Kings of Retribution MC: Lost King - Sandy Alvarez - E-Book

Kings of Retribution MC: Lost King E-Book

Sandy Alvarez

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Beschreibung

Quinn Beckett, der Sergeant at Arms des Kings of Retribution MC, weiß, dass das Leben das ist, was man daraus macht. Er hat sich seinem Club, seiner Familie, seiner Gemeinschaft und den anderen Mitgliedern, die er als seine Brüder betrachtet, verschrieben. Quinn ist mit seinem Leben wunschlos glücklich. Bis er eine intelligente und attraktive Ärztin kennenlernt, die sein Leben verändert. Quinn macht es sich zum Ziel, sie als sein Eigentum zu beanspruchen. Für Außenstehende hat Emerson Evans alles, was man sich wünschen kann: Familie, Freunde und eine erfolgreiche Karriere als Ärztin. Niemand kann sich vorstellen, dass sie unglücklich ist. Doch Emerson hat ihr bisheriges Leben damit verbracht, den Vorstellungen anderer Menschen zu entsprechen. Sie sehnt sich nach mehr, unter anderem nach einem sexy, langhaarigen Biker, der zufälligerweise Mitglied des örtlichen MC ist. Emerson hätte nie erwartet, dass ihre Gefühle für diesen Mann, den sie so sehr liebt, zu ihrer Kraftquelle werden könnten. Bis zu dem Moment, an dem das Undenkbare geschieht ... Bist du bereit, in die Welt des Kings of Retribution MC der USA Today-Bestsellerautorinnen Sandy Alvarez und Crystal Daniels einzutauchen? Dann schnall dich an und erlebe ein Abenteuer, das dich bis zur letzten Seite in Atem halten wird. "Lost King" ist ein absolutes Muss für alle Fans von packenden Motorradclub-Romanen und Liebhaber von fesselnden Geschichten voller Action und Leidenschaft.

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Sandy Alvarez & Crystal Daniels

Kings of Retribution MC Teil 6: Lost King

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Svenja Ohlsen

© 2018 by Sandy Alvarez & Crystal Daniels unter dem Originaltitel „Lost King (Kings of Retribution MC Book 6)“

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-638-6

ISBN eBook: 978-3-86495-639-3

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch oder Ausschnitte davon dürfen ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers nicht vervielfältigt oder in irgendeiner Weise verwendet werden, außer für kurze Zitate in einer Buchbesprechung.

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Autorinnen

Widmung

Kapitel 1

Quinn

Die Musik, die aus meinem Telefon schallt, reißt mich aus dem Schlaf. Ich streiche mit dem Daumen über den Bildschirm und schalte den Wecker aus. Es ist früh – kurz vor Sonnenaufgang. Mit weit ausgebreiteten Armen liege ich ein paar Minuten in meinem Bett und starre an die Decke. Zurzeit wohne ich hier im Clubhaus. Nicht, weil ich mir keine eigene Wohnung leisten kann, sondern weil ich es so will. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich mir ein hübsches Haus zulegen. Doch bis dahin, bis ich finde, was ich suche – bis ich den Menschen gefunden habe, mit dem ich mein Leben teilen möchte – bin ich vollkommen zufrieden, so wie es ist. Ein Lächeln huscht über meine Lippen, als ich an sie denke – der Gedanke an meinen Sonnenschein zaubert immer ein Lächeln auf mein Gesicht. Emerson Evans. Die schöne, intelligente, eigenwillige Frau, nach der ich vermutlich mein ganzes verdammtes Leben lang gesucht habe. Ich kann es nicht erklären. Das Gefühl, das ich bekomme, wenn ich in ihrer Nähe bin; es gibt keine Worte, die die Energie, die ich dann spüre, genau beschreiben könnten. Ich bin mittlerweile süchtig danach. Ich bin süchtig nach Emerson, dabei habe ich sie noch nicht einmal gekostet.

Ich schließe für einen Moment die Augen und denke an den Tag zurück, an dem ich Emerson zum ersten Mal gesehen habe. Jünger als die anderen Ärzte, die ich bisher erlebt hatte, leitete diese zierliche, dunkelhaarige Frau die gesamte Notaufnahme, als Bella vor über zwei Jahren fast leblos eingeliefert wurde. Heute hat sie eine ganz andere Haarfarbe. Platinblond, um genau zu sein. Sie hat einen perfekten, athletischen Körper und ihre leicht geschwungenen Hüften regen meine lebhafte Fantasie an. Als ich spüre, wie mein Schwanz anschwillt, streife ich das Laken von meinem nackten Körper und setze mich auf den Rand des Bettes. Aber es ist nicht ihr Aussehen, das ich an ihr am attraktivsten finde. Nein, es ist ihr Herz. Sie sorgt sich um die Menschen – und zwar aufrichtig. Das sieht man, wenn sie arbeitet, und ich habe sie schon oft in Aktion gesehen. Jedes Mal, wenn sie sich um einen meiner Schützlinge gekümmert hat, habe ich ihr ruhiges Auftreten bewundert. Auf eine diskrete und zurückhaltende Art und Weise ist Emerson eine Naturgewalt. Ich war sofort fasziniert, selbst inmitten des Chaos, und das ist noch untertrieben. Das erste Mal, als sich unsere Blicke trafen, war ich hin und weg. Diese hellen, rauchgrauen Augen zogen mich in ihren Bann.

Abwesend reibe ich mir mit der Hand über die nackte Brust. Es war mir, als würde sie in die Tiefen meiner Seele vordringen. An diesem Tag besiegelte sie mein Schicksal und seitdem bin ich auf der Jagd. Mein Vater hat mir immer gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, eines Tages würde eine Frau auftauchen und ich würde wissen, dass sie mein Gegenstück ist. Sie würde mich überwältigen und ich würde Berge versetzen, um sie zu erobern und ihr den Mond zu schenken, wenn sie das wollte. Das habe ich auch nie in Frage gestellt. Diese Art von Liebe empfindet er für meine Mutter.

Bevor ich in den Tag starte, muss ich mir noch einen runterholen, also trotte ich ins Bad. Ich drehe den Regler, stelle die Dusche an und lasse das Wasser schön heiß werden, bevor ich hineinsteige. Ich habe seit meinen frühen Teenagerjahren, als ich mein erstes Erotikmagazin in die Hände bekam, nicht mehr so viel gewichst, aber seit Emerson in die Stadt gezogen ist, habe ich kein Interesse mehr an anderen Frauen. Ich greife nach unten und streiche über meinen steinharten Schwanz. Meinen Kopf lasse ich zurückfallen und schließe die Augen. Bilder von Emerson in ihrem winzigen Bikini kommen mir in den Sinn und schon bald wird daraus viel mehr. Ich stütze mich mit der linken Handfläche an der Duschwand ab und senke den Kopf, während ich mich der Erlösung nähere. „Fuck“, stöhne ich. Mit einem Gefühl der Erleichterung dusche ich zu Ende.

Bekleidet mit einer dunklen, ausgewaschenen Jeans, einem weißen Shirt, Stiefeln und meiner Kutte, binde ich mein Haar mit einem Haargummi zurück und gehe nach unten, um mir etwas zu essen zu holen. Als ich die Küche betrete, sehe ich Austin und Blake am Tisch sitzen und Ember mit einem Pfannenwender in der Hand am Herd stehen, die Pfannkuchen backt.

„Pfannkuchen.“ Ich reibe meine Hände aneinander und atme den Geruch von Speck ein. „Macht es dir was aus, mir ein paar mehr zu machen?“, frage ich Ember, während ich mir einen Stuhl vom Tisch ziehe und mich neben Blake setze, dessen Augen auf sie gerichtet sind. Ich lehne mich dicht an ihn heran und spreche so leise, dass nur er hören kann, was ich sage: „Wann gibst du endlich nach und lässt dich darauf ein?“

Blake hebt seine Gabel und murmelt: „Ich bin nicht gut genug für sie, Bruder“, bevor er sich einen vor Sirup triefenden Bissen Pfannkuchen in den Mund schiebt.

Ich schüttle den Kopf. Blake ist ein guter Kerl. Er hat viel Scheiße durchgemacht, aber er ist einer von den Guten. Seine gesamte Familie wurde bei einem schief gelaufenen Raubüberfall ermordet, als er noch ein Kind war. Blake war der Einzige, der überlebte. Er verbrachte Jahre damit, von einer Pflegefamilie zur nächsten zu wechseln und sich mit den falschen Leuten einzulassen. „Du bist jetzt seit über fünf Jahren clean und du warst immer gut genug, Bruder. Verkaufe dich nicht unter Wert, nur weil du Angst hast. Hab die Eier, deine Zeit zu genießen. Wir haben nur ein Leben, Mann. Verschwende es nicht“, sage ich ihm.

Ich habe in meinem Leben schon immer danach gestrebt, alles zu erreichen, was ich jemals wollte. Vom ersten Tag an haben mir meine Eltern beigebracht, dass ich es in vollen Zügen genießen muss. Mir ist bewusst, dass ich eine zweite Chance bekommen habe, als meine leiblichen Eltern beschlossen, dass sie zu jung waren, um sich um mich zu kümmern, was zu meiner Adoption und dem Leben geführt hat, das ich heute lebe.

Ember dreht sich um und bringt einen Teller voller Essen an den Tisch, was Blake dazu veranlasst, seinen Blick schnell wieder auf seine Pfannkuchen zu senken. Sie lächelt, als sie das Frühstück abstellt und mit ihren warmen, schokoladenbraunen Augen unter dunklen Wimpern blickt sie kurz in Blakes Richtung, dann runzelt sie die Stirn, als sie bemerkt, dass er ihr ausweicht. Sie mag ihn. Das war nicht schwer zu erkennen, seit sie dem Club beigetreten ist. „Danke, dass du früh aufgestanden bist, um uns Frühstück zu machen, Süße“, sage ich zu ihr und ernte ein kleines Lächeln.

„Kein Problem, Quinn“, antwortet sie leise, bevor sie noch einmal einen Blick in Blakes Richtung wirft und sich dann auf den Weg zum Waschbecken für den Abwasch macht.

„Also, seid ihr bereit für heute?“ Blake schiebt sich vom Tisch zurück, bringt seinen Teller zur Spüle, wäscht ihn ab und stellt ihn in den Geschirrspüler.

Ich steche mit meiner Gabel in die Pfannkuchen und staple vier davon zusammen mit etwas Speck auf meinen Teller. „Verdammt ja, ich bin bereit“, verkünde ich und schiebe mir einen Bissen in den Mund. „Hast du die neuen Werkzeuge und Geräte in der Werkstatt gesehen? Das Zeug wird die Arbeit so viel einfacher und schneller machen.“

Die Tür zur Küche schwingt auf und Doc kommt mit Lisa herein, er sieht verdammt gut gelaunt aus. Ich winke ihm zu. „Hey, Doc. Was lässt dich so früh am Morgen grinsen wie ein Honigkuchenpferd?“

Er legt seine Hand auf meine linke Schulter und sagt: „Abgesehen davon, dass ich neben meiner Frau aufgewacht bin, werden wir endlich erleben, wie die Werkstatt wieder eröffnet wird. Nachdem Jake das, was sein Vater vor Jahren aufgebaut hat, verloren hat, freue ich mich verdammt noch mal für ihn und diesen Club.“

„Ich habe gehört, dass der Bürgermeister auch bei der Einweihung dabei sein wird. Der Stadtrat will eine Mediensendung daraus machen“, mischt sich Blake in das Gespräch ein.

„Ich finde es fantastisch, dass die Gemeinde ihre Unterstützung für Jake und den Club zeigt. Seine Werkstatt ist seit Jahrzehnten ein Teil dieser Stadt. Und wir alle wissen, wie viel die Kings zurückgeben. Jake hat es verdient“, gibt Lisa energisch ihre Meinung zu den heutigen Ereignissen kund.

Ich nicke zustimmend und esse weiter. Es ist zwar schon ein paar Monate her, aber heute wird unsere brandneue Werkstatt eröffnet und ich bin verdammt froh, dass der Laden wieder läuft. Der Prez hat ein kleines Gebäude gemietet, kurz nachdem sich die Wogen nach der Katastrophe geglättet hatten, damit wir weiterhin etwas Geld verdienen konnten. Nahezu alles war ein Totalschaden. Bis auf einige Werkzeuge seines alten Herrn und ein paar Motorradteile. Zum Glück waren wir versichert, denn ein paar unserer Kunden haben an diesem Tag ihre Bikes bei dem Brand verloren.

Mit einem Blick auf die Uhr über dem Herd bemerke ich, wie spät es ist. Prez will, dass alle mindestens dreißig Minuten vor der Eröffnung in der Werkstatt sind, was mir fast zwei Stunden Zeit gibt, um zum Haus meiner Eltern zu fahren und dann dorthin zu düsen. Mein Vater möchte, dass ich vorbeikomme und mir einen alten Ford Galaxy ansehe, an dem er in seiner Freizeit arbeitet. Nachdem ich den letzten Rest meines Essens vertilgt habe, stehe ich auf und gehe zur Spüle, um meinen Teller abzuwaschen und einzuräumen.

„Schaffen es deine Eltern heute, Quinn?“ Doc schaut über seine Schulter, während er sich eine Tasse Kaffee einschenkt.

„Sie würden es um keinen Preis verpassen. Mein Vater hat Probleme, sein Auto zu starten, also mache ich mich gleich auf den Weg.“ Ich schmunzle, denn mein Dad ist ganz begeistert und stolz, dass er genau das Auto gefunden hat, mit dem er Mom bei ihrem allerersten Date abgeholt hat. Er hatte mehr als ein Jahr lang danach gesucht und kurz vor Thanksgiving erhielt er einen Anruf von einem Mann, der ihm mitteilte, dass er das Auto auf einem alten Schrottplatz in Kalifornien entdeckt hatte. Seitdem versucht er, es zu restaurieren. „Wir sehen uns später.“ Ich winke, als ich durch die Tür verschwinde und mich auf den Weg zu meinem Motorrad mache. Als die Morgensonne aufsteigt, schiebe ich die Sonnenbrille über meine Augen und steige auf mein Bike. Einen Moment später fahre ich über die breite Straße.

Während mir der Wind ins Gesicht peitscht, denke ich an den Tag zurück, an dem ich meine erste Harley gefahren bin. Ich war sechzehn und hatte mein ganzes Geld von meinem Nebenjob gespart, um mir von einem Bekannten des Prez eine gebrauchte Maschine zu kaufen. Jede freie Minute, die ich hatte, nutzte ich, um mein Baby auf Vordermann zu bringen und ich fahre sie heute noch. Ich drücke den Gashebel fest an und rase den Highway hinunter. Als ich fünfzehn war, zogen meine Eltern mit uns von Kalifornien nach Polson. Ich hasste es, meine alten Freunde zu verlassen und in einer neuen Stadt von vorne anzufangen. Am schwierigsten war es, sich an eine neue Schule zu gewöhnen. In meiner zweiten Woche an der Schule eskalierte dann ein Streit, den ich mit einem tyrannischen Jungen gehabt hatte. In dieser Zeit lernte ich Logan und Reid kennen. Verdammt, wenn sie nicht gewesen wären, hätten mich die Schläger in der Schule weiter verprügelt. Ich war der Neue und außerdem ein dünner, kleiner Hänfling. Allein diese beiden Dinge machten mich zur Zielscheibe. Eines Tages kamen Logan und Reid herein, als mich jemand auf der Jungentoilette verprügelte und nahmen mich in Schutz. Sie haben mich nie darum gebeten, ihnen anschließend überall hinzufolgen, ich habe mich einfach selbst eingeladen. Von diesem Tag an legte sich niemand mehr mit mir an.

Als ich in Sichtweite des zweistöckigen Hauses meiner Eltern mit der großen Veranda komme, schüttle ich meine Gedanken an frühere Zeiten ab und halte neben dem Auto meiner Mutter, klappe den Ständer herunter und stelle mein Motorrad ab. Bevor ich meinen Helm abnehmen kann, stürmt meine kleine Schwester durch das Tor, das zum Hinterhof führt, dicht gefolgt von Remi, der Tochter von Jake und Grace.

„Quinn!“ Sie wirft sich in meine Arme und drückt mich fest.

Kichernd ziehe ich sie an mich.

„Wie geht’s, KitKat? Hi, Remi. Was habt ihr heute vor?“, frage ich sie. Kat löst ihre Umarmung und tritt zurück, damit ich von meinem Motorrad steigen kann.

„Da wir heute nicht in die Schule mussten, haben Remi und ich im Baumhaus rumgehangen.“

„Ist Dad in der Garage?“, frage ich sie.

„Jep“, sagt sie mit Betonung auf dem P.

Sie ergreift Remis Hand, lächelt mich an und sagt: „Wir sehen uns später. Ich hab dich lieb“, und Remi ruft: „Bis später!“ Ich beobachte, wie sie in Richtung Hinterhof laufen, bevor ich ihnen den Rücken zuwende, zur freistehenden Garage auf der gegenüberliegenden Seite der Einfahrt gehe und durch die Seitentür eintrete. Mein Vater sitzt auf dem Fahrersitz seines Autos, die Tür ist offen und er kratzt sich die dunklen Bartstoppeln im Gesicht.

„Hey, Dad.“

Ich höre ihn schwer seufzen, als ich neben ihm auftauche. „Hallo, mein Sohn. Danke, dass du vorbeigekommen bist. Sie dreht an, aber ich kriege sie nicht zum Laufen. Kannst du dir das für mich ansehen?“

„Versuch sie mal zu starten, damit ich sie mir anhören kann“, sage ich, während ich mich über den Motor beuge. „Noch einmal, Dad.“ Nachdem ich es mir zum zweiten Mal angehört habe, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich weiß, was los ist. „Ich glaube, es ist die Steuerung“, sage ich ihm.

Er klettert aus dem Auto. „Verdammt. Wir haben heute keine Zeit, daran herumzubasteln. Ich muss mich drinnen auf die große Wiedereröffnung vorbereiten. Deine Mutter freut sich auf den kleinen Besuch bei Grace heute“, sagt er, während er sich die Hände mit einem Putzlappen reinigt. Grace und meine Mutter sind gute Freunde geworden, seit sie wieder zu Hause ist.

„Wie wäre es, wenn wir am Wochenende zusammen daran arbeiten?“, schlage ich vor, denn ich weiß, dass mein Vater es sehr genießt, Zeit nur mit mir allein zu verbringen.

„Klingt nach einer guten Idee.“ Er lächelt und klopft mir auf die Schulter. „Ich weiß, dass du nicht lange bleiben kannst, aber grüß deine Mutter, bevor du gehst, ja?“ Mein Vater schließt die Motorhaube und beginnt, sein Werkzeug wegzuräumen.

„Wir sehen uns später, Dad, hab dich lieb.“

„Hab dich auch lieb, mein Sohn.“

Meine Mutter ist in der Küche und tippt auf ihrem Computer herum, als ich hereinkomme. Ich beuge mich hinunter und küsse sie auf den Kopf. „Arbeitest du?“ Ich sehe ein paar Kekse auf der Theke, die sie wohl für die Mädchen gebacken hat, gehe hinüber, nehme mir ein paar und stopfe mir einen in den Mund.

„Heb ein paar für deine Schwester und Remi auf“, sagt sie und mustert mich über den Brillenrand hinweg.

„Ich kann nicht lange bleiben, Mom. Der Prez braucht uns im Laden, bevor die Kamerateams auftauchen“, sage ich, während ich mir noch einen Keks für den Weg schnappe. „Ich hab dich lieb.“ Sie schüttelt den Kopf, lächelt aber und sagt mir, dass sie mich auch lieb hat, dann gehe ich zur Tür hinaus und mache mich wieder auf den Weg.

Zwanzig Minuten später fahre ich auf den bereits überfüllten Parkplatz vor der Werkstatt und schiebe mein Motorrad neben die geparkten Bikes meiner Brüder. Es sieht so aus, als wäre ich der Letzte, der ankommt. Ich lasse mir Zeit, bevor ich den Laden betrete. Ich pfeife. „Verdammt.“ Die Wände haben den letzten Schliff bekommen. Die glatten, schwarzen Arbeitsflächen und die große Sammlung von Harley-Kunstwerken an den Wänden geben mir das Gefühl, einen Ausstellungsraum zu betreten.

Das Tor zur Garage schwingt auf. „Das ist schon was, nicht wahr?“ Logans Stimme hallt durch den Raum. „Das war die Idee meines Vaters für ein Wiedereröffnungsgeschenk.“

„Mir gefällt sein Stil.“ Ich schaue mich weiter um und bewundere alles. Der Grundriss des Gebäudes ist immer noch fast identisch mit dem ursprünglichen Bau. Die einzige Änderung besteht darin, dass Jakes Arbeitsplatz ein wenig größer geworden ist. Prez kommt mit Ellie Kate im Arm und Grace an seiner Seite aus seinem Haus geschlendert. Es macht mich glücklich zu sehen, dass ein guter Mann wie Jake seine bessere Hälfte gefunden hat. Ich habe im Laufe der Jahre gesehen, wie alle meine Brüder tolle Frauen gefunden haben; Logan war der erste, der sich verliebt hat. Kaum kommen mir diese Gedanken, öffnet sich die Ladentür und die Sonne scheint herein, kurz bevor Emerson, mein eigener Sonnenschein, mit Bella und deren sowie Logans Kindern im Schlepptau hereinspaziert. Emerson sieht mir in die Augen, und ich spüre, wie mein Herz gegen die Innenseite meiner Brust schlägt. Es ist dasselbe Gefühl, das ich jedes Mal verspüre, wenn ich sie ansehe, und ich lächle. Ihr Erröten verrät sie jedes Mal, wenn sie in meine Nähe kommt. Ich weiß, dass auch sie die Spannung zwischen uns spürt.

„Showtime“, verkündet Prez.

Ich breche den Blickkontakt zu Emerson ab und folge unserem Prez nach draußen. Die Türen der Halle öffnen sich und die restlichen Clubmitglieder stellen sich davor auf. Logan und ich schließen uns ihnen an. Während wir Grace zur Begrüßung umarmen und sie mit Bella, Alba, Mila, Emerson und seiner Mutter zurücklassen, gehen Jake und sein Vater gemeinsam zu Ben Ainsworth, unserem Bürgermeister. Ich beobachte, wie sie sich ein paar Minuten lang unterhalten, bevor sie sich vor uns Männern positionieren. Als ich einen Blick in die Menge werfe, entdecke ich meine Eltern, die neben den Frauen und Kindern stehen.

Die Tatsache, dass sie alles in meinem Leben unterstützen, erfüllt mich mit Stolz. Nicht ein einziges Mal haben sie darüber geurteilt, wer ich bin, was ich tue oder welche Freunde ich habe. Sie wissen, dass die Clubmitglieder und ihre Familien gute Menschen sind, weil sie sie kennengelernt haben, bevor sie sich über sie ein Urteil gebildet haben. Ob sie wissen, dass es im Laufe der Jahre zu einigen nicht ganz so glanzvollen Vorfällen gekommen ist? Ich vermute, dass sie es wissen. Letzten Endes geht es ihnen um mein Glück und mein Wohlergehen. Sie sehen, dass ich glücklich bin, und sie verstehen, dass meine Brüder mir den Rücken freihalten.

Ein paar Kameraleute von den lokalen Nachrichtensendern warten auf ihr Einsatzzeichen. Ben hält eine kurze Ansprache. Prez sagt seine Dankesworte, dann schneidet sein Vater das Einweihungsband durch. Unsere Freunde und Familienangehörigen jubeln. Das Ganze dauert nicht länger als zehn Minuten. Bald darauf packen die Medien und der Bürgermeister zusammen und verabschieden sich. So ist es nun einmal. Der Tag beginnt und sie müssen wie alle anderen nun auch weiterarbeiten.

„Ich muss rüber zur Baustelle, Bruder. Nikolai hält die Stellung, aber der Besitzer des Hauses, das wir bauen, kommt noch vor dem Mittagessen vorbei“, sagt Reid. Er hält kurz inne, um Prez und seinem Vater die Hand zu schütteln, bevor er zu seiner schwangeren Frau und seiner Tochter geht, sie zum Abschied küsst, dann auf sein Motorrad steigt und losfährt. Einer nach dem anderen verschwindet. Ich werfe einen Blick in Emersons Richtung, als sie sich ebenfalls auf den Weg zur Arbeit macht und zu ihrem Auto geht.

Gabriel und Logan helfen ihren Frauen, die Kinder in ihre Autos zu laden, und sehen ihnen beim Wegfahren zu, bevor Gabriel und Blake über die Straße zum Tattoo-Studio gehen. Jetzt ist der Parkplatz leer, abgesehen von Austin, Logan und mir.

Kapitel 2

Emerson

„Wir sehen uns morgen, Dr. Evans“, sagt Tracy, eine der Krankenschwestern, die in der Nachtschicht arbeiten, während sie über den Krankenhausparkplatz zu ihrem Auto geht.

„Tschüss, Tracy, fahr vorsichtig.“ Die letzten zwei Wochen habe ich die Nachtschicht übernommen. Gott sei Dank war vergangene Nacht meine letzte Schicht, bevor ich wieder im Tagesdienst anfange. Mit dem Autoschlüssel in der Hand schließe ich meinen Jeep auf. Ich öffne die Tür, werfe meine Tasche auf den Beifahrersitz, steige ein, schließe die Tür und lehne meinen Kopf an der Kopfstütze an. Mein Körper ist erschöpft, aber mein Gehirn braucht länger, um das zu begreifen. Ich bin immer aufgedreht, wenn meine Schicht zu Ende ist. Vor ein paar Monaten habe ich im Kickbox-Studio mit Muay Thai angefangen. Zum Glück macht Rhett jeden Tag um fünf Uhr morgens auf. Das Studio hat mir das Leben gerettet. Als ich noch in der Tagschicht gearbeitet habe, konnte ich ins Fitnessstudio gehen und den Stress des Arbeitsalltags abbauen, aber bevor Rhett sein Studio eröffnet hat, hatte ich keine Möglichkeit, so früh am Morgen nach der Nachtschicht zu trainieren. Die Öffnungszeiten des örtlichen Fitnessstudios in Polson passen nicht zu meinem Arbeitsplan.

Das Klingen meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken und ich wende mich meiner Tasche zu. Ich stoße einen tiefen Seufzer aus, denn ich weiß, wer anruft. Nur eine Person würde mich so früh am Morgen anrufen – meine Mutter. Das Klingeln verstummt, als ich keine Anstalten mache, abzunehmen, nur um Sekunden später wieder loszulegen. Sie ist unerbittlich und ich weiß, dass sie so lange anrufen wird, bis ich abnehme. Ich gehe ans Telefon und begrüße meine Mutter: „Hallo, Mom.“

„Warum hast du so lange gebraucht, Emerson?“

Seufzend rolle ich mit den Augen. „Ich habe gerade erst meine Schicht beendet, Mom.“

„Nun, ich rufe an, weil dein Vater und ich gerne möchten, dass du dieses Wochenende nach Hause kommst. Es ist Monate her, Emerson“, schimpft sie.

„Das liegt daran, dass du und Dad jedes Mal, wenn ich nach Seattle komme, versuchen, mich mit jemandem zu verkuppeln.“

„Oh, bitte. Patrick war reizend und hat perfekt zu dir gepasst. Du hast nicht einmal Anstalten gemacht, ihn kennenzulernen, Emerson.“

„Er ist fast dreißig Jahre älter als ich, Mom!“ Ich schreie praktisch in mein Telefon. „Ich bin nicht an jemandem interessiert, der alt genug ist, um mein Vater zu sein. Und die Tatsache, dass er Dads Freund ist, macht es noch unheimlicher.“

„Was ist mit diesem anderen Herrn, Harris?“, fragt sie.

„Harris hat während des ganzen Abendessens von Darmverschlüssen gesprochen. Er war ein ganz harter Fall.“

„Das ist dein Problem, Emerson. Du bist zu wählerisch. Du wirst nie einen passenden Mann finden, wenn du so weitermachst.“

Ich mache mir nicht die Mühe, auf diese Aussage meiner Mutter zu antworten. Wir haben dieses Gespräch schon hundertmal geführt. Für sie ist ein geeigneter Mann jemand, der im medizinischen Bereich arbeitet, und außerdem jemand nach ihrem Geschmack. Doch wenn ich darüber nachdenke, was ich will, kommt mir nur ein Mann in den Sinn. Er ist das komplette Gegenteil von mir, in jeder Hinsicht. Quinn. Meine Eltern würden es niemals gutheißen.

„Hör zu, Mom, ich muss gehen“, sage ich, um das Gespräch abzukürzen.

„Also, sehen wir uns am Wochenende?“

„Ja, Mom. Ich komme Freitag nach meiner Schicht nach Hause.“

Ich gebe ihr keine Gelegenheit, noch etwas zu sagen, bevor ich das Gespräch beende. Ich habe eine große Schwäche: Ich möchte meine Eltern nicht enttäuschen. Ich war nie in der Lage, mich ihnen gegenüber zu behaupten. Im Gegensatz zu meinem Zwillingsbruder Easton. Er war immer in der Lage zu sagen: Ihr könnt mich mal! Und er tut es mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Er hat keine Angst, seine Träume zu verwirklichen. Easton hat sein Medizinstudium abgebrochen, um seiner Liebe zur Musik nachzugehen. Jetzt hat er mit seiner Band East of Addiction den Durchbruch geschafft und sie sind gerade auf Tournee. Meine Eltern lieben Easton, weigern sich aber immer noch, seine Musik als echte Karriere anzuerkennen. Ich dachte, mein Vater würde an einem Herzinfarkt sterben, als mein Bruder verkündete, dass er das Studium abbricht. Ich für meinen Teil war und bin sehr stolz auf Easton und ein bisschen neidisch. Ich möchte mehr so sein wie er. Keine Frage, ich liebe es, Ärztin zu sein, auch wenn es das ist, was meine Eltern für mich ausgesucht haben. Der Arztberuf ist mein Traum. Solange ich denken kann, wollte ich immer nur Menschen helfen, genau wie meine Eltern. Doch mein Ziel ist es, meine eigene Praxis zu haben. Eine kleine. Ich hätte gern meine eigene Arztpraxis direkt hier in Polson. Ich hasse den Trubel in der Notaufnahme, das ist nichts für mich, aber meine Eltern sind überzeugt davon, dass man damit die Karriereleiter hochklettern kann, so wie sie es getan haben.

Mom und Dad haben beide die Johns Hopkins University besucht. Dort haben sie sich kennengelernt. Nachdem sie ihr Medizinstudium abgeschlossen und sich in ihrem Beruf etabliert hatten, bekamen sie Easton und mich. Soweit ich mich zurückerinnern kann, hatten sie den Lebensweg von mir und meinem Bruder genau durchgeplant. Wir waren sehr gut in der Schule und schlossen beide die High School ein Jahr früher ab als unsere Altersgenossen. Dann wurden wir beide an der Johns Hopkins angenommen. Als ich meinen Zulassungsbescheid mit der Post erhielt, war ich überglücklich. Mein Bruder – nicht so sehr. Er wusste immer, dass das Medizinstudium nichts für ihn war, und das war mir auch klar. Meine Eltern werden nie verstehen, wie jemand, der so intelligent ist wie Easton, Johns Hopkins ausschlagen konnte. Wenn ich an meinen Bruder denke, muss ich lächeln. Wir waren wie Pech und Schwefel, als wir aufwuchsen. Easton ist mein bester Freund. Und obwohl er auf Tournee ist, schreibt er mir immer noch jeden Tag und ruft mich an. Ich habe noch nie einen Tag in meinem Leben verbracht, ohne mit meinem Bruder zu sprechen.

Ich halte vor Rhett’s Studio und parke. Ich schaue mich um und nehme meine Umgebung in Augenschein, bevor ich aus meinem Jeep steige. In den letzten Jahren, in denen ich mit den Kings zusammen war, habe ich gelernt, aufmerksamer zu sein. Nicht, dass es nötig wäre. Es scheint, als kenne ein bestimmter Biker meinen Tagesablauf, denn immer wenn ich nachts arbeite, nehme ich das Geräusch seines Motorrads, das mir vom Krankenhaus zum Boxstudio folgt, sehr genau wahr. Gerade als ich aus meinem Jeep aussteige, höre ich das Dröhnen eines Motorrads. Als ich nach links schaue, sehe ich Quinn vorbeifahren. Er sieht mir in die Augen, als er vorüberfährt. Mein Magen macht einen kleinen Hüpfer, da ich weiß, dass er mich stets im Blick behält.

Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich Quinn traf. Bella war in die Notaufnahme des Krankenhauses gebracht worden, in dem ich in Seattle arbeitete. Ich hatte gerade Logan und alle anderen über ihren Zustand informiert. Ich weiß noch, dass ich nervös und von all den Männern eingeschüchtert war. Und dann war da Quinn. Er war auf seine Weise einschüchternd, aber nicht wie die anderen. Er verhält sich ganz anders. Er ist lockerer und zugänglicher. Quinn ist 1,80 m groß und hat zerzaustes blondes Haar, das in den letzten Jahren länger geworden ist, sodass er es jetzt zu einem Pferdeschwanz trägt. Sein Körper ist kräftig und schlank, mit genau der richtigen Menge an Muskeln. Quinns Haut hat einen hellen Goldton und sein Bart ist so kurz geschnitten, dass ich jedes Mal, wenn er mich anlächelt, seine vollen Lippen sehen kann. Als ob das nicht genug wäre, stockt mir jedes Mal der Atem, wenn er mich mit diesen wissenden blauen Augen ansieht. Er durchschaut mich, darauf könnte ich schwören. Als er das erste Mal mit mir sprach, nannte er mich Dr. Pretty und bat mich um etwas Kaffee. Ich errötete die ganze Zeit, während er versuchte, ein Gespräch zu führen. „Dein Erröten ist das Schönste, was ich je gesehen habe, Sonnenschein.“ Ein paar Stunden später sah ich ihn vor Bellas Krankenhauszimmer, wo er mit einer Krankenschwester flirtete. Er lehnte sich ganz nah an sie heran und flüsterte ihr ins Ohr, während sie über seine Worte kicherte. In diesem Moment wurde mir klar, dass Quinn ein Verführer war, und all die süßen Dinge, die er mir gesagt hatte, auch jeder anderen Frau mitteilte, mit der er etwas anfangen konnte. Ich bin jung und habe nicht viel Erfahrung, wenn es um Männer geht, nur eine lockere Beziehung auf dem College, bei der ich meine Unschuld verloren habe, und einen Arztkollegen, mit dem ich in Seattle gearbeitet habe. Es war nichts Ernstes, wir haben uns nur ab und zu gegenseitig befriedigt. Wir hatten ein gemeinsames Einverständnis. Ich habe null Toleranz für Blödsinn. Wenn ich mit einem Mann zusammen bin, egal ob ernsthaft oder nur zum Spaß, dulde ich nicht, dass er mit einer anderen Frau schläft. Und alles an Quinn schreit nach einem Aufreißer. Ich gebe zu, seine Hartnäckigkeit im letzten Jahr hat mich an seinen Absichten zweifeln lassen. Er tut so, als wären er und ich eine beschlossene Sache. Als ob ich bereits zu ihm gehöre. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir der Gedanke nicht insgeheim gefällt. Die Sache ist die, dass ich Quinn mag, aber ich bin nicht bereit, mein Herz zu riskieren. So bin ich eben, ich gehe immer auf Nummer sicher.

„Kommst du jetzt rein oder nicht?“, fragt mich eine tiefe Stimme aus der offenen Tür des Studios, und ich sehe, wie Rhett mich erwartungsvoll ansieht.

„Ja, ich komme.“

Ich schiebe mich an ihm vorbei, während er mir die Tür aufhält, und er fragt: „Alles in Ordnung? Du hast da draußen neben deinem Auto gestanden, als wärst du in Gedanken versunken.“

„Mir geht’s prima.“ Ich lächle. „Es war ein langer Tag. Ich habe versucht, meine Gedanken zu sammeln.“

„Weißt du, immer wenn du einen schlechten Tag hast oder einfach nur reden willst, bin ich da, und ich würde dich gerne mal ausführen.“ So geschmeichelt ich auch bin, dass Rhett mich um ein Date bittet, kann ich es nicht annehmen. Irgendetwas daran fühlt sich falsch an. Frag mich nicht, warum. Er ist ein toller Typ und verdammt sexy, aber er ist nicht er. Gott, das ist lächerlich. Da will ein gutaussehender und netter Mann mit mir ausgehen und ich kann nicht einmal lange genug aufhören, an Quinn zu denken, um das Angebot anzunehmen. Ich beschließe, Rhett nicht völlig auszuschließen, und antworte: „Das klingt vielleicht ganz gut. Ich werde es dich wissen lassen.“ Die Worte schmecken bitter in meinem Mund und ich weiß sofort, dass es eine Lüge ist. Ich habe nicht die Absicht, mit Rhett auszugehen.

Zwei Stunden später sitze ich wieder in meinem Jeep und fahre die Wicker Street entlang, auf dem Weg zu meiner Wohnung. Als ich an Graces Bäckerei vorbeikomme, sehe ich, dass sie gerade hineingehen will, also hupe ich und winke ihr zu, während ich weiterfahre. Als ich vor ein paar Jahren nach Polson gezogen bin, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal so gute Freunde finden würde. Als ich erfuhr, dass Bella hier lebt, war das eine riesige Überraschung. Als ich sie in Seattle behandelt habe, sagte sie, sie wohne in Montana, aber ich wusste nicht, dass es Polson ist.

Ein Kollege hatte mir von einer freien Stelle in der örtlichen Notaufnahme von Polson erzählt. Seattle zu verlassen und einen Job in einer Kleinstadt anzunehmen, war das einzige Mal, dass ich etwas für mich und nicht für meine Eltern getan habe. Der Umzug war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich liebe meine Eltern, aber die Freunde – die Familie, die ich hier habe – sind das Beste. Bella hat mich mit der Zeit wie eine Schwester aufgenommen und somit auch die Kings. Wenn der Club beschließt, dass du ihm etwas bedeutest, gehörst du zur Familie. Es ist ihnen egal, woher du kommst oder was für eine Vergangenheit du hast. Wenn du einmal zur Familie der Kings of Retribution gehörst, gilt das ein Leben lang. Und du wirst keine loyalere Familie finden als sie. Jake sagte mir einmal, nachdem ich Bellas Leben gerettet und Sofia geholfen hatte, dass ich jemand sei, dem sie für immer zu Dank verpflichtet sein würden. Er sagte, wenn ich bereit sei, meinen Kopf hinzuhalten und meine Karriere für Sofia zu riskieren, dann sei ich ihrer Loyalität würdig. Das hat Jake mir an dem Tag gesagt, als Bella aus dem Krankenhaus in Seattle entlassen wurde, und mir seine Nummer gegeben. Ich musste ihm versprechen, dass ich ihn anrufen würde, wenn ich ihn oder den Club jemals brauchen sollte.

Meine Eltern sind die einzigen Menschen, vor denen ich meine Mitgliedschaft im örtlichen Motorradclub geheim halte. Wenn sie wüssten, wie oft ich meinen Führerschein und meinen Job für sie riskiert habe, würden sie ausrasten. Easton weiß über mein Leben hier Bescheid. Wir erzählen uns gegenseitig alles. Er ist die einzige Person, die mich immer wieder drängt, es mit Quinn zu versuchen. Mein Bruder weiß auch, dass ich mich nicht mit jemandem einlassen kann, für den ich Gefühle hege, also versteht er auch, warum ich zögere.

Als ich zur Wohnungstür hereinkomme, stelle ich meine Tasche auf dem Küchentisch ab, hole mir eine Flasche Orangensaft aus dem Kühlschrank und mache mich dann auf den Weg zu meinem Sofa, wobei ich meinen Laptop vom Esstisch mitnehme. Ich setze mich hin, lege die Beine hoch und platziere meinen Computer auf meinem Schoß. Ich muss meinen Flug nach Hause für Freitagabend buchen. Sobald mein Flug feststeht, rufe ich eine Gruppennachricht auf meinem Telefon auf. Ich war am Samstag mit den Mädchen zum Mittagessen verabredet. Jetzt muss ich ihnen sagen, dass ich absagen muss. Ich hasse das, denn ich habe nicht oft ein freies Wochenende, und habe mich darauf gefreut, die Mädels zu sehen.

Ich: Hey Mädels, ich kann Samstag nicht zum Mittagessen kommen. Ich fliege nach Hause, um meine Eltern zu besuchen. Das ist schon Monate her. Konnte mich nicht drücken.

Bella: Verdammt, das ist scheiße. Aber ich verstehe das.

Alba: Buh!!!

Mila: Ganz ihrer Meinung.

Grace: Das ist okay. Wir holen das Mittagessen nach. Oder vielleicht ein Abendessen.

 Hast du wieder Tagschicht?

Ich: Jep. Wieder tagsüber.

Alba: Ja! Lass uns ein Abendessen planen!

Mila: Ich bin dabei.

Grace: Ich auch!

Ich: Okay. Wollen wir nächste Woche zusammen essen gehen?

Bella: Warte! Was ist mit der Patch-In-Party für Grey am Sonntagabend?

 Kommst du da immer noch hin?

Alba: Partygirl! Wir haben alle Babysitter. Bitte sag, dass du kommst.

Ich: Ja. Ich habe einen Rückflug am Sonntagmorgen. Ich bin pünktlich zur Party zurück.

Mila: Super, klasse!

Grace: Ich kann’s kaum erwarten, dich zu sehen.

Bella: Wir sehen uns Sonntag.

Ich: Bis Sonntag, Mädels.

Kapitel 3

Quinn

Ein weiterer Arbeitstag ist geschafft. Gerade wechsle ich das Öl in Milas Auto, das Reid vor etwa fünfundvierzig Minuten vorbeigebracht hat. Die Arbeit in der neu gebauten Werkstatt läuft seit der Eröffnung vor ein paar Tagen wie geschmiert. Mit mehr Platz und besserer Ausrüstung geht der Arbeitstag viel schneller vorbei.

„Kommst du heute Abend mit uns zu Charley’s, Quinn?“ Logan blickt über den hinteren Stoßdämpfer des Motorrads, an dem er gerade arbeitet.

Charley hat erwähnt, dass vor einer Woche ein paar Typen gekommen sind, um sich umzuschauen und den einheimischen Barbesitzern Fragen über unsere kleine Stadt und deren Einwohner zu stellen. Das Gute an Charley’s ist, dass die Stammgäste uns alle kennen und daher nicht zu viel erzählen. Das Letzte, was wir brauchen, ist, dass noch mehr Arschlöcher in unsere Stadt kommen und versuchen, Unruhe zu stiften.

Soweit wir wissen, sind sie nicht zurückgekommen, also denkt Charley, dass sie nur ein paar neugierige Idioten auf der Durchreise waren. Es ist schon eine Weile her, dass wir bei ihm waren, also ist es höchste Zeit, dass wir mal wieder vorbeischauen und Präsenz zeigen. Nur für alle Fälle. „Nein, Bruder, heute Abend nicht. Es ist der zweite Freitag im Monat, Mann.“ Ich öffne einen weiteren Liter Öl und gieße ihn in den Trichter. „Außerdem habe ich meinem Vater gesagt, dass ich ihm heute Abend an seinem Auto helfe, aber falls es Probleme gibt, bin ich zur Stelle“, sage ich ihm.

„Danke, Bruder.“ Logan nickt.

„Verdammt, riecht das gut“, stelle ich fest und schraube den Öldeckel wieder zu.

Logan wirft einen Schraubenschlüssel in den Werkzeugkasten neben ihm und steht auf. „Bella ist heute vorbeigekommen, um das Mittagessen für alle zu kochen. Sie und die Kinder sind hinten im Pausenraum.“

Mein Magen knurrt. „Genau das brauche ich jetzt. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, seit sie uns mit einem Mittagessen verwöhnt hat.“

„Sie hatte alle Hände voll zu tun mit Bree und Jake. Ich sehe mal nach, ob das Essen fertig ist.“ Logan dreht sich um und geht nach hinten zu Bella. Ich brauche nicht lange, um mein Werkzeug wegzuräumen und mich frisch zu machen. Als ich durch die Tür zum Pausenraum gehe, sehe ich, dass Logan Bella auf die Theke gesetzt hat, seine Hand unter ihrem Hemd und seine Lippen auf ihrem Hals.

„Wenn ich brav alles aufesse, bekomme ich dann auch einen Nachtisch?“ Ich zucke mit den Augenbrauen, als Bella die Augen öffnet und in meine Richtung schaut.

„Ich teile nicht, Bruder“, grummelt Logan und hilft ihr herunter. Ich ziehe meinen üblichen Schmollmund, bevor Bella zu mir kommt und mich umarmt.

„Wie geht’s dir, Süße?“, frage ich sie.

„Müde. Zwei kleine Kinder halten einen auf Trab.“ Sie blickt zu ihren Kindern hinüber, die beide in einem Laufstall schlafen; das Lächeln auf ihrem Gesicht verrät, dass es das alles wert ist. Mir wird ganz warm ums Herz, weil ich mir eines Tages dasselbe für mich wünsche.

„Ich habe neulich mit deiner wunderbaren Mutter zu Mittag gegessen.“ Bella stellt eine Schüssel mit Kartoffelsalat und eine Platte mit Pulled-Pork-Sandwiches auf den Tisch.

Ich schaufle das Essen auf meinen Teller und frage sie: „Hat sie dich wegen Bree beruhigt?“ Was ist, wenn sie das Gefühl hat, nicht dazuzugehören? Was ist, wenn sie einen Teil ihrer leiblichen Familie wiederfinden will, wenn sie älter ist? Das waren nur einige der Fragen, die Bella im Zusammenhang mit dem Baby, das sie und Logan kürzlich adoptiert hatten, beschäftigten. Da ich wusste, dass meine Mutter wahrscheinlich die gleichen Gefühle und Fragen hatte, schlug ich ihr vor, mit ihr zu sprechen. Ich habe ihr zwar meine Sicht der Dinge mitgeteilt, aber der Austausch mit einer anderen Mutter, die einen ähnlichen Lebensweg hinter sich hat, würde die Situation in eine viel bessere Perspektive rücken, als ich es je könnte. „Meine Mutter ist die Beste“, sage ich von ganzem Herzen.

Kurz darauf kommen Gabriel und Austin herein, setzen sich hin und beginnen zu essen. Während sie nach den Kindern sieht, küsst Bella ihren Mann. „Ich werde Jake etwas zu essen bringen. Der Mann arbeitet ununterbrochen. Er muss etwas zwischen die Kiemen kriegen.“

Logan zieht sie näher zu sich und beugt sich für einen weiteren Kuss vor. „Ich esse mit dir, wenn du zurückkommst, Engel.“

Sobald sie aus dem Raum ist, frage ich Gabriel: „Hast du schon das neue Barbell für mich bestellt?“

„Ist gestern gekommen“, bestätigt er mir.

„Toll.“ Ich reibe meine Hände aneinander und Gabriel schüttelt den Kopf. „Ich denke über ein weiteres Piercing nach“, sage ich und nehme einen weiteren Bissen vom Essen. Gabriel starrt mich an. Er hat mein erstes nur widerwillig gemacht, weil ich niemandem sonst vertraut habe. Außerdem ist er der einzige Piercer in der Stadt, der so etwas macht.

„Ich fasse deinen Schwanz nicht noch einmal an“, brummt er.

Austin meldet sich mit einem überraschten Gesichtsausdruck zu Wort. „Du hast dir den Schwanz piercen lassen? Stehen Frauen auf so was?“

„Verdammt ja. Ich habe noch nie eine getroffen, der es nicht gefiel. Willst du auch eins?“ Ich sehe ihn an. Austin hat Tunnels in beiden Ohren, die Arme voller Tattoos und kleine Stabpiercings unterhalb eines Fingerknöchels an seiner rechten Hand, also überrascht es mich nicht, dass er Interesse an einem Schwanzpiercing zeigt.

„Hab’ drüber nachgedacht.“ Er nickt. „Die Braut, mit der ich mich treffe, hat ihre Vorhaut gepierct. Verdammt heiß, wenn du mich fragst“, sagt er.

Bevor er seine Beschreibung der Verzierungen seiner Partnerin beenden kann, taucht Bella wieder auf, als ihre Kinder gerade aus dem Schlaf erwachen. Logan schnappt sich den gemeinsamen Sohn, während Bella nach deren Tochter greift, und die beiden setzen sich hin. Nachdem wir gegessen haben, bedanken wir uns bei Bella für das Mittagessen, dann gehen Gabriel, Austin und ich wieder an die Arbeit und lassen sie und Logan in Ruhe ihren Lunch genießen. Ich mache heute eine Stunde früher Feierabend, um zum Jugendzentrum zu fahren. Das Zentrum ist nur einen Block von der Praxis meiner Mutter entfernt. Seit fünf Jahren engagiere ich mich mindestens zweimal im Monat ehrenamtlich. Ich treffe mich gern mit einigen der jungen Kerle aus der Gegend, die aus verschiedenen Gründen herkommen. Manchmal brauchen sie zusätzliche Hilfe bei Schularbeiten, andere müssen vielleicht gemeinnützige Arbeit leisten, wieder andere brauchen einfach jemanden zum Reden. All das trägt dazu bei, dass sie weder auf der Straße landen noch in Schwierigkeiten geraten. Reids Vater hat die Initiative ins Leben gerufen, bei der jedes Kind, ob männlich oder weiblich, eine handwerkliche Fertigkeit erlernen kann. Reid führt das fort, was sein Vater vor Jahren begonnen hat, indem er den Kindern eine praktische Ausbildung anbietet und sie zusätzlich in wohltätige Projekte einbindet. Ich tue, was ich kann, indem ich ihnen handwerkliche Kenntnisse vermittle und ganz nebenbei wird es für sie zu einer Art Therapie. Die Kinder lernen etwas und können in einer Umgebung, in der sie sich wohl fühlen, über ihre Probleme sprechen. Ich habe mich relativ schnell in diese Rolle eingefunden. Aus irgendeinem Grund fällt es vielen Menschen leicht, sich mir zu öffnen und mit mir über Dinge zu reden. Das war schon mein ganzes Leben so. Wenn meine Brüder jemanden zum Zuhören brauchten, war ich für sie da. Wenn diese Kinder jemanden brauchen, der sie nicht verurteilt – dann bin ich für sie da.

Der Club unterstützt die Gemeinde in vielerlei Hinsicht, aber fast jeder von uns engagiert sich zusätzlich auf seine Weise, und das hier ist meine. Es liegt mir sehr am Herzen, den Jugendlichen zu helfen. Bin ich für sie das beste Vorbild im Leben? Nicht nach den Maßstäben der Mehrheit der Gesellschaft. Interessiert es mich, was andere denken? Nein, verdammt. Mir liegen diese Kinder am Herzen und ich möchte für sie da sein, das ist es, was letztendlich zählt. Die Realität ist, dass das Leben manchmal verdammt beschissen sein kann, aber es ist die Art und Weise, wie man damit umgeht; es ist der Weg, den man für sich selbst wählt, der den Ausgang bestimmt. Sie brauchen niemanden, der ihnen erzählt, dass sie tatenlos herumsitzen und auf Veränderung warten sollen. Sie brauchen keine Almosen, sie benötigen eine helfende Hand. Wir alle bestimmen unser eigenes Schicksal, unsere eigene Zukunft. Wenn man etwas will, muss man es verwirklichen. Das ist es, was ich ihnen beibringe.

Ich gehe um die Rückseite des Gebäudes herum, wo sich ein kleiner Schuppen befindet, der groß genug ist, um ein altes Auto unterzubringen. Ich schließe das Vorhängeschloss auf, schwinge die Tür zur Seite und gehe hinein. An der Rückwand steht eine Sammlung gebrauchter Werkzeugkästen, die dem Zentrum im Laufe der Jahre gespendet wurden. Mein Telefon läutet. Ich greife in meine Tasche, hole es heraus und streiche mit dem Daumen über das Display, um eine SMS von meinem Vater zu lesen.

Dad: Bleibst du heute Abend zum Essen?

Während ich meine Antwort tippe, grinse ich. Ich liebe die Kochkünste meiner Mutter. Da sie weiß, dass ich vorbeikomme, wird sie vielleicht mein Lieblingsessen machen: Hackbraten.

Ich: Scheißt ein Bär in den Wald?

Ich versuche immer, mir einen Witz auszudenken, der sich auf seinen Job in der Forstwirtschaft bezieht. Es dauert etwa eine halbe Minute, bis er antwortet.

Dad: :-D