aber die Machodenkweise, die seinen Verstand fest im Griff hatte.

»Tobias?«, fragte sie. »Wieso bist du hier?«

Tobias Rombach kam auf sie zu und streckte die Arme aus, als wollte er sie wie eine gute alte Freundin an sich drücken. Bevor er ihr zu nahe kommen konnte, streckte sie ihm die Hand entgegen, ergriff die seine und schüttelte sie.

»Ich soll für unser Magazin BMI einen Artikel über das Klosterhotel schreiben«, antwortete er. »Herr Hütter war der Ansicht, wenn wir schon beide über die ›Innere Einkehr‹ schreiben, dann wäre es sinnvoller, wenn wir zur gleichen Zeit hier übernachten. So recherchieren wir sozusagen unter denselben ›Bedingungen‹.«

Alexandra nickte nachdenklich. Grundsätzlich war das ein Argument, dem sie nicht widersprechen konnte. Eine Reisereportage war genauso wie eine Restaurantkritik immer nur eine Momentaufnahme, in die unendlich viele Faktoren einflossen. Man musste nur an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Lokal essen, und es konnten zwei völlig verschiedene Kritiken dabei herauskommen. Allerdings wusste sie auch, dass Florian Hütter, ihr Chefredakteur, ein ehemaliger Studienfreund von Tobias war, was der bekanntlich gern mit der Formulierung »Herr Hütter« zu verschleiern versuchte, wenn er einen lukrativen Auftrag ergattert hatte. Das hier war aber weder lukrativ, noch lag ein Urlaub in einem Kloster auf Tobias’ Linie, also konnte dem Ganzen nur ein anderes Motiv zugrunde liegen. Und über dieses Motiv brauchte Alexandra auch gar nicht lange zu rätseln: Tobias hatte bei diesem Auftrag wieder einmal die Gelegenheit gewittert, sich an sie heranzumachen! Und da war es für ihn wahrscheinlich ein Leichtes gewesen, Hütter entweder mit einem Pseudoargument oder mit der Wahrheit davon zu überzeugen, beim Chefredakteur von BMI ein gutes Wort für ihn einzulegen.

»Und wieso wollt ihr eure Manager ausgerechnet in dieses Kloster schicken?«, fragte sie. »Die stehen doch bekanntlich gar nicht auf Bescheidenheit.«

»Womit du den Beweis geliefert hast, dass du gar nicht weißt, wofür unser Magazin steht«, hielt Tobias triumphierend dagegen. »Es geht nicht immer nur darum, den starken Mann von Welt zu mimen. Genauso wichtig ist, dass man zwischendurch auch mal die Seele baumeln lässt und sich Urlaub vom Alltag nimmt.«

Während er redete, verdrehte sie Augen. Wie oft hatte sie solche und ähnliche Floskeln schon gehört! Doch Tobias ließ sich nicht beirren.

»Und genau das kann man hier machen. In der ›Inneren Einkehr‹ erfährt man Ruhe und kann neue Energie tanken, hier …«

»Ja, ja, schon gut, ich habe verstanden«, unterbrach sie ihn, da er offenbar mit seiner Litanei noch lange nicht am Ende war. »Ihr habt mit zwanzig Jahren Verspätung die New-Age-Philosophie entdeckt. Meinen Glückwunsch.«

»Spotte du nur!«, brummte Tobias. »Du willst ja bloß nicht zugeben, dass ich recht habe.«

Bruder Andreas nutzte die Redepause, die entstanden war. »Wenn Sie sich bitte hier eintragen würden, Frau Berger. Ich sage Bruder Jakob Bescheid, damit er Sie zu Ihrem Zimmer bringt.« Er schob Alexandra etwas hin, das sie stutzig werden ließ. Es war ein Tablet-PC, der in einer Hülle aus hartem, dunkelbraunem Leder steckte, was ihm etwas eigenartig Rustikales verlieh. Auf dem Display war ein Formular zu sehen, in das sie mit dem Stift, den der Mönch ihr hinhielt, ihre Personalien eintragen konnte. Sie begann, in Druckbuchstaben zu schreiben, und bevor sie ihrer Verwunderung über dieses moderne Gerät, das so gar nicht zum Ambiente zu passen schien, Ausdruck verleihen konnte, bemerkte Tobias:

»Ach, lassen Sie nur, Bruder Andreas! Ich kann Alexandra auch ihr Zimmer zeigen. Da müssen wir Bruder Jakob nicht aus seinem wohlverdienten Schlaf reißen.«

»Bruder Jakob aus dem Schlaf reißen?«, wiederholten der Mönch und Alexandra gleichzeitig.

»Na, kommt schon, Leute«, sagte Tobias und grinste breit. »Ihr kennt doch dieses Kinderlied … ›Bru-der Ja-kob, Bru-der Ja-kob, schläfst du noch?‹«

Alexandra richtete gequält den Blick zur Zimmerdecke. »Du bist dir auch für keinen Kalauer zu schade, wie?«

Tobias nahm diese Frage mit einem gelassenen Schulterzucken hin. »Solange meine Trefferquote insgesamt stimmt, kann ich damit leben, dass der eine oder andere Gag ins Leere läuft.«

»Und wo liegt deine Quote? Bei fünf Prozent? Oder eher darunter?«, konterte sie und hörte, wie der Mönch am Empfang zu kichern begann. Dann riss er sich wieder zusammen und hielt Alexandra den Schlüssel hin, an dem ein klobiger Plastikklotz hing, auf dem die Zimmernummer vermerkt war. Sie stutzte angesichts der eigenartigen Design-Mixtur. Nach dem Tablet-Computer hätte sie eigentlich mit einer Codekarte gerechnet, aber offenbar war die Klostertechnik doch noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen. Andererseits hatte dieser Schlüssel etwas Urtümliches und seltsam Skurriles an sich, das in Alexandra nostalgische Erinnerungen an ihre Urlaube mit den Eltern weckte.

»Danke«, sagte sie und bückte sich, um nach ihrer Reisetasche zu greifen. Tobias kam ihr jedoch zuvor und nahm die Tasche an sich.

»Komm, lass mich dir helfen!«, meinte er, und Alexandra schluckte den Widerspruch, der ihr auf der Zunge lag, hinunter.

Sie verließen das Foyer durch die Tür, durch die Tobias eben eingetreten war, und gelangten in einen recht schmalen, schnurgeraden Gang. Die Wände waren weiß gestrichen. Schmucklose Wandlampen sorgten für die nötige Helligkeit. Auf der linken Seite fanden sich mehrere geschlossene Türen, die keine Nummer aufwiesen. Wahrscheinlich handelte es sich bei diesen Räumen also nicht um Gästezimmer.

»Hier lang«, sagte Tobias und bog mit ihr nach rechts in einen noch längeren Gang ein, der quer durch das Kloster zu verlaufen schien.

Im Inneren des alten Gemäuers war es angenehm kühl. Zwei Mönche kamen ihnen entgegen, die ihnen freundlich zunickten und sich an die rechte Wand drückten, um sie passieren zu lassen.

»Und jetzt nach links«, ließ Tobias verlauten, als sie am Ende dieses Gangs angelangt waren.

Alexandra fiel mit einem Mal etwas ein. »Du, ich habe eben deinen Wagen gar nicht gesehen. Oder gibt es hier noch einen zweiten Parkplatz?«

»Nein, nein.« Er winkte ab. »Ich habe auf dem Rückweg von Portugal einen kleinen Abstecher hierher gemacht. Ich bin über Frankfurt nach Luxemburg geflogen und von da mit einem Mietwagen weitergefahren, so einem winzigen Fraueneinkaufsauto …«

»Fraueneinkaufsauto?«, wiederholte Alexandra und kniff gereizt die Augen zusammen. »Warum hast du denn den Wagen überhaupt genommen, wenn er dir nicht gut genug ist? Oder wollte man dir nichts mit mehr PS anvertrauen?«

»Es gab nichts anderes mehr«, stellte er klar. »Außerdem geht es mir nicht um die PS, von denen dieser Polo im Übrigen genug hat. Ich habe nur lieber etwas mehr Platz im Wagen.«

»Ja, klar.« Sie grinste breit. »Du musst ja bequem deine Einkäufe aus dem Baumarkt und ein paar Kästen Bier verstauen können.«

»Sagt die Frau, die selbst einen protzigen Audi fährt!«

»Ein Audi, der fast dreißig Jahre auf dem Buckel hat, ist kein protziger Audi, sondern ein Klassiker.«

»Voilà, da sind wir. Letztes Zimmer auf der rechten Seite.« Er deutete auf die Tür am Ende des Gangs, in den durch ein schmales, hohes Fenster Sonnenlicht fiel.

Alexandra schloss auf und nahm Tobias die Tasche ab. »Also dann … Wir sehen uns später, ich möchte mich erst mal mit meiner Umgebung vertraut machen.«

»Lass dir ruhig Zeit«, gab er feixend zurück und sah zu, wie sie die Tür hinter sich schloss. Dann zählte er leise die Sekunden, bis Alexandra die Tür wieder öffnete und nach draußen auf den Gang kam.

»Das ist mein Zimmer?«, fragte sie ungläubig. »Dieser Mönch hat mir nicht zufällig den Schlüssel für die Abstellkammer gegeben, oder?« Sie drehte sich nach links und betrachtete die Abstände zwischen den Türen auf derselben Gangseite. »Schließ mal bitte dein Zimmer auf!«, forderte sie Tobias auf.

Mit einem Schulterzucken kam er ihrer Bitte nach und trat dann einen Schritt zur Seite, damit Alexandra in den Raum sehen konnte.

»Ich fasse es nicht!« Ihre Augen blitzten ärgerlich, als sie sich wieder zu Tobias umwandte. »Du hast dir einfach das größere Zimmer unter den Nagel gerissen! Das ist eine Frechheit!«

»Ich war halt vor dir hier«, hielt er gelassen dagegen. »Außerdem sind die beiden Zimmer auf den Verlag reserviert worden, aber nicht auf einen bestimmten Namen.«

Jetzt reichte es Alexandra wirklich! »Du warst vor mir hier? Was ist denn das für ein Argument? Wenn es danach geht, habe ich Anspruch auf das größere Zimmer. Schließlich war ich ursprünglich die Einzige, die herkommen sollte. Du hast dich bloß an mich drangehängt, um mir ein paar Tage rund um die Uhr auf die Nerven gehen zu können.« Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, wünschte sie, sie hätte kein Wort gesagt. Es war Tobias wieder mal gelungen, sie so weit aus der Reserve zu locken, dass sie unsachlich wurde. Das war ihr schon ein paarmal im Verlag passiert, wenn es zu Überschneidungen bei den Themen ihrer Magazine gekommen war. Obwohl es eindeutig gewesen war, dass Tobias sich bei ihren Ideen bedient hatte, um mit eigenen Artikeln zu glänzen, war er immer so geschickt vorgegangen, dass er keine Spuren hinterlassen hatte.

»Bruder Andreas hat mich gefragt, welches Zimmer ich haben wollte, das große oder das kleinere, und da habe ich mich für das große entschieden, weil ich schon in diesem Zwergenauto unterwegs sein muss«, erklärte er mit Unschuldsmiene. »Ich wusste nicht, wie groß der Unterschied zwischen beiden Zimmern sein würde.«

Sie brummte etwas Unverständliches.

»Wir können ja …«, begann Tobias nachdenklich.

Wollte er ihr tatsächlich vorschlagen, dass sie die Zimmer tauschten? Sollte sie auf ein solches Angebot eingehen? Oder würde sie sich nur selbst damit schaden, weil sie ihm damit die Gelegenheit gab, sie später als Diva hinzustellen, die sich nicht mit einem kleinen Zimmer begnügen konnte?

»… dein Bett in mein Zimmer schieben, dann haben wir gleich viel Platz«, beendete er seinen Satz und zwinkerte ihr zu.

Alexandra verdrehte die Augen und schnaubte frustriert. »Tobias, kannst du eigentlich ein einziges Mal auf deine anzüglichen Bemerkungen verzichten? Wird dir das nicht irgendwann mal langweilig? Oder wenigstens peinlich?«

Während er breit grinsend dastand, wandte sie sich ab und ging zurück in ihr Zimmer … als ihr plötzlich etwas Schwarzes entgegengeschossen kam und sie vor Schreck einen Schrei ausstieß.

3. Kapitel

»Was ist denn das?«, rief Alexandra erschrocken und machte einen Satz nach hinten, bis sie sah, dass es sich bei dem schwarzen Etwas, das nun in der offen stehenden Tür zu ihrem Zimmer saß, um eine Katze handelte. Offenbar hatte ihr Aufschrei das Tier so irritiert, dass es sich nicht weiter von der Stelle rührte, sondern den Kopf leicht schräg legte und Alexandra aus grünen Augen aufmerksam betrachtete.

»Sieht nach einer Katze aus«, meinte Tobias. »Vermutlich ist das Kater Brown.«

»Pater Brown?«, fragte sie. »Wo ist Pater Brown?«

»Nicht Pater, sondern Kater Brown.«

»Wie lange bist du schon hier, dass du alles und jeden kennst?«, wollte Alexandra wissen, da sie der Verdacht beschlich, dass Tobias einen deutlichen Wissensvorsprung vor ihr hatte, was die Verhältnisse im Kloster anging.

»Nicht mal eine Stunde. Von dem Kater weiß ich auch nur, weil einer der anderen Mönche am Empfang nach ihm gefragt hatte, als ich gerade einchecken wollte. Vielleicht ist das auch gar nicht Kater Brown, sondern irgendeine andere Katze.« Tobias zuckte mit den Schultern. »Ich frage mich nur, wie er da reingekommen ist …« Alexandra warf einen Blick in ihr Zimmer, dann nickte sie. »Das Fenster ist zum Lüften geöffnet. Bestimmt ist er auf diesem Weg eingestiegen.«

Plötzlich wurde eine Tür auf der anderen Seite des Flurs aufgerissen.

»Geht das eigentlich auch etwas ruhiger?«, polterte Bernd Wilden, über den Alexandra sich erst vor ein paar Minuten im Foyer so geärgert hatte. »Sie?«, fuhr er sie an, dann wanderte sein Blick weiter zu Tobias. »Und Sie auch schon wieder! Na, dann wundert mich ja gar nichts mehr. Hören Sie, ich habe mich in mein Zimmer zurückgezogen, weil ich in Ruhe telefonieren muss, und ich wäre wirklich sehr dankbar, wenn Sie dafür sorgen könnten, dass meine Gesprächspartner keine Hintergrundgeräusche mitbekommen, die sie glauben lassen, ich würde mich auf einer Dorfkirmes befinden.« Er bedachte sie mit einem weiteren vorwurfsvollen Blick und zog die Tür zu seinem Zimmer wieder hinter sich zu.

»›Sie schon wieder‹?«, fragte Alexandra. »Dann bist du auch schon mit ihm aneinandergeraten?«

»Ja, auf dem Parkplatz. Ich hatte meinen Wagen abgestellt und war ausgestiegen, da kommt er mit seinem Porsche Cayenne auf mich zugerast, springt raus und brüllt mich an, ich solle seinen Platz frei machen.«

»Wilden im Porsche Cayenne? Braucht er nicht eine Leiter, um überhaupt in den Wagen einsteigen zu können?«

»Nicht nur das.« Tobias lachte. »Ich vermute, dass da auch noch eine Spezialfirma ranmusste, um den Sitz so umzubauen, damit er über das Lenkrad schauen kann. Dieser Kerl ist einfach unerträglich.«

»Oh, hast du etwa deinen Meister gefunden?«, erkundigte sie sich amüsiert.

»Ach, Quatsch! Ich habe ihm gesagt, er solle woanders parken, schließlich waren noch genug Plätze frei, aber der Kerl hat sich einfach auf dem Absatz umgedreht und ist weggestiefelt. Seinen Wagen hat er vor meinem stehen lassen. Wenn ich jetzt auf die Schnelle wegmüsste, käme ich nicht aus der Lücke. So was macht mich wirklich sauer.«

»Na, dein Therapeut wird dir schon darüber hinweghelfen.«

Er winkte ab. »Ich brauche keinen Therapeuten, aber der Kerl braucht mal eine Abreibung, damit er endlich merkt, dass er nicht der wichtigste Mensch auf der Erde ist.«

Sie sah zu der Tür, hinter der sich Wildens Zimmer befand. »Was hat er noch mal gesagt? Er ist Geschäftsführer bei einem Wohlfahrtsverband. Ich schätze, in seinem Job verhält er sich den ganzen Tag so. Bestimmt geht er von Büro zu Büro, macht seine Leute zur Schnecke, setzt sich dann an seinen gigantischen Schreibtisch und ist sehr zufrieden mit sich, weil er es mal wieder allen gezeigt hat.«

Tobias grinste. »Ja, und zu Hause wartet seine Frau auf ihn, unter deren Fuchtel er steht und die ihn das ganze Wochenende triezt: ›Bring den Müll raus … Mäh den Rasen … Schneide die Hecke …‹ Am Montagmorgen lässt er seinen Frust dann wieder an dem erstbesten Mitarbeiter aus, der ihm über den Weg läuft.«

Plötzlich miaute der Kater, der auf den Gang gekommen war und erwartungsvoll zu Alexandra aufsah.

»Nein, wir haben dich nicht vergessen«, versicherte sie ihm und ging in die Hocke, um ihn zu kraulen. »Der böse Mann von gegenüber hat uns nur gestört.«

»Ähm … du weißt, dass du ein Tier vor dir hast, aber keinen Dreijährigen, oder?«

Sie schenkte Tobias ein ironisches Lächeln. »Im Augenblick habe ich beides vor mir – hier ein Tier und da einen Dreijährigen.«

4. Kapitel

»Und was mache ich jetzt mit dir?«, fragte Alexandra den Kater, nachdem sich Tobias lachend in sein Zimmer verzogen hatte. Kater Brown hatte sich inzwischen hingelegt und auf den Rücken gedreht, damit Alexandra ihm den Bauch streicheln konnte. Eine Zeit lang tat sie ihm den Gefallen, doch als sie dann die Hand wegziehen wollte, schossen seine Vorderpfoten vor, legten sich sanft um ihr Handgelenk und dirigierten ihre Finger zurück zu seinem Bauch. Dabei schnurrte er genießerisch.

»Okay, aber im Gegensatz zu dir bin ich nicht nur zum Vergnügen hier«, sagte sie, traf jedoch mit ihrer Bemerkung auf taube Ohren. Der Kater räkelte sich auf dem kühlen Steinboden und konnte offenbar einfach nicht genug bekommen. Nach einer Weile setzte er sich auf und begann, sich zu putzen.

»Tja, sieht so aus, als hättest du erst mal genug Streicheleinheiten bekommen«, murmelte sie und richtete sich auf. Sofort sprang der Kater auf und folgte Alexandra in ihr Quartier. Dort machte er es sich auf der Fensterbank gemütlich und beobachtete jede ihrer Bewegungen.

Das Zimmer war wirklich winzig, die Einrichtung spartanisch: ein einfacher Stuhl, ein kleiner Schreibtisch, ein schlichtes Bett, in einer Ecke ein Schrank, in dem man seine nötigsten weltlichen Besitztümer unterbringen konnte. Auf der anderen Seite war eine schmale Kabine abgeteilt worden, die gerade eben Platz für eine Dusche, ein Waschbecken und eine Toilette bot. Das einzige Zugeständnis an die Tatsache, dass es sich bei dieser Kammer heute um ein Hotelzimmer handelte, war das Telefon auf dem Schreibtisch. Einen Fernseher oder einen Radiowecker suchte man vergeblich. An der Decke hing eine nackte Energiesparlampe.

»Eine Gefängniszelle ist vermutlich ähnlich komfortabel eingerichtet«, stellte Alexandra ernüchtert fest. Der kurze Blick in das Zimmer ihres Kollegen hatte sie erkennen lassen, dass es auch nicht besser ausgestattet war, sondern lediglich um gut die Hälfte größer.

Sie packte ihre Tasche aus und verstaute alles im Schrank. Immerhin ließ er sich abschließen, sodass sie dort auch ihren Laptop und andere Wertgegenstände unterbringen konnte, wenn es erforderlich sein sollte.

Kater Brown lag nach wie vor auf der Fensterbank und beobachtete Alexandra aufmerksam.

»Ist das hier sonst dein Zimmer?«, fragte sie. Der Kater sah sie mit großen grünen Augen an, ließ die flaumigen schwarzen Ohren spielen und fuhr sich mit der kleinen rosa Zunge über die Schnauze, als erwartete er von Alexandra irgendein Leckerli.