Kingdom of the Wicked – Der Fürst des Zorns - Kerri Maniscalco - E-Book
SONDERANGEBOT

Kingdom of the Wicked – Der Fürst des Zorns E-Book

Kerri Maniscalco

0,0
1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Zwei Schwestern. Ein brutaler Mord. Ein Racheplan, der die Hölle selbst entfesseln wird … und eine berauschende Liebesgeschichte. Als die junge Hexe Emilia ihre Zwillingsschwester Vittoria ermordet vorfindet, bricht für sie eine Welt zusammen. Zutiefst schockiert will sie Rache üben – koste es, was es wolle. Selbst wenn sie dafür verbotene dunkle Magie einsetzen muss, die sie in die Gefahr bringt, von Hexenjägern enttarnt zu werden. Auf ihrer Suche nach dem Mörder trifft Emilia auf Wrath, einen der sieben dämonischen Höllenfürsten, vor denen sie von klein auf gewarnt wurde. Wrath behauptet, auf Emilias Seite zu stehen. Doch kann man einem leibhaftigen Höllenfürsten trauen, selbst wenn er noch so gut aussieht? Der atemberaubende Auftakt der gefeierten »Kingdom of the Wicked«-Reihe - jetzt auf Deutsch! Band 1: Kingdom of the Wicked – Der Fürst des ZornsBand 2: Kingdom of the Wicked – Die Königin der HölleBand 3: Kingdom of the Wicked – Die Göttin der Rache 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Entdecke die Welt der Piper Fantasy:

www.Piper-Fantasy.de

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Kingdom of the Wicked. Der Fürst des Zorns« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Diana Bürgel und Julian Müller

Copyright © Kerri Maniscalco 2020

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Kingdom of the Wicked«, Jimmy Patterson Books, New York 2020

Published in agreement with the author,

c/o Baror International, Inc., Armonk, New York, USA

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Karte: Virginia Allyn

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München, nach einem Entwurf von Liam Donnelly

Coverabbildung: Megan Cowell / Trevillion Images und Shutterstock.com

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Karte

Motto

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Zweiunddreißig

Dreiunddreißig

Vierunddreißig

Fünfunddreißig

Sechsunddreißig

Siebenunddreißig

Achtunddreißig

Neununddreißig

Vierzig

Einundvierzig

Zweiundvierzig

Dreiundvierzig

Vierundvierzig

Fünfundvierzig

Sechsundvierzig

Siebenundvierzig

Achtundvierzig

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für meine Großmutter Victoria Marie Nucci und meine Tante Caroline Nucci.

Und für meine Urgroßeltern, die aus Sciacca in Sizilien nach Amerika immigriert sind. Ihr Restaurant war eine große Inspiration für diese Geschichte.

Dies hier mag Fantasy sein, aber die Liebe zu meiner Familie, die auf diesen Seiten zum Ausdruck kommt, ist sehr real.

Flectere si nequeo superos,

Acheronta movebo.

Wenn ich mir den Himmel nicht gefügig machen kann,

dann werde ich eben die Hölle versetzen.

Vergil, Aeneis

Prolog

Draußen fuhr ein plötzlicher Luftzug warnend durch das hölzerne Windspiel. In der Ferne schlugen die Wellen krachend an den Strand. Das Wispern des Wassers wurde lauter, als könnte das Meer über Magie gebieten und Unheil heraufbeschwören. Seit fast einem Jahrzehnt folgte der Sturm an diesem Tag im Jahr demselben Muster. Als Nächstes würde der Donner heranrollen, schneller als die Flut, begleitet von Blitzen, deren Spannung sich in Peitschenschlägen vor dem erbarmungslosen Himmel entlud. Der Teufel forderte Vergeltung. Ein Blutopfer für die gestohlene Macht.

Es war nicht das erste Mal, dass er von den Hexen verflucht worden war, und es würde nicht das letzte Mal sein.

Nonna Maria saß in ihrem Schaukelstuhl und überwachte die Zwillinge, während die beiden – mit je einem Cornicello in ihrer kleinen Faust – die Schutzzauber wirkten, die sie ihnen beigebracht hatte. Sie verjagte das Heulen des Windes aus ihren Gedanken und lauschte den Worten, die Vittoria und Emilia flüsterten, ihre zum Verwechseln ähnlichen dunklen Schöpfe konzentriert über die hornförmigen Amulette gebeugt.

»Bei Erde, Mond und Stein, segne diesen Herd und dieses Heim.«

An diesem Tag war das achte Lebensjahr der beiden angebrochen, und Nonna Maria versuchte, sich keine Sorgen darüber zu machen, wie schnell sie wuchsen. Sie zog ihr Schultertuch enger um sich, konnte die Kälte, die in der kleinen Küche herrschte, jedoch nicht abwehren. Es hatte nicht viel damit zu tun, wie kalt es draußen war. Sosehr sie auch versuchte, es zu ignorieren: Der Geruch nach Schwefel war durch die Ritzen hereingedrungen, gemeinsam mit dem vertrauten Duft nach Frangipani und Orangenblüten. Die allmählich ergrauenden Härchen in ihrem Nacken sträubten sich. Wäre ihre eigene, menschliche Großmutter noch am Leben gewesen, hätte sie es ein Omen genannt und den Abend in der Kathedrale auf den Knien verbracht, den Rosenkranz beim Gebet zu den Heiligen fest in der Hand.

Der Teufel streifte umher. Oder einer seiner sündigen Brüder.

Sorge schnitt durch ihre Haut wie eines ihrer Schälmesser und nistete sich in der Nähe ihres Herzens ein. Ein Zeitalter war verstrichen, seit man die Malvagi zuletzt gesehen hatte. Kaum jemand sprach noch von den Wicked, außer in Geschichten, die man Kindern erzählte, um ihnen damit so viel Angst einzujagen, dass sie nachts in ihren Betten blieben.

Mittlerweile lachten die Erwachsenen über die alten Sagen, fast hatten sie die sieben herrschenden Höllenfürsten bereits vergessen. Nonna Maria jedoch würde nie vergessen. Die Legenden waren in ihren Verstand eingebrannt, gemeinsam mit einem bis in die Knochen dringenden Gefühl des Grauens. Sie spürte ein Prickeln zwischen den Schulterblättern, als würde der Blick der Mitternachtsaugen auf ihr ruhen. Als würde sie etwas aus den Schatten heraus beobachten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie kamen, um sich hier umzusehen.

Wenn sie nicht schon längst damit begonnen hatten. Man bestahl den Teufel nicht ungestraft.

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Zwillinge. Sie waren unruhig an diesem Abend, aufgewühlt wie das Tyrrhenische Meer. Eine Unruhe, die nahendes Unheil ankündigte. Vittoria sprach die Formeln zu hastig und Emilia verhaspelte sich bei dem Versuch mitzuhalten.

Im Feuer knackte ein Zweig, dicht gefolgt von einem zweiten. Es klang wie das Zerbrechen eines Wunschknochens über ihren Zauberbüchern. Eine Warnung. Nonna Maria packte die Armlehnen ihres Schaukelstuhls, und ihre Fingerknöchel wurden so weiß wie die abgezogenen Mandeln, die auf dem Tresen lagen.

»Calmati! Nicht so schnell, Vittoria«, rügte sie. »Wenn du es nicht richtig machst, musst du noch einmal von vorn anfangen. Willst du vielleicht allein im Dunkeln Graberde sammeln gehen?«

Zu Nonna Marias Ärger wirkte Vittoria allerdings nicht so eingeschüchtert, wie sie sein sollte. Die Vorstellung, allein unter dem Vollmond in einem wütenden Sturm über einen Friedhof zu schlendern, schien dem Mädchen zu gefallen. Vittoria schürzte die Lippen, schüttelte dann jedoch leicht den Kopf.

Es war Emilia, die schließlich antwortete, auch wenn sie ihrer Schwester dabei einen mahnenden Blick zuwarf: »Wir passen besser auf, Nonna.«

Wie zum Beweis hielt Emilia das Fläschchen mit dem Weihwasser hoch, das sie sich aus dem Kloster geholt hatten. Sie neigte es über den Amuletten und ließ je einen Tropfen zischend darüber rinnen. Silber und Gold. Dem Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkelheit dargeboten. Eine Gabe für das, was vor so vielen Jahren gestohlen worden war.

Wie oben, so auch unten.

Friedlich gestimmt sah Nonna Maria zu, wie die beiden ihren Zauber vollendeten, und war erleichtert, als schließlich weiße Funken aus den Flammen schossen, bevor sich das Feuer wieder rot färbte. Ein weiteres Jahr, ein weiterer Sieg. Sie hatten den Teufel erneut ausgetrickst. Irgendwann würde der Tag kommen, an dem die Zauber nicht mehr wirkten, doch daran wollte Nonna Maria jetzt nicht denken. Ihr Blick wanderte zur Fensterbank, und zufrieden betrachtete sie die getrockneten Orangenscheiben, die dort in ordentlichen Reihen lagen.

Lavendelzweige hingen zum Trocknen über dem Kaminsims, und auf der winzigen steinernen Kücheninsel standen Mehl und duftende Kräuter bereit, die darauf warteten, zu ordentlichen Sträußen zusammengebunden zu werden. Verbene, Basilikum, Oregano, Petersilie und Lorbeer. Ihre Düfte mischten sich angenehm miteinander. Einige der Kräuter waren für das Festessen bestimmt, die anderen für die Zauber. Nun, da das Schutzritual vollendet war, konnten sie sich endlich dem Essen widmen.

Nonna Maria sah zur Uhr auf dem Kaminsims hinüber. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn würden bald aus dem Restaurant nach Hause kommen, Gelächter und Wärme mitbringen.

Stürme und Omen hin oder her, im Zuhause der di Carlos würde alles gut sein.

Die Flammen beruhigten sich und Emilia lehnte sich zurück. Sie kaute auf ihren Nägeln herum. Eine unschöne Angewohnheit, die Nonna Maria ihr schon noch austreiben würde. Das Kind spuckte ein Nagelstück aus und wollte es auf den Boden werfen.

»Emilia!« Nonna Marias Stimme hallte laut in dem kleinen Raum wider.

Das Mädchen zuckte zusammen, ließ die Hand sinken und wirkte verlegen.

»Ins Feuer damit! Du weißt genau, dass du nichts für jene hinterlassen darfst, die sich in den Arti Oscure üben.«

»Tut mir leid, Nonna«, murmelte Emilia. Sie biss sich auf die Unterlippe, und ihre Großmutter wartete auf die Frage, von der sie wusste, dass sie kommen musste. »Erzählst du uns noch einmal etwas über die Dunklen Künste?«

»Oder über die Malvagi?«, fügte Vittoria hinzu, immer gespannt auf die Geschichten über die Wicked. Selbst in jenen Nächten, in denen es ihnen verboten war, solche Namen auch nur zu flüstern. »Bitte?«

»Wir sollten nicht laut über dunkle Dinge sprechen. So etwas macht nur Ärger.«

»Es sind doch nur Geschichten, Nonna«, sagte Emilia leise.

Wenn es doch nur so wäre. Nonna Maria malte einen Schutzzauber über ihr Herz, vollendete ihn mit einem Kuss auf die Fingerspitzen und atmete aus. Die Zwillinge wechselten ein triumphierendes Grinsen. Es war unmöglich, den Mädchen die Legenden vorzuenthalten, auch wenn es ihre Köpfe mit Fantasien über die sieben Höllenfürsten füllte. Nonna Maria fürchtete, dass sie die Dämonen zu romantisch sahen. Sie beschloss, dass es wohl das Beste war, sie daran zu erinnern, warum sie vor diesen schönen, seelenlosen Wesen lieber auf der Hut sein sollten.

»Wascht euch die Hände und helft mir, den Teig auszurollen. Ich erzähle, während ihr die Busiate macht.«

Das Lächeln der beiden wärmte Nonna Maria und vertrieb die Kälte endgültig, die der Sturm und seine Warnung in ihr hinterlassen hatten. Die kleinen, wie Korkenzieher gewundenen Nudeln, die man mit Tomatenpesto servierte, gehörten zu den Lieblingsgerichten der Mädchen. Sie würden sich freuen, wenn sie erfuhren, dass in der Eistruhe bereits eine Cassata wartete. Dieser Kuchen aus Biskuit und süßem Ricotta war zwar eigentlich eine Osterspezialität, doch die Mädchen liebten ihn auch an ihrem Geburtstag.

Trotz aller Vorkehrungen war sich Nonna Maria nicht sicher, wie viele Freuden es im Leben der Mädchen noch geben würde. Deshalb verwöhnte sie die beiden oft. Nicht, dass sie dafür noch einen zusätzlichen Ansporn gebraucht hätte. Die Liebe einer Großmutter war eine ganz eigene machtvolle Magie.

Emilia nahm Stößel und Mörser vom Regal und begann, mit konzentrierter Miene Olivenöl, Knoblauch, Mandeln, Basilikum, Pecorino und Kirschtomaten für das Pesto alla Trapanese zusammenzusuchen. Vittoria zog das feuchte Tuch von der Teigkugel und begann, die Pasta so zu rollen, wie Nonna Maria es ihr beigebracht hatte. Acht Jahre waren die beiden jetzt alt und sie kannten sich bereits in der Küche aus. Das war keine Überraschung. Zwischen dem Restaurant und ihrem Zuhause waren sie praktisch in der Küche groß geworden. Nun sahen sie beide Nonna Maria unter ihren dichten Wimpern hervor an, einen erwartungsvollen Ausdruck in den zum Verwechseln ähnlichen Gesichtern.

Vittoria sagte ungeduldig: »Und? Erzählst du uns jetzt eine Geschichte?«

Nonna Maria seufzte. »Es gibt sieben Dämonenprinzen, aber nur vier davon müssen die di Carlos fürchten: Wrath, Greed, Envy und Pride. Einer sehnt sich nach eurem Blut. Einer holt sich euer Herz. Einer wird euch die Seele rauben. Und einer wird euch das Leben nehmen.«

»Die Wicked«, flüsterte Vittoria fast ehrfürchtig. »Zorn, Habgier, Neid und Stolz.«

»Die Malvagi sind Dämonenprinzen, die in der Nacht umherstreifen, auf der Suche nach Seelen, die sie für ihren König, den Teufel, stehlen können. Ihr Hunger ist unbändig und gnadenlos, bis der Morgen sie davonjagt.« Langsam schaukelte Nonna Maria in ihrem Stuhl vor und zurück. Das Holz knarrte und übertönte das Rauschen des Sturms. Sie ruckte mit dem Kinn, um dafür zu sorgen, dass die Mädchen mit ihren Aufgaben fortfuhren und so ihren Teil des Handels einhielten. Beide begannen wieder mit der Arbeit. »Die sieben Prinzen sind so von Sünde zerfressen, dass sie es nicht ertragen, sich im Licht aufzuhalten, wenn sie in unsere Welt übertreten. Sie sind dazu verflucht, sich nur hinauszuwagen, wenn es dunkel ist. Dies war eine Strafe, die ihnen La Prima Strega auferlegt hat, vor vielen Jahren. Lange bevor es Menschen auf der Erde gab.«

»Wo ist die Erste Hexe jetzt?«, fragte Emilia, wobei sich ein skeptischer Unterton in ihre Stimme schlich. »Warum sieht man sie nicht mehr?«

Darüber dachte Nonna Maria sorgfältig nach. »Sie hat ihre Gründe und die müssen wir respektieren.«

»Wie sehen die Dämonenprinzen denn aus?«, wollte Vittoria wissen, obwohl sie diesen Teil mittlerweile auswendig kennen musste.

»Sie scheinen menschlich zu sein, aber ihre ebenholzfarbenen Augen haben einen rötlichen Schimmer, und ihre Haut ist hart wie Stein. Was auch immer ihr tut, ihr dürft niemals mit einem der Wicked sprechen. Wenn ihr sie seht, dann versteckt euch. Sobald ihr die Aufmerksamkeit eines der Dämonenprinzen auf euch gezogen habt, wird er vor nichts zurückschrecken, um euch für sich zu beanspruchen. Sie sind Kreaturen der Mitternacht, geboren aus Dunkelheit und Mondschein. Und sie wollen nichts als zerstören. Gebt auf euer Herz acht, denn wenn die Prinzen die Chance dazu bekommen, werden sie euch das Herz aus der Brust reißen und euer in der Nacht dampfendes Blut trinken.«

Doch ganz gleich, ob die Wicked seelenlose Wesen waren, die dem Teufel gehörten, und ob sie ohne zu zögern töteten, die Zwillinge waren trotzdem fasziniert von diesen dunklen und mysteriösen Höllenfürsten.

Eine mehr als die andere, wie es das Schicksal wollte.

»Aber woher sollen wir es denn wissen, wenn wir einem von ihnen begegnen?«, fragte Vittoria. »Was, wenn wir ihre Augen nicht sehen können?«

Nonna Maria zögerte. Sie hatten schon so viel gehört, und wenn sich die alte Prophezeiung erfüllte, dann befürchtete sie, dass das Schlimmste noch bevorstand. »Ihr werdet sie erkennen.«

Ganz wie es in ihrer Familie Tradition war, hatte Nonna Maria ihnen magische Wege gezeigt, wie man sich sowohl vor Menschen als auch vor den Kreaturen der Mitternacht verstecken konnte. Jedes Jahr an ihrem Geburtstag sammelten die Mädchen Kräuter aus dem winzigen Garten hinter dem Haus und woben daraus Schutzzauber.

Sie trugen ihre Amulette, gesegnet mit Weihwasser, frisch umgegrabener Friedhofserde und schimmernden Mondstrahlen. Sie rezitierten Schutzformeln und sprachen niemals von den Malvagi, wenn der Mond voll war. Noch wichtiger war es jedoch, dass sie ihre Amulette niemals ablegten.

Emilias Cornicello war aus Silber gefertigt, Vittorias aus Gold. Die Mädchen durften sie nicht zusammenbringen, sonst würde etwas Furchtbares geschehen. Nonna Maria sagte, es wäre, als würde man die Sonne und den Mond dazu zwingen, sich den Himmel zu teilen und die Welt in ewiges Zwielicht zu hüllen. Dort könnten die Prinzen ihrem Feuergefängnis endgültig entkommen. Sie würden morden und die Seelen der Unschuldigen rauben, bis die Welt der Menschen zu Asche zerfiel – wie in ihrem Albtraumreich.

Nachdem die Zwillinge ihr Abendessen und dann den Kuchen verschlungen hatten, gaben ihnen Mamma und Papà einen Gutenachtkuss. Am nächsten Tag würden sie damit beginnen, in der geschäftigen Restaurantküche auszuhelfen; ihr erster echter Abenddienst. Zu aufgeregt, um schlafen zu können, saßen Emilia und Vittoria auf ihrer gemeinsamen Matratze und schwangen ihre Hornamulette, als wären es winzige Elfenschwerter. Sie taten, als würden sie gegen die Malvagi kämpfen.

»Wenn ich groß bin, werde ich eine grüne Hexe«, sagte Emilia später, eingekuschelt in die Arme ihrer Schwester. »Dann pflanze ich alle möglichen Kräuter an. Und ich habe meine eigene Trattoria, und die Gerichte sind aus Magie und Mondlicht gemacht. Wie bei Nonna.«

»Deine werden sogar noch besser.« Vittoria drückte sie ermutigend. »Bis dahin bin ich dann schon Königin, und ich sorge dafür, dass du alles haben kannst, was du willst.«

Eines Abends wollten die Mädchen mutig sein. Fast ein Monat war seit ihrem achten Geburtstag verstrichen und Nonna Marias strenge Ermahnungen schienen ewig her zu sein. Mit entschlossener Miene warf Vittoria ihrer Schwester das Amulett zu. »Hier«, sagte sie. »Nimm es.«

Emilia zögerte nur einen Moment, dann umschloss sie das goldene Horn mit den Fingern.

Ein schimmerndes Licht brach aus den Amuletten hervor, schwarz und lavendelfarben. Es erschreckte Emilia so sehr, dass sie die Kette ihrer Schwester fallen ließ. Rasch band sich Vittoria das Amulett wieder um, damit es dort war, wohin es gehörte, die braunen Augen weit aufgerissen. Abrupt erlosch das Glimmen. Beide Mädchen schwiegen. Ob aus Furcht oder Faszination, wussten sie selbst nicht. Emilia schloss und öffnete die Finger und versuchte, das Prickeln wie von Nadelstichen abzuschütteln, das ihr unter die Haut gekrochen war. Vittoria sah ihr zu, das Gesicht von Schatten verborgen.

In der Nähe heulte ein Höllenhund den Mond an. Später würden sich die beiden jedoch einreden, dass es nur der Wind gewesen war, der durch die engen Gassen ihres Viertels fauchte. Sie sagten nie jemandem, was sie getan hatten, sprachen nie über das seltsame tintenähnliche violette Licht.

Nicht einmal miteinander. Und ganz besonders nicht mit Nonna Maria.

Da sie so taten, als hätte es den Vorfall nie gegeben, sagte Emilia ihrer Schwester auch nicht, dass er sie unwiderruflich verändert hatte – denn von diesem Abend an konnte sie, wenn sie ihr Cornicello in der Hand hielt und sich konzentrierte, etwas sehen, das sie schließlich Luccicare nannte. Ein schwaches Schimmern, eine Aura, die alle Menschen umgab.

Die einzigen Ausnahmen waren sie selbst und ihre Zwillingsschwester.

Falls Vittoria auch über diese neue Fähigkeit verfügte, gab sie es jedenfalls nie zu. Es war das erste von vielen Geheimnissen, die Emilia und Vittoria voreinander haben sollten. Und für eine von beiden sollte es sich als tödlich erweisen.

Eins

Zehn Jahre später

Nonna Maria schwirrte in der Küche umher, als hätte sie die Espressovorräte des Restaurants ganz allein bis auf den letzten Tropfen geleert. Sie war völlig außer sich. Meine Zwillingsschwester war zur Abendschicht spät dran, was Großmutter als böses Omen betrachtete, besonders da es der Abend vor einem Feiertag war. Die Göttin bewahre uns.

Die Tatsache, dass der Mond nicht nur voll war, sondern auch einen fauligen Gelbstich aufwies, veranlasste Nonna dazu, jene Warnungen vor sich hinzumurmeln, die meinen Vater üblicherweise dazu brachten, die Türen zu verriegeln. Glücklicherweise hielten sich Onkel Nino und er jedoch im Moment im Speiseraum auf, wo sie den Gästen aus einer vereisten Flasche Limoncello einen Digestif einschenkten. Niemand verließ das Mare & Vitigno, ohne den köstlichen Dessertlikör gekostet und das Gefühl vollkommener Zufriedenheit nach einem guten Mahl genossen zu haben.

»Mach dich nur über mich lustig, aber es ist nicht sicher. Dämonen durchstreifen die Gassen, auf der Suche nach Seelen, die sie rauben können.« Nonna hackte Knoblauchzehen für die Scampi, wobei ihr Messer nur so über das abgenutzte Schneidbrett flog. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie noch einen Finger verlieren. »Es ist dumm von deiner Schwester, jetzt dort draußen zu sein.« Sie hielt inne und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das hornförmige Amulett an meinem Hals. Tiefe Sorgenfalten zogen sich um ihren Mund und die Augen. »Hast du gesehen, ob sie ihr Cornicello trägt, Emilia?«

Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten. Wir nahmen unsere Amulette niemals ab, nicht einmal beim Baden. Meine Schwester brach so ziemlich jede Regel, nur diese nicht. Besonders nicht nach dem, was geschehen war, als wir acht Jahre alt gewesen waren … Kurz schloss ich die Augen, um die Erinnerung daran zu vertreiben. Nonna wusste noch immer nichts von dem Luccicare, von dem Schimmern, das ich um die Menschen herum sehen konnte, wenn ich mein Amulett in der Hand hielt. Hoffentlich würde sie auch nie davon erfahren.

»Mamma, bitte.« Meine Mutter hob den Blick zur Decke, als hoffte sie, die Göttin würde ihr Flehen erhören und einen Blitz vom Himmel herabschicken. Ob dieser Blitz nun für sie selbst oder für Nonna bestimmt sein sollte, wusste ich nicht. »Lasst uns erst die Gäste fertig bedienen, bevor wir uns Gedanken um die Wicked machen. Im Moment haben wir wirklich dringendere Sorgen.« Sie nickte zur Sauteuse hinüber. »Dein Knoblauch verbrennt da gerade.«

Nonna murmelte etwas, das verdächtig nach »Genau wie ihre Seelen in der Hölle, wenn wir sie nicht retten, Nicoletta« klang, und ich musste mir auf die Lippe beißen, um nicht breit zu grinsen.

»Irgendetwas stimmt nicht, ganz und gar nicht. Ich fühle es in den Knochen. Wenn Vittoria nicht bald zu Hause ist, gehe ich sie selbst suchen. Die Malvagi werden es nicht wagen, ihre Seele zu stehlen, wenn ich in der Nähe bin.« Nonna ließ ihr Hackbeil auf eine arglose Makrele niedersausen, deren Kopf daraufhin in hohem Bogen auf den Kalksteinboden flog.

Ich seufzte. Wir hätten den Kopf gut für den Fischfond gebrauchen können. Nonna regte sich wirklich zu sehr auf. Immerhin war sie es, die uns beigebracht hatte, dass man jeden Teil eines Tiers wertschätzen und nichts wegwerfen sollte.

Knochen verwendete man jedoch nur für Fond, nicht für Zaubersprüche. Jedenfalls galt diese Regel für uns di Carlos. Die Arti Oscure waren uns strikt verboten. Ich hob den Fischkopf auf und legte ihn in eine Schale, um ihn später den Straßenkatzen zu geben, während ich die Gedanken an die Dunklen Künste vertrieb.

Ich goss Nonna einen kühlen Wein ein und gab ein paar Orangenspalten und kandierte Orangenschale hinein, um ihn etwas zu süßen. Sofort erblühte eine Kondensschicht wie Morgentau auf dem Glas. Es war Mitte Juli in Palermo, was bedeutete, dass die Abendluft stickig war, obwohl wir sämtliche Fenster geöffnet hatten, um eine kühle Brise hereinzulocken.

Zu dieser Zeit war es in der Küche besonders warm, doch ich trug mein Haar auch während der kühleren Jahreszeiten hochgesteckt, wegen der glühenden Hitze, die unsere Ofenfeuer verströmten.

Das Mare & Vitigno, die Trattoria der Familie di Carlo, war in ganz Sizilien für sündhaft köstliches Essen bekannt. Jeden Abend drängten sich hungrige Gäste um unsere Tische, um eines von Nonnas herrlichen Gerichten genießen zu können, und schon am späten Nachmittag bildeten sich Schlangen vor der Tür, ganz gleich, wie das Wetter war. Nonna sagte, ihr Geheimnis seien schlichte Zutaten, gemischt mit einem Hauch Magie. Was auch stimmte.

»Hier, Nonna.« Außerhalb unseres Zuhauses sollten wir keine Magie verwenden, doch ich flüsterte einen raschen Spruch und ließ das Glas mithilfe des auf den Stein tropfenden Kondenswassers über dem Tresen zu ihr hinüberrutschen. Sie ließ die Sorgen lange genug ruhen, um an dem süßen roten Wein zu nippen. Als Nonna gerade nicht hinsah, formte meine Mutter ein stummes Dankeschön mit den Lippen, und ich lächelte.

Ich wusste auch nicht, warum Nonna an diesem Abend so aufgebracht war. Im Laufe der vergangenen Wochen – etwa seit unserem achtzehnten Geburtstag – war es öfter vorgekommen, dass meine Zwillingsschwester eine Abendschicht verpasst und sich erst lange nach Sonnenuntergang wieder ins Haus geschlichen hatte, die Wangen unter der Bronzehaut gerötet und die dunklen Augen strahlend. Irgendetwas an ihr war anders. Und ich hatte den starken Verdacht, dass an allem ein ganz bestimmter junger Händler auf dem Markt schuld war.

Domenico Nucci junior.

Ich hatte heimlich einen Blick in ihr Tagebuch geworfen und seinen Namen an den Rand gekritzelt gesehen, bevor mich mein schlechtes Gewissen dazu gebracht hatte, das Buch wieder zuzuklappen und unter das Bodenbrett zurückzuschieben, wo sie es immer versteckte. Wir teilten uns immer noch ein Zimmer im ersten Stock unseres kleinen, überfüllten Häuschens, weshalb sie meine Schnüffelei glücklicherweise nicht bemerkt hatte.

»Vittoria geht es gut, Nonna.« Ich reichte ihr einen Bund frische Petersilie, mit dem sie die Garnelen garnieren konnte. »Ich habe dir doch gesagt, dass sie mit diesem Jungen der Nuccis flirtet, der bei der Burg Arancini für seine Familie verkauft. Er hat heute Abend sicher viel mit den Vorbereitungen für das Fest zu tun, und ich wette, sie verteilt frittierte Reisbällchen an alle, die es ein bisschen übertrieben haben und etwas brauchen, um den Messwein aufzusaugen.« Ich zwinkerte, aber Nonnas Ängstlichkeit ließ sich nicht vertreiben. Ich legte die Petersilie beiseite und umarmte sie fest. »Kein Dämon stiehlt gerade ihre Seele oder frisst ihr Herz. Versprochen. Sie wird jeden Moment hier sein.«

»Ich hoffe, dass du die Zeichen der Göttinnen eines Tages ernst nehmen wirst, Bambina.«

Eines Tages vielleicht. Allerdings hörte ich schon mein ganzes Leben lang Geschichten über rotäugige Dämonenprinzen, ohne dass mir jemals einer begegnet wäre. Ich machte mir nicht mehr allzu viele Sorgen darüber, dass sich das plötzlich ändern könnte. Wo auch immer die Wicked waren, sie schienen nicht von dort zurückzukehren. Ich hatte etwa genauso viel Angst vor ihnen wie vor der Vorstellung, die Dinosaurier könnten plötzlich wieder zum Leben erwachen und Palermo überrennen. Als sich eine Melodie durch das Hacken der Messer und das Rühren der Löffel zu winden begann, überließ ich Nonna den Garnelen und lächelte. Dies war meine Lieblingssymphonie, denn sie erlaubte mir, mich ganz auf die Freude am Kreieren zu konzentrieren.

Zufrieden atmete ich den Duft von Knoblauch und Butter ein.

Kochen war eine Mischung aus Magie und Musik. Das Knacken aufbrechender Muschelschalen, das Zischen von Pancetta in einer heißen Pfanne, das metallische Klirren eines Rührbesens, der an den Schüsselrand stieß, sogar das rhythmische Klopfen eines Hackmessers auf einem hölzernen Schneidbrett. Ich genoss es ganz und gar, mit meiner Familie in der Küche zu stehen, und konnte mir keine schönere Art vorstellen, den Abend zu verbringen.

Das Mare & Vitigno war meine Zukunft und es versprach eine Zukunft voller Liebe und Licht zu werden. Besonders wenn es mir gelang, genug Geld zu sparen, um das Haus nebenan zu kaufen und unser Familienunternehmen auszubauen. Ich experimentierte mit neuen Aromen aus ganz Italien und eines Tages wollte ich meine eigene Speisekarte entwerfen.

Meine Mutter summte vor sich hin, während sie Früchte aus Marzipan formte. »Er ist ein netter Junge. Domenico. Er wäre eine gute Partie für Vittoria. Seine Mutter ist immer freundlich.«

Nonna hob ihre mehlbestäubte Hand und machte eine abfällige Geste, als wäre die Vorstellung einer Verlobung mit einem Nucci schlimmer als der Gestank in den Straßen beim Fischmarkt. »Pah! Sie ist zu jung, um sich übers Heiraten Gedanken zu machen. Außerdem ist er kein Sizilianer.«

Meine Mutter und ich schüttelten die Köpfe. Ich hatte das Gefühl, dass Domenicos toskanische Wurzeln wenig mit Nonnas Abneigung zu tun hatten. Wenn es nach ihr ginge, würden wir in unserem Elternhaus – in unserem kleinen Viertel in Palermo – bleiben, bis unsere Skelette zu Staub zerfielen. Nonna glaubte nicht, dass irgendjemand anderes ebenso gut auf uns aufpassen konnte wie sie. Besonders nicht, wenn es nur ein einfacher Menschenjunge war. Domenico war nicht hexengeboren wie mein Vater, weshalb Nonna nicht der Meinung war, man könne ihm unser Geheimnis jemals rückhaltlos anvertrauen.

»Er wurde hier geboren. Seine Mutter stammt von hier. Ich bin ziemlich sicher, dass ihn das durchaus zu einem Sizilianer macht«, sagte ich. »Sei nicht so giftig, das passt nicht zu einer so süßen Nonna wie dir.«

Sie gab einen mürrischen Laut von sich und ignorierte meinen unverhohlenen Versuch, ihr zu schmeicheln. Stur wie ein Maultier, hätte mein Großvater gesagt. Sie griff nach ihrem geschnitzten Rührlöffel und deutete damit auf mich. »Sardinen wurden am Strand angespült und die Möwen haben sie nicht angerührt. Weißt du, was das heißt? Das bedeutet, dass sie nicht dumm sind. Die Teufel bringen das Meer in Aufruhr und die Möwen wollen nichts mit ihren Gaben zu schaffen haben.«

»Mamma.« Meine Mutter seufzte und legte die Mandelpaste beiseite. »Ein Boot, das Petroleum geladen hatte, ist letzte Nacht gegen die Klippen geschlagen. Das Öl hat die Fische getötet, nicht der Teufel.«

Nonna bedachte meine Mutter mit einem Blick, der weniger mutige Seelen in die Knie gezwungen hätte. »Du weißt so gut wie ich, dass es ein Zeichen ist, dass die Malvagi gekommen sind, Nicoletta. Sie sind hier, um sich zu holen, wonach sie suchen. Du hast von den Toten gehört. Der Zeitpunkt passt zu dem, was vorhergesagt wurde. Ist das für dich auch ein Zufall?«

»Tote?« Meine Stimme schoss mehrere Oktaven in die Höhe. »Wovon sprichst du da?«

Nonna presste die Lippen aufeinander. Meine Mutter fuhr herum und vergaß das Marzipan endgültig. Die beiden wechselten einen Blick, so tief und bedeutungsschwer, dass mir ein Schauer über den Rücken lief.

»Welche Toten?«, hakte ich nach. »Was wurde vorhergesagt?«

In unserem Restaurant war noch mehr los als normalerweise, weil wir uns auf den Menschenstrom vorbereiteten, der am nächsten Tag für das Fest hier eintreffen würde. Daher waren mehrere Tage vergangen, seit ich zuletzt den Gerüchten auf dem Marktplatz hatte lauschen können. Von irgendwelchen Toten hatte ich nichts gehört.

Mutter sah Nonna an, als wollte sie sagen: Du hast damit angefangen, also bring es jetzt auch zu Ende. Dann wandte sie sich wieder dem Obstformen zu. Nonna setzte sich auf einen Stuhl, der immer beim Fenster stand, und umklammerte ihr Weinglas fest. Eine leichte Brise linderte die drückende Hitze. Flatternd schlossen sich ihre Lider, während sie dem Windhauch nachspürte. Sie wirkte erschöpft. Was auch immer hier vor sich ging, es war schlimm.

»Nonna? Bitte. Was ist passiert?«

»Letzte Woche wurden zwei Mädchen ermordet. Eines in Sciacca. Und eines hier. In Palermo.«

Sciacca – eine Hafenstadt am Mittelmeer – lag nur ein kleines Stück südlich von hier. Diese Stadt war ein Juwel auf einer Insel voller wunderschöner Ausblicke. Ich konnte mir dort keinen Mord vorstellen. Was lächerlich war, denn der Tod machte keinen Unterschied zwischen Paradies und Hölle.

»Das ist furchtbar.« Ich legte mein Messer weg, mein Herz klopfte schneller. Ich sah meine Großmutter an. »Waren sie … Menschen?«

Nonnas traurige Miene war Antwort genug. Streghe. Hexen. Ich schluckte schwer. Kein Wunder, dass sie ständig über die Rückkehr der Wicked sprach. Sie sah vor sich, wie eine von uns wie achtlos weggeworfen auf der Straße lag. Wie unsere Seele in der Hölle von Dämonen gefoltert wurde, während unser Blut durch die Risse in den Steinen sickerte und die Zauberkraft der Erde nährte. Obwohl mir der Schweiß auf der Stirn stand, fröstelte ich. Ich wusste nicht, was ich von diesen Morden halten sollte.

Nonna schalt mich oft, weil ich so skeptisch war, aber ich war noch nicht überzeugt davon, dass wirklich die Malvagi dahintersteckten. Alte Legenden behaupteten, dass die Wicked losgeschickt wurden, um Handel abzuschließen und Seelen für den Teufel zu holen, nicht um zu morden. Außerdem waren sie seit mindestens hundert Jahren nicht mehr in unserer Welt gesehen worden.

Die Menschen brachten sich andauernd gegenseitig um, und sobald sie Verdacht schöpften, was wir waren, griffen sie uns an. Erst in der vergangenen Woche hatte uns Geflüster über eine neue Bande von Hexenjägern erreicht, doch bisher gab es noch nichts, was diese Gerüchte bestätigt hätte. Doch nun …

Wenn Hexen ermordet wurden, war ich eher geneigt zu glauben, dass menschliche Fanatiker die Schuld daran trugen. Was bedeutete, dass wir noch besser aufpassen mussten, uns nicht zu verraten. Keine noch so simplen Zauber mehr, wenn uns jemand sehen könnte. Ich selbst war ohnehin eher übervorsichtig, was aber nicht für meine Schwester galt. Sie versteckte sich am liebsten, indem sie sich überhaupt nicht versteckte.

Vielleicht hatte Nonna recht, wenn sie sich Sorgen machte.

»Die Malvagi sind gekommen, um sich zu holen, wonach sie suchen? Was soll denn das heißen?«, fragte ich. »Und was ist vorhergesagt worden?«

Nonna wirkte nicht glücklich über meine Frage, aber sie erkannte die Entschlossenheit in meinen Augen und wusste, dass ich immer weiterfragen würde. Sie seufzte. »Es gibt Geschichten, in denen es heißt, dass die Wicked von jetzt an alle paar Wochen nach Sizilien zurückkehren werden, um nach etwas zu suchen, das dem Teufel gestohlen wurde.«

Das war eine neue Legende für mich. »Was wurde ihm denn gestohlen?«

Meine Mutter hielt kurz inne, bevor sie sich wieder den Marzipanfrüchten zuwandte. Nonna nippte bedächtig an ihrem Wein und starrte in ihr Glas, als könnte sie die Zukunft im Fruchtfleisch lesen, das auf der Oberfläche trieb. »Eine Blutschuld.«

Ich hob die Brauen. Das klang jetzt ein bisschen unheilvoll. Bevor ich sie weiter ausfragen konnte, klopfte jemand an die Seitentür, wo üblicherweise unsere Vorräte angeliefert wurden. Über das Geplauder in unserem kleinen Speisezimmer hinweg rief mein Vater Onkel Nino zu, dass er sich weiter um die Gäste kümmern sollte. Schritte erklangen im Korridor und die Tür wurde knarrend aufgeschoben.

»Buonasera, Signore di Carlo. Ist Emilia da?«

Ich erkannte die tiefe Stimme und wusste, warum er hergekommen war. Es gab nur einen Grund, warum Antonio Vicenzu Bernardo, das neueste Mitglied der heiligen Bruderschaft, je zu mir hierherkam. Das nahe Kloster war auf Spenden und Mildtätigkeit angewiesen, weshalb ich ein-, zweimal im Monat im Namen meiner Familie Abendessen für die Brüder zubereitete.

Nonna schüttelte bereits den Kopf, während ich mir die Hände an einem Tuch abwischte und meine Schürze auf die Kücheninsel legte. Ich strich meinen dunklen Rock glatt und verzog ein wenig das Gesicht angesichts des Mehls auf meiner Korsage. Ich sah aus wie die Königin der Asche und roch vermutlich nach Knoblauch.

Ich schluckte ein Seufzen hinunter. Erst achtzehn und in romantischer Hinsicht schon für immer verloren.

»Emilia … bitte.«

»Nonna, die Straßen sind jetzt schon voller Menschen, die ein bisschen früher mit dem Feiern angefangen haben. Ich verspreche dir, dass ich auf der Hauptstraße bleibe, schnell das Abendessen zubereite und auf dem Heimweg Vittoria einsammle. Ehe du dich versiehst, sind wir beide wieder hier.«

»Nein.« Nonna war aufgesprungen und scheuchte mich zurück zur Kücheninsel und zu meinem verlassenen Hackbrett, als wäre ich ein widerspenstiges Huhn. »Du darfst nicht gehen, Emilia. Nicht heute Abend.« Sie umklammerte ihr eigenes Cornicello, und ihre Miene wirkte flehentlich. »Lass jemand anderen heute das Essen machen, sonst landest du am Ende noch als Leiche in den Katakomben in diesem Kloster.«

»Mamma!«, schimpfte Mutter. »Wie kannst du so etwas sagen!«

»Keine Sorge, Nonna. Ich habe vor, noch sehr, sehr lang zu leben.«

Ich gab meiner Großmutter einen Kuss, schnappte mir eine halb fertige Marzipanfrucht von dem Teller, an dem meine Mutter arbeitete, und steckte sie mir in den Mund. Während ich kaute, füllte ich einen Korb mit Tomaten, frischem Basilikum, hausgemachtem Mozzarella, Knoblauch, Olivenöl und einer kleinen Flasche voll dickem Balsamico, die Onkel Nino von seinem letzten Besuch in Modena mitgebracht hatte. Das war nicht traditionell, aber ich hatte ein wenig damit herumexperimentiert, und der Geschmack, wenn man am Schluss etwas Essig über das Gericht träufelte, gefiel mir sehr.

Ich legte noch ein Salzfässchen und einen Laib von dem knusprigen Brot dazu, das wir zuvor gebacken hatten, und huschte aus der Küche, bevor ich in eine weitere Diskussion verwickelt werden konnte.

Fröhlich lächelte ich Fratello Antonio zu und hoffte, dass er nicht hörte, wie Nonna im Hintergrund ihn selbst und gleich das ganze Kloster verwünschte. Für ein Mitglied der Bruderschaft war er jung – nur drei Jahre älter als Vittoria und ich –, und er sah gut aus. Seine Augen hatten die Farbe geschmolzener Schokolade, und stets schien ein hinreißendes Lächeln seinen Mund zu umspielen. Er war im Haus nebenan aufgewachsen, und ich hatte immer davon geträumt, ihn eines Tages zu heiraten. Zu schade, dass er ein Keuschheitsgelübde abgelegt hatte. Ich war sicher, dass gut die Hälfte der italienischen Bevölkerung nichts dagegen hätte, einmal seine vollen Lippen zu küssen. Ich selbst eingeschlossen.

»Buonasera, Fratello Antonio.« Ich hielt meinen vollen Korb hoch und versuchte nicht darauf zu achten, wie seltsam es war, ihn Bruder zu nennen, obwohl ich doch alles andere als schwesterliche Gefühle für ihn hegte. »Ich habe wieder ein bisschen herumprobiert, und ich mache heute Abend eine Art Caprese-Bruschetta-Kombination für die Bruderschaft. Klingt das gut?«

Ich hoffte es jedenfalls für ihn. Es war schnell und einfach anzurichten, und obwohl das Brot noch besser schmeckte, wenn man es mit Olivenöl bestrich und leicht anröstete, brauchte man nicht unbedingt einen Herd für die Zubereitung.

»Das klingt himmlisch, Emilia. Und bitte, sag ›Antonio‹. Solche Förmlichkeiten sind unter alten Freunden doch nicht nötig.« Er nickte mir schüchtern zu. »Deine Haare sehen heute hübsch aus.«

»Grazie.« Ich hob die Hand und berührte eine der Blumen. Als wir noch jünger gewesen waren, hatte ich damit begonnen, mir Orangen- und Frangipaniblüten ins Haar zu flechten, damit man mich von meiner Schwester unterscheiden konnte. Ich musste mir in Erinnerung rufen, dass Antonio nun dem Allmächtigen versprochen war und ganz sicher nicht mit mir flirtete.

Egal, wie sehr ich es mir manchmal auch anders wünschte.

Etwas, vermutlich ein Topf, landete laut scheppernd auf dem Küchenboden, und während Antonio sorgsam jede Reaktion darauf vermied, wand ich mich innerlich. Ich konnte nur raten, womit Nonna wohl als Nächstes werfen würde.

»Die meisten der Brüder werden erst später ins Kloster zurückkehren«, sagte er. »Aber ich kann dir helfen, wenn du möchtest.«

Nonnas hysterischer Anfall nahm an Lautstärke zu, doch Antonio war so höflich, einfach vorzugeben, er könne nicht hören, wie sie vor Dämonen warnte, die in Sizilien junge Frauen ermordeten und ihre Seelen raubten. Ich schenkte ihm mein gewinnendstes Lächeln und hoffte, dass es nicht wie eine Grimasse aussah. »Das wäre schön.«

Sein Blick huschte kurz an mir vorbei, als Nonnas Schreie an unsere Ohren drangen, und eine kleine Falte bildete sich auf seiner Stirn. Normalerweise war Nonna sehr vorsichtig, wenn Gäste in der Nähe waren, doch wenn sie nun begann, lautstark über die Dunklen Künste und Schutzzauber zu lamentieren, obwohl Antonio sie hören konnte, dann könnte das unser gut laufendes Familienrestaurant ruinieren.

Wenn es etwas gab, das die Menschen genauso fürchteten wie die Malvagi, dann waren es Hexen.

Zwei

Als wir das Kloster betraten, dachte ich nicht an den Teufel. Oder an die bösen, nach Seelen greifenden Dämonen, von denen Nonna schwor, dass sie wieder die Erde durchstreiften. Und obwohl Antonio ohne Zweifel eine Augenweide war, lenkte mich auch das angedeutete Lächeln auf seinen Lippen nicht ab. Oder die dunkle Haarsträhne, die ihm in die Stirn fiel, wenn er mir einen Blick zuwarf und schnell wieder wegsah.

Ich dachte ausgerechnet an Olivenöl.

Im Gang roch es aus irgendeinem Grund leicht nach verbranntem Thymian, und ich fragte mich, wie wohl Olivenöl schmeckte, wenn man Thymian darin ziehen ließ und es dann auf Crostini strich. Ich träumte wieder von meinem eigenen Restaurant, von meiner perfekten Speisekarte. Die Crostinigaben ein fantastisches Antipasto ab. Ich würde in Butter, Knoblauch und einem Schuss Weißwein gedünstete Pilze darauflegen. Vielleicht sogar ein wenig Pecorino und Petersilie darüberstreuen, um den Geschmack abzurunden …

Wir betraten die Vorratskammer und ich steckte die Gedanken in die Rezeptmappe in meinem Kopf. Dann konzentrierte ich mich auf die anstehende Aufgabe. Ich nahm zwei Schneidbretter und eine große Schüssel aus dem Schrank und stellte alles auf den winzigen Tisch.

»Ich schneide die Tomaten in Würfel, du den Mozzarella.«

»Wie Sie wünschen, Signorina.«

Wir griffen gleichzeitig in den Korb, den ich mitgebracht hatte, und unsere Finger berührten sich. Ruckartig holte ich die Tomaten heraus und tat, als hätte der unerwartete Kontakt mir keinen kleinen Schauer über den Rücken gejagt. Allein mit Antonio zu kochen – in einer dunklen Kammer und in einem fast vergessenen Bereich des Gebäudes – war nicht die schlechteste Art, Zeit zu verbringen. Wenn er sein Leben nicht Gott geweiht hätte, dann hätte sich vielleicht etwas zwischen uns entwickeln können.

Aber jetzt waren wir Feinde, ohne dass er davon wusste.

Er gehörte der Kirche und ich war eine Hexe. Und nicht nur eine menschliche Strega, die volkstümliche Magie gegen den bösen Blick einsetzte und zu katholischen Heiligen betete. Meine Familie war anders, nicht vollständig menschlich. Unsere Macht wurde gefürchtet, nicht respektiert. Wir und zwölf andere Familien, die unerkannt in Palermo lebten, waren die wahren Töchter des Monds. Abkömmlinge einer echten Göttin. Es gab verstreut über die Insel noch mehr Familien wie uns, aber aus Sicherheitsgründen mieden wir den Kontakt untereinander.

Unsere Zauberkräfte waren eine seltsame Sache. Sie wurden nur mütterlicherseits weitergegeben und manifestierten sich auch nicht in allen Frauen. Meine Mutter war eine Hexengeborene, besaß aber keine übernatürlichen Kräfte. Es sei denn, man zählte ihre Backkünste dazu, was ich durchaus für möglich hielt. Nur jemand, der von einer Göttin gesegnet war, konnte solche Desserts kreieren wie meine Mutter.

Einst hatte es einen Rat der Ältesten mit Angehörigen jeder Hexenfamilie gegeben. Nonna war die Vorsteherin in Palermo gewesen, aber der Zirkel hatte sich bald nach Vittorias und meiner Geburt aufgelöst. Was genau dazu geführt hatte, war unklar, aber nach dem, was mir zu Ohren gekommen war, hatte die alte Sofia Santorini die Dunklen Künste angerufen, und irgendetwas war dabei schiefgelaufen. Am Ende war ihr Verstand zersplittert. Manche sagten, sie habe einen menschlichen Schädel zum Wahrsagen benutzt. Andere behaupteten, es sei ein schwarzer Spiegel gewesen. Beim Endergebnis waren sich alle einig: Ihr Verstand war nun zwischen den Sphären gefangen.

Die Menschen schöpften Verdacht gegenüber dem, was sie plötzlichen Wahnsinn nannten. Gerüchte über den Teufel folgten. Bald wurde unsere Welt zu gefährlich für Hexentreffen, sogar für die geheimen. Also erlegten sich die dreizehn Familien in Palermo striktes Schweigen auf und blieben fortan für sich.

Die Menschen neigten komischerweise dazu, die Dinge, die ihnen nicht gefielen, dem Teufel zuzuschreiben. Merkwürdig, dass wir böse genannt wurden, obwohl es doch die Menschen waren, die uns brennen sehen wollten.

»Und wie geht es sonst, abgesehen von den Dämonen, die in unsere Stadt einfallen?« Antonio versuchte nicht einmal, sein Grinsen zu verbergen. »Sei froh, dass ein Mitglied der heiligen Bruderschaft über dich wacht.«

»Du bist furchtbar.«

»Das stimmt, aber in Wirklichkeit denkst du anders.« Seine dunklen Augen funkelten und ich warf mit flammend rotem Gesicht eine Tomatenscheibe nach ihm. Er wich ihr mit Leichtigkeit aus. »Oder zumindest hoffe ich es.«

»Und wenn, dann würde ich es dir nie verraten.« Ich widmete mich wieder der prallen Tomate. Einmal, als wir noch jünger gewesen waren, hatte ich einen Wahrheitszauber an ihm angewandt, um zu sehen, ob er meine Gefühle erwiderte. Zu meinem Entzücken tat er es, und mir war es vorgekommen, als würde sich die ganze Welt mit mir über meine Entdeckung freuen. Als ich Nonna erzählte, was ich getan hatte, musste ich einen Monat lang die Küche von oben bis unten schrubben.

Es war nicht ganz die Reaktion gewesen, die ich erwartet hatte.

Nonna meinte, Wahrheitszauber – obwohl sie nicht ausdrücklich zu den Dunklen Künsten gehörten – sollten niemals auf Menschen angewendet werden, weil sie ein Teil der Proibito waren. Es gab nicht viele Verbotene Sprüche, aber ihre Folgen waren umso ernster.

Der freie Wille gehörte zu den Grundgesetzen dieser Welt und stand über der hellen oder dunklen Magie. Niemals sollte man leichtfertig mit ihm umgehen, daher waren Wahrheitszauber verboten. Nonna nahm stets die alte Sofia Santorini als warnendes Beispiel, wenn wir ihre strengen Regeln infrage stellten.

Aber nicht alle Hexen in unserer Gemeinschaft sahen es wie Nonna. Als sich der Hexenzirkel auflöste, wandten sich manche Familien, wie die meiner Freundin Claudia, offen den Dunklen Künsten zu. Für sie war Magie gleich Magie und konnte, ja sollte sogar von einer Hexe so verwendet werden, wie sie es für richtig hielt. Blut, Knochen – für jemanden, der die Dunklen Künste anwandte, waren alles praktikable Werkzeuge. Als wir fünfzehn waren, probierte Vittoria es mit diesem Argument einmal bei Nonna. Am Ende war sie eine Woche lang das Zimmermädchen für die Toilette.

»Schleichst du dich morgen aus dem Restaurant, um zu feiern?« Antonio war mit dem Mozzarella fertig und machte sich pflichtbewusst an dem frischen Basilikum zu schaffen.

»Vielleicht. Hängt davon ab, wie viele Gäste wir haben und wie spät es wird. Vielleicht gehe ich auch einfach nach Hause und teste ein paar neue Rezepte oder lese.«

»Ah. So eine sittsame junge Frau. Liest das Gute Buch Gottes.«

»Mh-hm.« Ich grinste aufs Schneidbrett hinunter. Der Roman, den ich gerade las, war wirklich ein gutes Buch, nur nicht das Gute Buch. Ich verkniff mir, ihm vom letzten Kapitel zu erzählen, das ich gelesen hatte – das Kapitel, in dem der Held auf anschauliche und körperlich verblüffende Weise seine Liebe ausdrückte. Seine Standfestigkeit konnte man meiner Meinung nach durchaus als übernatürlich betrachten. Von jetzt an waren meine Erwartungen jedenfalls unerfüllbar. »Habt ihr in der Bruderschaft irgendwelche lustigen Sachen geplant?«

»Lustig ist subjektiv. Wir sind sicher in der Nähe des Festwagens und vollziehen sehr ernste und heilige Dinge.«

Das bezweifelte ich nicht. Nachdem Antonios Mutter vergangenen Sommer ganz plötzlich verstorben war, hatte er uns alle überrascht, als er sein Zuhause verlassen hatte und in sein religiöses Leben aufgebrochen war. Sich auf strenge Regeln zu konzentrieren half ihm bei der Trauer. Es ging ihm schon viel besser, und ich freute mich für ihn, auch wenn das bedeutete, dass aus uns nie etwas werden konnte.

»Hier.« Ich gab ihm das Brot. »Du schneidest das und ich würze das Essen.«

Ich schob die Tomatenwürfel in die Schüssel und gab Mozzarella und Basilikum dazu. Ein Schuss Olivenöl, etwas gehackter Knoblauch und eine Prise Meersalz folgten. Da das Brot nicht geröstet werden und die Bruderschaft nicht sofort mit dem Essen anfangen würde, gab ich noch eine Winzigkeit Balsamico dazu und verrührte alles. Es war nicht so angerichtet, wie ich es gern gehabt hätte, aber am Wichtigsten war, dass es schmeckte und das Brot nicht zu matschig wurde.

»Wie war deine Reise?«, fragte ich. »Ich habe gehört, du musstest gegen Gerüchte von Gestaltwandlern vorgehen.«

»Ah, ja. Die Ketzer, die nach der Inquisition aus Friuli gekommen sind, haben so einige Märchen mitgebracht. Mächtige Krieger, deren Geister ihre Körper in Tierform verlassen, um die Ernte vor bösen Mächten zu beschützen, sind zurückgekehrt.« Er schnaubte. »Zumindest wollten uns das die Dorfbewohner glauben machen, denen ich zugewiesen wurde. Sie sind davon überzeugt, dass es eine Art Geisterversammlung gibt, in der eine Göttin den Gestaltwandlern beibringt, wie sie sich vor Bösem schützen können. Es ist schwer, mit alten Überzeugungen zu brechen.« Er sah mich an. Sein Blick wurde dunkel. »Deine Nonna ist nicht die Einzige, die glaubt, dass die Dämonen gekommen sind.«

»Ich …«

Im Gang war eine Stimme zu hören, aber zu leise, um sie zu verstehen. Antonio legte einen Finger an die Lippen. Die Stimme ertönte wieder, etwas lauter. Ich verstand noch immer nicht, was sie sagte, aber es klang nicht freundlich. Ich tastete nach einem Messer. Eine vermummte Gestalt trat aus den Schatten in die Kammer und streckte langsam die Arme nach uns aus. »Gottlossss …«

Wie eine Armee Untoter erhob sich Gänsehaut überall auf meinem Körper. Nonnas Geschrei über Dämonen wurde von meiner eigenen Angst vor Hexenjägern ersetzt. Sie hatten mich gefunden. Und ich konnte vor ihnen oder Antonio unmöglich Magie benutzen, ohne mich zu verraten.

Ich sprang so schnell nach hinten, dass ich über meinen Rock stolperte und in den Korb mit Essen fiel. Klirrend krachte Besteck zu Boden. Die Flasche meiner Spezial-Balsamicomischung zersprang.

Antonio umklammerte einen hölzernen Rosenkranz, den er unter seiner Robe getragen hatte, und trat zwischen mich und den Eindringling. »Im Namen Jesu Christi befehle ich dir zu weichen, Dämon!«

Plötzlich krümmte sich die Gestalt … und kicherte. Ich löste mich von der Wand und starrte sie finster an. »Vittoria!«

Meine Zwillingsschwester hörte auf zu lachen und warf die Kapuze zurück. »Lasst euch nicht stören. Ich muss mir nur euren Gesichtsausdruck vorstellen, und es wird immer nur noch witziger.«

Antonio ging langsam wieder zurück und betrachtete mit verärgerter Miene das Chaos aus Glassplittern und Essig. Ich holte tief Luft und zählte bis zehn. »Das war nicht witzig. Und jetzt ist mein Balsamico kaputt.«

Vittoria sah auf die Scherben hinunter und wirkte auf einmal zerknirscht. »Oh. Das tut mir leid, Emilia.« Sie kam durch den kleinen Raum und zerdrückte mich fast mit ihrer Umarmung. »Wenn wir zu Hause sind, bekommst du mein Lieblingsparfum aus weißem Salbei und Lavendel dafür.«

Ich atmete geräuschvoll aus. Sie meinte das ernst, das wusste ich. Sie würde mir das Fläschchen geben und zusehen, wie ich es zerschmiss, aber Rache lag mir nicht. »Da nehme ich lieber ein Glas von deinem Gebräu aus Limoncello und Wein.«

»Ich mache dir eine ganze Karaffe.« Sie drückte mir einen lauten Kuss auf jede Wange. Dann nickte sie Antonio zu. »Das ist sehr furchterregend, du und dieser Gottesbefehl. Wenn ich ein Dämon wäre, dann wäre ich garantiert wieder in die Hölle verbannt worden.«

»Nächstes Mal schwenke ich heiliges Wasser. Und brenne den Teufel gleich aus dir heraus.«

»Hm. Dann solltest du lieber eine ganze Kanne mitbringen. Vor allem, wenn ich ihn gleich hier heraufbeschwöre.«

Er schüttelte den Kopf und wandte sich an mich. »Ich muss los, die Bruderschaft braucht mich für die Vorbereitungen für morgen. Mach dir keine Sorgen wegen der Scherben – ich räume das später auf. Danke noch mal für das Essen, Emilia. Nach dem Fest werde ich noch ein wenig unterwegs sein, um die abergläubischen Gerüchte zu vertreiben, aber wenn ich zurück bin, sehe ich dich hoffentlich wieder.«

Keine zwei Atemzüge, nachdem er die Kammer verlassen hatte, fing meine blöde Schwester an, durch den Raum zu tanzen und so zu tun, als würde sie leidenschaftliche Küsse mit einem imaginären Antonio teilen. »Oh, Emilia. Ich hoffe, ich sehe dich wieder, wenn ich zurück bin. Am liebsten nackt, in meinem Bett, wie du den Namen des Allmächtigen schreist.«

»Hör auf!« Gekränkt schlug ich nach ihr. »Er kann dich bestimmt noch hören!«

»Gut.« Sie wippte anzüglich mit der Hüfte. »Vielleicht kommt er so auf ein paar Ideen. Es ist noch nicht zu spät für ihn, die Bruderschaft zu verlassen. Es gibt keinen Erlass und kein Gesetz, dass er für immer bleiben muss, wenn er einmal die Weihen empfangen hat. Und es gibt jede Menge andere Dinge, an die ein Mann glauben kann. Vielleicht kannst du ja in heiligem Wasser baden und ihm ein paar davon zeigen.«

»Du bist unmöglich und einfach nur gotteslästerlich.«

»Und du bist rot wie eine Tomate. Wieso sagst du ihm nicht, was du für ihn empfindest? Oder vielleicht solltest du ihn einfach küssen. Wenn ich sehe, wie er dich ansieht, hat er sicher nichts dagegen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass er seine religiösen Weihen in den Himmel lobt und du ihn mit dem Rosenkranz erwürgen musst.«

»Jetzt komm, du Venus. Du hast genug gekuppelt für heute.«

Ich packte sie an der Hand und eilte aus der Kammer.

Erleichtert stellte ich fest, dass der Korridor leer war.

Kein Antonio. Und auch kein anderes Mitglied der Bruderschaft. Der Göttin sei Dank. Wir rannten die dunklen Gänge entlang und hielten erst wieder an, als das Kloster nur noch ein schwarzer Fleck am nächtlichen Horizont war.

* * *

In unserer gemütlichen Küche sammelte Vittoria Blutorangen, Limoncello, Rotwein und eine Flasche Prosecco zusammen. Ich beobachtete von der Kücheninsel aus, wie sie systematisch eins nach dem anderen in eine Kanne gab. Eine Tasse hiervon, ein Spritzer davon, ein paar gezuckerte Schalen – bei Zaubertränken und Parfums glänzte sie mit ihrer Magie und oft wurde diese in Drinks umgemünzt. Dies war eine der wenigen Situationen, in denen sie völlig ernst war, und ich sah ihr gern zu, wie sie voller Glück in ihrer Arbeit versank.

Als sie die Orangen schnitt, wurde mir der Mund wässrig. Das war bei Weitem mein Lieblingsgetränk. Vittoria hatte sich von Sangria inspirieren lassen, der in den letzten Jahren in Frankreich und England ziemlich beliebt geworden war. Einige englische Familien, die nach Palermo gezogen waren, hatten ihr Rezept mitgebracht und unsere sich ohnehin schon aus vielen Quellen speisende Geschichte noch erweitert. Nonna meinte, die Spanier seien von einem antiken römischen Gewürzwein namens Hippocras beeinflusst worden. Egal, woher er nun stammte, ich liebte einfach den Geschmack von Orangensaft mit Wein, und dazu die perlenden Bläschen des Prosecco.

Vittoria steckte einen Löffel in die Mischung, rührte gründlich und kostete, bevor sie mir ein großes Glas eingoss. Dann schnappte sie sich die Flasche Limoncello und deutete auf die Treppe nach oben.

»Schnell, komm, bevor jemand aufwacht.«

»Wo warst du überhaupt?« Leise machte ich die Tür zu unserem Zimmer zu. »Nonna war drauf und dran, unser ganzes Olivenöl zu benutzen, nur um zu sehen, ob das Böse das Mare & Vitigno betreten hat. Wahrscheinlich hätte sie gleich die ganze Insel überprüft, wenn sie gekonnt hätte.«

Vittoria ließ sich grinsend auf ihre Matratze plumpsen. Die Flasche Limoncello hatte sie noch in der Hand. »Ich habe den Teufel beschworen. Ein uraltes Buch hat mir seine Geheimnisse zugeflüstert, und ich habe beschlossen, ihn zum Mann zu nehmen. Ich würde dich ja zur Hochzeit einladen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Zeremonie die Hölle wird.«

Ich warf ihr einen strengen Blick zu. Na schön, sie wollte mir die Wahrheit also nicht verraten. Sollte sie ihr heimliches Liebesabenteuer mit Domenico doch so lange für sich behalten, wie sie wollte. »Du solltest aufhören, so viel Aufmerksamkeit auf dich zu lenken.«

»Sonst was? Sonst kommen die Malvagi und stehlen meine Seele? Vielleicht verkaufe ich sie ihnen auch einfach.«

»Sonst nimmt es mit unserer Familie noch ein böses Ende. Letzte Woche wurden zwei Mädchen ermordet. Es waren beides Hexen. Antonio hat gesagt, dass die Leute in dem Ort, in dem er zuletzt war, von Gestaltwandlern gesprochen haben. Es ist der falsche Zeitpunkt, Scherze über den Teufel zu machen. Du weißt, wie Menschen werden können. Zuerst sind es Gestaltwandler, dann Dämonen, und am Ende ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Hexenjagd beginnt.«

»Ich weiß.« Vittoria schluckte und wandte den Kopf ab. Ich öffnete schon den Mund, um sie zu fragen, was sie im Kloster gesucht hatte, da drehte sie sich wieder zu mir um. Ihre Augen funkelten verschmitzt. »Und? Irgendwelche besonderen Weine oder Flaschengeister in letzter Zeit?«

Ich brach das Verhör ab. »Besondere Weine oder Flaschengeister« war ihr geheimer Begriff für den übernatürlichen Hexensinn. Sie nutzte oft Codes für Themen, die wir nicht vor Menschen oder neugierigen Großmüttern besprechen wollten. Ich setzte mich bequem auf mein Kissen und zog die Beine an. Bevor ich meine Geschichte erzählte, flüsterte ich einen Schweigespruch, um unsere Stimmen zu überdecken. »Also, vor ein paar Nächten habe ich von einem Geist geträumt …«

»Warte!« Vittoria stellte ihren Limoncello ab und schnappte sich ihr Tagebuch. »Erzähl mir alles«, sagte sie mit Stift und Tintenfässchen in der Hand. »Jedes Detail. Wie sah er aus? Hatte er einen schimmernden Umriss oder einen Schatten? Oder hast du es einfach gespürt? Hat er zu dir gesprochen? Wann ist das passiert, gleich nachdem du eingeschlafen bist oder später?«

»Es war eher kurz vor dem Morgen. Ich dachte zuerst, ich wäre schon wach.«

Ich nippte an meinem Getränk und berichtete ihr von meinem seltsamen Traum – der körperlosen Stimme, die so leise flüsterte, dass man nicht mehr als eine Art unverständlicher Traumsprache hörte. Für mich klang es, als wäre dies meiner wilden Fantasie geschuldet und kein erster Vorbote der Schrecken, die auf uns warteten.

Drei

Schnell zerkleinerte ich die Karkassen für den Fischfond und hörte beim dumpfen Knacken der Gräten weg. Wir waren bereits mitten in der Vorbereitung für die Abendgäste, als mir auffiel, dass ich meinen Korb im Kloster vergessen hatte. Weil es ein Feiertag war und die Leute bereits in Massen unterwegs waren, musste ich warten, bis das Mare & Vitigno geschlossen hatte, um meine Sachen zu holen.

Vielleicht war das aber auch ein kleines Geschenk der Göttin. Da die Bruderschaft unterwegs sein und La Santuzza – den Kleinen Heiligen – feiern würde, musste ich keine Angst haben, auf Antonio zu treffen. Ich wollte ihn wirklich nicht sehen, nicht nach Vittorias Affentheater letzte Nacht. Sie schaffte es irgendwie, mit ihrer Unverschämtheit und Frechheit durchzukommen, ja, die Leute liebten sie sogar dafür. Leider beherrschte ich diese Kunst nicht.

Ich sah meine Schwester an, die den ganzen Morgen über seltsam still gewesen war. Irgendetwas lag ihr auf der Seele. Nachdem ich ihr von meinem Traum erzählt hatte, war es mir vorgekommen, als wäre sie kurz davor gewesen, mir ebenfalls etwas zu beichten.

Aber anstatt es mir zu erzählen, hatte sie ihr Tagebuch nur weggelegt, sich auf der Matratze umgedreht und war eingeschlafen. Ich fragte mich, ob sie sich vielleicht mit ihrem heimlichen Freund gestritten hatte. Vielleicht waren sie im Kloster verabredet gewesen, aber er war nicht aufgetaucht.

»Heute Abend wird viel los sein«, sagte Vittoria auf einmal und unterbrach meine Gedanken. »Ich muss aber trotzdem ein wenig früher weg.«

Nonna schob sich an meiner Mutter vorbei, die gerade Espresso für den Nachtisch machte, und wuchtete einen Korb voller kleiner Schnecken auf die Kücheninsel. Dann nickte sie meiner Zwillingsschwester zu. »Hier. Die müssen für die Babbaluci gekocht werden.« Sie gab ihr einen Klaps auf die Hand. »Und nicht zu lange. Wir wollen nicht, dass Gummi daraus wird.«

Ich zog die Augenbrauen hoch und wartete darauf, dass Nonna ihr verbieten würde, früher zu gehen. Sie sagte nichts. Während Vittoria eine Handvoll Schnecken nach der anderen in den Kochtopf gab, hackte Nonna Knoblauch und stellte eine Pfanne mit Olivenöl aufs Feuer. Bald hatten wir unseren Rhythmus gefunden, und ich schob die Sorgen meiner Schwester beiseite, um die Fischbrühe fertig zu bekommen. Ich würde sie später dazu bringen, mir alles zu erzählen.

Vittoria holte die Schnecken mit einem Löffel aus dem Wasser, Nonna briet sie leicht in Öl und Knoblauch an und gab am Schluss noch Salz, Pfeffer und frische Petersilie dazu. Sie flüsterte ein Gebet über der Pfanne, dankte dem Essen für seine Nahrhaftigkeit und den Schnecken für ihr Opfer. Es war nur eine Kleinigkeit und noch nicht einmal wirklich Zauberei, aber ich könnte schwören, dass das Essen hinterher besser schmeckte.

»Nicoletta?«, rief Nonna. Meine Mutter stellte das letzte Tablett mit Desserts beiseite und warf sich ein Tuch über die Schulter. »Bring deinem Bruder diese Schüssel Babbaluci.Er soll nach draußen gehen und jedem etwas geben, der Hunger hat. Das ist gut für die Moral in der Warteschlange.«

Und es zog mehr Leute in unsere Trattoria. Nonna verzauberte unsere Kunden nicht direkt, aber sie wusste, wie man Menschen über deren Sinne heranlockte. Ein Hauch von Knoblauch in der Pfanne, und die Tische waren voller hungriger Gäste.

Als meine Mutter gegangen war, zeigte Nonna mit dem geschnitzten Holzlöffel auf uns. »Habt ihr heute früh den Himmel gesehen? Er war so rot wie das Blut des Teufels. Heute Nacht ist keine gute Nacht, um draußen zu sein. Bleibt zu Hause und arbeitet an euren Grimoires oder näht getrocknete Schafgarbe in eure Röcke. Es gibt jede Menge zu tun. Habt ihr auch euer Amulett um?«

Ich zog meins unter meinem Leibchen hervor. Vittoria seufzte und tat dasselbe.

»Gut. Ihr habt sie auch nicht abgenommen, oder?«

»Nein, Nonna.« Ich ignorierte den vielsagenden Blick meiner Schwester. Ich hatte nicht gelogen, genau genommen. Sie hatte ihr Amulett abgenommen, als wir acht waren – nicht ich. Soweit ich wusste, hatte keiner von uns beiden das je wiederholt.

Nonna holte tief Luft und schien besänftigt. »Der Göttin sei Dank. Ihr wisst, was sonst passieren würde.«

»Unsere Welt wird zu einem Albtraum aus Asche zerfallen.« Vittoria streckte die Arme aus und stolperte voran, als wäre sie ein schleichender Dämon. »Der Teufel wird frei umherstreifen. Wir werden im Blut der Unschuldigen baden und unsere Seelen werden für alle Ewigkeit in die Hölle verbannt.«

»Verärgere nicht die Göttin, die uns Zeichen schickt, Vittoria. Diese Amulette könnten die Dämonenfürsten befreien. Ich an deiner Stelle würde die Warnungen beherzigen, es sei denn, du willst verantwortlich dafür sein, dass die Malvagi, die La Prima weggesperrt hat, diese Gefilde betreten.«

Jetzt war auch die letzte Spur von Humor aus dem Gesicht meiner Schwester verschwunden. Sie widmete sich der nächsten Portion Schnecken und hielt dabei ihr Cornicello fest umklammert. Ich schluckte und dachte an den Höllenhund, den wir damals in jener Nacht gehört hatten. Nonna lag bestimmt falsch – ihre Warnung war Aberglaube, mehr nicht. Der Teufel und seine Dämonen waren festgesetzt worden. Außerdem hatte Nonna immer gesagt, unsere Amulette dürften sich nicht berühren. Ich hatte sie nicht zusammengetan – nur das meiner Schwester gehalten, während meines noch um meinen Hals hing. Die Höllenfürsten waren dort, wo sie hingehörten. Keine Dämonen streiften auf der Erde umher. Alles war in Ordnung.

Trotzdem wechselten Vittoria und ich einen langen, stillen Blick, als sich unsere Großmutter umdrehte.

Vier

Ich starrte das Kloster an und wurde das Gefühl nicht los, dass es zurückstarrte, die Zähne zu einem teuflischen Lächeln gefletscht. Ein Zeichen dafür, dass mich Nonnas Aberglaube also doch aus der Ruhe gebracht hatte. Solange keine mächtige Hexe einen noch nicht da gewesenen Spruch angewandt und Kalkstein und Glas mit Leben erfüllt hatte, war es nur ein leeres Gebäude.

»Grazie, Nonna«, murmelte ich vor mich hin, obwohl ich alles andere als dankbar war.

Ich ging auf eine Holztür zu, die tief in den Schatten lag. Dicke Türangeln aus Eisen protestierten ächzend, als ich ins Kloster schlüpfte. Irgendwo im Sparrenwerk flog ein Vogel auf. Seine Flügel flatterten so schnell wie mein Herz.

Das Kapuzinerkloster war weniger als anderthalb Kilometer von unserem Restaurant entfernt und eins der beliebtesten Gebäude Palermos. Nicht wegen seiner Bauweise, sondern wegen der Katakomben in seinen heiligen Hallen. Bei Tageslicht gefiel es mir dort ganz gut, aber im Dunkeln wurde ich das Frösteln nicht los. Jetzt, da es vollständig leer war, überkam mich eine unheimliche Vorahnung. Spannung lag in der Luft, als wäre etwas Furchtbares geschehen und als würden die Hallen den Atem anhalten.