Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland - Anna-Maria Wessely - E-Book

Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland E-Book

Anna-Maria Wessely

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Beschreibung

Erzählt wird die Lebensgeschichte der jugendlichen Katharina, die mit ihren Eltern und Geschwistern in dem kleinen Ort Poschoritta in der Südbukowina lebt. Sie hat dieses Leben satt und möchte eines Tages in Czernowitz leben. Bei ihren Verwandten in Czernowitz hat sie den Unterschied zwischen dem Land- und Stadtleben kennen gelernt. Nach dem letzten Winter in den Karpaten und dem Alltagsleben auf dem Land, erlebt sie zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern das angeordnete Ende. 1940 wird sie mit ihren Eltern heim ins Reich geholt. Nach der Geburt ihres Kindes und Flucht muss sie mit ihrer Mutter und den Geschwistern zurück in die Bukowina. Der dramatische Weg dorthin und das Leben in Armut haben ihre Träume vernichtet. Es bleibt die Ausreise nach Deutschland und die Aussicht auf ein besseres Leben.

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Katharina - Der letzte Winter im Buchenland

Titel SeiteTitelDas Märchen vom BuchenlandVorwortWinter in den KarpatenKatharina und RosanahKatharinas Vater und der SprengstoffDer AlltagDas KathreinfestVor WeihnachtenKatharina und ViorelWeihnachten in den WaldkarpatenDie BabaKatharinas Mutter ist krankDas Osterfest in der BukowinaKatharina und ihr VaterGäste aus CzernowitzDie UmsiedlungDie Ankunft im LagerWilli und DoraDie AnsiedlungDie FluchtDas Drama im dritten WaggonDie RückkehrAnkunft in der neuen HeimatImpressum

Titel Seite

Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland

von Anna-Maria Wessely

Titel

Katharina  Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland

Historischer Roman

Alle Rechte vorbehalten© 2019 by Self-Publishing bei epubli Deutschland 1. Ausgabe (11/19)

Der Autorin bezieht sich in ihrem Roman

auf Erzählungen ihrer Eltern, Geschwister und auf Aussagen von Zeitzeugen. Sie macht auf diese Weise auf die         Geschehnisse einer vergessenen deutschen Volksgruppe aufmerksam.

Zum Verständnis der historischen Zusammenhänge beginnt die Autorin mit der Erzählung:

 

Das Märchen vom Buchenland

für Erwachsene und Kinder

Es war einmal eine Kaiserin, die erwarb vor vielen, vielen Jahren auf Anraten ihres Sohnes und Mitregenten vom Sultan in Konstantinopel ein Stück Land. Es war nicht sehr groß, aber es war ein wunderschönes Stück Erde mit Bergen und Wäldern. Wenige Menschen lebten dort in Armut. Nur eine Religionsgemeinschaft hatte größere Besitztümer angehäuft. Die Kaiserin und ihr Sohn waren der Meinung, dass dieses Land es wert war mehr daraus zu machen. Sie baten ihre Generäle, sich um das Land zu kümmern. Es waren kluge Köpfe, die sehr schnell erkannten, dass es hier große Buchenwälder gab und viele Schätze in der Erde begraben lagen.

Sie überlegten, was sich die Kaiserin und ihr Sohn wohl gedacht hatten, als sie in den Besitz dieses Landes kamen. Sie kamen auf den Gedanken fleißige Menschen in das Land zu holen, die es aufbauen sollten. Das Land wurde vermessen und man schmiedete Pläne. Da in dieser Zeit viele arme und verzweifelte Menschen in den Ländern drum herum lebten, war es nicht schwer, diese zu bitten, gemeinsam diese große Aufgabe anzupacken. Jeder der kam erhielt ein Stück Land, eine Kuh, einen Pflug und Handwerkzeug. Und sie kamen von überall her. Mit ihren Beamten und Handwerkern baute die Kaiserin und ihr Sohn Straßen, auf denen die Menschen in das Land kamen.

Diese Menschen waren Siedler, die sich mit ihren Familien hier niederließen. Sie nahmen große Strapazen auf sich, um für ihre Familien eine neue Zukunft aufzubauen. Was sie aber nicht wussten war, dass es noch kein freies Land gab. Sie mussten erst Bäume roden um darauf Platz für ihre Hütten und für ihre Äcker zu schaffen. Es war ein sehr mühsames und arbeitsreiches Leben. Später entstanden aus den Hütten Häuser, die zu Dörfern und Städten zusammenwuchsen. Es kamen Handwerker, Glasmacher, Bergleute und Kaufleute aus vielen Ländern. Auch vertriebene Gläubige ließen sich nieder.

Erst die dritte Generation konnte die Früchte dieser harten Arbeit ernten. Nachdem die Kaiserin und ihr Sohn verstarben, übernahmen nachfolgende Kaiser diese Aufgaben. Sie kümmerten sich mit ihren Beamten weiter um das Land und nahmen ihre Pflichten sehr ernst. Das Kaiserreich wuchs und wuchs, auch an anderer Stelle. Die Menschen wünschten sich mehr Freiheit. Ein neuer Kaiser nahm diesen Wunsch auf. Das Buchenland blühte unter seiner Herrschaft auf und wurde ein Herzogtum. Er ließ Schulen bauen. Im Norden des Landes entstand eine moderne Hauptstadt, der er eine Universität schenkte. Mit seinem Geschick und seiner Toleranz förderte er die Entstehung des Vorläufermodells eines vereinten Europas. Viele Völker mit unterschiedlichen Religionen lebten friedlich zusammen. In den Städten entwickelten sich Kultur und Kunst. Auf dem Lande lebten fleißige Bürger im gegenseitigen Respekt friedlich miteinander. Glaube, gegenseitige Hilfe und Bescheidenheit waren wichtige Tugenden. Das Leben bescherte ihnen neben anstrengender Arbeit eine schöne Natur, die ihnen mit mitgebrachten Traditionen den Alltag lebenswert machte. Neid und Hass waren ihnen fremd. Als der vorhandene Raum zu eng wurde, wanderten einige Buchenländer nach Übersee aus.

Eines Tages sollte sich aber die Welt verändern. Ein großer Krieg brach herein und brachte Leid und Sorgen in diese stille Landschaft. Vor Gram starb der beliebte Kaiser. Nach einer kurzen Regentschaft musste der nachfolgende letzte Kaiser das Land abgeben, denn neue Herrscher übernahmen die Regierung. Danach war es für die Menschen nicht mehr so wie es einmal war. Der neue Herrscher war ein König, der das Land geschenkt bekam. Er veränderte es in seinem Sinne. Beamte und Handwerker, die das Land aufgebaut hatten, verließen es wieder. Die farbige Vielfalt entwickelte sich zur Einseitigkeit. Den Buchenländern, die dort blieben, ging es zunehmend schlechter. Ihre Sprache und ihr Lebensraum wurden eingeschränkt. Trotzdem lebten sie friedfertig und hilfsbereit weiter, bis sich eines Tages abermals die Welt veränderte. Die Menschen wussten nicht, ob es Donner oder ein Silberstreif am Horizont war, was aus der Ferne auf sie zukam. Die Lage spitzte sich zu. Eine ganz andere Herrschaft aus einem fernen Land gab vor, einen Großteil der Menschen aus dieser Situation zu befreien. Im Blick standen allerdings eigene Interessen, für die diese Menschen herhalten sollten. Sie konnten sich zwischen Pest und Cholera entscheiden. Sie haben sich für die Freiheit entschieden, obwohl es am Ende doch die Pest war. In großen Transporten verließen sie die einmal liebgewordene Heimat in unbekannte Richtung. Während die alten Menschen traurig waren, schöpften die Jungen Hoffnung. Eine unsichere Zeit mit einer ungewissen Zukunft brach über diese Menschen herein. Viele junge Männer wurden in einem sinnlosen Krieg verheizt. Die Familien bekamen ein neues Zuhause, das man anderen weggenommen hatte. Am Ende war alles vergebens, weil Krieg, Not und Elend über alle hereinbrach. Sie mussten flüchten oder wurden in die verlorene Heimat zurück geschickt, wo viele wegen ihres deutschen Namen nach Sibirien deportiert wurden. Erst nach vielen Jahren bekamen die Überlebenden wieder festen Boden unter die Füße. Ihre alte Heimat haben sie bis heute nicht vergessen. Heute leben Buchenländer in vielen Teilen der Welt.

Erläuterungen zum Märchen

Bei der Kaiserin handelte es sich um Maria Theresia von Österreich (1717-1780), die nach dem österreichischen Herrscher und deutschen Kaiser Karl VI. im Jahre 1740 die Herrschaft über die österreichische Monarchie übernahm. Ihr Sohn und Mitregent war Joseph II., Erzherzog im Erzherzogtum Österreich und gleichzeitig deutscher König und ab 1765 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Durch die erste Teilung Polens und den Anschluss Galiziens an Österreich bekam die spätere Bukowina eine besondere Bedeutung für Österreich. Besonders Kaiser Joseph II. war daran interessiert, dieses Durchgangsland für Österreich zu sichern. Neben der militärischen Bedeutung kam später die wirtschaftliche hinzu.

Glückliche Umstände erlaubten den Österreichern 1774 die militärische Besetzung der Nördlichen Moldau und die Vereinbarung der Übernahme von den Osmanen. Hier lebten damals ca. 60.000 Einwohner, überwiegend landlose Bauern, Hirten, Nomaden und arme Menschen, die auf Pachtland der Bojaren sowie der Kirchen und Klöster angewiesen waren.

Damit begann in den östlichen Waldkarpaten eine neue Ära für das Deutschtum und die römisch-katholische Kirche.

Die Generäle Gabriel Freiherr von Splény (1774-1778) und Karl Freiherr von Enzenberg (1778-1786) übernahmen die Entwicklung der Bukowina als Landesteil Österreichs, die im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte ein Musterland der Monarchie wurde. Mit ordentlicher wirtschaftlicher Versorgung, einem ausgefeilten Verwaltungs- und Schulsystem, einem blühenden Kultur- und Vereinsleben, einem breitgefächerten Pressewesen sowie einem Landtag mit einem Nationalitätenparlament, das dem Kronland den Bukowiner Ausgleich erarbeitete. Kurz gesagt, ein Europa im Kleinformat.

Unter Kaiser Franz Joseph I., der die Bukowina liebte, bekam sie den Status eines autonomen Kronlandes mit dem Titel eines Herzogtums zugesprochen. 1875 schenkte er der Hauptstadt Czernowitz die östlichste deutschsprachige Universität, die er ursprünglich in Salzburg errichten lassen wollte.

Durch Aufteilung der Grundstücke auf die vielen Kinder war der Boden der Siedler schon Ende des 19. Jh. knapp geworden. Dies führte dazu, dass deutsche Familien bereits ab 1886 den Werberufen aus USA und Kanada folgten und aus der Bukowina nach Übersee auswanderten. Auch in Venezuela, Brasilien und anderen Ländern ließen sich Buchenlanddeutsche nieder. Heute sind deren Nachkommen über die gesamte Welt verteilt.

Gemäß der Volkszählung von 1910 gab es in der Bukowina über 800.000 Bewohner. Die Anzahl der Deutschen lag bei 9,2 %. Weitere Landesbewohner stellten die Ruthenen (Ukrainer) mit 38,4 %, die Rumänen mit 34,4 %, die Juden mit 12,0 % und Bewohner anderer ethnischer Zugehörigkeit wie Polen, Armenier, Ungarn, Lippowaner, Slowaken u.a. 6,0 %. Mit Beginn der rumänischen Herrschaft hatte die Bukowina 850.000 Bewohner, davon über 70.000 Deutsche.

Noch vor Ende des Ersten Weltkrieges verstarb Kaiser Franz Joseph I.. Böse Zungen behaupten aus Gram. Kaiser Karl I. übernahm nur für kurze Zeit die Regentschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg (1918) ging die Habsburger Monarchie unter und die Bukowina wurde Rumänien zugesprochen. Danach verschlechterte sich die Situation für die Deutschen und alle nicht rumänischen Minderheiten, obwohl die Lebensgewohnheiten der Bewohner untereinander bestehen blieben. Die sprichwörtliche Toleranz der Bewohner hatte eine Atmosphäre geschaffen, die die neuen Machthaber mittragen mussten, obwohl die deutsche Amtssprache und die deutschen Schulen, bis auf wenige Ausnahmen, abgeschafft wurden. Durch rumänische nationalistische Tendenzen verschlechterte sich die Situation abermals.

Nach Besetzung der Nordbukowina und der Hauptstadt Czernowitz durch die Sowjetunion im Jahr 1940 wurden die Deutschen aus der Nord- und kurz darauf auch aus der Südbukowina von den Nationalsozialisten „heim ins Reich“ geholt. Hierüber waren zwischen Deutschland der Sowjetunion und Rumänien Verträge ausgehandelt worden. 1940 wurden ca. 100.000 Personen umgesiedelt.

Mit der Umsiedlung verfolgte Hitler eigene Interessen. Die Besiedlung des besetzten Polens, die Verstärkung beim Bau von Rüstungsgütern und neue Soldaten für die Front. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits weitere Kriegspläne. Viele von den in der Bukowina verbliebenen oder dorthin zurückgekehrten Deutschen wurden von den Sowjets nach Sibirien deportiert. 1945 erfolgte nach Kriegsende die große Fluchtwelle aller Deutschen aus den Ostgebieten Richtung Westen.

Vorwort

 

In dem Land in dem Du lebst... Stell dir vor, dein Haus und Grundstück befindet sich in einem Tal umgeben von Bergen, Wäldern und Gebirgsflüssen. Die üppige Natur bietet dir und deiner Familie einen schönen Lebensraum. Die Anpassung an die Natur macht aus dir einen bescheidenen und zufriedenen Menschen. Ohne Elektrizität und durch die Arbeit deiner Hände führst du in heimischer Nachbarschaft ein zufriedenes Leben. Du gehst deinen Lebensgewohnheiten nach und erfreust dich an den Bräuchen und Sitten deiner Landsleute und befreundeter Menschen anderer Herkunft.

Die Menschen, die nicht deinen Glauben haben, bereichern dein Leben, denn du begegnest ihnen mit Respekt. Du vermisst nicht viel, obwohl du nicht reich bist. Mit Häuschen, einem Stück Land und eigenen Tieren versorgst du dich und deine Familie. Die Natur hilft dir dabei. Du fängst Forellen im Gebirgsbach hinter deinem Garten, deine Kinder pflücken Beeren und sammeln Pilze im Wald hinter dem Haus. Holz für den kalten Winter gibt es in Hülle und Fülle.

Aufgrund deiner Fähigkeiten bist du in der Lage dein eigenes Brot zu backen und Vieles selbst herzustellen. Du kannst Weben, Nähen, Stricken und vielmehr. Du kaufst nur Dinge hinzu, die du nicht selbst herstellen kannst. Dein Geschick ist eine wichtige Lebensgrundlage.

Im Winter verbringst du die Abende mit Handarbeit in geselligen Stunden mit deinen Nachbarn. In lauen Sommerabenden sitzt du mit ihnen auf der Bank vor dem Haus und genießt den Sonnenuntergang und die „blauen“ Stunden. Es werden Geschichten erzählt, es wird gesungen und auch schon mal getanzt. Man geht mit den Hühnern schlafen und steht mit ihnen auf.

Nur krank werden darfst du nicht, denn den Arzt musst du bezahlen, eine Versicherung gibt es nicht. Bei bedrohlichen Krankheiten musst du schon mal ein Schwein verkaufen, damit du den Doktor bezahlen kannst. Es stört dich wenig, dass in den Wäldern drumherum Bären und Wölfe leben.

In den Städten sind die Menschen zwar gebildeter, aber nicht eingebildet. In ihren Häusern gibt es Strom, Zentralheizung und Haushaltsgeräte. In der Hauptstadt gibt es Straßenbahnen und eine deutschsprachige Universität, die Dichter und Denker hervorbringt. Die Juden haben sich der deutschen Kultur verschrieben. Czernowitz ist, wie die Bukowina, ein Mikrokosmos mit vielen Völkern und Kulturen.

Der Unterschied zwischen den Städten und dem Ort, in dem du lebst, ist groß. Und trotzdem kommt kein Neid auf. Städter kommen zur Sommerfrische in dein Haus. In dem Land in dem du lebst hast du deinen Platz gefunden, eine Heimat. Nur besondere Ereignisse können dazu führen, dass du dir eine neue Heimat suchen musst.  Schon seit Kindestagen hat Katharina gelernt mit Veränderungen umzugehen. Sie ist eine pubertierende, moderne Jugendliche, die die Veränderungen erkennt und ihre Eltern, die rund um die Uhr arbeiten, wachzurütteln versucht.

Es sind politische Ereignisse, die ihr Leben bestimmen und ein ganzes Land umwälzen. Ob sie die Kraft haben wird die Folgen zu überwinden, wird sich zeigen. Ob sie dabei auch Glück haben wird, wird sich ebenfalls zeigen. Mit welchen Schwierigkeiten der Verlust der Heimat verbunden sein kann, wird Katharina und ihre Familie am eigenen Leib erfahren.

Ihre Vorfahren waren als Siedler aufgebrochen, um für ihre Familien ein besseres Leben zu sichern. Diese Vorfahren ließen sich nach Zwischenstationen im 18. Jh. in der Bukowina nieder. Die Deutschen nennen die Bukowina liebevoll „Buchenland“.

Maria Theresia und ihr Sohn hatten 1774 nach Kriegen das Land vom Sultan in Konstantinopel erworben. Sie benötigten die Bukowina als Durchgangsland. Für den Aufbau der Infrastruktur des verarmten Landes und für den Abbau von Rohstoffen benötigten sie Siedler. Damit begann in den östlichen Waldkarpaten eine Ära für das Deutschtum.

Im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte wurde die Bukowina modernisiert und von der Habsburger Monarchie mit deutschsprachigen Schulen und Verwaltungssystemen ausgestattet. 1849, nach dem Austritt der Habsburger aus dem Deutschen Bund, wurde sie zu einem autonomen Herzogtum erhoben. Es entstand ein friedfertiger Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen Religionen. Mit der Errichtung des Nationalitäten-Parlaments war die Entstehung des möglichen Vorläufermodells eines vereinten Europas vorgesehen.

Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Habsburger Monarchie unter und die Bukowina wurde Rumänien zugesprochen. Deutschsprechende Beamte, meist Österreicher, verließen freiwillig das Land. Rumänische Nationalisten versuchten die Minderheiten im Land zu Rumänisieren. Aus dem Vielvölkerland sollte ein Nationalstaat werden. Durch Abschaffung der deutschen Schulsysteme und der deutschen Verwaltungen verschlechterte sich die Situation für die deutschen Bewohner. Sie waren als Minderheit nicht mehr privilegiert. Nur die Toleranz der Bewohner hatte eine Atmosphäre geschaffen, die die Machthaber mittragen mussten.

Nach der sowjetischen Besetzung der Nordbukowina im Jahr 1940 wurden die Deutschen von den Nationalsozialisten heim ins Reich geholt. Das galt Monate später auch für die Deutschen aus der Südbukowina. Nach Verträgen zwischen den Ländern wurden 1940 fast 100tausend Deutsche umgesiedelt. Damit begann eine neue Katastrophe. Sie sind 1945 mit anderen Vertriebenen aus den Ostgebieten geflohen. Ganz am Ende waren diese Menschen wieder dort angekommen, wo vor Jahrhunderten ihre Vorfahren aufbrachen, in Deutschland. Zufall oder Schicksal, und wie es Katharina ergeht, werden wir im Roman erfahren.

Winter in den Karpaten

 

Der Winter in den Waldkarpaten ist eine große Herausforderung für die Natur und für die Tiere in den Wäldern, aber auch für die Menschen. Und trotzdem lieben ihn ihre Bewohner in den Bergdörfern. Trotz meterhohem Schnee und starken Minusgraden. Sie kennen es nicht anders, sie leben naturverbunden.

Wir schreiben das Jahr 1939. Früh legt sich eine meterhohe Schneedecke über das Dorf. Der Frost treibt die Menschen in den tiefen und schattigen Tälern in ihre Häuser. Die gemauerten Öfen in den Wohnküchen erwärmen ihre Häuser. Holzhäuser, die mit Holzschindeln gedeckt sind, vertragen sehr viel Wärme. In den Steinhäusern mit Ziegeldächern ist es nicht gemütlicher. Erst wenn es drinnen warm wird tauen die Eisblumen an den Fenstern ab. Petroleumlampen geben in den dunklen Tagen nur schwaches Licht. Holz knistert im gemauerten Küchenherd. Durch Ritzen in der Herdplatte flackert der Feuerschein an die Decke.

Katharinas Familie hat es sich gemütlich gemacht. Heute wird nicht Wolle gesponnen oder Stoff gewebt, heute erzählen sie ihre Geschichten. Ob wahr oder unwahr, ob von früher oder von heute, sie sind spannend, gruselig und manchmal auch fröhlich. Meist erzählen sie ein Stück aus ihrem Leben oder dem ihrer Vorfahren. Geben also Erzähltes wieder. Spontan wird gelacht, gesungen und manchmal auch geweint. So sind die Menschen in den Karpaten.

Die Natur und das Leben haben sie einfach, fleißig und gläubig geformt. Reichtum ist woanders. Hier leben sie eng mit Nachbarn zusammen, von denen sie Hilfe erwarten können. Dabei kommt es nicht auf die Sprache oder Religion an. Man braucht sich und das schweißt zusammen.

Die unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Bräuche sehen sie als Bereicherung. Sie gehen in andere Häuser und blicken auch in die Küchen. Sie wissen wie es Böhmisch, Rumänisch oder Jüdisch schmeckt, denn sie probieren es selbst aus. Jede Jahreszeit hat ihren eigenen Speiseplan. Respekt und Toleranz ist ihnen in die Wiege gelegt. Die Natur hat die Bewohner bescheiden und gläubig gemacht. Das Leben ist einfach und schön. Krankheiten werden nur mit Haus- und der Naturmitteln behandelt.

******Nach einem gemütlichen Abend folgt am Morgen das böse Erwachen. Die ganze Nacht über hat es geschneit und der Wind hat hohe Schneeberge vor Türen und Fenster gefegt. Aufgeregt ist nur Katharina, den sie will zur Arbeit. Sie lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in Poschoritta bei Kimpulung, in der Südbukowina. Das Dorf in den Waldkarpaten wird eingerahmt von den Bergen Adam und Eva, dem Rarau und Giumalau. Auch die Moldova fließt an dem Ort vorbei.Katharinas Vater ist Sprengmeister und hat schon vor einiger Zeit seine Arbeiten im Steinbruch abgebrochen und die Arbeiter nach Hause geschickt. Zwei Kisten mit Sprengstoff, Zündern und Zündschnüren hat er auf einem Schlitten nach Hause gebracht und im Schuppen eingelagert. Seit dem diese gefährliche Fracht dort liegt sind sie unruhig.Im Augenblick haben sie aber andere Sorgen. Der Schnee lässt sie nicht aus dem Haus und Katharina will trotzdem zur Arbeit. Der Schnee, der sie in diesem Jahr frühüberrascht hat, erfordert nun ihre ganzen Kräfte. Gespenstisch heult die ganze Nacht der Wind um das Haus. Gemeinsam mit den Wölfen, die immer näher kommen.

Niemand in der Familie versteht, dass Katharina jetzt zur Arbeit will. Sie hat sich einer Gruppe von Weberinnen angeschlossen, die unten im Dorf Teppiche weben. Jetzt vor Weihnachten ist die Auftragsliste besonders lang.

Als sie früh in die Küche kommt, sitzen die Eltern wortlos mit ernsten Gesichtern am Küchentisch. Es ist anders als sonst. Weil der Tisch nicht gedeckt ist, fragt Katharina: »Was ist geschehen?«.»Wir sind eingeschneit, der Schnee hat uns eingeschlossen!«, jammert ihre Mutter. »So schlimm kann es doch nicht sein, wir müssen den Schnee einfach wegräumen«, versucht sie ihre Eltern aufzumuntern.

Als sie an das Fenster geht, sieht sie die ganze Bescherung. Der Schnee hat die Fenster zugeweht. »Wir müssen uns befreien. Wird uns denn niemand helfen. Auch Onkel Johann nicht?«. Sie erntet nur ein mildes Lächeln. »Du hast wohl noch nicht gesehen wie viel Schnee draußen liegt. Wir bekommen die Haustür nicht auf«.

Langsam scheint auch Katharina die Situation zu begreifen. Sie weckt ihren großen Bruder aus dem Schlaf: »Otto, du musst jetzt aufstehen, wir kommen nicht aus dem Haus!«. Grimmig zieht er sich an und kommt in die Küche. Ihre kleineren Geschwister schlafen seelenruhig weiter.

»Das kann doch nicht so schlimm sein?«, bringt er mühsam heraus. Bald begreift auch er die Situation und schlägt vor: »Wir müssen aus dem Fenster klettern!«. »Endlich ein guter Gedanke«, denkt Katharina. »Mal sehen, ob ich hier rauskomme?«, witzelte er, als er das Fenster öffnet.

Im nu wehen Schnee und Kälte in die Küche. Otto kämpft sich durch den Schnee ins Freie. Seine Mutter holt Handfeger und Fegeblech und fegt den hereingewehten Schnee zusammen. »Mit bloßen Händen wird das nicht gehen«, ruft sein Vater hinterher und reicht ihm die Kohleschaufel vom Herd raus. Katharinas Mutter gibt freiwillig ihr gutes Fegeblech hinterher.

Schnell machen sie das Fenster zu und legen Brennholz nach. Während Otto draußen mit den beiden Schippen machtlos gegen den Schnee ankämpft, deckt Katharina mit ihrer Mutter den Frühstückstisch.

Bald klopft ihr Bruder an das Fenster: »Dass schaffe ich nicht allein!«. Trotzdem kümmern sie sich nicht um ihn, denn sie haben alle Hunger. »Kummer macht hungrig«, sagt Katharinas Mutter und holt den heißen Milchkaffee vom Herd.

Während die Kleinen noch in ihren Betten liegen, fangen die drei an zu frühstücken. »Der arme Junge«, stöhnt jetzt Katharinas Mutter. »Der wird schon nicht verhungern oder erfrieren«, kommentiert Katharina bissig. Den strafenden Blick ihrer Mutter bekommt sie nicht mit. »Otto braucht jetzt keinen heißen Kaffee, dem ist so schon warm«, schiebt Katharina nach.

Eine Stunde sitzen sie schon am Frühstückstisch, als Otto wieder ans Fenster klopft: »Ich bin jetzt vor dem Schuppen«, ruft er durch die Scheibe. »Dann hol die großen Schaufeln, damit wir die Haustür frei räumen können«, ruft der Vater zurück.

Katharina und ihre Mutter schauen sich nur an, als auch der Vater mit den Worten: »So schlimm hab ich mir das nicht vorgestellt«,aus dem Fenster steigt. Nach einer Stunde haben die Männer die Haustür freigeräumt. Als die beiden Frauen vor die Tür gehen, stehen sie in großen Schneebergen.

Spätestens jetzt wird ihnen klar, was hier geschehen ist. Den ganzen Tag über schaufeln sie Schnee, um an die Straße und an den Stall zu gelangen. »Wann können wir die Tiere versorgen?«, jammert Katharinas Mutter.

Dumpfe Geräusche von den Nachbarn beruhigen sie. »Hallo, hört ihr mich!«, ruft Katharina raus. Aber niemand hört sie. Alle haben das gleiche Problem. Erst am Nachmittag sind sie ein wenig weiter. Später versuchen sie zusammen mit den Nachbarn einen schmalen Weg zur Straße freizuräumen. »Bis an die Bahnstrecke werden sie es nicht mehr schaffen«, fällt Katharina ein.

Inzwischen muss auch Katharina einsehen, dass sie so schnell nicht zur Arbeit kommen wird.

Am nächsten Tag versuchen die Männer mit Pferden und Schneepflug den Schnee auf der Straße beiseite zu schaffen. Katharina macht sich Sorgen, wie es im Dorf aussieht.

Nachbarn machen Katharina klar, dass sie nicht so schnell in ihre Webstube kommen wird. Sie berichten, dass Dächer von Stallungen und Häusern unter der Schneelast eingebrochen sind.

Zwei Tage sind sie nun schon mit dem Schneeräumen beschäftigt. Jetzt erst macht sich Katharina auf den Weg zur Arbeit. Nur langsam kommt sie voran. An der Bahnstrecke stecken seit Tagen zwei Züge im Schnee fest. Die Reisenden aus dem Personenzug sind in den umliegenden Häusern untergekommen. Männer versuchen mit großen Schaufeln den Schnee von den Gleisen zu räumen.

Katharina kommt nicht über die Gleise ins Dorf. Sie muss wieder den Rückweg antreten. Durchgefroren kommt sie zu Hause an. Sie macht sich einen heißen Milchkaffe und legt ihre Füße zum aufwärmen vor die warme Backröhre.

Es dauert einige Zeit bis sie aufgetaut ist. »Die Männer schaufeln immer noch Schnee«, sagt ihre Mutter. »Und warum bist du nicht bei der Arbeit?«. Katharina berichtet von dem Chaos, das sie an der Bahnstrecke erlebt hat. Ihre Mutter schlägt die Hände über den Kopf zusammen: »Wie soll es jetzt nur weitergehen?«. »Wir müssen Geduld haben«, sagt ausgerechnet Katharina.

Der frühe Winter und der Schnee hat alle überrascht. Zum Glück hat die Familie genug zu Essen und auch genügend Brennholz vor der Tür. Auch die Tiere haben genug Futter. Für die Kinder ist der Neuschnee ein riesiger Spaß. »Nur gut, dass wir in diesem Jahr draußen mit unseren Arbeiten schon fertig sind«, versucht Katharina ihre Mutter zu beruhigen.

Jetzt fällt Katharina nichts Besseres ein, als sich an den Webstuhl zu setzen. Im Ofen flackert das Feuer und über dem Webstuhl hängt die fuzelnde Petroleumlampe. »Es ist warm und gemütlich hier«, stellt Katharina fest. »Am Webstuhl kann sie sich jetzt in Geduld üben«, denkt ihre Mutter. »Beim Weben kann sie gut abschalten«.

Katharinas Gedanken schweifen ab. Ihr kommt in den Sinn, wie viel Arbeit nötig ist um ein Stück Stoff zu weben. Zuerst Flachs anbauen, dann ernten, dann schlagen, dann kämmen, dann bleichen und erst dann in langen Winterabenden zu Fäden spinnen. Erst jetzt kann Stoff daraus gewebt werden denkt sie, während sie den Stoff für ihren Hosenanzug webt. »Die Älteren denken gar nicht mehr darüber nach«.

Als sie ihrer Großmutter erzählt, dass sie sich aus dem Stoff einen Hosenanzug nähen will, erntet sie Missfallen. So- etwas kann man hier nicht tragen, ist die Meinung der Baba. »Sie kennt nur an praktische Dinge, wie Tischdecken, Bettlaken und so etwas«, fällt Katharina dabei ein.

Katharina hat bei ihrer Tante in der Stadt mitbekommen, dass es schicke Kleider, aber auch Hosenanzüge gibt. Das mit dem Hosenanzug hat sie sich in den Kopf gesetzt.

Der Schnee hat inzwischen viel Kraft gekostet. Katharinas Geschwister haben sich nach dem aufregenden Tag in ihren Betten verkrochen.

Am nächsten Morgen sprechen alle wieder vom Schnee, obwohl es nicht mehr schneit. Katharinas Mutter ist besorgt: »In sechs Wochen ist Weihnachten und wir plagen uns hier mit dem Schnee ab«.

Katharinas Vater beschäftigt sich derzeit mit ganz anderen Gedanken. Er spricht von seinem Sprengstoff und von den Spuren der Wölfe am Haus. »Ich mache mir Sorgen um unser Vieh, denn die Wölfe aus den Wäldern kommen schon bis an den Stall. Vielleicht kommen auch noch die Bären aus den Wäldern?«. »Dafür ist es viel zu früh«, versucht ihn Katharina zu beruhigen.

Sie klappt den Webstuhl zusammen und zieht ihr Nachthemd an, als ihr Vater den Ofen für die Nacht versorgt.

Als Katharina am nächsten Morgen in die Küche kommt, muss sie ihrer Mutter von ihrem Traum erzählen.

»Mama, heute Nacht hat Genia in meinem Bett geschlafen«. »Genia, in deinem Bett?«, stutzt ihre Mutter. »Ja Mama, wir haben früher immer zusammen geschlafen und uns gegenseitig gewärmt. Heute Nacht war sie bei mir«. »Liebes Kind, was war das für ein schöner Traum?«, sagt ihre Mutter. »Ja, sehr schön«, antwortet Katharina mit feuchten Augen. Das war nicht gut, dass sie ihrer Mutter davon erzählte, denn jetzt fängt auch sie an zu schluchzen. Nun weinen beide schon am frühen Morgen und nehmen sich in die Arme.

Genia ist vor einem Jahr mit siebzehn Jahren an Diphtherie gestorben. Sie hatte auf dem Kathreinfest Eis gegessen. Katharina hatte darauf verzichtet. »Das Eis war bestimmt schlecht«, erinnert sich Katharina. Es war furchtbar mit anzusehen, wie sie leiden musste. Sie haben sogar ein Schwein verkauft, damit sie den Doktor bezahlen konnten. Aber helfen konnte er ihr auch nicht.

Inzwischen ist die blockierte Gleisstrecke wieder frei und Katharina kann zu ihrer geliebten Arbeit gehen. Die Leiterin der Webstube hat vielen Kunden für Weihnachten die Auslieferung der Teppiche zugesagt.

Katharina freut sich schon darauf, dass sie endlich ihre Freundin Rosanah wieder sehen wird. Sie sind Schulfreundinnen. Sie gingen zusammen in die rumänische Dorfschule.

Deutschunterricht hatte Katharina bei einem privaten Lehrer, der jetzt ihre kleineren Geschwister unterrichtet. Zuhause sprechen sie Deutsch, oft mit zipser Dialekt. Mit den Rumänen sprechen sie rumänisch.

Die deutschen Beamten gibt es schon lange nicht mehr. Sie sind nach Abschaffung des Herzogtums nach Österreich zurückgegangen. Katharinas Eltern kennen die Bukowina noch aus der Zeit, als es deutsche Amtsstuben und deutsche Schulen gab. Jede Volksgruppe wurde zusätzlich in ihrer eigenen Landessprache unterrichtet. Die Umgangssprache war allerdings Deutsch.

Obwohl das Herzogtum 1919 aufgelöst wurde und die Bukowina dem rumänischen Königreich angegliedert wurde, blieben die alten Gewohnheiten unter den Menschen bestehen.

Mit ihrer rumänischen Freundin Rosana spricht sie nur rumänisch. Vor allem über ihre Geheimnisse. Rosanah hat Katharina vor Kurzem dazu überredet mit ihr zum Kathreinfest zu gehen.

Das Fest ist für eine Rumänin etwas Besonderes. Für die Deutschen im Ort ist es die letzte Möglichkeit vor der Fastenzeit noch einmal tanzen zu gehen. Rosanah möchte Katharina wieder fröhlich sehen. Mit ihrem sonnigen Gemüt baut sie Katharina immer wieder auf, weil ihr immer noch der Tod ihrer Schwester zu schaffen macht.

Katharina und Rosanah

Morgen wird Katharina nach der Arbeit Rosanah auf dem Bauernhof ihrer Eltern besuchen. Der Hof liegt am Ende des Dorfes.

Als sie zur Arbeit geht, nimmt sie ihre Laterne für den Rückweg mit. Die Laterne erinnert sie an ihre Kindheit, als sie in der dunklen Jahreszeit mit Genia in die Kirche ging. Sie fühlten sich mit der Laterne sicher und glaubten, die Wölfe hätten Angst vor ihrem Licht.

Als Katharinas Kolleginnen die Laterne entdecken, erzählt sie freiwillig von ihrem Vorhaben.

Auf dem Weg zu Rosanah muss sie an verschneiten Wäldern und Wiesen vorbei. Nur schmale Wege führen durch meterhohen Schnee. Es ist weit und breit kein Mensch zu sehen, als sie mit der Laterne losmarschiert. Nur der Wind pfeift kräftig um die Ecken und treibt den Schnee zu großen Bergen zusammen.

Sie fürchtet sich schon vor dem Rückweg. Dabei fallen Katharina auch die Worte ihres Vaters ein. Sprach er nicht von den Spuren der Wölfe am Haus? Sie wird immer schneller, als sie das schwache Licht am Haus ihrer Freundin erkennt.

Hier haben sie schon auf sie gewartet. »Komm schnell rein!«, ruft ihr Rosanah zu. Die rumänischen Bauernstuben sind im Winter besonders warm. An den Wänden hängen Teppiche und bestickte Tücher zieren die Bilder. »Gemütlich«, denkt Katharina.

Rosanahs Mutter bringt heißen Milchkaffee. Endlich können Rosanah und sie wieder die Köpfe zusammenstecken. Sie haben sich viel zu erzählen.

Die Zeit vergeht wie im Fluge. Draußen ist es inzwischen stockdunkel. Mond und Sterne werfen schwaches Licht auf den Schnee. Es ist die Zeit in der man aus den Wäldern das Heulen der Wölfe hört. Eigentlich jagt man jetzt keinen Hund vor die Tür. Und Katharina muss noch den Heimweg antreten.

Rosanah spürt, dass Katharina Angst vor dem Heimweg hat und schlägt vor bei ihr zu schlafen. Das kann sie aber nicht, weil man zu Hause auf sie wartet.

Rosanah hat aber gleich eine andere Idee und schlägt vor, dass sie ihren älteren Bruder fragen wird, ob er sie nach Hause begleitet.

Katharina nimmt das Angebot nur an, weil sie sich vor dem Heimweg fürchtet. Obwohl sie Viorel kennt hat sie Hemmungen sich von einem Jungen nach Hause bringen zu lassen.

Als sie draußen vor der Haustür das Heulen der Wölfe hört weiß sie, dass es die richtige Entscheidung war. Die beiden machen sich auf den Weg.

Viorel nimmt ihr die Laterne ab und geht vor. Die ersten Schritte gehen sie schweigend hintereinander, bis er zaghaft ein Gespräch beginnt. Seine Stimme nimmt ihr die Angst und sie lässt sich auf das Gespräch ein. In Rumänisch natürlich.

Jetzt stapfen sie nebeneinander durch den Schnee.Nach fast einer Stunde stehen sie vor Katharinas zugewehter Hoftür. Aus dem Haus kommt schwaches Licht in den Hof, das sich mit dem Licht des Mondes vermischt. Viorel gibt ihr die Laterne und verabschiedet sich von ihr.

Als er weg ist fällt ihr ein, dass sie ihm die Laterne für den Heimweg mitgeben wollte.

Im Haus hat man Katharina gehört. Ihre Mutter öffnet die Haustür und fragt: »Warum warst du so lange weg?«Als sie ihr sagt: »Der Weg zu Rosanah war weit und zugeschneit. Viorel hat mich aber nach Hause gebracht«, ist sie beruhigt.

Katharina hat den Eindruck, dass ihre Familie immer noch vom Schneeschaufeln erschöpft sind.

Heute hat Katharinas Bruder den Schnee von den Dächern geräumt. Ihre kleineren Geschwister liegen schon in den Betten.

Als sie ebenfalls ins Bett geht merkt sie, dass ihre Mutter einen heißen Ziegelstein in ihr Bett gelegt hat.

Katharinas Vater und der Sprengstoff

Am nächsten Tag macht Katharinas Vater, der in der Nähe als Sprengmeister im Steinbruch arbeitet, auf alle einen nervösen Eindruck.

Ihre Mutter fragte ihn: »Josef, warum gehst du immer in die Werkstatt und kommst aufgeregt zurück?«Als wenn er auf diese Frage gewartet hat:

»Wir wurden im Steinbruch vom Schnee überrascht und es musste alles schnell gehen. Jetzt weiß ich nicht, ob ich sämtliche Sprengkapseln in den Bohrlöchern wiedergefunden habe. Ich zähle sie immer wieder durch. Ich weiß auch nicht, wo ich die feuchten Kapseln trocknen kann?«.

Als niemand zu Hause ist reitet ihn der Teufel. Plötzlich kommt er auf die Idee, die Sprengkapseln in die Küche zu holen, um dort genau nachzusehen.

Dann holt er auch noch die restlichen Kisten in die Küche, um alles in Ruhe zu ordnen und zu überprüfen. Die feuchten Dynamitstangen legt er zum Trocknen in den warmen Backofen.

Als Katharinas Mutter nach Hause kommt, hatte er alles weggeräumt und wirkt ruhiger, obwohl er weiß, dass seine Frau panische Angst bekommt, wenn er mit diesem Zeug in der Küche war. Sie hat schlechte Erfahrungen mit solchen Aktionen gemacht.

Das Malheur tritt erst später ein. Als Katharinas Mutter Brot in die Backröhre schiebt und es einen lauten Knall gibt, weiß sie sofort was sich abgespielt hat. Sie kennt die Schwächen ihres Mannes genau.

Einmal flog mit einem lauten Knall ein Topf von der Herdplatte. Schon winzig kleine Krümel dieses gefährlichen Stoffs haben eine verheerende Wirkung.

Katharinas Vater tut alles lächelnd ab. »Es kann schon nichts passieren«. Das tröstet ihre Mutter wenig. Im Handumdrehen hängt der Haussegen schief.

Katharinas Mutter benötigt etwas Zeit, um sich von dem Schrecken zu erholen. Kleinlaut geht Katharinas Vater ihr aus dem Weg.

»Dieser verflixte Stoff bringt nur Unheil in unser Haus«, ist die Meinung der beiden Frauen. Katharinas Vater macht immer noch einen bedrückten Eindruck. Ob er aufgrund dieser Geschichte bedrückt ist oder ob er noch etwas anderes hat, wissen die Frauen nicht.

Ihre Mutter und sie ahnen weiteres Unheil auf sie zukommen und nehmen sich vor, ihn am nächsten Tag anzusprechen.

Als sie abends in der Küche sitzen, fragt Katharina: »Tata was ist los mit dir, du gefällst uns nicht?«. - Tata ersetzt hier das Wort Papa -.

Jetzt erzählt er freimütig was geschehen war: »Ihr habt mitbekommen, dass die rumänischen Nationalisten immer frecher werden. In diesem Sommer haben sie uns imSteinbruch aufgesucht und mit meinen Leuten gesprochen. Sie versuchen sie gegen mich aufzubringen. Meine Leute haben mir gesagt, ich würde sie schlecht bezahlen. Mir ist klar, dass sie einen Keil zwischen uns treiben wollen, denn unter meinen Arbeitern befinden sich viele Rumänen«.

»Sie haben auch die Lohnübergabe am Steinbruch beobachtet. Es ist bekannt, dass unser Auftraggeber jeden Freitag mit der Kutsche vorfährt und uns den Sold bringt. Manchmal steigt er ab, manchmal wirft er uns das Geld vor die Füße, während wir ihm unsere Arbeit zeigen. Ich weiß nicht, ob sie wissen, dass er Jude ist. Jedenfalls meinen sie, die Arbeiter müssen sich mehr durchsetzen und bedrohen mich«, erzählt Katharinas Vater die ganze Geschichte.

»Da ich den gesamten Sprengstoff nebenan im Schuppen habe, mache ich mir jetzt Sorgen«. »Dass sie den Sprengstoff zur Explosion bringen, kann ich mir nicht vorstellen«, versucht Katharina ihn zu beruhigen. »Das glaube ich auch nicht«, antwortet ihr Vater, »aber ein Diebstahl ist schon möglich«.

Das würde Katharinas Vater in Erklärungsnot bringen. Katharina kann nicht an sich halten und zieht vom Leder: »Diese verdammten Nationalisten! Ich hab geglaubt, die hören irgendwann auf Druck auszuüben. Ihr findet es toll hier. Ich nicht!«

Nach dem ersten Schock kommen die beiden Frauen ins Grübeln. Spontan schießt Katharina eine Idee in den Kopf: »Onkel Johann nebenan hat doch zwei Hunde. Was hältst du davon, wenn wir einen als Wachhund zu uns holen. Dein Bruder hat im Steinbruch die Gespräche mit den Legionären bestimmt mitbekommen? Er wird dir auf jeden Fall helfen«.

Ihr Vater stutzte: »Wie stellst du dir das vor?«Locker antwortet Katharina: »Dass bekommen wir schon hin!«. Katharinas Mutter zuckte nur mit den Achseln: »Meint ihr?«

Am nächsten Morgen steht Katharinas Vater schon in der Küche: »Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen und über euere Idee nachgedacht. Mir ist auch nichts Besseres eingefallen. Fragt Johann und Rosa, ob sie einen von den Hunden hergeben?«.

Katharinas Mutter spricht am nächsten Tag mit Rosa und bringt gleich den kleineren von beiden Hunden mit.

Es gibt keine Schwierigkeiten, weil der Hund sie kennt. Mit einer Schüssel Futter und einer Schale Wasser wird er in der Werkstatt eingesperrt. Bango, so heißt der Hund, bezieht problemlos sein neues Quartier. Wegen des Futters, wie sich später herausstellt.

Niemand hat über die Folgen der Trennung der beiden Hunde nachgedacht. Mit gegenseitigem Bellen machten sie auf sich aufmerksam. Jetzt wissen sie nicht, ob sie sich ein neues Problem eingehandelt haben.

Nach einigen Tagen hören die Hunde auf zu bellen. Bango bellt nur noch, wenn jemand am Haus vorbeigeht. Sie haben zwar das Gefühl gut bewacht zu werden, ob das aber auch im Ernstfall helfen wird, wissen sie allerdings nicht. Hauptsache ihr Vater hat sich wieder beruhigt.

Der Alltag

Es ist wieder der Alltag eingekehrt, denn Schnee und Kälte kennen hier alle.

Katharina hat gestern bei der Baba - sagt man hier zur Großmutter - vorbeigeschaut, die allein in ihrem alten Häuschen wohnt. Gott sei Dank haben Nachbarn der alten Frau beim Schneeräumen geholfen.

Sie waren froh, als Katharina berichten kann, dass bei ihr alles in Ordnung ist. »Baba hat das Feuer nicht ausgehen lassen, als der viele Schnee fiel«, erzählt Katharina. »Weil sie ängstlich ist, hat sie immer alles im Haus«, weiß ihre Mutter zu berichten.

»Morgen will sie sich von dem Nachbarn auf einem Pferdeschlitten zu uns bringen lassen«, erwähnt Katharina. Ihre kleinen Geschwister sitzen mit roten Wangen am Abendbrottisch. Sie haben den ganzen Nachmittag im Schnee herumgetollt.

»Willst du heute wieder weben? Ich habe den Webstuhl zur Seite geschoben und die Nähmaschine rausgestellt, weil ich noch etwas für Weihnachten vorbereiten muss?«, fragt ihre Mutter. »Dann können wir heute ja zusammen arbeiten«, antwortet Katharina gutgelaunt.

Langsam kommt wieder Ordnung ins häusliche Leben. Sie haben gut vorgesorgt. Das Vieh im Stall kann versorgt werden und Brennholz ist vorhanden. Auch den Keller haben sie im Herbst mit Proviant vollgestopft.

Schon früh haben sie in diesem Jahr ein Schwein geschlachtet. Im Herbst haben sie das Gemüse aus dem Garten verarbeitet und in Holzfässern eingelegt.

Fast alles machen sie selbst. Brot, Nudeln, Butter, Käse und noch mehr. Für den langen Winter müssen sie vorsorgen. Schinken und Speck wird im Kamin geräuchert.

»Morgen wird das Haus voll werden«, erzählt Katharinas Mutter, »dann werden wir gemeinsam arbeiten. Die Nachbarinnen freuen sich schon darauf«. »Schön, dann sind wir nicht allein«, witzelt Katharina. Katharina bemüht sich ihren Hosenanzug bis zum Kathreinfest fertigt zu bekommen.

An solchen Frauenabenden sind die Männer und Kinder abgemeldet. Ihr Vater hört dann zu, was die Frauen erzählen und holt vielleicht ein Schnäpschen aus dem Regal.

Für die Männer findet schon im Spätherbst das Kukuruzrippeln statt. Wenn die auf der Veranda aufgehängten Maiskolben trocken sind, werden sie mit den Händen gegeneinander gerieben bis die Maiskörner herausfallen. Später werden die Säcke mit Maiskörnern zum Mahlen in die Mühle gebracht. Im ganzen Jahre ist die Mamaliga aus Maismehl eine wichtige Mahlzeit.

Das Kathreinfest

Das Kathreinfest steht vor der Tür. Rosanah möchte unbedingt dabei sein, obwohl sie Rumänin ist.

Am 25. November gedenken die katholischen und evangelischen Christen in der Bukowina der Märtyrerin Katharina. Katharinas Bruder Otto soll auch an dem Fest teilnehmen. Ihre Mutter legt Wert darauf, dass er dabei ist, vielleicht um nach dem Schicksalsjahr auf Katharina aufzupassen.

Jetzt stellen sich alle die Frage, ob die Musiker durch den Schnee hier ankommen werden. »Wenn alle Stricke reißen, nehmen wir den Dorfmusiker mit seinem Akkordeon«, denkt Katharina. Katharina erinnert sich derweil an den weiten Weg, den Rosanah vom Ende des Dorfs vor sich hat.

Sie werden ihre schönen Kleider anziehen, vielleicht sogar ihre Trachtenröcke. Katharinas Mutter sucht etwas Passendes aus ihrem Kleiderschrank.

»Hier, schau mal, ist der Rock nicht schön, der wird dir bestimmt passen?«, fragt sie, als sie ihre alte böhmische Tracht hervorholt.

»Meinst du Mama?«, und schon probiert ihn Katharina an. Als ihre Mutter sie sieht, sagt sie verschmitzt: »Gut schaust aus, jetzt fehlt noch à fescher Bursch!«. Daraufhin lenkt sie ab: »Rosanah wird die Bauerntracht ihrer Mutter anziehen«.

Dick angezogen und mit roten Wangen klopft Rosanah etwas später an die Haustür. Sie hat einen langen Weg hinter sich. »Du siehst gut aus«, kommt ihr entgegen. Die Rumäninnen haben traditionell warme Winterbekleidung. Weiße Fellstiefel, braun-rote Wollstrümpfe, darüber ein dunkles Wollkleid und eine weiße Jacke aus Schaffell.

»Ich werde noch den Mantel überziehen, denn Rosanah hat eine dicke Felljacke an«, sagt sie aufgeregt, bevor sie mit ihrem Bruder und Rosanah losmarschieren. Katharina ist mit langen weißen Strümpfen, einem langen Rock mit Schürze und einer Strickjacke ausgestattet.

Unterwegs treffen sie Nachbarn, die mit ihnen durch den Schnee stapften. Rosanah geht mit der Petroleumlampe vorweg. Da es keinen Strom gibt, gibt es auch keine Straßenbeleuchtung.

»Die Lampe habe ich für den Rückweg mitgenommen«, meint Rosanah.

Schon aus der Ferne hören sie Musik. Jetzt sind sie erleichtert. Ein gutes Zeichen, denn die Kapelle ist durch den Schnee hier angekommen.

Als Katharina Rosanah fragt: »Ich bin gespannt, ob auch rumänische Burschen kommen?«, gibt Rosanah kleinlaut zu: »Mein Bruder wird für uns einen Tisch freihalten«. »Aha!«denkt Katharina.

Sie kommen in den Saal und sehen Viorel an einem großen Tisch sitzen, als er auf die leeren Stühle hinweist. Katharina hat Hemmungen und setzt sich nicht in die Nähe von Viorel.

Später flüstert ihr Bruder ihr zu: »Ich glaube Viorel hat ein Auge auf dich geworfen?«. Sie bekommt einen roten Kopf und versucht ihre Verlegenheit zu überspielen.

Inzwischen spielt die Musik ein Lied nach dem anderen. Alle tanzen, nur Viorel und Katharina bleiben sitzen.

Erst später stellt Katharina fest, dass Viorel genauso schüchtern ist wie sie. Während die Anderen tanzen, kommen die beiden ins Gespräch. Seine Geschichten und seine Gestik gefallen ihr. Im Laufe des Abends wagen sie sich auch auf die Tanzfläche und kommen sich einwenig näher.

Katharina ist stolz auf dieses Fest. Sie fragt Viorel verlegen: »Ist das nicht ein schönes Fest, es hat meinen Namen?«Dieses Mal wurde Viorel verlegen und stammelte nur ein »da«(für ja).

Sie haben sich gerade etwas angenähert, als ihr Bruder sie an den Heimweg erinnert. Notgedrungen verabschieden sie sich von Rosanah und Viorel. Rosanah zündet vor der Tür die Laterne für den Heimweg an.

»Das war also das Kathreinfest, mein Namenstag?«, sagt Katharina auf dem Heimweg zu ihrem Bruder und denkt dabei an das Fest im letzten Jahr. .

Vor Weihnachten

Die Tage sind kürzer geworden. Im Tal wird es schon früh dunkel. Schnee und Kälte bestimmen im Winter das Leben in den Karpaten.

Es kostet viel Kraft die Wege freizuhalten. Die meiste Arbeit haben die Männer mit ihren Pferden, um mit dem Schneepflug die Wege im Dorf befahrbar zu machen.

Die Menschen bleiben lieber in ihren warmen Häusern und hoffen, dass die Vorräte ausreichen. Die Jahreszeiten und die Natur bestimmen ihren Lebensrhythmus.

Katharinas Familie ist vor Weihnachten stark beschäftigt. Es gilt viel vorzubereiten. In der Adventszeit sind die langen Abende am warmen Ofen dafür genau das Richtige.

In den Häusern kehrt Ruhe ein. In diesem Jahr wird Katharinas Tante und ihre Familie aus Czernowitz zum Weihnachtsfest anreisen. »Dann erfahren wir wieder Neues aus Stadt«, denkt Katharina. Sie ist sehr gespannt, weil sie irgendwann selbst in die Stadt ziehen wird.

Durch die häufigen Besuche in der Stadt hat sie ein gespaltenes Verhältnis zum Dorfleben. In Czernowitz gibt es Vieles, was es hier im Dorf nicht gibt.

Dort gibt es Straßenbahnen, eine Universität und ein wunderschönes Theater. Die vielen modernen Geschäfte haben Katharina stark beeindruckt. Viele kluge Köpfe leben in der Stadt.

Czernowitz ist nicht nur die Hauptstadt der Bukowina, Czernowitz hat auch internationales Flair. Czernowitz ist ein Mikrokosmos mit vielen Völkern. Leben und leben lassen lautet die Devise. Die alte Habsburger Atmosphäre müssen die Machthaber mittragen, ob sie wollen oder nicht. Wien ist den Menschen dort näher als Bukarest.

Tiefsinnig denkt Katharina über ihr Leben auf dem Lande nach. Sie hat am eigenen Leib die Veränderungen erfahren. Obwohl sie mit den Rumänen gut auskommen, fallen ihr immer wieder die Veränderungen auf.

Seit einem Jahr haben sich die rumänischen und deutschen Regierungen angenähert. Plötzlich schlägt ein Stimmungsumschwung bis zu den Menschen durch.

Die rumänische Regierung hat ihre nationale Rumänisierungspolitik gegenüber der deutschen Minderheit deutlich abgeschwächt. Man redet jetzt über Nazideutschland und Hitler.

Bislang fühlte sich die deutsche Minderheit allein gelassen. Katharina versteht diesen Stimmungswandel nicht, obwohl sie hofft, dass sich gerade für die jungen Deutschen in der Bukowina etwas zum Besseren verändert. In ihren Gedanken lässt sie die vergangenen Jahre Revue passieren.

Aus der Vergangenheit kennt sie die schrecklichen Geschichten über ihre Großväter. Einer ist im hohen Alter bei Arbeiten im Steinbruch abgestürzt und tödlich verunglückt.

Der Vater ihrer Mutter hat nach dem Krieg die Schmiede aufgegeben und ist bei der Entschärfung von großkalibriger Munition aus dem Ersten Weltkrieg tödlich verunglückt.

Nur die Baba hat alles gesund überlebt. Jetzt kümmert sich Katharina um sie, denn die Baba ist im Alter krank und schwach geworden.

Sie denkt auch an ihre Mutter, die morgens um vier aufsteht und schon drei Stunden Arbeit hinter sich hat, bevor sie die Kinder versorgt. Sie hat dann schon die Kuh auf die Weide gebracht und den Haushalt gemacht.

Katharina hat mitbekommen, was die Menschen hier leisten und trotzdem zufrieden und glücklich sind.

Während ihr Vater sechs Tage in der Woche im Steinbruch schwer arbeitet, kümmert sich ihre Mutter um Haus, Garten und Kinder.

Neben der Gartenarbeit und der Versorgung der Tiere stellt ihre Mutter viele Kleidungsstücke her, backt, kocht und versorgt die ganze Familie.

»Mit der Arbeit ist es hier so eine Sache«, fängt Katharinas Vater an zu erzählen. »Ich weiß, dass man mit dem Geld, dass ich verdiene, keine großen Sprünge machen kann. Dafür kann ich aber zu Fuß in den Steinbruch gehen. Die Waldarbeiter kommen erst Sonntag nach Hause, um sich auszuruhen und um für die Woche Proviant mit in den Wald zunehmen. Hier arbeiten sie schwer und schlafen in Hütten«.

»Wir haben aber manchmal Angst um dich. Du hastüberall blaue Flecke«, bemerkt Katharina. »Wenn eine Ladung nicht explodiert, dann muss ich nachschauen. Dabei kann dann etwas passieren«, erklärt er Katharina.

***

Man muss wissen, dass die Frauen den großen Garten bestellen und ernten, das Vieh und den Haushalt versorgen und viele Dinge des täglichen Bedarfs, wie Wolle spinnen, weben, nähen und stricken und mehr herstellen. Dabei gehört das Brotbacken, die Butter- und Käseherstellung noch zu den feinen Arbeiten. Für die langen Winter müssen Gemüsesorten und das Fleisch haltbar gemacht werden. Der Mann sorgt neben seiner Arbeit für das Grobe und dafür, dass für den Winter genügend Brennholz vorhanden ist. Natürlich hilft er so gut er kann auch bei anderen Arbeiten. Das vom Mann verdiente Geld wird für Dinge eingesetzt, die hinzugekauft werden müssen. Die Kinder suchen in den Wäldern Pilze und Beeren. Pilze werden für den Winter aufgefädelt und getrocknet, aus den Beeren wird Dulces (stark gezuckerte Marmelade) gekocht. Die täglichen Mahlzeiten richten sich nach den Jahreszeiten und sind daher vielseitig. Die buchenländer Küche hat ihren Ursprung im Böhmischen und vermischt sich mit den Essgewohnheiten der einheimischen Bevölkerung. Das arbeitsreiche Leben der Bewohner wird durch die schöne Landschaft mit ihren urwüchsigen Wäldern, Tieren, Flüssen und Bergen entschädigt. Die Bewohner genießen laue Abende mit ihren Nachbarn auf der Bank vor dem Haus sowie die Winterabende bei gemeinsamen Arbeiten in ihren warmen Häusern. Die pubertierende und aufmüpfige Katharina weiß genau, dass sie nicht wie ihre Eltern hier auf dem Land leben möchte. Sie will später in die Stadt ziehen und dort ein moderneres Leben führen.

Katharina und Viorel

Jeden Tag geht Katharina in die Webstube. Dort haben sie jetzt viel Arbeit, um die vor Weihnachten bestellten Teppiche zu weben. Weil sie ihre Teppiche am Ende selbst bestaunen kann, macht ihr die Arbeit Spaß. Zu Hause webt sie Abend für Abend an dem Stoff für ihren Hosenanzug.

Abends kommen häufig die Nachbarfrauen zur gemeinsamen Heimarbeit zusammen. So nimmt sie an dem Dorfklatsch teil und hört manche Anekdote aus vergangener Zeit. In der Webstube gibt sie die Geschichten zum Besten.

Am Samstags arbeitet Katharina nur bis Mittags. Fröhlich macht sie mit den Kolleginnen Feierabend. Als sie nach Hause geht, sieht sie auf der anderen Straßenseite einen Schlitten mit zwei Pferden.

Sie geht daran vorbei und erschrickt, als der Kutscher mit seiner Peitsche knallt. Sie dreht sich um und spürt wie sie rot wird. Als Katharina den Kutscher erkennt denkt sie im ersten Moment, was macht den Viorel hier.

Erst als er sie zu sich auf den Schlitten winkt, fällt ihr ein, dass er sie von der Arbeit abholt. Sie setzt sich in die Kutsche und packt sich in eine Decke ein.

Ihre Sprachlosigkeit verdrängt sie mit den überflüssigen Worten: »Willst du mich abholen?«. Viorel antwortet: »Ich will dich überraschen«. »Das ist dir gelungen«, bringt sie gerade noch über ihre Lippen.

Mit dem Geläut der Glöckchen an den Pferdehalftern fahren sie an den winkenden Kolleginnen vorbei. Katharina ist jetzt alles furchtbar unangenehm.

Als Viorel zu ihr sagt: »Wir fahren durch das Tal und dann setze ich dich zu Haus ab«, nickt sie. Ob er ihr Nicken gesehen hat, weiß sie nicht.

Für Katharina ist es ein schönes Gefühl in einem Schlitten mit zwei Pferden nach Hause gebracht zu werden. Diese Gespanne fahren sonst an ihr vorüber.

Es ist wunderschön durch das tief verschneite Tal zu gleiten. Die Begleitmusik der Glöckchen an den Pferdehalftern löst in ihr eine wundersame Stimmung aus.

Viorel sitzt auf dem Kutscherbock und führt seine beiden Pferde ohne etwas zu sagen. Sie wünscht sich jetzt, dass der Weg nie endet.

Im leichten Trab überqueren sie die Moldova und kommen an den tief verschneiten Wäldern und an den Bergen Adam und Eva, um die sich viele Geschichten ranken, vorbei. Ihre eigene Geschichte behält sie stattdessen für sich. Der blaue Himmel und die verschneite Landschaft geben einen schönes Bild ab.

Auf Umwegen kommen sie nach einiger Zeit an ihrem Elterhaus an. Hier wartet bereits die Familie vor dem Tor. Man hat sie vermisst. Ihre Eltern und ihre kleineren Geschwister sind begeistert, als sie das Gespann sehen.

Als Viorel es merkt winkt er die Kleinen in den Schlitten. Im nu sind sämtliche Plätze belegt. Viorel wendet mit dem Gespann, als Katharina ihm sagt: »Ich glaube, meine Eltern wären auch gern eingestiegen?«Darauf antwortet er verlegen: »Leider haben wir keinen Platz mehr«.

Mit einem Peitschenknall fahren sie los. Katharinas Geschwister, die sich in Decken eingepackt haben, fühlen sich jetzt wie kleine Schneekönige. Die Fahrt ist nach einer halben Stunde viel zu schnell vorbei.

Auch am nächsten Tag erzählen sie von der Schlittenfahrt und immer wieder fragen sie: »Wann kommt Viorel mit dem Pferdschlitten vorbei?«

Wenn Rosanah im Dorf ist, besucht sie Katharina in der Webstube. Hier haben sie viel zu besprechen. Rosana lädt Katharina Sonntag zu sich nach Hause ein. »Viorel und ich holen dich früh mit den Pferden ab und bringen dich auch wieder nach Hause«, sagt sie. »Ich freue mich schon darauf«, antwortet Katharina schmunzelnd.

Schon die ganze Woche freut sich Katharina auf diesen Besuch. Ihre Kolleginnen reagieren neidisch und ihre Mutter meint nur: »Denk daran, dass du deinen Stoff fertig webst. Den Schnitt für den Hosenanzug habe ich schon vorbereitet«. »Bis Weihnachten werde ich das nicht mehr schaffen!«, antwortet Katharina gleichgültig.

»Du wirst dich doch nicht in Viorel verliebt haben?«, fragte ihre Mutter ungläubig. Allen fällt auf, dass sie gut gelaunt ist. Sie kann nicht abwarten, dass Sonnabend nach der Arbeit der Schlitten mit den Pferden vor der Webstube steht.

Bei ihrem Besuch bei Rosoanah ist die Zeit schnell vergangen. Als Viorel die Pferde anspannt und sie nach Hause bringt, sagt er Katharina unterwegs, dass er sie nächsten Sonnabend wieder abholen wird. Es sind die letzten Tage vor Weihnachten.

Viorel verspricht Katharina den Besuch aus Czernowitz vom Bahnhof abzuholen. »Es soll eine Überraschung für die Gäste werden«, überlegt sie sich.

Die Schultage vor den Weihnachtsferien sind in Czernowitz bald zu Ende. Katharinas Tante Irmgard, ihr Mann und ihre beiden Mädel bereiteten sich auf den Besuch in den Karpaten vor.

Weihnachten in den Waldkarpaten

Die Vorfreude auf das Fest ist groß, als Viorel mit dem Schlitten am Bahnhof eintrifft. Katharina spürt, dass der Besuch die Schlittenfahrt mit den leichtfüßigen Pferden durch das verschneite Dorf, an der Moldau entlang, an den Bergen Adam und Eva vorbei, in guter Erinnerung behalten wird.

Die Schlittenfahrt ist wunderschön. Mit herzlichen Umarmungen und Fragen nach dem Verlauf der Reise werden die Gäste von ihren Eltern, der Baba und den Geschwistern, begrüßt.

Die gute liebe Baba ist der Mittelpunkt der Familie. Zu den Feiertagen schläft sie bei ihnen. Sie rücken in ihrem Haus zusammen, weil Gäste immer willkommen sind. Irmgard und ihr Mann schlafen nebenan bei Onkel Johann und Tante Rosa.

Gespannt hören alle zu, wenn die Gäste von der Reise berichten. Immer wenn sie über Czernowitz erzählen, hört Katharina gut zu.

Ihre Mutter und Baba decken den Tisch, als die beiden Kinder aus der Stadt mit Katharinas Geschwistern in den Stall gehen, um die Tiere zu begrüßen.

Da sind die Gänse, die Hühner, die Kühe und die Schweine. Alle scheinen die Gäste willkommen zu heißen. Der Hund Bango meldet sich ebenfalls.

Katharinas Vater, dem der Besuch im Stall zulange dauert, holt die Kinderschar in die warme Stube zurück. Nach dem langen Tag fallen sie später müde in die Betten.

Am nächsten Tag werden die Kinder unter Vorwänden vom großen Zimmer ferngehalten. Um die Zeit zu überbrücken, dürfen sie rodeln gehen und sich mit Katharinas Geschwistern im Schnee tummeln.

Die beiden Hunde toben ihren Übermut aus. Im Sommerhaus nebenan wärmen sie sich auf. Das Betreten des Wohnhauses ist ihnen erst beim Glockenklingeln erlaubt.

So warten alle auf das erlösende Geläut. Kühe, Schweine, Gänse und Hühner bekommen heute vom Hausherrn eine zusätzliche Portion Futter. Unter den Kindern gibt es kein Hänseln und keinen Streit. Die Freude auf das Christkind, das heute zu den Kindern kommt, flößt ihnen Ehrfurcht ein.

Endlich ist es soweit. Ein Glöckchen erklingt und sie dürfen in das große Zimmer eintreten. Sie stehen vor einem hohen Tannenbaum mit brennenden Kerzen. Das Funkeln der Glaskugeln, die verzierten Lebkuchen, die in Stanniol gewickelten Bonbons und die roten Äpfel, verzaubern die Kinder und alle anderen.

Großmutter spricht mit ihnen ein Vaterunser für den Segen des Heilands. Die Blicke der Kinder huschen auf die unter dem Weihnachtsbaum getürmten Geschenke. Sie folgen nur zögernd der Aufforderung der Baba Weihnachtslieder zu singen.

Die Heilige Nacht ist angebrochen und die Weihnachtszeit eingeläutet. Mit Herzklopfen gehen die Kinder und Erwachsenen an den Lichterbaum und suchen die Geschenke aus. Geschenke die das Christkind mit Namen unter den Baum gelegt hat.

Nur schwer trennen sich die Kinder von den Geschenken, um der Aufforderung der Großmutter zu folgen an dem festlich gedeckten Tisch Platz zu nehmen.

Die lange Fastenzeit vor Weihnachten ist erst morgen vorbei. Nach alter Sitte dürfen am Heiligen Abend nur Fastenspeisen auf den Tisch kommen. Die zwölf Apostel bestimmen die Zahl der Speisen.

Großmutter verteilt zuerst die Oblaten. Es folgt der Borschtsch aus roten Rüben mit Uschki und mit Fischfleisch gefüllte Teigtascherln. Als kalter Zwischengang wird Karpfensülze und duftender Kolatsch (Hefezopf) gereicht. Goldgelb panierter Karpfen mit Kartoffelsalat ist der nächste Gang.

Die Großen trinken einen klaren Schnaps und die Kinder bekommen Kakao oder Saft. Zum Nachtisch gibt es gekochten Weizen mit Nüssen, Mohn, Honig und Zucker, Kutja genannt - in Erinnerung an die Besiedlung der Bukowina. Es folgen Kompott aus getrockneten Zwetschgen aus dem Garten und Mohn- und Nussstritzel aus Hefeteig.

Es gibt Ribiselwein (Johannesbeerwein) für die Großen und hausgemachten Himbeersaft für die Kleinen. Niemand soll hungrig vom Tisch aufstehen.

Als die große Standuhr elf schlägt, mahnt die Baba zum Aufbruch in die Christmette. Die Kinder werden warm angezogen und bekommen kleine Laternen. Bei klirrender Kälte und knirschendem Schnee machen sie sich auf den Weg.

Aus allen Häusern kommen vermummte Gestalten und rufen sich Fröhliche Weihnachten zu. Vergessen ist nachbarlicher Streit, vergessen die Mühen des harten Winters in den Karpaten.

Tiefer Friede umhüllt die Christen auf dem Weg zur Weihnachtsmette. Orgelklänge in der Dorfkirche, Weihnachtslieder aus rauen Männerkehlen und feine Frauen- und Kinderstimmen folgen der Weihnachtsbotschaft.

Auf dem Rückweg wird manches müde Kind von starken Männerarmen getragen. Zu Hause angekommen gehen die Kinder in ihre Bettchen.

Die Erwachsenen dürfen bei Glühwein und Gebäck noch kurze Zeit ihre Unterhaltung fortsetzen. Nicht zu lang, den am nächsten Morgen sollen alle zum Hochamt in die Kirche gehen.

Neben städtisch Gekleideten sieht man Frauen in langen schwarzen Wollröcken in dicke Wolltücher gehüllt, Männer in Feiertagsanzügen und gefütterten Jacken und Hut zur Kirche gehen.

Die Fastenzeit ist zu Ende und man darf wieder Fleischspeisen essen. Die vor Kathrein - dem Fest der heiligen Katharina - geschlachtete Sau wurde zu Spezialitäten verarbeitet.

Der geräucherte Schinken wird gekocht,es gibt Blut-, Leber-, Fleisch- und Bratwürste, alles leicht geräuchert. Hinzu kommen Gänse-, Hühner- und Entenbraten aus dem eigenen Haus.

Unsere Baba führt das Zepter. Als Beilagen gibt es gesäuerte Preiselbeeren, Sauerkraut, Zwickel mit Kren (rote Rüben mit Meerrettich), gesäuerte Gurken aus dem Eichenfass und Ghiveci (gesäuertes Mischgemüse).

Zu den Getränken gehören der rubinrote Wischniak (aus Weichseln gegärt), der dunkelblaue Afiniak (Heidelbeerenschnaps) und Ribiselwein (Johannisbeerwein).

Die Bewirtung der Familie und der Gäste ist zu jeder Tages- und Nachtzeit sichergestellt. Unverkennbar ist der Stolz der Hausfrau, wenn ihre eigenen Hausrezepte gelobt werden.

Nach dem zweiten Weihnachtstag kehrt der Alltag wieder ein. Katharinas kleineren Geschwister und die Kinder aus der Stadt haben viel Spaß im Hof, auf der Straße und in der Nachbarschaft.

Der Tag des Heiligen Sylvesters läutet das Neue Jahr ein. Nach dem Besuch des Dankgottesdienstes am Nachmittag beginnt das Neujahrsfest – dieses Mal ohne Fastenspeisen.

Der von Weihnachten stehen gebliebene Weihnachtsbaum erstrahlt im alten Glanz und die festliche Tafel vereint wieder Groß und Klein. Es wird gesungen, gelacht und gespeist.

Draußen sind merkwürdige Geräusche zu hören. Peitschen knallen, Männer feuern sich gegenseitig an, ein tiefes Brummen begleitet ein hölzernes Geklapper und eine Fidel versucht ein klagendes Lied zu spielen.

Die Kinder aus der Stadt sind erschreckt. Der Buhai (Stier) ist zum Haus gekommen. Katharinas Vater erklärt den Kindern diesen Brauch der Rumänen.

Ein aufrechter riesiger Braunbär tanzt zum Klang der Fidel, eine Capra (Ziege). Ein Doktor mit Arzttasche und Stethoskop prüft die Herzschläge der Begleiter, ein Gendarm (in alter österreichischer Uniform) sorgt für Ordnung.

Viel Fußvolk vollführt merkwürdige Tänze. Und immer wieder erklingt das Brummen des Buhais. Einer Holztrommel mit einer Lederhaut und einem Pferdeschwanz, an dem gezogen wird.

Sie vertreiben die bösen Geister und begrüßen mit ihrem Tun das Neue Jahr. Sie bringen Hochrufe und gute Wünsche für Mitbewohner des Dorfes aus. Mit Schnaps, Geld und Süßigkeiten beschenkt ziehen sie zum nächsten Haus.

Mit lustigen Späßen und einigen Tänzen zum Klang eines alten Grammophons geht dieses schöne Neujahrsfest zu Ende.

Am nächsten Tag verabschiedet sich ein Teil der Verwandten. Tante Irmgard, ihr Mann und die Kinder erleben mit den Gastgebern noch den 6. Januar, das Fest der Heiligen drei Könige, das bei den Rumänen Boboteaza genannt wird.

Es ist die Gelegenheit Katharinas Eltern den Besuch noch mal zu verwöhnen.

Nach der Messe in der Kirche gehen sie mit den rumänischen Bewohnern des Dorfes in einem langen Zug zu der zugefrorenen Moldau. Katharina ist aufgeregt, weil sie weiß, dass sie hier Rosanah und Viorel treffen wird.

An der Spitze geht der rumänische Popa in seinem festlichen Gewand. Ihm folgen der katholische und der evangelische Pfarrer, der Bürgermeister, der Gendarmeriechef und andere Honoratioren der rumänischen, deutschen und jüdischen Bevölkerung des Ortes.

Aus dem Eis des Flusses wird ein großes Kreuz in einzelne Blöcke geschnitten und am Ufer aufgestellt. Es soll als christliches Symbol stehen bleiben, bis das Eis am Ende des Winters schmilzt.

Bei dieser Gelegenheit bewundern sie die schönen Trachten der Rumänen. Die bestickten Hemden über wollenen weißen Hosen bei den Männern und golddurchwobenen Katrinzen bei den Frauen. Reich verzierte Lammfelljacken zeugen von der alten Volkskunst, die noch heute in den Gebirgsdörfern der Bukowina in Ehren gehalten wird.

Die Frauen schützen sich vor der winterlichen Kälte mit wollenen Kopftüchern, die Männer tragen hohe Lammfellmützen, Kuschma genannt.

Als Katharina Rosanah und ihren Bruder begrüßt, steht sie plötzlich im Kreis der großen Familie. Es dauerte nicht lange, bis ihre Familie und die Gäste hinzukommen.

Als sie sich nach der herzlichen Begrüßung und dem Austausch von Glückwünschen von ihnen verabschieden, verspürt Katharina ein Gefühl der Gemeinsamkeit.

Die unterschiedliche Herkunft der Menschen spielt hier keine Rolle. Mit einem gegenseitigen »Noroc si sanatate«(Glück und Gesundheit) kehren alle in ihre warmen Häuser zurück.

Am nächsten Tag treten die Gäste die Heimfahrt nach Czernowitz an. Die Stadtkinder verabschieden sich bei den Tieren im Stall, bevor sie Katharina und ihre Familie umarmen.

Als Viorel mit dem Schlitten die Gäste zum Bahnhof bringt, winken sie ihnen bis zum Ende der Straße.

Sie freuen sich auf das nächste Treffen zu Ostern.

Die Baba

Immer wenn es Baba nicht gut geht, bleibt sie in der großen Familie. Dann erzählt sie von vergangenen Tagen, denn Katharina hört ihr gerne zu. »Wir waren auch mal eine große Familie. Jetzt haben meine Kinder eigene Familien und leben irgendwo in der Bukowina.

Deine Mutter wird dir erzählen können, dass ich, immer wenn Not am Mann war, in der Schmiede deines Großvaters den Vorschlaghammer geschwungen habe«. Baba erzähl weiter, fordert sie Katharina auf. »Bei uns roch es nach Kohle, nach Pech und Schwefel. Wenn Pferde beschlagen wurden nach dem verschmortem Horn der Hufe«.

»Und wie hast du deine Kinder behütet?«, will Katharina wissen. »Sie durften nicht in die Werkstatt. Dafür durften sie auf den abgestellten Pferdewagen spielen«. »Das waren ja Abenteuerspielplätze«, fällt Katharina dabei ein.

Die Baba gerät ins Schwärmen, wenn sie vom Herzogtum erzählt: »Als Herzogtum gehörte die Bukowina zu Österreich. Wir haben Kaiser Franz Josef verehrt. Er hat die Bukowina gern und oft besucht«.

Katharina bohrt weiter: »Und wie war es im Ersten Weltkrieg?« »Schrecklich, die jungen Männer mussten zum kaiserlichen Militär. Es gab hier schwere Kämpfe. Dabei sind zwei meiner Söhne im Krieg geblieben. Vinzenz sollte Opas Werkstatt übernehmen.

Wie du weißt haben die Österreicher und die Deutschen den Krieg verloren und die Bukowina wurde Rumänien zugeschlagen. Die österreichischen Beamten haben daraufhin das Land verlassen. Wir waren dann keine Deutschen und keine Österreicher mehr«.

»Und was ist mit Opa geschehen?«, will Katharina wissen. »Uns ging es in dieser in dieser Zeit schlecht«, erzählt sie, »da hat Franz Metall gesammelt. Bei der Entschärfung von großer Munition ist eine Granate explodiert. Dabei er ist er verunglückt«.

»Ich wusste nicht, dass Opa so schrecklich gestorben ist«, stellt Katharina fest. »Der andere Opa ist auf seinen alten Tagen im Steinbruch abgestürzt«.

»Ja, Kind, über diese Dinge haben wir in der Familie nicht gesprochen. »Das ist traurig!«, mehr kann Katharina nicht sagen und zeigt Baba ihren Stoff im Webstuhl, um sie auf andere Gedanken zu bringen.

»Der Stoff ist bald fertig. Ich werde mir einen Hosenanzug nähen«, sagt Katharina. »Mädel, eine Frau zieht keine Hose an«, erwidert die Baba entsetzt. Mit den Worten: »Ich habe so einen Hosenanzug in der Stadt gesehen«, versucht Katharina Baba zu beruhigen.

Baba erinnert sich an eine alte Geschichte: »Weist du, was mir auf dem Nachhauseweg von euch ein Mal passiert ist?«, fragt Baba. »Nein, erzähl«, muntert Katharina sie auf.

»Eines Abends, es lag Schnee und es war kalt und dunkel. Als ich von euch nach Haus ging kamen mir zwei Lichter entgegen. Erst aus der Nähe habe ich gemerkt, dass es die funkelnden Augen eines Wolfes waren.

Da der Wolf direkt auf mich zukam musste ich reagieren. Ich hatte mich gewundert, dass der Wolf ruhig war und ich mutiger wurde. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als dem Wolf mit beiden Händen am Rücken in das Fell zu greifen und ihn festzuhalten.

Dann geschah etwas Eigenartiges. Der Wolf ließ sich von mir führen. Unterwegs kam mir ein Nachbar entgegen. Es war ein großer kräftiger Mann, der erst den Wolf und dann mich ansah. Er hat mir sofort geholfen. Wir brachten den Wolf in den Stall und sperrten ihn ein«.

Katharina kann diese Geschichte nicht glauben und fragt: »Was geschah dann?« Baba erzählt weiter: »Am nächsten Tag sind wir zur Gendarmerie gegangen. Zusammen mit dem Tierarzt haben sie sich den Wolf angesehen. Der Wolf schlief. Später hat man festgestellt, dass es ein altes und krankes Tier war und es froh war, dass es noch sein Leben hatte«. Katharina kann die Geschichte immer noch nicht glauben.

»Man erzählt im Dorf viele Geschichten vom Wolf. Ob sie alle stimmen, weiß man nicht?«, fragt Katharina und arbeitet weiter am Webstuhl.

»Aber doch«, sagt Baba und fängt mit einer anderen Geschichte an. »Wir hatten Angst, wenn die Kinder im Wald Beeren oder Pilze suchten.

Drei Kinder der Familie Keil waren im Wald Beeren pflücken, als sie von einem Wolf angefallen wurden«. Katharina sagt: »Mir habt ihr erzählt, der Wolf greift keine Menschen an«. »Ja sagt die Baba, »dieser Wolf war krank, er hatte Tollwut. Das hat man erst später gewusst, als die Kinder auch krank wurden«.

»Ist das eine ansteckende Krankheit?«, fragt Katharina. »Über die Wunden wurde die Krankheit auf die Kinder übertragen«, erklärt die Baba.

»Im Dorf hat man damals erzählt, dass die Kinder nachts wie Wölfe geheult hätten. Später sind sie gestorben«.

»Baba, heute kann ich nicht einschlafen!«, sagt Katharina und nimmt den fertigen Stoff aus dem Webstuhl.

Am nächsten Tag bringt Katharina Rosanah mit nach Hause. Gemeinsam wollen sie mit dem Nähen der Hose beginnen.

Sie kennen noch keinen Hosenanzug und legen die Zuschnitte auf den Stoff, den sie dann in Einzelteile zerschneiden. Beim Nähen hilft Katharinas Mutter, die Hosen für die Männer und Jungs näht.

Nach einigen Abenden ist der Hosenanzug fertig. Katharina ist stolz und erzählt Rosanah, dass sie den Anzug Sonnabend anziehen wird, wenn sie Viorel von der Arbeit abholt.

Als Viorel Katharina zu Hause abliefert muss sie feststellen, dass ihm der Hosenanzug gar nicht aufgefallen war. »Den werde ich erst wieder anziehen, wenn ich in die Stadt fahre«, denkt Katharina.

Da Viorel jetzt häufiger zu Besuch kommt, fragt ihre Mutter eines Morgens: »Wie stellst du dir das mit Viorel vor? Wie wird es weitergehen?«. Katharina lacht und sagt: »Mama, ich bin jung und habe nicht die Absicht zu heiraten. Ich finde Viorel nett, mehr nicht«.

»Da bin ich beruhigt!«, sagt ihre Mutter und erklärt ihr: »Ich wünsche mir, dass du später einen deutschen Burschen heiratest«. Daraufhin sagt Katharina: »Ich denke wir sind alle rumänische Bürger?« »Ja, wir haben nur die rumänische Staatsbürgerschaft, weil wir hier leben«, antwortet ihre Mutter und erzählt weiter: »Wir sind immer noch Deutsche, wie im Herzogtum«. »Ward ihr da nicht Österreicher?«, fragt Katharina.

Spätestens jetzt wird Katharina klar, dass die Deutschen mit den Rumänen zwar gut auskommen, beim Heiraten der Spaß aber aufhört.

Katharina erinnert ihre Mutter daran: »Du weißt, dass ich eines Tages in die Stadt ziehen werde. Und was dann ist werde ich sehen?«. Ihre Mutter gibt sich damit zufrieden.