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Paula und Peter sind schon seit Langem Kollegen. Sie ist Ärztin, er arbeitet als Jurist in der Klinikverwaltung. Ein Interesse der beiden aneinander war schon immer da. Nach einem mehrtägigen Seminar verbringen sie die letzte Nacht miteinander. Auf der Rückfahrt nach Hause kommen die beiden mit der Bahn nur bis Würzburg: Streik. Was sollen sie tun mit ihrer ungeklärten Geschichte und den unerwartet freien Tagen? Während sie Stadt und Umgebung erkunden, nähern sich die beiden einander vorsichtig. Peter hält die Ungewissheit, wie es mit ihnen weitergehen wird, nur schwer aus. Sein Drängen nimmt Paula mal spielerisch, mal verärgert. Sie will das Jetzt genießen und weicht den Fragen nach dem Morgen aus. Als eine Katze zu ihrer Begleitung wird, sehen sie an deren Beispiel, wie schwer sich Menschen damit tun, den Moment zu leben, ohne Plan zu sein und sich der Freiheit hinzugeben.
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Seitenzahl: 107
Veröffentlichungsjahr: 2025
Paula und Peter sind seit Langem Kollegen. Sie ist Ärztin, er arbeitet als Jurist in der Klinikverwaltung. Ein Interesse der beiden aneinander war schon immer da. Kein Wunder also, dass sie nach einem Seminar die letzte Nacht miteinander verbringen.
Dass sie auf der Rückfahrt nach Hause in Würzburg stranden würden, damit haben sie beide nicht gerechnet. Was sollen sie nun tun mit ihrer ungeklärten Geschichte und den unerwartet freien Tagen? Während ihrer Erkundungen nähern sich die beiden weiter an. Peter hält die Ungewissheit, wie es mit ihnen weitergehen soll, nur schwer aus. Sein Drängen nimmt Paula mal spielerisch, mal verärgert. Sie will das Jetzt genießen und weicht den Fragen nach dem Morgen aus. Als eine Katze zu ihrer Begleitung wird, sehen sie, wie schwer sich Menschen damit tun, im Moment zu leben und sich der Freiheit hinzugeben.
Ewald Arenz, 1965 in Nürnberg geboren, arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium in Nürnberg. Seine Romane und Theaterstücke sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. ›Alte Sorten‹ (DuMont 2019) war nominiert für das »Lieblingsbuch der Unabhängigen« 2019 und stand monatelang auf den Spiegel-Bestsellerlisten. Sein Roman ›Der große Sommer‹ (DuMont 2021) war 2021 »Lieblingsbuch der Unabhängigen«. Dieser, wie alle weiteren Romane, wurde ebenfalls ein Spiegel-Bestseller. Zuletzt erschien ›Zwei Leben‹ (DuMont 2024). Der Autor lebt in der Nähe von Fürth.
Florian Bayer ist freier Illustrator aus Esslingen bei Stuttgart. Seit 2007 illustriert er u. a. für Der Spiegel, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung und FAZ. Seit 2023 ist er Professor für Illustration an der Merz Akademie, Hochschule für angewandte Kunst, Design und Medien, in Stuttgart. Seine Arbeiten wurden mehrfach international ausgezeichnet.
EWALD ARENZ
Katzentage
ILLUSTRIERT VON FLORIAN BAYER
Von Ewald Arenz sind bei DuMont außerdem erschienen:Alte Sorten
Der große Sommer
Das Diamantenmädchen
Ein Lied über der Stadt
Die Liebe an miesen Tagen
Der Duft von Schokolade
Zwei Leben
E-Book 2025
© 2025 DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG, Amsterdamer Straße 192, 50735 Köln, [email protected]
Alle Rechte vorbehalten.
Die Nutzung dieses Werks für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.
Illustrationen: Florian Bayer
Layout und Satz: Birgit Haermeyer
Reproduktionen: PPP Pre Print Partner, Köln
E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
ISBN E-Book 978-3-7558-1136-7
www.dumont-buchverlag.de
Der Zug fuhr durch den frühen Oktober. Es würde ein schöner Tag werden, aber jetzt standen feine Schwaden auf den stillen Wiesen neben den Gleisen. Über der dunklen Linie der Fichten auf einem leicht geschwungenen Kamm war der Himmel schon dunstig blau, und auf der anderen Seite war die Sonne eben aufgegangen. Herbstlich rot. Ein Licht, das es nur an diesen Herbsttagen geben konnte.
Paula sah hinüber zu Peter. Er schlief. Oder hatte auf jeden Fall die Augen geschlossen. Womöglich, weil er ihrem Blick nicht begegnen wollte. Sie musste lächeln. Sie wusste auch nicht genau, wie sie ihn ansehen sollte. Zum Glück war es noch dunkel gewesen, als sie das Hotel Richtung Bahnhof verlassen hatten. Sie hatten beide nicht viel geredet. Was auch? Was sagte man nach so einer Nacht?
Wie schön, dass ich mich selbst noch überraschen kann, dachte sie mit einem halb ironischen, halb unsicheren Lächeln über sich selbst. Vielleicht hätten wir nicht … aber doch. Er sah so … wie er da so schlief oder vielleicht nur so tat, als schliefe er, konnte man den Jungen in ihm noch sehen. Einen hübschen Jungen. Ein bisschen frech womöglich, aber charmant. Dabei war ein Anwalt das Letzte gewesen, womit sie jemals gerechnet hatte. Noch dazu ein Verwaltungsjurist. Aber, argumentierte sie in dem noch andauernden stummen Selbstgespräch, nach wie vor lächelnd, Menschen sind eben doch vielschichtiger … dass ich immer noch in solchen Kategorien denke. Äußerlichkeiten.
Sie hatte ihn von Anfang an interessant gefunden. Ja, es war schon lange zwischen ihnen gewesen.
Beide hatten sie die Fortbildung grauenvoll gefunden. Warum nahm man an so was eigentlich teil? Paula hatte gleich gewusst, dass dieses Seminar eine Katastrophe sein würde, hatte sich aber dennoch breitschlagen lassen. Als sie Peters Name auf der Teilnehmerliste gelesen hatte, war sie erleichtert gewesen.
Und dann … die Referentin hätte sie beinahe aus dem Raum geworfen, weil sie beide sich benommen hatten wie in der Schule im Musikunterricht.
Nach der Fortbildung beim Essen und danach an der Hotelbar, sie hatten beide noch nicht ins Bett gehen wollen … na ja. Es war schon lange zwischen ihnen gewesen.
Die Sonne stieg langsam höher, und das Licht im Waggon war so freundlich, wie es in einem deutschen Zug nur sein konnte. Vor allem machte es Peters Gesicht noch attraktiver, und das war eigentlich nicht fair.
Richtig kennt man sich nie, oder? Ich weiß, wo er wohnt und dass er gerne Wein trinkt. Dass er morgens im Aufzug überraschend witzig sein kann. Aber wie er im Inneren ist? Da arbeitet man schon so lange zusammen und mag sich, und trotzdem weiß man sehr vieles nicht. Andererseits, sie sah aus dem Fenster und musste wieder lächeln, andererseits habe ich ihm auch nie viel von mir erzählt. Alles okay, oder? Wir sind erwachsen.
Peter wachte von dem Lärm der Durchsage auf, die er halb in den Traum eingebaut hatte, der ihm schon entglitt, bevor er ganz da war. Er brauchte eine Sekunde, um sich zurechtzufinden. Bahn. Klar. Paula. Paula! Sofort spürte er diese kleine Unsicherheit, die ihn wahrscheinlich hatte eingeschlafen lassen. Nicht zu wissen, wie man sich nach so einer Nacht ansprach. Wie man sich … und ob der andere so fühlte wie man selbst. Dass ein paar Stunden alles verändern konnten!
»Hallo. Wieder wach?«
Sie lächelte mit diesem kleinen Zug um den Mund, der ihm immer schon gefallen hatte. Konnte Spott eigentlich erotisch sein?
»Na ja, wach … was haben sie gesagt? Ich hab’s nicht verstanden. Sind wir pünktlich?«
»Hängt davon ab, wo wir hinwollen.«
Ihr Ton war immer noch spöttisch. Leicht.
»In Würzburg kommen wir pünktlich an, ja. Aber dann ist Schluss. Wir werden den Rest laufen müssen. Sie streiken jetzt wirklich. Keine Züge mehr ab Würzburg.«
»Ich möchte nicht von Würzburg nach Frankfurt laufen«, sagte Peter. »Das sind sicher mehr als zehn Kilometer. Dafür bin ich nicht gemacht.«
Er setzte sich auf und sah aus dem Fenster. Der Main. Feiner Nebel wie ein leichtes Laken auf dem Wasser. Als ob der Fluss in der Morgenkühle noch schliefe. Weinberge zur Linken. Die Weinstöcke ganz oben leuchteten in der Sonne schon auf; sommerlich grün. Das gab es nur im frühen Oktober, dieses Nebeneinander von Sommer und Herbst. Tage, in denen Kühle und Hitze so miteinander verwoben waren, dass man nicht wusste, was von beiden schöner war. Er warf Paula einen kurzen Blick zu. Fast scheu. Er wusste nicht, was sie dachte. Mein Gott! Als ob er noch achtzehn oder zwanzig wäre. Diese plötzliche Unsicherheit … das hatte er schon lange nicht mehr empfunden.
Paula lächelte leicht.
»Viel anderes wird uns nicht übrigbleiben.« Sie hob ihr Handy. »Es geht wirklich gar nichts. Und heute wollen anscheinend alle irgendwohin. Es gibt keine Leihwagen mehr. Wir können ansonsten nur noch trampen.«
»Im Ernst? Bei keiner Autovermietung? Und was das Trampen angeht – da habe ich ganz traurige Erfahrungen gemacht. Niemand, wirklich niemand nimmt einen Mann im Anzug mit. Rocker, Punks, Musiker. Frauen werden sowieso immer mitgenommen, aber ein Mann im Anzug? Nie.« Er sah auf sein Handy. »Außerdem ist es egal. Von Frankfurt gehen auch keine Züge mehr. Mindestens bis Sonntag nicht, steht hier. Lang lebe das Streikrecht.«
Der Zug wurde langsamer. Diesmal verstand Peter die Durchsage, als sie in den Bahnhof einfuhren. Keine Weiterfahrt. Zug endet hier. Alle aussteigen. Danke für Ihre Fahrt mit der Deutschen Bahn.
Peter stand abrupt auf und nahm seine Reisetasche aus der Ablage.
»Taxi?«, fragte er nur halb im Spaß.
Paula stand ebenfalls auf.
»Ich weiß nicht genau, wie lange du darauf warten musstest, bis die Chefin die Fortbildung genehmigt hat, aber nach meinen Erfahrungen mit ihr wird sie eher nicht bereit sein, uns fünfhundert Euro für ein Taxi nach Hamburg zu erstatten.«
Peter musste bei der Vorstellung lachen.
»Wieso nicht?«, sagte er lauter als nötig. »Bin ich das nicht wert?«
Paula musterte ihn von oben bis unten. Dann von unten bis oben.
»Nein«, sagte sie trocken.
Die Türen gingen auf. Sie waren in Würzburg gestrandet.
»Seltsame Erfahrung, oder?«
Sie hatten sich Kaffee geholt, saßen auf einer Bank an der Trambahnschleife und betrachteten den Brunnen, der sich in der Mitte befand. Es gab eine sehr pathetische Inschrift, von der nicht ganz klar war, an wen sie sich richtete.
»›In Treue fest‹?«, las Peter vor. »Meinst du das mit seltsamer Erfahrung: Treue?«
Sie stieß ihn lachend in die Seite, dass er etwas Kaffee verschüttete.
»Still! Dir steht nicht zu, hier über Treue zu schwätzen.«
Ihm kam erst in dem Moment, dass sie seinen Scherz anders verstanden haben konnte. Wie einen kleinen Erkundungsballon: Wie denkst du über die Liebe? Wie bist du wirklich? Ob sie dieses Testen komisch fand? Aber sie ließ die Pause nicht lang werden.
»Nein, ich meine etwas anderes. So festzusitzen. Wir sind das nicht mehr gewöhnt, oder? Es gibt doch in unserer modernen Welt immer eine Möglichkeit. Wenn der Zug nicht fährt, dann eben das eigene Auto oder Taxi oder … keine Ahnung. Jedenfalls denkt man nicht, dass einem so was in Deutschland passiert.«
Die Luft war wunderbar. Es war noch ein bisschen kühl, aber sie saßen in der Sonne. Es war eine fast unwirkliche Stimmung. Sie hatten beide noch kein Wort über die Nacht verloren. Dass man nach so viel Nähe wieder so unsicher im Umgang miteinander sein konnte, dachte er. Und dann sitzen wir auf einmal an einem wunderbaren Morgen hier vor einem Brunnen in einer fremden Stadt. Als ob wir ein Liebespaar wären. Als ob unser wirkliches Leben für einen Augenblick gar nicht wahr wäre.
»An so einem Tag könnte man wandern«, sagte sie wie zu sich selbst.
Wir sind beide befangen, dachte er, und vielleicht sprechen wir über andere Dinge, weil wir über die eigentlichen nicht so richtig reden können.
Er nahm einen weiteren Schluck. »Aus irgendeinem Grund ist in meinem Becher weniger Kaffee als in deinem. Können wir tauschen?«
Sie stand auf und sah mitleidig auf ihn hinab.
»Ich kann nichts dafür, dass dein alkoholbedingter Tremor dir nicht erlaubt, deinen Kaffee ruhig zu halten, und du alles verschüttest.«
Er lachte. Sie beherrschte diesen überheblichen Ton einer Ärztin ganz großartig.
»Also, Frau Doktor, was machen wir? Sollen wir uns ein Hotel suchen? Oder wandern wir wirklich? Aber … man muss doch irgendwie wegkommen, oder? Uber? Fahrgemeinschaft? Irgendwas geht doch immer.«
Sie hatte sich auf die Lehne der Bank gesetzt, sodass sie immer noch auf ihn hinabsehen konnte. Es ging eine sehr leichte Brise, und ein feiner Sprühnebel vom Brunnen wehte kühl über sie hinweg.
»Ihr Männer wollt immer jede Situation reparieren. Dabei gibt es an dieser Lage nichts zu reparieren. Wir sitzen an einem strahlenden Oktobermorgen in der Sonne und trinken Kaffee. Die hungernden Kinder in Afrika wären dankbar, während du …«
Er lachte erneut.
»Kannst du das bitte unterlassen?«, fragte er höflich. »Mich moralisch unter Druck setzen. Kinder sollen zudem keinen Kaffee trinken. Gerade du als Ärztin solltest das wissen. Aber eigentlich hast du recht«, gab er dann zu und schloss für einen Moment die Augen. Trotz der noch kühlen Luft spürte er die Sonne warm auf seinem Gesicht. »Ich … es ist manchmal so schwierig, nichts zu tun. Einfach nur dazusitzen und nichts zu tun.«
Es gab eine kleine Grünanlage nicht weit vom Bahnhof. Sehr unspektakulär, aber die Bäume hatten schon begonnen, sich zu verfärben, und deshalb war das Licht in den Kronen farbig leicht und versprach einen schönen Tag.
Sie waren auf dem kurzen Weg dorthin schweigsam geworden. Beide wussten sie nicht genau, wie es mit dem anderen stand. Wie eigenartig es ist, dachte sie, dass wir immer erst merken, in wie festgefügten Bahnen unser … mein Leben verläuft, wenn … ja, wenn die Bahnen auf einmal nicht mehr fahren.
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Er sah nachdenklich aus.
»Ich bin einmal«, begann Peter, »ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr das war, aber ich war wohl so fünfzehn oder sechzehn …«
»Muss schon eine Zeitlang her sein«, warf sie boshaft ein. Vielleicht nur, um zu sehen, dass er sich dadurch nicht aus dem Gleichgewicht bringen ließ. Um sich zu vergewissern, dass er so sicher war, wie er oft in der Arbeit wirkte.
Er lächelte. »Still doch. Ich habe nur diese eine Geschichte zu erzählen, und du darfst mich nicht unterbrechen, sonst vergesse ich die auch noch. Bei meinem fortgeschrittenen Alter.«
Vierzig vielleicht, dachte Paula. Oder womöglich jünger als ich? Sie machte rasch eine Handbewegung. »Also gut. Erzähl!«
»Ich war morgens ganz normal zur Schule gegangen und hatte mich schon gewundert, wieso es in der Stadt so still war. Und als ich zur Schule komme, steht da niemand, und ich denke: Bin ich zu spät? Aber als ich vor dem geschlossenen Schultor stehe, völlig allein, da habe ich plötzlich begriffen, dass Feiertag war. Keine Schule.«