Kick or Kiss - Julien Wolff - E-Book
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Kick or Kiss E-Book

Julien Wolff

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Beschreibung

Keine Halbzeitpause für die Liebe. Fußball ist überhaupt nicht Chiaras Ding. Daher ist sie wenig begeistert, als sie für ein Schulprojekt über die erfolgreichste Jugendmannschaft der Stadt bloggen soll. Bei ihrer Recherche gerät sie ausgerechnet an den Kapitän des Teams. Lio ist arrogant, verwöhnt und selbstverliebt – denkt Chiara, bis sie ihn richtig kennenlernt. Ihre Gefühle geraten zunehmend außer Kontrolle und auch Lio kann sich ihr nur schwer entziehen. Doch um einen Volltreffer zu landen, braucht es mehr als das richtige Timing … Eine rasante Liebesgeschichte aus zwei Perspektiven erzählt!

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Julien Wolff: Kick or Kiss

Keine Halbzeitpause für die Liebe!

Fußball ist überhaupt nicht Ciaras Ding. Daher ist sie wenig begeistert, als sie für ein Schulprojekt über die erfolgreichste Jugendmannschaft der Stadt bloggen soll. Bei ihrer Recherche gerät sie ausgerechnet an den Kapitän des Teams. Lio ist arrogant, verwöhnt und selbstverliebt – denkt Ciara, bis sie ihn richtig kennenlernt. Ihre Gefühle geraten zunehmend außer Kontrolle und auch Lio kann sich ihr nur schwer entziehen. Doch um einen Volltreffer zu landen, braucht es mehr als das richtige Timing …

Wohin soll es gehen?

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  Vita

 

 

Für alle Verliebten

 

 

»You’re just my type

I never wanna leave your side

You my little baby, you’re my ride or die«

Christian Paul, »Maria«

KAPITEL 1

Chiara

Was ist noch ätzender als ein Sonntagmorgen, an dem dein Wecker dich um 6:30 Uhr aus deinen schönen Träumen reißt?

Seit heute weiß ich es. Es ist ein Sonntagmorgen, an dem du dich nach dem Aufstehen zu dieser Ich-will-doch-einfach-nur-schlafen-Unzeit durch den Regen kämpfst, dir der Bus vor der Nase wegfährt und du deswegen zur Arbeit laufen musst, während deine Wimperntusche und dein Make-up komplett verschmieren. Von allen Tagen dieser schönen Frühsommer-Woche muss es natürlich ausgerechnet heute in Strömen gießen. Obwohl ein trockener Morgen angesagt war. (Notiz an mich: bessere Wetter-App downloaden!)

Ich drücke die Tür zum Café auf und dann läuft auch noch dieses alte Lied, das mich zu verspotten scheint. »I am easy like Sunday morning …« #weekendmode und so. Heute also mal wieder so richtig schön ironisch unterwegs, liebes Universum!

Ein Klirren lässt mich zusammenzucken, als ich meine hellblaue Jeansjacke an der Garderobe neben dem Eingang aufhänge. Das Geräusch kommt aus dem Lager. Die Tür steht offen, ich strecke meinen Hals wie eine Giraffe und blicke über die Bar. Dave steht in einer dunkelbraunen Pfütze, um ihn herum liegen Scherben, sein gelbes Shirt mit Papageien-Muster ist total nass. Erst jetzt bemerkt er mich und sieht mich durch seine goldene Hipster-Brille grinsend an.

»Chiara, mein Engel, guten Morgen. Ich habe gerade unfreiwillig ’ne Cola-Dusche genommen.« Sein Lachen steckt mich sofort an. Er sieht aus wie ein YouTube-Comedian, der gerade einen Sketch aufführt. Aber das ist echt. Dave, wie er leibt und lebt. Sofort bessert sich meine Laune – zumindest ein bisschen.

»Läuft bei uns heute Morgen«, sage ich, während ich an der Kaffeemaschine auf den Knopf für einen Espresso drücke. »Dir fällt ’ne Flasche runter, und ich sehe nach meinem Marathon durch den Regen aus wie Dracula.« Ich wische mir eine klitschnasse Strähne aus meinem Gesicht und verdrehe die Augen.

»Wenn du ein Vampir bist, dann der hübscheste überhaupt.« Dave grinst mich total lieb an. »Wie kann man mit sechzehn nur schon so gut aussehen … Für mich bist du eher die junge Gigi Hadid als so ein blutsaugendes Wesen mit komischen Eckzähnen.«

»Hey, ich bin fast siebzehn! Nur noch ein paar Wochen«, sage ich. Wir lachen.

Ich liebe Dave. Also, auf freundschaftlicher Ebene. Nicht nur, weil er mir oft so liebe Komplimente macht. Er ist einfach der beste Chef. Und ich liebe Daves Café, das Daybreak. Als er es vor einem Jahr mit seinem Mann Sören eröffnet hat, sind meine beste Freundin Mel und ich gleich reingegangen. Der Laden hat irgendwie richtig geleuchtet und super neugierig gemacht.

Die Atmosphäre zog uns sofort in ihren Bann. Diese wunderbaren blauen Wände, die wie das Meer im Sommer aussehen. Die hellen Holztische, der lange Tresen, die Schwarz-Weiß-Fotos von Hollywood-Stars an den Wänden, die kuscheligen Sitzecken mit all den weißen und grauen Kissen – es ist für uns der gemütlichste Ort Münchens. Und dann die Lage! Mitten in der Stadt. Mit Blick auf die Isar, den schönsten Fluss der Welt.

Als Dave mir in diesem Frühjahr erzählte, dass er eine Aushilfe braucht, habe ich keine Sekunde gezögert. »Wie wär’s mit mir?«, fragte ich. Dave stimmte sofort zu.

Seitdem kellnere ich viermal pro Woche nach der Schule – und wenn ich die ersten Stunden frei hab, auch mal vor dem Unterricht. Und eben sonntags, wie heute. Ich mag meinen Nebenjob richtig gern. Nur das frühe Aufstehen fällt mir echt schwer. Das habe ich unterschätzt. Gott sei Dank schafft es Dave sogar heute, mich aufzuheitern und selbst um diese Uhrzeit in den Happy-Mode zu bringen.

»Darling, bereitest du bitte die Acai-Bowls vor? Our guests love them.« Dave holt Blaubeeren und Mangos aus dem Kühlschrank. »Sören hat heute frei – it is all on us, baby!« Er ist Londoner und spricht dauernd Denglisch, mischt deutsche und englische Wörter. Dave geht auf die vierzig zu, kommt mir aber meist viel jünger und wie ein großer Bruder vor. Ich arbeite nicht nur einfach für ihn. Er ist inzwischen ein richtig guter Freund.

Nach einer Stunde haben wir die Bowls fertig vorbereitet, alle Tische eingedeckt und die Tageskarte mit Kreide an die große Tafel über der Theke geschrieben (OMG! Es gibt heute frische Waffeln mit Erdbeeren. Dave macht die so gut, da könnte ich mich reinlegen).

Wir öffnen und nach und nach strömen die ersten Gäste ins Café. Manche von denen, die es sich nach ihrer frühen Runde mit dem Hund bei uns mit ihrer Zeitung und einem Kaffee gemütlich machen, kenne ich schon mit Namen. An dem kleinen Tisch am Fenster sitzt ein junger Mann in Hemd vor seinem Laptop. Er kommt mehrmals die Woche her, arbeitet ein paar Stunden und ist immer total nett zu uns. Sein schwarzer Labrador hat sich unter den Tisch gekuschelt und schaut mich aus seinen treuen Augen an. Ich muss sofort an unseren Hund Aladin denken, der jetzt bestimmt wie immer morgens von Mama gefüttert wird und sich auf seine erste Gassirunde des Tages freut. Australian Shepherds brauchen echt viel Bewegung.

»Guten Morgen. Wie immer?«, frage ich meinen Lieblingsstammgast.

Er lächelt mich an. »Wie immer.« Ich bringe ihm einen Kaffee und ein Croissant mit Erdbeermarmelade. Zufrieden beißt der Mann hinein, lehnt sich entspannt zurück und lässt für einen Moment von seinem Laptop ab.

Zum Brunch am Vormittag wird es dann immer richtig voll im Daybreak. Ich flitze mit Dave zwischen Theke und Gastraum hin und her, quetsche mich lächelnd zwischen den Gästen und Tischen hindurch und hab trotz der vielen Arbeit wie immer echt Spaß.

Plötzlich strömt ein intensiver Duft in meine Nase. Es riecht ziemlich herb, orientalisch irgendwie, gleichzeitig frisch – und ganz schön penetrant. Nach jemandem, der ziemlich viel Parfüm aufgetragen hat. Zu viel.

Ich drehe mich um und sehe ein blondes Mädchen auf High Heels mit seiner Begleitung an dem runden Tisch in der Ecke Platz nehmen. Sie trägt enge weiße Jeans und ein weißes Oberteil mit Carmen-Ausschnitt. Auf den Stuhl in der Mitte des Tisches lässt sich ein Junge im schwarzen T-Shirt fallen. Müsste ich raten, würde ich sagen, dass er diese Parfüm-Wolke hinter sich herzieht. Seine Haare sind an der Seite ziemlich kurz rasiert, oben trägt er sie länger und hat sie in perfekte Wellen gestylt. Eine Strähne hängt ihm in die Stirn. Seine Haut ist genau im richtigen Maß gebräunt. Sieht ziemlich lässig aus. Obwohl … beim zweiten Hinsehen wird mir klar, dass er ganz schön viel Zeit und Haargel aufgewendet haben muss, damit seine Haare so aussehen, als würden sie ganz natürlich liegen. Dafür muss man echt eitel sein, denke ich mir.

Das Mädchen neben ihm dürfte so alt sein wie ich. Sie hat ihre Haare zum Pferdeschwanz gebunden, an ihren Ohren hängen große, goldene Creolen. Weder sie noch ihn habe ich bei uns im Café schon mal gesehen.

Als der Junge bemerkt, wie ich mit meinem Tablet in der Hand dastehe, hebt er die Hand. Oh Gott, hab ich die beiden etwa angestarrt?

Ich bedeute ihm mit einem Nicken, dass ich gleich da bin. Zuerst muss ich noch an Tisch 1 kassieren und von Tisch 4, an dem bis eben eine Gruppe Frauen saß, Gläser und Teller abräumen. Danach stehe ich vor den beiden neuen Gästen, lege ihnen die Karten hin und entsperre mein Tablet, um es bereit für die Bestellung zu machen.

»Hi, was darf ich euch zu trinken bring…«

»Bist du Fan?«, fällt der Junge mir ins Wort.

Verdutzt schaue ich ihn an. Sein Blick fliegt zwischen meinem Gesicht und meinem Oberkörper hin und her.

Kann der vielleicht mal aufhören, mir auf die Brust zu glotzen? Plötzlich kribbelt es unangenehm in mir. Mein BH fühlt sich viel zu eng an.

»Äh … Wovon?«

Er deutet mit seinem markanten Kinn auf mein Shirt.

»Von Michael.«

Ich schaue an mir herunter. Heute Morgen habe ich mir das Retro-Oberteil mit dem Michael-Jackson-Print aus meinem völlig überfüllten Kleiderschrank gezogen. Es passt gut zu der dunkelblauen Jeans, die im Moment meine Lieblingshose ist. Mein brauner Gürtel matcht mit meinen langen braunen Haaren, die mir fast bis zum Hintern gehen. Ich war mit meinem Outfit vollkommen zufrieden, doch jetzt kommen mir Zweifel. Warum bringt der Typ mich so durcheinander? Lass dir nichts anmerken, Chiara!

»Na ja, er war einer der größten Stars überhaupt, und …«, sage ich.

»Lieblingslied?«, fragt er.

Will der hier ein Musikquiz veranstalten, oder was? Und kann er mich bitte mal aussprechen lassen?

»Alles klar, offenbar kennst du keins seiner Lieder«, sagt der Typ, ohne länger auf meine Antwort zu warten. Mit der Hand macht er eine abwinkende Geste. »Egal. Wir wollen ja eigentlich eh nur bestellen. Fang du bitte an.«

Er deutet auf das blonde Mädchen neben ihm. Ich beschließe, seinen Kommentar zu ignorieren. Natürlich kenne ich Lieder von Michael Jackson. Aber wenn man mich nicht mal zu Wort kommen lässt …

Das Mädchen lächelt mich freundlich an. »Für mich den grünen Smoothie mit Chiasamen, bitte. Und das Bananen-Porridge.« Ich tippe die Bestellung ein und blicke wieder zu dem dreisten Typen.

»Und für dich?«, frage ich.

Jetzt, wo ich so nah vor ihm stehe und ihm direkt in die Augen sehe, fällt mir auf, wie lang seine tiefschwarzen Wimpern sind. Für solche Wimpern würde wohl jedes Mädchen morden. Seine Augen sind extrem grün. So hellgrün, wie das Wasser in unserem Badesee im Sommer manchmal schimmert. Er scheint viel zu trainieren. Das Shirt spannt an seinem Oberarm.

»Das ist ja ein echtes Sahneschnittchen.« Der Typ schaut mich herausfordernd an. Hat er sie noch alle? Als ich ihm gerade sagen will, wie dumm seine Anmache ist, zeigt er mit dem Zeigefinger auf unsere Glastheke, in der die selbst gebackenen Kuchen stehen, für die das Daybreak stadtbekannt ist. »Nehme ich ein Stück von.« Er grinst mich provokant an. Ich starre auf seine vollen, ziemlich perfekt geschwungenen Lippen. Innerlich verfluche ich ihn. Die Sonne gewinnt draußen langsam ihren Kampf gegen die Regenwolken, wirft ihre Strahlen durch die Fenster in unser Café und lässt seine Pupillen gefühlt von Sekunde zu Sekunde mehr leuchten. Sie blenden mich beinahe. In seinem Blick ist etwas Forderndes. Etwas Überhebliches. Etwas, das ich ätzend finde.

Gäste sind in jeder Situation freundlich zu behandeln, das hat mir Dave gleich an meinem ersten Tag im Daybreak eingetrichtert. »Immer professionell sein«, hat er gesagt.

Das ist mir bislang nie schwergefallen, bis auf ein paar ungeduldige Touristen sind alle bei uns im Café immer entspannt. Aber dieser Typ … Ich muss mich echt zusammenreißen. Arroganter kann man kaum sein.

»Okay, ein Stück Sahnetorte. Willst du auch was dazu trinken?«, presse ich hervor und lächele ihn gequält an. Immer professionell sein.

Er streicht sich durch die Haare und lehnt sich dabei zurück. An seinem Armgelenk blitzt eine dicke silberne Uhr auf. »Einen Latte macchiato. Und mach für mich gern ein Herz in den Milchschaum. So was mag ich voll.« Der Typ grinst selbstgefällig.

»Einen Milchschaum-Mittelfinger fände ich passender für dich.«

Hab ich das gerade echt gesagt? Oder nur gedacht?

Er kneift seine grünen Augen zusammen. Okay, ich hab das wirklich laut gesagt …

»Wow!«, sagt das Mädchen neben ihm. Sie sieht mich mit offenem Mund an, und an ihrem Blick erkenne ich, dass sie mich für meinen Spruch ziemlich feiert. Als wolle sie sagen: Endlich traut sich das mal jemand! Endlich gibt ihm mal jemand Kontra. Ihre Augen schwenken zu dem ziemlich überraschten Sprücheklopfer.

»Na, fehlen dir ausnahmsweise mal die Worte?«, fragt das Mädchen grinsend. Sie hat definitiv Spaß daran, ihren Freund ein bisschen aufzuziehen. Seit die beiden im Café sitzen, haben sie sich nicht geküsst. Kein Wunder, dass es bei denen in der Beziehung kriselt. So wie der sich aufführt. Wie kann man nur mit so einem zusammen sein?

»Danke für deinen Support«, sagt er und funkelt sie an. »War ja deine Idee, hierherzugehen. Bin mal gespannt, ob das Frühstück echt so gut ist, wie es die Online-Bewertungen versprechen. Das Personal ist auf jeden Fall ganz schön schnell zickig.«

Zickig? Ich? Na, der Typ ist ja echt ’ne Nummer. Ich werfe ihm den bösesten Blick zu, den ich draufhabe. Professionell sein wird manchmal auch einfach überschätzt. Dann stapfe ich zur Bar und warte auf die Bestellungen für die beiden, die Dave zubereitet.

»Süßer Kerl«, sagt Dave, während er Gemüse und Chiasamen in den Mixer wirft. »Habt ihr geflirtet?« Er zwinkert mir verschwörerisch zu. Seit wir uns kennen, will Dave mich verkuppeln. Hat bislang nie geklappt. Der letzte Kandidat in seiner persönlichen Ich-suche-einen-Freund-für-Chiara-Show war der Praktikant unseres Getränkelieferanten. Nett, aber schüchtern. Zu schüchtern. Immerhin konnte er sich bei unserem einzigen Date wie ein Gentleman benehmen.

»Mit dem arroganten Spinner? Da würde ich lieber mit dem Teufel persönlich flirten, bevor ich mit dem auch nur noch ein Wort wechsele«, antworte ich.

Dave hebt beschwichtigend die Hände. »Okay, okay, ich dachte ja nur …«

Wenig später stehe ich wieder bei dem Pärchen am Tisch und stelle ihnen ihr Frühstück hin. Sie bedankt sich, der Typ selbst sagt nichts. Wieso erwarte ich bei dem überhaupt Manieren? War ja eigentlich klar. Die beiden machen sich über ihr leckeres Essen her, und ich habe jede Menge mit den anderen Tischen zu tun. Nach einer halben Stunde deutet mir das Mädchen mit einem freundlichen Winken an, dass sie zahlen wollen.

»War alles in Ordnung bei euch?«, frage ich, als ich abräume und ihnen die Rechnung bringe. Ich konzentriere mich ganz auf das Mädchen.

»Alles perfekt, danke«, sagt sie, schaut auf die Rechnung und gibt mir fünf Euro Trinkgeld. So viel bekomme ich fast nie. Sie fand es wohl echt gut, dass ich ihrem Boyfriend einen Spruch gedrückt habe.

»Lieb von euch, vielen Dank und schönen Tag noch«, sage ich und drehe mich um.

»Warte«, höre ich ihn hinter mir sagen. Ich wende mich zu ihm. An seinen braun gebrannten Wangen stechen einige dunkle Bartstoppeln hervor.

»Ja?«

Er schaut mich herausfordernd an. Lässt eine Sekunde verstreichen. Dann sagt er: »Der Kaffee war ohne Milchschaumherz.« Die menschgewordene Arroganz schwingt sich von seinem Stuhl und geht provokant nah an mir vorbei aus dem Café, das Mädchen folgt ihm. Mir bleibt keine Zeit, mich weiter über den Typen aufzuregen. Was steht immer in diesen Kalenderspruch-Grafiken auf Insta? Lasse keine negative Energie zu. Verschwende deine Kraft und Zeit nicht für etwas, das du nicht beeinflussen kannst.

Ich schüttele den Kopf. Diesen Kerl will ich definitiv nicht wiedersehen. Und doch schaue ich ihm hinterher, ganz kurz.

Es ist immer noch total viel los, der Tisch der beiden ist sofort wieder besetzt, und ich nehme die Bestellung einer freundlichen Familie auf. Drei Stunden später mache ich erschöpft Feierabend.

Auf dem Rückweg nach Hause im Bus überlege ich mir, welche Instagram-Stories ich morgen mit Aladin drehen kann. Und welches Foto ich von ihm posten werde.

Plötzlich sehe ich diesen Typen von vorhin vor mir. Seine Augen. Hinter all der Arroganz war da noch etwas anderes in seinem Blick. Eine Traurigkeit, die nicht zu diesem wunderbaren Sommer passt.

Eine Stimme in meinem Kopf meldet sich: Ich fasse es nicht, dass dieser ätzende Kerl dir nach Feierabend noch wertvolle Lebenszeit stiehlt, indem er in deinem Kopf herumschwirrt!

Die Stimme hat recht. Ganz sicher.

Ich beschließe, keinen einzigen Gedanken mehr an Mr Milchschaum zu verlieren.

KAPITEL 2

Lio

Hey Chris, magst du uns jetzt abholen? Beim Café Daybreak, vorn an der Straße. ✔✔

Nachdem ich die WhatsApp-Nachricht abgeschickt habe, antwortet Chris mir sofort. Das Grüne-Häkchen-Emoji erscheint, er sendet mir seinen Live-Standort. Ich schaue kurz drauf und lasse mein Smartphone zurück in meine Hosentasche gleiten.

»Er sollte in zwei Minuten hier sein.« Zufrieden sehe ich Valentina an, während wir vom Café über einen kleinen Vorplatz zur nächstgrößeren Straße laufen. »Ich liebe die Sonntagsausflüge mit dir, Schwesterchen. Die sind in letzter Zeit viel zu kurz gekommen.« Valentina lächelt und ich lege meinen Arm um ihre schmalen Schultern. »Und der Kuchen war echt lecker.«

Meine Schwester wuschelt mir durch die Haare. »Wieso kannst du zu einem Mädchen nicht mal so lieb sein wie zu mir?« Ihr Tonfall ist irgendwas zwischen streng und belustigt. »Unsere Kellnerin eben war doch echt niedlich.«

In diesem Moment kommt Chris um die Ecke gefahren. Der schwarze Geländewagen mit den verdunkelten Scheiben und ihm am Steuer stoppt direkt vor uns. Ich halte Valentina die Tür auf. Sie nickt anerkennend. »Guck mal, du kannst ein echter Gentleman sein«, sagt sie. »Nur du willst irgendwie nicht, oder? Wie dreist du wieder warst …« Nacheinander steigen wir ein, begrüßen Chris, werfen uns in die beigen Ledersitze und lassen uns nach Hause chauffieren. Obwohl Chris meiner Familie als Fahrer jeden Tag zur Verfügung steht, nehme ich seine Dienste selten in Anspruch. Ich mag es viel lieber, zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs zu sein. Valentina ist da anders. Und heute, an unserem Bro-Sis-Sunday, wie wir ihn nennen, darf sie alles aussuchen.

»Ich war doch nett zu ihr«, greife ich unser Gespräch von eben wieder auf und grinse Valentina an.

»Haha. Mal so gar nicht«, entgegnet sie.

»Ich ärgere die Girls gern mal ein bisschen. Ist immer interessant zu sehen, wie sie reagieren.« Ich zwinkere Valentina zu. »Und ich fand Michael Jackson schon immer cool, wie du weißt. Ich könnte locker zwanzig Lieder von ihm aufzählen.« Im Sitzen fange ich an, meinen Oberkörper zu bewegen, als würde ich tanzen. »I’m starting with the man in the mirror …« Valentina kichert.

»Wenn das Mädchen aus dem Café Michael Jackson nicht kennt, soll sie lieber ein T-Shirt von Capital Bra oder Loredana oder so tragen.«

Der Blick meiner Schwester verändert sich. Sie schaut mich jetzt richtig ernst an. »Ich glaube, da steckt noch was dahinter. Es ist immer noch wegen ihr, stimmt’s?«

Ich drehe mich von Valentina weg und blicke durch das Fenster des Wagens in die Ferne. Bäume und Gebäude ziehen vorbei. Die wenigen Wolken am Himmel sehen aus wie Zuckerwatte. Meine Fensterscheibe ist etwas runtergefahren, ein warmer Wind pustet mir ins Gesicht. Die Luft riecht wunderbar nach Sommer. Mir schießen Bilder aus dem vergangenen Jahr durch den Kopf. Bilder von ihr. Von ihr und mir. Ich spüre ein Stechen in meiner Brust.

»Du kannst nicht für immer ein Herz aus Stein behalten, Brüderchen.« Valentina legt mir ihre Hand auf meine Schulter. Ich sage nichts und das Schweigen scheint uns zu erdrücken. »Lass dir das von einer erfahrenen Frau gesagt sein.« Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Ich bin froh, dass sie diesen Moment auflockert.

»Du bist gerade mal zwei Jahre älter als ich, keine vierzigjährige Boss-Lady. Merkst du selbst, ja?« Ich boxe ihr aus Spaß in die Schulter. Und rufe nach vorn: »Chris, ist die auch immer so frech, wenn du sie allein rumfährst?«

Unser Fahrer blickt mich über den Rückspiegel an und grinst. »Nein, das muss schon an dir liegen.« Wir lachen und Chris drückt auf die Fernbedienung für das Tor und lenkt den Geländewagen auf unsere Einfahrt. Durch das geöffnete Fenster höre ich die Kieselsteine unter den breiten Reifen des 100000-Euro-Wagens knirschen.

Dad sagt immer, unser Haus sei nicht einfach nur unser Zuhause. Es ist ein Stück Geschichte – das ist einer seiner Lieblingssätze. Ich finde das jedes Mal ein bisschen überzogen, aber andererseits verstehe ich ihn auch. Sein Vater ist hier groß geworden, sein Opa auch. Also mein Uropa. Der hat das Unternehmen aufgebaut, das international bekannt und nach unserer Familie benannt ist: Decker-Bau. Eines der ganz großen Bauunternehmen in Deutschland. Ohne unsere Familie würde es viele Wolkenkratzer in Frankfurt und zig Wohnungen und Büros in München, Hamburg, Berlin und sonst wo nicht geben.

Die Sonne lässt unsere weiße Villa mit den hellen Säulen am Eingang heute noch heller strahlen als sonst. »Braucht ihr mich noch?«, fragt Chris, als wir aus dem Wagen steigen. Valentina antwortet ihm, dass er Feierabend machen kann. Morgen früh wird Chris unseren Vater dann wieder ins Büro fahren, wie an jedem Werktag.

Vor unserem Eingang parkt ein roter Porsche. Verdammt! Ich hatte mich so auf einen entspannten Mittag vor der Playstation gefreut. Und hab ganz vergessen, dass die Freunde meiner Eltern heute zum Essen zu uns kommen. Aus dem Date mit meinem Controller wird also erst mal nichts.

Meine Schwester drückt ihren Daumen an den Fingerscanner unserer Haustür, die sich daraufhin öffnet. Wir gehen durch unseren Flur mit all den Familienfotos an den Wänden ins Wohnzimmer. Das Zentrum des Raumes bildet der große Kamin. Er brennt nicht, schließlich ist es Sommer.

»Hallo, ihr beiden«, höre ich Mum von draußen rufen. Die riesigen Terrassenflügel stehen offen, der lange Tisch draußen ist festlich gedeckt, es duftet nach Roastbeef und frischem Spargel. »Ich hoffe, ihr habt Appetit mitgebracht.« Mum sieht in ihrem weißen Kleid und mit den goldenen Steck-Ohrringen mal wieder total elegant aus.

Mein Vater sitzt in einem hellblauen Hemd und grauem Leinenjackett am Kopf des Tisches, neben ihm das Ehepaar Weißenhofer. Die beiden sehen wie immer so spießig aus, wie sie sind. Sie in einem braunen Kostüm mit Oma-Blümchen-Muster, er in dunkelblauen Segelschuhen, beiger Chino und altrosa Polohemd. Das Polohemd in die Hose gesteckt! Der absolute Horror … Neben ihnen sitzt ihre Tochter Katinka. Mit Perlenohrringen, Longchamp-Handtasche und akkurater Kurzhaarfrisur. Ihre roten Haare enden auf Höhe ihrer Ohrläppchen. Ihr Lippenstift ist viel zu dunkel, ihre Haut wirkt so noch heller, als sie eh schon ist.

»Liooooo … hiiiii«, begrüßt Katinka mich. Wieso zieht sie die Wörter immer so komisch in die Länge?

Ich mag Katinka. Wirklich. Wir kennen uns, seit wir Babys sind, als Kinder sind wir nur ein paar Straßen voneinander entfernt aufgewachsen. Wie viele Stunden wir im Sandkasten gespielt und wie viele Runden wir mit unseren kleinen Fahrrädern um unseren Block gedreht haben … Katinka ist nett. Aber sie kann seit jeher auch echt anstrengend sein. Wenn sie aufgedreht ist, tut ihre Micky-Maus-Stimme ganz schön in den Ohren weh. So wie jetzt.

»Neue Frisur, oder? Steht dir«, quietscht sie und umarmt mich zur Begrüßung. Ähhh, nein … Ich hab die Frisur schon seit Wochen, aber egal.

Mum stellt das Essen auf den Tisch, Dad kümmert sich um die Getränke. Es ist auch unter dem riesigen Sonnenschirm jetzt richtig heiß, die Sonne lässt den Pool hinter der Terrasse wunderbar türkis glänzen.

Ich sitze neben Katinka. Als wir uns unterhalten, sieht Mum uns beide an und beugt sich zu meinem Dad. »Katinka hat keinen Freund, oder?«, flüstert sie ihm ins Ohr. Sie glaubt, dass ich es nicht höre. Aber Katinka hat ihren Monolog über ihre Wirtschafts-Klausuren in der Schule und ihren Reitunterricht auf einem Gestüt gerade mal kurz unterbrochen, um sich ein paar Bissen von dem leckeren Essen zu gönnen. Und so kriege ich genau mit, was die anderen am Tisch so sagen.

Nach dem Essen serviert uns Dad noch ein Walnusseis mit Vanillesoße als Nachtisch. Kaum haben wir alle die Kalorienbomben in uns reingeschaufelt, da sieht er mich an und schiebt seinen Stuhl zurück.

»Lio, lass uns kurz rüber in mein Arbeitszimmer gehen«, sagt er und deutet mit der Hand auf die Terrassentür. An seiner Tonart erkenne ich sofort, dass Dad dort nicht nur einfach in Ruhe mit mir Karten spielen will. Sondern es offensichtlich etwas Wichtiges zu besprechen gibt. Etwas sehr Wichtiges. Etwas, was nicht die ganze Runde am Tisch mitbekommen soll.

Ich folge Dad durch das Wohnzimmer und spüre in meinem Rücken die gespannten Blicke der anderen. In seinem Arbeitszimmer setzt er sich an seinen langen Schreibtisch, ich nehme in einem Ledersessel ihm gegenüber Platz.

»Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen, was nicht warten kann«, eröffnet Dad das Gespräch. Ich lag also richtig.

Mein Vater berichtet mir, wer ihn heute angerufen hat. Als ich den Namen höre, fängt es in meinem Bauch vor Aufregung und Freude an zu kribbeln. Und als Dad dann noch erzählt, weshalb sich die Person bei ihm gemeldet hat, richten sich die Härchen auf meinem Unterarm auf. Krass, Mann!

Mir wird klar, dass der morgige Tag alles in meinem Leben verändern kann. Alles.

»Lass die anderen draußen jetzt nicht länger warten«, sagt Dad schließlich. »Nur erzähl ihnen bitte noch nichts von morgen. Das machen wir erst, wenn alles unterschrieben ist.« Er greift zu seinem Smartphone. »Ich erledige hier noch ein Telefonat und komme dann auch wieder auf die Terrasse.«

Als ich die angelehnte Tür des Arbeitszimmers aufdrücke und hinaustrete, meine ich, am Ende des Flurs ein Geräusch zu hören. Es ist niemand zu sehen.

Und doch habe ich das Gefühl, dass uns jemand belauscht hat.

KAPITEL 3

Chiara

18 neue Follower

6 neue Kommentare

3 Direct Messages

Ich strecke gähnend meine Beine und Arme aus und kuschle mich mit meinem Handy in der Hand noch mal auf die Seite. Mein Bett ist einfach das gemütlichste der Welt. Aladin ist schon wach und blickt mich aus seinen lieben Augen aufmerksam an. Er schläft nachts immer in seinem Korb neben meinem Schreibtisch, jetzt hat er sich aufgerichtet, den Kopf leicht zur Seite gelegt und wedelt mit dem Schwanz.

»Guten Morgen, mein Hübscher! Wir gehen gleich raus.« Ich strecke meine Hand in seine Richtung aus, woraufhin er ans Bett kommt und ich ihm über den Kopf wuscheln kann. Sein linkes Auge ist braun, sein rechtes blau. Das kommt bei Australian Shepherds häufiger vor – und ich liebe es. Aladins Fell ist das weichste überhaupt.

Während ich ihn mit der einen Hand kraule, checke ich meine Nachrichten bei Instagram. Die erste ist von einem Mädchen, das auf seinem Profilbild mit einem Labrador am Strand in der Sonne liegt und in die Kamera lächelt.

Hey du, wollt dir nur mal eben sagen, dass AladinandChiara echt mein liebster Account bei Insta ist. Du machst so süße Bilder mit diesem wunderschönen Hund, dein Content ist mega!

Liebe Grüße, Alexa

Ich klicke auf das Herz-Symbol. Vor drei Jahren habe ich unseren Account gestartet, als meine Eltern Aladin aus dem Tierheim geholt haben. Seitdem habe ich soooo viele nette Nachrichten wie diese von Menschen bekommen, die ich gar nicht kenne. Und trotzdem rührt mich immer noch jede einzelne so wie die erste damals.

»Mal wieder viel Lob für dich«, sage ich zu Aladin und lächele ihn an.

Als ich vor ein paar Monaten die 15000-Follower-Marke geknackt habe, hat sogar der Münchner Morgenblatt einen Artikel über mich gebracht. Seitdem sind nach und nach noch mal 1000 Follower dazugekommen.

Die zweite Nachricht in meiner Insta-Mailbox ist von einem Jungen. Auf seinem Foto trägt er eine Sonnenbrille und streckt seinen angespannten Bizeps in die Kamera. Ich überfliege die Nachricht. Er schreibt irgendwas von »sexy Rücken« und fragt, wo man mich mal treffen kann. Obwohl seine Nachricht nur aus drei Sätzen besteht, sind zwei Rechtschreibfehler drin, und Kommas hält der Typ offenbar für überschätzt. Dafür hat er drei Flammen-Emojis hinterhergeschickt. Ich lösche die Nachricht. Wie kommen Jungs bloß auf den Gedanken, dass wir Mädchen auf solche plumpen Kommentare abfahren? Natürlich reagiere ich nicht darauf.

Ich checke die letzte ungelesene Nachricht. Sie ist von einem Start-up, das besonders schöne Hundehalsbänder aus Leder herstellt. Die Firma bietet mir eine Kooperation an. Sie schlägt vor, dass Aladin eines ihrer Halsbänder auf meinen drei nächsten Posts trägt und ich sie auf den Fotos markiere. Dafür würde ich eine Vergütung bekommen.

Das klingt gut. Ich hatte schon ein paar solcher Kooperationen. Leider zahlen gerade die kleinen Firmen viel weniger dafür, als die meisten denken. Zumindest, wenn man nicht richtig viele Follower hat. Also richtig, richtig viele. Am besten 100000 oder mehr. Für die neue XT6, meine absolute Traumkamera, hat es jedenfalls noch bei Weitem nicht gereicht. Ich spare seit Monaten darauf, mit der könnte ich noch viel bessere Fotos von Aladin für unseren Account machen. Viel coolere Videos. Und bessere Fotos und Videos bedeuten mehr Follower. Und mehr Follower bedeuten mehr Kooperationen. Und mehr Kooperationen bedeuten …

Verdammt! Als mein Blick auf die Uhr am Rand meines Displays fällt, zucke ich kurz zusammen. Schon sieben! Ich muss mich beeilen. Schnell schlüpfe ich aus meinem Nachthemd, ziehe aus der Schublade einen schwarzen Slip und den passenden BH, einen gelb karierten Rock, ein schlichtes, weißes Oberteil und schleppe alles ins Badezimmer. Nach einer kurzen Dusche (viel zu nass!) ziehe ich mich an, trage Mascara, Blush und meinen neuen Lipgloss auf und hetze in die enge Küche unserer kleinen Wohnung.

Mama steht am Fenster und blickt gedankenverloren hinaus. Sie hält einen Brief in der Hand. Als sie mich im Türrahmen bemerkt, dreht sie sich zu mir und lächelt. »Guten Morgen, mein Schatz«, sagt sie. Ihr Make-up kann die dunklen Augenringe nur teilweise überdecken. In ihrem Gesicht sehe ich jede Menge Sorgen.

»Du musst gleich los, oder? Soll ich dir noch schnell ein Frühstück machen?«

Ich schüttele den Kopf und knote meine noch klitschnassen Haare zu einem Dutt. »Was ist das?«, frage ich und deute mit einer Kopfbewegung auf den Brief in ihren Händen.

Mama seufzt. Sie zuckt mit den Schultern und knetet mit ihren Fingern ihre Schläfen. Ihr Schweigen ist auch eine Antwort. Der Brief muss schlechte Nachrichten enthalten. Ob es wieder um unser Restaurant geht? Auch wenn meine Eltern es mir nie direkt sagen, weiß ich, dass es nicht sonderlich gut läuft.

Ich lege Mama meinen Arm auf die Schulter. »So schlimm?«

Sie drückt mich an sich und streichelt mir über die nassen Haare. »Im Leben läuft nicht alles perfekt, Schatz, so ist das nun mal. Dein Vater und ich kriegen das aber hin.«

»Ist er schon weg?«, frage ich.

Mama nickt. »Ja, auf dem Großmarkt.«

Stimmt, heute ist ja Montag. Da ist Papa immer dort und kauft alles ein für unsere Pizzeria. Meine Eltern haben sich viel Mühe gegeben, damit ich von den Problemen im La Bruschetta nichts mitkriege. Sie wollten nicht, dass ich mir Sorgen mache. Seit drei Generationen gehört das Restaurant unserer Familie, der Familie Baggio. Mein Urgroßvater kam damals aus seiner Heimat Italien nach München und eröffnete es in der Innenstadt. Ich bin sehr stolz auf meine italienischen Wurzeln und beherrsche die Sprache sogar einigermaßen. Und Mama findet, ich habe südländisches Temperament. Stimmt wohl. Wenn ich daran denke, wie ich mich manchmal aufregen kann …

Lange war das La Bruschetta einer der beliebtesten Italiener der Stadt. Doch die Gastronomie ist schnelllebig, wie Papa immer sagt. Es läuft schon länger nicht mehr gut, das habe ich früh mitbekommen, ich bin ja nicht bescheuert.